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EU-Budget: Im Schatten der Eurokrise

Von Konrad Lammers

Für die Sitzung des Europäischen Rates am 18./19. Oktober steht zwar bislang der EU-Haushalt für die Jahre 2014-2020 auf der Tagesordnung. Schon heute ist absehbar, dass Entscheidungen über den Etat aber frühestens auf einem Sondergipfel am 22./23. November fallen werden. Dieser Fahrplan wird sich auch nur dann einhalten lassen, wenn nicht aktuelle Entwicklungen der Eurokrise die ganze Verhandlungskraft der Regierungschefs absorbieren werden; ohnehin ist demnächst mit Beratungen über die Anträge von einigen Mitgliedsländern auf Hilfen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu rechnen. Waren die Verhandlungen über das EU-Budget früher stets ein Topthema auf der europäischen Bühne, so stehen sie diesmal im Schatten der Suche nach Mechanismen zur Bewältigung der Eurokrise. Dabei gibt es durchaus Gemeinsamkeiten und vielfältige Bezüge zwischen EU-Budget und dem Eurokrisenmanagement. Leitmotiv aller Verhandlungen über das Budget war und ist auch diesmal vornehmlich die Suche nach einer günstigen (Netto-)Verteilungsposition: Jedes Land will möglichst wenig in den EU-Haushalt einzahlen und möglichst viel aus den diversen Töpfen erhalten. Nicht viel anders verhält es sich bei dem Ringen um die Mechanismen zur Bewältigung der Eurokrise; auch hier spielt die Verteilungsfrage – Stichwort Transferunion – eine wichtige Rolle, bei allen auch ernstzunehmenden Bekenntnissen, es gehe um das große europäische Ganze.

Wie kann die geringe Aufmerksamkeit, die die jetzt anstehenden Budgetverhandlungen bislang ausgelöst haben, erklärt werden? Vermutlich spielen Einschätzungen und Wahrnehmungen der Transfersummen, um die es geht, eine entscheidende Rolle. Die Transfers, die im Zusammenhang mit der Eurokrise einzelne Mitgliedsländer möglicherweise zu leisten haben (und die spiegelbildlich anderen Ländern zufließen), erreichen danach eine andere Dimension. So beläuft sich nach Ifo-Einschätzungen die mögliche Haftungssumme Deutschlands Anfang Oktober auf mittlerweile 771 Mrd. Euro. Dieser Transfer wird allerdings nur unter dem denkbar ungünstigsten Szenario fällig. Möglich ist aber auch, dass sich die potentielle Haftungssumme je nach Entwicklung der Krise und der politischen Entscheidungen noch erhöht. Demgegenüber werden die Zahlungsströme, die durch das EU-Budget ausgelöst werden, offensichtlich als kalkulierbar und moderat eingeschätzt. Dies trifft, was die Kalkulierbarkeit angeht, sicherlich zu. Hinsichtlich der Größe der Zahlungsströme sollte man allerdings genauer hinschauen.

Nach den Plänen der Kommission soll das Haushaltsvolumen für die Periode 2014-2020 insgesamt 972 Mrd. Euro betragen. Der Nettobeitrag Deutschlands von 2004-2010, also ebenfalls für einen Zeitraum von sieben Jahren, betrug 51,3 Mrd. Euro. Im gleichen Zeitraum erhielten Griechenland netto 31,6 Mrd., Polen 30,6 Mrd., Spanien 30,1 Mrd. und Portugal 17,7 Mrd. Euro. Um das Aushandeln von Nettozahlungsströmen in ähnlicher Größenordnung geht es auch für die Jahre 2014-2020, wobei insbesondere auf der Nettoempfängerseite Verschiebungen in der Länderhierarchie zu erwarten sind. Diese Zahlen zeigen, dass durch das EU-Budget nicht zu vernachlässigende grenzüberschreitende Zahlungsströme ausgelöst werden, jenseits der möglichen Transfers im Kontext der Eurokrise. Die erheblichen Transfers, die Griechenland, Spanien und Portugal über das EU-Budget erhalten haben, zeigen zudem, dass sie die Länder nicht haben davor schützen können, in den Strudel von mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, ausufernder Staatsverschuldung und unterlassenen Strukturreformen zu geraten.

