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Leerverkäufe: Nur Teufelszeug?

Von Andreas Pfingsten

Per Gesetz sollen ungedeckte Leerverkäufe von deutschen Aktien sowie von Staatsschuldtiteln von Euro-Ländern verboten werden. Ein Leerverkauf liegt vor, wenn ein Investor ein Wertpapier verkauft, das er zum Verkaufszeitpunkt gar nicht besitzt. Dieser Verkauf heißt ungedeckt, wenn der Verkäufer auch keinen Lieferanspruch auf das Wertpapier bei anderen Marktteilnehmern hat. Der Investor erwartet, das Wertpapier später zu einem Preis unterhalb des eigenen Verkaufspreises beschaffen zu können, so seine Lieferverpflichtung zu erfüllen und einen Spekulationsgewinn zu vereinnahmen.

In Verruf gekommen sind derartige Transaktionen, weil auf die geschilderte Weise große Mengen eines Wertpapiers gehandelt werden können, die unter Umständen sogar oberhalb der vorhandenen Menge dieses Wertpapiers liegen. Außerdem wurde die Gefahr gesehen, dass die großvolumigen Leerverkäufe direkt zu einem Kurssturz führen, der den billigeren Rückkauf und den dabei entstehenden Spekulationsgewinn zu einer sich selbst erfüllenden Erwartung macht. Die Streuung von Fehlinformationen kann diesen Effekt sogar noch verstärken. Spekulanten könnten auf diese Art, so die gängige Vorstellung, quasi risikolos einen Gewinn erzielen und dabei z.B. die Kurse der Anleihen eines Staates oder eine Währung nach Belieben durch ihre Wetten abstürzen lassen.

Bei der Verurteilung von Leerverkäufen ist aber eine Überlegung zu kurz gekommen. Handelsaufträge für Wertpapiere enthalten immer auch Informationen. So sagt ein Leerverkauf zum aktuellen Marktpreis, dass der Verkäufer den entsprechenden Finanztitel für überbewertet hält. Und dies ist nicht nur eine leere Meinungsäußerung, sondern eine Beurteilung, für die der Investor Geld einzusetzen bereit ist. Wird der Finanztitel nämlich am Markt nicht als überbewertet gesehen, so wird der Spekulant dies bei dem Erwerb der zu liefernden Papiere erkennen und teuer bezahlen. Entsprechendes gilt, wenn z.B. kein Eigentümer von Gold bereit ist, dem Leerverkäufer Gold zum derzeitigen Marktpreis anzubieten.

Ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe (und von Derivaten mit vergleichbaren Wirkungen) erschwert die schnelle Umsetzung von Negativinformationen in Marktpreisänderungen. Anders ausgedrückt, die Schurken waren nicht zwingend die bösen Spekulanten, die griechische Anleihen herunter gewettet haben, sondern die Politiker, die das Anwachsen der Staatsschulden nicht hinreichend begrenzt haben, und Investoren, die nicht erkannt haben (wollen), dass die Kurse griechischer Staatsschuldtitel längst nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zur selbstständigen Rückzahlungsfähigkeit des Landes standen. Investoren, die aus Kursanstiegen Gewinne erzielen, werden meist zunächst als tüchtige Geschäftsleute angesehen. Werden ungedeckte Leerverkäufe untersagt, so kann das nötige Gegengewicht gegen diese Spekulanten abhanden kommen. Folgen sind aus der Subprime-Krise bekannt. Ungedeckte Leerverkäufe sind problematisch, wenn mit großen Volumina Marktmacht ausgenutzt wird oder die Leerverkäufe von Institutionen getätigt werden, die Einleger oder andere schützenswerte Kapitalgeber gefährden, wenn also ein Marktversagen vorliegt. Das weitgehende, undifferenzierte Verbot ungedeckter Leerverkäufe geht über die Vermeidung eines derartigen Marktversagens hinaus. Ob die positiven Effekte die Schwächung der Informations- und Kapitalallokationsfunktion des Marktes wirklich überkompensieren, ist eine Frage, die noch einmal genauer untersucht und überdacht werden sollte.

Jobcenter: Dauerbaustelle wird legal

Von Stefan Sell

Das folgenschwere, übrigens nicht einstimmige Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20.12.2007 hatte die Mischverwaltung von Bundesagentur für Arbeit (BA) und Kommunen bei der Betreuung der Arbeitslosengeld II-Empfänger in den „ARGEn“ für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber bis Ende 2010 Zeit gegeben, diesen Zustand zu ändern. Diese drei Jahre wurden nun tatsächlich bis zum Limit in Anspruch genommen.

