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Bürokratieabbau: Regelbindung notwendig

Von Dirk H. Kranen

Am 19.10.2015 hat der Nationale Normenkontrollrat seinen neuen Jahresbericht vorgestellt. Dass die Bundeskanzlerin ihn persönlich von den Ratsmitgliedern entgegennahm, zeigt die hohe Bedeutung, die dem Bürokratieabbau nach wie vor zugemessen wird. Im September 2006 wurde der Nationale Normenkontrollrat als unabhängiges Gremium geschaffen. Der Rat soll unnötige Bürokratie bzw. Folgekosten verhindern. Dem neuesten Bericht zufolge sind die Kosten von Gesetzen für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung in den vergangenen zwölf Monaten insgesamt erstmals um 685 Mio. Euro gesunken. Im Jahr davor gab es hingegen eine Steigerung der gesetzlichen Folgekosten um 9,2 Mrd. Euro. Den Rückgang führt der Normenkontrollrat unter anderem auf das Bürokratieentlastungsgesetz 2015 zurück. Der Vorsitzende des Normenkontrollrats, Johannes Ludewig, hofft, diesen Trend zu verstetigen, und setzt auf die im Juli 2015 eingeführte „One in one out“-Regel. Mit dieser Regel hat die Bundesregierung sich selbst verpflichtet, bei der Verabschiedung neuer gesetzlicher Regelungen, die die Wirtschaft kostenmäßig belasten, grundsätzlich an anderer Stelle eine gleichwertige Entlastung der Wirtschaft zu schaffen. Es ähnelt dem Vorgehen des Bundesfinanzministers, der zusätzliche Ausgabenwünsche der Ressorts unter den Vorbehalt der Gegenfinanzierung an anderen Positionen stellt. Sofern beim Bürokratieabbau die Kompensation nicht im Regelungsvorhaben direkt erreicht werden kann, ist das zuständige Ressort verpflichtet, binnen eines Jahres Kompensationsmaßnahmen in einem anderen Regelungsvorhaben auf den Weg zu bringen.

Die Einführung dieser Regel ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, weil damit die Vermeidung neuer Bürokratielasten (Ex-ante-Verfahren) mit der Überprüfung der bestehenden Bürokratielasten verknüpft wird. Beim Ex-ante-Verfahren müssen die neuen bürokratischen Folgekosten bei jedem Gesetz und jeder Gesetzesänderung offengelegt werden. Der Normenkontrollrat prüft die Darstellung der Bürokratielasten und gibt dazu eine Stellungnahme ab. Mit der neuen Regel wird nun der Blick auch auf bestehende Bürokratielasten gelenkt, die zur „Gegenfinanzierung“ der neuen Folgekosten abgebaut werden müssen, dadurch wird die Überprüfung der bestehenden Bürokratie zu einem routinehaften Vorgehen. Aber dieser Ansatz ist ausbaufähig: Warum werden nicht bei jedem Gesetzgebungsverfahren alle mit dem Gesetz verbundenen Bürokratielasten überprüft? Die Beschränkung auf neue gesetzliche Folgekosten – also auf neue Bürokratie – greift zu kurz. Zusätzlich sollten grundsätzlich alle Normen auf ihre Bürokratiekosten hin untersucht werden. Dies sollte vom Normenkontrollrat bei jedem Gesetzgebungsverfahren eingefordert und dann testiert werden. Nur wenn der Abbau bestehender Bürokratie zu einer permanenten Aufgabe wird, kann der Bürokratieabbau insgesamt erfolgreich sein. Vielleicht sollte der Normenkontrollrat der Bundesregierung in dieser Frage eine weitere Anregung geben, geht doch bereits die „One in one out“-Regel nach Angaben des Vorsitzenden des Normenkontrollrats auf eine Anregung des Rats zurück.

Es erfordert eine feste Regelbindung, um den Bürokratieabbau voranzutreiben, denn Bürokratie ist sicherlich teilweise gewollt, oftmals jedoch auch ein unbeabsichtigter negativer externer Effekt eines durchaus begrüßenswerten Regelungsvorhabens. Erst durch die Schaffung des Normenkontrollrats und dessen verpflichtende Einbindung in den Erarbeitungsprozess von Gesetzentwürfen ist die Begrenzung von Bürokratie kein Modethema mehr, sondern eine Daueraufgabe geworden. Der Normenkontrollrat spielt dabei die Rolle einer alleine der Bürokratiebegrenzung verpflichteten Institution, eines Wächters, der die Ressorts daran erinnert, sich dem Thema der Folgelasten zu widmen. Wenn dieser Wächter jetzt auch die Aufgabe erhält, die Ressorts bei jedem Gesetzgebungsvorhaben daran zu erinnern, neben den neuen auch alle bestehenden Folgelasten auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen, so würde dies den Bürokratieabbau entscheidend voranbringen.

