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In der Juliausgabe 2011 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz mit dem Titel „Die deutsche Investitionsschwäche: Die Mär von den Standortproblemen“. Rainer Maurer setzt sich damit kritisch auseinander und Sebastian Dullien sowie Mark Schieritz erläutern ihren Standpunkt in einer Erwiderung.

Die deutsche Investitionsschwäche und die EWU – Fakt oder Fiktion? – eine Replik

Von Rainer Maurer

In einem Beitrag für den „Wirtschaftsdienst“ haben Sebastian Dullien und Mark Schieritz unter der Überschrift „Die deutsche Investitionsschwäche: Die Mär von den Standortproblemen“1 die im internationalen Vergleich niedrige deutsche Investitionsquote einer empirischen Analyse unterzogen. Ihr Hauptergebnis lautet, dass die niedrigen gesamtwirtschaftlichen Investitionen in Deutschland nicht mit der schwachen Profitabilität von Unternehmensinvestitionen begründet werden können, sondern, „dass vor allem die schwache Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand und die Schwäche beim Wohnungsbau für die Investitionsschwäche insgesamt verantwortlich waren.“2 Sie ziehen daraus auch den Schluss, dass die Gründung der Europäischen Währungsunion (EWU) keinen bedeutsamen negativen Einfluss auf die Investitionstätigkeit in Deutschland hatte.3 Im vorliegenden Aufsatz werden einige empirische Daten vorgelegt, die den Befund von Dullien und Schieritz in Frage stellen.

Brutto- oder Nettoinvestitionen?

Die Tatsache, dass die deutsche Bruttoinvestitionsquote bei den Ausrüstungsinvestitionen4 in etwa dem Durchschnitt der Eurozone entspricht, spielt in der Argumentation von Dullien und Schieritz die entscheidende Rolle. Abbildung 1 zeigt diesen Zusammenhang hier noch einmal (zu den Daten vgl. Kasten 1). Dabei wurde Deutschland aus dem Durchschnitt der EWU-Länder herausgerechnet. Dullien und Schieritz5 argumentieren, dass „Diese Entwicklung […] angesichts der These der mangelnden Profitabilität deutscher Unternehmen als Ursache der Investitionsschwäche verwundern [sollte], sind es doch die Ausrüstungsinvestitionen, die aus theoretischen Überlegungen am stärksten von der Profitabilität der Unternehmen abhängen sollten.“

 
Kasten 1
Für die Berechnungen und Schaubilder wurden folgende Daten verwendet
Bezeichung Englische Bezeichnung Datenbank Zeitreihencode
Bruttoinlandsprodukt Gross domestic product at current market prices AMECO UVGD
Bruttoinvestitionen in Ausrüstungsgüter insgesamt Gross fixed capital formation at current prices equipment, total economy AMECO UIGEQ
Bruttoinvestitionen insgesamt Gross fixed capital formation at current prices, total economy AMECO UIGT
Nettoinvestitionen insgesamt Net fixed capital formation at current prices, total economy AMECO UINT
Vermögen Ausrüstungen insgesamt Net wealth equipment, total economy Statistisches Bundesamt Vermögensbilanzen, S.6, Lfd. Nr. 4
Nettoinvestitionen des privaten Sektors Net fixed capital formation at current prices, private sector AMECO UINP
Arbeitslose in % der zivilen Erwerbspersonen Unemployed persons as a share of the total active population AMECO ZUTN
Preisdeflator des Bruttoinlandsproduktes Price deflator gross domestic product at market prices AMECO PVGD
Zinskonvergenz Unternehmensanleihen, Laufzeit über 1 Jahr Loans to enterprises over 1 year Eurostat irt_cvg_a_lteo1y
Zinskonvergenz Unternehmensanleihen, Laufzeit unter 1 Jahr Loans to enterprises up to 1 year Eurostat irt_cvg_a_lteu1y
Zinskonvergenz Kredite an Haushalte Housing loans to households Eurostat irt_cvg_a_hlth
Maastricht-Kriterium-Zinssätze für Staatsanleihen, 10 Jahre Laufzeit Maastricht criterion bond yields, 10 year maturity Eurostat irt_lt_mcby_a
Zinssätze der Geschäftsbanken für Wohnungsbaukredite an private Haushalte MFI interest rates – Housing loans to households Eurostat irt_rtl_lhh_a_hlth
Zinssätze der Geschäftsbanken für Unternehmenskredite, Laufzeit über 1 Jahr MFI Interest Rates – Non-Financial corporations, maturity over 1 year EZB MIR.M.U2.B.A20.K.R.A.2240.EUR.O
Zinssätze der Geschäftsbanken für Einlagen, Laufzeit unter 1 Jahr Deposits with agreed maturity less than 1 year Eurostat irt_rtl_dep_a_dam
Bruttoersparnis des privaten Sektors Gross saving: private sector AMECO USGP
Leistungsbilanzsaldo Balance on current transactions with the rest of the world AMECO UBCA
Nettovermögensposition gegenüber dem Ausland International investment Eurostat bop_ext_intpos_intinvt

Zweifelsohne ist die Überlegung plausibel, dass die Ausrüstungsinvestitionen stärker von der Profitabilität von Investitionen bestimmt werden als Wohnungsbau- oder staatliche Investitionen. Es muss aber berücksichtigt werden, dass ein kapitalintensiv produzierendes Land wie Deutschland höhere Bruttoinvestitionen braucht als weniger kapitalintensiv produzierende Länder, um den Kapitalverschleiß, die Abschreibungen, zu ersetzen. Bei einer durch überdurchschnittliche Kapitalintensität bedingten überdurchschnittlichen Abschreibungsrate benötigt ein Land auch überdurchschnittlich hohe Bruttoinvestitionen, um ein ausreichendes Kapitalstockwachstum zu erzielen.

Der Befund von Abbildung 1 kann also nicht ohne weiteres als Nachweis ausreichender Profitabilität des Standortes Deutschland gewertet werden. Abbildung 2 bestätigt diese Vermutung. Vergleicht man statt der Bruttoinvestitionsquote die Nettoinvestitionsquote, zeigt sich deutlich, dass mit der Gründung der EWU die Investitionstätigkeit bei Ausrüstungsgütern im internationalen Vergleich erheblich zurückgefallen ist. Die zur Berechnung der Quote verwendeten Nettoinvestitionen sind allerdings von mir geschätzt worden, da auf der AMECO-Datenbank der EU-Kommission keine Nettowerte für die Ausrüstungsinvestitionen verfügbar sind. Zu der Schätzung wurde die durchschnittliche Abschreibungsquote der Gesamtinvestitionen verwendet.6 Da in dieser Quote auch die Abschreibungen für Gebäude enthalten sind, die stets erheblich niedriger sind als die Abschreibungen für Maschinen,7 ist zu vermuten, dass die wirkliche Nettoinvestitionsquote für Ausrüstungsgüter sogar noch niedriger war. Ein Vergleich mit der Veränderung des deutschen Nettoanlagevermögens in Ausrüstungsgütern (die den Nettoinvestitionen in Ausrüstungsgütern sehr nahe kommt) in % des Bruttoinlandsproduktes (gestrichelte Linie in Abbildung 2), spricht für diese Vermutung.8 Diese Quote lag von 2003 bis 2005 nahe bei Null bzw. zeitweise sogar darunter. Dies zeigt, dass die Nettoinvestitionen in Ausrüstungsgüter nicht nur im internationalen Vergleich niedrig waren, sondern zeitweise sogar nicht ausreichten, um den Kapitalverschleiß zu ersetzen.

