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In der Juniausgabe 2015 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz von Christian A. Conrad über „Die Auswirkungen der Spekulation mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen“. Hier die Replik von Ingo Pies.

Spekulation mit Agrarrohstoffen – eine Replik

Von Ingo Pies

In seinem Artikel,1 auf den ich hier repliziere, behandelt Christian A. Conrad ein Thema, das mich in den letzten Jahren stark beschäftigt hat.

Im Jahr 2011 schlossen sich in Deutschland mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen zu einer Gemeinschaftskampagne zusammen. Unter dem Titel „Mit Essen spielt man nicht!“ erhoben sie den Vorwurf, es gebe eine „erdrückende Evidenz“, dass Indexfonds durch ihre Terminmarktspekulation mit Agrarrohstoffen zur Explosion der Nahrungsmittelpreise beitragen und in Entwicklungsländern Hungerkrisen auslösen bzw. verstärken.2 Ich habe mich zu dieser Kampagne erstmals im Sommer 2012 öffentlich geäußert und kritisch Stellung bezogen, mit zwei Argumenten.3 Mein erstes Argument richtete sich gegen den Versuch, die Wissenschaft für die in der Kampagne favorisierte Diagnose und Therapie zu vereinnahmen. Ich habe darauf hingewiesen, dass der Mainstream der wissenschaftlichen Literatur die in der Tat besorgniserregenden Preissteigerungen primär nicht auf finanzwirtschaftliche, sondern auf realwirtschaftliche Ursachen zurückführt und dass insbesondere Agrarökonomen den kritisierten Indexfonds zugutehalten, dass diese eine Versicherungsfunktion übernehmen, die es landwirtschaftlichen Produzenten ermöglicht, sich vor Preisrisiken zu schützen. Ferner habe ich darauf aufmerksam gemacht, dass Wissenschaftler genau deshalb der Forderung, die Terminmarktgeschäfte der Indexfonds per Verbot oder per strikter Regulierung zu unterbinden, tendenziell ablehnend gegenüberstehen. Mein zweites Argument betraf das mangelhafte Qualitätsmanagement der Kampagne und mögliche Kollateralschäden für den zivilgesellschaftlichen Sektor. Es besagte, dass eine Kampagne, die inhaltlich auf tönernen Füßen steht, die Gefahr heraufbeschwört, die Glaubwürdigkeit der beteiligten Organisationen, aber auch das Vertrauen in die Zivilgesellschaft insgesamt zu unterminieren.

Diese Stellungnahme hat in der Öffentlichkeit heftige Reaktionen ausgelöst, bis hin zu dem Versuch, meine Kompetenz als Ökonom, aber auch meine Integrität als Wirtschaftsethiker in Zweifel zu ziehen.

Daraufhin habe ich im Herbst 2012 argumentativ nachgelegt: Zur Fundierung insbesondere des ersten Arguments hat mein Lehrstuhl für Wirtschaftsethik in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus dem ebenfalls in Halle beheimateten Leibniz-Forschungsinstitut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) eine wissenschaftliche Auswertung der internationalen Forschungsliteratur erarbeitet und deren Ergebnisse in die politische Auseinandersetzung eingespeist.4

Wie schon nach meiner ersten öffentlichen Stellungnahme zur Gemeinschaftskampagne gegen Indexfonds war auch hier wieder das gleiche Reaktionsmuster zu beobachten.5 Einige der kritisierten zivilgesellschaftlichen Akteure versuchten, die von uns angestrebte inhaltliche Auseinandersetzung zu vermeiden, indem sie die im Kampf um die öffentliche Meinung mittlerweile üblich gewordenen Abwehr- und Abwertungsstrategien zum Einsatz brachten: Im politischen Diskurs wurde die Behauptung aufgestellt, unsere wissenschaftliche Literaturauswertung sei einseitig, fehlerhaft und manipulativ. Wichtig war vor allem, dafür zu sorgen, dass in der medialen Berichterstattung unserer Studie das Etikett „umstritten“ angeheftet werden konnte.

Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass es allgemein aufschlussreich sein könnte, sich mit dem Text von Conrad näher zu beschäftigen. Meine kritischen Bemerkungen sind in drei Abschnitte gegliedert. Sie betreffen drei neuralgische Punkte, die geeignet sind, ein Diskursversagen vorzuprogrammieren und damit wechselseitiges Lernen sowie Konsensbildung zu erschweren. Meines Erachtens fehlt es dem Text von Conrad an sorgfältiger Recherche, an Verständnis dafür, dass ein Text zur politischen Meinungsbildung andere Anforderungen zu erfüllen hat als ein Text zur wissenschaftlichen Forschung, und schließlich fehlt es sogar an einer akkuraten Wiedergabe der widerstreitenden Positionen.

Sorgfältig recherchieren

Conrad referiert eine Aussage von mir, die sich auf ein bestimmtes Muster von Rohstoffpreisentwicklungen bezieht. In der zugehörigen Fußnote zitiert er die Quelle, der er meine Aussage entnimmt. Und dann fügt er folgenden Text an: „Pies liefert leider für diese Behauptung keine Belege und nennt auch nicht die Rohstoffe, auf die er sich bezieht.“6 Eine solche Rüge ist geeignet, bei den Lesern den Eindruck hervorzurufen, ich sei von Conrad dabei erwischt worden, ungedeckte Schecks auszustellen, also diffuse Behauptungen in die Welt zu setzen, die sich nicht nachprüfen lassen und die möglicherweise sogar falsch sind. Für einen Wissenschaftler wäre dies in der Tat ein schwerer handwerklicher Fehler. Doch ein Fauxpas ist in Wirklichkeit nicht mir, sondern Conrad unterlaufen. Er lässt nämlich unberücksichtigt, dass es sich bei der von ihm zitierten Quelle um einen Zeitungsartikel handelt, genauer: um ein Diskussionspapier meines Lehrstuhls, das transparent ausweist, dass es den um einen Appendix erweiterten Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung enthält, mit dem ich mich im Sommer 2012 an die Öffentlichkeit gewandt hatte.7 In Deutschland ist es nicht üblich, dass Artikel in Tageszeitungen mit Belegfußnoten versehen werden.

