Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

In der Januarausgabe 2011 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Beitrag von Jürgen Faik und Tim Köhler-Rama zum Thema „Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung – Wer soll für die unterschiedlichen Lebenserwartungen von Frauen und Männern zahlen?“. Roland Eisen setzt sich kritisch mit diesem Beitrag auseinander. Daraufhin erläutern die Autoren des Beitrags ihre Auffassung in einer Erwiderung

Eine Replik zu J. Faik und T. Köhler-Rama

Von Roland Eisen

Die Autoren Jürgen Faik und Tim Köhler-Rama greifen in ihrem in der Januar-Ausgabe des Wirtschaftsdienst veröffentlichten Beitrag „Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung – Wer soll für die unterschiedlichen Lebenserwartungen von Frauen und Männern zahlen?“1 eine immer wieder, insbesondere in der privaten Kranken- und Rentenversicherung, diskutierte Frage auf. In der privaten Versicherung werden risikoadäquate (besser: risikoorientierte) Prämien verlangt; Prämien also, die im Durchschnitt so hoch sein müssen, dass die Gesamtheit der Leistungen bezahlt werden kann, die aber nach bestimmten Risikofaktoren differenziert sind. Dabei steht im Hintergrund ein Modell des Zufalls, das durch unterschiedliche Faktoren determiniert wird. Dies führt in verschiedenen Versicherungen dazu, dass unterschiedliche Prämien für Frauen und Männer verlangt wurden und noch werden. Im Gegensatz dazu haben sich die gesetzlichen Versicherungen (hier sowohl die Kranken- als auch die Rentenversicherung) durch gleiche Prämien ausgezeichnet.

Die Relevanz der Frage hat an Brisanz gewonnen seit die EU-Kommission mit ihrer Gleichstellungs-Richtlinie immer stärker auf eine „Geschlechterneutralität“ in der Kranken- und Rentenversicherung pocht.2Und diese Diskussion hat in gewissem Sinne nun ein Ende gefunden: Der Europäische Gerichtshof hat unterschiedliche Tarife für Männer und Frauen für unzulässig erklärt.3 Inwiefern die weitergehenden Aussagen, die im Wesentlichen auf der veröffentlichten Ansicht der Versicherungsbranche fußen, richtig sind, trifft genau das hier zu verhandelnde Thema: „Unisexurteil stellt Versicherer vor Probleme“4 bzw. „Ein Urteil, das teuer wird“5.

Schon die früheren Beiträge, die sich etwa mit den verschiedenen Ertragsraten von Frauen und Männern in der gesetzlichen Rentenversicherung befasst haben,6 oder auf die Höhe der Beiträge abstellen,7 aber auch der nun hier vorgelegte Aufsatz beruhen zum großen Teil auf Missverständnissen (oder Fehlern) über zwei zentrale Argumente:

  • Erstens über den Sinn und Zweck von Versicherung, häufig unter dem Rubrum „versicherungsfremde Leistungen“, also Leistungen, die nicht in die gesetzliche Rentenversicherung gehören, sondern in andere Versicherungszweige oder durch andere Mechanismen (etwa Steuer-Transfer-Systeme) ausgeglichen werden müssen.
  • Zweitens geht es um die Frage, ob das Geschlecht ein (und damit für die Beitragsbestimmung neben dem Alter das entscheidende) Risiko ist und wie man es gegebenenfalls versichern kann/soll.

Meines Erachtens sind die beiden Argumente, obwohl schon diverse Male aufgegriffen und diskutiert, zwar interessant, aber im Prinzip falsch formuliert.

Was sind „versicherungsfremde Leistungen“?

Schon zu Beginn ihres Beitrags weisen Faik/Köhler-Rama8 auf verschiedene Regelungen zugunsten von Frauen hin: Neben der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten geht es um die überwiegend von Frauen bezogenen Hinterbliebenenrenten und den früheren Eintritt in die Altersrente (ohne „versicherungstechnische“ Abschläge). Darauf zielen Faik und Köhler-Rama ihre zentrale Frage: „ob die Besserstellung von Frauen in der Rentenversicherung zur Kompensation der Nachteile in anderen Lebensbereichen9 im Sinne eines sozialen Ausgleichs der Rentenversicherung tatsächlich eine Aufgabe der GRV-Versichertengemeinschaft ist“.10 Deshalb müssen die Begriffe Risikoausgleich und sozialer Ausgleich „trennscharf voneinander“ unterschieden werden.11

