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Wahl in Großbritannien: Eher opportunistisch als konservativ

Von Waltraud Schelkle

Die britischen Konservativen haben, mit einem Anteil von 37% der Stimmen, eine absolute Mehrheit im Parlament errungen (331 von 650 Sitzen bei 66% Wahlbeteiligung). Das verspricht Kontinuität, denn die Koalitionsregierung der letzten fünf Jahre war bereits deutlicher von konservativen als von sozialliberalen Prioritäten gekennzeichnet: weniger Ausgaben im Sozialbereich, weniger progressive Steuern, weniger offene Grenzen für Immigranten und Flüchtlinge.

Angesichts der besseren Konjunkturaussichten kann der zum Vize-Premier aufgewertete Finanzminister Osborne nun die Budgetkonsolidierung vorantreiben. Der prozyklische Sparkurs verhinderte bisher entsprechende Fortschritte. Der geplante Budgetüberschuss am Ende der Legislaturperiode soll vor allem durch weitere Ausgabenkürzungen im Sozialbereich erreicht werden; im Wahlkampf lieferten sich Tories und Labour einen wahren Unterbietungswettbewerb in Bezug auf die Steuern. Wenn die Ausgabenkürzungen für die Budgetkonsolidierung nicht ausreichen, dann sollen Geldstrafen für Banken, namentlich für die Deutsche Bank, dem Staatshaushalt helfen. Das erklärte David Cameron, während er seine Idee eines Programmes zur Berufsausbildung von Jugendlichen vorstellte. Dabei scheint er darauf gesetzt zu haben, dass die Wählerschaft gute Berufsausbildung und solide Finanzierung mit dem Erfolg des deutschen Modells assoziiert.

Diese Schlaglichter der Wahlkampagne von Premierminister Cameron illustrieren, dass seine Wirtschaftspolitik weniger von konservativen Prinzipien als von opportunistischem Nationalismus getragen wird. Budgetkonsolidierung hat die oberste Priorität, aber seine wohlhabenderen Wähler will er sich trotzdem nicht mit Steueranhebungen vergraulen. Die Banken lassen ihm den Populismus durchgehen, denn Premierminister Cameron verspricht immer wieder lautstark, für ihre Sache in Brüssel zu kämpfen, auch wenn die britische Zentralbank drastischere Auflagen umsetzt als die EU verlangt.

Europa wird neben der Haushaltspolitik der zweite Schwerpunkt von Camerons Amtszeit werden. Das britische Mehrheitswahlrecht, bei dem nur der Gewinner eines Wahlkreises einen Sitz im Unterhaus erhält, hat die Situation deutlich entschärft. Die europafeindliche UKIP konnte mit knapp 13% der Stimmen nur einen Sitz im Parlament erringen. Und dies gelang auch nur durch einen konservativen Überlaufer. Da die Posten des Koalitionspartners freigeworden sind, kann Cameron einige radikale Europa-Gegner in den eigenen Reihen auf Regierungsposten setzen und so ruhigstellen. Außerdem hat das Partei-Establishment auch noch das Argument, dass erhebliche Wirtschaftsinteressen für eine EU-Mitgliedschaft sprechen.

Camerons Rechnung scheint aufgegangen zu sein. Er repräsentiert den englischen Medianwähler in Bezug auf die EU: er mag diesen wenig exklusiven Club nicht, aber austreten will er auch nicht. Insofern könnte die Wahl Camerons ein vorgezogenes EU-Referendum gewesen sein. Seine Regierung braucht nur einige kosmetische Zugeständnisse, um den Verbleib zu sichern. Schließlich konnte der eigene „Review of Competences“ keine entscheidenden Politikfelder benennen, die die konservative Regierung renationalisieren möchte.

