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Kurz vor Weihnachten hat es doch noch geklappt. Nachdem sich die Staats- und Regierungschefs der Eurozone im Juni 2012 grundsätzlich über die Schaffung einer einheitlichen europäischen Bankenaufsicht verständigt hatten, einigten sie sich am 12./13. Dezember 2012 im Rahmen einer Sondersitzung des Rats für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) über deren Eckpfeiler. Der einheitliche Aufsichtsmechanismus – Single Supervisory Mechanism (SSM) – soll bei der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt angesiedelt werden und nach den Vorbereitungsarbeiten durch einen Lenkungsausschuss frühestens zum 1. März 2014 arbeitsfähig sein. Damit ist die Politik in dem selbst gesetzten Zeitplan geblieben und hat gegenüber den Finanzmärkten ihre Handlungsfähigkeit demonstriert. Zugleich hat sie mit der einheitlichen Aufsicht als Kernelement der Bankenunion ein Großprojekt angestoßen, dessen Realisierung zu einem Meilenstein der europäischen Integration werden könnte. Angesichts dieser Bedeutung ist aber der Grundsatz „Qualität vor Geschwindigkeit“, den das Bundesfinanzministerium in seiner Internetdokumentation der Beschlüsse vom letzten Dezember betont, besonders wichtig. Als Erfolg wird dort gefeiert, dass „die Bundesregierung … die europäischen Partner von ihren Kernanliegen überzeugen“ konnte: der „(1) strikten Trennung von Bankenaufsicht und Geldpolitik innerhalb der EZB sowie (2) klaren Aufgabenteilung zwischen EZB und nationalen Aufsichtsbehörden“. Doch sieht man sich den gefundenen Kompromiss genauer an, werden diese Ziele verfehlt, scheint Schnelligkeit vor Genauigkeit gegangen zu sein.

Mit Blick auf das erste Ziel kann man angesichts der unbestrittenen Synergieeffekte zwischen Bankenaufsicht und Geldpolitik zunächst berechtigte Zweifel daran haben, dass eine strikte Separation dieser beiden Bereiche wirklich sinnvoll ist. Wird aber dieses Ziel verfolgt, dann bedarf es einer klaren personellen Trennung, die in der jetzt vorgesehenen Struktur fehlt. Alle Aufsichtsentscheidungen sollen inhaltlich im neuen Supervisory Board getroffen werden, dem neben seinem Vorsitzenden und je einem Vertreter der beteiligten Staaten eben auch ein Mitglied des EZB-Direktoriums und vier weitere Vertreter der EZB angehören werden, letztere dürfen nur „nicht-direkt“ mit Fragen der Geldpolitik befasst sein. Sowohl der Vorsitzende als auch sein Stellvertreter werden zwar vom Ministerrat ernannt, der Stellvertreter „soll“ aber sogar aus dem Direktorium der EZB bestimmt werden. Die personelle Vermischung setzt sich in einem Mediationsgremium, das für den Fall einer Ablehnung von Entscheidungsvorschlägen des Supervisory Board durch den EZB-Rat in Aktion tritt, fort. In diesem Vermittlungs- oder Schlichtungsausschuss sitzen Vertreter der teilnehmenden Staaten, die entweder Mitglied des EZB-Rats oder des Supervisory Boards sind. In beiden Gremien wird im Übrigen nach einfacher Mehrheit bei gleichen Stimmrechten und nicht nach einer den Kapitalanteilen an der EZB entsprechenden Gewichtung entschieden.

Diese eher unklaren Verantwortlichkeiten lassen offen, wem das „Letztentscheidungsrecht“ bei Verwaltungsakten gegenüber Banken zukommt: eher der „aufsichtlichen“ oder der „geldpolitischen“ Seite? Aber gerade dann, wenn man ein Zusammenwachsen dieser beiden Bereiche wünscht, sind die von Finanzminister Schäuble geforderten „chinese walls“ widersinnig. Und der EZB-Rat könnte auch nicht die Verantwortung für Verwaltungsakte übernehmen, wenn er keine Gestaltungsmöglichkeiten bei deren Zustandekommen besäße. Allerdings bleibt fraglich, wie eine Durchsetzung hoheitlicher Rechtsakte mit möglicherweise gravierenden Konsequenzen für die nationalen Steuerzahler ohne demokratische Legitimierung gelingen kann.