Damit ist der Sachverhalt der „versicherungsfremden Leistungen“ angesprochen.12 Und hier gilt: Es gibt keine versicherungsfremden Leistungen. Was und wer in einer Versicherung versichert wird, sagt nicht unbedingt ihr Name, sondern ihr Zweck. In der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung ist es die Familie, die versichert ist, auch wenn zunehmend der privaten Versicherung folgend, „Individualisierung“ gefordert und durchgesetzt wird. Für die Rentenversicherung bedeutet dies, dass Geburten und daraus (darauf) folgende „Fehlzeiten“ mitversichert sind, ob man (oder wer) die „Familienauszeiten“ nimmt oder nicht oder ob man z.B. auch Teilzeitarbeit leistet. Denn ein Großteil der Verdienstunterschiede im Lebenslauf zwischen Frauen und Männern ist ursächlich auf die Geburt von Kindern zurückzuführen.13

Man kann sicherlich die Frage stellen – ganz im Sinne der beiden Autoren –, wer dafür die Beiträge aufbringen soll. Die von Faik und Köhler-Rama vorgestellte Lösung verweist auf den Finanzminister; ich meine aber die Versicherten. Die Autoren sind offenbar der Auffassung, dass die sogenannten „Extraleistungen“ („versicherungsfremde Leistungen“) ihren Platz im Familienlasten(-leistungs-)ausgleich, also nicht in der Renten- (oder Kranken-)Versicherung haben. Unabhängig von der Frage, ob eine solche Lösung – Quasi-Umverteilungen in das Steuersystem – die Einkommensteuer nicht überfordert, sei hier nur auf die Rolle der Einkommensteuer im deutschen und im dänischen System verwiesen.

Die von mir vorgeschlagene Lösung ist systematischer und benötigt keine (Extra-)Beiträge, weil das, was eingenommen auch ausgegeben wird. Bei der Rentenberechnung werden allerdings bestimmte (zusätzliche) Faktoren – wie etwa die Kinderzahl und die Kindererziehungszeiten (was interessanterweise schon teilweise berücksichtigt ist)14 – in Rechnung gestellt. Wie diese auf die einzelnen Familienmitglieder umgelegt wird, ist nicht so wichtig, wenn man an dem Anwartschaftssplitting festhält.

Das Geschlecht als „versicherbares“ Risiko?

Wichtiger für das Thema ist aber die Feststellung von Faik und Köhler-Rama,15 dass „das Geschlecht – anders als die Invalidität oder die individuelle Langlebigkeit – kein Risiko ist, das in der Rentenversicherung versichert ist“. Für mich erhebt sich hier nun die Frage, welcher Teil dieses Satzes mehr Relevanz haben soll: dass „das Geschlecht … kein Risiko ist“, oder „das in der Rentenversicherung versichert ist“? Denn die Konsequenzen sind ganz unterschiedlich.

  • Zum einen, Geschlecht kann durchaus als ein Risiko betrachtet werden und nicht bloß „eine erkennbare und prinzipiell unveränderliche Eigenschaft, die zum Zeitpunkt des Eintritts in die Versicherung bekannt ist“.16 Wie man auch immer die längere durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen erklärt – Geschlecht ist ein Risiko, deshalb wird es ja auch bisher in der privaten Versicherung bepreist. Erhellend fand ich die Verwendung des Arguments des Robert Koch-Instituts,17 dass rund „die Hälfte dieses Überlebensvorteils … auf genetische bzw. hormonelle, also verhaltensunabhängige Faktoren“ zurückgeführt werden können. Wie man auch immer dieses Argument selbst bewertet18 – umso schlimmer für das Argument der beiden Autoren: Risiken sollten verhaltensunabhängig sein, sonst sprechen wir von Moral Hazard (im negativen Bereich, wenn man das Risiko erhöht) oder von Prävention (im positiven Bereich, wenn man das Risiko zu reduzieren versucht).
  • Aber wahrscheinlich geht es Faik und Köhler-Rama doch um den zweiten Teil der Aussage, ob das Geschlecht, das ein Risiko ist, beim Eintritt in die GRV versichert werden kann, da es ja bekannt ist. Es geht also vielmehr darum, wann etwas versichert wird. Es gibt nun durchaus Versicherungen, die auch nach Eintritt des Schadenfalls (etwa einer Havarie) abgeschlossen werden (können), wenn etwa die Höhe des zu erwartenden Schadens noch unbekannt ist. Aber hier geht es darum, ob in der gesetzlichen Rentenversicherung (aber auch in der privaten Kranken- und Rentenversicherung) auch Kinder und deren Geschlecht bzw. Erb- oder genetisch bedingte Krankheiten versichert werden können. Mein Argument ist hier, die Versicherung z.B. schon vor der Geburt beginnen zu lassen, d.h. die Eltern schließen diese Versicherung ab, dann ist das Geschlecht (und die genetische Veranlagung etc.) ein Risiko und kann versichert werden. Die gesetzlichen Versicherungen fingieren automatisch diesen Fall, jeder (auch wenn hier historische Einschränkungen noch gelten, aber die Bürgerversicherung bzw. die Bürgerprämie weisen ja schon in diese Richtung) ist automatisch versichert, auch wenn die Beitragszahlung erst nach einer gewissen Periode beginnt.19

