Kommunale Steuersätze: Wettbewerb sinnvoll?
Die kommunalen Steuereinnahmen haben wie die kommunalen Ausgabenlasten neue Höchststände erreicht. In den letzten Jahren sind aber auch die kommunalen Hebesätze für die Grund- und Gewerbesteuer in Bewegung geraten. Aus ökonomischer Sicht wird ein Steuerwettbewerb zumeist positiv eingeschätzt. Auch Städte und Gemeinden sollen als Gebietsmonopolisten die Anreizeffekte des Wettbewerbs spüren. Wo liegen die Probleme und Grenzen dieser Strategie?
Die Grundsteuerhebesätze werden derzeit in vielen Kommunen mit Konsolidierungsbedarf deutlich erhöht. Dies ist insbesondere in den kommunalfinanzpolitischen Krisenländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland zu beobachten. Gerade die Städte im Ruhrgebiet erreichen bisher kaum vorstellbare Werte. Das ist finanzpolitisch notwendig, aber auch verteilungspolitisch vertretbar. Die Schere zwischen armen und reichen Kommunen nimmt damit aber deutlich zu. Problematisch wird dies insbesondere dann, wenn Städte ihre Hebesätze primär zur Finanzierung überproportionaler Soziallasten anheben müssen. Das lokale Hebesatzinstrument ist nicht geeignet, eine verfehlte bundesstaatliche Soziallastenfinanzierung zu kompensieren. Dies würde gerade Städte mit ungünstiger Sozialstruktur zu hohen – standortpolitisch kontraproduktiven – Hebesätzen mit der Gefahr einer Verstärkung von ökonomischen Abwärtsspiralen zwingen. Anders liegt der Fall, wenn Kommunen sich bei freiwilligen Aufgaben mehr leisten wollen und dies durch höhere Hebesätze finanzieren. Dies führt zu einer kommunalen Landschaft mit unterschiedlichen Angebotsstrukturen und Steuersätzen. Hier ist Wettbewerb und freie Wohnortwahl ökonomisch sicher positiv.
Bei der Gewerbesteuer sind dagegen deutliche Steuersatzsenkungen – teilweise als Steuerdumping bezeichnet – zu beobachten. Bundesweit haben beispielsweise Norderfriedrichskoog, Monheim und Eschborn Aufmerksamkeit erlangt. Dort liegt der Fall anders und ist empirisch schwieriger zu beurteilen. Sicher können und sollen Gemeinden auch mit niedrigen Gewerbesteuersätzen in Konkurrenz treten. Es ist ökonomisch allerdings ineffizient, wenn Unternehmen bei einer dem Prinzip der Gruppenäquivalenz folgenden Steuer primär mit ihrer Steuerbemessungsgrundlage wandern. Dann verbleiben die kommunalen Kosten wirtschaftlicher Tätigkeit in der Standortkommune und die Niedrigsteuerkommune erhält die Steuereinnahmen. Das Kernproblem liegt dann darin, dass Aufwands- und Finanzierungsseite kommunal auseinanderfallen. Anders ist es zu beurteilen, wenn die Hauptverwaltung und Firmenzentrale, Produktion und Logistik mitziehen. Hier greift der Wettbewerb der Standortbedingungen. Dies ist im Grundsatz ökonomisch effizient und verbessert die Wettbewerbsfähigkeit. Empirisch fehlt bislang die Basis zur abschließenden Beurteilung von Niedrigsteuerkommunen in Deutschland. Sicher werden in diesen Kommunen auch Arbeitsplätze geschaffen. Die Arbeitsplatzgewinne fallen aber häufig erheblich geringer als die Gewerbesteuerzuwächse aus.
Kommunen, die diesen Weg gehen, müssen aber damit leben, dass die in diesem Standortmonopoly verlierenden Kommunen nur wenig Mitgefühl aufbringen, wenn der wesentliche Teil der Steuermehreinnahmen durch sinkende Zuweisungen im kommunalen Finanzausgleich bzw. Mehrausgaben für die Kreisumlage aufgezehrt werden. Von diesen Rückverteilungsmechanismen profitieren die Standortkommunen nur wenig, weil die Zuweisungsminderungen zu Mehreinnahmen für alle finanzausgleichsberechtigten Kommunen in einem Bundesland führen.
Betreuungsgeld: Mehr Integration!
