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Brennelementesteuer: Quid pro quo?

Von Sebastian Schröer

Müssen die Betreiber der Kernkraftwerke die Kernbrennstoffsteuer – umgangssprachlich auch Brennelementesteuer genannt – zahlen, obwohl die Laufzeiten nun doch nicht verlängert werden? Die Bundesregierung hält trotz der Entscheidung zum baldigen Ausstieg aus der Kernkraft an der Brennelementesteuer fest. E.ON argumentiert, das eine sei mit dem anderen verbunden und daher hätte die Steuer ihre Berechtigung verloren, weshalb E.ON nun klagt. Auch RWE behält sich einen solchen Schritt vor. Tatsächlich wurde die Brennelementesteuer parallel zur Verlängerung der Laufzeiten eingeführt. Begründet wurde die Steuer als Beitrag zur Konsolidierung des Haushaltes mit gleichzeitigem Verweis auf die Kosten zum Weiterbetrieb und zur Stilllegung der Schachtanlage Asse II. In der öffentlichen Diskussion wurde jedoch meist angeführt, die Steuer solle mindestens einen Teil der durch die Laufzeitverlängerung anfallenden zusätzlichen Gewinne für die Kernkraftwerksbetreiber abschöpfen. Da diese nun nicht eintreten, ist der Wunsch der Unternehmen verständlich, die Steuer abzuschaffen. Die Entscheidung der Bundesregierung zur Beibehaltung hat zweifellos neben der juristischen auch eine moralische Dimension. Obwohl das Motiv der Gewinnabschöpfung explizit in der Begründung des Gesetzes nicht zu finden ist, so ist die Bedeutung für seine Motivation nicht abzustreiten.

E.ON argumentiert, man könne seine Anteilseigner nicht für politische Entscheidungen haftbar machen. Kernkraftgegner argumentieren dagegen, die Betreiber müssen sich an den externen Kosten der Kernkraft stärker beteiligen, insbesondere an der Endlagerung. Beide Positionen sind vertretbar und kennzeichnen damit die schwierige moralische Bewertung. Für die Abschaffung spricht, dass der gesellschaftliche Entschluss zum Ausstieg aus der Kernkraft auch die gesellschaftliche Übernahme der Kosten impliziert. Man sollte nicht vergessen, dass der Einstieg in die Kernkraft seinerzeit von einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung getragen wurde und dass zunächst insbesondere die Versorger aus Gründen des Strahlenrisikos und der hohen Kosten dagegen waren. Ohne die Übernahme der Kosten für Risiko und Endlagerung wäre es nie zum – gesellschaftlich erwünschten – Einstieg gekommen.

Für eine Beibehaltung der Steuer und gegen die Argumentation von E.ON spricht, dass die Anteilseigner mehrmals von politischen Entscheidungen profitiert haben. Anzuführen ist hier beispielsweise die Entscheidung der rot-grünen Bundesregierung, die CO2-Zertifikate kostenlos zu verteilen, die dann von den Versorgern – ökonomisch rational – eingepreist wurden und auf Kosten der Stromkunden zu Milliardeneinnahmen geführt haben. Auch die Fusion von E.ON mit Ruhrgas war eine politische Entscheidung gegen den Willen der Wettbewerbsbehörden. Allein die Gewinne aus den CO2-Zertifikaten dürften die Kosten der Brennelementesteuer deutlich überkompensieren.

An der Diskussion zur Brennelementesteuer werden zwei Dinge deutlich: Erstens ist der Entschluss zum Ausstieg aus der Kernkraft keine Kategorie von richtig oder falsch, vernünftig oder unvernünftig, sondern eine Entscheidung aufgrund einer geänderten Einstellung zum Risiko der Kernkraft. Individuelle Einstellungen sind also von hoher Bedeutung. Zweitens ergeben sich aus dem raschen Ausstieg eine Reihe von Folgeproblemen, die wahrscheinlich heute in ihrer Gänze nicht abzusehen sind. Die Hoffnung von Bundesumweltminister Röttgen, der Ausstieg bringe die Energiepolitik nach Jahrzehnten des Streits aus der Kampfzone, könnte sich als verfrüht erweisen. Der Kernenergieausstieg ist nicht nur eine Chance, er ist auch ein Risiko.