Zur Prämienkalkulation

Es gibt aber noch weitere Argumente, die hier herangezogen werden können. Sowohl in der privaten als auch in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung werden (im Wesentlichen) nur das Alter und das Geschlecht als „Risikofaktoren“ herangezogen. Die Lebenserwartung ist aber z.B. systematisch mit dem Einkommen korreliert („Reiche leben länger“). Daneben spielen auch regionale Differenzierungen sowie die Lebensweisen (Sport, Rauchen, Trinkgewohnheiten etc.) und der Bildungsstand eine wichtige Rolle.20 Also müsste man die Lebenserwartung – und die fernere oder „Rest“-Lebenserwartung jenseits von 65 Jahren, denn auf die kommt es in der Rentenversicherung an, – auf eine Vielzahl von Faktoren (Determinanten) regressieren, nicht bloß auf das Geschlecht!

Je mehr Faktoren risikorelevant sind und in der Kalkulation herangezogen werden, umso kleiner wird der unerklärte Rest einer Regression (und dies bezieht sich nicht nur auf das ganz und gar nicht normal verteilte Epsilon – also den unerklärten Rest –, sondern auch auf die Varianz, also die Schwankungen um den Mittelwert, denn auch diese beschreibt unser Nichtwissen), desto eher spricht dies auch für eine Versicherung.21 Hier kann man noch einen Schritt weiter gehen: Je größer diese Schwankungsbreite (Varianz) ist, umso höher ist die „Unsicherheit“ und desto höher ist der notwendige Sicherheitszuschlag, was die private Versicherung sehr teuer macht – und indirekt für eine staatliche Versicherung spricht. Aber wenn die Varianz sehr groß ist und z.B. zwischen den Gruppen stark überlappt, sagt der Mittelwert gar nicht mehr viel aus. Hinzu kommt, dass es sich trotz eines hohen Bestimmtheitsmaßes der erklärenden Variablen um eine „Scheinkorrelation“ handeln kann, d.h. die wirkliche(n) Ursache(n) ist (sind) nicht erfasst, sondern nur ein Indikator, der unsere Vorurteile bestätigt.

Geschlecht kein Risiko, sondern ein Indikator?

Dieses Argument wurde von Kenneth Arrow, insbesondere aber von Michael Spence22 im Rahmen der Humankapital-Theorie vorgebracht: Dann, wenn wir nichts z.B. über die Fähigkeiten oder die Produktivität von Menschen wissen, werden gern irgendwelche Indikatoren herangezogen, die leicht zu beobachten sind und die dann nur dazu dienen, unsere Vorurteile zu bestätigen, etwa hinsichtlich Farbiger, Frauen, Rothaariger usw. Man spricht hier auch von statistischer Diskriminierung. Die Bemerkung von Faik und Köhler-Rama, dass das Geschlecht „eine erkennbare und prinzipiell unveränderliche Eigenschaft“23 ist, könnte sich auch in diesem Sinne interpretieren lassen.