Soziallastenfinanzierung: Entlastung der Kommunen

Von Martin Junkernheinrich

Als das Bundessozialhilfegesetz am 1. Juni 1962 in Kraft trat und die Übertragung der Sozialhilfe auf die örtlichen und überörtlichen Träger erfolgte, wurde dem Sozialbereich nur eine geringe finanzielle Bedeutung beigemessen. Diese Annahme hat sich nicht bestätigt. Trotz der Wohlstandssteigerung der letzten fünf Jahrzehnte sind die sozialen Leistungen die kommunale Ausgabenkategorie mit der höchsten Wachstumsdynamik geworden und stellen die Gemeinden und Gemeindeverbände vor immer größere Finanzierungsprobleme. 2011 haben die Kommunen rund 43 Mrd. Euro für soziale Leistungen, d.h. für Transferzahlungen im Sozialbereich und in der Jugendhilfe, verausgabt. Bund und Länder haben auf diese Entwicklung bisher nur zurückhaltend mit einer Anpassung der kommunalen Finanzausstattung reagiert (z.B. in der Pflegeversicherung). Die Folgen für die Kommunalfinanzen sind erheblich. Etwa die Hälfte der kommunalen Deckungslücken wird mittlerweile durch die Gesamtheit der Sozial- und Jugendhilfeausgaben – neben den Transferleistungen gehören dazu z.B. Personal- und Sachleistungen (unter anderem für Tageseinrichtungen für Kinder) – verursacht. Dabei zeigen sich erhebliche Unterschiede in der lokalen Belastung. Teilweise werden Absorptionsquoten von über 70% beobachtet. Die Lösung des Soziallastenproblems ist damit ein Schlüsselelement für jede nachhaltige Gemeindefinanzreform.

Die Bundesregierung hat nunmehr einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Danach sollen die Nettoausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in mehreren Stufen durch den Bund – de facto im Rahmen der Umsatzsteuerverteilung mitfinanziert durch die Länder – übernommen werden. Bereits für 2012 ist der Bundesanteil von 16% auf 45% angehoben worden. 2013 soll der Anteil auf 75% und 2014 auf 100% erhöht werden. Die Ausgabenerstattung soll zeitnah erfolgen. Dieser Schritt ist kommunalfinanzpolitisch sinnvoll. Über viele Jahre krankte die Soziallastenfinanzierung im deutschen Föderalismus daran, dass die zentralen, ausgabenwirksamen Entscheidungen auf Bundesebene getroffen wurden. Die Durchführung und Finanzierung war und ist aber weitgehend von den örtlichen Trägern zu leisten. Damit wurde das Konnexitätsprinzip über Jahre massiv verletzt, einer Kommunalisierung der Sozialstaatslasten Vorschub geleistet und eine der Ursachen der kommunalen Finanzkrise bundespolitisch erst geschaffen.

Bei der Maßnahmenumsetzung ist darauf zu achten, dass die Länder die Kommunen auch tatsächlich entlasten. Bislang fehlt dazu im Gesetzentwurf eine eindeutige Formulierung. Insofern könnten Länder einen Teil der Entlastung einbehalten. Bundesländer, die ihren kommunalen Finanzausgleich aktuell über Ausgabenquoten bestimmen, werden automatisch entlastet (da die kommunalen Ausgaben ja sinken), obwohl sie sich in den Vorjahren möglicherweise nicht an der Finanzierung des Soziallastenaufbaus beteiligt haben. Des Weiteren ist sicherzustellen, dass im kommunalen Bereich auch primär die örtlichen Träger der sozialen Leistungen entlastet werden. Wenn die Soziallasten ein zentrales Problem der Gemeindefinanzierung sind, so ist dieses Problem ursachenadäquat anzugehen.

Ungeachtet dieses wichtigen und kostenträchtigen Entlastungsschrittes wird das Thema der Soziallastenfinanzierung weiter auf der politischen Agenda bleiben müssen: Die Nettoentlastung ist sehr klein. Bezogen auf die vollständigen kommunalen Nettosozialausgaben wird sie auf lediglich 7,4% geschätzt. Andere Ausgaben, etwa die Eingliederungshilfe für Behinderte und die Jugendhilfeausgaben, sind stark wachsend und kompensieren bei vielen lokalen Trägern die Entlastungswirkungen der Reform.