Würde man meine wissenschaftlichen Publikationen zu Rate ziehen, hätte man übrigens leicht fündig werden können. Beispielsweise im Wirtschaftsdienst. Hier habe ich gemeinsam mit meinen Koautoren einen Aufsatz veröffentlicht, der genau dieses Argument – natürlich mitsamt Quellenangabe – inhaltlich ausführlich erläutert.8 Interessanterweise zitiert Conrad in einem anderen Zusammenhang das zugehörige Diskussionspapier zu unserem Wirtschaftsdienst-Artikel.9 Dort bezieht er sich auf S. 2 unseres Textes. Hätte er weitergelesen, wären ihm die inhaltlichen Argumente samt Quellenbeleg nicht entgangen. Sie finden sich ebendort auf S. 3.

Wissenschaftlichen und politischen Diskurs auseinanderhalten

Conrad berichtet in seinem Artikel darüber, dass unsere wissenschaftliche Literaturauswertung im politischen Diskurs scharf kritisiert worden ist, unter anderem von der Organisation WEED: „Weed ... wirft Pies vor, wichtige spekulationskritische Studien nicht berücksichtigt zu haben und parteiisch einseitig die spekulationskritischen Studien zu kritisieren.“10 Er berichtet jedoch nicht darüber, dass diese Vorwürfe unhaltbar und deshalb leicht zu widerlegen sind. Jedenfalls lässt er unerwähnt, mit welchen Argumenten ich dieser trommelfeuerartig kommunizierten Kritik wiederholt begegnet bin.11

Zudem verweist Conrad auf die von WEED vorgelegte Auflistung von angeblich über 100 spekulationskritischen Studien. In der Tat spielt diese von Markus Henn erstellte WEED-Liste in der zivilgesellschaftlichen Kampagne gegen die Finanzspekulation mit Agrarrohstoffen eine bedeutende Rolle, weil sie immer wieder als vermeintlich verlässliche Referenzposition angeführt wird.12 In der medialen Berichterstattung wird oft sogar so getan, als sei diese Auflistung über jeden Zweifel erhaben, während die von meinen Koautoren und mir vorgelegte wissenschaftliche Literaturauswertung als „umstritten“ dargestellt wird. Der Text von Conrad ist geeignet, genau diesen Eindruck zu verstärken. Deshalb sind einige Erläuterungen angebracht:

  • Erstens hat Markus Henn seine WEED-Liste auf meine Anregung hin gründlich überarbeitet.13 In ihrer ursprünglichen Form war sie ein Sammelsurium wissenschaftlicher und nicht-wissenschaftlicher Stellungnahmen. Meiner Anregung folgend, wird nun klar unterschieden zwischen Studien mit Peer Review, wissenschaftlichen Diskussionspapieren und sonstigen Stellungnahmen. Das ist ein großer Fortschritt. Dennoch ist die WEED-Liste auch in ihrer jetzt vorliegenden Form immer noch fehlerhaft und irreführend, weil die von Henn als Beleg angeführten Kurzzitate gelegentlich einen anderen Eindruck vermitteln, als es der argumentativen Stoßrichtung der zitierten Arbeit entsprechen würde.14
  • Zweitens möchte ich mein Befremden kundtun, dass die auf Kurzzitate gestützte Auflistung einer Lobbyorganisation unserer inhaltlich fundierten Literaturauswertung so gegenübergestellt wird, als handele es sich um Veröffentlichungen gleichrangiger Qualität. Im Text von Conrad fehlt eine angemessene Differenzierung zwischen politischem und wissenschaftlichem Diskurs. Die von WEED ins Internet gestellte Liste suggeriert eine überwältigende wissenschaftliche Evidenz, die es nicht gibt. Nach eingehender Prüfung hat mich keine einzige der dort aufgeführten Studien davon überzeugen können, dass „erdrückende Belege“ für spekulationskritische Befunde vorliegen, die im Hinblick auf die Welternährungslage Anlass zur Sorge geben und mithin eine strenge Regulierung – oder gar ein Verbot – der von Indexfonds betriebenen Terminmarktgeschäfte mit Agrarrohstoffen rechtfertigen würden.15
  • Drittens möchte ich zum Text von Conrad kritisch anmerken, dass unter der Ankündigung, „auf der Basis des aktuellen Forschungsstands“16 zu dieser öffentlichen Debatte Stellung zu nehmen, immer wieder meine Zeitungsartikel zitiert werden, nicht jedoch die Forschungsarbeiten, die ich – vor allem auch gemeinsam mit diversen Koautoren – zwischenzeitlich vorgelegt habe. Ich will an dieser Stelle nur auf ein einziges Forschungsergebnis verweisen, das mir doch eine gewisse Bedeutung für die strittige Einschätzung der Indexfonds zu haben scheint: Wir haben schlüssig nachgewiesen, dass Indexfonds die ihnen zur Last gelegten Auswirkungen gar nicht haben konnten. Aufgrund ihrer internen Funktionsweise werden Preisausschläge im Markt nicht verstärkt, sondern abgedämpft, weil Indexfonds im Rahmen eines periodisch vorgenommenen „re-balancing“ teurer gewordene Titel verkaufen und billiger gewordene Titel hinzukaufen.17 Insofern kann ich besten Wissens und Gewissens nur wiederholen, dass es sich bei dem zivilgesellschaftlichen Alarm um einen Fehlalarm handelt.