Das Betreuungsgeld ist gekippt. Das höchstrichterliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts war in der Sache mehr als folgerichtig. Der Bund habe nicht die Kompetenz für das Gesetz gehabt, sondern die Länder. Erwartungsgemäß wurden mit dem Urteilsspruch der Karlsruher Richter sofort Begehrlichkeiten laut. Analysen zum Nutzerkreis des Betreuungsgeldes zeigen, dass die Leistung vorwiegend von Müttern mit geringem Bildungsstand und Einkommen sowie mit Migrationshintergrund in Anspruch genommen wird. Dies deckt sich mit den Erfahrungen aus Finnland, Norwegen und Schweden, wo ähnliche „Cash for Care“-Regime bereits 1985, 1998 bzw. 2008 eingeführt wurden. Auch hier sind bildungsferne Familien und Migrantenfamilien unter den Antragstellern überrepräsentiert. Verglichen mit Eltern deutscher Herkunft ist die Inanspruchnahme des Betreuungsgeldes in Migrantenfamilien Ausdruck abweichender Rollenbilder, Betreuungs- und Erwerbsmuster.
Zum 1. März 2012 waren nur 16% der unter Dreijährigen von Eltern mit, hingegen 33% von Eltern ohne Migrationshintergrund in Kindertagesbetreuung. Die Zahlen legen nennenswerte Mitnahmeeffekte der Transferleistung nahe. Zudem gibt es Befunde, die den Anreizeffekt des Betreuungsgeldes, auf die staatlich geförderte Betreuung zu verzichten, untermauern. 2013 äußerten in der Elternbefragung im Rahmen der „kommunalen Bedarfserhebung U3“ von Deutschem Jugendinstitut (DJI) und TU Dortmund 24,9% der Eltern, die in der Familie eine andere Sprache als Deutsch sprechen, dass das Betreuungsgeld sie dazu bewogen habe, auf externe Betreuung zu verzichten, gegenüber nur 12,7% der Eltern mit Deutsch als Familiensprache. Der Einfluss der nicht-deutschen Familiensprache bleibt auch in multivariaten Analysen robust: Er verdoppelt die Wahrscheinlichkeit, außerhäusliche Betreuung aufgrund des Betreuungsgeldes abzulehnen.
Die bisherigen Befunde deuten darauf hin, dass das Betreuungsgeld faktisch als Anti-Integrationsprämie gewirkt haben könnte. Deutschland ist jedoch ein Zuwanderungsland, jedes Talent wird gebraucht. Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Zugleich zeigen die Erfahrungen skandinavischer Länder und jüngst auch Deutschlands mit „Cash for Care“-Regimen, dass die Betreuungsentscheidung im Kontext des institutionellen, ökonomischen und kulturellen Rahmens der Familie getroffen wird. Ein Mehr an Kita-Angeboten dürfte daher allein nicht ausreichen, um die Unterrepräsentanz von Zuwandererkindern in staatlichen Kitas zu überwinden. Analoges gilt vermutlich auch für Kinder aus bildungsfernen Haushalten, deren Eltern ebenfalls im Kreis der Antragsteller auf Betreuungsgeld überrepräsentiert sind. Auch hier herrschen eher traditionelle Betreuungsmuster vor. So waren in Westdeutschland 2012 63% der Personen mit Hauptschulabschluss der Ansicht, dass eine mütterliche Erwerbstätigkeit dem Kleinkind schadet, gegenüber 37% der Personen mit (Fach-)Abitur. Im Osten der Republik sind die Zustimmungsquoten insgesamt deutlich niedriger (bei vergleichbaren Bildungsunterschieden). Dazu passt, dass das Betreuungsgeld in Westdeutschland auf weitaus größere Nachfrage stößt als in Ostdeutschland.
Soll aus der „Herdprämie“ eine Integrationsprämie werden, sind kreative Angebote vonnöten, die die Kinder erreichen und dabei dennoch die kulturellen und milieuspezifischen Prägungen und Einstellungen ihrer Eltern respektieren. Das Ziel muss sein, bei Kindern und Eltern die Freude an gesellschaftlichem Austausch und wechselseitigem Lernen zu wecken und nachhaltig zu etablieren. Würden die nun jährlich freigesetzten 900 Mio. Euro aus dem Bundeshaushalt in diesem Sinne eingesetzt, wäre nicht nur den bisherigen Betreuungsgeldempfängern, sondern dem Zuwanderungsland Deutschland insgesamt ein ungleich besserer Dienst erwiesen.