Abbildung 1
Bruttoinvestitionen in Ausrüstungsgüter

in % des BIP

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Quelle: EU-Kommission: AMECO-Datenbank.

Abbildung 2
Nettoinvestitionen1 in Ausrüstungsgüter

in % des BIP

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1 Schätzung basierend auf durchschnittlichen Abschreibungsquoten aller Investitionsgüter.

Quelle: EU-Kommission: AMECO-Datenbank.

Die sich ab dem Jahr 2005 abzeichnende „Trendwende“ der Investitionstätigkeit in Deutschland, die in allen drei Zeitreihen zum Ausdruck kommt, fällt zeitlich in etwa mit den von 2003 bis 2007 rückläufigen Lohnstückkosten zusammen. Dies kontrastiert mit der von Dullien und Schieritz9 geäußerten Einschätzung „dass eine etwas stärkere Lohnentwicklung möglicherweise weit weniger negative Auswirkungen auf die Investitionstätigkeit der Unternehmen haben könnte, als es etwa von der Bundesbank10 oder dem Sachverständigenrat11 angenommen wird.“

Die Auswirkung der Europäischen Währungsunion auf die Investitionstätigkeit

Wie Abbildung 3 zeigt, entwickelt sich die Investitionsquote in Deutschland typischerweise umgekehrt zur Arbeitslosenquote. Die blau schattierten Zeiträume kennzeichnen Rezessionsjahre, in denen die reale Wachstumsrate des Bruttoinlandsproduktes kleiner war als die des mit einem Hodrick-Prescott-Filter geschätzten Trendwertes. Die Berechnung wurde auf Jahresbasis durchgeführt, weil das Statistische Bundesamt Quartalswerte zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erst ab 1970 zur Verfügung stellt. Trotz der damit einhergehenden Unschärfe zeigt sich der bekannte Zusammenhang zwischen Rezessionen und der Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland: Mit Ausnahme der Rezession 1966/67, der „Mini-Rezession“ von 1986/87 und den Rezessionen dieses Jahrzehntes ist bei allen anderen Rezessionen die Arbeitslosenquote stärker gestiegen, als sie in dem darauf folgenden Aufschwung wieder gesunken ist. Das Ergebnis ist der sich vom Beginn der 70er Jahre bis Ende der 90er Jahre hinziehende Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit.

Wie die Investitionsquote (gemessen anhand der privaten Nettoinvestitionen ohne Lagerbestandsveränderung in % des Bruttoinlandsproduktes) zeigt, verlief die Entwicklung hier umgekehrt: Mit Ausnahme des Vereinigungsbooms stieg die Investitionsquote in allen Aufschwungsphasen nicht mehr auf ihr Ausgangsniveau zurück, so dass sich ein langfristiger Rückgang seit Beginn der 60er Jahre abzeichnet. Insgesamt gesehen hat der langfristige Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit also ein Pendant im langfristigen Rückgang der Investitionsquote: Da in den Aufschwungsphasen zu wenig investiert wurde, entstanden zu wenig Arbeitsplätze, um den Verlust an Arbeitsplätzen in der vorigen Rezession wieder aufzuholen.

Die Abbildung 3 zeigt auch deutlich, dass in der mit dem Start der EWU einsetzenden Rezession von 2000 bis 2005 die Arbeitslosenquote von 7,5% auf 10,7% kräftig anstieg und die Investitionsquote von 6,4% auf 2,7% abermals deutlich sank. Dullien und Schieritz12 führen die rückläufige Nettoinvestitionsquote in diesem Zeitraum vor allem auf das Auslaufen von staatlichen Förderprogrammen im Wohnungsbau, dem Zusammenbruch des Wiedervereinigungsbaubooms und rückläufigen öffentlichen Investitionen zurück.13 Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass von der Kürzung staatlicher Bausubventionen ein dämpfender Effekt auf die Nettoinvestitionen ausgegangen ist. Die Tatsache, dass in diesem Zeitraum jedoch auch die Nettoinvestitionen in Ausrüstungsgüter (vgl. Abbildung 2) eingebrochen sind, spricht dafür, dass nicht allein der Abbau staatlicher Subventionen den Rückgang der Investitionen beeinflusst haben kann.

Abbildung 3
Arbeitslosigkeit, private Nettoinvestitionsquote und Konjunkturzyklus
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Westdeutschland 1960-1989; Deutschland 1990 bis 2011.

Quelle: EU-Kommission, AMECO; eigene Berechnungen.

Divergente Entwicklung der Realzinsen

Im Folgenden wird sich zeigen, dass eine Reihe von weiteren Gründen dafür spricht, dass die EWU-Gründung einen wesentlichen Einfluss auf den Rückgang der deutschen Nettoinvestitionsquote hatte. Wie Abbildung 4 zeigt, ist es mit der Gründung der EWU zu einer allgemeinen Konvergenz der Nominalzinsen gekommen.14 Da es der EZB nicht gelungen ist, im gleichen Maß eine Konvergenz der Inflationsraten herzustellen, haben sich die Realzinsen in den EWU-Mitgliedsländern dauerhaft divergent entwickelt. Wie Abbildung 5 für eine Reihe wichtiger Kreditmarktsegmente zeigt, existieren im Durchschnitt des Zeitraums von 2003 bis zum Ausbruch der Finanzmarktkrise im Jahr 2007 erhebliche Differenzen der Realzinssätze. Leider reichen die von Eurostat zusammen mit der EZB veröffentlichten harmonisierten Kredit- und Einlagenzinsen der Geschäftsbanken nicht weiter zurück als bis zum Jahr 2003.15 Wie das Diagramm für die zehnjährigen Zinssätze der Staatsanleihen, die als ein Kriterium des Maastricht-Vertrags auch seit 1999 in vergleichbarer Form vorliegen, zeigt, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass sich bei einer Hinzunahme des Zeitraums von 1999 bis 2002 das Bild wesentlich verändern würde.