Korrekte Wiedergabe

Kritisch hinweisen möchte ich auf die Montagetechnik, mit der Conrad einzelne meiner Aussagen aus ihrem ursprünglichen Kontext isoliert, sie in einen neuen Zusammenhang stellt und dann mit Kommentaren versieht, die der Sache nicht gerecht werden. Auf diese Weise werden mir sogar Positionen untergeschoben, die ich nie vertreten habe. Das Ergebnis dieser Montagetechnik ist also hochgradig irreführend und verletzt damit die Standards wissenschaftlicher Seriosität.

Ich will diesen Vorwurf sogleich mit zwei Beispielen belegen: Auf S. 434 schreibt Conrad: „Oft wird auch argumentiert, dass bei einer Blasenbildung andere Marktteilnehmer das Abweichen von den Fundamentaldaten als Gewinnpotenzial erkennen und spekulative Gegenpositionen bilden. Dies würde dann gegen eine Blasenbildung wirken.“ Dann erfolgt ein Fußnotenverweis auf meinen Zeitungsartikel. Und dann schreibt Conrad weiter: „Dem widerspricht die New-Behavioral-Finance-Theorie, die davon ausgeht, dass Anlegerverhalten irrational sein kann.“

Diese Montage stellt meine Argumentation geradewegs auf den Kopf. Die sieht nämlich so aus: Konfrontiert mit der Behauptung, die starken Preissteigerungen seien eine durch die Terminmarktspekulation der Indexfonds ausgelöste Blase, habe ich folgende Gedankenkette entwickelt:

  • Blasen sind generell möglich, im konkreten Fall aber aus theoretischen Gründen wenig wahrscheinlich. Das hat mit den Besonderheiten von Agrarrohstoffen zu tun, wenn man sie etwa mit Immobilien vergleicht: Sie sind nicht lange lagerfähig und deshalb dafür bestimmt, innerhalb weniger Jahre verbraucht zu werden. Zudem sind sie ein vergleichsweise homogenes Gut, für das es einen Weltmarkt gibt, auf dem hohe Transparenz herrscht und extrem viele Anbieter und Marktbeobachter tätig sind. Trotzdem sind Blasen rein theoretisch nicht grundsätzlich auszuschließen. Deshalb muss man diesen Fall empirisch prüfen.
  • Mit bloßem Augenschein erkennt man einige Merkwürdigkeiten, die nicht zur Diagnose passen, die Preisentwicklung der Agrarrohstoffe sei durch Blasenbildung verursacht worden. Hier spielt die eingangs zitierte Aussage eine Rolle, dass das Muster der Preisentwicklung diverser Agrarrohstoffe anders war, als man es infolge einer Terminmarktblase erwarten würde. Auch die Entwicklung der Lagerbildung spricht eher dagegen. Hinzu kommen bedeutende Time-lags zwischen dem Anstieg des Indexvolumens und dem Anstieg der Terminmarktpreise. Aber all das sind nur Indizien. Deshalb darf man sich nicht auf den bloßen Augenschein verlassen, sondern muss ökonometrische Studien durchführen.
  • Die bisher vorliegenden ökonometrischen Studien liefern keine belastbare Evidenz und schon gar keine „erdrückenden Belege“, die die politische Forderung nach einem Verbot der Indexfonds rechtfertigen würden.

Ich habe meine Sichtweise also in Kenntnis und in inhaltlicher Auseinandersetzung mit der Literatur zur Blasenbildung entwickelt. Insofern dreht Conrad mit seiner Darstellung die Reihenfolge von Argument und Gegenargument um. Dies erweckt den Eindruck, ich sei durch die neuere verhaltenswissenschaftliche Literatur widerlegt. Die verhaltenswissenschaftliche Literatur aber weist zunächst einmal nur die theoretische Möglichkeit einer Blasenbildung nach, und die bloße Möglichkeit habe ich ja in meiner Argumentation von vornherein konzediert. Sie ist der Ausgangspunkt meines Gedankengangs!

Die gerade ausgeführte Skizze meiner drei Argumente umfassenden Gedankenkette lässt schnell deutlich werden, dass der Aspekt der Lagerhaltung für mich zu einer Gruppe von Indizien gehört, die mich an der These einer Spekulationsblase von vornherein zweifeln lassen. Im Prinzip ist es möglich, dass auf dem Kassamarkt die Preise deshalb explodieren, weil sich auf dem Terminmarkt eine Spekulationsblase aufgebaut hat. Dies setzt aber voraus, dass es einen Wirkungskanal gibt, durch den die hohen Terminmarktpreise auf hohe Kassamarktpreise durchschlagen. Dieser Wirkungskanal ist die Lagerhaltung: Wenn ein Landwirt hohe Terminmarktpreise beobachtet, wird er dazu tendieren, seine Erntemenge nicht heute zum niedrigen Kassapreis, sondern später zu dem weitaus höheren Kassapreis zu verkaufen, den er aufgrund des Terminmarktsignals für die Zukunft erwartet. Folglich wird er die Erntemenge lagern. Dies verringert das Angebot und lässt die heutigen Kassapreise steigen. So gesehen, wäre zu erwarten gewesen, dass infolge einer Blasenbildung die Lagermengen im fraglichen Zeitraum stark ansteigen mussten. Genau das aber war empirisch nicht zu beobachten. Ich werte dies – im Einklang mit namhaften Agrarökonomen18 – als ein wichtiges Indiz, das gegen die These einer Spekulationsblase spricht.