Bankenregulierung: Abschied vom Level Playing Field?
Im Rahmen seiner Ordnungspolitik sollte sich der Staat so wettbewerbsneutral wie möglich verhalten – und dies gilt natürlich auch für die Regulierung der Kreditinstitute, bei der das Ziel des „Level Playing Field“ in allen Verlautbarungen der regelsetzenden Instanzen hoch gehalten wird. Gerade die jüngste Finanzkrise hat noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig dieses Prinzip national, aber auch international ist. Sobald Regulatoren unterschiedliche Anforderungen formulieren, drohen Finanzgeschäfte (z.B. über Briefkastenfirmen in Form von „Zweckgesellschaften“ oder anderen Schattenbanken) gezielt dorthin verlagert zu werden, wo die geringsten Standards gelten. Banken verhalten sich hier nicht anders als realwirtschaftliche Unternehmen, indem sie ihre Standorte nicht zuletzt nach der Härte des Aufsichtsdesigns auswählen, gezielt nach Schlupflöchern Ausschau halten und insoweit eine legale Arbitrage gegen Regulierung betreiben.
Als Konsequenz aus der Finanzkrise hatten sich die Regulatoren daher eine stärkere internationale Harmonisierung der Aufsichtsregeln auf die Fahnen geschrieben. Doch gerade mit Blick auf die global tätigen und deshalb auch für das Weltfinanzsystem besonders relevanten Kreditinstitute widerspricht die Realität immer stärker diesem Wunsch, drohen speziell die USA und Europa sich immer weiter voneinander zu entfernen. Ein Beispiel von vielen sind die von der Federal Reserve Bank (Fed) Ende Juli erlassenen neuen Auflagen für global systemrelevante US-Banken (global systemically important banks, G-SIB). Sie beabsichtigt – so deren Chefin Janet Yellen – „den Banken abzuverlangen, dass sie die Kosten, die ihre Fehlschläge für andere verursachen, tragen können.“ Über die auch für nicht systemrelevante Banken geltenden Eigenkapitalanforderungen hinaus müssen solche Institute nach einem Scoringsystem auf ihre risikogewichteten Aktiva bezogen bis zu 5,5% mehr Eigenkapital der höchsten Qualität vorhalten (in Einzelfällen können die Anforderungen sogar noch höher liegen). Diese zusätzlichen Kapitalpuffer können sukzessive aufgebaut werden und sind in der Endausbaustufe 2019 nachzuweisen.
Damit weicht die Fed als Aufsichtsbehörde von den im Baseler Ausschuss – unter ihrer Beteiligung und stets mit globalem Anspruch – verabschiedeten Anforderungen an G-SIB ab. Zwar sind die Kriterien für die Ableitung der Systemrelevanz identisch: Größe, Verflechtungsgrad, grenzüberschreitende Aktivitäten, Ersetzbarkeit und Komplexität. Basel sieht indes Zusatzanforderungen an die Eigenmittel nur bis zu einer Höhe von maximal 3,5% vor und hat zuletzt im November 2014 die beiden mit der weltweit höchsten Systemrelevanz eingestuften Banken (HSBC und JP Morgan) sogar nur mit 2,5% belegt (Deutsche Bank 2%).
Die USA beschreiten damit einen Sonderweg – wie zuvor schon einzelne europäische Länder. So verordnete Schweden seinen G-SIB einen Zusatzpuffer von pauschal 5%, die Niederlande und die Schweiz indes von 3%. Noch „bunter“ wird die europäische Landschaft, berücksichtigt man die neuen Regeln für zusätzliche Eigenkapitalanforderungen für G-SIB, die aus der qualitativen Aufsicht nach der zweiten Säule von Basel III resultieren. Im Rahmen des überarbeiteten Supervisory Review and Evaluation Process hat die EZB unter anderem Geschäftsmodell und -strategie von Banken zu prüfen und bewerten. Es ist zu erwarten, dass die eingeforderten Kapitalpuffer wesentlich stärker individualisiert sein und daher mehr streuen werden als in den USA und den europäischen Ländern. „Flickenteppich“ statt „Level Playing Field“? Ein Streit über die „richtige“ Höhe der Eigenkapitalanforderungen ist wenig sinnvoll, da diese sich weder theoretisch noch empirisch sauber ableiten lässt. Aber nicht nur richtig, sondern dringend geboten ist eine internationale Verständigung über einheitliche Regeln. Denn was nutzen die schärfsten Aufsichtsanforderungen, wenn sie sich durch „Standort-Hopping“ umgehen lassen?
