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Das deutsche Rentensystem muss sich vielfältigen Herausforderungen stellen. Entsprechend komplex sind die politischen Handlungsoptionen. Dabei gilt es, eine ganze Reihe von Faktoren zu berücksichtigen: Das Risiko der Altersarmut muss gesenkt werden; die Beiträge sollen möglichst nicht steigen; eine längere Lebensarbeitszeit erfordert eine Anpassung der Arbeitsbedingungen; Gerechtigkeit soll zwischen den Generationen, zwischen Männern und Frauen sowie zwischen verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern erreicht werden. Es stehen relativ wenige Instrumente zur Erreichung dieser Ziele zur Verfügung. Ihr Einsatz birgt seinerseits Risiken, die es zu minimieren gilt. Eine längere Lebensarbeitszeit ist einfach umzusetzen, entlastet die Rentenkassen, verteilt die Rentenfinanzierung auf mehr Köpfe und korrigiert Schieflagen, die durch den demografischen Wandel entstanden sind. Diskutiert werden muss, welche Verlängerung ausreicht, welche Ausnahmen es geben muss oder darf und welche Konsequenzen sich auf dem Arbeitsmarkt ergeben. Ob die Wirtschaft sich auf die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer einstellt und deren Qualifikationen produktiv zu nutzen weiß, bleibt fraglich, wenn auch immer wieder positive Beispiele präsentiert werden.

Ernüchterung bei privater Altersvorsorge

Die Ergänzung der gesetzlichen Rente durch betriebliche und private Vorsorge über den Kapitalmarkt erschien sinnvoll, wurde propagiert und staatlich gefördert, als das Umlageverfahren wegen der Bevölkerungsentwicklung an seine Grenzen zu stoßen drohte. Bei der Einführung der kapitalgedeckten Rente waren die Aussichten für Geldanlagen auf den Finanzmärkten besonders gut, und staatlich geförderte Riesterrenten sollten auch für die weniger wohlhabenden Bürger das Sparen für das Alter attraktiv machen. Hier ist Ernüchterung eingetreten, weil erstens die Erträge am Kapitalmarkt massiv einbrachen und zweitens damit deutlich wurde, dass diese Form der Altersvorsorge das Kapitalmarktrisiko allein bei den Sparern ansiedelt. Nach Jahren privater Vorsorge mit teils negativen Renditen wendet sich nun der Blick wieder verstärkt auf die gesetzliche Rente und deren Reformfähigkeit.

Ob die politischen Ansätze der jüngsten Vergangenheit hier tatsächlich Lösungen darstellen, wird allgemein bezweifelt. Nach wie vor werden soziale Fragen mit versicherungstechnischen vermengt, was zur Folge hat, dass das Rentensystem sich mit sachfremden Leistungen herumschlagen muss. Altersarmut bleibt trotz vielseitiger Anstrengungen auf der Agenda, und die Konsistenz der politischen Maßnahmen lässt zu wünschen übrig.

Gemeinsame Konferenz von Wirtschaftsdienst und RWI

Auf der gemeinsamen Konferenz von Wirtschaftsdienst und Rheinisch-Westfälischem Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) im November 2014 in Berlin wurden vor diesem Hintergrund verschiedene Lösungsansätze und deren Tauglichkeit im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit des Rentensystems diskutiert.

Christoph M. Schmidt eröffnete die Konferenz mit den Analysen und Empfehlungen des Sachverständigenrates Wirtschaft (SVR Wirtschaft) vom Herbst 2014 und interpretierte sie vor dem Hintergrund der aktuellen Rentenpolitik. Axel Börsch-Supan resümierte die Rentenreformen der letzten 40 Jahre und bewertete sie im Hinblick auf ihren Beitrag zur Lösung der zentralen Probleme der Alterssicherung. Reinhold Schnabel stellte langfristige Wirkungen des Rentenpakets 2014 auf die finanzielle Lage der Gesetzlichen Rentenversicherung und auf die Belastung von Beitragszahlern sowie öffentlichen Haushalten vor. Monika Queisser verglich Rentensysteme in OECD-Ländern und erläuterte sowohl unterschiedliche Problemlagen als auch verschiedene Ansätze zur Generierung einer nachhaltigen Versorgung im Alter. Gert G. Wagner wiederum beschäftigte sich mit politischen und ökonomischen Spielräumen, die heute für eine nachhaltige Sicherung der Renten bestehen.