Benzinpreiskartelle: Falsche Fragen

Von Ferdinand Dudenhöffer

Mit Getöse und Vorberichterstattung in der Bild-Zeitung hat das Bundeskartellamt die Öffentlichkeit aufgeklärt. Auf dem deutschen Tankstellenmarkt gibt es ein Oligopol. Ein Indikator dafür ist neben den Marktanteilen, die seit 20 Jahren bekannt sind, die Erkenntnis, dass sich Preise häufig ändern, praktisch so wie an der Börse. Das Kartellamt gibt vor, dass Verfahren eingeleitet werden, und erteilt unter anderem das Verbot, dass sich Aral, Shell, Jet, Esso und Total zusätzliche Tankstellen zulegen. Dumm nur, dass im Dezember 2010 das Kartellamt die Shell-Übernahme von 41 Tankstellen von Rewe abgenickt hat. Auch dumm, dass der Tankstellenmarkt überbesetzt ist und eher das Schließen als das Eröffnen von Tankstellen auf der Agenda steht. Für Politiker war das amtliche Aufschreiben von 2,9 Mio. Kraftstoffpreisen über drei Jahre eine Steilvorlage. Selbst Ilse Aigner – „der Preistreiberei muss ein Ende gesetzt werden“ – nahm Stellung und gab den wertvollen Tipp, freie Tankstellen anzusteuern. „Die Konzerne müssen sich warm anziehen“, fauchte Minister Ramsauer und kündigte an, Preise nur mit staatlicher Genehmigung anheben zu lassen. Das Kartellamt hat im Stile des königlich bayrischen Amtsgerichts die Klischees bedient, dass sonntags und Ostern die Preise nicht sinken, weil die Mitarbeiter der Ölmultis frei haben.

Die jährlichen Reports der Ölmultis sprechen eine andere Sprache. Dort wird klar nach „Upstream“, also der Exploration und Produktion von Gas und Rohöl, und „Downstream“, der Raffinerie und dem Marketing von Rohöl-Produkten, getrennt. Die Gewinne im Upstream sind überwältigend. So lag 2010 die Upstream-Umsatzrendite von Shell bei 23%, von Total bei 22% und Chevron bei 20%. Die Upstream-Kapitalrenditen betrugen bei Exxon 23%, bei Total 20% und bei Chevron 29%. Und im Downstream? Shell, Total, Chevron haben hier 2010 weniger als 1% Umsatzrendite erzielt. Die EBIT-Marge bei BP deutet auf ähnliche Relationen. Die Kapitalrenditen im Downstream lagen bei 5% (Total, Chevron) und knapp 15% bei Exxon. Sind die Raffinerieauslastungen hoch, erzielt die Downstream-Kette Gewinne. Das Distributionsgeschäft über die Tankstellen ist wahrlich nicht die Goldgrube. Man braucht es, um seinen Kraftstoff unter die Leute zu bringen. Schaut man die Tankstellen an, ist die Analyse eindeutig. Der Tankstellenbetreiber erzielt nach BP-Angaben 60% seines Ertrags im Shopgeschäft, also mit Schokoriegeln, 13% mit Kraftstoffen und den Rest mit Autowaschen und Ähnlichem. Bei den Landestöchtern der Ölmultis (Downstream) findet man alles andere als große Gewinne. Seit Jahrzenten taucht kein neuer Investor auf, der in Tankstellen investiert. Warum sollte er auch bei diesen Margen? Die Freien kaufen ihren Kraftstoff bei den Raffinerien der Multis, die Tankstellennetze sind überbesetzt. Wo sollten da große Gewinne sein?

Wozu dienen also die amtlichen Datenfriedhöfe des Kartellamts? Eine Theorie aus Zahlenreihen abzuleiten, ohne sich die Struktur eines weltweit komplexen Marktes anzuschauen, ist abenteuerlich. Die Tatsache, dass asymmetrisches Preisverhalten vorliegt und Preissenkungen länger dauern als Erhöhungen sagt nichts über mögliche Profite. Aus ADAC-Parolen und Bild-Titeln ökonomische Gesetze abzuleiten und durch wildes Datensammeln zu bestätigen, ist ärmlich. Warum haben die Mitarbeiter des Kartellamtspräsidenten, des Juristen Mundt, nicht die Kostenposition von Raffinerien analysiert, nicht die Upstream-Goldgrube? Vielleicht weil es an echter Kompetenz fehlt. Das Bundeskartellamt endet an der Zapfsäule, die EU-Wettbewerbskommission wäre der richtige Ansprechpartner.

