Länder und Kommunen: Kuhhandel um Fiskalpakt
Zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise wurde am 2. März 2012 der Fiskalpakt von allen EU-Mitgliedstaaten, mit Ausnahme von Großbritannien und Tschechien, unterzeichnet. Am 29. Juni 2012 stimmten Bundesrat und Bundestag dem Fiskalvertrag mit der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit zu. Diese Einigung zwischen Bund und Ländern war aus mehreren Gründen problembehaftet.
So sieht der Fiskalpakt vor, dass das gesamtstaatliche strukturelle Defizit von 0,5% des nominalen Bruttoinlandsproduktes (BIP) spätestens ab 2014 nicht überstiegen werden darf, solange die Schuldenquote nicht deutlich unter 60% des BIP liegt. Damit handelt es sich um eine strengere Regelung als bisher, denn im Stabilitäts- und Wachstumspakt ist bislang eine Obergrenze des strukturellen Defizits von 1% des BIP festgeschrieben. Die Länder befürchteten deshalb, stärker konsolidieren zu müssen, als es die nationale Schuldenregel bis 2019 vorsieht. Nach dieser nationalen Schuldenbremse dürfen die Länder ohne Konsolidierungshilfen im Übergangszeitraum bis 2019 autonom über die Maßnahmen zur Rückführung ihres strukturellen Defizits entscheiden. Maßgeblich ist, dass ab 2020 das strukturelle Nullverschuldungsgebot eingehalten wird. Durch den Fiskalvertrag, der bereits ab 2014 ein gesamtstaatliches Defizit von maximal 0,5% des BIP vorsieht, würde sich der Konsolidierungsdruck der Länder erhöhen. Überdies schließt die europäische Regelung im Gegensatz zur deutschen Schuldenbremse die kommunale Verschuldung mit ein, so dass die Länder wiederum befürchten könnten, für die Defizite ihrer Kommunen einstehen zu müssen. Bei Verstoß gegen europäisches Recht sieht das Grundgesetz entsprechende Sanktionszahlungen für Bund und Länder vor (Art. 109 Abs. 5 GG).
Dass Bund und Länder den Fiskalvertrag dennoch ratifizierten, kann daher nur auf die vielfältigen Zugeständnisse des Bundes zurückgeführt werden. So erklärte sich der Bund dazu bereit, bis 2019 etwaige Sanktionszahlungen bei Verstoß gegen den präventiven Arm des Stabilitäts-und Wachstumspaktes zu übernehmen und für die Einhaltung der strukturellen Defizitgrenze von 0,5% des BIP zu sorgen – unter der alleinigen Bedingung, dass sich die Länder nach wie vor an die nationale Schuldenregel halten. In diesem Fall würden weder die Landes- noch die Kommunalhaushalte vom Fiskalpakt unmittelbar tangiert werden. Überdies sollten die Länder bzw. die Kommunen ursprünglich um die Wiedereingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung entlastet werden, was einem Volumen von etwa 13 Mrd. Euro pro Jahr entsprochen hätte. Dieses Ziel konnte nicht vollumfänglich umgesetzt werden. Die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zielt nunmehr auf eine Überarbeitung der Bundesleistungsgesetze und stellt eine Bundesfinanzierung der Eingliederungshilfe für Schwerbehinderte in Höhe von rund 4 Mrd. Euro in Aussicht. Auch soll im Herbst dieses Jahres die Höhe der Bundesfinanzhilfen an die Länder für Hochschulen, die Bildungsplanung, die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden und die soziale Wohnraumförderung bestimmt werden. Und schließlich sollen die Länder vom Bund Unterstützungszahlungen für den Ausbau und den Betrieb von Kindertagesstätten erhalten. Die finanzielle Entlastung, insbesondere der Kommunen, und der Schwerpunkt auf den Ausbau und Betrieb von Kindertagesstätten ist sinnvoll, wenngleich diese bisher losen Vereinbarungen zum einen noch nicht verbindlich festgeschrieben sind und zum anderen originär nichts mit dem Fiskalvertrag zu tun haben, sondern lediglich die Zustimmung der Länder zum Fiskalvertrag beförderten.
