Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

2011 war das Jahr der Krisengipfel, die es jedoch kaum vermocht haben, das verloren gegangene Vertrauen in die Währungsstabilität und die Schuldentragfähigkeit der Euro-Mitgliedstaaten wiederherzustellen. 2012 kann als Jahr der Bewährung angesehen werden, in dem sich das Schicksal der europäischen Gemeinschaftswährung entscheiden könnte. Michael Heinrich diskutiert verschiedene Auswege aus der Krise.

Die Lage der Euroländer ist durch Konsolidierung, Fiskaldisziplin und teilweise Souveränitätsverzichte gekennzeichnet. Insbesondere Griechenland hat diesen bitteren Weg bereits eingeschlagen: nach dem von der Financial Times errechneten „Pain Index“ ergibt sich aus Lohnsenkungen, Sparprogrammen und Steuererhöhungen 2011 eine Einkommensreduktion von 13,7% für einen griechischen Durchschnittshaushalt.1 Die Auswirkungen dieses nicht nur ökonomischen, sondern auch politischen und gesellschaftlichen Parforce-Ritts sind anhand des konjunkturbereinigten Primärsaldos (Differenz zwischen bereinigten Einnahmen und Ausgaben ohne Zinsausgaben)2 auch unverkennbar: Griechenland hat bei diesem Indikator eine Rückführung des Defizits um beinahe 13 Prozentpunkte (von 13,1% auf 0,4% Primärdefizitquote) innerhalb von zwei Jahren erzielt und damit wesentlich stärker konsolidiert als Irland, Portugal oder Spanien. Italien steht mit einer Primärüberschussquote (2011) von 1,9% überdies wesentlich besser da als die defizitären G7-Schuldnerstaaten außerhalb des Euroraums (Großbritannien: -3,5%, USA: -4,8%, Japan: -6,7%). Trotzdem können sich diese drei Länder zu ähnlich niedrigen Zinsen auf den Kapitalmärkten finanzieren wie Deutschland.3 Warum aber werden dann die Konsolidierungsanstrengungen der Problemländer im Euroraum von den Finanzmärkten nicht wenigstens mit einer spürbaren Absenkung der Risikoprämien für deren Staatspapiere honoriert?

Zum einen ist dies der nackten Arithmetik geschuldet. Allein um die – inakzeptabel hohe – Schuldenstandsquote (d) Griechenlands von etwa 166% nur konstant zu halten, bräuchte man bei einem mittelfristigen Nominalzins (i) von 6% und einem optimistischen durchschnittlichen Wirtschaftswachstum (g) von +3,0% nach der Beziehung

p = d (i – g)

einen Primärüberschuss (p) von 5,0% des nominalen Bruttoinlandsprodukts, der nicht einmal singulär erreichbar, geschweige denn auf Dauer zu halten wäre. Für eine Rückführung der Schuldenstandsquote auf – immer noch problematische – 100% innerhalb eines Jahrzehnts würde gar ein Primärüberschuss von 11,5% benötigt.4

Große Hoffnungen, dass das Wachstum g bald in den positiven Bereich drehen und die numerische Optik etwas aufhellen wird, sollte man sich dabei nicht machen, denn die empirische Evidenz spricht für eine Wachstumsschwächung spätestens ab einer Schuldenstandsquote von 100%.5

Auch beim Zinssatz i ist auf den Finanzmärkten mit einem Selbstverstärkungseffekt zu rechnen, da bei Wachstumsschwächung und hohem Schuldenstand der Zinsaufschlag als Risikoprämie eher steigt. Befördert wird dies durch das von den Ratingagenturen stimulierte Herdenverhalten der Finanzmarktakteure, die von der kollektiven Sorglosigkeit vor der ersten Finanzkrise beinahe übergangslos zur Schwarzmalerei umgeschwenkt sind. Sanierungsbemühungen werden in dieser Logik nicht mit Verbesserungen des Ratings quittiert, sondern treiben wegen der zunächst drohenden Wachstumsabschwächung die Herabstufung eher kaskadenartig voran.

Zusammenfassend kann man sagen, dass selbst bei konsequentem Angehen des Stabilisierungsprozesses durch mehrjährige, gegebenenfalls auch wiederholte Programme der Krisenländer eine Sanierung aus eigener Kraft rein quantitativ nicht mehr gelingen kann, zumal die kurzatmigen Finanzmärkte zu häufig und heftig reagieren, um längere Reformprozesse störungsarm durchzuhalten.

Andererseits können die gravierenden Souveränitätsverluste Griechenlands – wie z.B. die am 20.2.2012 von den Euro-Finanzministern beschlossene Einrichtung eines Sperrkontos, dessen Staatseinnahmen der Leistung des Schuldendienstes vorbehalten sein sollen6 – eher als Misstrauensbeweis und Form der Insolvenzverwaltung, denn als Hilfsimpuls angesehen werden. Die Ambivalenz von Unterstützung und vielfach empfundener Demütigung wird auf unabsehbare Zeit eine kaum steuerbare politische und gesellschaftliche Eigendynamik entwickeln können. Trotzdem ist die konsequente Konsolidierung der Staatsfinanzen eine notwendige, aber eben nicht hinreichende Bedingung für den Weg aus der Krise.

Austritt aus der Währungsunion

Wiederholt wurde und wird mit dem Gedanken gespielt, die D-Mark wieder einzuführen oder die Währungsunion in einen Nord-Euro und einen Süd-Euro aufzuspalten. Für die deutsche Exportwirtschaft würden die Nachteile eines solchen Schritts eindeutig überwiegen. Die Lohnstückkostenvorteile würden durch die drohende Aufwertung kompensiert oder sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Auch wenn man von solchen kontrafaktischen Spekulationen absieht, zeigt ein Blick auf andere exportorientierte Länder, dass auch das Leben mit einer nationalen Währung keinesfalls unproblematisch ist. Die Schweiz musste erst im vergangenen Jahr ihren Franken faktisch an den Euro binden (1 Euro ≥ 1,20 Schweizer Franken), um die Aufwertungsdynamik zu stoppen und die Gefahren für die Wettbewerbsfähigkeit zu begrenzen. Dies geschieht durch Devisenmarktinterventionen in theoretisch unbegrenzter Höhe, bei denen die „Ankerwährung“ gekauft und die Eigenwährung verkauft wird. Ein ähnliches Spiel betreiben Japan und China zur Wahrung ihrer Exportchancen mit der Ankerwährung US-Dollar, was inzwischen zu der mit Abstand größten Transferunion der Welt geführt hat.7 Abgesehen davon: an welche Währung sollte Deutschland seine wieder eingeführte D-Mark denn binden, um weiter exportstark zu bleiben?!

Ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion bietet ebenfalls keine vielversprechenden Perspektiven. Abgesehen von der rechtlichen Zulässigkeit wäre dies mit kaum beherrschbaren ökonomischen Problemen verbunden. In der Umstellungsphase drohte ein Zusammenbruch des Finanzsystems durch massive Kapitalflucht, der man nur durch drastische Einschränkungen des freien Güter- und Personenverkehrs (z.B. Einfrieren von Bankguthaben und durch Bargeldverknappung temporäre Rückkehr zur Tauschwirtschaft)8 entgegentreten könnte. Die dann mögliche Abwertung der „Neo-Drachme“ würde Inflationsprozesse anheizen, die griechischen Sparer verarmen und trotzdem Unternehmen und Staat mit einem Schuldenberg zurücklassen, der immer noch auf Euro lautet. Ob mit oder ohne griechische Bereitschaft zur Rückzahlung der Auslandsschulden: eine Rückkehr an die internationalen Kapitalmärkte wäre auf lange Zeit versperrt. Überdies wäre die Begrenzbarkeit auf Griechenland wegen drohender Kettenreaktionen und Ansteckungseffekte fraglich.

Etwas anders sähe es aus, wenn Griechenland zu der Einsicht gelangte, dass es mittel- und langfristig seine ökonomischen Probleme besser durch eine eigene und daher anpassungsfähige Währung lösen könne. Dies wäre aber erst nach einer Entschärfung der akuten Schuldenkrise konstruktiv, vorher jedoch destruktiv.9

Schuldenschnitt für Griechenland

Offensichtlich unverzichtbar zur zeitnahen Rückführung des erdrückenden Schuldenstandes sind Schuldenschnitte, sogenannte Haircuts. Die auf dem Sondergipfel vom 21. Juli 2011 beschlossene Variante versuchte dies in der für die Gläubiger scheinbar mildesten Form, indem die Laufzeiten der Staatsschuldpapiere verlängert werden sollten. Der rechnerische Barwertverlust für die Investoren in Höhe von 21% ihrer Forderungen erschien jedoch von vornherein als zu gering und war – durch Unterstellung hoher Diskontierungszinsen – nicht einmal mathematisch überzeugend, geschweige denn, dass dies eine nachhaltige ökonomische Entlastung für Griechenland gebracht hätte.

Ein gutes Vierteljahr später musste auf dem Gipfel vom 26. Oktober 2011 mit einem tiefergehenden Schuldenschnitt von nunmehr 50% des Nennwerts der ausstehenden Papiere kräftig nachgelegt werden. Vor der Frage, ob dieser Wert theoretisch ausreichen wird, ist entscheidend, ob er überhaupt erreicht wird. Zu unterscheiden sind hier nämlich zwei Arten von Griechenland-Papieren: die nach britischem und solche nach griechischem Recht. Die erstgenannten sind mit einer sogenannten CAC (Collective Action Clause) ausgestattet, wonach bei einem von mindestens 75% der Gläubiger beschlossenen Schuldenschnitt dieser auch für die restlichen Gläubiger – ohne deren individuelle Zustimmung – verbindlich ist.10 Hingegen sind Inhaber von Papieren nach griechischem Recht – zu dieser Sorte zählen 94% der ausstehenden Hellenen-Bonds – von einem freiwilligen Haircut nur dann betroffen, wenn sie wirklich selbst zustimmen (der Bankenverband als Verhandlungspartner kann allenfalls seine Mitglieder rechtlich binden). Für diejenigen, die einen sogenannten Credit Default Swap (CDS) – eine Art Ausfallversicherung – abgeschlossen haben, wäre dies jedoch nicht unbedingt naheliegend, da die Versicherung nur im Fall einer ungeordneten Griechenland-Pleite (Default), nicht jedoch bei freiwilligem Verzicht zahlt.11

Investoren mit 2012 fälligen Anleihen ohne CDS bauen vielfach auf eine vollständige Rückzahlung, wobei natürlich das Risiko eines Totalverlusts bei Staatsbankrott und/oder Währungsumstellung beachtet werden muss.12 Finanzmarktakteure handeln nicht als Samariter, sondern wägen eigene Chancen und Risiken ab, weshalb das Zustandekommen eines Verzichtsvolumens von nunmehr 53,5% (durch Umtausch von alten Anleihen im Nennwert von 200 Mrd. Euro gegen neue EFSF-Anleihen im Nennwert von 93 Mrd. Euro)13 bei den privaten Gläubigern14 auch nach dem letzten Gipfel der Euro-Finanzminister am 20.2.2012 keineswegs als gesichert galt. Da jedoch die Auszahlung der nächsten Kredittranche internationaler Geldgeber an Griechenland im 1. Quartal (insgesamt 130 Mrd. Euro) an die Erfüllung dieser Bedingung gekoppelt ist, hängt das finanzielle Schicksal des Landes bis Anfang März 2012 erneut am seidenen Faden.

Dabei ist auch der Schuldenschnitt nur eine von vielen Rettungsmaßnahmen. Selbst im Falle seines Gelingens wären die griechischen Banken mit Anleihebeständen von rund 40 Mrd. Euro am stärksten betroffen, weshalb sie zusätzlich milliardenschwere Kapitalhilfen erhalten müssten.

Neben dem Aufwand für die Absicherung der im Tausch emittierten EFSF-Anleihen kommt dann noch die Finanzierung des laufenden griechischen Haushaltsdefizits dazu, das bis zur Entstehung positiver Wachstumsraten und entsprechender Primärüberschüsse (frühestens ab 2013) weitere Kredite in Milliardenhöhe erfordert. Wenn dann die griechische Wirtschaft im Zeitraum von 2015 bis 2020 noch um jahresdurchschnittlich ca. 2,7% wächst und bis dahin Privatisierungserlöse von etwa 46 Mrd. Euro realisiert sind, könnte die Schuldenstandsquote bis 2020 rechnerisch auf – dann immer noch nicht unkritische – 120% gesunken sein, was in etwa dem aktuellen italienischen Schuldenstand entspricht. Die vielen Konjunktive dieses Positiv-Szenarios dürften selbst robuste Optimisten irritieren.