Weltklimarat: Politische Entscheidungen gefragt

Von Markus Groth

Was kann die Nutzung erneuerbarer Energien weltweit zur Vermeidung des Klimawandels beitragen? Dies ist die zentrale Frage, die dem rund 900 Seiten umfassenden und Mitte Juni 2011 veröffentlichten „Special Report on Renewable Energy Sources and Climate Change Mitigation“ der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates (IPCC) zugrunde liegt. 2008 war von politischer Ebene angeregt worden, diesen Sonderbericht zu erstellen. Im Zuge dessen wurde deutlich gemacht, dass zur Beurteilung des zukünftigen Potenzials erneuerbarer Energien Informationen notwendig sind, die deutlich über den 4. Sachstandsbericht des IPCC hinausgehen.

Dem sehr optimistischen Hauptszenario des Berichtes zufolge könnte bis zum Jahr 2030 weltweit ein Anteil erneuerbarer Energieträger von 43% erreicht werden. Bis zur Mitte des Jahrhunderts könnte ihr Anteil 77% betragen. Im Zuge dessen wäre es möglich, zwischen heute und 2050 bis zu 560 Mrd. t CO2 einzusparen. Damit könnte das so genannte 2°C-Ziel doch noch erreicht werden. Hinsichtlich belastbarer Schätzungen der zu erwartenden Kosten des Ausbaus erneuerbarer Energien zeigt sich in der Literatur ein großes Informationsdefizit, so dass in dem IPCC-Bericht lediglich Spannbreiten genannt werden können. Für den Zeitraum von heute bis 2020 identifiziert der IPCC notwendige Investitionen in der Größenordnung von 1360 bis 5100 Mrd. US-$. Für den Zeitraum 2020 bis 2030 wird eine Spanne von 1490 bis 7180 Mrd. US-$ genannt. Somit sind Aussagen zur Zukunft erneuerbarer Energieträger vor allem aus ökonomischer Sicht noch mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, die sich insbesondere aus den zu erwartenden Kosten und den politischen Rahmenbedingungen ergeben.

Insgesamt macht auch der IPCC deutlich, dass der mögliche Ausbau erneuerbarer Energien nur erreicht werden kann, wenn er von einem zielgerichteten politischen Handeln auf der Ebene der Nationalstaaten unterstützt wird. Im Zuge dessen wird insbesondere eine noch bessere wissenschaftliche Analyse der bereits in der Praxis bestehenden umweltpolitischen Instrumente – wie beispielsweise Emissionshandelssysteme, Steuern und Subventionen oder Einspeisetarife – und ihres Zusammenspiels notwendig sein.

Der IPCC-Sonderbericht wird weltweit zu Recht auf eine große Resonanz stoßen – vielleicht gerade weil darin keine direkten Empfehlungen für bestimmte Politikmaßnahmen enthalten sind. Vielmehr werden die nach aktuellen Kenntnissen möglichen Optionen aufgezeigt. Die Entscheidungen müssen nun politisch getroffen werden – in Deutschland beispielsweise schon in den nächsten Monaten. Hier stehen sowohl die Weiterentwicklung des letztjährigen Energiekonzeptes als auch die Verabschiedung bzw. Novellierung einer Vielzahl energiepolitisch sehr bedeutender Gesetze auf der Agenda. Es geht dabei um nicht weniger als das zukünftige Energiesystem, mit dem die Klimaschutzziele auf gesellschaftlich akzeptierte Weise bestmöglich erreicht werden können. Neben der Entwicklung und dem Ausbau von Speichern und Netzen sind weitere zentrale Punkte, wie mittel- und langfristig gegebenenfalls noch notwendige fossile Energieträger oder neue Technologien wie Carbon Capture and Storrage (CCS) in ein strukturell neues Energiesystem integriert werden können und wie die zukünftige Förderung erneuerbarer Energien so ausgestaltet wird, dass eine möglichst kosteneffiziente Optimierung ihres Zusammenspiels erreicht wird.