Diese statistische Diskriminierung wird auf verschiedenen Versicherungsmärkten verwendet, um die Risiken nach unterschiedlichen Merkmalen (Kriterien) zu klassifizieren. In der Kfz-Versicherung scheinen die Unfallwahrscheinlichkeiten deutlich mit dem Alter und dem Geschlecht korreliert zu sein. Da Alter und Geschlecht nun sehr leicht und relativ billig beobachtet werden können, zwingt scheinbar der Wettbewerb die Versicherer, höhere Prämien für junge männliche Fahrer zu verlangen oder umgekehrt, niedrigere Prämien für junge Frauen anzubieten. Trotzdem wird auf vielen Märkten die Kategorisierung mit bestimmten Merkmalen verboten.24

Aber: Ist die (statistische) Kategorisierung in diesem Falle auch effizient? Keith Crocker und Arthur Snow25 haben gezeigt, dass kostenlose unvollständige Kategorisierung die Effizienz fördert. Ist die Klassifizierung aber mit Kosten verbunden, sind die Effizienzeigenschaften unklar. Crocker und Snow gehen dann noch einen Schritt weiter, in dem sie auf den folgenden Zusammenhang hinweisen: Bei asymmetrischer Information, wenn also ein Vertragspartner (meist der Versicherungskäufer) mehr über seine Risikocharakteristiken weiß als der andere Vertragspartner (also die Versicherungsgesellschaft), haben Michael Rothschild und Joseph Stiglitz26 gezeigt, dass ein Gleichgewicht mit separierenden Verträgen dann existiert, wenn der Anteil der schlechten Risiken nicht zu groß ist. Schwächt man hier die Bedingungen für (vollkommenen) Wettbewerb etwas ab,27 dann existiert ein „Mischgleichgewicht“ (also ein Gleichgewicht, bei dem die Risikoklassen denselben Vertrag angeboten bekommen) oder ein Gleichgewicht, bei dem die Gewinne bei den „guten“ Risiken zur Subventionierung der Verluste bei den „schlechten“ Risiken herangezogen werden (sogenannte Steuer-Transfer-Gleichgewichte), die sogar (second-best) effizient sind.28 Interessant dabei ist, dass auch die „guten“ Risiken (in der Rentenversicherung also die Männer) diese Verträge freiwillig nachfragen.

Natürlich kann das Geschlecht beobachtet werden, und wenn es als „risikorelevant“ erkannt wurde (siehe oben), könnten auch je nach Geschlecht getrennte Verträge abgeschlossen werden, d.h. es könnte immer eine Versicherungsgesellschaft geben, die nur Rentenversicherungen für Männer anbietet. Aber, unter gewissen, gar nicht allzu restriktiven Bedingungen ist es – wie gerade argumentiert – optimal, selbst auf wettbewerblich organisierten Märkten entweder nur einen Vertrag für beide Risiken oder zwei Verträge für die jeweilige Risikogruppe anzubieten, die aber beide nicht den „reinen“ Risiken entsprechen. Der Vertrag der besseren Risiken (also hier der Männer) wird dann besteuert und damit der Vertrag der schlechteren Risiken (also hier der Frauen) subventioniert. Wie Michael Spence gezeigt hat, kann man dieses Steuer-Transfer-Gleichgewicht nun auch noch dazu heranziehen, ganz bewusst Umverteilungen vorzunehmen, die über den Risikofaktor hinausgehen, also zusätzlich etwa noch das Einkommen oder die Benachteiligungen von Frauen am Arbeitsmarkt berücksichtigen.29

Selbst dann, wenn man das Argument von Faik und Köhler-Rama akzeptiert, dass das beobachtbare Merkmal Geschlecht für die Risikoklassifizierung allein relevant ist, gibt es gute Gründe, davon abzuweichen. Und genau darauf bezieht sich auch das oben genannte Argument von Crocker und Snow:30 Kostenlose unvollständige Klassifizierung ist in diesem zweitbesten Sinne effizient, wenn gleichzeitig die Bedingung der Selbstselektion erfüllt ist. Lässt man ein Steuer-Transfer-Gleichgewicht im gerade genannten Sinne von Wilson-Miyasaki-Spence zu, kann gezeigt werden, dass kein Individuum durch eine solche Klassifizierung verlieren muss. Oder umgekehrt: Selbst wenn die Klassifizierung nur auf dem Geschlecht beruht, ist ein Vertragspaar mit stark besteuerten/subventionierten Verträgen (oder gar ein Misch-Vertrag, bei dem beide „Klassen“ denselben Vertrag kaufen) effizient. Die gesetzliche Rentenversicherung, die annahmegemäß keinen direkten Wettbewerb fürchten muss, kann also mit einem solchen Vertrag eine effiziente und gerechte Lösung „simulieren“.31

Zusammenfassung

Die von Faik und Köhler-Rama gestellte Frage, wer die Begünstigungen von Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung zahlen soll, entweder die Versichertengemeinschaft der Rentenversicherung oder die Gesellschaft als Ganzes durch ein in der Rentenversicherung integriertes oder separates Steuer-Transfer-System, kann eindeutig beantwortet werden: Es gibt eine Reihe von sehr guten, insbesondere theoretischen Argumenten, die für den Ausgleich in der Rentenversicherung sprechen, weil sie

