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Kernkraftwerke: Die wahren Kosten der Atomkraft

Von Sonja Peterson

Die Ereignisse im Atomkraftwerk Fukushima und deren bislang kaum überschaubare Folgen werfen die Frage nach den „wahren“ Kosten der Atomkraft auf. Atomkraftgegner ebenso wie verschiedene wissenschaftliche Studien argumentieren schon seit langem, dass die reinen Betriebskosten von Atomstrom (derzeit etwa 4-6 Cent pro kWh) nur die Spitze des Eisbergs sind. Hinzu kommen zahlreiche sogenannte externe Kosten, die letztlich die Gesellschaft trägt. Diese reichen von der jahrhundertelangen Endlagerung der Abfälle über den aufwändigen Abbau alter und stillgelegter Atomkraftwerke bis hin zu potenziellen Schäden durch Proliferation oder Unglücksfälle, die, wie uns Fukushima vor Augen führt, enorm sein können.

Eine Schätzung dieser externen Kosten ist naturgemäß extrem schwierig. Bereits die Kosten der Entsorgung sind schwer zu beziffern, unter anderem da Explorations- und Einlagerungskosten nicht nur von geologischen Gegebenheiten und Sicherheitsstandards, sondern auch von der gesellschaftlichen Akzeptanz abhängen – man denke an die Kosten jedes Castor-Transports. Bei Proliferation und Unglücksfällen handelt es sich zudem um unsichere Ereignisse – mit sehr kleiner Wahrscheinlichkeit, aber potenziell immensem Schaden. In Japan wird derzeit von Kosten in Höhe von Hunderten Milliarden Euro ausgegangen. Eine Studie Münsteraner Wissenschaftler kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass eine Kernschmelze in Deutschland Schäden in Höhe von 5 Billionen Euro – dem doppelten des deutschen Bruttoinlandprodukts – verursachen könnte. Entsprechend gelangen verschiedene Studien zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. „Optimistische“ Studien schätzen die externen Kosten der Atomkraft auf 0,1 Cent bis zu maximal 1 Euro/kWh; andere errechnen Werte von bis zu 2,7 Euro/kWh. Bereits externe Kosten von 15 Cent/kWh machen Atomstrom so teuer wie den teuersten Windstrom.

Ein wesentlicher Grund für die niedrigen Produktionskosten von Atomstrom ist, dass Atomkraftwerksbetreiber nur begrenzt für eventuelle Schäden haften und nur ungenügend versichert sind. In den meisten Ländern liegt die Haftungsbeschränkung für Atomkraftwerke bei wenigen hundert Millionen Euro. In Deutschland deckt der Versicherungspool der Betreiberseite Schäden bis zu 256 Mio. Euro ab. Weitere 2,2 Mrd. Euro zahlen die Atomkraftwerksbetreiber, die darüber hinaus mit ihrem Vermögen haften. Um etwa einen Schaden von 5 Billionen Euro zu versichern, wäre nach Berechnungen des Forums ökologisch-soziale Marktwirtschaft eine Haftpflichtprämie von 287 Mrd. Euro pro Jahr fällig. Atomkraft wäre unbezahlbar.

Schließlich ist es kaum moralisch vertretbar, mögliche Folgen einer nuklearen Katastrophe, wie die durch Verstrahlung verursachten Folgen für Leib und Leben von Millionen Menschen und die Einrichtung großer nuklear kontaminierter Sperrgebiete in dicht besiedelten Gegenden – beides wird für Japan befürchtet –, in Euro zu bewerten und etwa zum Gegenstand einer Kosten-Nutzen-Rechnung zu machen. Vielmehr muss man die Frage stellen, ob eine Gesellschaft willens ist, ein, wenn auch extrem kleines, Risiko mit möglicherweise katastrophalen Folgen einzugehen, oder ob sie sich entscheiden sollte, sich diesem Risiko nicht mehr auszusetzen.

Die wahren Kosten der Atomkraft sind schwer zu beziffern, aber allein um nukleare Katastrophen auszuschließen und nicht nur auf ein immer existierendes „Restrisiko“ zu reduzieren, sollte eine Gesellschaft die Kosten des Atomausstiegs akzeptieren und tragen.

