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Veranstaltungsrückblick: Heinz Bude: Gesellschaft der Angst

Donnerstag, 12.02.2015

18:00 – 19:30 Uhr

ZBW, Raum 519
Neuer Jungfernstieg 21
Hamburg

Vom Titel her könnte man meinen, "Gesellschaft der Angst" sei ein soziologisches oder psychologisches Werk. Die Angst hat ihre Wurzeln aber in der Ökonomie, wie Heinz Bude am 12.2.2015 den Zuhörern bei seinem Vortrag in der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft in Hamburg entwickelt. Zunächst aber stellt er eine Umfrage unter 50- bis 70-jährigen Deutschen vor. Heraus kam, dass fast 75% meinten, der Sozialstatus würde sich in der Generationenfolge nicht halten. Während früher noch als gesichert galt, „dass es den Kindern und Enkeln einmal besser gehen werde“, glaubt die heutige ältere Generation dies nicht mehr.

Buchcover: Gesellschaft der Angst

Kontakt

Hendrik Hinrichs
Redaktion Wirtschaftsdienst (ZBW)
Telefon: +49 40 42834-358 · E-Mail

In Kooperation mit

Vom Titel her könnte man meinen, dies sei ein soziologisches oder psychologisches Werk. Die Angst hat ihre Wurzeln aber in der Ökonomie, wie Heinz Bude am 12.2.2015 den Zuhörern in seinem Vortrag in der ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft in Hamburg entwickelt. Zunächst aber stellt er eine Umfrage unter 50- bis 70-jährigen Deutschen vor. Heraus kam, dass fast 75% meinten, der Sozialstatus würde sich in der Generationenfolge nicht halten. Während früher noch als gesichert galt, „dass es den Kindern und Enkeln einmal besser gehen werde“, glaubt die heutige ältere Generation dies nicht mehr.

Dieses Ergebnis überrascht, zumal die deutsche Wirtschaft zuletzt sehr erfolgreich war, nachdem Deutschland 1998 noch als „kranker Mann Europas“ angesehen worden war. Bude: „In den letztem 15 Jahren hat sich Deutschland von einer vulnerablen zu der wichtigsten Volkswirtschaft Europas entwickelt.“ Für den Erfolg nennt Bude drei Gründe:

  1. Auf den klassischen Arbeitsplätzen hat es eine Kompetenzrevolution gegeben.
  2. Das deutsche Modell stützt sich anders als das anderer europäischer Staaten auf die gewerbliche Wirtschaft. Deutschland ist damit zum Ausrüster der Welt geworden.
  3. Die Mitarbeiter verstehen sich als integraler Bestandteil des Unternehmens. Sie entwickeln Eigeninitiative und suchen von sich aus optimale Lösungsmöglichkeiten.

Offenbar ist Deutschland besser aus der Wirtschafts- und Finanzkrise herausgekommen als andere europäische Länder. Der Erfolg hat aber auch seine dunklen Seiten. Deshalb fragt Bude: Wem passt das nicht? Zum einen sei dies das schlecht verdienende Dienstleistungsproletariat ohne Aufstiegschancen. Zum anderen seien auch Personen aus der bildungsbürgerlichen Mittelschicht enttäuscht. Prekäre Beschäftigungssituationen haben sich auch bei Akademikern ausgebreitet. Er nennt Universalanwälte, die am falschen Ort oder ohne die für die Karriere entscheidende richtige Spezialisierung praktizieren und dabei kaum mehr verdienen als Hartz-IV-Empfänger. Garant für eine Karriere ist seiner Auffassung nach nicht mehr allein die Herkunft und der Bildungsabschluss, sondern vielmehr Einzelentscheidungen und – frei nach Gerhard Schröder – die Konkurrenzfähigkeit des Individuums. Ein Bildungszertifikat ist anders als noch vor 30 Jahren kein Statusversprechen mehr.

Die Statusunsicherheit geht für viele mit einem unguten Gefühl in Hinblick auf die Zukunft einher. Nach 2008 stellte sich beispielsweise die Frage, ob der Kapitalismus scheitern könnte. Tatsächlich habe sich gezeigt, dass der Kapitalismus ohne Krisen nicht zu haben sei. Mario Draghis Politik sei die Politik eines nach vorne offenen Pragmatismus ohne klares Ziel. Allerdings sieht Bude in den unkonventionellen Maßnahmen Draghis auch eine Chance: Die Niedrigzinspolitik mache Geldanlagen auf dem Finanzmarkt weniger attraktiv, vielleicht wenden sich die Anleger jetzt doch stärker dem dynamischen Unternehmer im Schumpeterschen Sinne zu. Der sich vor allem bei den Älteren ausbreitende „heimatlose Antikapitalismus“ wird nach Budes Auffassung von den Jungen allerdings mit einem entspannten Fatalismus beantwortet

In der von Brigitte Preissl moderierten anschließenden Diskussion mit dem Publikum ging es unter anderem um die Geldpolitik der EZB, die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der Herkunft, die Frage, ob mehr Bürgerbeteiligung wie in der Schweiz erforderlich sei oder wie es inzwischen mit der „German Angst“ aussähe.

Die Livekommentare zum Vortrag finden Sie bei Twitter (#bvbude): http://bit.ly/1FgZSSN

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Zum Buch

Angst kennzeichnet eine Zeit, in der in Europa Populisten von rechts im Anmarsch sind, sie prägt unsere Haltung zu Finanzdienstleistungen, Börsenkrisen und unübersichtlichen Datenströmen. Wir fürchten aber auch die Unwägbarkeiten der modernen Arbeitswelt. Angst ist der Ausdruck für einen Gesellschaftszustand mit schwankendem Boden. Wie können wir der Angst standhalten und in welchen Diskursen können wir uns über die gemeinsamen Ängste verständigen?

Das Buch „Gesellschaft der Angst“ ist im September 2014 bei der Hamburger Edition HIS Verlagsgesellschaft erschienen. Weitere Literatur von Heinz Bude finden Sie bei EconBiz, dem Fachportal der ZBW für die Suche nach Wirtschaftsliteratur.

 

Über den Autor
Prof. Dr. Heinz Bude ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) und Professor für Makrosoziologie an der Universität Kassel. Seine Schwerpunkte liegen in der Generationen- und Arbeitsmarktforschung.