    • einerseits zeigen, dass die „scharfe“ Trennung zwischen Risikoausgleich und sozialem Ausgleich gar nicht möglich ist, nicht einmal auf Wettbewerbsmärkten, und folglich immer eine Vermischung der beiden existiert, und
    • andererseits gar nicht nötig ist, weil Mischverträge bzw. stark umverteilende Verträge (second best) effizient sind – und damit auch gezeigt ist, dass hier die Sozialversicherung der privaten Versicherung überlegen ist.32
    • Darüber hinaus ist die Sozialversicherung hervorragend geeignet, die „Ungerechtigkeiten“, die sich sowohl in der „gender wage gap“ wie in der „gender retirement or pension gap“ zeigen, zu kompensieren. Eine Diskussion dieser Maßnahmen (Bürgerversicherung, Minimumrente, Rentenberechnungsregeln, Rentensplittung oder Familien-Rente)33 soll hier aber unterbleiben.
    • Dies führt letztlich zu dem Argument, wie es die EU-Kommission, die Bundesregierung mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungs-Gesetz und der Europäische Gerichtshof vorgebracht haben, dass in der Rentenversicherung (aber auch in anderen Versicherungszweigen) die Verwendung des Geschlechts als „Risikofaktor“ eine (statistische) Diskriminierung (meist eben der Frauen, auch wenn immer wieder die „jungen Autofahrerinnen“ als Gegenbeispiel herangezogen werden) darstellt.
  • 1 J. Faik, T. Köhler-Rama: Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung – Wer soll für die unterschiedlichen Lebenserwartungen von Frauen und Männern zahlen?, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 1, S. 61-67.
  • 2 Darauf hat die Bundesregierung mit ihrem Allgemeinen Gleichbehandlungs-Gesetz (AGG) von 2006 reagiert.
  • 3 Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-236/09.
  • 4 Financial Times Deutschland vom 2.3.2011, S. 15.
  • 5 Süddeutsche Zeitung vom 3.3.2011, S. 25. Das im Vorfeld des Urteils aufgebaute „Drohszenario“ kann den Eindruck vermitteln, „die ganze Branche würde durch den Verlust des kleinen Unterschieds in Schieflage geraten“, wie Rita Lansch, Chefredakteurin der Zeitschrift „Versicherungswirtschaft“ (H. 6, 15.3.2011, S. 369) feststellt. Durch die gleichen Tarife erhöhen sich ja nicht die Schäden!
  • 6 G. Wagner: Umverteilung in der gesetzlichen Rentenversicherung – Eine theoretische und empirische Analyse zum Versicherungsprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung, Frankfurt/New York 1984; A. Ottnad, S. Wahl: Die Renditen der gesetzlichen Rente, Köln 2005; S. Ohsmann, U. Stolz: Entwicklung der Rendite in der gesetzlichen Rentenversicherung, in: Die deutsche Angestelltenversicherung, H. 2, 2004, S. 56-62. Vgl. neuerdings, allerdings bezogen auf Anwartschaften, die auf „Erwerbstätigkeit“ beruhen, und Gesamtanwartschaften und deren Unterschiede M. Stegmann, U. Bieber: Maßnahmen des sozialen Ausgleichs innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung, in: Deutsche Rentenversicherung, Nr. 65, H. 4, Dezember 2010, S. 518-538.
  • 7 So werden immer wieder die Kfz-Haftpflichtversicherung und die Risikolebensversicherung angeführt, in die Frauen niedrigere Beiträge als Männer einzahlen, und die private Renten- und private Krankenversicherung, aber auch die Berufsunfähigkeitsversicherung, in die Frauen höhere Beiträge als Männer einzahlen müssen.
  • 8 Vgl. J. Faik, T. Köhler-Rama, a.a.O., S. 61.
  • 9 Hier verweisen J. Faik, T. Köhler-Rama auf die „Benachteiligung von Frauen im Erwerbsprozess“ (S. 62), insbesondere dass Frauen häufiger in Teilzeitarbeit, häufiger im Niedriglohnsektor beschäftigt sind und insgesamt (noch) eine geringere Erwerbsbeteiligung aufweisen.