Conrad schreibt zu dieser Argumentation nun Folgendes: „Für die Agrarmärkte meint Pies anhand von Weizen eine gesunkene Lagerhaltung bis 2008 festzustellen. Allerdings gibt er selbst an, dass die Daten unvollständig sind, weil viele private Läger nicht gemeldet werden. Selbst, wenn die Lagerkapazitäten nicht gestiegen wären, lässt sich hieraus allerdings nicht ableiten, dass die Spekulation nicht zugenommen hat.“19 Im ersten Satz verwendet Conrad eine Formulierung, mit der er sich von meiner Tatsachenaussage distanziert. Er schreibt nicht, dass Pies etwas feststellt, sondern dass Pies etwas festzustellen „meint“. Dies verstärkt den schon an anderer Stelle vermittelten Eindruck, als würde ich ungeschützt Tatsachenbehauptungen in die Welt setzen, an denen zu zweifeln sei. Dabei ist die Datenlage klar und unstrittig: Das internationale Lagerhaltungsniveau für Weizen war im Vorfeld der Krise gesunken und befand sich auf einem extrem niedrigen Stand, wie man leicht an einer Grafik erkennen kann, die dem Aufsatz beigefügt ist, aus dem Conrad meine Aussage zitiert.20 Vor diesem Hintergrund ist die von Conrad gewählte Formulierung, dass ich hier etwas festzustellen meine, nicht nur tendenziös und unfair, sondern auch inhaltlich irreführend.

Im zweiten Satz gibt Conrad zutreffend wieder, dass ich die Fakten, auf die ich mich berufe, kritisch einzuschätzen weiß. Allerdings verschweigt er, warum man in Kenntnis des von ihm korrekt referierten Einwands dennoch davon ausgehen kann, dass die statistisch verfügbaren Daten ein wichtiges Indiz sind: Für das hier interessierende Argument ist nicht das absolute Niveau der Lagerhaltung entscheidend, sondern die Veränderung des Niveaus im Zeitablauf. Geht man davon aus, dass die Messfehler konstant sind, kann man trotz fehlerhafter Datengrundlage erkennen, dass das Lagermuster nicht zur These einer Spekulationsblase passt. Der dritte Satz erweckt den Eindruck, als formuliere Conrad hier ein Argument gegen meine Sichtweise. Damit wird mir implizit die Auffassung untergeschoben, ich würde von einer Nicht-Zunahme der Lagerhaltungsniveaus auf eine Nicht-Zunahme des Spekulationsvolumens schließen. Dies ist eine groteske Verzerrung meiner Argumentation.

Fakt ist: Das Geschäftsvolumen der Indexfonds hat im Vorfeld der Preisexplosion zugenommen. Ich habe das nie bestritten, sondern vielmehr dokumentiert, und zwar genau in dem – mit Koautoren verfassten – Aufsatz, den Conrad hier zitiert.21 Fakt ist aber auch: Ich schließe von der – tatsächlich festgestellten – Nicht-Zunahme der Lagerhaltungsniveaus darauf, dass dies ein Indiz gegen das öffentlich vermutete Überschwappen einer Blasenbildung vom Terminmarkt zum Kassamarkt ist und dass dieses Indiz – gemeinsam mit weiteren Indizien – den Schluss nahelegt, dass der gesamte Sachverhalt einer sorgfältigen ökonometrischen Überprüfung bedarf.

Fazit

Ich vertrete die These, dass ökonometrische Studien von wissenschaftlicher Qualität bislang keine belastbare Evidenz und schon gar keine „erdrückenden Belege“ erbracht haben, dass die von Indexfonds getätigten Terminmarktgeschäfte mit Agrarrohstoffen zu besorgniserregenden Effekten geführt hätten, denen nun dringend regulatorisch Einhalt geboten werden müsste. Diese These stützt sich auf eine gemeinsam mit Koautoren vorgelegte Literaturauswertung, die im Herbst 2012 erstellt wurde und im Laufe des Jahres 2013 in einer ökonomischen Zeitschrift publiziert worden ist.22

Man mag diese Einschätzung nicht teilen und sie inhaltlich kritisieren. Aber der bloße Hinweis darauf, dass die von uns zahlreicher Fehler und Falschargumente überführten Lobbyorganisationen unsere wissenschaftliche Literaturauswertung nicht gut finden, dürfte dafür nicht ausreichen. Von einem Wirtschaftsdienst-Artikel, der in Kenntnis unserer These den Anspruch erhebt, „auf der Basis des aktuellen Forschungsstands“23 Stellung zu nehmen und der dann die Einschätzung formuliert, hier gehe es da-rum, „eine[r] unkontrollierbare[n], marktverzerrende[n] und systemgefährdende[n] Spekulation“24 entgegenzutreten, würde man eigentlich mehr erwarten. Doch solche Erwartungen werden enttäuscht: Weder wird die mit unserer Literaturauswertung transparent auf den Tisch gelegte empirische Evidenz entkräftet, noch wird auf etwaige neuere Erkenntnisse verwiesen, die den hier geäußerten Verdacht empirisch belegen. Stattdessen liest man eine Reihe von locker assoziierten Möglichkeitserwägungen, die den ökonometrischen Nachweis schuldig bleiben. Insofern fehlt es auch an einer nachvollziehbaren Begründung für die im Text aufgestellte Behauptung, hier bestehe ein dringlicher Regulierungsbedarf zur Begrenzung der Spekulation.

Meine Replik bezieht sich aber nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form. Einer sachorientierten Auseinandersetzung ist es nicht angemessen und auch nicht förderlich, so zu verfahren, wie Christian A. Conrad es in seinem Artikel tut. Hier mangelt es an gründlicher Recherche sowie an einem sorgfältigen Literaturstudium. Ferner mangelt es an einer klaren Differenzierung zwischen politischem und wissenschaftlichem Diskurs. Zudem gibt es in seinem Text mehrere Passagen, in denen mir Positionen untergeschoben werden, die ich nicht vertrete.

