Betriebsprüfungen: Steuerverwaltung an den Bund!
Regelmäßig wird über die für den Fiskus erfolgreichen Betriebsprüfungen berichtet. Und regelmäßig schließt sich die Forderung an, die Häufigkeit und die Intensität dieser Prüfungen zu erhöhen, um auch die fiskalischen Erfolge zu vermehren. Ob dies so sein würde, ist nicht zwingend. In einem komplizierten Steuersystem provozieren stärkere Kontrollen auch raffiniertere Vermeidungsstrategien, wie im Übrigen berichtet wird, dass kluge Unternehmen den Prüfern kleine Prüfungserfolge erlauben, um mit größeren Steuerverkürzungen davon zu kommen. Es ist jedenfalls zweifelhaft, dass sich die fiskalischen Erträge verdoppeln würden, wenn doppelt so viele Prüfer unterwegs wären.
Dennoch ist die Frage berechtigt, warum der Staat zumal in Zeiten großer Finanznot nicht die Probe aufs Exempel macht, nämlich ganz im Sinne auch der Steuergewerkschaft die Zahl der Steuerfahnder erhöht, um sich zusätzliche Steuereinnahmen zu verschaffen. Ein möglicher Schlüssel zur Antwort liegt in unserem Finanzsystem. Die Steuerverwaltung ist bis auf geringe Ausnahmen Sache der Bundesländer. Nun sind die Länder sehr wohl am Aufkommen aus den großen Steuern (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer) stark beteiligt, sodass auch für sie der Anreiz zu einer erfolgreichen Steuereintreibung hinreichend hoch sein müsste. Die Crux liegt freilich in der Eigenart des deutschen Finanzausgleichs: Was für die Ländergesamtheit vorteilhaft wäre, ist nicht unbedingt vorteilhaft für das einzelne Bundesland. Wie viele Rechnungen zeigen, muss ein in einem Land erzieltes Steuermehraufkommen nicht zwingend auch die diesem Land zufließenden Einnahmen erhöhen; denn das Zusammenwirken von Steuerzerlegungsregeln, Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen kann dazu führen, dass dem einzelnen Land von seinem „Eintreibungserfolg“ wenig bleibt, ja es im Extremfall am Ende sogar weniger in den Kassen hat. Da lohnt es sich für das einzelne Land nicht, die ja bei ihm verbleibenden Kosten der Steuereintreibung zu vergrößern.
Aber diese Kosten sind nicht das einzige Hemmnis für eine rigorosere Steuereintreibung. Wenngleich das Steuerrecht in Deutschland so gut wie keine Länderunterschiede kennt und die praktisch fehlende Steuerautonomie der Länder durchaus auch Kritik hervorruft, gibt es möglicherweise doch einen Steuerwettbewerb der Länder. Steuerliche Vorteile kann ein Standort suchender Unternehmer auch darin sehen, dass ihn die zuständige Finanzverwaltung großzügiger behandelt als er es vielleicht anderswo befürchtet. Warum sollte also ein einzelnes Bundesland einen besonderen Ehrgeiz entwickeln, auch den letzten Euro aus seinen Steuerpflichtigen herauszupressen, wenn es ihm kaum zusätzliche Einnahmen verschafft, dafür aber Kosten verursacht und ihm auch noch den Ruf einhandelt, kein günstiger Unternehmensstandort zu sein?
Und doch liegt es jenseits aller fiskalischen Folgen im Interesse der Gemeinschaft, dass Steuergesetze durchgesetzt werden. Alles andere bestraft den Steuerehrlichen und korrumpiert die Gesellschaft. Was also ist die Lösung? Entweder der Finanzausgleich wird in Richtung einer geringeren Nivellierung geändert. Nach der endlosen Geschichte deutscher Finanzausgleichsreformen dürfte dies aber kein erfolgversprechender Weg sein. Oder man unterstellt die Steuerverwaltung dem Bund. Dies mag sich aber angesichts der von der Verfassung generell den Ländern zugewiesenen Verwaltungshoheit als zu radikaler Vorschlag erweisen. Was aber bei vernünftiger Abwägung des Für und Wider letztlich auch die Zustimmung der Länder finden müsste, wäre ein Herauslösen der entsprechenden Kompetenzen aus den Ländersteuerverwaltungen und die Schaffung einer eigenen Steuerprüfungsbehörde beim Bund.