Mindestlohn: Wir schaffen das

Von Gustav A. Horn

Der Streit um den Mindestlohn geht weiter. Zwar hatten sich die Gemüter nach dessen Einführung zu Beginn des Jahres 2015 beruhigt, zumal bislang keine der von vielen befürchteten negativen Effekte erkennbar sind. Mit dem Anschwellen des Flüchtlingsstroms seit Mitte 2015 nimmt die Debatte jedoch wieder Fahrt auf. Es geht um die Forderung, der Mindestlohn solle allgemein oder speziell für Flüchtlinge ausgesetzt oder vermindert werden. Hinter diesen Forderungen steckt der Gedanke, dass mit dem Zustrom der Flüchtlinge im Laufe der Zeit das Angebot an Arbeitskräften steigt. Um diese Menschen in Beschäftigung zu bringen, bedarf es einer höheren Nachfrage nach Arbeit, die nur mit niedrigen Löhnen erreicht werden könne. Die Politik könnte Lohndruck ausüben, indem sie den Mindestlohn senkt. Dabei ist es im Übrigen kaum von Bedeutung, ob dies nur für Flüchtlinge oder allgemein geschieht. Der niedrige Lohnsatz wird sich am Markt weitgehend durchsetzen, weil in der Folge immer mehr Mindestlohnstellen mit Flüchtlingen besetzt werden würden.

Abgesehen von der politischen und ethischen Problematik, am Arbeitsmarkt besonders schwache Gruppen gegeneinander auszuspielen, leidet der Ansatz unter einem gravierenden ökonomischen Denkfehler. Er geht davon aus, dass sich demografische Ausweitungen des Arbeitsangebots nur über entsprechende Lohnminderungen in Beschäftigung umsetzen lassen. Dies ist schon empirisch fragwürdig. So hat Deutschland in der Nachkriegszeit ein steigendes Arbeitsangebot durchaus mit steigenden Löhnen in Beschäftigung gebracht. Umgekehrt kann man nicht behaupten, dass Japans schrumpfende Erwerbsbevölkerung zu steigenden Löhnen geführt hätte. Es muss also andere, bedeutsamere Faktoren als die Lohnhöhe geben, die Einfluss auf die Beschäftigung ausüben.

Was von den Gegnern des Mindestlohns schon immer gerne übersehen wurde, ist, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ebenfalls einen Einfluss auf die Beschäftigung hat. Diese wird – im Verein mit anderen relevanten Größen wie Produktivität und Preise – in diesen Überlegungen zumeist explizit oder implizit als konstant angesehen. Dann und nur dann gilt der strikt negative Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Beschäftigung. Diese Setzung ist aber eine unzulässige Vereinfachung. Denn die Einkommen der zum Mindestlohn Beschäftigten verschwinden ja nicht, sie werden von den Flüchtlingen wahrscheinlich sogar vollständig ausgegeben. Sie verwandeln sich also in erhöhte Nachfrage und damit in höhere Absatzmöglichkeiten für die Unternehmen. Dies würde für sich genommen sogar die Beschäftigung erhöhen.

In die gleiche Richtung würde es wirken, wenn die Flüchtlinge im Vergleich zur inländischen Bevölkerung im Mindestlohnsegment relativ produktiv wären. Das ist angesichts der vergleichsweise guten Ausbildung vieler syrischer Flüchtlinge nicht abwegig. Mit einer derartig erhöhten Produktivität ließen sich die höheren Kosten pro Arbeitsstunde gleichfalls finanzieren. Schließlich bleibt den betroffenen Unternehmen immer noch die Option, die Preise zu erhöhen; eine Option, von der sie schon bei der Einführung des Mindestlohns ohne Schaden zu nehmen Gebrauch gemacht haben. Dann würde die Beschäftigung der Flüchtlinge auch durch einen Solidarbeitrag aller Konsumenten in Form eines leichten Kaufkraftverlusts bezahlt. All diese Überlegungen machen eines deutlich. Es ist möglich, Flüchtlinge in Beschäftigung zu bringen, ohne den Mindestlohn zu senken. Wir schaffen das.