Gazprom: EU-Rechtsverfahren ist Außenpolitik

Von Hans-Jochen Luhmann

Die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, der staatliche Regulierer, hat das von ihr vor drei Jahren eingeleitete wettbewerbsrechtliche Verfahren gegen das Unternehmen Gaz­prom wieder aufgenommen. Das Verfahren wird strikt nach Recht und Gesetz geführt. Doch enden wird es mit einem Deal. Klar ist: Durch ein Bündel von Rechtsverfahren ist die anstehende Klärung nicht zu leisten. Das rechtsförmige Verfahren dient dabei als Druckmittel. Politisch an dem Vorgang ist somit die Wahl der Konflikt­austragsform, zu der die Europäische Kommission sich nun entschieden hat. Zuvor hatte sie andere Formen der Beilegung verworfen. Diese Entscheidung ist nicht purer Rechtsvollzug, es handelt sich dabei zugleich um einen genuin außenpolitischen Akt.

Zum Konfliktanlass: In den letzten 50 Jahren wurden die Pipelinesysteme errichtet und die Verträge mit nationalen Großabnehmern konzipiert, die die Gasversorgung der EU durch Importe von Norden (Norwegen), von Süden (Algerien) und von Osten (Russland) ermöglicht haben. Basis dieser immensen Investitionen war ein Konsens über die wirtschaftlichen Randbedingungen, auch des Wettbewerbsregimes, in den Abnehmerstaaten. Darauf haben die involvierten Unternehmen ihr Geschäftsmodell aufgebaut, auch die Staatsunternehmen der Förderstaaten. Darunter auch Gazprom: als vollintegriertes Unternehmen.

Zu dieser Basis gehörte die Entscheidung in der Frage, zu wessen Gunsten das im Erdgasgeschäft zwangsläufig anfallende leistungslose Renteneinkommen abgeschöpft werden soll. Da galt: Keine Rententeilung, der Förderstaat nimmt vielmehr alles. Das besagt die bis dahin übliche „Preisbildung nach Anrechenbarkeit“, mit Preisformeln in Abhängigkeit vom Ölpreis. Wegen dieses Prinzips waren die Preise regional differenziert. Auf diesem Prinzip beruht zudem – nicht nur im Falle Russlands – ein Gutteil der Staatseinnahmen in den Förderstaaten.

Das Dritte Liberalisierungspaket für den Markt leitungsgebundener Energien vom Oktober 2009 eröffnete der Europäischen Union die Chance, diesen Konsens zur asymmetrischen Rententeilung und damit die Grundlagen dieser Investitionen (von Drittstaaten) infrage zu stellen. Es handelt sich dabei um einen hoheitlichen Akt der Entwertung – ob in den Grenzen legitimen Umfangs ist offen. Offen erklärt hat sich die EU bis heute nicht, ob sie auf eine Veränderung der Rentenaufteilung drängt. Es geht um viel Geld – in Abhängigkeit vielfältiger Änderungen im Kleingedruckten.

So geht es unter anderem um die Frage, was in den überkommenen (geheimen) Verträgen zwischen Gaslieferanten aus den Förderländern und den nationalen Großverteilern noch gilt und was im Lichte des Dritten Liberalisierungspakets nicht mehr gilt. Um ein Beispiel zu nennen: Sogenannte „reverse flow“-Lieferungen von Gas russischer Herkunft in die Ukraine aus ihren Nachbarstaaten sind (vermutlich) in den geltenden Verträgen Gazproms explizit untersagt, die Europäische Kommission aber behauptet öffentlich und ohne Substanziierung, dieses vertragswidrige Verhalten sei rechtmäßig. Speziell auf Russland bezogen erscheint dies wie eine Axt am System der dortigen Staatsfinanzierung.

Das von Russland noch Ende April 2014 eingebrachte WTO-Verfahren, auch der Vorschlag, den Konflikt durch ein Regierungsabkommen zu lösen, beides wurde von der EU ausgeschlagen. Auf diese Ebene aber gehört das Verfahren seiner außenpolitischen Bedeutung wegen, aber auch um Ansprüche aus Art. 34 des Quasi-Investitionsschutzabkommens PCA zwischen Russland und der EU von 1997 mit in die Waagschale zu legen.

