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Die Erwerbstätigkeit befindet sich in Deutschland auf einem Höchststand. Die Ursachen hierfür sind vielfältig und nicht nur in der vor zehn Jahren verabschiedeten Agenda 2010 zu sehen. Das gestiegene Bildungsniveau, die hohe Erwerbsbeteiligung, demografische Aspekte, die schrittweise Verschiebung des Rentenalters und nicht zuletzt die gute Konjunktur haben ebenfalls zum guten Ergebnis beigetragen.

Solider Arbeitsmarkt trotz wirtschaftlicher Schwäche

41 943 000 Menschen in Arbeit – diesen Höchststand der Erwerbstätigkeit vermeldete das Statistische Bundesamt für das vierte Quartal 2012. Auch auf das ganze Jahr gesehen, ergab die Zahl von 41,6 Mio. Erwerbstätigen im Inland1 einen glänzenden Rekord in der bundesdeutschen Geschichte. Doch bekanntermaßen ist nicht alles, was glänzt, auch wirklich Gold. Ist der Erwerbstätigkeitsrekord so schön, wie er klingt? Auf welchen Strukturen und Faktoren beruht er? Welche negativen Implikationen hat er?

Die Struktur des Beschäftigungserfolgs

Spitzenwerte sind selten Einzelleistungen. Die herausragende Performance eines einzelnen Sektors, einer Region, einer Berufsgruppe genügt nicht, um einen gesamtwirtschaftlichen Rekord aufzustellen. Dafür muss es dem Arbeitsmarkt insgesamt gut gehen. Und der deutsche Arbeitsmarkt befindet sich in einer guten Grundverfassung. Die Rekorderwerbstätigkeit 2012 verlängert eine seit 2006 anhaltende und in der großen Rezession lediglich ausgesetzte Aufwärtsentwicklung.

Der Aufschwung der Erwerbstätigkeit ist insbesondere ein Aufschwung der abhängigen Beschäftigung. Die Zahl der Selbstständigen hingegen hat weit unterdurchschnittlich zugenommen. Die Struktur der Arbeitnehmerschaft entwickelte sich in den letzten Jahr(zehnt)en entlang folgender Trends: Die Bedeutung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung sank. Atypische Beschäftigungsformen, darunter Arbeitnehmerüberlassung, befristete oder geringfügige Beschäftigung, nahmen zu. Die Bedeutung der Teilzeitbeschäftigung wuchs. Der Dienstleistungssektor expandierte. Manchen Trend hat die umfassende Hartz-Reform gebrochen, andere verstärkt. Im Rekordjahr 2012 wurden alle diese Trends ausgesetzt.

Die Erwerbstätigkeit stieg um 1,1%. Darunter ist die Gruppe der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten die größte – und diese Gruppe wuchs besonders kräftig. Im Gegenzug sind die Zahlen der Beamten und der ausschließlich geringfügig Beschäftigten geschrumpft.

Die größten Beiträge zum Anstieg der Erwerbstätigkeit zwischen 2011 und 2012 leisteten die vier großen Wirtschaftsbereiche: (1) Produzierendes Gewerbe, (2) Handel, Verkehr und Gastgewerbe, (3) Unternehmensdienstleister sowie (4) öffentliche Dienstleister, Erziehung und Unterricht. Darin zeigt sich, wie breit der Beschäftigungsanstieg angelegt war. Die Industrie (Produzierendes Gewerbe und Bau) hat kräftiger zum Anstieg der Erwerbstätigkeit beigetragen (30%) als es ihrem Anteil an den Erwerbstätigen entspricht (23%). Damit hat sie leicht an Boden gewonnen. Überdurchschnittliche Zuwachsraten erzielten neben dem Produzierenden Gewerbe und den Unternehmensdienstleistern auch der Bau, Information und Kommunikation sowie das Grundstücks- und Wohnungswesen. Die letztgenannten haben aber eine zu geringe Gruppengröße, um gesamtwirtschaftlich stärker ins Gewicht zu fallen. Das gilt auch für den einzigen Schrumpfungsbereich, die Finanz- und Versicherungsdienstleister, dessen leichte Abnahme der Erwerbstätigkeit fast nicht auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung durchschlägt. Spezifika wie struktureller Anpassungsbedarf infolge der Finanzkrise mögen hier relevant sein. Die tief gegliederte Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit offenbart zudem, dass auch im Bereich Arbeitnehmerüberlassung weniger Personen arbeiteten als 2011.

In regionaler Hinsicht ist die Lage etwas diversifizierter. Doch auch hier gilt: Alle Bundesländer, mit Ausnahme Sachsen-Anhalts, hatten am Beschäftigungsaufschwung teil. Besonders starke Zunahmen verzeichneten Berlin mit über 3% sowie Bayern, Niedersachsen, Hamburg und Baden-Württemberg mit über 2%. Unterdurchschnittlich wuchs die Beschäftigung in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern mit dennoch knapp 1%.

Summa summarum war dies ein Beschäftigungsaufschwung auf breiter Basis. Die meisten Arbeitsmarktsegmente waren beteiligt. Besonderen Zuwachs erfuhren nicht die atypischen Segmente, sondern sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ohne Leiharbeit. Dies wurde auch nicht durch eine unangemessen schwache Lohnentwicklung erkauft: Die Bruttolöhne und -gehälter stiegen in den ersten drei Quartalen 2012 um fast 4% gegenüber dem Vorjahr, auch wenn dies ein schwächerer Anstieg ist als 2011 mit 4,8%.2 Die robuste Arbeitsmarktsituation spiegelt sich in stabilen Konsumindizes (GfK) wider; sie stärkt die Binnenwirtschaft. Auch deshalb ist die Rekordentwicklung am Arbeitsmarkt 2012 ein Grund zur Freude.

Blood, Sweat and Tears: Politische Prozesse und neue Verhaltensweisen stützen den Rekord

Hohe Erwerbstätigkeit bedeutet: Eine hohe Nachfrage nach Arbeit konnte durch ein (ebenso) hohes Arbeitsangebot zu den ausgehandelten Löhnen befriedigt werden. Diese „Definition“ umreißt die zwei Kategorien, in denen die Hintergründe des Rekords liegen: Warum war die Arbeitsnachfrage so hoch? Warum das Arbeitsangebot hoch und passend genug?

In der Volkswirtschaft überlagern sich kurz- und langfristige Entwicklungen. Strukturelle Änderungen können als Folge politischer Entscheidungen, wie der Hartz-Reformen, oder durch geänderte Verhaltensweisen, z.B. im Zuge des demografischen Wandels, einsetzen. Sie brauchen in der Regel Jahre, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Einerseits müssen neue Verhaltensweisen erlernt werden und sich als günstig durchsetzen. Andererseits passen Unternehmen ihren Kapitalstock an geänderte Rahmenbedingungen auf den Faktormärkten an; das braucht Zeit und Geld. Die kräftige und schon seit Jahren aufwärts gerichtete Nachfrage kann als Ergebnis beschäftigungsfreundlicherer Institutionen3 und Verhaltensweisen gesehen werden: Bis nach der großen Rezession waren Lohnabschlüsse eher moderat; die deutsche Wirtschaft gewann an Wettbewerbsfähigkeit, die Bedeutung des Produktionsfaktors Arbeit nahm zu. Die Hartz-Reformen haben die Matching-Effizienz erhöht und damit Suchprozesse von Arbeitslosen und Unternehmen erleichtert, außerdem größere Spielräume für eine flexible Anpassung der Belegschaft geschaffen. Die Konjunkturpakete haben während der großen Rezession die Unternehmen in ihrem Bestreben, Arbeitskräfte zu halten, unterstützt. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung waren reduziert worden, sodass die Lohnnebenkosten sanken.

Auf nachfrage- und angebotsseitige Verbesserungen zielten migrationsrelevante Gesetze. Zum Teil gehörten sie zum ohnehin anstehenden, auf europäischer Ebene beschlossenen Programm, so die Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus osteuropäischen EU-Staaten. Überdies wurden die Zuwanderung Hochqualifizierter und die Feststellung und Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen neu geregelt. Angesichts der Situation in den europäischen Krisenländern im Gegensatz zur soliden Arbeitsmarktlage hierzulande ist Deutschland – wenigstens vorübergehend – wieder zum Einwanderungsland geworden. Die hohe Zuwanderung und die erhöhte Erwerbsbeteiligung von Älteren und Frauen kompensierten 2012 den negativen demografischen Effekt auf das Erwerbspersonenpotenzial und führten zu einem Plus beim Arbeitsangebot um 200 000 Personen. Aus diesem zusätzlichen Reservoir und aus der stillen Reserve speiste sich ein guter Teil des Beschäftigungsanstiegs.

Wirtschaftliche Umstände des Beschäftigungserfolgs

Ein Rekord ist immer etwas Außergewöhnliches, hart erarbeitet, oft aber auch mit einem Quäntchen Glück erzielt. Wie stand es 2012 um die glücklichen Umstände – eine gute konjunkturelle Lage, ein stabiles außenwirtschaftliches Umfeld? Hier erst zeigt sich, wie außergewöhnlich der neue deutsche Rekord in der Erwerbstätigkeit ist.

Den Zusammenhang zwischen Konjunktur und Arbeitsmarkt zeigt Abbildung 1 mit der Änderung des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf der Ordinate und der gleichzeitigen Änderung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (SVB) auf der Abszisse. Zum Teil reagiert der Arbeitsmarkt verzögert, weil Kündigungs- und Suchprozesse Zeit in Anspruch nehmen – diese Streckung des Konjunktureffekts erfasst das Bild nicht. Berücksichtigt man sie, bleibt die Botschaft unverändert.

Abbildung 1
Veränderung von BIP und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung
gegenüber dem Vorquartal, 1992Q3 bis 2012Q4
42122.png

Anmerkung: Datenpunkt 2009Q1 liegt außerhalb der Skalierung (BIP: -4,1%, SVB -0,1%).