Erhöhung der EFSF-Kreditkapazität

Beim Krisengipfel vom 21. Juli 2011 wurde eine Erhöhung des Rettungsschirms auf ein maximales Garantievolumen von 780 Mrd. Euro beschlossen, um die Zahlungsfähigkeit großer Krisenländer wie Italien oder Spanien im Bedarfsfall sicherzustellen. Zunächst zur Konstruktion der EFSF selbst: Sie (also die Fazilität) ist eine Zweckgesellschaft, die in der Form einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Luxemburg nach dortigem Recht betrieben wird. Im Krisenfall kann sie durch Ausgabe von Anleihen – organisiert durch die Finanzagentur Deutschland – Kredite bis zu 440 Mrd. Euro aufnehmen,15 für die ihre Mitgliedstaaten bis zu dem vereinbarten Betrag haften.16 Können sich Krisenländer nicht mehr zu bezahlbaren Zinsen an den Kapitalmärkten finanzieren, werden diese Kredite an die angeschlagenen Länder weitergereicht. Der Unterschied zwischen dem nominalen Volumen (780 Mrd. Euro) und der maximalen Verleihsumme (440 Mrd. Euro) ergibt sich daraus, dass nur sechs Länder der Eurozone die beste Kreditwürdigkeit (Top-Rating AAA) besitzen.17 Damit die EFSF dieselbe AAA-Bonitätsbewertung (niedrige Risikoprämie = niedrige Zinsen) bekommt, die über der eigentlichen durchschnittlichen Kreditwürdigkeit aller Eurostaaten liegt, müssen diese Kredite übersichert, also mit mehr als 100% der verliehenen Kreditsumme abgesichert werden.

Den ersten Kredit gewährte die EFSF z.B. im Februar 2011 an Irland in Höhe von 3,6 Mrd. Euro. Dafür nahm der Schirm zunächst selbst 5 Mrd. Euro auf, die Differenz wurde als Sicherheit in Staatsanleihen der sechs (damals) topbewerteten Euroländer angelegt. Griechenland bekam diesen Kredit zu einem Zinssatz von 5,9%18 bis Mitte 2016, was deutlich unter dem Marktzins für Irland von mehr als 7% lag.

Systematisch wird bereits durch die Gründung und erst recht durch die Volumenerhöhung eine Transfergemeinschaft begründet, da die Garantieländer die Gewährleistung für die Schulden der Krisenländer übernehmen und ihnen im Bedarfsfall Zugang zu – bezogen auf die Bonität des Problemlandes – nicht risikogerecht verzinsten Krediten eröffnen. Ende 2011 waren bereits ca. 190 Mrd. Euro der EFSF gebunden. Berücksichtigt man weiterhin, dass noch erhebliche Beträge zur Bankenstützung benötigt werden, belaufen sich die noch verfügbaren Mittel auf maximal 250 Mrd. Euro, die nicht einmal den Refinanzierungsbedarf Italiens für das Jahr 2012 (ca. 380 Mrd. Euro) decken würden.19 Mittels der sogenannten Hebelung20 sollte deshalb der Rettungsschirm weiter aufgespannt werden: jeder EFSF-Anleihe wurde eine Art Ausfallversicherung mit einer Garantie über z.B. 20% des Schuldtitels beigefügt.21 Müsste der Rettungsschirm nur noch diese Garantie und nicht mehr den vollen Nennwert des Papiers absichern, erhöhte sich sein Volumen rechnerisch um das Fünffache.

Dass dies keine Lösung für Griechenland bringen wird, liegt auf der Hand. Investoren, die sich potenziell bereits einem 50%igen Schuldenschnitt verweigern, verzichten erst recht nicht auf 80% ihrer Forderungen. Dies mag bei Ländern einer niedrigeren Risikostufe (z.B. Italien) anders aussehen, doch zeigte das Echo der Finanzwelt kaum einen Monat nach dem Hebelungsbeschluss vom 26. Oktober, dass eine Besicherung von nur 20% von den Märkten nicht akzeptiert wird. Realistisch erscheint dann allenfalls eine Erhöhung des Kreditvolumens um das Doppelte oder 2,5-fache.22

Für die Garantieländer ist dies eine gute in der schlechten Nachricht, denn obwohl das Haftungsvolumen für Deutschland z.B. bei 211 Mrd. Euro bleibt, steigt die Wahrscheinlichkeit des Garantiefalls gewaltig an, da die EFSF als vorrangig Haftende bei jeder auch nur teilweise ausfallenden Forderung immer den schlechten Teil hat.23 Durch sich dann verschlechternde Ratings der Garantieländer wäre überdies das AAA-Toprating der EFSF und ihre günstigen Refinanzierungsmöglichkeiten gefährdet.24 Die Finanzmärkte würden eine höhere Verzinsung als Risikoprämie verlangen,25 was Sinn und Glaubwürdigkeit des Rettungsschirms gefährden würde. Dass mit der Hebelung nicht nur Kreditvolumina, sondern auch Ausfallrisiken multipliziert werden, davon könnten einige deutsche „Staatsbanken“ wie WestLB oder SachsenLB ein Lied singen. Dafür, dass man sich auch aus der Krise hebeln kann, steht der Beweis noch aus.

Einführung von Eurobonds

Solche Staatspapiere würden die Länder der Eurozone gemeinschaftlich herausgeben und für deren Rückzahlung gesamtschuldnerisch haften. Das Risiko einer individuellen Zahlungsunfähigkeit würde damit praktisch ausgeschlossen, da auch für Problemländer jederzeit eine Finanzierung zu niedrigen Zinsen gewährleistet wäre. Ob und inwieweit die Zinsen für die finanzstarken Euroländer steigen würden, ist dabei Spekulation. Da nur sechs (nach S&P-Rating sogar nur vier) von siebzehn Eurostaaten die beste Kreditwürdigkeit bescheinigt wird, bewegt sich der gewogene Durchschnitt der Bonitäten also sicherlich unter diesem Niveau. Andererseits ergäbe sich ein großer und liquider Anleihenmarkt, der sogar in Konkurrenz zu dem für US-Staatsanleihen treten könnte, was tendenziell Zins senkend wirkt. Bei deutlich besserer fiskalischer Situation wäre eine spürbar schlechtere Bewertung des Euroraums nicht zu erwarten.26 Die kaskadenartigen Selbstverstärkungseffekte der Finanzmärkte (hohe Zinsen verursachen Solvenzprobleme und damit noch höhere Zinsen) könnten weitgehend gebannt und damit das europäische Finanzsystem möglicherweise entscheidend stabilisiert werden. Bei gesamtschuldnerischer Haftung und weiterhin finanzieller Autonomie der Einzelstaaten würde jedoch der Anreiz zu einer soliden Finanzpolitik erodieren und die mangelnde Differenzierung der Risikoprämien als Hauptkrisenursache sogar institutionell festgeschrieben.27