Energiewirtschaft: Aufstieg und Fall der EnBW AG
Die Strategie schien logisch: Als sich die Energiewirtschaft in Deutschland in den 1990er Jahren auf die europaweite Liberalisierung der Strom- und Gassektoren vorbereitete, begann auch der Südwesten seine Kräfte zu bündeln. Die beiden Verbundunternehmen Badenwerk und Energieversorgung Schwaben sollten genauso wie die beiden Regionalversorger Neckarwerke und Technische Werke Stuttgart künftig unter einem Dach agieren und dadurch die nötige Größe erreichen, um im europäischen Wettbewerb bestehen zu können. Diese regionale Südwest AG stand dann tatsächlich 1999 unter dem Namen Energieversorgung Baden-Württemberg (EnBW) in den Startlöchern, und als sich 2000 der französische Staatskonzern EDF mit 25,1% an dem neu aufgestellten Unternehmen beteiligte, wähnte man sich auf Augenhöhe mit den anderen großen Energiekonzernen.
Das Geschäftsmodell schien ebenfalls robust: Betrieb von Großkraftwerken auf nuklearer und fossiler Basis, Nutzung von Synergien durch den gleichzeitigen Besitz des Übertragungsnetzes, zudem Sicherung des Absatzes durch Beteiligung an Stadtwerken und Regionalversorgern. Um zu demonstrieren, dass man sich auch unternehmerisch weiterentwickeln wollte, gründete man mit Yello einen der ersten bundesweiten Vertriebe, stieß nicht zum Kerngeschäft gehörende Beteiligungen ab und stieg stattdessen in andere mittelgroßen Energieversorger wie die Stadtwerke Düsseldorf und die EWE AG in Oldenburg ein. Zweifel an der unternehmerischen Kompetenz der EnBW zeigten sich erstmals bei den jährlichen Millionenverlusten der Vertriebstochter Yello, im folgenden aber auch bei den hohen Verlustabschreibungen bei den Beteiligungen sowie bei zwielichtigen Gasgeschäften mit Russland. Gar nicht erkennbar war ein Geschäftsmodell jenseits der traditionellen Großkraftwerke, das die erneuerbaren Energien als künftiges Standbein der Unternehmenspolitik verankert hätte. Doch auf die Renditen hatten weder unternehmerische Fehlschläge, exzentrische oder autistische Vorstandsvorsitzende noch üppige Abfindungen einen spürbaren Einfluss. In der alten Energiewelt konnten selbst Laien stattliche Dividenden erwirtschaften. Dass sich diese paradiesischen Zeiten dem Ende näherten, erkannte wohl auch 2010 die EDF. Der Rest ist Geschichte: Rückkauf der EDF-Anteile durch das Land zu einem „mehr als üppigen“ Kaufpreis, eine dubiose Geschäftsbeziehung zwischen dem damaligen Ministerpräsidenten und einem befreundeten Investmentbanker, eine neue Landesregierung unter finanziellem Druck. Die EnBW AG steht heute vor einem Scherbenhaufen: Gewinne im Sinkflug, ruinierter Ruf, laufende Gerichtsverfahren mit offenem Ausgang, kein Geschäftsmodell für die Zukunft.
In einer Marktwirtschaft ist es völlig normal, dass schlecht geführte Unternehmen aus dem Markt ausscheiden. Insofern würde ordnungspolitisch nichts dagegen sprechen, wenn die EnBW AG vom Markt verschwinden würde. Freilich lässt sich der komplexe Stromsektor nicht mit einem Brötchenmarkt vergleichen, wo das Ausscheiden des Bäckers von nebenan nur die Konsequenz hat, dass der Einkaufsweg etwas länger wird. Insofern sind eher konstruktive Vorschläge gefragt, auch im Sinne der Beschäftigen und der unverschuldet in die Bredouille geratenen Landesregierung.
Fakt ist: Der Stromsektor in Deutschland befindet sich aktuell in einem fundamentalen Transformationsprozess, an dessen Ende die erneuerbaren Energien das fossil-nukleare Zeitalter beenden werden. Während dieses Prozesses werden allerdings sowohl fossile Kraftwerke benötigt als auch Akteure, die sich intensiv um die notwendige Netzinfrastruktur kümmern. Mit dem Cash Flow insbesondere aus den beiden noch am Netz befindlichen Atomkraftwerken hat die EnBW AG hier die Möglichkeit, einige Jahre lang die Systemtransformation zu flankieren. Ob sie in der neuen Welt dann noch eine signifikante Rolle spielen wird, hängt insbesondere davon ab, ob sie ihre ursprüngliche Funktion als unterstützender Regionalpartner mit neuem Leben füllen kann und in Baden-Württemberg in Kooperation mit den selbstbewussten Stadtwerken die Energiewende unternehmerisch mitgestalten will. Von den Blütenträumen eines europäisch aufgestellten Energiekonzerns jedenfalls sollte man sich möglichst rasch verabschieden.