Einwanderungspolitik: Gutes System besser verpacken

Von Thomas Bauer

Die derzeitige deutsche Einwanderungspolitik ist besser als ihr Ruf. Im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte sollte das eigentlich ein Vorteil sein, wird aber zum Problem, wenn die internationale Wahrnehmung einem Zerrbild nachhängt. In seinem aktuellen Jahresgutachten hat der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration gezeigt: Selbst im Vergleich mit traditionellen Einwanderungsländern wie Kanada und den USA sowie europäischen Spitzenreitern wie Schweden verfolgt Deutschland in vielen Bereichen eine deutlich liberalere Einwanderungspolitik für Hochqualifizierte.

Im Kern sind für qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten, die nach Deutschland kommen wollen, vor allem zwei Kriterien relevant: ein akademischer Abschluss oder ein „Mangelberuf“ sowie ein Arbeitsplatzangebot mit einem Mindestjahresgehalt von brutto 48 400 Euro für Akademiker und 37 752 Euro für Beschäftige mit einem Mangelberuf. Darüber hinaus können Personen mit einem anerkannten akademischen Abschluss für sechs Monate zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland kommen, sofern sie ausreichende finanzielle Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts nachweisen können. Auch hinsichtlich der Bleiberegelungen für ausländische Hochschulabsolventen nimmt Deutschland im internationalen Vergleich eine Vorbildfunktion ein: Diese können nach ihrem Abschluss an einer deutschen Hochschule bis zu 18 Monate bleiben und einen Arbeitsplatz suchen.

Doch sind diese liberalen deutschen Zuwanderungsregelungen noch nicht überall in der Welt (und – wie die jüngste Diskussion um die Notwendigkeit der Einführung eines Punktesystems nach kanadischem Vorbild zeigt – auch nicht im eigenen Land) bekannt. Denn: Die Verpackung und Kommunikation der Regeln spielen eine entscheidende Rolle. So fasst etwa Österreich seine Einwanderungspolitik bewusst unter dem Label „Rot-Weiß-Rot“ zusammen: Der Titel nimmt die Farben der österreichischen Nationalflagge auf und spielt auf die US-amerikanische Green Card an. Damit wirkt das österreichische System nach außen einladender und offener als die in verschiedenen Gesetzen sperrig verpackten Regelungen Deutschlands.

Zwar haben politische Akteure wie das Bundeswirtschaftsministerium oder das Auswärtige Amt das Thema Fachkräftegewinnung bereits für sich entdeckt. Nicht zuletzt die Internetseite Make-it-in-Germany ist ein Beleg für die verstärkten Bemühungen, qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittstaaten zu gewinnen. Für eine internationale Positionierung im Wettbewerb um Hochqualifizierte sind solche Einzelanstrengungen aber nicht genug. Es bedarf eines zuwanderungspolitischen Gesamtkonzepts, das die Frage der Vermarktung nach außen und nach innen berücksichtigt und in eine langfristige Strategie einbettet.

Die im Herbst 2014 eingerichtete ressortübergreifende Staatssekretärs-Arbeitsgruppe zur internationalen Arbeitsmigration war ein wichtiger erster Schritt. Neben der langfristig ausgerichteten Koordinierung der Migrations- und Integrationspolitik sollte jetzt vor allem die Attraktivität Deutschlands durch eine transparente Kommunikation der Einwanderungsregeln erhöht werden. Dabei könnte ein zusammenfassendes Einwanderungsgesetz helfen. Das richtige System, um Hochqualifizierte anzuwerben, haben wir schon.