Daher sind Eurobonds nur unter der Bedingung einer Fiskalunion verantwortbar, für die momentan die rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen fehlen. Selbst wenn man sich dazu entschließt, erfordert die politische Integration tiefgreifende Änderungen der Europäischen Verträge (einschließlich Ratifizierung in allen Mitgliedstaaten und gegebenenfalls plebiszitäre Bestätigung) und Eingriffe in das nationale Haushaltsrecht, die mit der deutschen Verfassungsarchitektur und ihrer Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht eventuell gar nicht mehr vereinbar sind. Solche Prozesse werden Jahre dauern, sind störanfällig und können sogar in einem Zusammenbruch der Eurozone statt ihrer weiteren Integration münden. Auch die schnelllebigen Finanzmärkte müssen lernen, dass man Feuer nicht mit Benzin löschen kann und die Einführung von Eurobonds kurzfristig weder möglich noch politisch verantwortbar ist. Wenn alle dafür notwendigen Bedingungen erfüllt sind, gibt es die Eurozone in ihrer heutigen Form entweder nicht mehr oder die Rettung wurde auf anderem Wege bewerkstelligt. Teillösungen (z.B. die Begrenzung der Eurobonds auf Staatsschulden bis 60% des BIP) würden eher zu einer noch dramatischeren Zinsbelastung oberhalb des Schuldensockels führen und den Krisenländern im Ergebnis wenig helfen. Ein zu erwartender Dauerstreit um die Heraufsetzung des Schuldensockels würde die Integration der Eurozone zusätzlich erschweren.28

Anleihekäufe durch die Europäische Zentralbank

Eine Vorstufe zu den Anleihekäufen der EZB wurde bereits mit dem Securities Markets Programme (SMP) eingeführt, einem Ankaufprogramm für Wertpapiere am Sekundärmarkt. Rechtlich ist dies mit Art. 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vereinbar, da dieser nur den „unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln“ (d.h. den Kauf vom Emittenten selbst) verbietet. Insgesamt hat die EZB in diesem Rahmen bislang staatliche Wertpapiere im Volumen von ca. 213 Mrd. Euro erworben. Mit dieser Transaktion erhöhte sie jedoch nicht nur ihren Anleihenbestand, sondern durch Bezahlung des Kaufpreises für die Papiere potenziell auch die Geldmenge.

Die einzige Funktion der EZB ist jedoch die Wahrung der Geldwertstabilität, weshalb sie dem Markt dieses Geld wieder entziehen muss, um nicht die Inflation anzutreiben. Diese Sterilisation kann auf mehrere Arten erfolgen (z.B. durch restriktivere Kreditgewährung an Banken oder expansivere Zinsen für Bankeinlagen), gelingt jedoch nur unter bestimmten Bedingungen. Solange zusätzliches Geld nicht nachfragewirksam wird, weil Unternehmen, Banken und Haushalte es in unsicheren Zeiten horten, gleicht seine sinkende Umlaufgeschwindigkeit die Mengenerhöhung aus.29 Zu Beginn des Jahres 2012 wird die Inflationsgefahr als beherrschbar angesehen, auch wenn Deutschland aufgrund seiner historischen Erfahrungen diesbezüglich traumatisiert wirkt. Man muss dieses Risiko im Auge behalten, jedoch liegt der wahre Sündenfall einer EZB-Finanzierung langfristig noch auf einem anderen Gebiet. Durch die sogenannte Monetarisierung der Staatsschulden setzen die Anleihekäufe die Marktdisziplin außer Kraft und geben den Mitgliedsländern unbegrenzte Finanzierungsmöglichkeiten, die für Problemstaaten ähnlich kontraproduktive Anreize setzen würden wie die Eurobonds. In der Funktion des „Lender of Last Resort“ würde die EZB von der geld- zur fiskalpolitischen Instanz, was ohne politische Disziplinierung die Ursachen der Krise fortschreiben oder sogar intensivieren würde.

Dabei ist der Ankauf von Staatspapieren mit hohem Ausfallrisiko nicht die einzige Gefahrenquelle, denn die EZB hat zusätzlich den Banken der Krisenstaaten Kredite in Höhe von mehr als 200 Mrd. Euro gewährt, für die im Gegenzug Wertpapiere als Sicherheit hinterlegt werden mussten.30 Zunächst wurden hier nur risikolose Papiere mit Top-Rating angenommen. Mittlerweile akzeptiert die EZB jedoch auch Papiere, die nur von den Heimatländern der Banken selbst garantiert werden, selbst wenn diese Schuldtitel gar kein Rating besitzen. Die ursprünglich doppelte Haftung sieht dann so aus, dass eine kurz vor der Pleite stehende griechische Bank eine Schuldverschreibung auflegt, diese vom klammen Griechenland garantieren lässt, bei der EZB als Pfand hinterlegt und mit dem Zentralbankkredit wieder Griechenland-Anleihen kaufen kann. Dies ist das Perpetuum Mobile der Geldschöpfung und könnte die EZB mit ihrem eindrucksvollen Bestand an toxischen Papieren zur European Bad Bank (EBB) machen.

Dieselbe archimedische Geldschraube würde übrigens in Gang gesetzt, wenn man – einem scheinbar harmlosen Vorschlag des französischen Präsidenten Sarkozy folgend – den Rettungsschirm EFSF mit einer Banklizenz ausstattet. Er würde dann gegen Hinterlegung selbst produzierter Sicherheiten an die Kredit-Pipeline angeschlossen, was ordnungs- und stabilitätspolitisch genauso negativ zu bewerten ist.31

Europäischer Stabilitätsmechanismus

Während die EFSF als ein finanztechnisch eher ineffizientes Provisorium gesehen wird, ist der am 1. Juli 201232 startende Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) sozusagen als Rettungsschirm 2.0 gedacht. Im Gegensatz zur EFSF, die ohne Eigenkapital arbeitet und damit zur Erlangung bester Bonitätsbewertungen ihre Anleihen mit 165% übersichern muss, soll der ESM über ein Eigenkapital von 80 Mrd. Euro verfügen, das von den Euroländern über einen Zeitraum von fünf Jahren eingezahlt wird. Daher könnte er als selbstständiger Finanzmarktakteur auch frisches Geld von der EZB leihen. Zudem ist er im Vergleich zur privatwirtschaftlichen EFSF ein Institut nach Völkerrecht.