Das Kernproblem bleibt, dass der Trend, neue Leistungen im Sozial- und Jugendhilfebereich politisch zu definieren und nicht oder nur zeitlich begrenzt anzufinanzieren, ungebrochen ist. Die finanzpolitische Praxis hat dafür den Begriff des „Anfixens“ geprägt. Denn welcher Bürgermeister wird eine Leistung (z.B. die Mittagsversorgung im Hortbereich) wieder abbauen, wenn eine zeitlich befristete oder im Volumen unzureichende Bundes- oder Landesfinanzierung ausläuft? Hier ist noch mehr finanzpolitische Ehrlichkeit notwendig. Bei neuen Aufgaben ist die Finanzierungsfrage zeitgleich und nachhaltig zu klären.

Frauenquote: Quadratur des Kreises

Von Christina Boll

Unter den 588 größten europäischen börsennotierten Unternehmen beträgt der Frauenanteil im höchsten Entscheidungsgremium in der deutschen Unternehmensgruppe 16%, während norwegische Unternehmen auf 42%, finnische auf 27% und französische auf 22% kommen. Im deutschen Vergleich klafft zudem eine große Lücke zwischen Vorstands- und Aufsichtsratsposten von Frauen. Der höhere Frauenanteil in Aufsichtsräten ist lediglich das Ergebnis der Entsendepraxis der Mitbestimmungsorgane. Dass die Einführung einer festen Frauenquote für Aufsichts- und Verwaltungsräte, wie sie vom Bundesrat auf Antrag der Länder Hamburg und Brandenburg am 21. September 2012 befürwortet wurde, auch auf die Besetzung von Vorstandspositionen positiv ausstrahlt, muss daher bezweifelt werden. In dem Gesetzentwurf, der nun in den Bundestag eingebracht werden wird, ist die Einführung einer 20%-Quote für DAX-Unternehmen ab 2018 und deren Aufstockung auf 40% ab 2023 vorgesehen.

Führungspositionen werden überwiegend in Vollzeit ausgeübt: Wie der Führungskräfte-Monitor zeigt, betrug 2010 die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von weiblichen Führungskräften 40 Stunden, von männlichen 47 Stunden. Durch Kinder werden in Deutschland noch immer einseitig Frauen mehrfach belastet. Wie eine multinationale Zeitverwendungsstudie des HWWI ergab, hielten deutsche vollzeitbeschäftigte Väter mit beschäftigten Partnerinnen und Kindern unter fünf Jahren im Haushalt zur Jahrtausendwende mit nur 37 Minuten täglicher Hausarbeitszeit zusammen mit italienischen Vätern die rote Laterne. Zum Vergleich: Norwegische Väter kamen auf täglich 64, kanadische auf 62, Väter in Großbritannien auf 54 Minuten. Deutsche vollzeitbeschäftigte Mütter mit gleicher Partner- und Kinderkonstellation brachten es auf täglich 100 Minuten Hausarbeitszeit. Auch bei der Kinderbetreuung konnten deutsche Väter im internationalen Vergleich nicht gerade punkten: Sie brachten es auf täglich 68 Minuten, dagegen wandten finnische Väter 87, kanadische 81 und norwegische Väter immerhin 74 Minuten auf. Nur italienische Väter beschäftigten sich mit 61 Minuten noch weniger mit ihren kleinen Kindern als deutsche.

Daraus ergibt sich: Führung im Job und zugleich Hauptverantwortung für Haushalt und Familie gleicht unter den gegenwärtigen deutschen Rahmenbedingungen der Quadratur des Kreises. Dies erklärt, warum zwar in 20% der Haushalte von männlichen Führungskräften Kinder unter drei Jahren leben, diese aber in Haushalten von weiblichen Führungskräften so gut wie nicht vorkommen. Zwar steigt, wie Berechnungen des HWWI zeigen, der Führungsanteil unter Akademikerinnen nach dem „Familienknick“ wieder an. Für den Arbeitsmarkt jedoch bleiben die Kompetenzen und Erfahrungen dieser Frauen in entscheidenden Jahren ihres Erwerbslebens unerschlossen. Elternschaft verlangt und verstärkt spezifische und für Führungsaufgaben unerlässliche Kompetenzen wie Selbstorganisation, Verantwortungsübernahme und Empathie. Die Unterrepräsentanz von Eltern, insbesondere von Müttern minderjähriger Kinder, in Führungspositionen bedeutet, dass der deutschen Wirtschaft ein enormer Schatz an Sozial-, Handlungs- und Fachkompetenz verloren geht – ein gewaltiger Wettbewerbsnachteil. Wer mehr Frauen in operativen Entscheidungsgremien haben will, muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Die Festschreibung einer Quote für Führungspositionen mag ein hilfreiches politisches Signal sein; um tatsächlich die besten Talente in Führung zu bringen, wird die Quote solange wenig nutzen, wie nicht zugleich Führung und Verantwortung in Job und Familie miteinander vereinbar werden: Eine innovationsstarke Wirtschaft braucht innovative Arbeitsbedingungen und mehr Engagement von Männern und Vätern im Haushalt.

