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Unter den Handlungszielen der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung1 ist das Ziel zur Verringerung der Flächenneuinanspruchnahme durch Siedlungen und Verkehr eher unpopulär. Bis 2020 soll die Ausweitung der Siedlungs- und Verkehrsflächen auf 30 ha pro Tag begrenzt werden. Gegenüber dem Ausgangszustand im 4-Jahres-Intervall von 1993 bis 1996 mit 120 ha pro Tag wäre dies eine Verringerung des Tempos der Zersiedelung auf ein Viertel.

Um eine Kontrolle zu ermöglichen, ob Deutschland sich auf dem Weg zur Zielerreichung bewegt, hat das Umweltbundesamt dieses Handlungsziel mit zeitlichen Zwischenzielen für die Jahre 2010 (80 ha pro Tag) und 2015 (55 ha pro Tag) unterfüttert. Wird ein linearer Pfad bis zum Erreichen des 30-ha-Ziels unterstellt, so bedeutet dies für den 10-Jahres-Zeitraum von 2011 bis 2020 einen zusätzlichen Flächenfraß von insgesamt 201 000 ha.

Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, ist das Tempo des Flächenverbrauchs seit 2000 trotz jährlicher Schwankungen in der Tendenz rückläufig. Die Ursachen für den Rückgang sind zum einen der demographische Wandel, der vor allem auf dem Eigenheimmarkt für einen stetigen Rückgang der Nachfrage sorgt. Des Weiteren ist aufgrund generell schwächelnder Konjunktur die Nachfrage im Wirtschaftsbau in vielen Sektoren zurückgegangen. Die Weltwirtschaftskrise hat 2009 einen zusätzlichen Einbruch bei den Baufertigstellungen im Hochbau gezeitigt, was auch beim Flächenverbrauch sichtbare Spuren hinterlässt.

Abbildung 1
Tägliche Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsfläche im Zeitraum von 1993 bis 2009
Handlungsziel der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie für 2020 und Zwischenziele des Umweltbundesamtes für 2010 und 2015
in ha
Prenn-Bressel Abb-1.ai

Im Einzeljahr 2009 wurde der Wert von 80 ha pro Tag unterschritten. Trotz dieses temporären Einbruchs ist keineswegs sichergestellt, dass das 30-ha-Ziel 2020 tatsächlich erreicht werden kann. Denn durch die konjunkturelle Erholung dürfte auch die Neubautätigkeit 2011 steigen.

Warum wollen wir das 30-ha-Ziel erreichen?

Für das 30-ha-Ziel sprechen nicht nur Gründe des Umwelt- und Naturschutzes, sondern auch gewichtige städtebauliche, soziale und ökonomische Gründe.

Aus Umweltsicht sind nicht nur die Bodenversiegelung und die Störung des Kleinklimas und Wasserhaushaltes mit ihren Auswirkungen auf Grundwasser und Überschwemmungsrisiken zu bedenken. Vielmehr wird ein Teufelskreis aus Neubau im Speckgürtel um die Ballungszentren, weiteren Wegen, mehr Verkehr, überlasteten Straßen, Ausbau des Verkehrsnetzes und noch stärkeren Anreizen, sich an den Rändern des Speckgürtels anzusiedeln, in Gang gesetzt. Im Ergebnis kommt es zu einer fortschreitenden Zersiedlung und Bebauung von zentrumsfernen Gebieten. All dies geht einher mit einem hohen Materialeinsatz und Energieverbrauch und mit dem Ausstoß von Lärm, Schadstoffen und Treibhausgasen. Dies gilt nicht nur für die Bauphase, wenn neue Gebäude und Infrastrukturen errichtet werden, sondern vor allem auch für die Betriebsphase, insbesondere im Hinblick auf den Material- und Energieverbrauch für Wartung und Instandhaltung von Infrastrukturen. Bei Gebäuden kommt der Aufwand für Heizung, Beleuchtung und gegebenenfalls Belüftung oder Kühlung hinzu. Auch der zusätzliche Park an Kraftfahrzeugen, der unterhalten, betrieben und mit Kraftstoff versorgt werden muss, um diese eher peripheren Ziele zu erreichen, schlägt als Dauerbelastung für die Umwelt zu Buche.

Insgesamt begünstigt der Ausbau von dispersen Siedlungen und Infrastrukturen material- und energieaufwändige Lebensstile und Wirtschaftsstrukturen. Die Pro-Kopf-Inanspruchnahme von Flächen, Rohstoffen und Energie ist hier zwangsläufig höher als in kompakten Siedlungen. Dies schadet nicht nur der Umwelt, sondern erhöht auch die Verwundbarkeit des Gesamtsystems gegenüber Versorgungsengpässen, insbesondere mit Energieträgern. Gleichzeitig gehen fruchtbare Böden für die Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen verloren.

