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"Lackmustest" zur Stabilitätsunion

Von Kai A. Konrad

Mit seinen Beschlüssen zu den Staatsgarantien im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und zum Outright-Monetary-Transactions-Programm (OMT-Programm) der Europäischen Zentralbank hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 2014 wichtige Zwischenentscheidungen getroffen. Von besonderer Bedeutung sind die Beschlüsse zum OMT-Programm, also der Bereitschaft der EZB zum unbegrenzten Aufkauf von Staatsschulden der Euro-Krisenländern. Das Gericht neigt erkennbar zur Auffassung, dass die EZB mit diesem Programm ihr Mandat überschreitet. Zugleich fragt das Gericht beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) an, ob dieser die Einschätzung in zentralen Punkten teilt.

Diese Beschlüsse wurden schnell von vielen Seiten als zu weitreichend oder als zu wenig weitreichend gewertet. Sie wurden gelobt, gefeiert, kritisiert oder interpretiert. Als Nicht-Jurist neige ich zu einer ökonomisch-vertragstheoretischen Lesart der Beschlüsse. Wir müssen hierfür zunächst in das Jahr 1993 zurückschauen. In seinem Maastricht-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht damals (BVerfGE 89, 155 vom 12. Oktober 1993) festgestellt: „Der Vertrag setzt langfristige Vorgaben, die das Stabilitätsziel zum Maßstab der Währungsunion machen.“ Danach sei die Übernahme von „Verbindlichkeiten öffentlicher Stellen oder öffentlicher Unternehmen eines Mitgliedstaates durch die Gemeinschaft oder einen anderen Mitgliedstaat“ ausgeschlossen. Für den Fall, in dem sich die Union von einer Stabilitätsgemeinschaft wegbewege, bliebe auch die Möglichkeit des Austritts aus der Währungsunion.

Welches Kriterium ist geeignet zu prüfen, ob die Eurozone eine Stabilitätsgemeinschaft ist? Eine Stabilitätsgemeinschaft besteht nicht deshalb, weil sich alle ihre Akteure stets zu 100% korrekt verhalten. Entscheidend ist vielmehr, ob einzelne Akteure zur Ordnung gerufen werden, wenn sie – z.B. durch einen ausgreifenden Rechtsakt – die Stabilitätsunion gefährden. Die Logik ist ähnlich wie für einen Rechtsstaat. Der einzelne Rechtsbrecher stört oder gefährdet die rechtsstaatliche Gemeinschaft. Diese Störung ist aber nicht das Ende des Rechtsstaats. Dieser beweist sich vielmehr dadurch, dass er diese Einzelnen zur Rechenschaft zieht bzw. den Rechtsbruch beendet. Toleriert die staatliche Gemeinschaft hingegen den Rechtsbruch, dann ist sie eben kein Rechtsstaat mehr. Sollte also ein wichtiger Akteur in der Stabilitätsunion diese gefährden – beispielsweise die Europäische Zentralbank, indem sie ihr Mandat überstrapaziert, so ist das nicht das Ende der Stabilitätsgemeinschaft. Aber es ist ein Test. Die Union erweist sich gerade dadurch als intakte Stabilitätsgemeinschaft, dass sie mit ihren dafür vorgesehenen Institutionen Gefahren abwehrt. Und die europäische Institution, die sich im konkreten Fall angesprochen fühlen sollte, ist der Europäische Gerichtshof.

In der Konsequenz des Maastricht-Urteils müsste das deutsche Verfassungsgericht prüfen, ob es sich beim OMT-Programm der EZB um ein individuelles Fehlverhalten handelt, die Stabilitätsunion selbst also noch intakt ist, oder ob die Währungsunion insgesamt die ursprüngliche Konzeption einer Stabilitätsunion verlassen hat. Das nun anstehende Urteil des EuGH ist für diese Frage der „Lackmustest“. Wie immer das Urteil ausfällt, es hat weitreichende Konsequenzen. Entweder das Gericht weist die EZB in ihre Schranken und beweist damit die Integrität der Stabilitätsunion. Oder der Test zeigt: Die Währungsunion ist keine Stabilitätsunion. Sie hat den Test nicht bestanden. Dann stünde das Verfassungsgericht und die deutsche Regierung vor sehr weitreichenden Entscheidungen.