Zu den 80 Mrd. Euro Grundkapital kommen dann Kreditgarantien der Eurostaaten von 420 Mrd. Euro, die in der Summe ein Ausleihvolumen von 500 Mrd. Euro ergeben. Allerdings ist die Garantiesumme mit 700 Mrd. Euro höher, da – analog zur EFSF – für die AAA-Bewertung jedes Mitgliedsland mehr als nur seinen eigenen Anteil absichern muss. Wegen des Eigenkapitals des ESM ist die Relation mit 700 Mrd. Euro Garantiesumme zu 500 Mrd. Euro Kreditvolumen jedoch günstiger als bei der EFSF mit 780 Mrd. Euro zu 440 Mrd. Euro. In beiden Fällen stellt der Internationale Währungsfonds zusätzliche Kredite von bis zu 250 Mrd. Euro zur Verfügung. Ein Betrag von bis zu 60 Mrd. Euro aus dem EU-Haushalt ist hingegen nur für die EFSF, nicht für den ESM vorgesehen.

Das Funktionsprinzip der EFSF gleicht dem des ESM: der Fonds reicht über die Ausgabe eigener Anleihen günstig erworbene Kredite an Mitgliedstaaten in Notsituationen weiter, wenn es keine anderen Finanzierungsmöglichkeiten gibt und der Gouverneursrat als Leitungsgremium dies einstimmig beschließt. Ebenso wie bei einer Bank sollen die Ausleihzinsen über den Refinanzierungskosten des ESM liegen. Zur eigenen Absicherung soll der ESM – wiederum im Gegensatz zur EFSF – den Status eines Vorzugsgläubigers (nachrangig nur gegenüber dem IWF) erhalten. Die Beteiligung privater Gläubiger bei Kreditausfall soll „in angemessener und verhältnismäßiger Form“ erfolgen, wenn dies nach einer Schuldentragfähigkeitsanalyse durch die EU-Kommission und den IWF unabdingbar ist.33

So richtig und notwendig die Konditionierung der ESM-Hilfen ist, wirft ein Blick in den (inoffiziellen) „Entwurf für einen Vertrag zur Errichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus“34 – der als zwischenstaatlicher Vertrag der Zustimmung des Bundestages bedarf – mehr als nur eine Frage auf. So kann z.B. der Gouverneursrat – der sich nach Art. 5 Nr. 1 des Vertragsentwurfs aus den Finanzministern der Mitgliedsländer zusammensetzt – auch eine Änderung des Grundkapitals von 700 Mrd. Euro beschließen (Art. 10 Nr. 1). Wie passt aber diese Befugnis mit der Beteiligungspflicht des Bundestages zusammen35 – erneut eindrucksvoll bestätigt durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7.9.2011 – und wie ist dies inhaltlich mit der regierungsseitig hoch gepriesenen „Schuldenbremse“ (Art. 115 GG) der Verfassung vereinbar? Warum wird die Rechnungsführung des ESM nicht durch EU-Institutionen überprüft, sondern „durch unabhängige externe Prüfer, die vom Gouverneursrat bestätigt werden“ (Art. 25)? Warum werden sowohl der Institution (Art. 27) als auch ihrem Personal (Art. 30) uneingeschränkte Immunität und damit die absolute Befreiung von jeglichen Straf- und Haftungsvorschriften eingeräumt? Man muss kein Euro-Skeptiker oder gar -Gegner sein, um die demokratische Legitimation und die finanzpolitischen Anreizwirkungen solcher Regelungen infrage zu stellen.

Die Weigerung der Bundesregierung, den Bundestag fortlaufend über die Verhandlungen zum ESM-Vertrag zu informieren – delikaterweise mit dem Argument, dass es sich beim ESM nicht um eine europäische Angelegenheit handele36 – wirkt in diesem Zusammenhang alles andere als vertrauenerweckend.

Stabilitäts- und Wachstumspakt

Begrüßenswert ist hingegen grundsätzlich, dass man mit einem Paket aus sechs europäischen Gesetzgebungsmaßnahmen – auch als „Sixpack“ bezeichnet – versucht, die Konstruktionsfehler des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes zu eliminieren. Zum einen soll das mehrstufige Defizitverfahren nunmehr „automatisch“ eingeleitet werden, und zwar nicht wie bislang nur bei Überschreitung der Defizit-Regel, sondern auch bei Verletzung der Gesamtverschuldungsgrenze (60% des BIP). Die Rolle der EU-Kommission wurde jedoch hauptsächlich bei der Festlegung der Sanktionen gestärkt (durch den Rat nur mit einer qualifizierten Zweidrittel-Mehrheit zu stoppen), die jedoch erst dann beschlossen werden können, wenn der Rat das Fehlverhalten eines Landes mit einer ebensolchen Mehrheit festgestellt hat. Ob diese Einschränkung der politischen Dimension der für stabile Finanzen notwendige qualitative Sprung ist, wird sich in der Handhabung der korrektiven Mechanismen zeigen müssen.

Auch präventiv wirkende und ökonomisch grundsätzlich begrüßenswerte Schritte wie der Zwang zu ausgeglichenen öffentlichen Haushalten (maximal 0,5% des BIP als erlaubtes strukturelles Defizit statt vorher 3%) durch verfassungsmäßig verankerte Schuldenbremsen, die nachgewiesenermaßen zu geringeren Risikoprämien für Staatsanleihen führen,37 wirken erst mittel- und langfristig und sind juristisch heikel, wie ein kurzer Blick auf die rechtliche Qualität einiger „Rettungsinstrumente“ zeigt (vgl. Tabelle 1). Über die Zustimmung des EU-Parlaments z.B. zu den EU-Verordnungen des „Sixpacks“ (sekundäres Gemeinschaftsrecht) hinaus werden hier Änderungen der Europäischen Verträge selbst (primäres Gemeinschaftsrecht) sowie mehr oder weniger konfliktreiche Anpassungen der nationalstaatlichen Verfassungen erforderlich sein. Und selbst wenn diese rechtliche Kärrner-Arbeit irgendwann erledigt sein sollte: eine gute Regel garantiert noch lange nicht deren konsequente Einhaltung, wofür der Einsatz – oder besser Nicht-Einsatz – der theoretisch auch bislang schon eindrucksvollen Instrumente des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes ein anschauliches Beispiel ist.38 Der Widerspruch zwischen den Erwartungen der schnelllebigen Finanzmärkte einerseits sowie langwieriger rechtlicher Absicherung und demokratischer Legitimation andererseits bleibt bis auf Weiteres unauflösbar.