Vor diesem Hintergrund möchte ich Herrn Conrad zurufen, was ich bereits Vertretern der Zivilgesellschaft zugerufen habe: Bitte gründlicher recherchieren! Bitte sachlicher argumentieren! Bitte die Wissenschaft nicht für Positionen in Anspruch nehmen, die dem aktuellen Forschungsstand widersprechen!

  • 1 Vgl. C. A. Conrad: Die Auswirkungen der Spekulation mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 6, S. 429-435.
  • 2 Vgl. hierzu ausführlich und mit zahlreichen Belegen I. Pies: Die zivilgesellschaftliche Kampagne gegen Finanzspekulationen mit Agrarrohstoffen – Eine wirtschaftsethische Stellungnahme, in: I. Pies (Hrsg.): Das weite Feld der Ökonomik: Von der Wirtschaftsforschung und Wirtschaftspolitik bis zur Politischen Ökonomik und Wirtschaftsethik, Stuttgart 2013, S. 57-90.
  • 3 Vgl. I. Pies: Die Moral der Agrar-Spekulation, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 31.8.2012, Nr. 203, S. 12, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/menschen-wirtschaft/lebensmittelpreise-die-moral-der-agrar-spekulation-11873351.html (3.7.2015). Vgl. ergänzend auch I. Pies: Ethik der Spekulation: Wie (un-)moralisch sind Finanzmarktgeschäfte mit Agrarrohstoffen? – Ein ausführliches Interview mit einem Ausblick auf die Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen, Diskussionspapier Nr. 2012-12 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle 2012, http://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=25700&elem=2599037 (3.7.2015).
  • 4 Für die mit der üblichen Zeitverzögerung publizierte Zeitschriftenversion vgl. M. G. Will, S. Prehn, I. Pies, T. Glauben: Schadet oder nützt die Finanzspekulation mit Agrarrohstoffen? – Ein Literaturüberblick zum aktuellen Stand der empirischen Forschung, in: List Forum für Finanz- und Wirtschaftspolitik, 39. Jg. (2013), Nr. 1, S. 16-45. Zur Öffentlichkeitswirkung unserer Studie trug sicher das IAMO Policy Brief bei, vgl. T. Glauben, I. Pies, S. Prehn, M. G. Will: Alarm oder Fehlalarm? Ergebnisse eines Literaturüberblicks über empirische Forschungsarbeiten zur Finanzspekulation mit Agrarrohstoffen, IAMO Policy Brief, Nr. 9, Halle 2012, http://www.iamo.de/fileadmin/documents/IAMOPolicyBrief9_de.pdf (3.7.2015), aber auch J. Althammer: Offener Brief an Bundespräsident Gauck, unterzeichnet von 40 Wissenschaftlern, datiert auf den 19. Dezember 2012, http://www.iamo.de/fileadmin/institute/pub/offenerbrief-gauck.pdf (3.7.2015).
  • 5 Für einen Überblick hierzu mit zahlreichen Belegen vgl. I. Pies: Ethik der Agrarspekulation: Rückblick und Ausblick, Diskussionspapier Nr. 2013-7 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle 2013, http://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=27817&elem=2641179 (3.7.2015).
  • 6 C. A. Conrad, a.a.O., S. 431, Fn. 15.
  • 7 Vgl. I. Pies: Wirtschaftsethik konkret: Wie (un)moralisch ist die Spekulation mit Agrarrohstoffen?, Diskussionspapier Nr. 2012-15 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle. Wieder abgedruckt in: I. Pies (Hrsg.): Guter Rat muss nicht teuer sein, in: Ordonomische Schriften zur Politikberatung, Bd. 2, Berlin 2015, S. 283-295.
  • 8 Vgl. I. Pies, S. Prehn, T. Glauben, M. G. Will: Nahrungssicherheit und Agrarspekulation: Was ist politisch zu tun?, in: Wirtschaftsdienst, 93. Jg. (2013), H. 2, S. 106.
  • 9 Vgl. I. Pies, S. Prehn, T. Glauben, M. G. Will: Kurzdarstellung Agrarspekulation, Diskussionspapier Nr. 2013-2 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle 2013, http://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=27545&elem=2636563 (3.7.2015).
  • 10 C. A. Conrad, a.a.O., S. 433.
  • 11 Vgl. I. Pies: Ethik der Agrarspekulation …, a.a.O.; sowie I. Pies, T. Glauben: Wissenschaftliche Stellungnahme zum Argumentationspapier von Foodwatch, Diskussionspapier Nr. 2013-26 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle 2013, http://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=32439&elem=2734431 (3.7.2015).
  • 12 Vgl. statt vieler nur H.-H. Bass: Spekulation mit Nahrungsmitteln: Wo steht die Wissenschaft?, in: Standpunkt 1/2013 der Welthungerhilfe, S. 31, Fn. 57, http://www.m.welthungerhilfe.de/fileadmin/user_upload/Mediathek/Hintergrundinfo/Studien/042013-Bass-Nahrungsmittelspekulation.pdf. (3.7.2015): „Hinweise auf weitere Studien von Indexinvestment-Skeptikern lassen sich leicht entnehmen aus der verdienstvollen, ständig aktualisierten Arbeit von M. Henn“.
  • 13 Vgl. hierzu den Austausch Offener Briefe, dokumentiert in I. Pies: Offener Brief an Markus Henn (WEED), Diskussionspapier Nr. 2012-16 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle 2012, http://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=25959&elem=2603907 (3.7.2015); und ders.: Zweiter Offener Brief an Markus Henn (WEED), Diskussionspapier Nr. 2012-17 des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle 2012, http://wcms.itz.uni-halle.de/download.php?down=26222&elem=2608520 (3.7.2015).