  • 10 Ebenda, S. 62.
  • 11 Ebenda.
  • 12 Hier soll nicht auf das Problem eingegangen werden, dass es ein prinzipielles Problem dahingehend gibt, dass es das „versicherungstechnische Äquivalenzprinzip“ in der meist geforderten Art gar nicht geben kann; vgl. dazu etwa R. Eisen: Das Äquivalenzprinzip in der Versicherung – Unterschiedliche Folgerungen aus verschiedenen Interpretationen, in: Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft, Nr. 69, 1980, S. 529-556.
  • 13 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Schwangerschaftskosten in der privaten Krankenversicherung auf Männer und Frauen umgelegt werden mussten.
  • 14 Vgl. J. Faik, T. Köhler-Rama, a.a.O., Fußnote 29.
  • 15 Ebenda, S. 62.
  • 16 Ebenda.
  • 17 Vgl. ebenda, Fußnote 31.
  • 18 Verwiesen sei hier nur auf einen Satz von Elizabeth Blackburn von der University of California at San Francisco (siehe Franfurter Allgemeine Zeitung vom 18.3.2009, S. N2): Wir sterben schließlich an Krankheiten, nicht am Alter.
  • 19 D.h. man kann, muss aber nicht auf die „Wegtypisierung des individuellen Risikos“ im Sinne von F. Ruland: Grundprinzipien des Rentenversicherungsrechts, in: E. Eichenhofer, W. Schmähl, H. Rische (Hrsg.): Handbuch der gesetzlichen Rentenversicherung – SGB VI, Neuwied 2010, S. 319-359, hier S. 340, zurückgreifen.
  • 20 Vgl. hier auch G. Wagner, J. Schepers: Soziale Differenzen in der Lebenserwartung, in: Zeitschrift für Sozialreform, Nr. 35, H. 11/12, 1989, S. 670-682.
  • 21 Vgl. etwa P. Zweifel, H. Hauser: Krankenversicherung unter Wettbewerbsbedingungen: Zur Rolle des Äquivalenzprinzips, in: Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft, H. 2, 1987, S. 301-317.
  • 22 M. Spence: Job Market Signalling, in: Quarterly Journal of Economics, Nr. 87, 1973, S. 355-374.
  • 23 J. Faik, T. Köhler-Rama, a.a.O., S. 62.
  • 24 Vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs, a.a.O.
  • 25 K. Crocker, A. Snow: The Efficiency Effects of Categorical Discrimination in the Insurance Industry, in: Journal of Political Economy, Nr. 94, 1986, S. 321-344.
  • 26 M. Rothschild, J. Stiglitz: Equilibrium in Competitive Insurance Markets with Imperfect Information, in: Quarterly Journal of Economics, Nr. 90, 1976, S. 629-649.
  • 27 Etwa im Sinne von C. Wilson: A Model of Insurance Markets with Incomplete Information, in: Journal of Economic Theory, Nr. 16, 1977, S. 167-207; oder M. Spence: Product Differentiation and Performance in Insurance Markets, in: Journal of Public Economics, Nr. 10, 1978, S. 427-447.
  • 28 Vgl. hierzu R. Eisen: Wettbewerb und Regulierung in der Versicherung. Die Rolle der asymmetrischen Information, in: Schweiz. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik, Nr. 122, 1986, S. 339-352.
  • 29 M. Spence, a.a.O.
  • 30 K. Crocker, A. Snow, a.a.O.
  • 31 Gleichzeitig ist damit auch eine Lösung des Problems der privaten Kranken-, Lebens- bzw. Rentenversicherung gegeben.
  • 32 Vgl. zu einem ähnlichen Argument bei Gentests in der Krankenversicherung R. Eisen: Adverse Selection in the Health Insurance Market after Genetic Tests, in: P. A. Chiappori, C. Gollier (Hrsg.): Competitive Failures in Insurance Markets, Cambridge, Massachusetts und London 2006, S. 33-54.
  • 33 Vgl. hierzu auch C. Bonnet, M. Geraci: Correcting gender inequality in pensions; the experience of five countries, in: Population and Societies (453), Institut national d’etudes démographiques (INED), 2009.