Quellen: Statistisches Bundesamt (BIP), Bundesagentur für Arbeit (SVB, eigene Saisonbereinigung).

Auf den ersten Blick stehen Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung in einem positiven Verhältnis: BIP-Wachstum erzeugt und BIP-Schrumpfung vernichtet Beschäftigung. Diese einfachen Fälle werden durch Datenpunkte im I. und III. Quadranten, plakativ mit Aufschwung oder Abschwung überschrieben, abgebildet. Sehr viele Punkte befinden sich aber auch im II. Quadranten. Er zeigt das lange währende Dilemma des deutschen Arbeitsmarktes: Selbst in Phasen steigender Wirtschaftsleistung entstand keine sozialversicherungspflichtige Arbeit, weil die Produktion mit mehr Kapital oder mit anderen Formen der Erwerbstätigkeit für Unternehmen attraktiver war. Im verbleibenden IV. Quadranten entsteht zusätzliche Beschäftigung, obwohl die Wirtschaft schrumpft. Man kann dies als extreme Form des „labour hoarding“ begreifen: Die Betriebe sind bereit, hohe Kosten auf sich zu nehmen und (momentan) weniger produktive Mitarbeiter nicht nur zu halten, sondern sogar einzustellen.

Viele Datenpunkte aus den eben vergangenen Quartalen, so auch die vier Quartale des Jahres 2012, befinden sich am unteren Rand des I. sowie im IV. Quadranten. Sie zeigen: Trotz eines flachen Wachstumspfades, auf dem sich die deutsche Wirtschaft bereits seit dem Frühjahr 2011 befindet und der mit einem BIP-Einbruch von 0,6% im vierten Quartal 2012 einen Tiefstwert erreichte, stellen die Betriebe in Deutschland zusätzliche Beschäftigte ein. Dieses Verhalten stellt die eigentliche Besonderheit des Rekords der Erwerbstätigkeit heraus: Er kam zustande, obwohl die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen dafür eher ungünstig waren.

Die schwache Wirtschaftsdynamik ist vor allem eine Folge der europäischen Staatsschuldenkrise. Seit Herbst 2011 befindet sich die Eurozone in der Rezession, und diese Krise betrifft Deutschland strukturell nicht nur als Handelspartner, sondern auch als wichtigen politischen Akteur in Europa. Der europäischen Schwäche hatte die US-amerikanische Wirtschaft angesichts der Präsidentenwahl und äußerst zäher Haushaltsverhandlungen nur wenig entgegenzusetzen, und auch die Schwellenländer wuchsen weniger als vor der großen Rezession. In diesem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld behauptete sich die deutsche Wirtschaft. Die wegen der hohen Unsicherheit rückläufigen Investitionen konnten bis in den Herbst 2012 durch gute Exporte und einen stabilen Konsum ausgeglichen werden. Der Ausfall der Exporte führte im vierten Quartal jedoch zu dem kräftigen Minus beim BIP. Mittlerweile stehen die Indikatoren gut für eine Erholung der Wirtschaft.

Implikation der hohen Erwerbstätigkeit: niedrige Produktivität

Der Beschäftigungsaufbau bei schwachem Wirtschaftswachstum hat eine standortökonomisch ungünstige Implikation: niedriges Produktivitätswachstum, teils sogar -einbußen. Im Zusammenwirken von Erwerbstätigen und anderen Produktionsfaktoren (Kapital, Energie) entsteht die wirtschaftliche Leistung eines Landes. Ihre Veränderung ist deshalb äquivalent zur Änderung der Zahl der Erwerbstätigen und deren Produktivität. Wenn das BIP bestenfalls ebenso stark wie die Beschäftigung wächst, ist kein Platz für Produktivitätswachstum. Diese Situation wird in der Grafik durch die Datenpunkte unter der blauen Linie abgebildet. Sie kommt deutlich seltener vor als der umgekehrte Fall, dass Wirtschaftswachstum zum Teil oder sogar ausschließlich (wie beim „jobless growth“) durch Produktivitätswachstum erzielt wird. Und dies hat seinen Grund: Die Produktivität gibt an, wie viel Output ein Beschäftigter erzeugt, etwa weil er mehr oder weniger verdichtet arbeitet, mehr oder minder moderne Maschinen nutzt. Die Relation von Input (Arbeit und ihr Preis) und Output (das Produkt und sein Preis) zeigt auf, wie rentabel die Arbeit für das Unternehmen ist. Einstellungen sind nur dann profitabel, wenn durch die Arbeit des zusätzlich Eingestellten mehr erwirtschaftet wird als dem Unternehmen Kosten entstehen, gesamtwirtschaftlich und in Veränderungsraten ausgedrückt: wenn der Lohn schwächer wächst als die Produktivität.

2012 wurde viel des zusätzlichen BIP durch zusätzliche Beschäftigte erwirtschaftet, die Produktivität wuchs nicht bzw. schrumpfte sogar (Datenpunkte auf bzw. unter der blauen Linie). Ökonomisch rational ist dies, wenn entweder die individuelle Arbeitszeit gesunken ist oder die Löhne sich noch schwächer als die Produktivität entwickeln. Beides ist nicht der Fall. Die Betriebe haben sich – in Summe – schlechter gestellt, weil sie mehr Beschäftigung schufen.

Dieses gesamtwirtschaftliche Paradoxon lässt sich in zwei Richtungen auflösen. Erstens sinkt die Gesamtproduktivität, wenn Bereiche mit niedriger Ausgangsproduktivität sehr stark wachsen. Von den Sektoren mit unterdurchschnittlicher Wertschöpfung je Erwerbstätigen verzeichneten der Bau und die Unternehmensdienstleister tatsächlich starke Beschäftigungszuwächse – die aber dennoch bei weitem nicht ausreichten, um das Gewicht der Sektoren spürbar zu erhöhen und die Gesamtproduktivität zu beeinträchtigen. Außerdem sind bei den Unternehmensdienstleistern Beschäftigung und Produktivität gestiegen – ein Zeichen für einen typischen sektoralen Aufschwung.

Die zweite Stoßrichtung erklärt das Absinken der gesamtwirtschaftlichen Produktivität als Folge schrumpfender Produktivität in einzelnen Sektoren, so geschehen im Jahr 2012 im Bau und im großen und hochproduktiven Produzierenden Gewerbe. Diese unter Standortgesichtspunkten ungünstige Entwicklung kann verschiedene Ursachen haben: So könnte darin eine Sättigung unter dem gegebenen Technisierungsniveau zum Ausdruck kommen. Für einen weiteren Anstieg der Produktivität wären tiefer greifende Investitionen und Innovationen nötig, als von den Unternehmen realisiert wurden. Zudem wurde bereits im Zusammenhang mit dem umfangreichen Halten von Arbeitskräften zur Zeit der großen Rezession eine Normalisierung der Arbeitsdichte – ausgehend von einem überhöhten Niveau – zur Sprache gebracht.4 Theoretisch wäre ebenfalls möglich, dass innerhalb der Sektoren Berufe mit eher niedriger Produktivität nachgefragt wurden. Die Entwicklung des Anteils geringqualifizierter Beschäftigter deutet jedoch nicht darauf hin.

Zu denken ist deshalb auch an eine zeitliche Streckung des unternehmerischen Kalküls. Es kann für Betriebe rational sein, die Kosten zusätzlicher, aktuell weniger produktiver Beschäftigung auf sich zu nehmen, wenn diese niedriger eingeschätzt werden als die diskontierten Kosten der Suche und Löhne bei späterer Einstellung. Dieses Argument impliziert zwei Aspekte: 1. Die Erwartungen der Betriebe über Dauer und Tiefe der wirtschaftlichen Schwäche sind eher positiv. Jedenfalls hellen sich die Geschäftserwartungen gemäß der ifo- und ZEW-Indikatoren deutlich auf. Auch kann die Diskussion und etwas vermehrte Nutzung der konjunkturellen Kurzarbeit als Indiz gewertet werden, dass Betriebe ihr Personal über eine Durststrecke halten wollten, nicht aber strukturelle Anpassungen für erforderlich halten. 2. Gleichzeitig sind die Erwartungen über den zukünftigen Verlauf von Suchprozessen wohl eher negativ. Gerade im Maschinenbau und der Metallindustrie waren Stellenbesetzungen 2012 wieder deutlich schwieriger als im Durchschnitt.5 Beide Erwartungen zusammengenommen könnten die Betriebe veranlasst haben, nicht mit Einstellungen zu warten, bis die Wirtschaftserholung angekommen ist. Ob solch ein Vorzieheffekt vorliegt, der eine schwache Wirtschaftslage ausnutzt, bevor Personalrekrutierung bei vollen Auftragsbüchern drängend und problematisch wird, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Jagt ein Rekord den anderen?

Die Rekordjagd bei der Erwerbstätigkeit wurde nicht erst 2012 eröffnet. Seit 2007 ist es gelungen, Jahr um Jahr einen neuen Bestwert aufzustellen. Angesichts des guten Starts in das Jahr 2013 und der zuletzt deutlich gestiegenen Konjunkturindikatoren ist auch für das laufende Jahr ein Rekord der Erwerbstätigkeit wahrscheinlich. Die Entwicklung hat die Qualität eines Trends – langfristig wirksame Ursachen führten zu einer permanenten Verbesserung.