Luftverkehr: Keine Asche aus der Staatskasse
Für gut eine Woche beherrschte der Vulkan Eyjafjalla die Schlagzeilen hierzulande, legte doch die von ihm ausgestoßene Asche den Flugverkehr in nahezu ganz Europa für mehrere Tage lahm. Den Fluggesellschaften, Flughafenbetreibern und Reiseveranstaltern entstanden dadurch zweifelsohne nicht unbeträchtliche wirtschaftliche Schäden. Schätzungen der EU-Kommission sprechen von 1,5 bis 2,5 Mrd. Euro. Es darf nicht wundern, dass die Betroffenen vor diesem Hintergrund um Staatshilfe ersuchen. Und einfach abtun kann man dieses Hilfeersuchen auch nicht, geht es doch um die Bewältigung der Folgen einer Naturkatastrophe. Kaum jemand würde eine Hilfe als ungerechtfertigt ansehen, ginge es um die Folgen eines Erdbebens oder einer Flut.
Allerdings liegt die Sache hier anders. Erdbeben oder Fluten zerstören – volkswirtschaftlich gesehen – Teile des Kapitalstocks. Solche Schäden lassen sich nur mit einem großen Aufwand beseitigen. Sind die Privaten nicht in der Lage, diesen finanziell zu tragen, entstehen für den Staat auf lange Sicht erhebliche Folgekosten, die eine Hilfe nicht nur humanitär, sondern auch wirtschaftlich rechtfertigen. Schäden am Kapitalstock hat indes die Vulkanasche nicht verursacht, alle Flugzeuge und Flughäfen sind nach wie vor intakt. Dies eröffnet den Betroffenen die Möglichkeit, zumindest einen Teil des Schadens, der durch das Flugverbot entstanden ist, aus eigener Kraft auszugleichen. Passagiere, die an Flughäfen gestrandet waren, werden zwar verspätet, aber sie werden – sofern sie nicht inzwischen auf andere Verkehrsmittel ausgewichen sind – zurückgeflogen, und Luftfracht, die liegen geblieben war, wird doch noch ausgeliefert. Dies entspricht auch ganz der Erfahrung, nach der kurzfristige Produktionsstörungen relativ rasch wieder ausgeglichen werden und keine bleibenden Schäden hinterlassen.
Vor diesem Hintergrund stellen die augenblicklich genannten wirtschaftlichen Schäden lediglich eine Momentaufnahme dar. Die Politik sollte sich daher darauf beschränken, es den Fluglinien zu ermöglichen, die Verluste aus eigener Kraft so weit wie möglich zu verringern. Die EU hat in diesem Zusammenhang zeitlich begrenzte Ausnahmen beim Nachtflugverbot und die Stundung von Gebühren vorgeschlagen, um die Liquidität der Unternehmen zu schonen. Dies sind sicherlich sinnvolle Hilfen, die den Steuerzahler wenn überhaupt, dann wenig belasten. Nach wie vor muss aber gelten, dass der Staat nicht für unternehmerische Risiken haftet. Finanzhilfen sollten daher tabu bleiben. Zum einen besteht nämlich die Gefahr, dass es zu einem Subventionswettlauf kommt, wenn erst einmal ein Land mit solchen Hilfen beginnt. Zum anderen fällt es aller Erfahrung nach schwer, Subventionen wieder aus der Welt zu schaffen, wie man am Verzicht auf eine Besteuerung von Kerosin oder von Auslandsflügen sieht. Dadurch erhält der Luftverkehr ohnehin schwer zu rechtfertigende Subventionen. Der Asche aus dem Vulkan darf jetzt nicht noch zusätzliche „Asche“ aus der Staatskasse folgen.
Am meisten wird es dem Luftverkehr auf längere Sicht wahrscheinlich ohnehin helfen, wenn klare und in Europa einheitlich abgestimmte Grenzwerte für künftige Flugverbote durchgesetzt werden.