Rentenreform 2014 verschärft Probleme

In seinem Beitrag geht Christoph M. Schmidt mit den Rentenreformen von 2014 konsequent ins Gericht.1 Sie sind aus seiner Sicht kontraproduktiv und erschweren eher die Erfüllung der anstehenden Aufgaben, als sie zu erleichtern. Ausgehend vom demografischen Wandel diskutiert er die Tauglichkeit verschiedener Instrumente zur Bewältigung der anstehenden Probleme. Zentrale Botschaft des Aufsatzes – wie auch der Stellungnahme des Sachverständigenrates – ist, dass die Rentenpolitik nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie sich so weit wie möglich marktkonformer Instrumente bedient und damit die Wirkung des Marktmechanismus nicht behindert. Vielmehr sollen Individuen und Märkte so viel Flexibilität entwickeln, wie nötig ist, um sich der neuen demografischen Situation anzupassen. Wenn die Bevölkerung altert, sind, gemessen an der Gesamtbevölkerung, weniger Menschen aktiv am Produktionsprozess beteiligt. Das bedeutet, dass das Wachstum pro Kopf der Bevölkerung sinkt. Dem sollen ein höheres durchschnittliches Qualifikationsniveau und produktivitätssteigernde Innnovationen entgegenwirken. Schmidt weist jedoch darauf hin, dass sich durch Wachstum allein das Problem der ungleichen Lastenverteilung zwischen den Generationen nicht lösen lässt. Hier sind vielmehr die Alterssicherungssysteme so umzugestalten, dass nicht eine einzelne Generation deutlich benachteiligt wird.

Anpassung der Lebensarbeitszeit als die logische Konsequenz

Dass eine Anpassung der Lebensarbeitszeit die logische Konsequenz eines steigenden Lebensalters ist, stellt Schmidt überzeugend dar. Dies gilt nicht nur von heute bis 2030, einem Zeitraum, in dem sich die Geburtenrate in Deutschland besonders ungünstig in Bezug auf das Verhältnis von erwerbsfähiger und Gesamtbevölkerung entwickelt, sondern auch darüber hinaus. Ein an die Verlängerung der Lebensarbeitszeit gekoppelter Rentenbeginn sollte also grundsätzlich in Erwägung gezogen werden. Dies setzt jedoch voraus, dass mehr für die Gesunderhaltung der Menschen im Alter getan wird.

Schmidt prognostiziert eine hohe Belastung der öffentlichen Haushalte durch unbefriedigende politische Antworten auf den demografischen Wandel. Eine vom Sachverständigenrat beauftragte Studie untersucht Tragfähigkeitslücken im Haushalt für verschiedene Szenarien mit unterschiedlichen Geburtenraten und Zuwanderungssalden. Die Ergebnisse zeigen, dass selbst wenn familienpolitische Maßnahmen Geburtenraten steigern würden, hier keine Erfolge zu verzeichnen wären. Eine Erhöhung der Geburtenziffern in einem realistischen Ausmaß hätte nach den Berechnungen des Sachverständigenrates nur einen geringen Einfluss auf die Tragfähigkeit der Alterssicherungssysteme. Zuwanderung könnte das Problem einer wachsenden Tragfähigkeitslücke der öffentlichen Haushalte aufgrund der Bevölkerungsentwicklung zwar bis zu einem gewissen Grad abmildern, aber dazu müsste die Zuwanderungspolitik grundsätzlich reformiert werden.

