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EU-Stabilitätspakt: Wirtschaftspolitische Steuerung

Von Konrad Lammers

Die Europäische Kommission hat Ende September ein umfassendes Paket von Legislativvorschlägen vorgelegt, mit dem sie die Wirtschafts- und Haushaltspolitik der Mitgliedsländer insbesondere im Euroraum in Zukunft in dreierlei Hinsicht stärker steuern will: Das bisherige Verfahren im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes bei einem Haushaltsdefizit von mehr als 3% soll verschärft und beschleunigt werden; neu eingeführt werden soll ein sanktionsbewehrtes Verfahren bei einer Staatsschuld von mehr als 60% des BIP; jenseits von haushaltspolitischen Verfehlungen sollen wettbewerbsschwache Länder bestraft werden können, die keine geeigneten wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Beseitigung ihrer Wettbewerbsschwäche ergreifen. Die Vorschläge sind vorbeugend ausgerichtet, weitgehend regelbasiert, und sehen beträchtliche Hürden vor, die es schwer machen, sich bei Verfehlungen den vorgesehenen Verfahren zu entziehen.

Die Vorschläge der Kommission laufen auf eine wirtschaftspolitische Steuerung in der Eurozone hinaus, die bis zum Ausbruch der Griechenlandkrise kaum vorstellbar gewesen wäre und die auch heute noch manchem befremdlich erscheinen mag. Nachdem eine Reihe von Euroländern ihrer Verantwortung für eine stabilitäts- und wettbewerbsgerechte Haushalts- und Wirtschaftspolitik nicht nachgekommen ist und sich der aufgeweichte Stabilitäts- und Wachstumspakt als zahnloser Tiger erwiesen hat – beides hat die Eurozone in die tiefe Krise geführt –, gibt es zu einer solchen Steuerung keine Alternative, wenn die Währungsunion auf Dauer weiter bestehen soll. Es ist in der Tat dringend geboten, Regelmechanismen zu etablieren, die die Mitgliedsländer zu einer verantwortungsvolleren Wirtschafts- und Haushaltspolitik veranlassen. Die Art der vorgesehenen Steuerung sollte auch nicht mit dem Konzept einer „europäischen Wirtschaftsregierung“ verwechselt werden, wie es gelegentlich in der Diskussion war. Von einem solchen Konzept – zumindest in seiner naiven Variante – unterscheiden sich die Vorschläge der Kommission in zwei fundamentalen Punkten: Sie sind regelbasiert und beschränken damit den Spielraum für eine Politik der Mitgliedsländer, die eben nicht stabilitätsorientiert ist; und sie greifen nicht die absurde Forderung dieses Konzeptes auf, dass ein wettbewerbsstarkes Land dazu gebracht werden solle, seine Wettbewerbsfähigkeit nicht weiter zu verbessern, sie sogar unter Umständen zu verschlechtern.

Keine Frage, die Vorschläge der Kommission gehen in die richtige Richtung für eine verbesserte Governance in der Eurozone. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass viele Fragen noch offen sind. So ist etwa noch nicht absehbar, wie die Mechanismen des Maßnahmenpaketes mit der Wachstumsstrategie 2020 ineinandergreifen sollen. Die im Rahmen dieser Strategie vorgesehen EU-Kernziele scheinen wenig geeignet, die notwendigen Strukturreformen in einem Land mit Haushalts- und Wettbewerbsproblemen auf den Weg zu bringen. Schließlich ist festzustellen, dass das vorgeschlagene Maßnahmenpaket nur einen, wenn auch wichtigen Baustein für den Fortbestand der Währungsunion darstellt. Fundamental und noch auf den Weg zu bringen sind Regelungen, die die Glaubwürdigkeit der No-Bail-Out-Regel (wieder)herstellen. Dazu gehört ein Insolvenzrecht für Mitgliedsländer und Klarheit für die Zeit nach dem Auslaufen der jetzigen Hilfspakete. Immerhin, mit den Vorschlägen der Kommission zeigt die EU zunächst einmal, dass sie gewillt ist, geeignete Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung und Stabilisierung der Währungsunion zu ergreifen.