Auch bei der künftigen Aufgabenteilung zwischen EZB und nationalen Aufsichtsbehörden erweisen sich die Beschlüsse entgegen dem deutschen Ziel als eher diffus. Festgelegt wurde, dass die EZB „bedeutende“ Kreditinstitute beaufsichtigen soll. In diese Kategorie fallen Banken mit einer Bilanzsumme von über 30 Mrd. Euro oder mehr als 20% des Bruttoinlandseinkommens. Unabhängig davon beaufsichtigt die EZB aber mindestens die drei bedeutendsten Kreditinstitute eines jeden Mitgliedstaates. In der Summe sind dies rund 150 Banken im Euro-Währungsgebiet, ca. 30 davon in Deutschland. Bei den übrigen knapp 6000 Banken verfügt die EZB zudem über ein Selbsteintrittsrecht zur Übernahme der direkten Aufsicht von den nationalen Behörden, „wenn dies zur Sicherstellung der einheitlichen Anwendung hoher Aufsichtsstandards erforderlich ist.“ Diese Formulierung gibt der EZB einen weiten Ermessensspielraum, und sie scheint gewillt, diesen zu Lasten der nationalen Aufsichten zu nutzen. So kündigte der Vizepräsident der EZB, Vítor Constâncio, an: „Nationale Behörden unterhalb der EZB arbeiten nicht weiter wie bisher. Es ist ein Aufsichtsmechanismus mit großer Dezentralität, aber es ist ein System, kein zweigeteiltes System.“

Welche Zuständigkeiten aber bleiben für die nationalen Aufsichten (von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA ganz zu schweigen), wenn die EZB künftig etwa die Einhaltung der Eigenkapitalanforderungen einschließlich der neuen Leverage Ratio sowie die Liquiditätskennziffern überwacht, die in Säule 1 verankerten Kapitalerhaltungs- und antizyklischen Kapitalpuffer festlegt, die Angemessenheit des internen Kapitals im Verhältnis zum Risikoprofil eines Kreditinstituts (Säule 2) überprüft und sogar für Stresstests zuständig sein soll? Sind es neben der Durchführung der operativen, laufenden Aufsicht (nun aber eben im Auftrag der EZB!) perspektivisch nur noch die im Verordnungsentwurf explizit genannten Bereiche Verbraucherschutz und Bekämpfung des Missbrauchs des Finanzsystems für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung? Es ergibt sich also noch sehr viel stärker als bisher die Notwendigkeit der Abstimmung zwischen nationaler Aufsicht als „Unterbau“ und der neuen „Zentralinstanz“ der Finanzaufsicht. Vor diesem Hintergrund erweist sich aber auch der deutsche Sonderweg mit zwei Aufsichtsbehörden – der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Bundesbank – als ineffizient. Leider hat der deutsche Gesetzgeber diesen im November 2012 durch das „Gesetz zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht“ noch bestätigt und zudem der BaFin und nicht – wie jetzt in Europa angelegt – der Notenbank die Führungsrolle gegeben! Die Durchführung der laufenden Überwachung als Teil der von der BaFin wahrgenommenen Aufgabe wird zwar auch hier der Bundesbank zugewiesen, doch die Überwachung soll nach den Richtlinien der BaFin erfolgen, um der alleinigen Verantwortlichkeit der Bundesanstalt für hoheitliche Tätigkeiten Rechnung zu tragen. Zwar kann dieses derzeit schon praktizierte Vier-Augen-Prinzip ein durchaus produktiver Meinungsaustausch sein. Doch die ausführliche Prüfung durch die Bundesbank vor Ort, die Weiterreichung eines Berichts an die BaFin (künftig auch noch an die EZB!), dessen Auswertung und schließlich die Formulierung eines Bescheides erfordern ein hohes Maß an laufender Abstimmung zwischen den beiden Behörden.

Im Gesetz werden BaFin und Bundesbank daher aufgefordert, im Rahmen einer neuen Aufsichtsrichtlinie einen „klar strukturierten Eskalationsmechanismus“, der sicherstellt, dass „Meinungsverschiedenheiten von erheblicher Bedeutung“ im Rahmen der laufenden Überwachung „einvernehmlich“ und zeitnah beigelegt werden, einzurichten. Für den Fall, dass diese Mittel versagen, sieht das Gesetz eine Entscheidung des Bundesministeriums der Finanzen „im Benehmen mit der Deutschen Bundesbank“ vor. Wie auf europäischer Ebene, wäre eine eindeutigere Ausformung der Entscheidungsregeln notwendig gewesen. Die von der Politik verbreitete Euphorie ist daher verfrüht: Nach dem richtigen Grundsatzbeschluss für die Einrichtung einer einheitlichen Bankenaufsicht in Europa müssen ihre zentralen Elemente noch viel eindeutiger ausgestaltet werden, um effektiv und effizient zu sein. Oder in Analogie zu Brecht: „Und so sehen wir betroffen: Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

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DOI: 10.1007/s10273-013-1469-5