  • 14 Dies gilt beispielsweise für die Beiträge C. L. Gilbert: How to Understand High Food Prices, in: Journal of Agricultural Economics, 61. Jg. (2010), Nr. 2, S. 398-425, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1477-9552.2010.00248.x/full (3.7.2015); A. Borin, V. Di Nino: The role of financial investments in agricultural commodity derivatives markets, Diskussionspapier Nr. 849, 2012, http://www.bancaditalia.it/pubblicazioni/temi-discussione/2012/2012-0849/en_tema_849.pdf?language_id=1 (3.7.2015); sowie Y. Tse, M. Williams: Does Index Speculation Impact Commodity Prices? An Intraday Analysis, in: The Financial Review, 48. Jg. (2013), Nr. 3, S. 365-383, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/fire.12007/epdf (3.7.2015).
  • 15 Diese nicht-alarmistische Einschätzung wird durch neuere Forschungsarbeiten weiter untermauert. Vgl. z.B. P. Adämmer, M. T. Bohl: Speculative Bubbles in Agricultural Prices, in: The Quarterly Review of Economics and Finance, 55. Jg. (2015), Nr. 1, S. 67-76; N. M. Aulerich, S. H. Irwin, P. Garcia: Bubbles, Food Prices, and Speculation: Evidence from the CFTC’s Daily Large Trader Files, NBER Working Paper, Nr. 19065, 2013, http://www.nber.org/papers/w19065 (3.7.2015); M. T. Bohl, J. Farrukh, P. M. Stephan: Do Commodity Index Traders Destabilize Agricultural Futures Prices?, in: Applied Economics Quarterly, 59. Jg. (2013), Nr. 2, S. 125-148; M. T. Bohl, P. M. Stephan: Does Futures Speculation Destabilize Spot Prices? New Evidence for Commodity Markets, in: Journal of Agricultural and Applied Economics, 45. Jg. (2013), H. 4, S. 595-616; X. L. Etienne, S. H. Irwin, P. Garcia: Price Explosiveness, Speculation, and Grain Futures Prices, in: American Journal of Agricultural Economics, 97. Jg. (2015), H. 1, S. 65-87; J. D. Hamilton, J. C. Wu: Effects of Index-Fund Investing on Commodity Futures Prices, in: International Economic Review, 56. Jg. (2015), Nr. 1, S. 187-205; I. H. Scott: Commodity index investment and food prices: does the „Masters Hypothesis“ explain recent price spikes?, in: Agricultural Economics, 44. Jg. (2013), H. s1, S. 29-41, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/agec.12048/epdf (3.7.2015); J. Joerin, R. Joerin: Reviewing the similarities of the 2007-08 and 1972-74 food crisis, Diskussionspapier, 2013, http://bit.ly/1MvLuKc (27.7.2015); und ferner D. R. Sanders, H. I. Scott: Do Index Traders Drive Commodity Futures Prices? New Evidence from Daily Position Data, Invited paper presented at the Agricultural and Applied Economics Association Meetings, Washington DC, 4.-6. August 2013, http://bit.ly/1et2u4M (27.7.3015); sowie dies.: The „Necessity“ of New Position Limits in Agricultural Futures Markets: The Verdict from Daily Firm-level Position Data, in: Applied Economic Perspectives and Policy (2015, im Druck).
  • 16 C. A. Conrad, a.a.O., S. 429.
  • 17 Vgl. S. Prehn, T. Glauben, I. Pies, M. Will, J.-P. Loy: Betreiben Indexfonds Agrarspekulation? Erläuterungen zum Geschäftsmodell und zum weiteren Forschungsbedarf, in: ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 64, 2014, S. 421-441; sowie für die öffentliche Kommunikation T. Glauben et al.: Agrarspekulation mit Indexfonds: Wie sie funktioniert. Was sie bewirkt, IAMO Policy Brief, Nr. 12, Halle 2013, http://www.iamo.de/fileadmin/documents/IAMOPolicyBrief12_de.pdf (3.7.2015).
  • 18 Vgl. z.B. B. D. Wright: The Economics of Grain Price Volatility, in: Applied Economic Perspectives and Policy, 33. Jg. (2011), Nr. 1, S. 32-58, http://aepp.oxfordjournals.org/content/33/1/32.full.pdf+html (3.7.2015).
  • 19 C. A. Conrad, a.a.O., S. 431.
  • 20 Vgl. I. Pies et al.: Kurzdarstellung Agrarspekulation …, a.a.O., S. 106, Abb. 3.
  • 21 Vgl. ebenda, Abb. 4.
  • 22 Vgl. M. G. Will et al.: Schadet oder nützt die Finanzspekulation …, a.a.O. Eine ähnlich nicht-alarmistische These im Hinblick auf andere Rohstoffe, vor allem Öl, vertreten beispielsweise A. Colognia, E. Scarpaa, F. G. Sitziaa: Big Fish: Oil Markets and Speculation, Working Paper, 2015, https://www.researchgate.net/profile/Alessandro_Cologni/publication/278156736_Big_Fish_Oil_Markets_and_Speculation/links/557c3d8608aec87640db4bd7.pdf (3.7.2015); sowie B. Fattouh, L. Kilian, L. Mahadeva: The Role of Speculation in Oil Markets: What Have We Learned So Far?, Diskussionspapier, 2012, http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.366.5785&rep=rep1&type=pdf (3.7.2015). Vgl. T. Heidorn, F. Mokinski, C. Rühl, C. Schmaltz: The impact of fundamental and financial traders on the term structure of oil, Working Paper Series, Frankfurt School of Finance & Management, Nr. 209, 2014, http://www.econstor.eu/bitstream/10419/95973/1/782834809.pdf (3.7.2015); S. H. Irwin, D. R. Sanders: Testing the Masters Hypothesis in commodity futures markets, in: Energy Economics, 34. Jg. (2012), Nr. 1, S. 256-269; L. Kilian, T. K. Lee: Quantifying the speculative component in the real price of oil: The role of global oil inventories, in: Journal of International Money and Finance, 42. Jg. (2014), S. 71-87,
    http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0261560613001071
    (3.7.2015)
    ; sowie C. R. Knittel, R. S. Pindyck: The Simple Economics of Commodity Price Speculation, NBER Working Paper, Nr. 18951, 2013, http://www.nber.org/papers/w18951.pdf (3.7.2015).
  • 23 C. A. Conrad, a.a.O., S. 429.
  • 24 Ebenda, S. 435.