Die Erfolge müssen nun konsolidiert und die Basis der Teilhabenden verbreitert werden. Ansatzpunkte dafür sind Qualifikation und Aufwärtsmobilität, die Vermeidung von Drehtüreffekten bei sehr flexiblen Beschäftigungsverhältnissen, eine weitere Lockerung des verfestigten Kerns von Arbeitslosigkeit durch auf die individuellen Hindernisse zugeschnittene Betreuung. Diese Punkte sind gerade auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wesentlich. Der Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials kann durch hohe Erwerbsbeteiligung, Zuwanderung und längere Arbeitszeiten bestenfalls hinausgezögert werden.6 Langfristig wird er das Wachstum der Erwerbstätigkeit deckeln. Mehr denn je kommt es also auf die kreative Ausschöpfung des Potenzials an, und dazu tragen Bildung, soziale Sicherung und gesellschaftliche Werte für Arbeitsqualität und Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei.

  • 1 Daten zur Erwerbstätigkeit, dem BIP und der Produktivität stammen vom Statistischen Bundesamt, Angaben über sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von der Bundesagentur für Arbeit.
  • 2 Vgl. Monatsbericht der Deutschen Bundesbank, Nr. 1/2013, S. 67*.
  • 3 Die jüngeren Gesetze mit primärem Arbeitsmarktbezug befassen sich mit den passiven Leistungen der Arbeitslosenversicherung und der Grundsicherung sowie mit der Neufassung der Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik. Sie sind höchstens mittelbar beschäftigungsrelevant, sofern sie die Anreize zur Arbeitsaufnahme beeinflussen. Für eine Übersicht jüngerer Maßnahmen siehe J. Bendel-Claus, U. Kress: Chronik der Arbeitsmarktpolitik 2009-2011, in: H. Brücker et al. (Hrsg.): Handbuch Arbeitsmarkt 2013, S. 93-137.
  • 4 Vgl. M. Burda, J. Hunt: What explains the German labor market miracle during the Great Recession?, in: Brookings Papers on Economic Activity, 42. Jg. (2011), H. 1, S. 273-335.
  • 5 IAB-Erhebung des gesamtwirtschaftlichen Stellenangebots.
  • 6 Vgl. S. Wanger, B. Weber, J. Fuchs: Kann ein Anstieg der Arbeitszeit den Rückgang des Arbeitskräfteangebots kompensieren?, in: M. Göke, T. Heupel (Hrsg.): Wirtschaftliche Implikationen des demografischen Wandels, Wiesbaden 2013, S. 335-348.

Das deutsche Jobwunder speist sich aus vielen Quellen

Während die Arbeitslosenrate in der Eurozone gerade einen neuen Höchststand markiert hat, befindet sich der deutsche Arbeitsmarkt in einer im internationalen und historischen Vergleich hervorragenden Verfassung. Zwar dürfte sich die Zunahme der Erwerbstätigkeit infolge des eingetrübten konjunkturellen Umfelds in diesem Jahr abschwächen. Dennoch wird für 2013 erneut ein Erwerbstätigenrekord – 41,8 Mio. im Jahresdurchschnitt – prognostiziert.1 Die positive Entwicklung bei den Erwerbstätigenzahlen, die selbst durch die zwischenzeitliche schwere Rezession nicht unterbrochen wurde, beginnt 2003. Wegen der zeitlichen Koinzidenz mit der Verkündung der Agenda 2010 liegt es nahe, den Arbeitsmarkt­umschwung dem damit vollzogenen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik2 zuzuschreiben. Der folgende Beitrag beleuchtet, inwieweit das deutsche Jobwunder ein Ergebnis der Hartz-Reformen ist, und welche weiteren Quellen es speisen.

Erfolgreiche Teile der Hartz-Reformen

Von den zahlreichen durch die Agenda 2010 angestoßenen Maßnahmen, konnten vor allem zwei nachhaltig positive Beschäftigungswirkungen erzielen: die Einführung des Arbeitslosengelds II (Hartz IV) und die auf bessere Integrationsleistungen ausgerichtete Reorganisation der Vermittlungsprozesse.

Sichtbar wird die organisatorische Neuausrichtung bei der Vermittlung in den Eingliederungsvereinbarungen, den Vermittlungszielen und -leistungen, den Eigenanforderungen und darin, Ansprüche auf Fördermaßnahmen für Arbeitslose transparent zu machen. Die Basis dieser Vereinbarungen ist eine Potenzialanalyse, die individuelle Stärken und Schwächen im Hinblick auf das Beschäftigungsziel auslotet. Dies ermöglicht die passgenauere Zuordnung von Arbeitslosen zu Maßnahmen, die für ihren Typ besonders geeignet – und auch erforderlich – sind. Dem New Public Management entlehnte Steuerungselemente stützen die Wirksamkeit dieses Konzepts. Auf der einen Seite haben die untergeordneten Ebenen bis hinunter zum Fallmanager inzwischen einen größeren Entscheidungsspielraum über Instrumente und Strategien, auf der anderen Seite werden sie durch Setzung quantitativer Ziele und strikteres Monitoring der erzielten Erfolge stärker in die Verantwortung genommen.

Die spezifischen Beschäftigungserfolge durch eine bessere Organisation der Vermittlung sind jedoch kaum zu erfassen, da es zugleich Veränderungen bei den eingesetzten Instrumenten gab. Die umfangreiche empirische Literatur zur Wirksamkeit der aktiven Förderinstrumente vor und nach den Hartz-Reformen lässt sich so interpretieren, dass Beschäftigungserfolge vor allem durch Fokussierung auf Maßnahmen erzielt wurden, die direkt auf die Aufnahme einer marktfähigen Tätigkeit ausgerichtet sind.3 Beispiele sind etwa die Lohnkostenzuschüsse für ältere Arbeitnehmer oder die Förderung der Selbständigkeit in Form der „Ich-AG“. Die zeitliche Verkürzung von Weiterbildungsmaßnahmen zielt in dieselbe Richtung.

Den anderen zentralen Beschäftigungsbeitrag der Hartz-Reformen hat die Einführung des Arbeitslosengelds II geleistet. Die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe überführte vormals versicherte Langzeitarbeitslose aus der Statussicherung in die soziale Grundsicherung.4 Das potenziell erheblich niedrigere Transfereinkommen und die Anrechnung von Vermögen bei Hartz-IV-Empfängern haben die Anreize, bereits vor dem Fall in die Langzeitarbeitslosigkeit niedriger entlohnte Beschäftigung aufzunehmen, zumindest für besser qualifizierte Arbeitslose deutlich gestärkt.5 Ein Indiz für diesen strukturellen Effekt ist, dass die Austrittsraten aus kurzfristiger Arbeitslosigkeit erstmals gegen Ende 2005 anstiegen, als für die erste von der Reform betroffene Kohorte die Ansprüche auf Arbeitslosengeld ausliefen. Mittlerweile haben sich die Chancen, Kurzzeitarbeitslosigkeit zu beenden, auf einem Niveau stabilisiert, das deutlich höher ist als in den Jahren vor der Reform. Entsprechend ist der Bestand an Arbeitslosen bei gegebener Zugangsrate in die Arbeitslosigkeit niedriger. Empirisch lässt sich die Verbesserung der Matching-Effizienz auch mit makroökonomischer Perspektive untermauern.6

Ein zweiter positiver Effekt der Einführung des Arbeitslosengelds II war, dass sie die vorher verdeckte Arbeitslosigkeit vieler Sozialhilfeempfänger offenlegte, die nun zu Kunden der Jobcenter wurden und erst damit einen klar geregelten Anspruch zu Vermittlungsleistungen und Förderinstrumenten erhielten. Allerdings tun sich die Jobcenter mit der wirksamen Förderung der Arbeitslosen im SGB-II-Bereich, von denen viele dem Arbeitsmarkt relativ fern stehen und Vermittlungshemmnisse wie geringe Qualifikation und gesundheitliche Einschränkungen aufweisen, nach wie vor schwer. Diese Schwierigkeiten könnten erklären, warum auch fordernde Elemente, wie die Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung („1-Euro-Jobs“) oder Sanktionen, nicht im prinzipiell möglichen Umfang genutzt werden.

Dennoch haben sich auch die monatlichen Abgangsraten aus der Langzeitarbeitslosigkeit über den Abgangsraten im Zeitraum vor der Reform stabilisiert. Sie erreichen allerdings kaum ein Viertel der monatlichen Abgangsraten aus Kurzzeitarbeitslosigkeit. Deshalb ist der Anteil der Arbeitslosen im SGB-II-Bereich im Bestand von 2005 (57%) bis 2012 (69%) deutlich gewachsen.7 Es liegt also ein großer Schatten auf dem deutschen Jobwunder, in Form eines verfestigten Kerns der Arbeitslosigkeit von wenigstens 2 Mio. Menschen.

Arbeitsmarktflexibilisierung mit geringen Effekten

In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Zunahme der Erwerbstätigkeit häufig mit den im Rahmen der Hartz-Reformen erweiterten Möglichkeiten der atypischen Beschäftigung – also geringfügige Beschäftigung in Minijobs und befristete Beschäftigung in der Zeitarbeit – in Verbindung gebracht. Das Ziel dieser Maßnahmen war, durch flexiblere Beschäftigungsmöglichkeiten die Arbeitsnachfrage zu steigern und vor allem Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen eine Brücke in reguläre Beschäftigung zu bauen.

Tatsächlich stieg die Zahl der geringfügig Beschäftigten nach der Neuregelung der Minijobs zunächst stark an. Seit 2005 ist das Trendwachstum der geringfügigen Beschäftigung aber deutlich kleiner als das der Erwerbstätigen. Es speist sich zudem zu 90% aus dem Wachstum der Zahl der im Nebenjob geringfügig Beschäftigten, die sich gar nicht auf die Zahl der Erwerbstätigen auswirkt. Im Juni 2012 gab es gemäß der Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit lediglich 87 000 ausschließlich geringfügig Beschäftigte mehr als im Juni 2005. Dies entspricht weniger als 4% des Gesamtzuwachses an Erwerbstätigen. Auch in Relation zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung waren die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse in den letzten Jahren rückläufig.