Wie ist die Ausgangslage? Es gibt das gesetzliche „Regelmodell“ der ARGEn, insgesamt 345 davon im Bundesgebiet, daneben 69 sogenannte „Optionskommunen“, bei denen der kommunale Träger die Alleinzuständigkeit hat und die als befristetes Experiment gegen das Regelmodell antreten sollten, sowie – eigentlich gar nicht vorgesehen – 23 Fälle mit getrennter Aufgabenwahrnehmung, wo organisatorisch also im Prinzip einfach so weitergemacht wurde wie vor den Hartz-Gesetzen. In einem ersten Anlauf wollte die Politik nun keineswegs dem Richterspruch folgen und das Konstrukt der ARGEn wieder auflösen, sondern die Verfassungswidrigkeit durch eine Grundgesetzänderung „heilen“. Noch während der Großen Koalition einigten sich eigentlich alle Beteiligten auf ein solches Vorgehen. Dann aber blockierte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Grundgesetzänderung – und das auch nach dem Wahlsieg der Union und FDP im vergangenen Jahr. Nun lief alles auf die getrennte Aufgabenwahrnehmung ab 2011 hinaus, Bundesanstalt für Arbeit und Kommunen sollten wieder eigene Wege gehen. Dagegen entwickelte sich aus der Praxis erheblicher Widerstand, hatten die ARGEn doch nunmehr schrittweise viele Startschwierigkeiten überwunden. Eine Trennung hätte erhebliche Bürokratiekosten verursacht. Zwischenzeitlich ist man wieder auf Start zurückgegangen und will nun das Grundgesetz doch ändern, um weiter in gemeinsamen Einrichtungen arbeiten zu können.

Ist bzw. wird nun alles gut? Mitnichten, wie ein Blick in die Details offenbart. Die neue Lösung ist die konsequente Festschreibung eines doppelt suboptimalen Kompromisses. Die erste Suboptimalität ist die Trennung in SGB III („gute“ Risiken) und SGB II („schlechte“ Risiken). Dies war von der „Hartz-Kommission“ gar nicht in Erwägung gezogen worden, sondern ihr ging es immer um eine Betreuung aller Arbeitsuchenden aus einem Guss. Gerade an der Grenze zwischen dem Versicherungs- und dem Fürsorgesystem haben sich zahlreiche konfliktäre Schnittstellen etabliert. Daneben sieht die nun gefundene salomonische Lösung nicht nur die Entfristung der als Experiment gestarteten „Optionskommunen“ trotz einer unklaren Befundlage vor, sondern darüber hinaus soll die Zahl dieser Abweichungen vom Regelmodell sogar noch kräftig ansteigen, auf 110 maximal und damit ein Viertel aller Träger bundesweit. Dadurch wird die Dualisierung der Betreuung der SGB II-Klienten auf Dauer gestellt und ausgeweitet.

An vielen Stellen erinnert der Streit um die Aufgabenwahrnehmung („zentral versus dezentral“) an die Schulstrukturdebatte, von der wir doch alle wissen, dass die Unterrichtsqualität der entscheidende Faktor ist – und die hängt maßgeblich von den Personen im System ab. So auch bei der Grundsicherung. Die neue Lösung wird die alten Probleme der ARGEn und Optionskommunen nicht beseitigen, sondern nur perpetuieren. Hinsichtlich der Qualifizierung und Professionalisierung des Personals, vor allem der Fallmanager und Vermittler, wurden in den vergangenen Jahren keine substanziellen Verbesserungen erreicht – im Gegenteil, viele Mitarbeiter sind befristet beschäftigt, kommen aus fachfremden Bereichen und hatten in den vergangenen Jahren permanent Existenzangst. Wir brauchen trotz aller ordnungspolitischer Bedenken jetzt schnell institutionelle Stabilität und dann eine massive Qualifizierungsoffensive – es kann doch nicht ernsthaft akzeptiert werden, dass Fallmanager nach einer wenige Tagen umfassenden und zumeist selbstgestrickten Qualifizierung an die Front geworfen werden und zugleich alle Leistungen der Arbeitsmarktpolitik in das Ermessen der Jobcenter gestellt werden. Dies ist nicht nur gegenüber den betroffenen Menschen inakzeptabel, es ist auch kontraproduktiv hinsichtlich der Effektivität und Effizienz.