Spekulation mit Agrarrohstoffen – eine Erwiderung

Von Christian A. Conrad

Um die Wirkungen einer Spekulation mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen wird schon seit einiger Zeit sehr heftig und emotional gestritten. Die Spekulationsgegner und die Befürworter stehen sich nach wie vor unversöhnlich gegenüber. Die von Ingo Pies zu meinem im Wirtschaftsdienst erschienenen Aufsatz vorgelegte Replik entspricht vom Inhalt und Stil seinen bisherigen zahlreichen Erwiderungen auf die Kritik, die ihm vor allem seit seinem Aufsatz in der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 31.8.2012 als Spekulationsbefürworter entgegengehalten wird. Mein Aufsatz setzt sich mit beiden Positionen kritisch auseinander. Sicherlich wurden nicht alle Veröffentlichungen, die zu diesem Thema erschienen sind, einbezogen, aber die bedeutsamen Aufsätze und Studien, die für die beiden gegensätzlichen Positionen stehen, wurden ausgewertet. Im Übrigen verweise ich auf meinen zu diesem Thema in den USA im Double-blind-review-Verfahren erschienenen Aufsatz.1

Entscheidend für mich ist die Kritik an der wissenschaftlichen Methode der empirischen Studien und die daraus folgende grundsätzliche Aussage, dass sich mit den Studien weder ein Einfluss der Spekulation noch das Gegenteil nachweisen lässt. „Es offenbart sich ein grundsätzliches Problem der ökonometrischen Forschung. Korrelationen können viele Gründe haben. Es zeigt sich, dass sich mit Hilfe der Ökonometrie weder ein Einfluss der Spekulation auf die Preise noch das Gegenteil nachweisen lässt.“2

Der wissenschaftliche Aussagegehalt der überwiegend auf Granger basierenden ökonometrischen Studien ist zu hinterfragen. Dabei gibt es grundsätzliche Methodenprobleme. Wegen der Gefahr von fehlerhaften Ergebnissen wird vom Granger-Test abgeraten, wenn die zu untersuchenden Variablen extrem volatil sind, was bei Rohstoffpreisen der Fall ist.3 Für stark volatile Variablen wie Aktienkurse oder Rohstoffe wurde eine fehlende Kovarianzstationarität festgestellt, womit eine Bedingung für die Regression von Zeitreihen nicht erfüllt ist.4 Aufgrund unzähliger Einflussfaktoren auf Angebot und Nachfrage besteht eine starke Multikausalität, bei der die einzelnen Einflussfaktoren nicht präzise herausgefiltert werden können. Werden kausale Variablen nicht extrahiert, können in Granger-Tests Korrelationen angezeigt werden, die nicht vorhanden sind (spurious regression). Das Gleiche gilt für rein zufällige Korrelationen, die sich insbesondere bei kurzen Beobachtungszeiträumen oder falschen zeitlichen Erfassungsabständen ergeben können.5 Auch Wettereinflüsse wie sie bei Agrarprodukten vorkommen, sind problematisch, weil dann die notwendige Stationarität der Variablen fehlt.6

Darüber hinaus sind die Positionen der Indexfonds nicht transparent, weil die DCOT-Swap-Dealer-Daten auch viele Positionen von anderen Marktteilnehmern enthalten. So schätzt die Commodities Futures Trading Commission (CFTC), dass z.B. bei den Rohöl-Futures nur 41% der Positionen zu Indexfonds gehören.7 Also gibt es auch hier ein generelles Problem. Ebenso wird die Qualität der Daten in Frage gestellt, da sie in der Regel auf Befragungen beruhen oder nicht vollständig sind.8 So mussten Over-the-counter-Derivate (OTC-Derivate) in den untersuchten Zeiträumen noch nicht gemeldet werden. Erst nach der Finanzkrise wurde verfügt, dass sie registriert oder über Clearing-Stellen gehandelt werden.9

Gerade vor einem solchen Hintergrund erscheint es mir als nicht wissenschaftlich fundiert, extreme Positionen aus den vorhandenen ökonometrischen Studien abzuleiten. Vor allem erscheint es mir nicht angebracht, einer in historischer Perspektive ausufernden Spekulation Absolution zu erteilen.

Inwiefern die Spekulation mit Rohstoffen und Nahrungs-
mitteln die Preise auch unabhängig von der Lagerhaltung beeinflussen kann, habe ich in meinem Aufsatz ausführlich dargestellt. Falls ich Ingo Pies in einer seiner Positionen missverstanden haben sollte, bedauere ich es, weshalb ich seine Gegendarstellung begrüße. Ich zitiere hier erneut seinen Aufsatz in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Im Prinzip ist es zwar denkbar, dass die enormen Preissteigerungen des Jahres 2008 nicht auf veränderte Fundamentaldaten, sondern auf eine Blasenbildung zurückzuführen ist. Jedoch sprechen im konkreten Fall theoretische Überlegungen und empirische Befunde dagegen, … Zweitens arbeiten die Indexspekulanten mit einem nachvollziehbaren und leicht beobachtbaren Geschäftsmodell, das auf transparente Investitionsstrategien setzt und insofern die gut informierten Marktteilnehmer einlädt, unverzüglich gegenzusteuern (und mit diesem Gegensteuern Geld zu verdienen), sobald man sich von den Fundamentaldaten entfernt …“10