Kabelnetz: ARD und ZDF kündigen Verträge
ARD und ZDF haben vor Kurzem beschlossen, ab dem kommenden Jahr keine Entgelte mehr für die Einspeisung in das Kabelnetz zu zahlen. Sie begründen diesen Schritt mit der Aussage, dass eine Gebühr heutzutage „nicht mehr zeitgemäß“ sei. Die Öffentlich-Rechtlichen haben die entsprechenden Verträge zum Jahresende gekündigt und verlauten lassen, die Kabelnetzbetreiber würden mit der Vermarktung der Kabelanschlüsse genug Geld verdienen.
Der Vorwurf, die Kabelnetzbetreiber würden sowohl von den Kabelkunden als auch von den Sendern ein Entgelt verlangen und damit „doppelt abkassieren“ mutet dabei aus ökonomischer Sicht eher seltsam an. Kabelnetzbetreiber sind letztendlich nichts anderes als zweiseitige Plattformen wie etwa Zeitschriftenverlage oder Kreditkartenunternehmen und verhalten sich dementsprechend: Sie verlangen von beiden Marktseiten – hier also den Sendern und den Kabelkunden – einen Preis für ihre Dienstleistung. Wie hoch dieser Preis im Einzelfall ist, und welches Vorzeichen er trägt, ist dabei jedoch a priori nicht klar. In vielen europäischen Ländern zahlen zwar die Kabelkunden, nicht aber die Sender. In den USA dagegen zahlen Kabelnetzbetreiber an einige Sender für die Einspeisung der Programme; der Preis ist in diesem Fall also negativ. Dies ist insbesondere dann sinnvoll, wenn die Netzbetreiber damit einen sogenannten „Premium Content“ erhalten, der die Zahlungsbereitschaft der Kabelkunden entsprechend erhöht. Betreiber von Satellitensendelanlagen verlangen ebenfalls ein Entgelt von den Sendern, jedoch nicht von den Zuschauern. Dies wäre zwar grundsätzlich möglich, es müsste dazu jedoch z.B. eine Verschlüsslung eingeführt werden, um damit die technischen Voraussetzungen zu erfüllen, diesen Preis auch durchsetzen zu können.
Insgesamt sind also verschiedene Preismodelle und Zahlungsströme vorstellbar. Je nachdem, wie wichtig der jeweilige Sender für den Vertrieb der Kabelanschlüsse ist, und welche Marktmacht von den Kabelnetzbetreibern ausgeht, können ganz unterschiedliche Preise durchgesetzt werden. Solange keine Marktbeherrschung der Netze vorliegt, sollten die Preise zwischen den Parteien auch weiterhin frei verhandelbar sein. Marktmacht ist aber deshalb schon nicht wahrscheinlich, da immer alternative Empfangsarten wie der Satellitenempfang zur Verfügung stehen. Für den Streitfall zwischen den deutschen Kabelnetzbetreibern und den öffentlich-rechtlichen Sendern lässt sich also schlussfolgern, dass auch hier frei über den Preis verhandelt werden sollte. Sind ARD und ZDF davon überzeugt, einen geringeren Preis, einen Preis von null oder vielleicht auch einen negativen Preis durchsetzen zu können, so ist es ihr gutes Recht, neue Bedingungen aushandeln zu wollen. Zu Problemen könnte es allerdings dann kommen, würde man §52 des Rundfunkstaatsvertrags, der eine unterschiedliche Behandlung der Sender durch die Kabelnetzbetreiber untersagt, als sogenannte „Must-Carry-Regel“, also als Verpflichtung zur Übertragung, interpretieren. Denn dann würde man die Netzbetreiber dazu zwingen, die Öffentlich-Rechtlichen kostenlos ins Netz zu speisen. Eine solche Interpretation wäre allerdings falsch, da der Rundfunkstaatsvertrag eine Ungleichbehandlung nur dann untersagt, wenn die Sender ohne „sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedliche behandelt werden“, eine Einspeisung muss zudem zu „angemessenen Bedingungen“ erfolgen. Welche Bedingungen angemessen sind, richtet sich aber auch nach der Stärke der Netzwerkeffekte, also danach, wie wichtig ein Sender für die Kabelnetzbetreiber ist. Eine kostenlose Einspeisung und sogar ein negativer Preis kann durchaus das Ergebnis der Verhandlung zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den Kabelnetzbetreibern sein, jedoch lassen sich solche Entgelte in keinem Fall allein daraus ableiten, dass auch die Kabelkunden für die Bereitstellung der Inhalte bezahlen, oder weil eine positive Bepreisung „nicht mehr zeitgemäß“ sei.