Biokraftstoff: Die Nachhaltigkeit von E10

Von Leon Leschus

Bis 2035, so schätzt das US-amerikanische Energieministerium, wird sich der weltweite Energieverbrauch um 50% erhöhen. Derzeit haben die fossilen Energieträger wie Öl, Gas oder Kohle noch im Energiemix den höchsten Anteil. Diese sind jedoch endlich und bei ihrer Verbrennung fallen große Mengen an CO2-Emissionen an. Daher werden in Zukunft erneuerbare Energien zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass bis 2020 10% erneuerbare Energien im Verkehrssektor eingesetzt werden. Dabei sind die Elektromobilität und die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie als Alternativen noch mit Problemen verbunden. Die Reichweiten der Batterien sind weiterhin begrenzt und für beide Technologien müsste eine ganz neue Infrastruktur mit hohen Investitionskosten aufgebaut werden.

Sollen die von der Politik angestrebten Ziele für die erneuerbaren Energien im Verkehrssektor erreicht werden, wäre der Einsatz von Biokraftstoffen also notwendig. Jedoch stellt sich die Frage, wie deren Nachhaltigkeit gewährleistet werden kann. Die Biokraftstoffe der ersten Generation – die ausschließlich aus Pflanzenfrüchten hergestellt werden – stehen in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. So werden in den USA mehr als 30% der Maisernte für die Produktion von Bioethanol verwendet. Zwar kann der bei der Biokraftstoffproduktion anfallende „Maispresskuchen“ noch an Tiere verfüttert werden, aber für die Nahrungsmittelproduktion steht der Mais nicht mehr zur Verfügung. Sicherlich ist die Biokraftstoffproduktion nicht allein für die Preissteigerungen auf den Getreidemärkten verantwortlich, aber sie hat einen Teil dazu beigetragen.

Zudem kann ein Biokraftstoff nur nachhaltig sein, wenn für seine Herstellung keine Urwälder vernichtet wurden. In Indonesien wurden große Urwaldflächen für Palmölplantagen gerodet. Da von Urwäldern große Mengen von CO2 aufgenommen werden, ist die CO2-Bilanz des aus dem Palmöl hergestellten Diesels möglicherweise schlechter als die des fossilen Kraftstoffes. Um zu verhindern, dass für die Biokraftstoffproduktion Urwälder abgeholzt werden, wurden von der Europäischen Union mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie Nachhaltigkeitsanforderungen für die Produktion und energetische Nutzung von Biomasse festgelegt. Die Vorgaben der Erneuerbare-Energien-Richtlinie werden durch die Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung und die Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung in deutsches Recht umgesetzt. Mit der Einführung von E10 wurde jedoch nicht ausreichend kommuniziert, wie nachhaltig der angebotene Biokraftstoff ist. Die Sinnhaftigkeit eines Biokraftstoffes steht und fällt mit dem Grad seiner Nachhaltigkeit. Die Frage nach der Nachhaltigkeit wird mit dem zunehmenden Einsatz von Biokraftstoffen in Europa und Deutschland verstärkt in den Vordergrund rücken, weil mehr Biokraftstoff importiert werden muss. An den Biokraftstoffen der zweiten Generation wird weiterhin intensiv geforscht und gearbeitet. Da sie sich u.a. aus Pflanzenresten herstellen lassen, könnten sie sogar ein Kuppelprodukt zur Nahrungsmittelproduktion darstellen. Jedoch sind die Biokraftstoffe der zweiten Generation noch nicht im großen Stil marktfähig.

Eine nachhaltige, künftige Energieversorgung wird weiterhin mit großen Herausforderungen verbunden sein. Der Handlungsdruck könnte durch einen schnellen Ausstieg aus der Atomkraft verstärkt werden, da zunehmend Biomasse für die Verstromung eingesetzt werden könnte. Die Biomasse bei der stationären Verwendung, also der Verstromung, lässt sich wesentlich effizienter einsetzen, als wenn aus ihr Biokraftstoff für den Verkehr erzeugt würde. Jedoch stehen bei der Stromerzeugung mit Windenergie, Wasserkraft und Photovoltaik mehr Alternativen an erneuerbaren Energien zur Verfügung als dies beim Verkehrssektor der Fall ist.