Abbildung 4
Konvergenz der Nominalzinsen auf Basis der Standardabweichung
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Bezogen auf die elf Gründungsmitglieder der EWU plus Griechenland.

Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen.

Die anhaltenden Differenzen der Realzinsen zeigen, dass es in der EWU offensichtlich keinen ökonomischen Mechanismus gibt, der – wie etwa im neoklassischen Wachstumsmodell im Zwei-Länder-Fall bei vollkommener Preisflexibilität und Handelbarkeit von Gütern und Produktionsfaktoren – zu einer Angleichung der Realzinsen führt. Welche Konsequenzen haben derartig anhaltende Divergenzen der Realzinsen auf das Verhalten von Haushalten und Unternehmen? In Ländern mit niedriger Inflationsrate und hohen Realzinsen, wie Deutschland, bestand ein Anreiz für Haushalte, ihre Kreditnachfrage für Investitionen in den Wohnungsbau zu reduzieren und für Unternehmen ein Anreiz, ihre Investitionen in Gewerbeimmobilien und Ausrüstungsgüter zu reduzieren. Für Unternehmen, die einen Großteil ihrer Güter ins Ausland exportieren und von der dortigen höheren Preisentwicklung profitieren können, gilt dies natürlich nur mit Einschränkung. Da aber die Exportquote in Deutschland bei zirka 50% des BIP liegt, ist die inländische Preisentwicklung für deutsche Unternehmen im Durchschnitt noch immer wichtig. Für Haushalte, die eine Wohnimmobilieninvestition in Erwägung ziehen, spielt im Investitionskalkül nicht die allgemeine Inflationsrate, sondern die Immobilienpreisentwicklung die zentrale Rolle. Da diese im Betrachtungszeitraum in vielen Regionen Deutschlands noch niedriger war als die allgemeine Inflationsrate, war aus Sicht vieler Wohnimmobilieninvestoren der Realzins also noch höher als in Abbildung 5 ausgewiesen. In Ländern mit hoher Inflationsrate und niedrigem Realzins, wie Spanien, Griechenland und Portugal resultiert natürlich tendenziell das umgekehrte Verhalten. Der starke Preisanstieg der Investitionsgüter reduzierte dort die realen Zinskosten, so dass die Investitionen in Immobilien und Ausrüstungsgüter stiegen.

Abbildung 5
Realzinsen und Inflationsraten
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Umgekehrt zeigen die Realzinsen für Termineinlagen und Staatsanleihen, dass in den Niedriginflationsländern der Tendenz nach ein Anreiz zur Ersparnisbildung bestanden hat, während der Sparanreiz in den Hochinflationsländern deutlich niedriger und bei den Termineinlagen sogar in einigen Fällen negativ war.

Entwicklung der Sparquoten

Abbildung 6 zeigt, dass diese von den Realzinsen ausgehenden Verhaltensanreize sich tendenziell auch in den entsprechenden Daten niedergeschlagen haben. Im Niedriginflationsland Deutschland stieg die Sparquote von 1999 bis 2007 stark an, während die Investitionsquote zurückging. Gemäß dem saldenmechanischen Zusammenhang zwischen Kapital- und Leistungsbilanz schlug sich dies in einem kräftigen Anstieg des Leistungsbilanzüberschusses in % des BIP nieder.16 In den Hochinflationsländern Portugal, Spanien und Griechenland sank die Sparquote merklich; in Irland gab es einen marginalen Anstieg. Bei der Auswirkung der Inflation auf die Investitionstätigkeit der Hochinflationsländer gab es deutlichere Unterschiede: In Spanien und Irland stieg die Investitionstätigkeit an; in Griechenland gab es keine Veränderung und in Portugal sank die Investitionstätigkeit sogar. Offensichtlich waren in Griechenland und Portugal trotz der niedrigen Realzinsen die sonstigen Rahmenbedingungen für Investitionen nicht gut genug, um einen Anstieg der Investitionsquoten zu bewirken. Trotzdem war das Niveau der Investitionsquoten bis auf die ersten beiden Jahre der EWU in Griechenland und Portugal stets höher als in Deutschland.

Abbildung 6
Inflationsraten und wichtige VGR-Größen: 1999 bis 2007
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Nettovermögensposition: Ohne Belgien, Luxemburg (fehlende Daten) und Finnland (Ausreißer: 1,4% versus 149%). Griechenland: 2001 bis 2007.

Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen.

In der Summe führte die Auswirkung der hohen Inflationsraten auf die Spar- und Investitionstätigkeit in allen vier Ländern aber zu einem Anstieg der Leistungsbilanzdefizite. Da die über die Vergangenheit akkumulierten Leistungsbilanzdefizite (unter Berücksichtigung der Preisschwankungen der Vermögensaktiva) die Nettovermögensposition eines Landes ergeben, kam es seit Beginn der Währungsunion zu einem kräftigen Anstieg der Nettoauslandsverschuldung von Griechenland, Irland, Portugal und Spanien.17 In Deutschland führte der Anstieg des Leistungsbilanzüberschusses zu einem entsprechenden Anstieg der Nettovermögensposition gegenüber dem Ausland.

Vor dem Hintergrund der vielfältigen Einflussfaktoren auf die Spar- und Investitionstätigkeit, die in dieser Analyse nicht berücksichtigt sind, sollte es plausibel sein, dass sich die Anreizwirkung unterschiedlicher Realzinsen vor allem bei den Ländern mit sehr niedriger und sehr hoher Inflationsrate in messbarer Form niedergeschlagen haben; für das „Inflationsmittelfeld“ ist das Ergebnis natürlich weniger eindeutig. Abbildung 7 zeigt die Entwicklung der Nettovermögensposition gegenüber dem Ausland von Deutschland und den überschuldeten Ländern in absoluten Beträgen.

Abbildung 7
Nettovermögensposition gegenüber dem Ausland
in Mrd. Euro
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Quelle: Eurostat; eigene Berechnungen.