Es lässt sich argumentieren, dass ohne Minijobs sogar noch mehr Beschäftigung, zumindest gemessen am Arbeitsvolumen, entstanden wäre. Zum einen bewirkt die Steuer- und Abgabenfreiheit der geringfügigen Beschäftigungen im Verhältnis hohe marginale Belastungen für Zweitverdiener, die sich für eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung entscheiden. Viele Mütter ziehen darum den Minijob einer regulären Teilzeitbeschäftigung vor, so dass sich ihre gewünschten Arbeitsstunden nicht realisieren lassen. Zum anderen fallen Arbeitslose aus der Betreuung durch die Jobcenter heraus, indem sie Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung aufstocken. Empirische Evidenz, dass die Aufnahme eines Minijobs aus Arbeitslosigkeit die Chancen auf reguläre Beschäftigung verbessert, gibt es bislang nur für Langzeitarbeitslose, die einen Minijob im Sektor ihrer früheren Beschäftigung annehmen.8 Dieses Resultat vernachlässigt zudem einen wahrscheinlichen Feedback-Effekt: Ohne Minijobs würde zumindest teilweise als Substitut zusätzlich reguläre Beschäftigung entstehen, die vor allem für geringqualifizierte Arbeitslose neue Chancen auf Vollzeittätigkeit eröffnen könnte.

Eine solche Chance bietet auch die Tätigkeit in Zeitarbeitsfirmen, auch wenn diese Brücke in den regulären Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose relativ schmal ist. Ein Drittel von vormals arbeitslosen Leiharbeitern hat auch nach der Zeitarbeit keinen Job.9 Zumindest aber hat die Liberalisierung zusätzliche Arbeitsplätze in der Zeitarbeitsbranche geschaffen. 2010 hatte sich der Anteil der Zeitarbeitsverhältnisse an der Beschäftigung gegenüber 2003 etwa verdoppelt.10 Die Niveauverschiebung zeigt sich über den gesamten konjunkturellen Zyklus: ein Indiz, dass es sich um einen strukturellen Effekt handelt. Nach wie vor liegt der Beschäftigtenanteil der Zeitarbeit selbst in konjunkturellen Phasen gerade bei 4%, zu wenig für eine tragende Rolle beim Beschäftigungsaufbau. Ein wesentlicher Grund für den niedrigen Anteil der Zeitarbeit an der Beschäftigung ist die nach wie vor starke Regulierung der Branche. Insbesondere Eingriffe in die Löhne, unter anderem durch einen sektoralen Mindestlohn und „Equal-Pay-Regeln“, schwächen die Nachfrage nach Zeitarbeitern.

Günstige Rahmenbedingungen

Allein können die strukturellen Verbesserungen, die durch die Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik bewirkt wurden, den massiven Beschäftigungsaufbau seit 2005 nicht erklären. Ohne eine Reihe weiterer Umstände hätte sich die Erwerbstätigkeit seit den Hartz-Reformen wohl kaum so positiv entwickelt. Die vermutlich wichtigste Unterstützung kam von der Wiederherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch langjährige Lohnzurückhaltung. Über viele Jahre tätigten die Tarifpartner beschäftigungsorientierte Abschlüsse, die den durch Produktivitätsfortschritte gegebenen Spielraum nicht voll ausschöpften. So blieben die Lohnstückkosten in Deutschland im Jahrzehnt vor den Hartz-Reformen nahezu konstant, während sie in den übrigen europäischen OECD-Ländern um 38% und in den USA um 17% stiegen. Eine Folge war die Rückkehr der deutschen Exportstärke. Die davon etwas verzögert ausgehende höhere Arbeitsnachfrage entfaltete sich zeitgleich zu den Wirkungen der Hartz-Reformen.

Das moderate Lohnwachstum hielt infolge der Hartz-Reformen sogar noch länger an, denn die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verschlechterte für die Insider im Arbeitsmarkt den Wert der Outside-Alternative Arbeitslosigkeit. Zudem dämpfte die Entstehung eines Niedriglohnsektors wegen des höheren Beschäftigungsdrucks auf geringqualifizierte Arbeitslose das Wachstum der durchschnittlichen Lohnstückkosten.

Ein Spiegelbild der wiedergewonnenen deutschen Exportstärke ist der massive konjunkturelle Einbruch in Folge der durch die Finanzmarktkrise ausgelösten weltweiten Rezession. Dass die Beschäftigung trotz dieser Verwerfung stabil blieb, ist den sich noch entfaltenden Effekten der Lohnzurückhaltung zu verdanken, sowie dem vor der Krise liegenden Exportboom, in dem sich die Unternehmen wegen unsicherer Erwartungen mit Einstellungen zurückhielten. So waren die Arbeitszeitkonten prall gefüllt und konnten den Nachfrageeinbruch abfedern. Dagegen zeigt die empirische Evidenz, dass die vielfach als Grund für die Beschäftigungsstabilität während der großen Rezession genannte Kurzarbeit keine größere Rolle spielte als in früheren konjunkturellen Schwächephasen.11

Auch die an die globale Finanzmarktkrise anschließende europäische Schuldenkrise konnte den Beschäftigungsaufbau in Deutschland bisher kaum bremsen. Zwar dämpfen die strukturellen Anpassungskrisen der hoch verschuldeten Euroländer erneut die Exporte und wegen gestiegener Unsicherheit auch den privaten Konsum; zugleich aber stabilisieren die durch Erwerbstätigkeit auf Rekordniveau entstandenen finanziellen Spielräume in den privaten und öffentlichen Haushalten den Arbeitsmarkt.

Neben den an die konjunkturelle Entwicklung gebundenen Faktoren haben mehrere angebotsseitige Entwicklungen zu den anhaltenden Beschäftigungsgewinnen beigetragen. Diese hängen mit institutionellen Veränderungen zusammen, die allerdings nicht als Arbeitsmarktpolitik im engeren Sinne zu zählen sind:12

  • Die Teilnahmebereitschaft Älterer am Arbeitsmarkt ist stark gestiegen. Seit 2000 wuchs die Partizipationsrate der 55- bis 64-Jährigen von 43% auf fast 65%, womit Deutschland auf einen europäischen Spitzenplatz vorgerückt ist. Die Treiber dieses anhaltenden Fortschritts sind die gewachsenen Rentenabschläge bei Frühverrentung und seit kurzem die graduelle Anhebung des Rentenalters bis zur „Rente mit 67“. Dass in den letzten Jahren besonders geburtenstarke Jahrgänge in die Altersgruppe vor dem Ruhestand aufrückten, hat die positiven Partizipationseffekte auf die Beschäftigung noch einmal verstärkt.
  • Es gibt einen anhaltend positiven Trend bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen. Dieser Trend reflektiert gewandelte gesellschaftliche Vorstellungen zur beruflichen Tätigkeit von Müttern, die zunehmend bessere Qualifikation von Frauen und schließlich den – wenn auch schleppend – in Gang befindlichen öffentlichen Ausbau der Kindertagesbetreuung, deren Fehlen eine beachtliche Arbeitsmarkthürde für junge Mütter aufgerichtet hat.13
  • In der Bevölkerung sind in den letzten Jahren schlechter qualifizierte Jahrgänge aus dem Erwerbsleben ausgeschieden, während gleichzeitig besser qualifizierte Jahrgänge von unten nachrückten. Da Qualifikationsgrad und Partizipationsrate positiv zusammenhängen, verbesserte dieser durch Bildungsexpansion und demografisch getriebene Struktureffekt allmählich die Partizipationsraten.

Ausblick

Von den erreichten Höchstständen an Erwerbstätigen aus wird es schwierig werden, die Beschäftigtenzahlen noch weiter zu steigern. Belastend wirkt sich nicht nur der in den kommenden Jahren zunehmend spürbare demografische Alterungsprozess aus, der die Bevölkerung im Erwerbsalter merklich schrumpfen lassen wird. Hinzu kommt, dass die positiven Effekte von strukturellen Reformen ohne weitere Impulse nach einer gewissen Zeit – auf einem höheren gleichgewichtigen Beschäftigungsniveau – auslaufen. Das Abflauen der Beschäftigtenzuwächse in den letzten Jahren könnte auch ein Zeichen sein, dass der Übergang zu diesem neuen Arbeitsmarktgleichgewicht bald vollendet ist. Schließlich weckt die hervorragende Arbeitsmarktlage Begehrlichkeiten. Die Lohnstückkosten sind zuletzt wieder klar gestiegen und werden die Arbeitsnachfrage dämpfen. Auch auf arbeitsmarktpolitischem Feld kommen im Vorfeld der Bundestagswahl in der Bevölkerung populäre Konzepte hoch, die das Erreichte gefährden könnten. Beispiele sind etwa flächendeckende Mindestlöhne oder die Rücknahme der Rente mit 67.

Die Arbeitsmarktpolitik wäre in dieser Situation gut beraten, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, die der abflauenden Beschäftigungsdynamik neuen Schub verleihen könnten. Dabei braucht es nicht unbedingt mehr Deregulierung, etwa durch weniger Kündigungsschutz und mehr atypische Beschäftigung. Der deutsche Arbeitsmarkt verfügt nämlich durch private Vereinbarungen bereits über ein hohes Maß an interner numerischer und funktionaler Flexibilität.