Politik agiert in die falsche Richtung

Die gegenwärtige Politik wirkt daher einer Lösung der aus dem demografischen Wandel erwachsenden Probleme nach Auffassung des Sachverständigenrates in mehrfacher Hinsicht entgegen. Sie behindert die Flexibilität des Arbeitsmarktes durch die Einführung eines Mindestlohns. Die Anpassung der Lebensarbeitszeit an die steigende Lebenserwartung wird durch die Aufweichung der gesetzten Altersgrenzen konterkariert. Die Erwartungen an das mögliche Rentenniveau werden durch zusätzliche Rentenausgaben nach oben geschraubt. Positive Wanderungssalden könnten die Probleme im Vergleich zu anderen Maßnahmen zwar deutlich entschärfen, dies erforderte jedoch eine konsequente Migrationspolitik. Die Ausgaben für Bildung sind zu gering. Und die Wirtschaftspolitik tut zu wenig, um Investitionskapital, das für die notwendige Innovationsintensität sorgen könnte, nach Deutschland zu bringen.

Lehren aus der Vergangenheit

Axel Börsch-Supan widmet sich in seinem Beitrag den Lehren aus den Rentenreformen seit 1972.2 Der oft als Kern der Rentenproblematik genannte demografische Wandel wird bei Börsch-Supan in drei Komponenten zerlegt, die jeweils unterschiedliche wirtschaftspolitische Antworten erfordern: (1) der „Babyboom“ mit dem gleich darauf folgenden „Pillenknick“, (2) die steigende durchschnittliche Lebenserwartung und (3) eine lang anhaltende Periode geringer Geburtenraten.

Bildungssystem fundamental wichtig

Durch die erste Komponente wird das Rentensystem nur vorübergehend belastet. Es gilt also, mit entsprechenden Maßnahmen eine Durststrecke zu überwinden. Die zweite Komponente verlangt ein stabiles Verhältnis von Lebensarbeitszeit und Ruhestandsjahren, damit die Renten jeweils von der erwerbstätigen Bevölkerung finanziert werden können. Das heißt, mit einem höheren Lebensalter muss sich auch die Phase der Erwerbstätigkeit entsprechend ausdehnen. Für die dritte Komponente empfiehlt Börsch-Supan nicht familienpolitische Maßnahmen oder Zuwanderung, sondern setzt auf das Bildungssystem. Eine bessere Qualifikation soll ein ausreichendes Rentenniveau im Umlagesystem sichern.

Ein weiterer entscheidender Faktor für die Stabilität des Rentensystems ist die aktuelle Arbeitsmarktlage, da durch eine höhere Zahl von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten die Einnahmen der Rentenkasse steigen. Wird in die Qualifikation der Arbeitskräfte investiert, nimmt auch die Beschäftigungsfähigkeit der erwerbsfähigen Bevölkerung zu, was zu einer weiteren Erhöhung der Rentenkasseneinnahmen führt.

Die Einführung der flexiblen Altersgrenze, die 1972 auch der Linderung von Arbeitsmarktproblemen dienen sollte, sieht Börsch-Supan als großen Fehler an, da hier der demografische Wandel nicht nur nicht berücksichtigt, sondern der Bewältigung seiner Folgen geradezu entgegengewirkt wurde.

Reformen 1992 stabilisierten Rentensystem

Ganz anders wirkten die Reformen von 1992, die Abschläge für vorzeitige Verrentung einführten und damit die Rentenzahlungen deutlich verringerten. Im Zuge der Agenda 2010 wurde eine Reihe von Reformen vorgenommen, die das System weiter stabilisierten. Zu nennen sind hier die Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors, der die demografische Entwicklung berücksichtigt; eine Grundsicherung, die Altersarmut verhindern soll; die Stärkung der privaten und der betrieblichen Altersvorsorge und schließlich die schrittweise Erhöhung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre.