Hartz-IV-Reform: Zweifelhafte Berechnung

Von Richard Hauser

Das Bundesarbeitsministerium hat einen Referentenentwurf zur Abstimmung an die zuständigen Ministerien geschickt und damit die Hartz-IV-Reform auf den Weg gebracht. Dazu zuerst eine gute Nachricht: In § 1 Abs. 1 SGB II wird nunmehr den Leistungsbeziehern explizit eine menschenwürdige Grundsicherung zugebilligt. Bisher war dieser Gesetzeszweck nicht statuiert. Lediglich im SGB XII (Sozialhilfe) gab es eine entsprechende Formulierung. Damit ist auch eine Untergrenze für die Leistungen des Arbeitslosengeldes II bestimmt. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung vom 9.2.2010 festgelegt, dass das Existenzminimum nicht nur das zum Überleben Notwendige (absolutes oder physisches Existenzminimum) umfasst, sondern auch zusätzliche Ressourcen für eine Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorsehen muss. Bei der Festlegung dieser zusätzlichen Mittel hat der Gesetzgeber einen begrenzten Spielraum. Auf jeden Fall ist damit aber eine Absenkung der Leistungen ausgeschlossen, falls die niedrigsten Löhne mangels eines gesetzlichen Mindestlohns weiter sinken sollten. Diese Untergrenze hat Priorität gegenüber einem wie auch immer definierten Lohnabstandsgebot.

Und nun zu den schlechten Nachrichten: Das Bundesverfassungsgericht hat das Statistikmodell zur Ermittlung der Regelsätze akzeptiert. Die durchschnittlichen Verbrauchsausgaben des unteren Fünftels der Haushalte können als Ausgangsbasis dienen. Die Wertentscheidungen des Gesetzgebers über Abschläge müssen jedoch transparent sein und ein Zirkelschluss muss vermieden werden. Dies gelingt dem Referentenentwurf jedoch nicht völlig. Zwar werden die Bezieher von Mindestsicherungsleistungen nach SGB II und XII bei den Berechnungen ausgeschlossen, das untere Fünftel wird allerdings vor dem Ausschluss und nicht danach ermittelt. Damit gehen die Mindestleistungsbezieher indirekt in die Bestimmung der Obergrenze der Bezugsbasis ein. Überdies werden die sogenannten verdeckt Armen, d.h. jene Haushalte, die mit einem Einkommen unterhalb der Mindestsicherungsgrenze auskommen müssen, weil sie die ihnen zustehenden Leistungen nicht in Anspruch nehmen, in der Bezugsbasis belassen. Aus beiden Gründen ergeben sich zu niedrige Durchschnittsausgaben und damit auch zu niedrige Regelsätze. Auch der Ausschluss der geringen Beträge für Alkohol und Tabak in Höhe von etwa 20 Euro pro Monat ist problematisch. Dies trifft sowohl Personen, die diese legalen Genussmittel konsumieren als auch jene, die dies nicht tun. Es ist zu befürchten, dass andere Positionen – vielleicht auch die Ausgaben für Kinder – zu kurz kommen. Ebenso würde es ein Minimum an Teilhabe erfordern, dass man gelegentlich mit Bekannten eine Flasche Bier trinken kann. Mit diesen und anderen Abzügen nähert sich der Referentenentwurf wieder der Vorstellung, dass das zum Überleben Notwendige – d.h. das absolute oder physische Existenzminimum – ausreichen sollte. Eigentlich müsste der Verbrauch für Paare mit einem Kind aus den unteren 20% dieser Gruppe ermittelt werden. Tatsächlich wird aber der für Alleinstehende ermittelte Betrag auch für den ersten Erwachsenen in Paarhaushalten angesetzt und 80% hiervon für den erwachsenen Partner. Man wird sehen, ob diese Vorgehensweise vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben wird. Wenn in der Öffentlichkeit von Tricks die Rede ist, mit denen das menschenwürdige Existenzminimum heruntergerechnet wurde, um einen vorher fixierten Ausgaberahmen nicht zu sprengen, dann liegen hier die Gründe.

Die zweite gute Nachricht ist, dass für Kinder mehr getan werden soll. Die zusätzlichen Mittel für Schulbedarf, Schulessen sowie zusätzliche Bildungs- und Freizeitangebote sind dringend erforderlich, wenn nicht ein Teil der jungen Generation von vornherein nur mit minimalen Chancen ins Erwachsenenleben eintreten soll. Aber die Gutschein- oder Chipkartenvariante muss mit großem organisatorischem und bürokratischem Aufwand durchgesetzt werden. Ob das gelingt, ist eine offene Frage, die erst nach zwei bis drei Jahren beantwortet werden kann.

