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Korruptionsbekämpfung: EU-Institutionen unter der Lupe

Von Sebastian Wolf

In den letzten Jahren hat die Europäische Union das Politikfeld Korruptionsbekämpfung – abgesehen von ihrer Beitrittspolitik – eher anderen internationalen Organisationen wie dem Europarat, der OECD oder den Vereinten Nationen überlassen. Das soll sich nach Meinung der Europäischen Kommission in Zukunft ändern. Im Februar 2014 veröffentlichte die Brüsseler Behörde den ersten EU-Antikorruptionsbericht, der unter anderem in 28 Länderkapiteln Stärken und Schwächen mitgliedstaatlicher Integritätsmaßnahmen behandelt. Dem Bericht fehlt jedoch offensichtlich eine Auseinandersetzung mit Risiken und Antikorruptionsinstrumenten auf der Ebene der EU-Institutionen. Diese Lücke möchte eine kürzlich lancierte Studie der Nicht-Regierungsorganisation Transparency International füllen.

Die Publikation „The European Union Integrity System“ basiert auf einer Untersuchung von zehn EU-Institutionen, unter anderem dem Europäischen Parlament, dem Rat der EU und der Europäischen Kommission. Im Mittelpunkt stehen Unabhängigkeit und Transparenz der einzelnen Institutionen sowie deren Verantwortlichkeits- und Integritätsstrukturen. Die Quintessenz des fast 250 Seiten starken Berichts sind zwölf zentrale Empfehlungen. Davon sind lediglich zwei – nicht neue – Forderungen EU-spezifisch, die anderen kennt man aus NGO-Papieren zu nationalen Antikorruptionsmaßnahmen. Transparency International empfiehlt die Einrichtung einer europäischen Staatsanwaltschaft, die für bestimmte grenzüberschreitende Straftaten (inklusive Korruptionsdelikte) zuständig sein soll, und die vollständige organisatorische Unabhängigkeit des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF). Wenig überraschend wird eine umfassende Transparenz der Rechtsetzungsprozesse gefordert. Eingaben von Interessenvertretern sollen registriert werden und öffentlich zugänglich sein, und ein obligatorisches und sanktionsbewehrtes Lobbyistenregister soll etabliert werden. Transparency International fordert zudem, dass alle an der Rechtsetzung beteiligten Institutionen sämtliche Dokumente veröffentlichen, welche die jeweilige Entscheidungsfindung in ihren unterschiedlichen Phasen betreffen.

In der Studie wird außerdem die Einführung klarer und objektiver Regeln für die Personalrekrutierung empfohlen. Umfassende Vorschriften zum Umgang mit Interessenkonflikten – auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt – sollten für Abgeordnete des Europäischen Parlaments und andere hochrangige EU-Funktionäre geschaffen werden. Nach Ansicht von Transparency International ist die Einrichtung von Ethikräten erforderlich, welche die Einhaltung der Verhaltensregeln zur Integritätssicherung kontrollieren und gegebenenfalls Strafen verhängen können. Alle EU-Institutionen sollten einheitliche Hinweisgebersysteme mit einem anspruchsvollen Whistleblowerschutz etablieren. Die Kommission wird aufgefordert, mehr Firmen, die schwere Verstöße wie Betrug oder Bestechung begangen haben, von der Auftragsvergabe auf EU-Ebene auszuschließen und – wie die Weltbank – die Liste der gesperrten Unternehmen zu veröffentlichen.

Die empfohlenen Maßnahmen sind nachvollziehbar. Leider spielen sie im Europawahlkampf keine nennenswerte Rolle. Bemerkenswert ist aber auch die Feststellung von Transparency International, dass schon viele gute Regelungen zur Korruptionsprävention auf EU-Ebene existieren, die bisher allerdings in der Praxis aus verschiedenen Gründen nicht immer volle Wirkung entfalten konnten. In bestimmten Bereichen ist die in letzter Zeit vielgescholtene EU bereits besser als manche Mitgliedstaaten.