China: Erfolgreiches Krisenmanagement
China beunruhigt die westliche Welt. Für viele Branchen entwickelt sich das Land zum wichtigsten, ja überlebenswichtigen Markt, und sein robustes Wirtschaftswachstum (8,7% 2009, mit einer erneuten Beschleunigung 2010) hat dazu beigetragen, die Folgen der Finanzkrise weltweit abzufedern. Gleichzeitig vertritt es seine ökonomischen Interessen nachdrücklich, und fordert westliche Konzeptionen von Wirtschaftspolitik dadurch heraus, dass Geschäft und Politik oft eine unübersichtliche Gemengelage bilden. Chinas Wirtschaftspolitik allerdings als „Neomerkantilismus“ zu bezeichnen, setzt falsche Akzente, weist aber auf einen zentralen Punkt hin. China verfolgt keine Maximierung der Exporte, um den heimischen Wohlstand durch die Anhäufung von Devisenreserven zu mehren. China unterwirft Marktprozesse wachstumspolitischen Imperativen, und akzeptiert dabei die Logik des Marktes weitestgehend.
Bemerkenswert ist, dass China die Finanzkrise – wie auch die Asienkrise 1997 – bislang bravourös gemeistert hat. Die chinesische Regierung hatte sich entschieden, auf den Einbruch der Exportkonjunktur unverzüglich mit einem staatlichen Konjunkturprogramm zu reagieren, das sich vor allem auf Infrastrukturinvestitionen konzentrierte (Gesamteffekt der Maßnahmen ca. 5,9% des BIP). Dabei kam erneut zum Tragen, dass die Politik über eine Tastatur verfügt, die fiskal- und geldpolitische Maßnahmen in ganz anderer Weise kombinieren kann, als dies in der Marktwirtschaft „westlichen Typs“ üblich ist. China setzt weiterhin das Instrument der kreditpolitischen Lenkung ein, das wegen seiner flächendeckenden Wirkung auch geldpolitisch relevant ist (mehr als eine Verdoppelung des Neukreditvolumens 2009). Die staatliche Konjunkturpolitik schlägt sich entsprechend nur teilweise in der fiskalischen Position des chinesischen Staates nieder, der sich eher als ein Musterschüler des finanzpolitischen Konservatismus geriert (trotz Stimulus lag die Neuverschuldung 2009 nur bei 2,8% des BIP, Schuldenstand unter 50%).
Kann sich angesichts dieser Konstellation die Finanzkrise von 2008 in China 2010 wiederholen? Chinas Wachstumsmodell fußt auf Realzinsen, die immer wieder – wie auch derzeit – sogar negativ sind, und die Zinspolitik der Zentralbank steht unter dem wachstumspolitischen Imperativ. Wenn oft kommentiert wird, dass China damit, getreu alter planwirtschaftlicher Reflexe, auf die Investitionen als Wachstumsmotor setzt, und nicht, wie vermeintlich angebracht, auf den Konsum, so wird übersehen, dass der private Konsum in China stetig zunimmt (Wachstum in 2009 real 9,7%) und mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen unterstützt wird, wie beispielsweise die Ausweitung von Konsumentenkrediten und Konsumsubventionen für die Landbevölkerung.
Alles in allem hat die Finanzkrise bereits mittelfristig sehr günstige Bedingungen für China geschaffen: Denn die Nachfrage der entwickelten Industrienationen wird sich verstärkt auf preislich wettbewerbsfähige Produkte bei angemessener Qualität richten. Und diese kann die chinesische Wirtschaft anbieten. Eines ist aber klar: China wird sich auch künftig die eigene Politik in keiner Weise durch externe Einflüsse diktieren lassen. Veränderungen können nur von innen kommen. Mittel- bis langfristig wird China sich verstärkt der Verteilungsfrage stellen müssen. Im Kern des chinesischen Wachstumsmodells steht die Subventionierung der Investionen durch negative Realzinsen, und diese kommen vor allem den Staatsunternehmen zu Gute. Diese thesaurieren zudem Gewinne weitestgehend, was Chinas hohe Sparquote erklärt, in ungewöhnlicher Abweichung vom Muster der entwickelten Industriestaaten. Im Prinzip verfolgt China also weiterhin das Wachstumsmodell einer forcierten Industrialisierung durch staatlich induzierte Kapitalakkumulation, und zu Lasten des Konsums. Nutznießer ist vor allem die staatliche Klasse, und damit der gehobene Mittelstand in den Städten Chinas. Wachsende Einkommensungleichheit, regionale und intersektorale Ungleichheit zu Ungunsten der ländlichen Räume sind nur verschiedene Seiten desselben Problems. Langfristig wird sich der Erfolg des chinesischen Modells daran erweisen, ob es gelingt, die Inklusivität des forcierten Wachstums zu steigern.