Reform des Europäischen Semesters: Vielfalt macht stark!

Von Stefan Kooths

Die Debatte um den Umbau des Ordnungsrahmens in der EU läuft derzeit auf Hochtouren. Im Zentrum steht eine stärkere Koordinierung und Überwachung der Wirtschaftspolitik im Rahmen des Europäischen Semesters. Seit dem Jahr 2011 werden durch diesen Steuerungsmechanismus jährlich die Haushaltspolitik der Mitgliedstaaten (Fiskalpakt) und die nationalen Reformprogramme (Agenda „Europa 2020“) überwacht und koordiniert. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Euroländern. Vor allem zur Stabilisierung des Währungsraumes wurde im Zuge der Six-Pack-Gesetzgebung das „Makroökonomische Ungleichgewichteverfahren“ geschaffen. Eine mangelnde Fokussierung auf die Krisenfrühwarnung sowie eine unklare theoretische Fundierung schwächen indes dieses Verfahren beträchtlich. Sowohl der diffuse Begriff eines „makroökonomischen Ungleichgewichts“ als auch das per se untaugliche Konzept von „nationaler Wettbewerbsfähigkeit“ können gravierende Fehlsignale zur Folge haben.

Der kürzlich vorgestellte Fünf-Präsidenten-Bericht zur „Vollendung“ der Wirtschafts- und Währungsunion sieht einen weiteren massiven Ausbau der Gemeinschaftsinstanzen vor. Hierbei droht das Subsidiaritätsprinzip grob missachtet zu werden. Dieses Prinzip ist der Grundpfeiler jedes wohlgeordneten Gemeinwesens, der als solcher auch im EU-Vertrag verankert ist (Artikel 5, Absatz 3). Aus guten Gründen (Anreizkonstellation, Informationsstand, Instrumentenzugriff, demokratische Legitimierung) ergibt sich hieraus eine Kompetenzzuordnung auf eine möglichst niedrige Ebene. Mehr Integration ist mit höheren Governance-Kosten verbunden und ebnet fortschrittsfördernde Diversität ein. Schon aus diesem Grund kann Integration kein Selbstzweck sein, sondern muss sich durch ein überragendes Gemeinschaftsinteresse begründen lassen. Ein solches besteht im Euroraum in der Stabilität des Geldwesens. Von keinem anderen ökonomischen Teilsystem gehen in einem Währungsraum annähernd vergleichbare potenziell destabilisierende Übertragungseffekte aus. Die Zerbrechlichkeit des Bankensektors durch eine adäquate Regulierung zu überwinden, die insbesondere die privatwirtschaftliche Haftung durchsetzt, wäre somit ein legitimes Ziel für die Gemeinschaftsebene der Europäischen Währungsunion (EWU).

In der Reformdebatte dominiert hingegen eine Sichtweise, die die Eurokrise allgemein auf mangelnde Politikkoordinierung und unzureichende Einkommenskonvergenz zurückführt. Das ist eine Fehldiagnose. Ein funktionsfähiger Währungsraum setzt beides nicht voraus. Statt sich jedoch auf einen krisenfesten und zugleich marktwirtschaftlichen Regulierungsrahmen für den Finanzsektor zu konzentrieren, mehren sich auf europäischer Ebene die Vorschläge, die das Europäische Semester und andere wirtschaftspolitische Institutionen für ein hochproblematisches Makro-Management des gesamten Währungsraums ausbauen wollen, dem sich dann die Mitgliedstaaten unterordnen müssten. Es mag nützlich sein, sich im Rahmen des Europäischen Semesters in Form von Peer-Review-Prozessen über die Erfahrungen mit den nationalen Wirtschaftspolitiken auszutauschen. Dies kann Lern- und Konsensbildungsprozesse über die „richtige“ Wirtschaftspolitik befördern. Solange die Folgen der nationalen Wirtschaftspolitik (etwa in der Arbeitsmarktregulierung) maßgeblich auf den jeweiligen Mitgliedstaat beschränkt bleiben, bedarf es keiner bindenden europäischen Vorgaben. Diese kämen nur dann in Betracht, wenn die europäische Ebene die Lasten einer falschen Politik über Transfermechanismen auf die Gemeinschaft verteilt. Statt auf das Tandem von Vergemeinschaftung und Überwachung zu setzen, würde man im Euroraum mit Diversität und Selbstverantwortung besser fahren. Vielfalt macht die EWU stark, nicht schwach.

