Langzeitarbeitslosigkeit: Fortschritte nicht gefährden
Der Bundestag hat Ende September ein „Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt“ verabschiedet, das Vereinfachungen, aber auch Kürzungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik vorsieht. Auf den ersten Blick scheint der Sparkurs mit expliziter Betonung der Effektivität und Effizienz von Maßnahmen vernünftig zu sein. Denn seit 2005 ist die Arbeitslosigkeit in Deutschland von über 5 Mio. auf unter 3 Mio. gesunken, die Langzeitarbeitslosigkeit sank sogar um mehr als 40% auf 960 000. Selbst die globale Wirtschaftskrise im Winter 2008/09 hatte nur geringe und temporäre Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit. Kennt der deutsche Arbeitsmarkt derzeit nur Gewinner?
Ganz so einfach ist es nicht. Zum einen mag sich so mancher Arbeitslose nicht als Gewinner fühlen, wenn er zunächst nur eine subventionierte oder befristete Beschäftigung oder Zeitarbeit findet. Und dennoch: Diese Erwerbsformen sind nützlich, denn der Weg aus der Abhängigkeit von sozialen Leistungen sollte immer oberste Priorität haben. Zum anderen wird die neue Flexibilität am Arbeitsmarkt häufig den Arbeitnehmern abverlangt, vor allem den größer gewordenen Randbelegschaften. Die flexibler gestalteten Institutionen am Arbeitsmarkt sollten weiterhin durch aktive Politik flankiert werden, damit sich durch die höhere Fluktuation entstandene Arbeitslosigkeit auch dann nicht verfestigt, wenn eine konjunkturelle Flaute länger währt. Dies gilt umso mehr, als der demografische Wandel die Knappheit von Arbeitskräften erhöhen wird.
Doch nicht nur die Beschäftigung, auch die Arbeitslosigkeit ist zweigeteilt: Auf der einen Seite gibt es gut ausgebildete Personen, die im Zuge der üblichen Dynamik arbeitslos werden, aber schnell wieder eine adäquate Stelle finden. Bei dieser Gruppe ist der Einsatz arbeitsmarktpolitischer Instrumente umstritten und die Wirkung häufig sogar negativ. Zudem erscheinen die Möglichkeiten begrenzt, Arbeitslosigkeit noch wesentlich durch eine Verkürzung der Suchdauern zu verringern. Um strukturelle Arbeitslosigkeit weiter abzubauen, muss bei der Langzeitarbeitslosigkeit angesetzt werden. Trotz aller Bemühungen bleibt jeder dritte Arbeitslose langfristig von der Teilhabe am Erwerbsleben ausgeschlossen. Häufig sind die Betroffenen zu gering oder nicht mehr zeitgemäß qualifiziert, um gegen die starke Konkurrenz um Arbeitsplätze zu bestehen. Aber auch Alleinerziehende, Ältere und Arbeitslose mit gesundheitlichen Einschränkungen sind oft von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen.
Zielgruppenspezifische Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik können helfen, Qualifikationen zu erwerben oder die anfangs geringere Leistungsfähigkeit von Langzeitarbeitslosen mittels befristeter Lohnkostenzuschüsse auszugleichen. Vor allem Eingliederungszuschüsse und betriebliche Trainingsmaßnahmen erhöhen die Beschäftigungschancen. Wichtig sind darüber hinaus spezifische Programme für Langzeitarbeitslose mit psychischen und gesundheitlichen Problemen und die Förderung von Beschäftigungen mit flexiblen Arbeitszeiten, um die Vereinbarkeit von familiären Bedürfnissen und Erwerbsarbeit zu ermöglichen. Dies alles sinnvoll zuzuordnen, setzt eine angemessene Betreuungsrelation voraus, sodass sich die Vermittler vor Ort mit der spezifischen Situation der Langzeitarbeitslosen auseinandersetzen können.
Um die erzielten Erfolge beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit nicht zu gefährden, sollten auch in Zeiten des Sparens nachweislich wirksame Fördermaßnahmen angeboten werden. Dies gilt gerade für innovative, auf die Problemlagen der arbeitsmarktfernen und benachteiligten Personen zugeschnittene Ansätze. Denn erfolgreiche Maßnahmen gegen Langzeitarbeitslosigkeit entlasten den Etat zwar nicht immer sofort, dafür aber nachhaltig.