Reform 2014 auf Kosten der jüngeren Generation

Über die Reformen, die 2014 auf den Weg gebracht wurden, ist das Urteil eindeutig negativ (wie übrigens bei allen Rednern der Veranstaltung). Die Bedienung zweier Bevölkerungsgruppen der älteren Generation (Mütterrente, Rente ab 63) auf Kosten der jüngeren mit nachhaltigen Wirkungen auf die Rentenfinanzierung der nächsten Jahrzehnte scheint eindeutig politisch bedingt, ist aber ökonomisch nicht zu rechtfertigen.

Finanzielle Folgen der Rentenreform 2014

Der Beitrag von Reinhold Schnabel untersucht die finanziellen Folgen von drei Komponenten der Rentenreform 2014: der Erwerbsminderungsrente, der Mütterrente und der abschlagsfreien Rente ab 63.3 Für alle drei Maßnahmen stellt er fest, dass sie ökonomisch wenig sinnvoll und politisch unklug sind. Die Kosten der einzelnen Teilreformen sind erheblich und gehen teilweise weit über das erwartete Maß hinaus. Sie umfassen nicht nur die zu leistenden Rentenzahlungen, sondern auch die Verminderung der Beitragszahlungen durch frühe Verrentung sowie die Steuerausfälle durch den Rückgang der Beschäftigung. Die mit den Reformen verbundenen Kosten fallen in unterschiedlicher Höhe und bei unterschiedlichen Verläufen für alle drei Teilreformen auch in der Zeit nach 2030, dem gegenwärtigen Zielhorizont der Rentenberechnungen, an und belasten die Rentenkasse daher nachhaltig.

Reform der Erwerbsminderungsrente verfehlt Ziel

Bei der Reform der Erwerbminderungsrente wird das Ziel der Bekämpfung von Altersarmut insbesondere bei den sehr niedrigen Renten nicht erreicht, weil hier die Rentensteigerung mit der Grundsicherung verrechnet wird und weil sie nur für Rentenneuzugänge gilt. Das bedeutet aber auch, dass bei einem heute relativ geringen Kostenanstieg durch den Zuwachs an Erwerbsminderungsrenten, die der Neuregelung unterliegen, bis 2030 Kosten im Milliardenbereich anfallen werden.

Neue Mütterrente wirkt kaum gegen Altersarmut

Die Stichtagsregelung der urspünglichen Mütterrente, mit der Mütter, deren Kinder nach 1992 geboren wurden, bessergestellt wurden, sollte die Geburtenraten erhöhen. Dieser Effekt blieb jedoch sehr gering. Eine Ausdehnung der zusätzlichen Versorgung auf ältere Frauen war grundsätztlich nicht zwingend. Zudem wurde für die damals eingeführte Bevorzugung ein teilweiser Ausgleich bei der Rentenhöhe geschaffen. Von daher verursacht die neue Mütterrente von 2014 – aus vermeintlichen Gerechtigkeitsaspekten heraus – nur zusätzliche Kosten, die sinnvoller zur Armutsvermeidung wie im Wahlkampf betont eingesetzt werden können. Denn auch hier gilt, dass die Verrechnung der Zuschläge mit der Grundsicherung positive Effekte bei der Linderung der Altersarmut neutralisiert. Schnabel verweist darauf, dass etwa durch die Anhebung der Entgeltpunkte bei niedrigen Einkommen oder eine Anhebung der Faktoren für Witwenrenten mehr hätte erreicht werden können.