Städtebauliche und soziale Gründe

Aus städtebaulicher und sozialer Sicht bedeutet eine übermäßige Ausweitung der Siedlungen in der Peripherie – vor allem in Regionen mit schwächelnder Wirtschaft und stagnierender oder gar schrumpfender Bevölkerung –, dass innerhalb der Städte und Dorfkerne immer mehr einzelne Wohnungen, Büros, Ladenlokale, Betriebsstandorte oder Hofstellen nicht mehr genutzt werden. Zunehmend stehen ganze Gebäude oder Gebäudezeilen leer. Dies beeinträchtigt nicht nur das Stadtbild, sondern zieht auch einen Verfall der Mieten sowie der Gebäude- und Grundstückswerte in diesen Regionen nach sich. Dabei ist der breiten Öffentlichkeit – angesichts der Zeitungsberichte, die sich in den letzten Monaten vor allem auf einige wenige Städte oder Stadtteile mit spekulativ stark überhöhten Immobilienpreisen konzentrieren – die Problematik des schleichenden Verfalls der Immobilienwerte in der Fläche kaum bewusst.

Zwar wird auf Deutschland insgesamt bezogen die Zahl der nachfragenden Haushalte nicht ganz so schnell abnehmen wie die Bevölkerungszahlen, denn der Trend zu mehr kleinen Haushalten setzt sich fort. Dennoch sollte die Wohnungswirtschaft nicht in übermäßigen Optimismus verfallen. Für die gemeinsame Planungsregion Berlin-Brandenburg sowie für das Saarland zeichnet sich z.B. ein Rückgang der Zahl der Haushalte bis 2020 um 3% bis 5% ab. Für die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ist ein Rückgang der Zahl der Haushalte bis 2020 um 7% bis 10% absehbar. Dabei sind innerhalb der Bundesländer die einzelnen Gemeinden und Regionen in unterschiedlichem Ausmaß betroffen, so dass es durchaus einzelne Kommunen gibt, in denen sich die Zahl der Haushalte stabilisieren könnte, während sie in anderen Kommunen bis 2020 um bis zu 20% zurückgehen könnte.

Für die westdeutschen Bundesländer ist bis 2020 im Landesdurchschnitt noch mit einer stabilen oder um bis zu 5% wachsenden Zahl von Haushalten zu rechnen, wobei vor allem die Stadtstaaten zu den Gewinnern zählen dürften. Innerhalb dieser Bundesländer gibt es aber durchaus Kommunen und Regionen, in denen auch heute schon die Zahl der Haushalte sinkt, so dass auch hier künftig mit wachsenden Leerständen zu rechnen ist.

Insgesamt sollte künftig bei Investitionen in Wohn- und Gewerbeimmobilien viel gründlicher analysiert werden, wie sich vor dem Hintergrund der absehbaren regionalen Entwicklung von Bevölkerung und Wirtschaft – aber auch vor dem Hintergrund von bereits bestehenden Gebäude- oder Baulandüberhängen – die weitere Wertentwicklung der Objekte gestalten könnte. Aber auch in Wachstumsregionen ist eine übermäßige Zersiedelung aus städtebaulicher und sozialer Sicht nicht unproblematisch, begünstigt sie doch die selektive Abwanderung besser situierter Haushaltstypen in die Einfamilienhausgebiete des Umlands, während in den Kernstädten die eher einkommensschwachen, bildungsfernen Haushalte zurückbleiben. Dies fördert die Bildung von Stadtteilen, in denen durch die räumliche Konzentration von bildungsfernen Haushalten auch die Bildungs- und Aufstiegschancen der jungen Generation stark beeinträchtigt werden. Darüber hinaus schrumpft durch die verminderten Steuereinnahmen und die hohe Belastung durch Sozialausgaben der Handlungsspielraum der Kernstädte, um Verbesserungen im Stadtbild, der Wohnumfeldqualität und der Infrastruktur vornehmen zu können, die ihre Attraktivität für einkommensstärkere Haushalte erhöhen könnten.

Ökonomische Gründe

Aber auch volkswirtschaftlich wirkt sich die übermäßige Zersiedlung auf Dauer nachteilig aus. Bund, Länder und Gemeinden stöhnen schon heute über die Kosten, die die Erneuerung und Instandhaltung der reichlich und überreichlich vorhandenen Straßen, Bahnlinien und Schifffahrtswege sowie der Netze für die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung verursachen. Hinzu kommt als deutsche Besonderheit ein üppiges Netz land- und forstwirtschaftlicher Wege.