Erneuerbare Energien: Mehr Wettbewerb nötig
Im Zuge der Energiewende soll die Stromerzeugung in Deutschland radikal umgestellt werden. Bis 2020 soll 35% des Stroms durch erneuerbare Energien erzeugt werden, d.h. der Anteil an „grünem Strom“ von momentan etwa 18% soll sich in den nächsten zehn Jahren fast verdoppeln.
Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien wird in Deutschland vor allem über das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) gefördert. Für Strom aus erneuerbaren Energien gilt ein Einspeisevorrang; Netzbetreiber sind verpflichtet, EEG-Strom prioritär abzunehmen. Für den EEG-Strom haben die Netzbetreiber eine gesetzlich festgelegte Vergütung pro kwh zu zahlen. Die Vergütungssätze sind (abgesehen von wenigen Ausnahmen) für 20 Jahre festgeschrieben, und sie variieren zwischen den unterschiedlichen Energieträgern, d.h. Strom aus Biomasse wird mit einem anderen Satz vergütet als Solarstrom, der sich in der Vergütung wiederum von Windenergie unterscheidet. Bei der Windenergie wird noch zwischen On-Shore- und Off-Shore-Windparks unterschieden, und bei Photovoltaik wird unterschieden zwischen Dachflächen, Freiflächen und Ackerflächen, und zwischen Anlagengrößen wird auch noch minutiös differenziert.
Es gelten also staatlich detailliert festgelegte Preise – Markt und Wettbewerb spielen im Bereich des EEG-Stroms keine Rolle. 2010 haben diese EEG-Einspeisevergütungen die Verbraucher 12,6 Mrd. Euro gekostet, die in Form der EEG-Umlage von den Stromverbrauchern eingetrieben werden. Davon fließen über 30% in die Photovoltaik, die aber nur 10% des grünen Stroms ausmacht. Die fehlende Rückkopplung des EEG-Stroms an den Markt führt dazu, dass die Energiewende viel teurer wird, als eigentlich nötig wäre. Fast die Hälfte der weltweit installierten Solaranlagen steht in Deutschland – ein äußerst zweifelhafter Erfolg, bedenkt man, dass Deutschland ein relativ sonnenarmes Land ist. Würde die Hälfte der weltweiten Bananenproduktion subventionsbedingt auf eine Bananenrepublik Deutschland entfallen, wäre dies volkswirtschaftlich (abgesehen von der dann sicher bestehenden Bananenlobby) kaum als Erfolg zu werten. Der Kosten-Tsunami der EEG-Förderung führt dazu, dass immer mehr Industrien von der EEG-Umlage befreit werden, damit ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleiben kann. Zugleich wird bereits der Ruf nach (staatlich administrierten) Sozialtarifen für Energie laut, damit sich auch sozial schwache Haushalte den immer teurer werdenden Strom leisten können. Immer weniger Nachfrager müssen dann die gewaltigen EEG-Kosten tragen.
Je stärker die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien forciert werden soll, desto dringender wird die Frage, wie ein solches Ziel möglichst günstig erreicht werden kann. Eine Möglichkeit wäre, die Netzbetreiber zu verpflichten, über das gesamte Jahr gesehen einen Prozentsatz x an „grünem Strom“ aufzunehmen und für jede MWh ein grünes Zertifikat auszugeben. Diese Zertifikate sollten handelbar sein. Netzbetreiber, die mehr grünen Strom aufnehmen als x, können dann die Zertifikate weiter verkaufen. So würde wenigstens im grünen Stromsektor Wettbewerb zwischen Photovoltaik, On- und Off-Shore-Windenergie, Strom aus Biomasse, etc. geschaffen. Die Ausbau-Menge ließe sich durch eine klare Mengenvorgabe auch viel effektiver steuern und auch die Kosten ließen sich besser eindämmen. Noch besser wäre es allerdings, nicht die Netzbetreiber, sondern die Energieversorger mit der Pflicht zu belegen, x% grünen Strom zu vertreiben. Im Gegensatz zu den Netzbetreibern stehen die Energieversorger nämlich im Wettbewerb und haben daher noch stärkere Anreize, möglichst günstig grünen Strom zu beziehen. Selbst wenn die Investoren für heute errichtete Anlagen Vertrauensschutz genießen, könnte z.B. ab einem Schwellenwert von 20% für die nächsten 15%, die bis 2020 hinzukommen sollen, der Regimewechsel zu mehr Markt und Wettbewerb vollzogen werden.