Eine Erwiderung auf R. Eisen

Von Jürgen Faik, Tim Köhler-Rama

Zunächst ist festzuhalten, dass Eisens Argumentation grundsätzlich negiert, dass es in Deutschland eine Trennung zwischen der beitragsfinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und dem Steuersystem gibt; die GRV ist mit ihrem zwar beachtlichen, aber nicht vollständigen Abdeckungsgrad in Höhe von ca. 80% der erwerbstätigen Bevölkerung in Deutschland keine allgemeine Bürgerversicherung. Eine solche wäre aber die Voraussetzung dafür, dass man das Geschlecht im Eisen’schen Sinne als Risiko vor der Geburt in der GRV versichern könnte (sozusagen im Sinne einer „pränatalen GRV“), und zwar ungeachtet der doch wohl berechtigten grundsätzlichen Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit dieser Idee.1

Wegen der Nichtexistenz einer Bürgerversicherung im bundesdeutschen Alterssicherungssystem sind realiter die Schnittstellen zwischen GRV und Steuersystem, d.h. zwischen Beitrags- und Steuerfinanzierung auszuloten, um letztlich eine ordnungspolitisch sinnvolle Mixtur aus Beitrags- und Steuereinnahmen zu gewährleisten. Anders als bei Eisen liegt ergo die Verantwortlichkeit für sozial motivierte Umverteilungsvorgänge auch im Bereich Alterssicherung nicht alleine beim Parafiskus GRV, sondern auch bei „Vater Staat“.

Immer dann, wenn es sich um gesamtgesellschaftlich relevante Tatbestände handelt, ist – bezogen auf die Finanzierung der Leistungen – eine Aufteilungsregel zwischen Sozialversicherung und Staat festzulegen. Um nichts anderes ging es uns in unserem Beitrag.2 Eisens Argumentation hingegen ist weitreichender angelegt: Sie bezieht sich auf eine Aufteilungsregel zwischen Sozial- und Privatversicherung. Dieser Aspekt hatte indes in unserem Beitrag allenfalls eine nachgeordnete Bedeutung, nein, wir gehen so weit zu behaupten, dass er gar keine Relevanz für unsere Argumentation hatte.

Eisens Argument, dass Mischverträge oder stark umverteilende Verträge für die Vorteilhaftigkeit der Sozial- gegenüber der privaten Versicherung sprächen, wird folglich von uns überhaupt nicht in Abrede gestellt. Es ging uns nicht um einen Rückbau der Sozialversicherung zugunsten privatwirtschaftlicher Versicherungslösungen, sondern – wie oben bereits geschrieben – um die ordnungspolitische Frage (Sozial-)Beitrags- versus Steuerfinanzierung.

Wir haben argumentiert, dass eine Umverteilung zugunsten der Frauen sozialpolitisch durchaus gerechtfertigt werden kann, dass aber nur die Elemente des Umverteilungsvorgangs, die auf GRV-relevante Tatbestände zurückzuführen sind, auch von der Versichertengemeinschaft der GRV getragen werden sollten. Darüber hinausgehende Umverteilungselemente (zugunsten der Frauen), die einen gesamtgesellschaftlichen Charakter haben, sollten konsequenterweise über das Steuersystem – im Übrigen nicht notwendigerweise (ausschließlich) über die von Eisen genannte Einkommensteuer und sinnvollerweise (durchaus im Einklang mit dem Nonaffektationsprinzip) regelgebunden – finanziert werden.

Schließlich bedarf auch die Bemerkung Eisens, dass das Geschlecht ein Risiko sei, das unmittelbar GRV-relevant sei, einer Klarstellung. Lediglich in dem oben erwähnten (aus unserer Sicht nicht unproblematischen)3 Eisen’schen Konstrukt einer „pränatalen GRV“ erscheint die Einstufung des Geschlechts als unmittelbares GRV-Risiko akzeptabel. Bei einem realistischeren, postnatalen Geschlechterbezug ergibt sich eine andere Sichtweise: Anders als etwa beim Risiko des Alterns existiert nämlich beim Geschlecht – abgesehen von den seltenen Fällen einer Geschlechtsumwandlung – keine Unsicherheit über die Merkmalsausprägung im Todesfall. Das heißt: Während beim Risiko Alter die individuelle Lebenserwartung mit Unsicherheiten behaftet ist (u.a. wegen des Eintritts exogener Ereignisse wie Verkehrsunfälle, Kriege, aber auch Verbesserungen in der medizinischen Versorgung), gilt dies beim Merkmal Geschlecht, bezogen auf die Zukunft, nicht. Insofern besteht ein qualitativer Unterschied zwischen den Risiken Alter, Krankheit, Pflegebedürftigkeit und dergleichen auf der einen Seite und dem „Risiko“ Geschlecht auf der anderen Seite.