Drei konkrete Handlungsfelder seien abschließend genannt:

  • Erstens könnte Deutschland das in Folge der anhaltenden Krise in den Euro-Schuldenländern gewachsene Potenzial an qualifizierten Zuwanderern erschließen.
  • Zweitens wäre das Übergangssystem zwischen Schule und Beruf kritisch zu durchleuchten. Das bestehende System von Maßnahmen und Trägern, die sich an Jugendliche mit Beschäftigungsschwierigkeiten richten, ist noch weitaus komplexer, als es das System der aktiven Arbeitsmarktpolitik vor den Hartz-Reformen war. Zudem gibt es kaum belastbare Evaluationen seiner Wirksamkeit insgesamt oder auch nur einzelner Instrumente.
  • Schließlich wären geringqualifizierte Beschäftigte als Zielgruppe vermehrt in den Blick zu nehmen. Ihre Arbeitsmarktchancen sind in den letzten Jahren zwar gestiegen, allerdings um den Preis unsteter Beschäftigungsverhältnisse und erhöhter Einkommensvolatilität. Hier könnte eine gezielte Begleitung und Förderung der Qualifizierung „on the job“ die Beschäftigungsstabilität fördern, Aufstiegsmobilität erzeugen und Arbeitsplätze für nachrückende Geringqualifizierte frei machen.
  • 1 Vgl. J. Fuchs, M. Hummel, C. Hutter, S. Klinger, J. Vallé, E. Weber, I. Zapf, G. Zika: IAB-Prognose 2012/13: Neue Herausforderungen für den deutschen Arbeitsmarkt, IAB-Kurzbericht, Nr. 14/2012, Nürnberg 2012.
  • 2 Vgl. H. Bonin: Two German Labor Market Miracles: Blueprints for Tackling the Unemployment Crisis?, in: Comparative Economic Studies, 54. Jg. (2012), H. 6, S. 787-807.
  • 3 Ausführlich vgl. L. Jacobi, J. Kluve: Before and After the Hartz Reforms: The Performance of Active Labor Market Policy in Germany, in: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung, 40. Jg. (2007), H. 1, S. 45-64; W. Eichhorst, K. F. Zimmermann: And Then There Were Four … How Many (and Which) Measures of Active Labor Market Policy Do We Still Need?, in: Applied Economics Quarterly, 53. Jg. (2007), H. 3, S. 243-272.
  • 4 Vgl. W. Eichhorst, M. Grienberger-Zingerle, R. Konle-Seidl: Activation Policies in Germany: From Status Protection to Basic Income Support, in: German Policy Studies, 6. Jg. (2010), H. 1, S. 59-100.
  • 5 Vgl. M. Clauss, R. Schnabel: Distributional and Behavioural Effects of the German Labour Market Reform, in: Zeitschrift für Arbeitsmarktforschung, 41. Jg. (2008), H. 4, S. 431-446.
  • 6 Vgl. R. Fahr, U. Sunde: Did the Hartz Reforms Speed-Up the Matching Process? A Macro Evaluation Using Empirical Matching Functions, in: German Economic Review, 10. Jg. (2009), H. 3, S. 284-316.
  • 7 Das Verhältnis wird nicht nur von den Abgangsraten, sondern auch durch Klassifikationseffekte beeinflusst. Arbeitslose in Maßnahmen zählen nicht als arbeitslos.
  • 8 Vgl. M. Caliendo, S. Künn, A. Uhlendorff: Marginal Employment, Unemployment Duration and Job Match Quality, IZA Diskussionpapier Nr. 6499, Bonn 2012.
  • 9 Vgl. F. Lehmer, K. Ziegler: Brückenfunktion der Leiharbeit – Zumindest ein schmaler Steg, IAB-Kurzbericht 13/2010, Nürnberg 2010.
  • 10 Vgl. A. Spermann: The New Role of Temporary Agency Work in Germany, IZA Diskussionspapier, Nr. 6180, Bonn 2011.
  • 11 Vgl. J. Boysen-Hogrefe, D. Groll: The German Labour Market Miracle, in: National Institute Economic Review, 214. Jg. (2010), H. 1, S. 38-49; M. Burda, J. Hunt: What Explains the German Labor Market Miracle in the Great Recession?, CEPR Discussion Paper, Nr. 8520, London 2011.
  • 12 Vgl. M. Caliendo: Income Support Systems, Labor Market Policies and Labor Supply: The German Experience, IZA Diskussionspapier, Nr. 4665, Bonn 2009.
  • 13 Vgl. D. Beninger, H. Bonin, J. Horstschräer, G. Mühler: Wirkungen eines Betreuungsgeldes bei bedarfsgerechtem Ausbau frühkindlicher Kindertagesbetreuung, in: Vierteljahreshefte für Wirtschaftsforschung, 79. Jg. (2010), H. 3, S. 147-168.

Erwerbstätigenrekord dank guter Konjunktur und hoher interner Flexibilität

Der Arbeitsmarkt hat sich in Deutschland in den vergangenen Jahren erfreulich entwickelt. Die Arbeitslosigkeit ist deutlich zurückgegangen, und die Erwerbstätigkeit bewegt sich zahlenmäßig schon seit einigen Jahren von Rekord zu Rekord. So hat die Zahl der erwerbstätigen Personen 2012 abermals – trotz anhaltender Rezession im Euroraum – zugelegt und mit 41,6 Mio. Personen einen Höchststand erreicht. Insgesamt setzte sich damit der seit Mitte der 1990er Jahre über alle Zyklik hinweg auszumachende Trend fort, der sogar im Krisenjahr 2009, als Deutschland von der bisher schwersten Nachkriegsrezession betroffen war, angehalten hatte. Qualitativ ist das Bild aber äußerst durchwachsen: Atypische Beschäftigung wie auch die Niedriglohnbeschäftigung haben stark zugenommen und sich gleichfalls auf einem vorher nicht gekannten Niveau eingependelt.

Dabei war die Entwicklung am Arbeitsmarkt seit der deutschen Vereinigung extrem turbulent und von zahlreichen teils dramatischen Veränderungen geprägt. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist die Frage nach der kausalen ökonomischen Verantwortlichkeit für die zu beobachtenden Arbeitsmarkttendenzen von hoher gesellschaftspolitischer und wissenschaftlicher Relevanz. Insbesondere gilt es, angesichts der anhaltenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen hierüber, die Rolle der Arbeitsmarktreformen in dieser Historie zu klären.

Trendmäßige Zunahme der Erwerbstätigen seit 1994, aber …

Betrachtet man für einen ersten Überblick die Entwicklung der Erwerbstätigkeit seit 1991, fällt auf, dass die Zahl der Erwerbstätigen in den ersten Jahren nach der deutschen Vereinigung zunächst deutlich zurückging und 1994 einen Tiefststand erreichte. Aber seit Mitte der 1990er Jahre ist die Entwicklung aufwärts gerichtet und hat über alle konjunkturellen Schwankungen hinweg durchschnittlich pro Jahr um rund 0,6% zugelegt (vgl. Abbildung 1). Dabei hat sich aber deren Zusammensetzung im Beobachtungszeitraum erheblich verändert. Während selbständige Tätigkeiten und Teilzeitbeschäftigung zunahmen, ging die Vollzeitbeschäftigung zurück.

Abbildung 1
Zahl und Beschäftigungsart der Erwerbstätigen in Deutschland
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Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB; FB A2); eigene Darstellung.

… das Arbeitsvolumen stagniert

Betrachtet man das Arbeitsvolumen der Erwerbstätigen, das ein besserer Indikator für den gesamtwirtschaftlichen Einsatz des Faktors Arbeit darstellt als die Zahl der Erwerbstätigen, dann relativiert sich das bislang beschriebene Bild deutlich. Zwar weist das Arbeitsvolumen der Erwerbstätigen im zeitlichen Verlauf erhebliche konjunkturell bedingte Schwankungen auf, aber insgesamt stagniert es und lag 2012 etwa auf dem Niveau von 1994 (vgl. Abbildung 2). Gesamtwirtschaftlich fand also eine Umverteilung der Arbeit auf eine deutlich größere Zahl von Erwerbstätigen durch Arbeitszeitverkürzung statt. Wobei die größte Arbeitszeitverkürzung pro Kopf bei den Selbständigen zu beobachten war. Zwischen 1994 und 2012 ging die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit je Selbständigen um fast 0,7% pro Jahr zurück. Im Zeitraum von 1999 bis 2012 ging bei der Gruppe der Selbständigen die jährliche Arbeitszeit pro Kopf um rund 300 Stunden oder fast 1% pro Jahr zurück. Zu einem erheblichen Teil ist dies auf die starke Zunahme der Solo-Selbständigen zurückzuführen. Hierbei hatten die Arbeitsmarktreformen eine gewichtige Rolle, denn die Gründungsförderung aus der Arbeitslosigkeit wurde mit der „Ich-AG“, die Bestandteil des zweiten Hartz-Gesetzes war, erheblich ausgeweitet.1 Die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten blieb dagegen konstant, während die der Teilzeitbeschäftigten um knapp 0,2% pro Jahr zurückging.

Abbildung 2
Entwicklung und Zusammensetzung des Arbeitsvolumens in Deutschland
43365.png

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB; FB A2); eigene Darstellung.

Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit in den Konjunkturzyklen

Insgesamt ist die Arbeitsmarktentwicklung das Resultat struktureller und konjunktureller Einflussfaktoren. Mittels eines Zyklenvergleichs kann jedoch der konjunkturelle Einfluss auf die Erwerbstätigenentwicklung herausgerechnet werden.2 Im Rahmen eines solchen Zyklenvergleichs müsste daher der Einfluss der Arbeitsmarktreformen dann indirekt als Strukturbruch sichtbar werden. Jenseits der Konjunktur müsste demnach die Arbeitsmarktentwicklung nach den Reformen signifikant besser sein, als zuvor, wenn diese als beschäftigungspolitischer Erfolg gelten sollen. Ist ein solcher Strukturbruch hingegen nicht auszumachen, so ist dies letztlich als ein Indiz zu bewerten, dass der Einfluss der Arbeitsmarktreformen auf die quantitative Entwicklung der Erwerbstätigkeit nicht besonders stark gewesen sein kann und die positive Beschäftigungsentwicklung im Wesentlichen konjunkturellen Einflüssen geschuldet ist.