Arzneimittelpreise: Den Forderungen nicht nachgeben!
Das Jahr 2010 endete für die Arzneimittelhersteller mit einer bösen Überraschung. Unter der sperrigen Überschrift Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) hat die schwarz-gelbe Bundesregierung der Pharmaindustrie bittere Pillen verordnet. Patentgeschützte Arzneimittel außerhalb des so genannten Festbetragsmarkts wurden mit einem Zwangsrabatt von 16% belegt. Außerdem müssen die Hersteller für neue Präparate zukünftig einen Zusatznutzen nachweisen, um Preiserhöhungen im Vergleich zu bereits am Markt eingeführten Alternativen erheben zu können. Diese Preiserhöhungen müssen sie auch noch in mühsamen Verhandlungen mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung durchsetzen. Die Überraschung war groß, dass ausgerechnet ein liberaler Gesundheitsminister – der jetzige FDP-Parteichef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler – die Arzneimittelhersteller derart an die kurze Leine genommen hat. Das hat keine seiner Vorgängerinnen geschafft.
In jüngster Zeit sind von den Arzneimittelherstellern jedoch verstärkt Forderungen zu hören, die vor noch nicht einmal einem Jahr verabschiedeten Maßnahmen wieder zurückzunehmen. Ein Zwangsrabatt, so heißt es von der Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Arzneimittelhersteller, könne nur in Notsituationen helfen und lasse sich nicht unter allen Umständen rechtfertigen und beibehalten. Außerdem bestehe die Gefahr, dass Preisverhandlungen zwischen den Herstellern und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen die Einführung von Innovationen blockieren könnten. Erste Reaktionen aus dem Hause von Röslers Nachfolger lassen zumindest ein gewisses Verständnis für die Forderungen der Pharmalobby erkennen.
Was ist von den Argumenten der Arzneimittelhersteller zu halten? Korrekt ist, dass sich die Finanzsituation der gesetzlichen Krankenkassen insgesamt im Vergleich zum Vorjahreszeitraum deutlich verbessert hat. Das liegt am Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung und steigenden Löhnen im Aufschwung. Das weckt Begehrlichkeiten. Auch Ärzte und Krankenhäuser haben bereits ihre Ansprüche angemeldet. Der Gesundheitsfonds – aus dem die Krankenkassen den Großteil ihrer Einnahmen erhalten – ist jedoch darauf angewiesen, in konjunkturell guten Zeiten Reserven zu bilden. In einer Rezession dienen diese Reserven dann dazu, eine Erhöhung des einkommensabhängigen Beitrags zu verhindern. Hinzu kommt, dass die Preise für patentgeschützte Arzneimittel im internationalen Vergleich in Deutschland noch immer auf einem für die Hersteller auskömmlichen Niveau sind. Eine Rücknahme des Zwangsrabatts würde die Konsolidierung des Gesundheitsfonds nachhaltig gefährden.
Die Wirkung des Zwangsrabatts ist kurzfristig und zugegebenermaßen vergleichsweise undifferenziert. Hoch innovative Präparate sind ebenso betroffen wie so genannte Scheininnovationen. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber die frühe Nutzenbewertung eingeführt, in der die Hersteller den Zusatznutzen ihres Präparats im Vergleich zu auf dem Markt eingeführten Alternativen nachweisen müssen. Erst wenn ihnen dies gelingt, können die Hersteller über Innovationszuschläge verhandeln. Dieses Verfahren soll gerade Anreize dafür setzen, dass die Hersteller in die Entwicklung von Innovationen mit einem nachweisbaren Zusatznutzen investieren und sich Investitionen in Scheininnovationen nicht lohnen. Daher sollte der Gesetzgeber auch hier den Forderungen der Hersteller nicht nachgeben.