Meine Anmerkung hierzu zielte gerade auf ein nicht rational, sondern emotional bestimmtes Spekulationsverhalten ab: „Oft wird auch argumentiert, dass bei einer Blasenbildung andere Marktteilnehmer das Abweichen von den Fundamentaldaten als Gewinnpotenzial erkennen und spekulative Gegenpositionen bilden. Dies würde dann gegen eine Blasenbildung wirken. Dem widerspricht die New Behavioral Finance, die davon ausgeht, das Anlegerverhalten irrational sein kann. Die empirischen Untersuchungen dieser verhaltensorientierten Forschungsrichtung bestätigen die psychologisch orientierten, nicht deterministischen Erklärungsansätze.“11

Insbesondere wenn Pies eine Blasenbildung aufgrund von Spekulation für möglich hält, wird er mir zustimmen, dass eine Regulierung zumindest erforderlich ist, um extreme Marktverzerrungen zu verhindern und damit massiven
Schäden vorzubeugen. Schließlich haben die Deregulierung der Finanzmärkte sowie Regulierungslücken insbesondere bei Derivaten nicht nur die Exzesse bei der Spekulation mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen, sondern auch die Finanzkrise möglich gemacht.12

  • 1 Vgl. C. A. Conrad: Commodity and Food Speculation. Is There a Need for Regulation? A Discussion of the International Research, in: Applied Economics and Finance, 1. Jg. (2014), Nr. 2, November 2014, S. 58-64.
  • 2 C. A. Conrad: Die Auswirkungen der Spekulation mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 6, S. 432.
  • 3 Vgl. S. H. Irwin, D. R. Sanders: Testing the Masters Hypothesis in Commodity Futures Markets, in: Energy Economics, 34. Jg. (2012), S. 258.
  • 4 Vgl. A. Pagan, C. Schwert: Testing for Covariance Stationarity in Stock Market Data, in: Economics Letters, 33. Jg. (1990), H. 2, S. 165-170; P. Phillips, M. Loretan: Testing Covariance Stationarity Under Moment Condition Failure with an Application to Common Stock Returns, Cowles Foundation for Economic Research at Yale University, Discussion Paper, Nr. 947, New Haven Connecticut 1990; D. Frenk et al.: Review of Irwin and Sanders 2010 OECD Report, in: Institute for Agriculture and Trade Policy (Hrsg.): Excessive Speculation in Agriculture Commodities, Selected writings from 2008-2012, 2011, S. 45, http://www.iadb.org/intal/intalcdi/PE/2011/08247.pdf (26.3.2013); sowie http://www.matthias-schlecker.de/kointegrationsanalyse-stationaritaet-und-augmented-dickey-fuller-test (4.4.2014).
  • 5 Vgl. D. Frenk et al., a.a.O., S. 47.
  • 6 Vgl. P. M. Schulze: Granger-Kausalitätsprüfung – Eine anwendungsorientierte Darstellung, Institut für Statistik und Ökonometrie, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Arbeitspapier, Nr. 28, August 2004, S. 17 f.; sowie U. Hassler: Zeitabhängige Volatilität und instationäre Zeitreihen, in: Wirtschaftsdienst, 83. Jg. (2003), H. 12, S. 813, http://www.wirtschaftsdienst.eu/downloads/getfile.php?id=916 (10.8.2015).
  • 7 Vgl. D. Frenk et al., a.a.O., S. 47; sowie M. W. Masters, A. K. White: The Accidental Hunt Brothers: How Institutional Investors are Driving up Food and Energy Prices, 2008, S. 33, http://www.loe.org/images/content/080919/Act1.pdf (10.8.2015).
  • 8 „There have been ongoing complaints that the legacy COT trader designations may be inaccurate … As one example, speculators may have an incentive to self-classify their activity as commercial hedging to circumvent speculative position limits in some markets. But, the CFTC implements a fairly rigorous process – including statements of cash positions in the underlying commodity – to ensure that commercial traders have an underlying risk associated with futures positions. However, in recent years industry participants began to suspect that these data were contaminated because the underlying risk for many reporting commercials was not a position in the physical commodity… Rather, the reporting commercials were banks and other swap dealers hedging risk associated with over-the-counter (OTC) derivative positions.“ S. H. Irwin, D. R. Sanders, a.a.O., S. 258. Siehe auch die Kritik von Frenk an der Studie von Irwin und Sanders von 2010, vgl.
    D. Frenk et al., a.a.O., S. 48.
  • 9 Vgl. C. A. Conrad: Auf dem Weg zu einer besseren Finanzmarktordnung, in: Bankarchiv (Journal of Banking and Finance), 61. Jg. (2013), April 2013, S. 233-241.
  • 10 I. Pies: Lebensmittelpreise: Die Moral der Agrar-Spekulation, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31.8.2012, http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/menschen-wirtschaft/lebensmittelpreise-die-moral-der-agrar-spekulation-11873351.html (10.8.2015).
  • 11 C. A. Conrad: Die Auswirkungen der Spekulation …, a.a.O., S. 434.
  • 12 Vgl. C. A. Conrad: Auf dem Weg zu …, a.a.O.

Title:Speculation with Agricultural Commodities – Reply and Response

Abstract:The reply of Ingo Pies explains the background of the public quarrel over agricultural speculation and criticises three points which may hinder a productive debate. Christian Conrad responds that due to problems of methodology, investigations using econometrics can neither prove nor disprove any influence of speculation on prices, and he warns against drawing the wrong conclusions from the empirical studies.


DOI: 10.1007/s10273-015-1903-y