Beschluss zur Finanztheorie

Von Adalbert Winkler

Der OMT-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist klar: sechs Richter sehen das Programm als verfassungswidrig an, zwei Richter sind der Auffassung, dass sich das Gericht mit der Klage nicht hätte befassen dürfen. Eigentlich eine Steilvorlage für ein Pro und Contra in einer juristischen Fachzeitschrift und nicht für den Wirtschaftsdienst. Aber nein: Der Kern des Mehrheitsbeschlusses stellt ein Urteil über zwei Finanztheorien dar. Die Richter entscheiden nämlich, dass das OMT-Programm keine Geldpolitik ist und wahrscheinlich sogar eine monetäre Staatsfinanzierung darstellt. Damit folgen sie nahezu 1:1 jener Finanztheorie, wie sie von der Bundesbank sowie den Kollegen Fuest, Konrad und Sinn vorgetragen wurde. Demzufolge gab es gar keine Krise, auf die geldpolitisch hätte reagiert werden müssen, sondern eine effiziente Reaktion von Finanzmärkten gegenüber von Insolvenz bedrohten Schuldnern. Auf dieses Verhalten der Finanzmärkte zu antworten, ist jedoch bestenfalls Aufgabe der Fiskalpolitik, weil – im Fall der tatsächlichen Insolvenz eines Krisenstaates – die Steuerzahler der anderen Länder entsprechend belastet würden.

Es gibt aber auch eine andere Finanztheorie. Danach gab es eine Krise, weil die Finanzmärkte von Panik befallen waren. In einer solchen Situation sind Geld- und Fiskalpolitik gemeinsam aufgerufen, dieser Panik entgegenzutreten. Dabei ist es Aufgabe der Geldpolitik, für eine weiterhin reibungslose Transmission geldpolitischer Impulse zu sorgen. Das Überraschende, ja man muss sagen: das Skandalöse am Karlsruher Beschluss ist, dass es diese konkurrierende Auffassung und die damit verbundenen geldpolitischen Implikationen schlicht als falsch kennzeichnet. Wie sich leicht belegen lässt, geschieht dies allerdings „auf luftiger Grundlage“ (Richterin Lübbe-Wolff).

Bei einer ernsthaften Analyse der konkurrierenden Theorien hätte auffallen müssen, dass 1. die Bundesbank noch im Finanzstabilitätsbericht 2009 jene Finanztheorie mit den entsprechenden geldpolitischen Implikationen vertrat, die sie im OMT-Verfahren ablehnt; 2. jede geldpolitische Maßnahme einen Eingriff in die Preisbildung auf Finanzmärkten darstellt, also mindestens eines der zehn Kriterien aufweist, die das OMT-Programm als angeblich nicht-geldpolitische Maßnahme kennzeichnen und entsprechend vom ­EuGH überprüft werden sollen (für die seit 2008 praktizierte Vollzuteilungspolitik treffen sogar alle zehn Kriterien zu); 3. eine Zentralbank, die jahrelang selektive Fiskalpolitik statt Geldpolitik sowie monetäre Staatsfinanzierung betreibt, eigentlich Inflation erzeugen sollte, weshalb genau dies im Maastrichter Vertrag verboten wurde. Seit Jahren gibt es von deutschen Ökonomen eine Flut von Inflationswarnungen. Nur die Inflation blieb aus, und nach Einschätzung der Bundesbank ist sie auch für die geldpolitisch relevante Frist (ca. zwei Jahre) nicht erkennbar. Dort also, wo die Güte der Theorie, auf die sich der Mehrheitsbeschluss bezieht, empirisch überprüfbar ist, also bei der Zielgröße der Geldpolitik, wird sie seit Jahren widerlegt.

All dies hat die Mehrheit der Richter nicht interessiert. Deshalb muss vermutet werden, dass sie die gleiche Finanztheorie vertritt wie die Mehrheit der Experten, die im Verfahren gehört wurden. Problematisch ist, dass sie mit ihrem Beschluss „das politische Handeln und Unterlassen einem diesem unangemessenen rechtlichen Maßstab unterworfen“ hat (Richter Gerhardt). Dies kann nicht gut gehen, unabhängig davon, welcher geldpolitischen Auffassung man zuneigt. Denn eine Zentralbank, die OMT-ähnliche Instrumente nicht anwenden darf, ist Finanzkrisen hilflos ausgesetzt und kann wegen des dadurch unterbrochenen Transmissionsmechanismus Preisniveaustabilität nicht mehr garantieren.


DOI: 10.1007/s10273-014-1650-5

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