Berechnungen zeigen, dass nur ein geringer Teil des übergeordneten Straßen- und Schienennetzes tatsächlich mit hohen Verkehrsmengen ausgelastet ist. Das restliche Netz dient lediglich der Erschließung von Ortsteilen oder Flurstücken und weist relativ geringe Verkehrsbelastungen auf, so dass sich hier die Frage nach notwendigen Ausbaustandards oder gar nach der Erforderlichkeit stellt.

Die fixen Kosten für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur werden auf die Steuer- und Gebührenzahler, also letztlich auf die Haushalte und Betriebe, überwälzt. Für die Haushalte erhöht dies die Lebenshaltungskosten, für die Betriebe kann sich die hohe Steuer- und Gebührenbelastung im Wettbewerb nachteilig auswirken. Besonders verzwickt gestaltet sich die Situation in Schrumpfungsregionen. Die Fixkosten für die Aufrechterhaltung der Infrastruktur werden auf immer weniger Nutzer verteilt, was die Kostenbelastung pro Nutzer erhöht und die Wettbewerbsfähigkeit der Region weiter schmälert.

Ist eine florierende Wirtschaft auf Fläche angewiesen?

Dem könnte entgegengehalten werden, dass ein ökonomischer Aufschwung und die Ansiedlung von Betrieben gebremst wird, wenn die öffentliche Hand nicht genügend Flächen zur Verfügung stellt. Natürlich braucht eine florierende Wirtschaft Fläche. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, es müsste nur genügend Fläche zur Verfügung gestellt werden, damit die Wirtschaft wächst, wie Abbildung 2 illustriert.

Abbildung 2
Siedlungs- und Verkehrsfläche pro Einwohner
in m2 pro Einwohner
Prenn-Bressel Abb-2.ai

Es wird deutlich, dass wirtschaftlich starke Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg eher weniger Fläche pro Kopf der Bevölkerung verbrauchen als Flächenländer mit vergleichbarer räumlicher Struktur und Bevölkerungsdichte, die wirtschaftlich aber nicht ganz so erfolgreich sind. Anders ausgedrückt: Es scheint Faktoren zu geben, die wesentlich mehr zum Erfolg der wirtschaftlichen Entwicklung beitragen als das Angebot an Siedlungsflächen, z.B. für Gewerbegebiete. Im Übrigen könnte sich auch die Bauwirtschaft in Zeiten der Energiewende bei der Sanierung bestehender Gebäude neue Tätigkeitsfelder erschließen, anstatt sich auf Neubaugebiete zu konzentrieren.

Schlussfolgerungen

Das 30-ha-Ziel konsequent zu verfolgen könnte neben dem Nutzen für die Umwelt auch positive Effekte für die Energie-, Ressourcen- und Kosteneffizienz der Volkswirtschaft als Ganzes zeitigen, wovon auch die private Wirtschaft profitiert. Günstig wäre es, wenn die Flächen, die auf dem Pfad zu einer nachhaltigen Entwicklung noch in Anspruch genommen werden (z.B. 201 000 ha bis 2020), möglichst da verbraucht werden, wo sie – aufgrund konkreter, nachgewiesener Bedarfe – tatsächlich benötigt werden. Unter den zahlreichen in Fachkreisen diskutierten Instrumenten zur Eindämmung des Flächenverbrauchs,2 auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, wäre der Handel mit Flächenzertifikaten3 (analog zum Emissionshandel für Treibhausgase) das geeignete Instrument, um zielgenau einerseits den Flächenverbrauch dahin zu lenken, wo er den meisten ökonomischen oder sozialen Nutzen stiftet, und im Gegenzug Geld dahin zu lenken, wo es am dringendsten gebraucht wird.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird unter anderem ein Modellversuch zu diesem Instrument angekündigt. Das Umweltbundesamt bereitet derzeit in Abstimmung mit dem Bundesforschungsinstitut für Bauwesen und Raumordnung und im Dialog mit den kommunalen Spitzenverbänden und Bundesländern derartige Modellversuche vor. Bis Ergebnisse dieser Versuche vorliegen, sollten aber auch andere Stellschrauben, insbesondere der Einsatz öffentlicher Mittel für Investitionen und Subventionen, weiter im Hinblick auf Flächensparen und Ertüchtigung bestehender Siedlungen optimiert werden.

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DOI: 10.1007/s10273-011-1303-x