Deutsche Bahn: Ende der Trennungs-Debatte?

Von Patrick Baumgarten, Daniel Krimphoff

Nach Ansicht von EuGH-Generalanwalt Niilo Jääskinen ist die Klage der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland über die mangelnde Umsetzung des ersten Eisenbahnpakets zur Marktöffnung im Schienenverkehr zurückzuweisen. Diese Einschätzung dürften vornehmlich die Gegner einer eigentumsrechtlichen Trennung von Transport- und Infrastruktursparte der Deutschen Bahn AG (DB) begrüßen. Als gefährdet sieht die EU-Kommission den gleichen und nicht diskriminierenden Zugang zur Schieneninfrastruktur sowie die Entwicklung eines dynamischen und transparenten Wettbewerbs im europäischen Schienenverkehr. Insbesondere die Unabhängigkeit des Infrastrukturbetreibers innerhalb der Holdingstruktur der DB sei nicht gewährleistet.

Die derzeit geltenden Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge zwischen den DB-Tochtergesellschaften und der Holding erhärten den Verdacht, dass Anreize für wettbewerbsverzerrendes Verhalten vorliegen. Denn obwohl die Netzgesellschaft als rechtlich eigenständiges Unternehmen angesehen werden kann, agiert sie dennoch wirtschaftlich nicht unabhängig. Daher ist nicht auszuschließen, dass seitens des DB-Konzerns ein Interesse besteht, den Wettbewerb auf der Transportebene durch preisliche (z.B. Wegeentgelte) oder nicht-preisliche (unter anderem Qualität des Infrastrukturzugangs) Diskriminierung der Konkurrenz zu verzerren, mit dem Ziel den Konzerngewinn zu maximieren.

Aus diesem Grund wird immer wieder die Möglichkeit einer vollständig vertikalen Separierung diskutiert. Der Charme dieser Lösung liegt darin begründet, dass die bestehenden Diskriminierungspotenziale aufgelöst werden und gleichzeitig kein Anlass für Verdächtigungen gegenüber dem Netzbetreiber bezüglich eines nicht wettbewerbskonformen Verhaltens gegeben ist. Allerdings gibt es für Marktmachtmissbrauch der DB Netz AG bisher eher anekdotische als systematisch empirische Evidenz, was nicht zuletzt auf die geringen Transparenzanforderungen zurückzuführen ist. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass eine vertikale Trennung Verluste von Verbundvorteilen zur Folge hat oder zu Unterinvestitionen in die Schieneninfrastruktur führt. Auch diese Vermutungen lassen sich jedoch bisher nicht empirisch belastbar belegen, weder im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit noch hinsichtlich der Höhe eines Wohlfahrtsrückgangs. Die Entscheidung für oder gegen eine vertikale Separierung des Bahnkonzerns sollte daher nicht ohne eine vorhergehende detaillierte Abwägung der volkswirtschaftlichen Nutzen und Kosten erfolgen. Unter dem gegebenen Schleier des Halbwissens ist die erforderliche Abwägung jedoch (fast) unmöglich.

Im Falle einer Klageabweisung würden bestehende Fehlanreize verharmlost, die aus wettbewerbsökonomischer Perspektive offensichtlich sind. Ohne Änderungen in der Organisationsstruktur oder Regulierungspraxis wird sich die DB deshalb weiterhin scharfer Kritik ausgesetzt sehen. Dabei könnte die Bahn durch erhöhte Transparenz gegenüber Regulierern und Wettbewerbern, die Vorwürfe der EU-Kommission und weiterer Kritiker weitgehend entkräften und die Nachvollziehbarkeit getroffener Entscheidungen begünstigen. In jedem Fall dürfte das Urteil des EuGH mit Spannung erwartet werden. Sollten die Richter der Empfehlung des Generalanwalts tatsächlich folgen, so wäre die langanhaltende und kritisch geführte Debatte um die Organisationstruktur der Deutschen Bahn sicherlich noch nicht beendet.


DOI: 10.1007/s10273-012-1434-8

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