Die Ersparnisse, die Deutschland mit seinen Leistungsbilanzüberschüssen in das Ausland exportierte, konnten nicht in inländische Investitionen fließen. Das resultierende Kapitalstockwachstum war deshalb ebenso wie das BIP-Wachstum von 1999 bis 2007 das niedrigste unter allen Mitgliedsländern der EWU.18

Eine theoretische Erklärung für die Persistenz der Inflationsdifferenzen in der EWU

Die präsentierten Daten stützen die Hypothese, dass es vor allem die Inflationsdifferenzen im Euroraum waren, die zu den außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten und damit zu den gegenwärtigen Überschuldungsproblemen geführt haben sind. Es stellt sich die Frage, warum es nach der Gründung der Währungsunion zu einer dauerhaften Divergenz der Realzinsen kam, die fast ein Jahrzehnt lang Anreize zum Aufbau ungleichgewichtiger Vermögenspositionen gesetzt hat. Normalerweise lassen sich in den ökonomischen Standardtheorien Argumente dafür finden, dass Ungleichgewichte nicht von Dauer sein können. Bei divergierenden Realzinsen zwischen den Mitgliedsländern einer Währungsunion ist dies unter realistischen Annahmen aber nicht so. Hier kann bei divergierenden Realzinsen sogar ein sich selbst verstärkender Rückkopplungseffekt entstehen, der über einen längeren Zeitraum fortdauert und eine regelrechte Verschuldungsspirale in Gang setzt.19 Der Mechanismus, der zu einer Verschuldungsspirale führt, lässt sich anhand eines vereinfachten Beispiels für den Zwei-Länder-Fall verdeutlichen. Wenn zwei Länder bis auf die Inflationsrate völlig identisch sind und eine Währungsunion bilden, die zu einer Konvergenz der Nominalzinsen führt, resultiert im Niedriginflationsland ein Kapitalmarktüberschussangebot und im Hochinflationsland eine Kapitalmarktüberschussnachfrage. Wenn zwischen beiden Ländern freier Güter- und Kapitalverkehr herrscht, kann das Niedriginflationsland sein Kapitalmarktüberschussangebot in das Hochinflationsland exportieren und damit dort die Kapitalmarktüberschussnachfrage befriedigen. Auf dem aggregierten Kapitalmarkt der Währungsunion existiert dann also ein Gleichgewicht.20

Aufgrund des schon erwähnten saldenmechanischen Zusammenhangs herrscht in dieser Situation auf dem Gütermarkt des Niedriginflationslandes Überschussangebot und auf dem Gütermarkt des Hochinflationslandes Überschussnachfrage. Bei freiem Handel kann nun – wenn alle Güter und Dienstleistungen handelbar sind – das Gütermarktüberschussangebot des Niedriginflationslandes in das Hochinflationsland exportiert werden und dort die Gütermarktüberschussnachfrage befriedigen, so dass auch auf dem integrierten Gütermarkt dieser Währungsunion ein Marktgleichgewicht herrscht. In diesem Fall würde also der Grund für einen weiteren Preisanstieg im Hochinflationsland und einem weiteren Preisrückgang im Niedriginflationsland entfallen. Die Inflationsraten würden sich demzufolge angleichen und damit auch die Realzinsen, so dass sich die Ungleichgewichte auf den nationalen Güter- und Kapitalmärkten unter diesen Annahmen wieder abbauen würden. Dies entspricht der Gleichgewichtstendenz der neoklassischen Idealwelt.

In der realen Welt ist ein großer Teil aller Güter – z.B. Immobilien und Dienstleistungen – nicht handelbar. Unter solchen Bedingungen kann aus der Divergenz der Inflationsraten ein sich selbst verstärkender Rückkopplungseffekt resultieren: Wenn die Schuldner in den Hochinflationsländern Güter und Dienstleistungen kaufen, die nicht handelbar sind, wird dies zum Fortbestand der Gütermarktüberschussnachfrage und folglich der erhöhten Inflation führen. Umgekehrt wird es im Niedriginflationsland weiterhin zu einem Gütermarktüberschussangebot kommen, weil die mit den Krediten abfließende Kaufkraft nicht wieder in vollem Umfang über die Exportnachfrage zurückfließt. Das Gütermarktüberschussangebot verursacht dann einen Fortbestand der niedrigeren Inflationsrate. Wenn die Mobilität der Produktionsfaktoren nicht ausreicht, um die Gleichgewichte auf den lokalen Gütermärkten herzustellen, werden die Inflationsdifferenzen zwischen beiden Ländern fortbestehen. Ein sich selbst verstärkender Rückkopplungseffekt, eine Verschuldungsspirale, bei der sich das Hochinflationsland Jahr für Jahr beim Niedriginflationsland verschuldet kann dann die Folge sein.

Natürlich können in einer endlichen Welt solche sich selbst verstärkenden Rückkopplungseffekte nicht endlos weiterlaufen. Typischerweise verursachen sie an irgendeiner Stelle Ungleichgewichte, die schließlich wieder zu ihrer Auflösung führen. Im obigen Zwei-Länder-Fall kann die Ausgangsannahme, dass die beiden Länder bis auf ihre Inflationsraten völlig identisch sind, nicht mehr aufrechterhalten werden, wenn sich das Hochinflationsland ständig beim Niedriginflationsland verschuldet. Wenn die Nettoverschuldungsquote des Hochinflationslandes hinreichend groß ist, werden die Kapitalmärkte eine Risikoprämie bei Krediten an das Hochinflationsland verlangen, während das Niedriginflationsland als „sicherer Hafen“ dient und eine negative Risikoprämie erhält. Durch den ständigen Anstieg der Risikoprämien wird der Realzins im Hochinflationsland steigen und im Niedriginflationsland sinken, so dass sich die Realzinsen auf diese Weise angleichen. Bei effizienten Kapitalmärkten, die kontinuierlich Informationen verarbeiten, wird sich dieser Prozess kontinuierlich abspielen, so dass es zu einer „sanften Landung“ kommen kann. In der Realität verarbeiten Kapitalmärkte Informationen jedoch sehr häufig diskontinuierlich und können dadurch „Bruchlandungen“ verursachen. Es ist sicherlich nicht übertrieben, die dramatische Entwicklung, die der Markt für Euro-Staatsanleihen seit dem Frühjahr 2010 genommen hat, als eine solche „Bruchlandung“ zu bezeichnen. Dies gilt allerdings nicht im gleichen Umfang für die Zinsentwicklung auf dem Markt für Bankenkredite an Unternehmen und Haushalte. Die Tatsache, dass sich die Geschäftsbanken bei der EZB zu gleichen Konditionen refinanzieren können, hat in diesem Bereich noch nicht in ausreichendem Maß zu einer Differenzierung der Zinssätze geführt, wie die aktuelle Zinsentwicklung zeigt. Hier besteht deshalb langfristig wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf.

Wirtschaftspolitische Konsequenzen

Nach der hier entwickelten Problemsicht hat nicht primär fiskalische Disziplinlosigkeit zu der aktuellen Schuldenkrise geführt, sondern ein Konstruktionsfehler der EWU, der zum Entstehen einer Verschuldungsspirale geführt hat. Die staatliche Schuldenstandsquote in % des Bruttoinlandsproduktes fiel in Irland von Anfang des Jahres 2000 bis Ende 2007 von 46% auf 25%; in Spanien von 61% auf 31%, in Portugal stieg sie von 51% auf 68% und in Griechenland stieg sie von 103% Anfang 2001 auf 105% im Jahr 2007. Die Nettoverschuldungsposition gegenüber dem Ausland in Prozent des Bruttoinlandsproduktes stieg dagegen in allen Ländern kräftig: in Irland von -51% im Jahr 1999 auf 75% im Jahr 2007, in Spanien von 28% auf 79%, in Portugal von 32% auf 96% und in Griechenland von 33% auf 76%. Erst durch die von der Finanzmarktkrise ausgelöste Rezession und durch die dadurch notwendig gewordenen Stützungsmaßnahmen überschuldeter Banken hat die Staatsverschuldung dieser Länder eine bedrohliche Größenordnung erreicht.