Kapitaleinkommen: Abschaffung des Steuerprivilegs

Von Manfred Gärtner

Die SPD-regierten Bundesländer fordern die Abschaffung der via Abgeltungsteuer privilegierten Behandlung der Kapitaleinkommen und des Bankgeheimnisses. Daran kann man allenfalls kritisieren, dass die Forderung erst jetzt kommt – warum wurde sie nicht im Koalitionsvertrag deponiert? – und, dass sie nicht weit genug geht. Denn die Herausforderung, welche Politik und Wissenschaft zunehmend weniger ignorieren können, lautet: Die Vermögen und Vermögenseinkommen wachsen immer rasanter, während die Arbeitseinkommen stagnieren oder zumindest weit hinterherhinken. Die von Thomas Piketty in „Capital in the Twenty-First Century“ präsentierten langfristigen Zahlenreihen legen nahe, dass es sich hierbei um eine marktwirtschaftlichen Ordnungen inhärente langfristige Dynamik handelt. Dies würde diesen Trend zu einer Zeitbombe machen, die uns bei weiterem Laissez- faire früher oder später um die Ohren fliegt.

Beschleunigt wurde diese Grundtendenz zu ständig anschwellender Ungleichheit in den letzten Jahrzehnten durch die Globalisierung der Kapitalmärkte. Zwar wird kaum infrage gestellt, dass freier Kapitalverkehr das Potenzial hat, den Kuchen des Welteinkommens zu vergrößern und reiche wie arme Länder gleichermaßen besser zu stellen. Aber Theorie und inzwischen vorliegende Erfahrungen warnen auch, dass dies die Arbeitseinkommen in reichen Ländern unter Druck setzt, die nun mit bescheidenerem Kapitaleinsatz erwirtschaftet werden müssen.

Die weltweite Stampede Richtung Deregulierung verbaute vielen Regierungen den Blick für diejenigen, die unter die Hufe gerieten. Stattdessen wurden in den Industrieländern seit Mitte der 1980er Jahre die Spitzensteuersätze um ein Drittel gesenkt. Und zu allem Überfluss hatten die Geschäftsmodelle diverser Steueroasen Deutschland und anderen Ländern ein Abwehrdispositiv aufgezwungen, welches das scheue Kapital in Watte packte und mit vorher nicht bekannten steuerlichen Privilegien von einer Flucht abzuhalten versuchte. Der nur auf den letztgenannten Punkt abzielende Vorstoß der SPD-regierten Länder würde nur den Status quo wiederherstellen und das Gerechtigkeitsdefizit in den Beschlüssen von 2007 beseitigen. Dies geht nicht ohne automatischen Informationsaustausch, denn sonst können die Steuerbehörden Einkommen ja nicht Personen zuordnen, addieren und der Progression unterwerfen. Der Verzicht auf Informationsaustausch war ein Hauptmangel des mit der Schweiz ausgehandelten Steuerabkommens. Statt nur einen Schlussstrich unter die Steuersünden der Vergangenheit zu ziehen, wären Vermögenseinkommen auf Dauer zum Diskonttarif und ohne Progression besteuert worden und die Hände der deutschen Steuerpolitik gefesselt geblieben.

Eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich existierte lange vor der Einführung der Abgeltungsteuer. Will man den Trend stoppen, oder gar umkehren, reicht eine Rückkehr zum Status quo nicht aus. Ein Drehbuch liefert die OECD, die sich bereits 2011 umfassend zu dieser Problematik geäußert hatte. OECD-Generalsekretär Angel Gurría legte in diesen Tagen nach. Eckpunkte seiner Vorschläge sind: Die stärkere Besteuerung von Vermögen. Der gezielte Einsatz von Erbschaftsteuern. Und die Harmonisierung der Besteuerung von Kapital- und Arbeitseinkommen. Womit wir wieder beim Vorstoß der SPD-regierten Länder sind. Wem an einem Minimum an sozialer Kohärenz liegt, wer die Aufgabe einer solidarischen Umverteilung der Einkommen, über deren wünschenswertes Ausmaß man sich streiten kann, nicht ganz aus dem Pflichtenheft des Staates gestrichen sehen will, der kann sich dieser Forderung nicht entziehen. Und wem an der Zukunft der marktwirtschaftlichen Ordnung liegt, der wird sich auch auf eine Diskussion der weitergehenden Forderungen der OECD einlassen müssen.