Schwellenländer: Mehr Einfluss beim IWF?

Von Carsten Hefeker

Außer den Europäern kann sich niemand so recht für die Idee begeistern, Christine Lagarde zur neuen Chefin des Internationalen Währungsfonds zu machen, nachdem der vorherige Amtsinhaber sein Amt unter wenig rühmlichen Umständen aufgeben musste. Selbst den meisten Europäern wird nicht unbedingt gefallen, dass schon wieder jemand aus Frankreich den Posten übernehmen soll. Der Protest aus den anderen Regionen der Welt ist laut und klar, und sogar die USA machen keinen Hehl daraus, dass sie die Zeit für gekommen halten, nicht wieder einen Europäer (oder eine Europäerin) an die Spitze des IWF zu setzen. Sie sagen das nicht so deutlich, weil sie sonst wenig Berechtigung haben, ihrerseits weiter den Präsidenten der Weltbank zu stellen, so wie es seit der Gründung der Bretton-Woods-Schwestern 1944 Brauch ist. Und sie könnten überdies den Anspruch auf die Besetzung des Stellvertreterpostens beim IWF verlieren, wenn John Lipsky sein Amt Ende August verlässt. Beides werden sie nicht freiwillig aufgeben, und es ist auch nicht unbedingt im Sinne der Institutionen. Da die USA als größte Quoteninhaber in weiten Teilen die Finanzierung von Weltbank und IWF tragen, sind beide finanziell stark abhängig von den USA. Es ist gut möglich und würde dem Beispiel der UNO-Finanzierung folgen, dass die USA die Finanzierung verweigern, wenn sie den bestimmenden Einfluss bei Bank und Fonds verlieren.

In der Sache haben die Schwellenländer natürlich Recht, wenn sie mehr Einfluss fordern. Sie haben deutlich an ökonomischer und politischer Bedeutung gewonnen, sie haben wesentlich zur Stabilisierung der Weltkonjunktur in der Finanzkrise beigetragen, und sie finanzieren in nicht unerheblichem Ausmaß die Defizite der USA und einiger europäischer Staaten. Die Welt hat sich seit Bretton Woods geändert, und die Gefahr ist recht groß, dass der IWF weiter an Legitimität und Bedeutung verliert, so wie sich das vor der Krise abzeichnete. Die Schwellenländer könnten sich verstärkt andere Wege der Finanzierung suchen, sei es in regionalen Abkommen, sei es bilateral, und zumindest China ist imstande und daran interessiert, die Rolle eines globalen Finanziers zu übernehmen. Wenn man also weiter globale Institutionen und globale Regeln will, muss man auch die Führungsfrage global klären. Das peinliche Argument, nur ein Europäer könne Europas Probleme verstehen, ist eine intellektuelle und kulturelle Beleidigung aller Nichteuropäer und demonstriert eigentlich nur, dass nichts Überzeugendes für die Bewahrung der Tradition spricht.

Das wirklich stichhaltige Argument für Lagarde wird sein, dass Europa immerhin in der Lage war, sich auf eine gemeinsame Kandidatin zu einigen. Der bislang einzige andere offizielle, überzeugende Kandidat, der Mexikaner Agustin Carstens, hat nicht einmal die Unterstützung der anderen Länder Lateinamerikas, geschweige denn die der anderen Regionen. Zwar haben die BRIC-Staaten einen Wechsel gefordert, sind sich aber offenbar nicht einig, wen sie nominieren sollen. Solange das nicht gelingt, wird es für die Schwellenländer schwierig sein, sich gegen Lagarde durchzusetzen, und so werden sie sich einstweilen mit mehr Einfluss bei den Posten der zweiten Reihe begnügen müssen. Dies zeigt, dass Führungsanspruch erheben etwas anderes ist, als ihn auch durchzusetzen. Die Chancen für Christine Lagarde und die vorläufige Fortsetzung der Tradition stehen gut.


DOI: 10.1007/s10273-011-1234-6