Freihandelsabkommen: Bundestag und TTIP

Von Martin Klein

Norbert Lammert hat mit einem Nein zur Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP gedroht, falls der Deutsche Bundestag nicht besser in die Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und der Regierung der USA eingebunden wird. Auf den ersten Blick ist dagegen nichts einzuwenden. Es geht um den Kernbereich der Demokratie (Entscheidungsbefugnis der Legislative) und gleichzeitig um ein Kerngebiet deutscher und europäischer Außenpolitik (die Beziehungen zu den USA). Doch Lammert ist auch ein Getriebener. TTIP ist in der deutschen Öffentlichkeit kontrovers. Beide Regierungsparteien stehen im Verdacht, Interessen der Bürger dem Profitstreben multinationaler Konzerne opfern zu wollen. Norbert Lammert möchte ein klares Zeichen setzen, dass er die Handelsbeziehungen mit den USA nicht höher stellt als die Interessen der Bürger. So weit, so gut. Und man könnte ergänzen: in Zeiten von Wikileaks kann es jederzeit dazu kommen, dass Vertragstexte von TTIP im Internet kursieren. Der Bundestag, dessen Abgeordnete nur begrenzte Einsichtsrechte haben, wäre dann vorgeführt und in den Augen der Wähler blamiert. Norbert Lammerts Forderung nach mehr Transparenz und Konsultation ist also nachvollziehbar.

Doch würde der Bundestag diesen Worten wirklich Taten folgen lassen? Zweifel sind angebracht. Schauen wir in die USA. Dort hat der Kongress im Sommer mit Obama eine neue TPA (Trade Promotion Authority) vereinbart, die diesem das Mandat für Verhandlungen über Handelspartnerschaften wie TTIP und TPP gibt, ihm aber gleichzeitig inhaltliche und Verfahrenspflichten auferlegt. Dazu gehört insbesondere, dass der Präsident schon im Verlauf der Verhandlungen den Kongress und private Stakeholder informieren und konsultieren muss.

Warum sind die Regierungsparteien im Bundestag nicht ähnlich verfahren? Ein Grund ist sicher die Befürchtung, dass das deutsche Vorbild in anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union Nachahmer finden könnte. Sollte jedes der 28 nationalen Parlamente Konsultationsforderungen und Minimalbedingungen stellen, dann hätte die Europäische Kommission kaum noch Verhandlungsspielräume und die TTIP-Verhandlungen würden zum Erliegen kommen. Und machen wir uns nichts vor: die Regierungsparteien wollen TTIP. Dabei geht es ihnen wohl weniger um die zusätzlichen Wachstumsprozentpunkte und Arbeitsplätze, mit denen die Kommission für TTIP wirbt. Es geht um die ganz konkrete Angst vor dem Verlust des Zugangs zu Auslandsmärkten und von Arbeitsplätzen für den Fall, dass TTIP scheitert.

Diese Ängste sind nicht unbegründet. Der VW-Abgasskandal liefert eine interessante Fallstudie dazu. Hier ist die US-Administration gerade dabei, den Deutschen zu zeigen: Wir können auch anders. Europa und insbesondere die Bundesrepublik hatten sich offenbar recht gemütlich damit eingerichtet, dass man anspruchsvolle Umweltregeln und Standards einführt, bei der Durchsetzung und Kontrolle aber einen gewissen Schlendrian walten lassen kann. Die US-Umweltbehörde hat dieses doppelte Spiel aufgedeckt und damit auch der Mär von den hohen europäischen Standards beim Verbraucherschutz, die durch TTIP unterlaufen werden, einen Kratzer versetzt. Vor diesem Hintergrund ist die unter TTIP vorgesehene regulatorische Kooperation, die Globalisierungskritiker wie Attac vehement ablehnen, vielleicht doch keine so schlechte Idee. Doch der VW-Abgasskandal hat auch die deutsche Verhandlungsposition innerhalb der EU geschwächt. Sollte es wirklich dazu kommen, dass der Bundestag der Europäischen Kommission in den Rücken fällt und TTIP die Zustimmung verweigert, so wäre Deutschland in der EU isoliert. Es ist kaum vorstellbar, dass die Regierungsparteien im Bundestag dazu bereit sind.


DOI: 10.1007/s10273-015-1895-7

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