Gesundheitspolitik: An der Praxis gescheitert

Von Klaus Jacobs

In der Theorie sind einkommensunabhängige Pauschalbeiträge, die derzeit im Mittelpunkt der politischen Diskussion stehen, ein durchaus überzeugendes Finanzierungsmodell für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Alle Mitglieder einer Krankenkasse zahlen einen gleich hohen Beitrag. Dabei erhalten Geringverdiener einen steuerfinanzierten Zuschuss zur Begrenzung ihrer Beitragsbelastung. Für die Befürworter dieses Modells sind damit gleich mehrere Probleme der heutigen GKV-Finanzierung gelöst: Die seit den 1980er Jahren notorisch wachstumsschwache Finanzierungsbasis der GKV würde erweitert und gewönne an Stabilität und Nachhaltigkeit; der steuerfinanzierte Sozialausgleich bezöge alle Bürger mit allen Einkommen ein und führte zu mehr Verteilungsgerechtigkeit. Beitragsunterschiede zwischen den Kassen in Euro-Beträgen erhöhten die Transparenz und damit die Intensität des Krankenkassenwettbewerbs; und schließlich hätte ein Pauschalbeitrag ohne Arbeitgeberbeteiligung positive Beschäftigungswirkungen.

Allerdings sind Theorie und Praxis zwei Paar Schuhe. Das hat jetzt auch Gesundheitsminister Philipp Rösler schmerzhaft erfahren, denn sein Reformkonzept wurde von den Vorsitzenden der Koalitionsparteien nach nur wenigen Tagen wieder „eingesammelt“. Letztlich hat Rösler sein Reformmodell aber auch selbst demontiert. Wäre er von der Problemlösungskraft seines Konzepts wirklich überzeugt, hätte er dessen Einführung nicht in homöopathischen Dosen betreiben dürfen. Symbolik löst bekanntlich noch keine Probleme. Falsch war aber auch die Ankündigung, dass der Sozialausgleich weitgehend „automatisch“ erfolgen könne. Wie soll das funktionieren, wenn nicht einmal die Finanzämter die Einkommenslage aller deutschen Haushalte kennen? Fragwürdig zudem das Festhalten an der beitragsfreien Mitversicherung von nichterwerbstätigen Angehörigen, wo der Einkommensausgleich doch angeblich ins Steuersystem „gehört“.

Vor allem aber passt das Pauschalbeitrags-Modell nicht zu den steuerpolitischen Zielen der Bundesregierung. Wer mehr Personen und Einkommen an der solidarischen Finanzierung der Krankenversicherung beteiligen will, kann nicht gleichzeitig Steuererhöhungen für tabu erklären. Dieser Widerspruch betrifft aber auch die grundsätzliche Frage nach der Verlässlichkeit von Steuertransfers. Nur sechs Jahre nach Einführung des Steuerzuschusses zur GKV gibt es hierzu jetzt schon die fünfte gesetzliche Regelung (und die sechste ist im Rahmen des Sparpakets der Bundesregierung bereits angekündigt). Das spricht letztlich aber auch generell gegen das Pauschalbeitrags-Modell, dessen Sozialausgleich zwingend auf eine stabile Steuerfinanzierung angewiesen ist. Solange es die jedoch nicht gibt, ist das theoretisch schöne Modell für die Praxis schlicht untauglich.

Gleichwohl braucht die GKV eine baldige Stabilisierung ihrer Finanzierungsbasis, die zugleich zu mehr Verteilungsgerechtigkeit führt. Praktische Vorschläge, wie sich das ohne Systemwechsel durch Ausweitung von Personenkreis und Beitragsbasis realisieren lässt, liegen seit langem vor. Vor allem benötigt die GKV deutlich mehr Wettbewerb zur wirksamen Leistungs- und Ausgabensteuerung. Hier liegen die größten Defizite aber nicht etwa beim Krankenkassenwettbewerb, sondern in zu wenig Qualitäts- und Effizienzwettbewerb unter den Leistungserbringern. Solange die Kassen gezwungen sind, mit jedem zentral geplanten Krankenhaus oder Arzt zu Einheitspreisen zu kontrahieren, wird keine Finanzierungsreform der Welt für genügend Finanzmittel sorgen können.