Für den Zeitraum von 1999 bis 2012 lassen sich zwei abgeschlossene Konjunkturzyklen sowie die Aufschwungphase des aktuell andauernden Konjunkturzyklus identifizieren. Der erste Zyklus umfasst den vom ersten Quartal 1999 bis zum ersten Quartal 2001 andauernden Aufschwung und den daran anschließenden Abschwung, der im zweiten Quartal 2005 endete und das Ende des ersten und den Beginn des zweiten Konjunkturzyklus markierte. Der Aufschwung des zweiten Konjunkturzyklus dauerte vom zweiten Quartal 2005 bis zum ersten Quartal 2008; der nachfolgende Abschwung als Folge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise endete mit dem zweiten Quartal 2009 und markierte das Ende des zweiten Zyklus und den Beginn der Aufschwungphase des aktuellen Konjunkturzyklus.3 Die Auswahl dieses Beobachtungszeitraums bietet sich für diesen Vergleich an, da die Hartz-Reformen während des Abschwungs des ersten beobachteten Konjunkturzyklus in Kraft traten und somit insbesondere die erste Aufschwungphase mit den beiden Aufschwungphasen nach den Arbeitsmarktreformen verglichen werden kann. Folglich sollten sich die beiden nachfolgenden Konjunkturzyklen in Bezug auf die Entwicklung der Erwerbstätigkeit deutlich (positiv) vom ersten Zyklus abheben. In diesem Fall wäre dies als ein Indiz für die „Wirksamkeit“ der Arbeitsmarktreformen zu werten.

Die verschiedenen Konjunkturzyklen weisen einige Auffälligkeiten auf. Der erste Konjunkturzyklus, der mit 25 Quartalen am längsten dauerte, hatte die kürzeste Auf- und die längste Abschwungphase. Der Abschwung im zweiten Konjunkturzyklus war sehr ausgeprägt, jedoch deutlich kürzer als der erste Abschwung. Der zweite Konjunkturzyklus dauerte insgesamt 16 Quartale. Der aktuelle Konjunkturzyklus hat bislang eine Dauer von 14 Quartalen. Es ist aktuell nicht abzuschätzen, ob der konjunkturelle Höhepunkt bereits überschritten ist.4

Ähnliche Erwerbstätigenentwicklung in den Aufschwüngen, aber …

Im ersten Aufschwung nahm das Bruttoinlandsprodukt (BIP) insgesamt um 6,0% zu (vgl. Abbildung 3). Die Aufschwungphasen der beiden nachfolgenden Zyklen weisen einen ähnlichen Verlauf auf, und der Zuwachs des BIP belief sich auf 9,7% bzw. 8,5%. Ausschlaggebend für diese merklich bessere Entwicklung war die deutlich längere Dauer der beiden nachfolgenden Aufschwungphasen. Vergleicht man dagegen die BIP-Zuwächse pro Quartal in den drei Aufschwungphasen, dann zeigt sich, dass der Wachstumsimpuls pro Quartal bei 0,8% im ersten und 0,9% bzw. 0,6% in den beiden darauffolgenden Aufschwungphasen lag.

Abbildung 3
Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts
Saison- und kalenderbereinigt
39753.png

Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.

Erhebliche Unterschiede weisen auch die beiden für den Vergleich zur Verfügung stehenden Abschwungphasen auf. Der Abschwung des ersten Zyklus lässt sich am besten als eine sehr lang anhaltende Stagnationsphase beschreiben. Insgesamt stagnierte das Bruttoinlandsprodukt über einen Zeitraum von 16 Quartalen, was nicht zuletzt an der in jener Zeit restriktiv ausgerichteten Finanzpolitik in Deutschland lag. Ganz anders dagegen verlief der letzte Abschwung. Der drastischste Wirtschaftseinbruch seit dem Ende des zweiten Weltkriegs führte zu einem heftigen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 6,65%, war aber bereits nach fünf Quartalen zu Ende.

Abbildung 4 zeigt den zyklischen Verlauf der Erwerbstätigkeit in den drei Konjunkturzyklen. In den letzten beiden Aufschwungphasen hat die Erwerbstätigkeit mit 3,4% bzw. 3,3% insgesamt etwas stärker zugenommen als in der ersten Aufschwungphase, die noch vor den Arbeitsmarktreformen lag (2,6%). Der direkte Einfluss der Arbeitsmarktreformen auf die Konjunktur dürfte minimal sein. Wenn man die längere Dauer der letzten beiden Aufschwünge berücksichtigt und um diese exogene Tendenz korrigiert, verschwinden die Unterschiede in der Beschäftigungsentwicklung. Nach acht Quartalen – der Dauer des ersten Aufschwungs – hat in den letzten beiden Aufschwüngen, trotz eines stärkeren konjunkturellen Impulses, die Zahl der Erwerbstätigen sogar um 0,3 bzw. 0,7 Prozentpunkte schwächer zugenommen als im ersten Aufschwung. Die Beschäftigungsintensität –, d.h. die prozentuale Veränderung des Erwerbstätigkeitsniveaus, wenn das Bruttoinlandsprodukt um 1% wächst – lag im ersten Aufschwung bei 0,43% und in den beiden nachfolgenden Aufschwüngen lediglich bei 0,35% bzw. 0,39%. Wenn man also für die Dauer des Aufschwungs und die Stärke der konjunkturellen Dynamik korrigiert, dann lassen sich anhand der Erwerbstätigenentwicklung keine positiven Unterschiede zwischen den Aufschwüngen nach und dem Aufschwung vor den Arbeitsmarktreformen ausmachen; eher das Gegenteil ist der Fall. Anders ausgedrückt: in Bezug auf die quantitative Entwicklung der Erwerbstätigkeit ist kein Strukturbruch auszumachen. Vielmehr war der erste Aufschwung etwas beschäftigungsintensiver. Der damalige Aufschwung kam allerdings durch das Platzen der sogenannten „Dotcom-Blase“ vorzeitig zu einem Ende.

Abbildung 4
Entwicklung der Erwerbstätigkeit
Saison- und kalenderbereinigt
42617.png

Quelle: Statistisches Bundesamt; eigene Berechnungen.

… bemerkenswerte Entwicklung während der Wirtschaftskrise 2008/2009

Auffällig ist jedoch die unterschiedliche Erwerbstätigenentwicklung in den beiden betrachteten Abschwungphasen I und II. In der langen Stagnationsphase (Abschwung des Konjunkturzyklus I) ging die Erwerbstätigkeit um insgesamt 1,5% zurück. Im Gegensatz hierzu sticht der positive Erwerbstätigenverlauf während der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise (Abschwungphase des Konjunkturzyklus II) ins Auge. Trotz eines dramatischen Einbruchs der Wirtschaftsleistung nahm die Erwerbstätigkeit während des Abschwungs insgesamt sogar noch um 0,3% zu. Dies ist bemerkenswert und bislang einmalig.5 Es spricht einiges dafür, dass hier der Schlüssel für die Beschäftigungsrekorde, die in den letzten Jahren zu verzeichnen sind, liegen könnte. Durch die erfolgreiche Beschäftigungssicherung in der Krise wurde eine gute Ausgangslage für den darauffolgenden aktuellen Aufschwung geschaffen. Das Erwerbstätigenniveau verharrte auf einem historisch hohen Niveau und im darauf folgenden Aufschwung waren dann wie in früheren Boomphasen weitere Zuwächse zu verzeichnen.

Faktisch führte die Kombination aus vier Faktoren dazu, dass eine erfolgreiche Beschäftigungssicherung in Deutschland während der Wirtschafts- und Finanzkrise möglich war:

  • Erstens eine klare beschäftigungspolitische Strategie der Regierung, die auf die Sicherung der Beschäftigung abzielte, und verhinderte, dass sich die Krise von der Industrie ausgehend auf große Teile des Dienstleistungssektors ausweitete.
  • Zweitens war es von Vorteil, dass vor allem industrielle Kernbereiche der deutschen Wirtschaft von der Krise betroffen waren, die stark von dem globalen Boom profitiert hatten und die ihre Kernbeschäftigung halten wollten und es sich auch leisten konnten. Deshalb haben sie, wie schon in früheren Abschwungphasen, Arbeitskräfte in erheblichem Umfang temporär gehortet.
  • Drittens wurden die Beschäftigungsverluste in der Industrie und in der Leiharbeit durch Beschäftigungszuwächse in den Dienstleistungsbereichen zumindest quantitativ kompensiert, da durch die insgesamt erfolgreiche Beschäftigungspolitik, vor allem weil sie auch Einkommen und Konsum stabilisierte, die Krise nicht auf die Dienstleistungsbereiche übergriff.
  • Und letztlich standen den Akteuren der industriellen Beziehungen in den von der Krise betroffenen Bereichen auf der betrieblichen Ebene eine Vielzahl von Instrumenten der internen Flexibilität wie beispielsweise Arbeitszeitkonten, Kurzarbeit, Variationsmöglichkeiten bei der Regelarbeitszeit und Überstundenabbau zur Beschäftigungssicherung zur Verfügung, und diese wurden auch erfolgreich eingesetzt.6

Ein direkter Einfluss der Arbeitsmarktreformen auf die erfolgreiche Beschäftigungssicherung ist also nicht auszumachen. Vielmehr zielten Teile der Hartz-Reformen, z.B. die Deregulierung der Leiharbeit, darauf ab, die externe Flexibilität am Arbeitsmarkt zu erhöhen. Entsprechend hoch fiel der Beschäftigungsabbau in der Leiharbeitsbranche während der Krise aus. Zwar wurde teilweise argumentiert, dass die Arbeitsmarktreformen im Gegensatz zu früheren Phasen zu einer gesamtwirtschaftlichen Lohnzurückhaltung geführt hätten, und dies hätte erst das Arbeitskräftehorten möglich gemacht.7 Diese Argumentation ist jedoch wenig überzeugend, da die Lohnzurückhaltung schon lange vor den Hartz-Reformen und auch vor dem hier betrachteten ersten Konjunkturzyklus einsetzte. Im Zeitraum von 1996 bis 2008 wurde der Verteilungsspielraum in keinem Jahr ausgeschöpft.8 Somit hätte die Lohnzurückhaltung sich auch schon im ersten Abschwung bemerkbar machen müssen.