Hartz IV: Sozialverträgliche Korrekturen

Von Andrey Launov, Klaus Wälde

Die Arbeitsgemeinschaft Rechtsvereinfachung im SGB II unter Federführung der Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat eine Reihe von Empfehlungen erarbeitet, die bis Jahresende in Gesetzesvorlagen münden sollen. Zentral in diesen Vorschlägen sind die angemessene Berücksichtigung von „Einkommen und Vermögen“, das „Verfahrensrecht“ mit dem Schlagwort „Bürokratieabbau“ wie auch die Berücksichtigung von „Kosten der Unterkunft und Heizung sowie Bedarfsgemeinschaften“.

Wenn man sich als Erstes fragt, wie Einkommen und Vermögen bei der Berechnung des Leistungsanspruchs ausreichend berücksichtigt werden, dann zeigen unsere Analysen, wie auch die Analysen anderer Autoren, dass eine weitere Reduktion von Lohnersatzleistungen nicht wünschenswert ist. Dabei sind die Anreiz- und Versicherungsfunktion des Lohnersatzleistungssystems Kernbegriffe.

Bezüglich der Versicherungsfunktion zeigen unsere Studien zur Hartz-IV-Reform, dass der Versicherungsaspekt des Arbeitslosengeldes II (ALG-II) gegen starke Einkommensverluste beachtlich ist. Eine simulierte Verringerung des ALG-II-Betrages führt zu einer spürbaren Reduktion des materiellen Wohlergehens eines Arbeitslosen, selbst wenn alle positiven Effekte eines eventuellen schnelleren Überganges in die Beschäftigung mit einbezogen werden. Dies impliziert, dass eine verstärkte Aktivierung der Hartz-IV-Empfänger durch die Kürzung der Regelleistung einen Schritt in die falsche Richtung darstellt. Eine mäßige Erhöhung der Regelleistungen wäre, bewertet mit einer üblichen sozialen Wohlfahrtsfunktion, hingegen wünschenswert.

Eine solche Verbesserung des Versicherungsmechanismus führt jedoch auch zu einer Verringerung des Anreizes, sich um eine Neubeschäftigung zu bemühen. Ein wirksames Gegeninstrument wäre eine Umstrukturierung der Sanktionen etwa auf Grund unzureichender Eigenbemühungen. Eine Studie mit Bart Cockx et al. zeigt, dass solche Sanktionen zu einer deutlich intensiveren Übergangsdynamik aus der langfristigen Arbeitslosigkeit in die Beschäftigung führt. Sanktionen verfügen offensichtlich über ein nennenswertes Potenzial, was in Kombination mit einer vorsichtigen Erhöhung von ALG-II-Regelleistungen zu aktiveren Bewerbungsbemühungen führen kann, ohne die Versicherungsfunktion des Lohnersatzleistungssystems zu verletzen.

Als zweiten Punkt sei auf die Vereinfachung des Verfahrensrechts hingewiesen. Es gibt sicher einen Zielkonflikt zwischen möglichst genauer Berücksichtigung individueller Umstände bei Bezug von Lohnersatzleistungen auf der einen Seite und bürokratischem Aufwand auf der anderen. Je komplexer ein Regelwerk, desto genauer kann ein Individuum betreut werden. Allerdings steigt dann auch der Zeit- und Organisationsaufwand in den Jobcentern bei der Bearbeitung der Ansprüche von ALG-II-Empfängern. Die Verbesserung von Arbeitsabläufen durch die Hartz-III-Reform – die Umwandlung der Bundesagentur in ein Servicecenter für Arbeitslose – hatte enorm positive Auswirkungen auf die Vermittlungsqualität. Angesichts der Stimmen, die immer wieder die zu komplizierten Regeln zur Gewährung von Hartz-IV-Leistungen betonen, deutet dies darauf hin, dass eine Vereinfachung der Abwicklung weitere positive Erträge erbringen kann. Dabei sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die Vereinfachungen nicht auf Kosten von ALG-II-Empfängern gehen. Der Gesetzgeber kann also in der Umsetzung der Vorschläge darauf achten, dass eine Vereinfachung der Regelungen so gestaltet wird, dass dadurch niemand schlechter gestellt wird.