Japan: Spezielle Vorprodukte werden knapp

Von Jürgen Matthes

Ob Lieferverzögerungen beim iPad 2 oder Engpässe bei Silicium-Wafern und bei Pigmenten für Autolacke: Die Naturkatastrophen und die Verstrahlungen in Japan wirken auch auf Deutschland und andere Länder zurück, und das trotz einer nur geringen Handelsverflechtung der deutschen Wirtschaft mit Japan. Nur 2,7% der deutschen Wareneinfuhren stammen aus Nippon. Mit Importen im Wert von rund 22 Mrd. Euro rangiert das Land der aufgehenden Sonne damit gerade einmal auf Platz 14 der deutschen Top-Lieferanten weltweit – obwohl Japan die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist.

Trotzdem sind bestimmte japanische Waren kurzfristig kaum zu ersetzen. In der Folge mussten auch einige deutsche Unternehmen schon vorübergehend ihre Produktionsbänder anhalten. Die internationale Arbeitsteilung ist heute extrem spezialisiert sowie sehr kleinteilig und kosteneffizient aufgebaut. Dabei haben manche deutsche Unternehmen in ihre Lieferketten spezielle Produkte japanischer Nischenhersteller eingeflochten. Sie sind dann besonders verletzlich, wenn der Einfuhranteil der japanischen Spezialprodukte und deren weltweiter Marktanteil hoch sind und wenn die Konkurrenzunternehmen ihre Produktion wegen hoher Kapazitätsauslastung nicht so schnell ausdehnen können. Das ist nach Auskunft von Industrieverbänden und Medienberichten offenbar vor allem bei einigen elektronischen Bauelementen der Fall. Angewiesen auf diese Vorprodukte sind in Deutschland besonders einige Automobilhersteller sowie manche Unternehmen der Elektroindustrie und des Maschinenbaus. Die hohe Relevanz der Elektro-Bauteile drückt sich auch in Zahlen aus. Auf der Viersteller-Ebene der Außenhandelsstatistik nach dem Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken liegen elektronische Bauelemente mit einem Wert von rund 1,6 Mrd. Euro auf dem zweiten Rang der aus Japan nach Deutschland eingeführten Waren. An erster Stelle rangieren Büromaschinen und an dritter optische und fotografische Geräte. Davon dürfte freilich das Gros zu den Konsumgütern zählen, also für auf Vorprodukte angewiesene Unternehmen nicht relevant sein. Doch unter den übrigen Warengruppen in den Top Ten der Importwaren aus Japan findet sich eine Reihe weiterer Vorleistungsgüter.

Dabei haben Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe nicht nur zahlreiche Betriebe in der Krisenregion lahmgelegt, sondern die Krise zieht weitere Kreise. Auch andere japanische Unternehmen müssen ihre Produktion unterbrechen oder sogar länger anhalten, weil krisenbedingt der Strom knapp ist oder weil Zulieferungen von stillgelegten Firmen aus der Krisenregion fehlen. Bislang erscheinen die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft noch moderat. Doch sind die Effekte der bisherigen Produktionsausfälle in Japan möglicherweise noch nicht vollständig spürbar. Denn der dominierende Transportweg ist der Schiffsverkehr – die Container aus Japan sind mehrere Wochen unterwegs. Auch dürften die hiesigen Lager an benötigten Vorprodukten bislang oft noch ausreichend gefüllt gewesen sein. Mit den erst ab Mitte April „anlandenden“ Lieferausfällen und den inzwischen wohl kurzfristig auch durch Hamsterkäufe leergefegten Märkten für die Engpass-Produkte könnte das dicke Ende erst noch kommen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit Lieferengpässe nur zu Preiserhöhungen führen oder ob in Deutschland in größerem Maße als bislang Produktionsstopps und Kurzarbeit nötig werden. Auch wird spannend sein zu beobachten, ob die Unternehmen aus dieser Krise Konsequenzen für den Aufbau ihrer hoch spezialisierten Lieferketten ziehen.