Insgesamt liefert der Zyklenvergleich damit keine Indizien für einen besonderen Einfluss der Arbeitsmarktrefomen auf die beobachtete Entwicklung des Erwerbstätigenniveaus. Wie schon in der Vergangenheit brachten jedoch positive konjunkturelle Wachstumsimpulse erhebliche Beschäftigungseffekte mit sich. Auffällig war die erfolgreiche Beschäftigungssicherung während der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise. Hier spielten politische Faktoren eine erhebliche Rolle, allerdings handelte es sich um Maßnahmen der internen Flexibilität und einer aktiven antizyklischen Wirtschaftspolitik, die auf dem traditionellen deutschen tripartistischen System von Regierung, Arbeitgebern und Arbeitnehmern und ihren Vertretern basierten, und nicht die Arbeitsmarktreformen, deren Fokus auf der Stärkung der externen Flexibilität lag.

  • 1 Vgl. K. Brenke: Allein tätige Selbständige: starkes Beschäftigungswachstum, oft nur geringe Einkommen, in: DIW Wochenbericht, Nr. 7, 2013, S. 3-16.
  • 2 Dieses Instrument wurde schon mehrfach dazu genutzt, um die Wirksamkeit der Arbeitsmarktreformen zu überprüfen, siehe C. Logeay, R. Zwiener: Deutliche Realeinkommensverluste für Arbeitnehmer: Die neue Dimension eines Aufschwungs, in: WSI-Mitteilungen, Nr. 8, 2008, S. 415-422, und darin angegebene Literatur.
  • 3 Die Datierung der Konjunkturzyklen erfolgte entsprechend der beschriebenen Methode in A. Herzog-Stein: Das Jahr der Krise, in: H. Groß, H. Seifert (Hrsg.): Zeitkonflikte, 2010, S. 17-36; und entspricht der in A. Herzog-Stein, C. Logeay: Labor Market Reforms, Hysteresis, and Business Cycles in Germany: A SVAR Approach to Explain Unemployment Developments, in: Applied Economics Quarterly Supplement, Nr. 61, 2010, S. 89-120.
  • 4 Im vierten Quartal 2012 schrumpfte das BIP um 0,6%. Aktuelle Prognosen sagen aber für alle Quartale 2013 positive Zuwachsraten voraus, siehe IMK (Arbeitskreis Konjunktur): Auf des Messers Schneide – Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2013, IMK-Report, Nr. 78, 2012.
  • 5 A. Herzog-Stein, F. Lindner, S. Sturn: Explaining the German Employment Miracle in the Great Recession – The Crucial Role of Temporary Working Time Reductions, mimeo, untersuchen vier Rezessionsphasen seit 1970 und nur im aktuellen Abschwung gab es Zuwächse bei den Erwerbstätigen. Die drei anderen Abschwungphasen sind durch erhebliche Arbeitsplatzverluste gekennzeichnet.
  • 6 Vgl. A. Herzog-Stein, G. A. Horn, U. Stein: Macroeconomic implications of the German short time work policy during the Great Recession, in: Global Policy Journal, im Erscheinen.
  • 7 Vgl. J. Boysen-Hogrefe, D. Groll: The German Labour Market Miracle, in: National Institute Economic Review, 214. Jg. (2010), H. 1, S. R38-R50.
  • 8 Vgl. G. A. Horn, U. Stein: Kapital gewinnt – Arbeit verliert, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 7, S. 440-441, insbesondere Abbildung 2.

Zwischen gestern und heute – Trends der Erwerbsbeteiligung in Deutschland

Im Jahr 1991 standen dem deutschen Arbeitsmarkt 41 Mio. Erwerbspersonen zur Verfügung. Zwanzig Jahre später waren es 43,8 Mio. Wie ist dieser signifikante Anstieg der ökonomisch aktiven Bevölkerung innerhalb dieser zwei Dekaden um rund 7% zu erklären? Ein Blick in die Daten zeigt: Allein an der Bevölkerungsentwicklung kann es nicht liegen. Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter (15- bis unter 75-Jährige) stieg zwar bis heute um 2%. Allerdings sank zugleich die Zahl jener Personen, die zwischen 15 und 65 Jahre alt sind um etwa 2%, während der Gesamtanstieg allein durch die relativ arbeitsmarktferne Gruppe der über 65-Jährigen verantwortet wird. Aus einer rein demografischen Sicht kann die steigende Zahl der Erwerbspersonen also kaum erklärt werden, denn auch die Erhöhung des Durchschnittsalters für die erwerbsfähige Bevölkerung hätte unter Konstanz der Erwerbsquoten des Jahres 1991 zu einer sinkenden Erwerbspersonenzahl geführt.

Steigende Erwerbsbeteiligung der Älteren und der Frauen

Als letzte Stellschraube verbleibt, die steigende Zahl der Erwerbspersonen in der veränderten Erwerbsbeteiligung des Jahres 2011 gegenüber dem Jahr 1991 zu suchen (vgl. Abbildung 1):1

  • Keinen Erklärungsbeitrag liefern hierbei die jungen Erwachsenen (15- bis unter 25-Jährige). Ihre Erwerbsbeteiligung ist aufgrund der Bildungsexpansion über die vergangenen 20 Jahre (sogar) gesunken, da sie länger mit ihren Schul- und Ausbildungsabschlüssen beschäftigt waren.
  • In der Altersgruppe der 25- bis unter 55-Jährigen zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede. So sank die Erwerbsbeteiligung der Männer in dieser Altersgruppe über die vergangenen 20 Jahre leicht ab, befindet sich aber noch immer auf einem hohen Niveau. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen hat sich dementgegen über den gesamten Beobachtungszeitraum konstant gesteigert, wodurch sich der Abstand der Erwerbsquoten zwischen Frauen und Männern in der betrachteten Altersgruppe gegenüber 1991 in etwa halbiert hat.
  • Die größten Zuwächse in der Erwerbsbeteiligung beider Geschlechter können jedoch ab einem Alter von 55 Jahren beobachtet werden. So stieg die Erwerbsbeteiligung der Männer in dieser Altersgruppe seit den 2000er Jahren stark an und die bereits seit 1991 wachsende Erwerbsbeteiligung der Frauen erhielt ab der Jahrtausendwende einen zusätzlichen Schub.
Abbildung 1
Erwerbsbeteiligung nach Alter und Geschlecht
in % der Bevölkerung der jeweiligen Altersgruppe
43018.png

Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen.

Ursachen der steigenden Erwerbsbeteiligung

Die Hintergründe dieser deutlich veränderten Erwerbsbeteiligung sind geschlechtsspezifisch verschieden, und vor allem der seit den 1970er Jahren beobachtete Trend einer höheren Frauenerwerbsbeteiligung hat mehrere Gründe.2 Den wichtigsten Faktor bilden die veränderten Familienstrukturen mit weniger Kindern bei gleichzeitig besseren Kinderbetreuungsmöglichkeiten, die es den immer besser ausgebildeten Frauen ermöglichen, die Familie mit dem Beruf zu vereinbaren. Festzuhalten bleibt jedoch auch, dass viele Frauen inzwischen keine Kinder mehr haben und sich die Frage der Vereinbarung von Familie und Beruf in diesen Fällen nicht stellt.3 Darüber hinaus hat aber auch der generelle Wandel hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft – und die damit immer mehr aufkommenden Teilzeitarbeitsmöglichkeiten – dazu beigetragen, Frauen den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen.

Neben diesen gesamtgesellschaftlichen Veränderungen haben ab dem Jahr 2000 aber auch Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung für einen Anstieg der weiblichen Erwerbsbeteiligung ab 55 Jahren gesorgt. So stieg infolge des Rentenreformgesetztes aus dem Jahre 1992 das abschlagsfreie Renteneintrittsalter für Frauen von 60 auf 65 Jahre, wobei die Einführung der höheren Altersgrenze schrittweise zwischen den Jahren 2000 und 2010 vollzogen wurde. Frauen – wie generell alle anderen Versicherten auch – müssen seitdem pro Monat vorgezogenem Renteneintritt einen Abschlag von 0,3% hinnehmen.

Auch bei den Männern ist der Anstieg der Erwerbsbeteiligung in den höheren Altersgruppen auf die 1992 angestoßene Rentenreform zurückzuführen, wobei hier neben der Abführung der Abschläge zwei andere Reforminhalte maßgeblich waren. So stieg das abschlagsfreie Renteneintrittsalter für langjährig Versicherte sowie für die Regelaltersrente aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Altersteilzeit ebenfalls schrittweise auf 65 Jahre an, wobei die Einführung in den Jahren 2000 bis 2004 beziehungsweise 1997 bis 2007 vollzogen wurde. Neben dieser Anpassung der Altersgrenzen dürfte auch die 2009 ausgelaufene Förderung der Altersteilzeit durch die Bundesagentur für Arbeit wesentlich zum Anstieg der Erwerbsquoten in der Altersgruppe der über 55-Jährigen beigetragen haben.