Letzteres war in unserem Aufsatz gemeint mit den Bemerkungen, dass „(…) das Geschlecht – anders als die Invalidität oder die individuelle Langlebigkeit – kein Risiko ist, das in der Rentenversicherung versichert ist. (…) Das Geschlecht ist vielmehr eine erkennbare und prinzipiell unveränderliche Eigenschaft, die zum Zeitpunkt des Eintritts in die Versicherung bekannt ist. Der Grundgedanke einer Versicherung, nämlich eine Selbsthilfe durch einen freiwilligen oder zwangsweisen Zusammenschluss grundsätzlich gleichartig Gefährdeter und einen Risikoausgleich innerhalb dieser Gefahrengemeinschaft zu bewerkstelligen, (…) ist mithin in Bezug auf das Geschlecht nicht erfüllt. (…) Ungleichbehandlung ist (…) etwas anderes als ein Risikoausgleich. Letzterer kann nur zwischen prinzipiell gleichartig Gefährdeten erfolgen.“4

Im entsprechenden textlichen Zusammenhang unseres Beitrags führten wir des Weiteren aus, dass eine Besserstellung der Frauen im GRV-Zusammenhang durchaus mit Benachteiligungen etwa in der Arbeitswelt begründet werden könne.5 Wir haben uns also durchaus für Umverteilungen zugunsten der Gruppe der Frauen ausgesprochen, welche aber nicht nur durch die GRV, sondern auch durch den Fiskus finanziert werden sollten. Wären wir der Argumentationslinie von Eisen gefolgt und hätten GRV und private Alterssicherung einander gegenübergestellt, hätten wir der Frage geschlechterdifferenzierter Beitrags-/Prämienzahlungen nachgehen müssen. Dass wir dies nicht getan haben, zeigt, dass wir an dem Sozialversicherungs-Grundsatz gleicher Beitragsleistungen (gemessen anhand eines einheitlichen Beitragssatzes) für die Mitglieder der Versichertengemeinschaft uneingeschränkt festhalten.

Bei allem Dissens im Detail weisen die Beiträge von Eisen und uns letztlich eine grundlegende Gemeinsamkeit auf, dass nämlich in einem Sozialstaat soziale Benachteiligungen durch Transferzahlungen seitens Parafisken bzw. Fiskus möglichst abzubauen sind. Insofern ist in beiden Beiträgen – ungeachtet der unterschiedlichen Fokussierung des Themas – am Beispiel des Merkmals Geschlecht für eine sozialstaatliche bzw. eine sozialversicherungsrechtliche Priorität auf dem Gebiet der Alterssicherung gegenüber privatwirtschaftlichen Lösungsansätzen plädiert worden.

  • 1 Beispielsweise ist in diesem Kontext zu fragen, wann (bzw. ob) die geschlechterbezogene Risikoabsicherung nach der Feststellung einer Schwangerschaft erfolgen soll. Im Zeitalter modernster Diagnosemöglichkeiten ist bereits im Frühstadium einer Schwangerschaft die Geschlechterbestimmung recht präzise möglich, so dass die von Eisen implizierte Unsicherheit bezüglich der Ausprägung des Merkmals Geschlecht nicht gegeben wäre. Daher könnte daran gedacht werden, die Risikoabsicherung des Geschlechts sozusagen präventiv durch Beitragszahlungen für (noch) nicht geborene Kinder von jedem Gesellschaftsmitglied (bzw. von jedem GRV-Mitglied) mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter zu verlangen. Bei etwaiger späterer Kinderlosigkeit wären dem betreffenden Erwachsenen gegebenenfalls diese geleisteten Beiträge zurückzuerstatten, oder sie wären als „sunk costs“ zu deklarieren, was indes vermutlich mit systemischen Akzeptanzproblemen für die GRV verbunden wäre. Diese kursorischen Anmerkungen zeigen die Schwierigkeiten auf, die mit der Idee einer „pränatalen GRV“ in der Praxis verbunden wären.
  • 2 Vgl. J. Faik, T. Köhler-Rama: Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung – Wer soll für die unterschiedlichen Lebenserwartungen von Frauen und Männern zahlen?, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 1, S. 61-67.
  • 3 Siehe unsere Anmerkungen in Fußnote 1.
  • 4 J. Faik, T. Köhler-Rama, a. a. O., S. 62-63.
  • 5 Vgl. ebenda, S. 63.


DOI: 10.1007/s10273-011-1242-6