Pflegereform: Fehlkonzipierter Vorsorgefonds

Von Heinz Rothgang

Als Teil der aktuellen Pflegereform wird ein „Pflegevorsorgefonds“ eingeführt, der „der langfristigen Stabilisierung der Beitragsentwicklung in der sozialen Pflegeversicherung“ dienen und dazu beitragen soll, „übermäßige Beitragssatzsteigerungen in Zeiten besonderer demografiebedingter Belastungen zu vermeiden“. Hierzu soll von 2015 bis 2034 jeweils 0,1% der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder in ein Sondervermögen eingezahlt werden. Der zwanzigste Teil der Ende 2034 akkumulierten Summe soll dann ab 2035 jedes Jahr der Sozialen Pflegeversicherung zur Vermeidung von Beitragssatzsteigerungen zur Verfügung gestellt werden. Ist die Einführung kapitalgedeckter Elemente in der Pflegeversicherung schon grundsätzlich kritisch zu sehen, ist dieser Versuch konzeptionell verfehlt und ungeeignet seine Funktion zu erfüllen.

Erstens bestehen erhebliche Zweifel daran, die im Fonds angesparten Rücklagen dauerhaft vor dem Zugriff der Tagespolitik sichern zu können. Dies betont auch die Deutsche Bundesbank, die Hüterin dieses Sondervermögens werden soll und schreibt: „Nicht zuletzt die aktuelle Erfahrung zeigt, dass Rücklagen bei den Sozialversicherungen offenbar Begehrlichkeiten entweder in Richtung höherer Leistungsausgaben oder auch zur Finanzierung von Projekten des Bundes wecken. Zweifel an der Nachhaltigkeit einer kollektiven Vermögensbildung unter staatlicher Kontrolle erscheinen umso eher angebracht, je unspezifischer die Verwendung der Rücklagen festgelegt wird.“

Selbst wenn der Fonds wie geplant funktioniert und wenn wir von Kapitalmarktrisiken absehen, ist der Effekt vernachlässigbar und trägt nicht zur „Vermeidung übermäßiger Beitragssatzsteigerungen“ bei. Je nach Wachstum der Grundlohnsumme und der Kapitalverzinsung liegt der Vermögensbestand Ende 2034 zwischen 24 Mrd. Euro und 44 Mrd. Euro bei jeweils 0% bzw. 3% Wachstum. Die Ausschüttung des zwanzigsten Teils dieses Vermögens führt dann zu einer Beitragssatzreduktion von rund 0,1 Beitragssatzpunkten, die – bei steigender Grundlohnsumme – im Zeitverlauf weiter abnimmt. Bei einem Beitragssatz, der dann bei rund 4 Beitragssatzpunkten liegen dürfte, fällt diese Reduktion nicht ins Gewicht.

Auch erhöhte Kapitalanlagen produzieren keinen nachhaltigen Effekt, da der Entlastungseffekt nur temporär ist. Die Begründung dafür, nur über 20 Jahre Rücklagen zu bilden und diese dann wieder aufzuzehren, beruht auf der Fehlkonzeption, dass es in der Pflegeversicherung einen „Belastungsberg“ gebe, der „untertunnelt“ werden könne. Tatsächlich wird die Zahl der Pflegebedürftigen bis Ende der 2050er Jahre steigen und dann wieder sinken. Allerdings sinkt gleichzeitig auch die Zahl der Beitragszahler. Der Beitragssatz zur Sozialen Pflegeversicherung wird daher – ceteris paribus – auch in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts nicht sinken, sondern den entsprechenden Vorausberechnungen zufolge sogar noch leicht ansteigen. Bezogen auf den Beitragssatz haben wir es daher nicht mit einem „Belastungsberg“ zu tun, sondern mit dem Anstieg auf ein Hochplateau, so dass eine „Untertunnelung“ nicht möglich ist. So wie er geplant ist, ist der Vorsorgefonds genau dann leer, wenn die höchste Zahl der Pflegebedürftigen erreicht wird, und die – nach den derzeitigen Planungen sowieso nur minimale – Reduktion des Beitragssatzes läuft danach aus, ohne dass es zu einer Beitragssatzreduktion aufgrund demografischer Entwicklungen kommt. Im Ergebnis führt der Fonds daher lediglich dazu, dass der Beitragssatz während eines Zeitraums von 20 Jahren um 0,1 Beitragssatzpunkte höher ist als ohne ihn, danach während eines ähnlich langen Zeitraums um 0,1 Beitragssatzpunkte niedriger ist als ohne ihn, um schließlich wieder genau auf dem Beitragssatzpfad zu landen, der sich auch ohne den Fonds ergeben hätte. Mit einer „langfristigen Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung“ hat das sicherlich nichts zu tun.


DOI: 10.1007/s10273-014-1674-x

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