Korruption im Gesundheitswesen: Gesetzgeber gefordert
Im Juni 2012 hat ein Urteil des Bundesgerichtshofs für Aufsehen gesorgt: Wenn Vertragsärzte von Pharmaunternehmen Geld dafür annehmen, dass sie ihren Patienten Arzneimittel dieser Unternehmen verordnen, machen sich weder die Ärzte wegen Bestechlichkeit noch die Arzneimittelhersteller wegen Bestechung strafbar. Denn die Ärztinnen und Ärzte, die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind, sind nach Auffassung des Gerichts weder Amtsträger noch Beauftragte der Krankenkassen. Hielte der Gesetzgeber Korruption im Gesundheitswesen für strafwürdig, so der Bundesgerichtshof, müsse er für entsprechende Straftatbestände sorgen, die eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglichten.
Das klingt wie eine Steilvorlage an den Gesetzgeber. Doch die Bundesregierung will erst einmal sorgfältig prüfen und verweist einstweilen auf klare berufsrechtliche Vorschriften, die Vorteilsnahmen von Ärzten verbieten und Sanktionen bis zum Verlust der Approbation vorsehen. Ärztekammern und -verbände lehnen strafrechtliche Regelungen als überflüssig ab, denn es gehe ausschließlich um eine Angelegenheit der ärztlichen Selbstverwaltung. Aber sind Patienteninteressen dort wirklich gut aufgehoben? Über konsequentes Vorgehen der Kammern gegen schwarze Schafe unter den Ärzten ist jedenfalls wenig bekannt. Als etwa die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen im Mai 2012 zehn Gynäkologen abmahnte, weil diese im Internet in irreführender oder Angst machender Form für medizinisch fragwürdige Selbstzahlerleistungen warben, gab es postwendend Kritik von der Ärztekammer – allerdings nur an der Verbraucherzentrale: deren Verhalten (und nicht etwa das der abgemahnten Ärzte) zerstöre das Vertrauen zwischen Arzt und Patient, und für die Aufsicht über die ärztliche Berufsausübung sei allein die Kammer und niemand sonst zuständig.
Auch dieses Beispiel zeigt: Es ist höchste Zeit, den Schutz der Verbraucher im Gesundheitswesen vom Kopf auf die Füße zu stellen. Dabei geht es nicht nur um die Patientenperspektive, sondern auch um die Interessen der Beitragszahler, die die Kosten von Korruption und bewusstem Fehlverhalten von Ärzten zu tragen haben. Das betrifft neben den unmittelbaren Kosten der Zuwendungen von Pharmaunternehmen vor allem auch Verstöße gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot der gesetzlichen Krankenversicherung. Wenn Ärzte aus rein ökonomischem Kalkül Leistungen erbringen, veranlassen oder verordnen, die nicht der gesetzlichen Vorschrift „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ genügen und über das Maß des Notwendigen hinausreichen, werden dadurch schlicht Finanzmittel der Solidargemeinschaft verschwendet.
Schaden entsteht aber nicht zuletzt für die Ärzte selbst, wenn weiterhin nichts passiert. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gerät nicht etwa durch Kritik von Verbraucherschützern am Verhalten einzelner Ärzte in Gefahr, sondern in erste Linie durch deren Verhalten selbst und in zweiter Linie durch die Untätigkeit der Ärztekammern. Auch die konsequente Verfolgung korrupter Ärzte würde der großen Mehrheit ihrer korrekt handelnden Kollegen keineswegs schaden, sondern vielmehr nutzen. Weil die ärztliche Selbstverwaltung hiermit aber erkennbar überfordert ist und nicht einmal Verständnis für die Verbrauchersicht aufzubringen scheint, muss der Gesetzgeber jetzt aktiv werden – im gemeinsamen Interesse von Patienten, Beitragszahlern und Ärzten.