Deutsche Bahn: Der Wettbewerb gilt für alle!
Die Deutsche Bahn will das britische Verkehrsunternehmen Arriva übernehmen. Deren Anteilseigner werden über das Bahn-Angebot in Höhe von voraussichtlich 2,8 Mrd. Euro (inklusive Altschulden) im Juni befinden. Die geplante Übernahme ist nicht zuletzt der von der EU betriebenen Liberalisierung des europäischen Eisenbahnmarktes geschuldet. Seit 2001 hat die EU in drei „Eisenbahnpaketen“ die rechtlichen Voraussetzungen für einen einheitlichen europäischen Eisenbahnverkehrsmarkt geschaffen. Die Pakete regeln u.a. den diskriminierungsfreien Zugang zur Infrastruktur sowie die Öffnung nationaler Märkte für den Güter- und den grenzüberschreitenden Personenverkehr. Auch wenn sich die nationale Umsetzung aus protektionistischen Gründen verzögert (2009 hat die Kommission deshalb 21 Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet), nimmt der Zug in Richtung eines integrierten und liberalisierten europäischen Eisenbahnverkehrsmarktes zunehmend Fahrt auf.
In gleichem Maße, wie sich die Chancen für neue Marktteilnehmer dadurch erhöhen, wächst der Druck auf die (ehemaligen) Staatsbahnen. Im Vergleich zu ihren europäischen Konkurrenten bekommt gerade die Deutsche Bahn diese Konkurrenz auf ihrem Heimatmarkt zu spüren: Im Schienengüterverkehr haben die Konkurrenten ihren Marktanteil auf 21% (gemessen an der Verkehrsleistung in Tonnenkilometern) steigern können. Zudem werden öffentliche Aufträge im Schienenpersonennahverkehr immer öfter an Konkurrenten der Bahn vergeben. Ihr Anteil liegt bereits bei 10% (gemessen an der Verkehrsleistung in Personenkilometern) – Tendenz: steigend. Einzig im Personenfernverkehr hat die Deutsche Bahn u.a. wegen der hohen Markteintrittskosten ihre Monopolstellung (nahezu) behalten können. Doch selbst hier droht ihr – verkehrsträgerübergreifendes – Ungemach, sofern die Koalition den Fernverkehr für Busse freigeben sollte, wie dies im Koalitionsvertrag vereinbart ist.
Aus der rein nationalen Sichtweise wird zudem oftmals die Tatsache übersehen, dass die Deutsche Bahn mit der Bundesnetzagentur unter der Aufsicht eines vergleichsweise strengen nationalen Regulierers steht. Auch wenn die Monopolkommission in ihrem Sondergutachten aus 2009 zu recht bemängelt, dass die Regulierungsinstrumente der Bundesnetzagentur nicht ausreichend sind, um einen vollständig funktionsfähigen Wettbewerb hierzulande sicherzustellen, würden sich etwa private französische Eisenbahnverkehrsunternehmen glücklich schätzen, wenn ihr größter Konkurrent, die staatliche SNCF, ähnlich unabhängig und streng kontrolliert würde. Die SNCF nutzt ihre geschützte Position gezielt für ihre Expansion jenseits der eigenen Landesgrenzen. In Deutschland ist sie über ihre Tochter Keolis aktiv. Auch an der profitablen britischen Arriva-Gruppe soll die SNCF Interesse gehabt haben. Die Deutsche Bahn scheint ihr nun zuvorgekommen zu sein.
Angesichts der oben erläuterten Entwicklungen im europäischen Eisenbahnverkehrsmarkt ist der Versuch der Deutschen Bahn, Arriva zu übernehmen, nachzuvollziehen. Die Deutsche Bahn muss sich der Konkurrenz auf dem liberalisierten europäischen Markt stellen. Kritiker denken zu einseitig, wenn sie die Deutsche Bahn noch immer als Staatsbahn begreifen, die nur auf dem nationalen Markt aktiv werden darf. Der Ruf nach mehr Wettbewerb ist richtig. Allerdings muss er sich auf ganz Europa beziehen. Zudem ist Wettbewerb keine Einbahnstraße: Auch einem ehemaligen Staatsmonopolisten wird man nicht verwehren können, daran teilzunehmen.