Reform des Arzneimittelmarktes: Grundsätzlich der richtige Weg

Von Jürgen Wasem

Die Arzneimittelversorgung ist kein Markt wie jeder andere. Durch den Krankenversicherungsschutz sind die Patienten vergleichsweise wenig preissensibel. Auch der verordnende Arzt hat – wenn er nicht durch gezielte Anreize motiviert wird – kein direktes finanzielles Interesse an preisgünstiger Medikation. Sind die Krankenversicherer verpflichtet, den vom pharmazeutischen Hersteller festgesetzten Preis zu zahlen, bestehen daher wenig Anreize für die Hersteller, besonders günstige Preise zu kalkulieren.

Genau dies ist gegenwärtig die Situation für patentgeschützte Medikamente in Deutschland. Mit der Zulassung durch die Arzneimittelbehörde können die neuen Medikamente automatisch zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden. Anders als in den meisten anderen Ländern gibt es bei uns bislang keine vorgeschalteten Preisverhandlungen der Krankenkassen oder staatlicher Institutionen mit den pharmazeutischen Herstellern. Zwar hat der Gesetzgeber in der letzten Gesundheitsreform beschlossen, dass patentgeschützte Arzneimittel einer Nutzen- oder Kosten-Nutzen-Bewertung unterzogen werden können – diese Verfahren greifen jedoch bislang noch gar nicht (Kosten-Nutzen-Bewertung) oder erst nachdem die Präparate schon einige Jahre auf dem Markt sind (Nutzen-Bewertung). Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die patentgeschützten neuen Arzneimittel in Deutschland schneller als auf anderen Märkten in den Verkehr gebracht werden. Bei echten Innovationen profitieren die Patienten in Deutschland daher auch eher als in anderen Ländern. Insofern besteht ein Trade off zwischen Schnelligkeit des Zuganges und Preisniveau für neue Arzneimittel.

Vor diesem Hintergrund ist die Stoßrichtung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) grundsätzlich richtig: Neue Arzneimittel bleiben unmittelbar mit der Verordnung in der GKV erstattungsfähig und der Hersteller kann den Preis zunächst frei festsetzen. Aber es wird eine rasche Nutzenbewertung vorgesehen, die nach einem Jahr zur Vereinbarung eines Erstattungspreises des pharmazeutischen Herstellers mit dem Spitzenverband der Krankenkassen führen soll.

Unbefriedigend ist, dass das Instrument der Kosten-Nutzen-Bewertung damit auch in Zukunft faktisch keine Rolle spielt. Dabei stellt die Gegenüberstellung von Zusatznutzens gegenüber der bisherigen Therapie und Zusatzkosten eine wesentliche Information zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit dar, die bei der Preisvereinbarung berücksichtigt werden sollte. Auch hätte man sich eine stärker dezentrale, wettbewerbliche Lösung vorstellen können, bei der die Zahlungsbereitschaften der einzelnen Krankenkassen zum Zuge gekommen wären. Entsprechende Vorstellungen des Bundesgesundheitsministers waren in der Koalition aber nicht durchzusetzen.

Mit den in der Schlussphase der parlamentarischen Beratungen zum AMNOG vorgelegten Änderungsanträgen verschlechtert die Koalition allerdings nun teilweise die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung. So sollen Medikamente für seltene Erkrankungen (sogenannte „orphan diseases“) grundsätzlich von der Notwendigkeit, ihren Zusatznutzen gegenüber bestehenden Therapien nachzuweisen, befreit werden. Da gerade neue Medikamente bei seltenen Krebserkrankungen mit häufig sehr teuren Therapiekosten einhergehen, ohne dass sie schon auf den ersten Blick überlegen sind, gehen von dieser Entscheidung erhebliche Kostenrisiken aus.

IT-Sicherheit: Umdenken nach „Stuxnet“?