Die daraus nun insgesamt resultierenden Probleme sind enorm, denn sie bedrohen nun vor allem den europäischen Bankensektor, der nicht nur Staatsanleihen dieser Länder hält, sondern in noch größerem Umfang Kredite an Banken und Unternehmen in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien vergeben hat.21 Vor diesem Hintergrund ist Dullien und Schieritz22 zuzustimmen, wenn sie die Sinn’sche These bezweifeln, dass Deutschland von der europäischen Schuldenkrise profitieren wird.23 Zu groß sind derzeit die Risiken, dass aus der europäischen Schuldenkrise eine europäische Bankenkrise wird. Die historische Erfahrung zeigt, dass Bankenkrisen tiefe Schleifspuren in der Realwirtschaft hinterlassen. Mit seiner hohen Exportquote wäre Deutschland ein prominentes Opfer einer solchen Krise. Es ist deshalb im wohlverstandenen deutschen Eigeninteresse, sich an den Rettungspaketen der EU zu beteiligen – auch wenn dies wenig populär ist und derzeit mit einer Befürwortung der Euro-Rettung in der Öffentlichkeit keine Punkte zu sammeln sind.

Empfehlungen für die Notenbankpolitik

Im Moment ist kaum abzusehen, wann die aktuelle Krise überstanden sein und wie die EWU dann aussehen wird. Sobald sich aber die Lage stabilisiert hat, müssen Maßnahmen ergriffen werden, die ein abermaliges Entstehen von Verschuldungsspiralen verhindern. Ursache für das Entstehen von Verschuldungsspiralen in Währungsunionen sind Inflationsdifferenzen zwischen den Mitgliedsländern. Gründe für die Divergenz der Inflationsraten können zyklischer und struktureller Natur sein.24 Angesichts der Heterogenität der EWU-Mitgliedsländer, die durch den Beitritt von Slowenien, Malta, Zypern, Slowakei und Estland eher zu- als abgenommen hat, ist nicht damit zu rechnen, dass sich die Inflationsraten in Zukunft von selbst angleichen werden.

Es wird deshalb notwendig sein, dass die EZB Instrumente einsetzt, die zu einer Konvergenz der Inflationsraten in den Mitgliedsländern führen. Ein Instrument könnte z.B. eine länderspezifische Mindestreserveverpflichtung sein, wie sie von Palley25 und Holz26 vorgeschlagen wurde. Unter einem solchen Mindestreserveregime müssen Banken in Ländern mit hoher Inflationsrate höhere Mindestreserven halten als Banken in Ländern mit niedriger Inflationsrate. Eine Verzinsung der Mindestreserven, wie zur Zeit bei der EZB üblich, darf dann natürlich nicht mehr erfolgen. Durch die daraus resultierende unterschiedliche Kostenbelastung der Banken, kommt es zu unterschiedlichen länderspezifischen Nominalzinsen für Bankenkredite.

Eine andere Möglichkeit, die kürzlich von Black27 vorgeschlagen wurde, wären länderspezifische Hauptrefinanzierungssätze für Geschäftsbanken. Black verweist darauf, dass eine solche Politik von 1914 bis 1941 von der amerikanischen Federal Reserve praktiziert wurde, indem sie den Diskontsatz auf der Ebene der US-Distrikte differenzierte. Die Möglichkeiten zur Interbankenarbitrage werden dabei durch höhere Risikoprämien begrenzt. Denn Kredite an Banken zu verleihen, die schlechtere Refinanzierungsmöglichkeiten bei der Notenbank haben, bedeutet ein höheres Risiko. Beide Instrumente zur Differenzierung der nominalen Kreditzinsen (und Angleichung der realen Kreditzinsen) könnten von der EZB eingesetzt werden, ohne dass Gesetze oder Statuten geändert werden müssten. Die EZB muss sich deshalb auch die Frage gefallen lassen, warum sie solange dem Aufbau ungleichgewichtiger Vermögenspositionen in der Eurozone zugeschaut hat, ohne von solchen Instrumenten Gebrauch zu machen. Geldpolitik in einem nicht-optimalen Währungsraum kann auf Dauer nicht genauso betrieben werden wie Geldpolitik in einem optimalen Währungsraum.