Tabelle 1
Rechtliche Qualität einiger „Rettungsinstrumente“
Instrument Rechts­qualität Verbindlichkeit Beteiligung EU-Parlament Beteiligung nationales Parlament Inkrafttreten/ Beschluss
Euro-Plus-Pakt Beschluss des Europäischen Rats Nein (Absichtserklärung) Nein Nein 25.3.2011
Sixpack EU-Verordnungen (sekundäres Gemeinschaftsrecht) Ja Teilweise Nein 13.12.2011
EFSF Völkerrechtlicher Vertrag Ja Nein Ja 10.5.2010
ESM Völkerrechtlicher Vertrag Ja Nein Ja 1.7.2012

Quelle: eigene Darstellung.

Europäisches Rating

In demselben Spannungsfeld bewegen sich die Versuche zur Zähmung spekulativer Marktdynamik. Ein Blick auf die Pläne zur Etablierung einer europäischen Ratingagentur zeigt, dass diese nicht nur unabhängig und staatsfern konstruiert sein soll, sondern auch umfassende ökonomische und rechtliche Akzeptanz finden müsste, um das Oligopol der drei anglo-amerikanischen Marktführer Standard & Poor’s, Fitch und Moody’s zu brechen. Die Anerkennung eines „EU-Ratings“ auch durch die amerikanische Wertpapieraufsicht dürfte nicht unmittelbar zu erwarten sein. Zudem nützt es für die „Entschleunigung“ der Kapitalmärkte wenig, wenn nur das teilweise fragwürdige Geschäftsmodell der anderen Ratingagenturen imitiert würde. Vielmehr sollte neben der Schaffung zusätzlicher Konkurrenten auch die Offenlegung der Bewertungskriterien39 und die Bezahlung der Bewertung durch die Wertpapierkäufer durchgesetzt werden, um die potenziell korrumpierende Honorierung durch die Verkäufer zu beenden.40 Die Reduzierung der Rating-Abhängigkeit von Anlage- und Kreditentscheidungen sowie die verbesserte Haftung für erstellte Ratings müssen flankierend hinzukommen.41

Finanztransaktionssteuer

Dasselbe gilt für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, deren Konstruktion ökonomisch, fiskalisch und rechtlich durchdacht sein will. Bei einer in weiten Teilen von den Übertreibungen der Finanzmärkte sensibilisierten Öffentlichkeit würde die Einführung dieser Steuer als legitime Beteiligung an den entstandenen Schäden aufgefasst. Zudem entstünde der Eindruck, dass die Politik sich aus ihrer scheinbaren Gefangennahme durch die „Finanzindustrie“ befreit und Handlungsfähigkeit wiedererlangt. Auch hier werden die Dinge jedoch umso komplizierter, je mehr man auf die Details blickt. Unterstellt man zunächst die europaweite Einführung dieser Steuer – ein diesbezüglicher Richtlinienentwurf der EU-Kommission wurde im September 2011 vorgelegt – droht das Ausweichen der Akteure auf außereuropäische Handelsplätze. Bei einer auf die Eurozone begrenzten Einführung würde z.B. sogar die Verlagerung von Frankfurt nach London genügen. Setzt man hingegen nicht auf den Ort des Handels, sondern den Sitz des Akteurs (Ansässigkeitsprinzip), werden sich erhebliche Probleme bei der Erfassung weltweiter Transaktionen ergeben. Das Problem unzureichender Erfassung und geringer Markttransparenz ergibt sich umso stärker beim immer noch weitgehend unregulierten außerbörslichen Handel von Finanzprodukten. Ob die verlockende Aussicht auf Mehreinnahmen in zumindest mittlerer zweistelliger Milliardenhöhe realistisch ist, erscheint daher keineswegs sicher. Wenn diese Einnahmen dennoch erzielbar sind, läge seitens der Finanzmarktakteure eine Überwälzung der Steuerlast auf ihre Kunden nahe.

Ob die Steuer überdies eine tatsächliche Verringerung der Handelsvorgänge bewirken würde, weil Transaktionen nur noch dann erfolgten, wenn sich ein Gewinn nach Steuern ergäbe, ist ebenso wenig sicher. Das käme sicherlich auch auf die Höhe der Steuer an, würde aber die Häufigkeit und Abwicklungsgeschwindigkeit des oft ohne menschliche Eingriffe arbeitenden Hochfrequenzhandels nach Brancheneinschätzungen42 kaum tangieren.

Die Euphorie des EU-Kommissionspräsidenten Barroso im Hinblick auf die Einführung einer solchen Steuer ist wohl auch dadurch zu erklären, dass er die Einnahmen aus der ersten eigenen „EU-Steuer“ zur Finanzierung der Gemeinschaft – zumindest teilweise – behalten möchte. Das hätte wahrscheinlich höhere Erfolgsaussichten als die Wegnahme bereits bestehender, aber bisher von den Nationalstaaten vereinnahmter Abgaben.

Fazit

Wie man es dreht und wendet: Alle Instrumente der Krisenbewältigung und alle Kombinationen daraus sind langwierig, teuer und ohne Erfolgsgarantie. Dabei ist es keine Entscheidung zwischen kurzfristigen oder langfristigen, korrektiven oder präventiven Maßnahmen, Spar- oder Wachstumskurs, sondern es muss vieles parallel in einem hochnervösen Politik- und Marktumfeld vorangetrieben werden.