Rente ab 63: Schritt in die falsche Richtung

Die negativen Folgen der Einführung einer abschlagsfreien Rente ab 63 bewertet Schnabel ebenso wie andere Autoren als bedauerlichen Schritt in die falsche Richtung. Die Neuregelung begünstigt Gruppen, die – anders als von der Politik verkündet – keiner besonderen Förderung bedürfen. Sie hat eine negative Signalwirkung und schafft neue intergenerationale Ungerechtigkeiten. Die Begründungen sind aus seiner Sicht nicht stichhaltig. Anders als Wagner sieht Schnabel es z.B. nicht als erwiesen an, dass höhere Bildung zu längeren Rentenbezügen führt und daher Personen mit hohen Lebensarbeitszeiten und eher geringen Ausbildungszeiten gegenüber solchen mit höherem Bildungsstand bei der Rente benachteiligt sind und dieser Nachteil auszugleichen ist.

Fatal wirkt sich aus, dass die Zahl der wahrscheinlichen Anträge auf Rente ab 63 offensichtlich zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Rentengesetzes 2014 deutlich unterschätzt wurde. Die nun prognostizierte Belastung beträgt beinahe ein Dreifaches der ursprünglich vorausgesagten Belastung und schließt Beitragssenkungen und Rentenerhöhungen bei der gesetzlichen Rente für Jahre aus. Damit ist auch unter dem Gesichtspunkt der Umverteilung unter Rentenbeziehern der heutigen und späterer Generationen nicht nur kein Fortschritt erzielt worden, sondern eine Korrektur der bereits vor der Reform vorhandenen Schieflage scheint bis auf Weiteres finanziell nicht zu realisieren.

Rentensysteme in der OECD

Monika Queisser von der OECD beschäftigt sich mit Rentensystemen in anderen Ländern und vergleicht deren Leistungsfähigkeit anhand ausgewählter Indikatoren mit der des deutschen Modells.4 Zunächst zeigen Daten der OECD, dass alle Länder mit dem Problem konfrontiert sind, die Kosten der Alterssicherung im Rahmen zu halten und gleichzeitig Altersarmut zu verhindern. Dabei werden die öffentlichen Ausgaben für Renten überall steigen. Der Fokus der Rentenpolitik wird heute generell nicht mehr nur auf die Rentenformel und deren nachhaltige Gestaltung gelegt, sondern insbesondere auf eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung im Alter. Die Zahlen für verschiedene Länder schwanken hier beträchtlich. Neben der erheblichen finanziellen Belastung, die durch politisch motivierte Senkungen des Rentenalters in Frankreich und Deutschland entstehen, weist Queisser auf die negative Signalwirkung hin, die den Anschein erweckt, es sei nicht mehr dringend notwendig, der demografischen Entwicklung durch die Ausgestaltung der Rentensysteme Rechnung zu tragen.

Altersarmut oft überschätzt, Jugendarbeitslosigkeit nicht genug problematisiert

Deutlich ist, dass die Altersgrenzen für den Rentenbezug jenseits von 60 Jahren zwischen den Ländern weit auseinanderlaufen. Dies deutet auf unterschiedliche Strategien hin, die für die Balance zwischen einer frühen Verrentung zur Entlastung des Arbeitsmarktes zugunsten jüngerer Generationen einerseits und ausreichenden Beiträgen für eine auskömmliche Rente andererseits gefunden werden müssen.

Ein Vergleich macht auch deutlich, dass es durchaus alternative Lösungen (etwa in Dänemark) für das Problem niedriger Arbeitseinkommen, die in Deutschland fast zwangsläufig zu einem Armutsrisiko im Alter führen, gibt. Ebenso wir Börsch-Supan weist aber auch Queisser, gestützt auf OECD-Untersuchungen, darauf hin, dass Altersarmut oft überschätzt wird und unzureichende Einkommen in der jüngeren Generation weit häufiger anzutreffen sind als bei Älteren. Das Armutsrisiko der 18- bis 25-Jährigen erhöht sich in vielen OECD-Ländern seit Mitte der 1980er Jahre sehr stark. Ein Blick auf die internationalen Statistiken zeigt zudem, dass gerade in Ländern, die stark von der gegenwärtigen Krise betroffen sind, hohe Arbeitslosenzahlen und damit niedrige Einnahmen der Rentenkassen diese enorm belasten. Besonders dort, wo junge Menschen nicht kontinuierlich beschäftigt werden können, wird sich für sie im Rentenalter eine deutliche Deckungslücke auftun.