Chinesischer Aktienmarkt: Neue Normalität
Seit dem letzten Spitzenwert von 5166 Punkten am 12. Juni hat der wichtigste chinesische Aktienindex (Shanghai Composite) bis Anfang August 30% verloren. Das bedeutet einen Verlust von ca. einem Prozentpunkt pro Börsentag in einem Zeitraum, in dem der DAX nahezu unverändert geblieben ist. Was geht vor in China?
Die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Sie reichen von Warnungen, die das Ende des chinesischen Wirtschaftswachstums vorhersagen (mit entsprechenden negativen Konsequenzen für die deutsche Exportkonjunktur), bis hin zu der nüchternen Einschätzung, dass am chinesischen Aktienmarkt eine notwendige Preiskorrektur stattfindet, durch die sich die Übertreibungen der vorangegangenen sechs Monate zurückbilden. Wie so oft liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte. Chinas Wirtschaftswachstum ist seit Jahren im Abschwung. Wachstumsraten von über 10%, die von China geradezu erwartet wurden, gehören der Vergangenheit an. Der Parteivorsitzende Xi Jinping zielt mit seiner Politik der Neuen Normalität auf stetiges und nachhaltiges, dafür aber auch geringeres Wirtschaftswachstum. Der Boom am chinesischen Aktienmarkt, der alle anderen Märkte in Asien überholt hatte, war damit auf die Dauer nicht vereinbar. Diese Blase ist zu Recht geplatzt und die Preiskorrektur könnte sich auch noch eine Zeit lang fortsetzen.
Die Diagnose ist also eher einfach, doch was sind die Folgen? Eine zunehmende Zahl von chinesischen Sparern ist bei steigenden Kursen in den Aktienmarkt eingestiegen, teilweise mit geliehenem Geld. Sie haben die Blase angetrieben, doch jetzt erleiden sie erhebliche Vermögensverluste, die den privaten Verbrauch bremsen können. Die Zahl der chinesischen Aktienbesitzer ist mit geschätzten 90 Mio. zwar größer als die deutsche Bevölkerung, doch im Vergleich zur chinesischen Bevölkerung klein. Selbst wenn man berücksichtigt, dass der Einbruch der Börsenkurse zu einem Anstieg fauler Kredite im Finanzsystem führen könnte, dürften sich die konjunkturellen Folgen in Grenzen halten.
Spannender ist die Frage, welche Rolle die Börse im chinesischen Wirtschaftssystem der Zukunft spielen wird. Die aktuellen Vorgänge werden in der chinesischen Führung die Auffassung bestärken, dass Vertrauen in die Effizienz der Finanzmärkte naiv ist, Kontrolle und Intervention dagegen unverzichtbar sind. Sie hat mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen reagiert, um den Einbruch der Börsenkurse aufzuhalten.
Neben den in Europa und USA praktizierten Liquiditätsausweitungen kommt dabei nicht nur lupenreine Marktwirtschaft zum Einsatz. Ein Verbot von Aktienverkäufen durch große Anteilseigner, sowie eigene Aktienkäufe durch den chinesischen Staat über verschiedene staatseigene Institutionen gehören dazu. Eine wichtige Rolle spielt dabei die China Securities Corporation (CSF), eine 2011 gegründete, bisher eher obskure staatliche Finanzinstitution, deren ursprünglicher Zweck die Finanzierung des Marginhandels mit großen Hebeln an der Börse war. In den letzten Wochen ist sie mit Stützungskäufen direkt in den Aktienmarkt eingestiegen, wobei sie durch die chinesische Notenbank finanziert wird. Das massive staatliche Engagement an der Börse kann nicht so schnell wieder rückgängig gemacht werden. Man darf vermuten, dass es Teil der Neuen Normalität wird. Xi Jinping bleibt damit der Linie seiner Vorgänger treu. Marktwirtschaft pur wird es in China nicht geben. Es gilt der Primat der Politik.