Von Rainer Böhme

Über Sicherheitsprobleme im Internet lesen wir fast täglich in den Medien. Die Entdeckung der Schadsoftware „Stuxnet“ ließ jedoch aufhorchen. Der Wurm verbreitet sich heimlich über die USB-Schnittstelle und befällt gezielt Steuerungssysteme für Industrieanlagen, obwohl diese vom Internet abgeschottet sind. Zwischenfälle in den iranischen Nuklearanlagen in Bushehr und Natanz werden mit „Stuxnet“ in Verbindung gebracht. Wenn dies, wie oft behauptet, der Anfang einer Ära von Cyber-Warfare ist, wie können Unternehmen dann vermeiden, zwischen die Fronten zu geraten?

Für die Fachwelt war „Stuxnet“ nur eine Frage der Zeit. Informationstechnologie hat eine Komplexität erreicht, die mit heute verfügbaren Methoden nur unter hohen Kosten annähernd beherrschbar ist. Der Ruf nach Funktionsintegration gepaart mit Kostendruck führte dazu, dass auch in Industrieanlagen zunehmend Standardkomponenten zum Einsatz kommen, bei deren Entwurf oft bereits zu Lasten der Sicherheit gespart wurde. Viel der vorhandenen Funktionalität dieser Komponenten liegt brach, kann aber durch Schadsoftware leicht ausgenutzt werden und wird so zu einem erheblichen Sicherheitsrisiko. Industrielle Steuerungssysteme enthalten also mitunter die gleichen Sicherheitslücken wie PCs für Endverbraucher. Aus technischer Sicht demonstriert „Stuxnet“ zwei Dinge eindrucksvoll: Erstens, selbst die physische Entkopplung kritischer Systeme vom Internet ist nur bedingt wirksam solange nicht alle Schnittstellen inklusive der Lieferkette geschützt sind. Zweitens, jede programmierbare Hardware ist anfällig für Schadsoftware. Im Fall von „Stuxnet“ betrifft es die Automatisierungstechnik und damit verbundene PCs.

Nach heutiger Einschätzung ist „Stuxnet“ ein Produkt der Geheimdienstszene, die den Wurm zur Durchsetzung geopolitischer Ziele entwickelte. Obwohl der Wurm explizit nicht gegen Unternehmen gerichtet ist, lassen sich seine Konsequenzen als Weckruf für Sicherheitsverantwortliche interpretieren. Zunächst ist Sabotage nicht die einzige Bedrohung. Auch Industriespionage gehört zum Aufgabenbereich ausländischer Geheimdienste. Ist die Technologie einmal verfügbar, kann sie leicht für andere Zwecke eingesetzt werden. Weiterhin beschafft die organisierte Kriminalität ihr Know-how aus den gleichen Quellen. Auf dem globalen Markt für unveröffentlichte Sicherheitslücken kaufen sowohl die „Guten“ als auch die „Bösen“ ein. Gleiches gilt für den einschlägigen Arbeitsmarkt. Unternehmen sind im Visier der organisierten Kriminalität als Ziele für Auftragsspionage und Erpressungsversuche. Letztere bekommen durch Angriffe auf die Automatisierungstechnik noch mehr Drohpotenzial.

Schließlich zeigt die Entdeckung und öffentliche Analyse von „Stuxnet“, dass es selbst Geheimdiensten nicht gelingt, im Cyberspace unbemerkt zu agieren. Demnach sollte die bislang beispiellose Technologie von „Stuxnet“ keinesfalls als Erfolg von Spionage auf höchstem Niveau interpretiert werden, sondern vielmehr als Scheitern des Grundprinzips, nicht nur geheimdienstliche Erkenntnisse, sondern auch Fähigkeiten geheim zu halten. In der Konsequenz werden nicht-staatliche, schlechter finanzierte Angreifer schnell innovative Angriffstechniken lernen und sie für ihre Zwecke einsetzen. Es ist zu bezweifeln, dass diese Akteure ähnlichen Aufwand wie die Entwickler von „Stuxnet“ in Kauf nehmen, um Begleitschäden zu minimieren. In der Verbreitung bösartigerer Varianten liegt die wahre Bedrohung durch „Stuxnet“. Ursache des Problems bleibt aber, dass unsichere Steuerungssysteme verkauft und betrieben werden. Industrieausrüster sollten als erstes umdenken.


DOI: 10.1007/s10273-010-1131-4

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