  • 1 S. Dullien, M. Schieritz: Die deutsche Investitionsschwäche: Die Mär von den Standortproblemen, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 7, S. 458-464.
  • 2 Vgl. ebenda, S. 458.
  • 3 „Wenn die Investitionsschwäche in Deutschland gar nicht in erster Linie ein Problem des mangelnden Kreditangebots der Unternehmen oder der – im europäischen Vergleich zu niedrigen Renditen deutscher Unternehmen – gewesen ist, dürfte ein Ende des Vertrauens in die Euro-Peripherie die realen Investitionen der deutschen Unternehmen nur marginal beeinflussen.“ Vgl. ebenda, S. 463.
  • 4 Nach der Definition des Statistischen Bundesamtes zählen „zu den Ausrüstungsinvestitionen […] Maschinen und Geräte (einschließlich Ausstattungen) und Fahrzeuge. Nicht dazu rechnen feste Bestandteile von Bauwerken, wie Aufzüge, Heizanlagen, Rohrleitungen und Ähnliches, wohl aber fest montierte Maschinen oder Komponenten komplexer Fabrikationsanlagen.“ Vgl. Statistisches Bundesamt: Begriffserläuterungen für den Bereich Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Wiesbaden 2011.
  • 5 S. Dullien, M. Schieritz, a.a.O., S. 460.
  • 6 Die verwendete Formel für die Schätzung lautet: Bruttoinvestitionen in Ausrüstungsgüter (UIGEQ)/[(Nettoinvestitionen insgesamt (UINT)/Bruttoinvestitionen insgesamt (UIGT)] Bruttoinlandsprodukt zu Marktpreisen (UVGD).
  • 7 Nach Angaben des Statistisches Bundesamtes, Übersicht 3, beträgt die durchschnittliche Nutzungsdauer von Bauten 66 Jahre und bei Ausrüstungen zwölf Jahre bezogen auf das Berichtsjahr 2000. Vgl. O. Schmalwasser, M. Schidlowsky: Kapitalstockrechnung in Deutschland, Wiesbaden 2006, S. 1120.
  • 8 Vgl. Statistisches Bundesamt: Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen 1992-2010, Wiesbaden 2010.
  • 9 S. Dullien, M. Schieritz, a.a.O., S. 464.
  • 10 Vgl. Deutsche Bundesbank: Zur Problematik makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Raum, in: Monatsbericht Juli, Frankfurt 2010, S. 17-40.
  • 11 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Chancen für einen stabilen Aufschwung, Jahresgutachten 2010/2011, Wiesbaden 2010, S. 103.
  • 12 S. Dullien, M. Schieritz, a.a.O.
  • 13 „So war seit Mitte der 1990er Jahre die Wohnungsbauförderung in Deutschland deutlich zurückgefahren worden. Bereits zum 31.12.1998 waren die Sonderabschreibungen für Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern ausgelaufen. Zunächst wurde diese Sonderabschreibung für bestimmte Aktivitäten durch eine – für die Bauherren ungünstigere – Investitionszulage ersetzt, die allerdings ebenfalls Ende 2004 auslief. Parallel wurde die für ganz Deutschland geltende Eigenheimzulage mit Wirkung ab dem 1.1.2004 deutlich abgeschmolzen und zum 31.12.2005 ganz abgeschafft. In der Summe kann angesichts dieses massiven Subventionsabbaus im Wohnungsbau davon ausgegangen werden, dass die Politik eine zentrale Rolle für die Schwäche in diesem Bereich gespielt hat. Zudem spielt der Bauboom nach der Wiedervereinigung eine wichtige Rolle. Insbesondere im Osten Deutschlands hatten Förderprogramme wie die Sonderabschreibungsregeln und die Investitionszulage zusammen mit dem erheblichen Sanierungsbedarf einen Bauboom ausgelöst, der massive Überkapazitäten entstehen ließ. Als Folge davon brachen die Bauinvestitionen ab Ende der 1990er Jahre regelrecht ein.“ Vgl. S. Dullien, M. Schieritz, a.a.O., S. 462.
  • 14 Die Standardabweichungen werden von Eurostat für Unternehmens- und Hypothekenkreditzinsen selbst berechnet und als Maße für die „Integration der Finanzmärkte“ in der EWU ausgewiesen: „Two instruments measure convergence of interest rates: the standard deviation and the coefficient of variation. Both indicators are based on interest rates across the euro area members and the EU Member States and measure the trend towards the integration of financial markets. A decline in the standard deviation and in the variation coefficient of interest rates over time shows an increasing degree of financial market integration.“ Vgl. Eurostat: Convergence of interest rates, Luxembourg 2011, http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_SDDS/en/irt_cvg_esms.htm. Informationen über die Laufzeit der Hypothekenkredite sind bei Eurostat nicht verfügbar. Die Standardabweichung der Zinssätze für zehnjährige Staatsanleihen wurden hier auf Basis der „Maastricht-Kriterium-Zinssätze“ von Eurostat berechnet.
  • 15 In einem Aufsatz in ihrem Monatsbericht vom August 2009 wertet die EZB auch harmonisierte Geschäftsbankenzinssätze vor 2003 aus. Leider werden diese Zinssätze von ihr aber nicht veröffentlicht, vgl. Europäische Zentralbank: Recent Developments in the Retail Bank Interest Rate Pass-through in the Euro Area, in: ECB Monthly Bulletin, Frankfurt, August 2009, S. 98, Fußnote 3.
  • 16 Der saldenmechanische Zusammenhang ergibt sich aus der Verwendungsrechnung des Bruttonationaleinkommens: BNE = C + I + T + DG + EX - IM <=> (BNE - T - C) - (I + DG) = EX - IM, wobei C = inländischer Konsum, I = inländische Investitionen, T = Nettosteuerbelastung, DG = Neuverschuldung des Staates, EX = Exporte, IM = Importe und mithin (BNE-T-C) = inländische Ersparnis ist. Der Einfluss von DG auf den Leistungsbilanzsaldo wird in Abbildung 6 zur Vereinfachung nicht berücksichtigt. Er hatte im Betrachtungszeitraum keine ausschlaggebende Auswirkung.
  • 17 Dass der relativ geringe Anstieg des portugiesischen Leistungsbilanzdefizits mit einem so starken Anstieg der Nettoauslandsverschuldung einherging, liegt daran, dass der Anstieg des Leistungsbilanzdefizits auf einem bereits zu Beginn der EWU hohen Niveau des Defizits stattfand.
  • 18 Vgl. Abbildung 8 in R. Maurer: Die deutsche Investitionsschwäche und die EWU – Fakt oder Fiktion?, Diskussionspapier, Hochschule Pforzheim, Pforzheim 2011, http://ssrn.com/abstract=1921887.
  • 19 Vgl. R. Maurer: The Eurozone Debt Crisis – A Simple Theory, Some Not So Pleasant Empirical Calculations and an Unconventional Proposal, Diskussionspapier, Hochschule Pforzheim, Pforzheim June 2010, http://ssrn.com/abstract=1621828.
  • 20 Eine ausführlichere Darstellung des Zwei-Länder-Falls findet sich in R. Maurer: Die deutsche Investitionsschwäche …, a.a.O.
  • 21 Vgl. R. Maurer: Was passiert bei einem Staatsbankrott der GIPSI-Länder?, http://wirtschaftlichefreiheit.de/.
  • 22 S. Dullien, M. Schieritz, a.a.O.
  • 23 Vgl. H.-W. Sinn: Deutschland und die Euro-Krise. Positive Wirtschaftsperspektiven nicht durch falsche Rettungspakete gefährden, Wirtschaftsbeirat Bayern, Nr. 12/2010, München 2010.
  • 24 Strukturelle Ursachen für Inflationsdifferenzen (Samuelson-Balassa-Effekte) treten auf, wenn Länder mit unterschiedlichen Entwicklungsniveaus ihre Handelsbeziehungen vertiefen, vgl. M. Baumgarten, H. Klodt: Greece and Beyond: The Debt Mechanics of the Euro, in: Aussenwirtschaft, 65. Jg. (2010), H. IV.
  • 25 T. Palley: Currency Unions, the Phillips Curve, and Stabilization Policy: Some Suggestions for Europe, in: Intervention. Journal of Economics, 3. Jg. (2006), Nr. 2, S. 351-369.
  • 26 M. Holz: Asset-Based Reserve Requirements: A New Monetary Policy Instrument for Targeting Diverging Real Estate Prices in the Euro Area, in: Intervention. Journal of Economics, 4. Jg. (2007), Nr. 2, S. 353-351.
  • 27 S. Black: Fixing the Flaws in the Eurozone, VoxEu 2010.