Ein allen betrachteten Ländern gemeinsames Problem stellt die niedrige Rentabilität privater Anlagen dar, durch die das Sparen als Ergänzung zur gesetzlichen Rente deutlich an Überzeugungskraft verliert.

Interessant sind die großen Unterschiede, die in den OECD-Ländern beim Rentenalter bestehen, und das sich trotz mutiger Reformbeschlüsse nur sehr langsam ändernde tatsächliche Rentenalter. Die divergierenden Altersgrenzen sind jedoch nicht unbedingt einer mangelnden Umsetzung allgemein geltender Regeln für die Gestaltung von Rentensystemen zuzurechnen. Hier gibt es keine für alle Länder geltende optimale Grenze. Die unterschiedlichen Regelungen sind teils Ausdruck noch nicht durchgeführter Reformen, teils aber auch rationale Entscheidungen vor dem Hintergrund des jeweiligen demografischen Szenarios.

Rentensystem nicht mit Korrekturkomponenten überfordern

Als allgemeine Trends in den Rentensystemen identifiziert Queisser in vielen Ländern: eine abnehmende Verknüpfung von Arbeitsmarktentlastung und Verrentung, eine höhere Aufmerksamkeit für die Arbeitsbedingungen bei steigendem Rentenalter, eine Berücksichtigung von Sterbewahrscheinlichkeiten für bestimmte Gruppen bei der Rentenberechnung (Frauen leben länger als Männer, Personen mit hohem Bildungsabschluss länger als solche mit niedrigem), die Einbeziehung ökonomischer Variablen wie allgemeine Lohnhöhe oder Wachstumsraten und die Einführung von Nachhaltigkeitsfaktoren. Queisser warnt jedoch davor, das Rentensystem mit zu vielen individuellen Korrekturkomponenten zu überfordern.

Die Förderung privater Vorsorge steht fast überall auf der Agenda, meist bleiben die Ergebnisse – nicht nur wegen krisenbedingt niedriger Zinsen – hinter den Erwartungen zurück. In einigen Ländern reagiert man mit Reformen der Fördersysteme, die bewirken sollen, dass im Alter ein deutlich höherer Betrag zur Ergänzung der gesetzlichen Altersversorgung zur Verfügung steht. Fraglich bleibt, ob Altersarmut über die Rente gemildert werden kann oder ob hier eher das Sozialsystem entsprechend angepasst werden sollte. Dies wird unterschiedlich gehandhabt. Klar scheint, dass bei zunehmend diskontinuierlichen Erwerbsbiografien zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Rentenleistungen getroffen werden müssen.

Handlungsoptionen für die Rentenpolitik

Gert G. Wagner beschäftigt sich in seinem Beitrag mit dem, was wirtschaftspolitisch getan werden kann (und sollte), um die Alterssicherung in Deutschland adäquat zu gestalten.5

Immer weiter sinkendes Rentenniveau problematisch

Als ein Problem sieht er die starke Konzentration der Rentendiskussion der letzten Jahre auf Reformen, die auf eine Reduktion der Kosten einerseits durch möglichst niedrige Beitragssätze und andererseit durch eine Begrenzung der Ausgaben der Gestzlichen Rentenversicherung zielen. Das führte zwar zu einer relativ stabilen Entwicklung der Beitragssätze zur Rentenversicherung, aber auch zu einem immer weiter sinkenden Rentenniveau. Das üblicherweise vorgebrachte Argument, die Belastung der Wirtschaft werde durch die Rentenbeiträge zu hoch, lässt er mit Verweis auf die Tatsache, dass diese in Tarifverhandlungen berücksichtigt werden, nicht gelten. Zudem gibt er zu bedenken, dass zurzeit eher zu niedrige Lohnkosten in Deutschland mit entsprechend negativen Folgen für das Gleichgewicht im Euroraum konstatiert werden.