Das Experiment, eine Währungsglocke über einen politisch, ökonomisch und kulturell divergierenden Staatenbund zu stülpen, kann als gescheitert gelten. Dieser Versuch hat Europa eher an den Rand der Spaltung als zu seiner Vereinigung geführt. „Mehr Europa“ in Form einer echten Wirtschaftsregierung und Fiskalunion erfordert jedoch einen qualitativen Sprung, zu dem kurz- und mittelfristig weder die Regierungen noch die Öffentlichkeit wirklich bereit zu sein scheinen. Dasselbe gilt allerdings für den rückwärtsgewandten Kurs einer Re-Nationalisierung von Wirtschaft und Währung. Als Hoffnung bleibt nur eine Mischung aus

  • einer sinnvollen Konstruktion der Rettungsschirme,
  • einer wirksamen Koordination der Fiskalpolitik,
  • einer Stimulierung der Wachstumskräfte in den Krisenländern,
  • der glaubwürdigen Konsolidierung der Staatshaushalte sowie
  • einer nachhaltigen Regulierung hysterischer und übermächtiger Finanzmärkte.

Sollte dieser Balanceakt gelingen, könnte Europa weiter zusammenwachsen. Wenn nicht, sollte man daran erinnern, dass sich Frieden und Zusammenarbeit auch in den vierzig Jahren vor der Euro-Einführung entwickelt hatten und Deutschland auch ohne den Euro zu den weltweit exportstärksten Ländern gehörte. Insoweit erscheint das wohl als leidenschaftliches Bekenntnis der Bundeskanzlerin gemeinte Diktum „Scheitert der Euro, so scheitert Europa“ ebenso rätsel- wie fehlerhaft. Die damit heraufbeschworene Schicksalhaftigkeit des Realexperiments Währungsunion soll den dafür zu entrichtenden Preis öffentlich relativieren und legitimieren, wie – möglicherweise unverantwortlich – hoch er auch immer ausfallen mag.