EU-Kraftfahrzeugsektor: Sinnvolle Intention

Von Ulrich Heimeshoff

Seit dem 1.6.2010 ist die neue Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) in Kraft. In Bezug auf den Verkauf von Kraftfahrzeugen wurden von der Kommission keine signifikanten Wettbewerbsprobleme identifiziert. Aus diesem Grund wird dieses Segment – nach Ablauf einer dreijährigen Übergangsfrist vom 1.6.2013 an – der allgemeinen Verordnung über vertikale Vereinbarungen und abgestimmtes Verhalten der EU unterliegen. Die Neuerungen beziehen sich auf den Vertrieb von Ersatzteilen sowie Reparatur- und Wartungsdienste. Hier sind künftig vertikale Vereinbarungen zwischen Kraftfahrzeugherstellern und zugelassenen Werkstätten nur dann möglich, wenn keines der beteiligten Unternehmen einen Marktanteil von mehr als 30% besitzt. Die Kommission strebt durch diese Maßnahme die Stärkung der wettbewerblichen Position freier Werkstätten gegenüber den zugelassenen (herstellergebundenen) Werkstätten an.

Die Änderung der GVO im Kraftfahrzeugmarkt für den Anschlussmarkt ist prinzipiell zu begrüßen, weil dadurch der Wettbewerb zwischen freien und zugelassenen Kfz-Werkstätten intensiviert wird, was wiederum den Konsumenten in Form niedrigerer Preise zugutekommt. Außerdem argumentieren Befürworter mit Vorteilen für die öffentliche Sicherheit durch z.B. Vermeidung hoher Schadstoffemissionen durch schlecht gewartete Fahrzeuge. Der Möglichkeit, bestimmte vertikale Vereinbarungen per se zu erlauben, liegt die Idee zugrunde, dass dadurch Effizienzsteigerungen in Folge verringerter Transaktions- und Vertriebskosten möglich sind. Somit soll die Erlaubnis bestimmter vertikaler Absprachen der Qualitätssicherung im Bereich der Kfz-Wartung und -Reparatur dienen. Ob diese Effizienzsteigerungen tatsächlich eintreten, hängt aber wesentlich von den Marktanteilen und folglich der Marktmacht der beteiligten Unternehmen auf den jeweiligen relevanten Märkten ab. Nur wenn die Marktmacht der Parteien nicht zu groß ist, werden die positiven Effekte nicht durch effizienzmindernde Effekte in Folge wettbewerbswidrigen Verhaltens wettgemacht. Daneben existieren sogenannte Kernbeschränkungen, die verhindern, dass Ersatzteile von Vertragswerkstätten nicht an freie Werkstätten geliefert werden und der Zugang zu Instandsetzungs- und Diagnosegeräten sowie technischen Informationen für freie Werkstätten gewährleistet ist.

Die Einführung einer Marktanteilsgrenze ist prinzipiell als sinnvolle Maßnahme zu bewerten. Um eine effizienzsteigernde Wirkung zu entfalten, muss die neue Regelung aber auch greifen. Wie viele Unternehmen unter die Marktanteilsklausel fallen und tatsächlich einen Marktanteil größer 30% aufweisen, bleibt zunächst unklar. Sollte diese Klausel nur sehr wenige Unternehmen betreffen, würde die neue Regelung im Vergleich zur alten Verordnung keinen Fortschritt bedeuten. Selbst wenn sie greifen würde, ist die Überprüfbarkeit der Marktanteilsbedingung keinesfalls trivial. Während der Marktanteil des Herstellers auf der vorgelagerten Ebene vergleichsweise einfach zu bestimmen ist, erscheint die Bestimmung des Marktanteils auf der nachgelagerten Werkstattebene deutlich komplizierter. Bereits die geographische Marktabgrenzung dürfte nicht einfach und vor allem regional sehr unterschiedlich ausfallen. Darüber hinaus ist auch die sachliche Marktabgrenzung verhältnismäßig kompliziert durchzuführen, weil zunächst einmal geklärt werden muss, ob wirklich alle Werkstätten in Konkurrenz zueinander stehen oder dort Einschränkungen zu beobachten sind. Selbst beim Abstellen auf das gesamte Werkstattnetz eines Anbieters ist nicht klar, wie häufig die Schwelle von 30% überschritten wird. Somit bleibt festzuhalten, dass die Intention der neuen Verordnung sinnvoll und angemessen ist, es aber fraglich erscheint, ob Ziele wie z.B. Effizienzgewinne bzw. Erhöhung der öffentlichen Sicherheit erreicht werden können.


DOI: 10.1007/s10273-010-1082-9

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