Selbstverwaltung der Sozialversicherungen sind ein Vorteil

Die Aussichten, wirtschaftspolitisch zur Lösung der Probleme einer alternden Bevölkerung entscheidend beitragen zu können, schätzt Wagner positiv ein. Insbesondere die institutionelle Verankerung der Governance des Rentensystems in der Selbstverwaltung der Sozialversicherungssysteme ist hier als Vorteil anzusehen. Durch eine sorgfältige Vorbereitung sozialpolitischer Maßnahmen in diesem Gremium können wenig hilfreiche Ad-hoc-Entscheidungen der Politik verhindert werden, für die Wagner einige Beispiele anführt. Eine Selbstverwaltung sorgt zudem für eine hohe Akzeptanz von Entscheidungen, wobei die Konstruktion der Sozialsysteme als Versicherungen eine große Rolle spielt.

Reformbedarf entsteht jedoch dadurch, dass im Versicherungsprinzip niedrige Beiträge automatisch zu niedrigen Zahlungen führen, was bei nicht linearen Erwerbsverläufen zum Risiko der Altersarmut beiträgt. Ein noch wenig beachtetes Problem entsteht durch Bedenken seitens der EU in Bezug auf die Wettbewerbskompatibilität eines staatlich organisierten Versicherungssystems. Anders als andere Autoren ist Wagner dafür, das Problem des Armutsrisikos im Alter im Rahmen der Selbstverwaltung der Sozialsysteme zu lösen und nicht über Maßnahmen der sozialen Sicherung im Steuersystem zu verankern. Hier biete sich eine Umverteilung von Rentenanwartschaften innerhalb des Versicherungssystems an, was mit konkreten Vorschlägen unterlegt wird.

Die Politik wird daher nicht umhin können, die Konzepte der Altersversorgung im Hinblick auf Umverteilung und Versorgung immer wieder zu überdenken. Doch die Politik ist nicht nur hier gefordert. Während für einige Probleme zumindest zeitweilig tragfähige Lösungen gefunden wurden, etwa bei der Ausbalancierung von Beitragssatz und Rentenzahlung, sorgt die demografische Entwicklung dafür, dass das Thema immer wieder auf die Tagesordnung kommen. Dies gilt etwa für das Verhältnis von Erwerbstätigen und Rentenbeziehern ab 2030. Wagner verweist hier jedoch auf Zuwanderung und Festlegung des Rentenalters als Instrumente, über die sich das Ausmaß des Problems ab 2030 schon jetzt steuern lässt.

Fazit

Insgesamt sind sich die unterschiedlichen Autoren bei den zu wählenden Instrumenten für die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Rentensystems weitgehend einig. Die Prioritäten werden jedoch unterschiedlich gesetzt, und die Argumentation hinter den genannten Empfehlungen stützt sich auf teilweise sehr unterschiedliche Argumente.

In der abschließenden Podiumsdiskussion mit Axel Reimann (Deutsche Rentenversicherung Bund), Markus Kurth (Rentenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen), Ingo Nürnberger (Deutscher Gewerkschaftsbund) und Christoph M. Schmidt (SVR Wirtschaft, RWI) wurde auch die Erweiterung des Kreises der Beitragszahler in die Gesetzliche Rentenversicherung diskutiert. Es bleibt festzuhalten, dass selbst wenn die Vorschläge der Autoren implementiert werden, die Alterssicherung für die Gesellschaft eine große Herausforderung bleiben wird. Vielleicht wird daher zu gegebener Zeit auch die Option, den Beitragszahlerkreis zu erweitern, trotz politischer Widerstände an Bedeutung gewinnen.


DOI: 10.1007/s10273-015-1794-y

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