  • 1 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2011/2012, S. 89.
  • 2 Die Bereinigung erfolgt, weil höhere Zinsen den Konsolidierungsbemühungen ebenso entgegenstehen wie eine ungünstige Konjunkturentwicklung, ohne dass diese Faktoren direkt von den Staaten beeinflussbar wären.
  • 3 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, a.a.O., S. 90.
  • 4 Ebenda, S. 95 und 101.
  • 5 Ebenda, S. 96.
  • 6 Dazu kommt die künftig ständige und nicht mehr nur sporadische Überwachung des Konsolidierungsprozesses durch die sogenannte Troika aus Vertretern von EU-Kommission, EZB und IWF.
  • 7 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, a.a.O., S. 98
  • 8 Die lebendige Schilderung eines vergleichbaren Krisenszenarios findet sich unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/staatsbankrott-das-beispiel-argentinien-1955217.html vom 24.3.2010 (7.2.2012). Dennoch ist der Entschuldungspfad Argentiniens wegen der strukturellen Eigenheiten des Landes kein Patentrezept zur Griechenland-Rettung.
  • 9 Vgl. https://www.hauck-aufhaeuser.de/Downloads/Public/H-A-BAROMETER-2012.pdf, S. 33 (7.2.2012).
  • 10 Mit Inkrafttreten des EFSF-Nachfolgers ESM (Europäischer Stabilisierungsmechanismus) sollten solche standardisierten Umschuldungsklauseln ursprünglich in die Vertragsbedingungen aller neuen Staatsanleihen der Euroländer aufgenommen werden. Ende 2011 hat man diese „Gerechtigkeitsklausel“ jedoch still zu Grabe getragen, um potenzielle Käufer von Staatspapieren nicht abzuschrecken. Stattdessen will man sich an der auf Einzelfälle ausgerichteten Gläubigerbeteiligung des IWF orientieren. Weiterhin soll der ESM jedoch stets ein bevorzugter Gläubiger mit nachrangiger Haftung bleiben.
  • 11 Vgl. http://www.smartinvestor.de/news/smartinvestor/detail.hbs?itemid=item949496655&recnr=14618&headline=Druck+und+Angst&more=0 vom 20.12.2011 (7.2.2012).
  • 12 Ende 2011 notierte eine griechische Euro-Anleihe zum Nennwert von 100 Euro bei knapp über 40 Euro. Im Falle eines Kaufs und einer vollen Rückzahlung zum 20.3.2012 ergäbe sich – auf ein ganzes Jahr bezogen – eine Rendite im höheren dreistelligen Prozent-Bereich.
  • 13 Vermutlich müssen die meisten Banken nur die Buchwerte der griechischen Papiere anerkennen, denn in ihren Bilanzen sind sie überwiegend auf das jetzige Marktniveau abgeschrieben worden. Allerdings käme zum hälftigen Verzicht auf die verbriefte Basisforderung noch der Renditeverlust, da sich die im Tausch ausgegebenen EFSF-Papiere nur mit weniger als 4% jährlich verzinsen sollen, und zwar über eine auf 30 Jahre drastisch verlängerte Laufzeit.
  • 14 Die von der EZB oder von Staaten gehaltenen griechischen Schuldpapiere sind in den Schuldenschnitt nicht einbezogen, was durchaus diskussionswürdig ist.
  • 15 Der Rettungsschirm garantiert nicht nur für die – gegebenenfalls anteilige – Rückzahlung der Staatsanleihen, sondern darf auch Anleihen anderer Länder sowohl auf dem Primärmarkt als auch auf dem Sekundärmarkt erwerben sowie Krisenländer und Banken mit zinsgünstigen Krediten versorgen. Am Garantievolumen von 780 Mrd. Euro ist Deutschland entsprechend dem Anteil seiner Wirtschaftskraft in der Eurozone mit bis zu 211 Mrd. Euro beteiligt.
  • 16 Zu diesem Volumen tragen übrigens alle Euroländer (bis auf Estland) bei. Erst wenn ein Land tatsächlich unter den Rettungsschirm schlüpft, vermindert sich dieser Betrag um den jeweiligen Garantieanteil des Landes (ausgefallen sind bereits Irland mit ca. 7 Mrd. Euro und Portugal mit weiteren 11 Mrd. Euro). Ein Ausfall von Italien hätte z.B. eine Reduktion um knapp 79 Mrd. Euro zur Folge. Je mehr sich unter diesem Schirm versammeln wollen, desto kleiner wird er also!
  • 17 Am 12.1.2012 waren dies Deutschland, Finnland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande und Österreich. Am 13.1.2012 stufte Standard & Poor’s, die größte der US-amerikanischen Ratingagenturen, Frankreich und Österreich von AAA auf AA+ ab, am Tag danach auch die EFSF selbst. Dies erforderte bislang allerdings noch keine erkennbar höhere Anleihe-Verzinsung.
  • 18 Dieses Geschäft war für die EFSF und ihre Garantieländer sogar gewinnbringend, da sie ihre eigenen Anleihen aufgrund des seinerzeitigen AAA-Ratings nur mit 2,89% verzinsen musste, vgl. http://www.nordbayern.de/nuernberger-nachrichten/wirtschaft/wie-der-euro-rettungsschirm-efsf-geld-verdient-1.1290130 vom 8.6.2011 (7.2.2012). Bei einer verschlechterten Bonitätsbewertung und dann gegebenenfalls höherem Zinssatz wird die EFSF hingegen zuzahlen müssen, was sie dann von einer Bank unterscheidet.
  • 19 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, a.a.O., S. 103.
  • 20 Man beachte, dass sowohl Zweckgesellschaften als auch Hebel nach der ersten Finanzkrise als Teufelszeug galten, die nunmehr zu Heilsbringern mutieren sollen.
  • 21 Von den institutionellen Details der Besicherung wird hier abgesehen, vgl. dazu aber Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, a.a.O., S. 105.
  • 22 Vgl. http://www.wallstreet-online.de/nachricht/3857978-euro-minister-hebelung-efsf-stark-erhofft vom 29.11.2011 (7.2.2012).
  • 23 Diese Konstruktion der EFSF als „taker of first loss“ würde etwa einer Sachversicherung entsprechen, die auf den Selbstbehalt des Versicherten verzichtet und die ersten 20% des Schadens immer übernimmt.
  • 24 Das könnte schon dann passieren, wenn eines von bisher sechs Euroländern mit bester Bonitätsbewertung eine Herabstufung erfährt, vgl. z.B. http://www.zeit.de/wirtschaft/2011-12/efsf-sp-herabstufung vom 6.12.2011 (7.2.2012). Standard & Poor’s hat diese Abstufung bereits am 13.1.2012 vollzogen, ohne dass die beiden anderen Agenturen zunächst nachzogen.
  • 25 Es mag paradox wirken, folgt aber aus der Konstruktion des Rettungsschirms: das mögliche Kreditvolumen könnte trotzdem steigen, da mit schlechterem Rating der EFSF auch das notwendige Ausmaß der Übersicherung (Kreditabsicherung über mehr als 100% der Verleihsumme) sinken könnte.
  • 26 Abhängig von dem für Deutschland prognostizierten Zinsaufschlag bewegt sich der Zuwachs der Kreditkosten im niedrigen bis mittleren zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich.
  • 27 Derselbe Effekt würde übrigens eintreten, wenn man die Obergrenzen der Euro-Rettungsschirme aufheben würde.
  • 28 Vgl. http://www.zeit.de/2011/35/Eurobonds-Pro-Contra/seite-2 vom 25.8.2011 (7.2.2012).
  • 29 Vgl. http://www.freiewelt.net/blog-3885/europa-in-der-fiskalischen-inflationsfalle---ist-die-ezb-impotent%3F.html vom 3.1.2012 (7.2.2012).
  • 30 Vgl. http://www.welt.de/print/wams/wirtschaft/article13803696/European-Bad-Bank.html vom 8.1.2012 (7.2.2012).
  • 31 Die Lösung wäre gleichzeitig die „Mutter aller Hebel“, denn für die Ausleihungen verlangt die EZB nur die Hinterlegung des Mindestreservesatzes von 2% des Kreditvolumens. Vervielfacht man den daraus folgenden Hebelfaktor von 50 mit der effektiven Ausleihkapazität von 440 Mrd. Euro, ergäbe sich der unfassbare Betrag von 22 Billionen (!) Euro.
  • 32 Der ursprünglich für den 1.7.2013 vorgesehene Start wurde mittlerweile um ein Jahr vorgezogen, da man der Wirksamkeit und zeitlichen Reichweite der EFSF offenbar nicht traut.
  • 33 Befürworter sehen hierin eine eingebaute Staatsinsolvenzordnung, Kritiker verneinen dies aufgrund des Entscheidungsspielraums der Gremien und damit fehlender Regelbindung.
  • 34 Vgl. z.B. http://www.peter-bleser.de/upload/PDF-Listen/E-Mail-Info_Eurostabilisierung/Entwurf_Vertrag_ESM.pdf (7.2.2012).
  • 35 Nach der offiziellen Auffassung der FDP als Regierungspartei sollen auch solche Änderungen im Bundestag zustimmungspflichtig sein, vgl. z.B. http://www.fdp-fraktion.de/Was-ist-der-ESM/2685c3464i1p313/index.html (7.2.2012). Es findet sich jedoch kein solcher Vorbehalt in den bislang bekannten Vertragsentwürfen.
  • 36 Vgl. http://de.reuters.com/article/topNews/idDEBEE7AT07M20111130 vom 30.11.2011 (7.2.2012).
  • 37 F. Heinemann et al.: Starke nationale Fiskalregeln verhelfen zu geringeren Risikoprämien für Staatsanleihen, in: ZEWnews, Mannheim, Oktober 2011.
  • 38 In den ersten zehn Jahren der Eurozone gab es insgesamt 97 Verstöße gegen irgendeines der Maastricht-Kriterien, ohne dass je eine Sanktionierung stattgefunden hätte, vgl. dazu http://www.strana-sas.sk/file/558/EURORETTUNGSSCHIRM%20Der%20Weg%20zum%20Sozialismus.pdf vom 31.8.2011 (7.2.2012).
  • 39 Bisher gehört es zum Betriebsgeheimnis einer Agentur, welche Faktoren mit welcher Gewichtung berücksichtigt werden.
  • 40 Eine andere Möglichkeit wäre eine „Non-Profit-Unternehmensstiftung“ nach dem Modell von Stiftung Warentest, wie sie von Außenminister Westerwelle vorgeschlagen und nach Medienberichten von der Unternehmensberatung Roland Berger vorbereitet wird.
  • 41 Am 15.11.2011 hat die EU-Kommission diesbezügliche Vorschläge veröffentlicht, vgl. http://ec.europa.eu/deutschland/press/pr_releases/10287_de.htm vom 15.11.2011 (7.2.2012). Danach würden nur Geschäfte zwischen Finanzinstituten erfasst, nicht jedoch solche mit Beteiligung von Privatanlegern und kleinen Unternehmen.
  • 42 Vgl. http://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/finanztransaktionssteuer-geht-am-problem-vorbei/6084454.html vom 19.1.2012 (7.2.2012).


DOI: 10.1007/s10273-012-1355-6

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.