Unisex-Tarife: Innovative Ideen sind gefragt

Von Roland Eisen

Mit seinem Urteil vom 1. März hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Linie bestätigt, die die Europäische Kommission mit ihrem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“ eingeleitet hat. Dieser Entwurf ist 2004 Richtlinie geworden und hat seinen Niederschlag im deutschen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz von 2006 (Antidiskriminierungs-Gesetz) gefunden – allerdings mit der Ausnahme, dass Versicherer weiterhin bei der Berechnung ihrer Tarife am Geschlecht als Risikofaktor ansetzen dürfen. Relevant ist dies beispielsweise bei der Kfz-Versicherung, wo junge Frauen wesentlich weniger bezahlen, weil sie weniger Unfälle machen als junge Männer, bei der Risikolebensversicherung, weil bei Frauen das Risiko des vorzeitigen Todes geringer ist, umgekehrt aber bei der Kranken- und Rentenversicherung, wo Frauen höhere Beiträge bezahlen müssen, weil Frauen im Durchschnitt länger leben, und häufiger zum Arzt gehen als Männer.

Als Folge des Urteils sind die Versicherer nun verpflichtet, bis zum 21. Dezember 2012 nur noch geschlechtsunabhängige Tarife (Unisex-Tarife) für Neuverträge anzubieten, was zu einer „Verbilligung“ für Männer in der Kfz- und Risikolebensversicherung, aber zu einer „Verteuerung“ für Männer bei der Kranken- und Rentenversicherung (und umgekehrt für Frauen) führen müsste. Allerdings hat die Versicherungswirtschaft schon vor dem Urteil ein „statistisches Drohszenario“ aufgebaut, demzufolge die Prämien auf breiter Ebene steigen müssen. Sie begründen dies z.B. mit einem zusätzlichen Risikopuffer, um die Gefahr auszugleichen, dass viele Männer ihre Rentenpolicen kündigen und vorwiegend teurer zu versichernde Frauen zurückbleiben. Außerdem empfinden die Versicherer den einheitlichen Tarif als ungerecht. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft sieht mit der Entscheidung das zentrale Prinzip der Äquivalenz von Beitrag und Leistung der privaten Versicherungswirtschaft in Frage gestellt.

Aber ist dies tatsächlich der Fall? Antiselektion (adverse Selektion oder auch negative Auslese genannt) ist ein echtes Problem. Eine Prämiendifferenzierung wird jedoch nicht dadurch unmöglich, dass man einen Faktor in der Tarifierung nicht mehr verwenden kann. Gerade die Kfz-Versicherung zeigt doch, dass sehr viele Kriterien wichtig sind, etwa der Wagentyp (es gibt Modelle, die vorwiegend von Frauen gefahren werden), das Baujahr, der Wert des Fahrzeugs, der Wohnort, die jährlich gefahrenen Kilometer, Garage usw. Und wenn sich die Risiken zwischen jungen Frauen und jungen Männern zwischen 18 und 25 Jahren signifikant unterscheiden, kann man viel durch einen „Anfängerzuschlag“ auffangen. Vielleicht wird der am Anfang etwas höher ausfallen als tatsächlich nötig, weil die Schadenverhältnisse sich im Durchschnitt ja nicht ändern, damit nicht alle jungen Männer in den günstigeren Unisex-Tarif wechseln. Auch in der Lebensversicherung wird man unter dem Druck dieses Urteils innovativer werden müssen. Sicherlich ist richtig, dass das Kriterium „Geschlecht“ im Verhältnis zu anderen Kriterien wie dem Lebensstil und dem Einkommen stabil ist, auch der Bildungsstand ist nicht leicht und schnell zu verändern. Aber insgesamt gilt auch hier, dass der viel beschworene Wettbewerb es schon richten wird. Denn, ein letztes Argument, man kann zeigen, dass auch „Mischverträge“, wie sie die Unisex-Verträge darstellen würden, im Wettbewerb überleben.


DOI: 10.1007/s10273-011-1211-0