Bankenabwicklung: Gläubiger stärker beteiligen

Von Bernd Rudolph, Sarah Zech

Mit Blick auf den Start des Einheitlichen Abwicklungsmechanismus zum 1. Januar 2016 soll der am 29. April 2015 vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf zum SRM-Anpassungsgesetz das nationale Bankenabwicklungsrecht an den aktuellen Stand der europarechtlichen Vorgaben (Single Resolution Mechanism SRM) anpassen. Als zentrales Element der Bankenunion zielt das neue Sanierungs- und Abwicklungsregime darauf, Bankgläubiger künftig an den Kosten einer Sanierung oder Abwicklung einer Bank zu beteiligen. Durch ein sogenanntes Bail-in-Verfahren soll der Einsatz von Steuergeldern bei der Rettung oder Abwicklung maroder Banken möglichst vermieden werden.

Bankgläubiger können insoweit zur Verlusttragung herangezogen werden, als ihre Forderungen im Bail-in-Verfahren auch ohne die Liquidation der Bank herabgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt werden können. Beteiligt werden nach der Heranziehung der vorhandenen Eigenkapitalpositionen sogenannte „berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten“. Längst nicht alle Verbindlichkeiten sollen für einen Bail-in zur Verfügung stehen, um negative Folgewirkungen für die Finanzmarktstabilität zu vermeiden. Ob aus dieser nachvollziehbaren Zielsetzung der im Gesetz aufgelistete Ausnahme-Katalog stringent herzuleiten ist, steht zumindest infrage. Streiten lässt sich insbesondere über die Ausnahme „besicherter“ Verbindlichkeiten, da hier ein breites Spektrum von „Besicherungen“ von der hypothekarischen Grundschuld bis zu staatlichen Garantien angesprochen wird. So wird durch das SRM-Anpassungsgesetz in § 46f des Kreditwesengesetzes (KWG) ein Absatz 5 eingefügt, wonach im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Bank alle Forderungen aus unbesicherten Schuldtiteln als nachrangige Forderungen berichtigt werden. Hierdurch dürfte sich das Problem der „Asset Encumbrance“ weiter verschärfen, wenn die Besicherung nur deshalb vorgenommen wird, um bei einem etwaigen Bail-in möglichst erst nach den anderen Gläubigern zur Kasse gebeten zu werden.

Damit der Bail-in nicht dadurch gefährdet wird, dass die Bank zu wenig „berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten“ emittiert, schreibt das Abwicklungsregime Mindestanforderungen an die Eigenmittel und „berücksichtigungsfähigen Verbindlichkeiten“ („minimum requirement for own funds and eligible liabilities“ MREL) vor. Hier müssen die Banken in den Sanierungsplänen, die sie der Aufsichtsbehörde einreichen, darlegen, welche Positionen auf der Passivseite ihrer Bilanz für eine Sanierungs- oder Abwicklungsmaßnahme zur Verfügung stehen. Dieses Ziel kann nur dann mit vertretbaren Kosten erreicht werden, wenn gleichzeitig die Ambiguität der Gläubiger hinsichtlich ihrer Rolle im Bail-in-Verfahren nicht zu groß wird, was angesichts weitreichender diskretionärer Spielräume der Behörden bezüglich der Anwendung der Gläubigerbeteiligung im Einzelfall jedoch zu befürchten ist.

Explizit als Nachranganleihen gekennzeichnete Finanztitel könnten hier Abhilfe schaffen, sofern die übrigen Gläubiger über deren Umfang informiert sind. Die Käufer solcher Nachranganleihen können selbst über die zusätzliche Risikoübernahme entscheiden und lassen sich dies entsprechend vergüten. Dem zusätzlichen Refinanzierungsaufwand für die Banken stünde eine disziplinierende Wirkung für deren Geschäftspolitik gegenüber. Spreadveränderungen der Nachranganleihen wären ein früher Indikator für Probleme bei der Bank und kein Ausdruck der Unsicherheit, an welcher Rangstelle die Abwicklungsbehörde auf diese Verbindlichkeit zugreifen kann.


DOI: 10.1007/s10273-015-1824-9

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