Erwiderung auf Rainer Maurer

Von Sebastian Dullien, Mark Schieritz

Wir hatten in unserem Beitrag in der Juli-Ausgabe des Wirtschaftsdienst 20111 gezeigt, dass nach disaggregierten Investitionszahlen in Deutschland seit dem Jahr 2000 vor allem die öffentlichen Investitionen und der Wohnungsbau, nicht jedoch die Ausrüstungsinvestitionen, schwach gewesen sind. Wir führten diese Beobachtung als Argument an, dass die Standortbedingungen in Deutschland kaum außergewöhnlich schlecht gewesen sein können, wenn die Unternehmen einen ähnlich großen Anteil des BIP in Ausrüstungen investierten wie in anderen Euroländern. Demnach machten wir für die Investitionsschwäche vor allem die öffentliche Finanzpolitik, die staatliche Wohnungsbauförderungspolitik und die schwache Lohnentwicklung verantwortlich und führten an, dass diese Politiken entscheidend zum Leistungsbilanzüberschuss in Deutschland beigetragen haben.

In seiner Replik will Rainer Maurer nun zeigen, dass entgegen unserer Analyse die Investitionsschwäche in Deutschland ein Zeichen von Standortproblemen gewesen sei. Er führt an, dass die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland – anders als nach den von uns präsentierten Zahlen – seit der Einführung des Euro 1999 im europäischen Vergleich außergewöhnlich schwach gewesen seien, zumindest wenn man die Nettoinvestitionen betrachte. Im zweiten Schritt argumentiert er, dass sich die Leistungsbilanzungleichgewichte in der Eurozone vor allem durch Inflationsdivergenzen erklären ließen, die wiederum die Spar- und Investitionsentscheidungen in den einzelnen Ländern unterschiedlich beeinflusst hätten. Dankenswerterweise hat uns Rainer Maurer für unsere Antwort seine Datenbasis und seine Berechnungen bereit gestellt, sodass wir diese nachvollziehen konnten und im Weiteren diese Zahlen verwenden werden.

Während wir in der Analyse der Ursachen möglicher Divergenzen in der Eurozone zumindest in Teilen durchaus Rainer Maurer zustimmen würden (auch wenn im Detail das Argument der individuellen Spar- und Investitionsentscheidung eher wackelig ist), halten wir seine Daten zu den Nettozahlen der Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland für methodisch fehlerhaft. In unserer Erwiderung wollen wir uns deshalb auf diesen Punkt konzentrieren, zumal dies der Hauptpunkt unseres Beitrages war.

Rainer Maurer argumentiert, dass in Deutschland zwar die Bruttoinvestitionen in Ausrüstungen gemessen am BIP ähnlich hoch gewesen seien wie in anderen Euroländern, dass aber die Nettoinvestitionen in Ausrüstungen im Verhältnis zum BIP seit 1999 schwächer als im Rest der Eurozone ausgefallen seien (vgl. Abbildungen 1 und 2 in Rainer Maurers Beitrag).

Berechnung der Nettoinvestitionen

Da diese Nettoausrüstungsinvestitionen nicht in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) veröffentlicht werden, hat Rainer Maurer sie selbst geschätzt, indem er die gesamtwirtschaftlichen Abschreibungen eines Jahres ins Verhältnis zu den gesamten Investitionen dieses Jahres setzt. Sodann teilt er das Ergebnis auf die jeweiligen Investitionskategorien – öffentliche Investitionen, private Wohnungsbauinvestitionen, private Ausrüstungsinvestitionen – auf, und zwar entsprechend des Anteils dieser Kategorien an den gesamten Investitionen. Unserer Einschätzung nach ist diese Methode bei einer Schwäche der Wohnungsbauinvestitionen und öffentlichen Investitionen logisch dazu verdammt, irreführende Ergebnisse für die Nettoausrüstungsinvestitionen zu erzeugen. Das Problem ist dabei Maurers Bestimmung der Abschreibungen. Abschreibungen beziehen sich definitionsgemäß auf den gesamten Kapitalstock, also eine sich langsam verändernde Bestandsgröße. Maurer dagegen bezieht seine Abschreibungen auf die Investitionen, eine stark schwankende Stromgröße.

Methodisch korrekt wäre es also, die Abschreibungen anhand des Anteils der verschiedenen Unterkategorien des Kapitalstocks – etwa Immobilien- und Anlagevermögen – am gesamten Kapitalstock aufzuteilen. Dabei müsste noch die durchschnittliche Lebensdauer berücksichtigt werden. Führt man eine solche Berechnung anhand der Vermögensrechnung nach Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) durch (zur Vereinfachung zunächst ohne Berücksichtigung unterschiedlicher Nutzungsdauern), wird schnell deutlich, dass sich die Anteile an den gesamten Sachanlagen im Zeitablauf kaum geändert hat (vgl. Abbildung 1). Im Jahr 1995 betrug der Anteil der Ausrüstungen am gesamten Anlagevermögen 14,8%, im Jahr 2008 gerade einmal 13,3%. Der Anteil der Abschreibungen, der bei einer solchen Rechnung den Ausrüstungen zugerechnet werden müsste, würde sich im Zeitablauf kaum ändern. Schwierig ist allerdings der internationale Vergleich dieser Daten, da die europäische AMECO-Datenbank die Vermögensbestände nicht hinreichend ausweist.

Abbildung 1
Bestände: Ausrüstungen in Deutschland

in % der Sachanlagen

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Quelle: Statistisches Bundesamt, Sektorale und gesamtwirtschaftliche Vermögensbilanzen.

Rainer Maurer wählt deshalb den Weg, die Anteile der verschiedenen Investitionskategorien an den gesamtwirtschaftlichen Investitionen als Näherung für die Anteile der jeweiligen Bestände am gesamten Kapitalstock zu nehmen. Das muss allerdings in Situationen, in denen sich eine Komponente schneller ändert als die anderen, eindeutig in die Irre führen. Wenn die Wohnungsbauinvestitionen dramatisch einbrechen, die Ausrüstungsinvestitionen aber relativ stabil bleiben, wird nach dieser Rechnung plötzlich ein dramatisch höherer Anteil der gesamtwirtschaftlichen Abschreibungen den Ausrüstungsinvestitionen zugerechnet. Dies wirkt umso stärker, als zwar Ausrüstungen kürzer genutzt werden als Bauten, der Wert der Bauten aber etwa ein Fünffaches des Wertes von Ausrüstungen ausmacht.