EU-Emissionshandel: Luftfahrt - am Ziel?
Zum 1. Januar 2012 erfasst der EU-Emissionshandel auch die europäische Luftfahrt. Dabei werden nicht nur die innereuropäischen Flüge und europäische Fluggesellschaften einbezogen, sondern auch Interkontinentalflüge und nichteuropäische Fluggesellschaften. 2013 beginnt die Nach-Kyoto-Periode, die die EU trotz des gescheiterten UN-Abkommens im Als-ob-Modus in Kraft gesetzt hat; wie dies auch schon in Hinblick auf die Kyoto-Absprachen galt. Unilateraler Vorausgang hat sich bislang als Bedingung erfolgreichen Multilateralismus erwiesen.Nun wird es auch für die internationale Luftfahrt ernst. Die ist ein klimapolitisches Sorgenkind besonderer Monströsität: Sie ist mit Abstand Spitzenreiter im CO2-Wachstum.
Möglich ist das, weil sie sich dem Regime der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) entzieht – was ohne Grenzen ist, wuchert bekanntlich. Das UN-Konzept politischer Herrschaft stammt aus dem 19. Jahrhundert, gedacht als aufsummierte Herrschaft von Nationalstaaten, die jeweils auf ihrem Territorium Souverän sind. Dies lässt zwangsläufig einen Rest ohne Herrschaft: Die Weltmeere und den Luftraum. Darin bewegen sich die Fahrzeuge des internationalen Flug- und Seeverkehrs. Emittieren sie in diesem Raum, so tun sie dies unter keines Staates Jurisdiktion, sie fallen in eine Lücke des UN-Klimaregimes. In einer wirtschaftlich globalisierten Welt bedarf es als Komplement einer politischen Grenzsetzung, eines Schutzes der uns tragenden Systeme. Das Fehlen einer Weltregierung haben die Nationalstaaten auszugleichen. Gelingt ihnen das gemeinsam nicht, dann bleibt nur eine extraterritoriale Rechtsetzung durch einzelne globale Akteure. Exakt das hat die EU getan, sie ist vorangegangen. Per 1. Januar 2012 sind sämtliche Flüge, die in der EU beginnen oder enden, einbezogen. „Einbeziehung“ bedeutet, dass die Luftverkehrsgesellschaften für sämtliche CO2-Emissionen, die bei solchen Flügen anfallen, Rechte vorzuweisen haben. Das gilt nicht nur für EU-interne Flüge (entsprechend 65 Mio. t CO2 in 2004), die Verpflichtung gilt auch für (Direkt-)Flüge zu und von sämtlichen Destinationen auf dem Globus (130 Mio. t CO2/Jahr).
Die EU-extraterritoriale Wirkung wird von den Weltmächten USA und China als Provokation eines Emporkömmlings empfunden. Die US-Handelskammer klagt dagegen vor dem EuGH, China hat nachdrücklich protestiert. Bei der letzten Versammlung der International Civil Aviation Organization (ICAO) musste die EU Zugeständnisse machen, um einen Beschluss zu verhindern, der ihr Vorgehen als illegal gebrandmarkt hätte.
Lachende Dritte sind die Fluggesellschaften. Sie erhalten 85% der erforderlichen Emissionsrechte (Basislinie: durchschnittlichen Emissionen der Jahre 2004 bis 2006) kostenlos. Wie damit umzugehen ist, haben die Elektrizitätsversorgungsunternehmen in Europa nach der kostenlosen Zuteilung von Emissionsrechten ab 2006 vorgemacht: Einpreisung der Freirechte als Opportunitätskosten war die Maxime. Lufthansa hat angekündigt: „Es ist unsere generelle Zielsetzung, die Kosten des Emissionshandels zu 100 Prozent weiterzugeben“. Die Ausweitung der Erfassung des Luftverkehrs in seinen weiteren Klimaeffekten, z.B. durch NOx steht noch aus. Der Europäische Rat hat bei der Verabschiedung der jetzt real werdenden Regelung versprochen: „Stickoxidemissionen werden durch andere – von der Kommission im Jahr 2008 vorzuschlagende – Rechtsvorschriften geregelt werden.“ Geliefert wurde nicht.