Sieht man von der Erwerbsbeteiligung ab, so ist das Rekordniveau der Erwerbstätigkeit im Jahr 2012 aber auch auf die seit 2005 sinkende Erwerbslosenquote zurückzuführen, die mit aktuell etwa 6% an den historischen Tiefstand im Jahr 1991 heranreicht. Es ist auf dem deutschen Arbeitsmarkt demnach in den vergangenen Jahren nicht nur gelungen, die aus dem Erwerbspersonenpotenzial einströmenden Personen zu integrieren, sondern zusätzlich auch die bereits als erwerblos gemeldeten Personen vermehrt aufzunehmen. Der Hauptgrund hierfür liegt in der „beschäftigungsfreundlichen Lohnpolitik“,4 die zum einen eine stärkere Spreizung der Lohnstruktur zugelassen hat, zum anderen für untere und mittlere Einkommensbereiche über Jahre den Reallohn quasi konstant gehalten und in manchen Segmenten sogar gesenkt hat. Gerade geringqualifizierten Personen wurde damit die Möglichkeit eröffnet, ein Beschäftigungsverhältnis zu finden, das dann gegebenenfalls durch das Arbeitslosengeld II aufgestockt wird. Dennoch, eine Hilfe zur Selbsthilfe findet nunmehr tatsächlich statt und auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse stiften immer noch eine deutlich höhere Lebenszufriedenheit als die Arbeitslosigkeit.5

Demografie und Erwerbspersonen

Stand bis vor wenigen Jahren noch die hohe Zahl der Erwerbslosen im Fokus der Öffentlichkeit, so hat sich die Aufmerksamkeit aufgrund der aktuell guten Arbeitsmarktlage inzwischen auf die Qualität der Beschäftigungsverhältnisse und den Fachkräfteengpass in einigen Teilarbeitsmärkten verschoben. Der in den kommenden Jahrzehnten deutlich voranschreitende demografische Wandel, der bis 2060 nach aller Voraussicht mit einer annähernden Verdopplung des Altenquotienten einhergehen wird, lässt dabei die Fachkräftediskussion mehr und mehr in den Fokus von Politik und Gesellschaft rücken. So ist gemäß der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts (mittlere Variante) mit einem Rückgang der Bevölkerung im Alter von 15 bis unter 75 Jahren von 63,8 Mio. (2010) auf 58,2 Mio. (2030) und 46,9 Mio. (2060) zu rechnen.

Geht man zunächst davon aus, dass die beobachteten alters- und geschlechtsspezifischen Erwerbsquoten auch in Zukunft auf dem heutigen Ausgangsniveau verbleiben (vgl. Abbildung 1), so impliziert die unterstellte demografische Entwicklung ein Absinken der Erwerbspersonen von 43,3 Mio. (2010) auf 36,8 Mio. (2030) und 29,9 Mio. (2060) (vgl. Abbildung 2, Szenario: konstante Erwerbsquoten).6 Dies entspricht einem Rückgang um 15% bzw. 30% gegenüber dem Jahr 2010. Im Lichte der steigenden Erwerbsbeteiligung in den vergangenen Jahren scheint dieses Szenario allerdings wenig plausibel. Die von der OECD mitentwickelte Kohorten-Komponenten-Methode ermöglicht daher unter Konstanz des heute beobachtbaren Erwerbseintritts- und Austrittsverhaltens eine Fortschreibung der kohortenspezifischen Erwerbsbeteiligung.7 Dabei ergibt sich allein aufgrund der fortgeschriebenen Trends aus den Jahren 2005 bis 2010 ein weiterer Anstieg der Erwerbsquote der Älteren und der Frauen. Diese schlägt sich im Szenario „Trend“ mit 38,4 Mio. Erwerbspersonen (2030) und 31,3 Mio. (2060) nieder, was einem Rückgang gegenüber 2010 um 11% bzw. 28% entspricht. Unberücksichtigt bleiben bei diesem rein mechanischen Ansatz jedoch die Auswirkungen der Rente mit 67 auf die Lebensarbeitszeit. Unterstellt man zusätzlich zum Trendszenario, dass die Anpassung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre das Erwerbsaustrittsalter bis 2030 um ein Jahr nach hinten verschiebt, so kann zunächst festgehalten werden, dass bis 2020 mit keinem wesentlichen Absinken der Erwerbs­personenzahl zu rechnen ist (Szenario: Trend und Rente mit 67). In den darauffolgenden Jahren nimmt die Zahl der Erwerbspersonen dann jedoch auf 39,4 Mio. (2030) und 32,1 Mio. (2060) ab. Dies entspricht einem Rückgang um 9% bzw. 26% gegenüber 2010.

Abbildung 2
Die Entwicklung der Erwerbspersonen
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Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung; eigene Berechnungen.

Obwohl auch die Bevölkerungszahl in den kommenden Jahren sinkt, implizieren alle drei hier vorgestellten Szenarien ein Absinken der gesamtgesellschaftlichen Erwerbsquote (Anteil aller Erwerbspersonen an der Gesamtbevölkerung) von 53% im Jahr 2010 auf 47% (konstante Erwerbsquoten) bis 50% (Trend und Rente mit 67) im Jahr 2030 und 44% bis 47% im Jahr 2060. Ohne zusätzliche Schritte zur Steigerung der qualifizierten Zuwanderung, der Erwerbsbeteiligung oder des von den Erwerbstätigen geleisteten Arbeitsvolumens wird der demografische Wandel daher das zukünftige Wirtschaftswachstum bremsen und die Finanzierung der umlagefinanzierten sozialen Sicherungssysteme erschweren.

Erfolgversprechend und angeraten sind daher vor allem Reformen, die die Anreize zur Frühverrentung abschwächen und so die geburtenstarken Jahrgänge weiter im Erwerbsleben halten. Die derzeit gültigen Rentenabschläge von 3,6% pro Jahr sollten vor diesem Hintergrund überdacht und unter Bezugnahme auf verschiedene Rentenabschlagsberechnungen auf ein Niveau von 5% bis 6% pro Jahr korrigiert werden.8 Darüber hinaus sind all jene Maßnahmen von Bedeutung, welche die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter erhöhen und es ihnen ermöglichen, eine vollzeitnahe Beschäftigung aufzunehmen. Denn nicht nur in der Erwerbsbeteiligung, sondern vor allem auch in der hohen Teilzeitquote von Frauen liegen extreme Potenziale verborgen.9 Um diese Potenziale auszuschöpfen, bedarf es unter anderem eines weiteren Ausbaus der Betreuungsinfrastruktur wie auch der Reformen in anderen Bereichen. So würde die Einführung von lohnunabhängigen Gesundheitspauschalen unter Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung der verheirateten Ehepartner in der Kranken- und Pflegeversicherung zusätzliche Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit setzen. Darüber hinaus könnte auch der Umbau des bestehenden Ehegattensplittings bei gleichzeitigem Übergang zu einem wirklich auf die kinderreichen Paare abzielenden Familiensplittings einen sowohl demografischen als auch arbeitsmarktpolitisch anreizkompatiblen Beitrag leisten.

  • 1 Vgl. S. Moog, B. Raffelhüschen: Ehrbarer Staat? Die Generationenbilanz Update 2012: Demografie und Arbeitsmarkt, in: Argumente zu Marktwirtschaft und Politik, Nr. 117/2012, S. 12 ff.
  • 2 Vgl. B. Fitzenberger, S. Schnabel, G. Wunderlich: The Gender Gap in Labor Market Participation and Employment: A Cohort Analysis for West Germany, in: Journal of Population Economics, 17. Jg. (2004), H. 1, S. 84 ff.
  • 3 So beträgt der Anteil der kinderlosen Frauen am Geburtsjahrgang des Jahres 1970 in Westdeutschland ca. 26% – und diese Frauen haben inzwischen fast das Ende ihrer fertilen Phase erreicht. Vgl. H. Birg: Demographie und kein Ende – Plädoyer für eine neue „Gemeinschaftsaufgabe Demographiepolitik“, Berlin 2012.
  • 4 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Stabile Architektur für Europa – Handlungsbedarf im Inland, Wiesbaden 2012, Ziffer 522 sowie 574 ff.
  • 5 Vgl. B. Raffelhüschen, J. Vatter: Wie zufrieden ist Deutschland?, in: Deutsche Post (Hrsg.): Glücksatlas Deutschland 2012, Bonn, München 2012, S. 124-128.
  • 6 Die folgenden Berechnungen basieren in Teilen auf D. Ehing, S. Moog: Erwerbspersonen- und Arbeitsvolumenprojektionen bis ins Jahr 2060, in: Journal for Labour Market Research, im Erscheinen.
  • 7 Vgl. J. Burniaux, R. Duval, F. Jaumotte: Coping with ageing. A dynamic approach to quantify the impact of alternative policy options on future labour supply in OECD countries, OECD Economics Department Working Papers, Nr. 371/2004.
  • 8 Für eine aktuelle Berechnung von Rentenabschlägen siehe M. Gasche: Alte und neue Wege zur Berechnung der Rentenabschläge, Munich Center for the Economics of Aging, Nr. 252/2012, S. 52.
  • 9 So lag der Anteil der teilzeiterwerbstätigen Frauen an allen weiblichen Erwerbstätigen 2010 bei 45%. Bei den Männern betrug er hingegen nur 10%. Vgl. hierzu Eurostat: Labour Force Survey, verschiedene Jahrgänge.

Title:Employment at an All-time High – Result of Wise Labour Market Policies?

Abstract:Employment in Germany reached another all-time high in 2012, growing faster than the economy. Most labour market segments participated. Some economists see labour market legislation and the changed behaviour of economic agents as the driving force though they also resulted in low to negative productivity growth, especially in the industrial sectors. The structural labour market reforms put the economy on a path towards a new equilibrium characterised by less structural unemployment. In addition, regained competitiveness due to wage restraint and increased labour supply have boosted employment. Other economists counter that the recent labour market reforms did not have any significant impact on the impressive employment performance in Germany. Instead, the crucial factors were employment gains in two successive economic booms and the successful safeguarding of jobs during the Great Recession. Another view is that the current labour force record was mainly caused by increased labour force participation of women and the elderly, which was driven by the reform of the public pension system.


DOI: 10.1007/s10273-013-1501-9