Abbildung 2 illustriert diesen Effekt: Trotz des Rückgangs der Ausrüstungsinvestitionen nach 2000 in Deutschland schoss der Anteil der Ausrüstungsinvestitionen an den gesamten Investitionen in die Höhe, weil die öffentlichen Investitionen und die Wohnungsbauinvestitionen noch dramatischer einbrachen. Der Anteil der Ausrüstungsinvestitionen an den Gesamtinvestitionen stieg so von 1993 bis 2005 von knapp 32% auf rund 42%. Damit stieg der Anteil der gesamtwirtschaftlichen Abschreibungen, die von Rainer Maurer den Ausrüstungen zugerechnet werden, um fast ein Viertel, während der Anteil des Bestandes der Ausrüstungen an den gesamten Sachanlagen in diesem Zeitraum sogar leicht zurückging (und damit eigentlich eine geringere Zuordnung der Abschreibungen für die Ausrüstungsgüter angesagt gewesen wäre). Plastischer ausgedrückt: Durch die verwendete Methode wurde in der Phase schwacher Wohnbauinvestitionen ein Teil der Abschreibungen auf deutsche Wohngebäude den Abschreibungen auf Ausrüstungsgüter zugerechnet.

Abbildung 2
Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland

in % der Anlageinvestitionen

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Quelle: R. Maurer: Die deutsche Investitionsschwäche und die EWU – Fakt oder Fiktion? – eine Replik, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 1, 56-64; eigene Berechnungen.

Das Problem wird deutlich, wenn man mit der Maurer-Methode die Abschreibungen auf die Ausrüstungsinvestitionen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt errechnet und für die europäischen Länder vergleicht. Zu diesem Zweck haben wir für Abbildung 3 die von Rainer Maurer errechneten Nettoausrüstungsinvestitionsquoten von den Bruttoausrüstungsinvestitionsquoten abgezogen. Glaubt man den Ergebnissen von Maurer, so wäre die gesamtwirtschaftliche Abschreibungsquote bei den Ausrüstungen plötzlich nach dem Jahr 2000 in Deutschland in die Höhe geschossen, während sie in anderen europäischen Ländern, insbesondere in Irland und Spanien, in den Keller ging. Es gibt keinerlei plausible Erklärung, warum nach dem Jahr 2000 plötzlich die Ausrüstungen in Deutschland wesentlich schneller abgenutzt sein sollten (was die höhere Abschreibungsquote erklären würde) bzw. warum diese plötzlich in Irland viel länger halten sollten. Deutschlands Ausrüstungsinvestitionen dürften sich von der Struktur her nicht wesentlich von den Ausrüstungsinvestitionen in den anderen Ländern unterscheiden. Es ist unverständlich, dass bei ähnlich großem Kapitalstock und ähnlich großen Bruttoinvestitionen die Abschreibungen auf Ausrüstungen in Deutschland mehr als 6% des BIP ausmachen sollten, während sie in anderen Ländern zum Teil nicht einmal 2% erreichen.

Abbildung 3
Abschreibungen auf Ausrüstungen nach der Maurer-Methode in verschiedenen Ländern
in % des BIP
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Quelle: AMECO-Datenbank.

Fehlerhafte Zuordnung

Was wir hier in den Daten erkennen, ist ein Artefakt der fehlerhaften Zuordnung der gesamtwirtschaftlichen Abschreibung nach der Maurer-Methode, wenn die Investitionen im Wohnungsbau überproportional steigen. Zentral ist dieser Kritikpunkt, weil die unterschiedliche Aufteilung der Abschreibungen im Zeitverlauf die von Maurer ausgemachte vermeintliche relative Investitionsschwäche in den Daten fast vollständig erklärt: Über den gesamten Zeitraum laufen die Bruttoausrüstungsinvestitionen in Deutschland in etwa gleich mit jenen in der Eurozone. Auch in den Maurer-Zahlen entwickeln sich die Nettoausrüstungsinvestitionen in Deutschland zunächst im Gleichlauf mit dem Rest Europas. Nach dem Jahr 2000 allerdings sackt die Nettoausrüstungsquote in Deutschland plötzlich ab, ohne dass ähnliches für die Bruttoquote gelten würde.

Wir halten deshalb auch und gerade nach Durchsicht des Artikels von Rainer Maurer an unserer Analyse fest, dass die Ausrüstungsinvestitionen in Deutschland nach dem Jahr 2000 mitnichten im europäischen Vergleich besonders schwach gewesen sind und dass deshalb die These der Standortprobleme nichts als eine Mär gewesen ist.

Hohe Realzinsen als Ursache?

Zum Abschluss noch eine kurze Bemerkung zu der These, dass der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Sparquote in Deutschland auf die relativ höheren Realzinsen in Deutschland durch die niedrigere Inflation in dem Land zurückzuführen sei. Diese Analyse ist unserer Einschätzung nach fragwürdig, da für eine Veränderung der Sparentscheidungen der Haushalte nicht die relativen Realzinsen im Vergleich mit anderen Ländern, sondern die Veränderung der Realzinsen über den Zeitablauf relevant sein sollten. Hier widersprechen die empirischen Daten klar der These Rainer Maurers: Abbildung 4 zeigt den deutschen Realzins als die Differenz zwischen dem Zins auf zehnjährige Staatsanleihen und der Verbraucherpreisinflation sowie die gesamtwirtschaftliche Sparquote in Deutschland. Der Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Sparquote ging einher mit einem starken Rückgang des Realzinses. Dies lässt sich unserer Einschätzung nach zumindest mit der einfachen mikroökonomischen Erklärung der Sparentscheidung von Rainer Maurer nur schwer erklären. Wichtig ist hier, sich die Ursache des Anstiegs der gesamtwirtschaftlichen Sparquote anzusehen: Interessanterweise ist nämlich die Sparquote der privaten Haushalte nur wenig gestiegen. Der Hauptanstieg der gesamtwirtschaftlichen Sparquote ergibt sich aus einbehaltenen Gewinnen der Unternehmen (vgl. Abbildung 5). Diese gigantischen Gewinne sprechen ebenfalls kaum für ernsthafte Standortprobleme.

Abbildung 4
Realzins und gesamtwirtschaftliche Sparquote in Deutschland

in %

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Quelle: OECD: Economic Outlook, Sommer 2011.

Abbildung 5
Gesamtwirtschaftliche Sparquote und Sparquote privater Haushalte in Deutschland
in %
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Quelle: OECD: Economic Outlook, Sommer 2011.

Es bleibt also dabei: Die staatliche Investitions- und Investitionsförderungspolitik ebenso wie die Lohntrends in Deutschland haben einen deutlichen Anteil an der Erklärung der Leistungsbilanzungleichgewichte. So populär die These von den Standortproblemen und der daraus resultierenden Investitionsschwäche der Unternehmen in den 2000er Jahren ist, sie bleibt in den empirischen Fakten schwer zu belegen.

  • 1 S. Dullien, M. Schieritz: Die deutsche Investitionsschwäche: Die Mär von den Standortproblemen, in: Wirtschaftsdienst, 91. Jg. (2011), H. 7, S. 458-464.
 

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DOI: 10.1007/s10273-012-1327-x

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