Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

In der Dezemberausgabe 2014 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz von Martin Sauber und Benedikt Weihmayr zum Vollgeld und Full Reserve Banking. Dazu äußert sich Lino Zeddies als ein Vertreter der deutschen Vollgeldbewegung kritisch und zeigt die Vorteile einer Vollgeldreform auf. Anschließend stellen die Autoren in einer Erwiderung ihre Sicht dar.

Vollgeld und Full Reserve Banking – eine Replik

Von Lino Zeddies

Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte und insbesondere in der großen Finanzkrise hat sich gezeigt, dass an den Finanzmärkten etwas grundlegend schief läuft. Wiederkehrend auftretende Vermögensblasen und Finanzkrisen zwingen ganze Volkswirtschaften in die Knie, obwohl sich an deren realen Fundamenten nichts geändert hat. Man fragt sich, ob der Finanzsektor noch der Realwirtschaft dient oder ob sich der Zusammenhang nicht vielmehr umgekehrt hat. Die Vollgeldbewegung sieht die tiefliegende Ursache dieser Missstände im zugrundeliegenden Geldsystem, genauer in der Geldschöpfungsmacht der Banken, die es ihnen ermöglicht, sich selbst die Finanzierung für spekulative Investitionen zu sichern1 und im Krisenfall Staaten zu erpressen.

Um die Geldschöpfung der Banken zu unterbinden, gibt es im Wesentlichen zwei Reformkonzepte: Einerseits der insbesondere auf Irving Fisher zurückgehende Ansatz einer 100%-Reserve (Full Reserve Banking), wonach die Mindestreservepflicht auf Giralgeld von zurzeit 1% auf 100% anzuheben ist.2 Andererseits das sogenannte Vollgeld nach Joseph Huber,3 das eine Weiterentwicklung der 100%-Reserve darstellt. Durch eine Vollgeldreform würden Giroguthaben aus den Bankbilanzen ausgelagert (nun Vollgeldkonten) und Reserven komplett abgeschafft, sodass sich die heute vorhandene Aufsplittung des Geldkreislaufs zwischen dem Publikumsverkehr mit Giralgeld und dem Interbankenverkehr mit Überschussreserven auflöst. Kunden haben die Wahl zwischen völlig sicheren und liquiden Vollgeldkonten oder verzinsten, aber im Krisenfall auch haftbaren Sparguthaben, mit denen Kredite z.B. für Unternehmen finanziert werden. Die Schöpfung neuen Geldes wird einer unabhängigen 4. Gewalt, der Monetative, übertragen. Neues Geld übergibt diese schuldenfrei an den Staat, der es dann in Form von Staatsausgaben (alternativ auch in Form einer Bürgerdividende) nachfragewirksam in Umlauf bringt. Diese beiden Reformprogramme sind zwar ähnlich in ihrem Bestreben, das Geldschöpfungsprivileg des Bankensektor zu beenden, aber dennoch handelt es sich geldtechnisch-bankbetrieblich um zwei verschiedene Systeme.4

Da Sauber und Weihmayr5 die Vollgeldreform und 100%-Reserve jedoch gleichzeitig kritisieren und die Argumentation nicht sauber getrennt wird, führt dies zu einigen Komplikationen. Bezüglich der 100%-Reserve kritisieren die Autoren zudem nicht die ursprüngliche Reform­idee nach Irving Fisher, sondern beziehen sich auf eine Simulation mit einem dynamischen stochastischen allgemeinen Gleichgewichts-Modell (DSGE-Modell), die von Benes und Kumhof, Forschern des IWF, durchgeführt wurde.6 Diese Simulation weist allerdings einige Besonderheiten auf, wie Geldmengenwachstum nach einer festen Regel, die Ausschüttung der Seigniorage an den Privatsektor zur verpflichtenden Rückzahlung von Verschuldung sowie, dass Spar- und Termineinlagen zu 100% mit Reserven gedeckt werden müssen. Dies sind jedoch keine Elemente der Vollgeldidee sondern Besonderheiten dieser Simulation mit einem DSGE-Modell­, weshalb im Folgenden nicht weiter darauf eingegangen wird (strikte Fristenkongruenz ist entgegen den Aussagen von Sauber und Weihmayr nicht vorgesehen). Da die meisten zeitgenössischen Reforminitiativen ein Vollgeldsystem und nicht eine 100%-Reserve anstreben, werden sich die Ausführungen im Folgenden auf die Vollgeld­reform fokussieren.

Positiv fällt auf, dass Sauber und Weihmayr das Reformprogramm überwiegend korrekt dargestellt haben, was leider nicht selbstverständlich ist.7 Bei ihrer Analyse bearbeiten sie die folgenden fünf zentralen Kritikpunkte am Geldsystem, die von den Vollgeldreformern vorgebracht werden und von denen sich diese eine Lösung oder zumindest Besserung versprechen:

  1. fehlende Kontrolle der Zentralbank über die Geldmenge und prozyklisch überschießende Geldschöpfung der Geschäftsbanken,
  2. Unsicherheit des Giralgeldes und Gefahr von Bank Runs,
  3. systemische Überschuldung,
  4. Privilegierung des Bankensektors sowie
  5. systemimmanenter Wachstumszwang und -drang.

Fehlende Kontrolle der Zentralbank über die Geldmenge

In der Eurozone wird das Giralgeld, das über 80% der im Publikum zirkulierenden Geldmenge M1 ausmacht, von privaten Geschäftsbanken geschaffen.8 Die Zentralbank kann diese Geldschöpfung nur indirekt per Zinspolitik beeinflussen. Daher schöpfen die Banken in Boom-Phasen prozyklisch zu viel Geld und Kredit, während im Krisenfall eine Kreditklemme und Geldknappheit eintritt.9 Dass der Zentralbank in diesem System die Kontrolle über das Geld entglitten ist, zeigt sich in der gegenwärtig bestehenden Deflationsgefahr und immer neuen aktionistischen Zentralbankmaßnahmen – wie neuerdings dem Aufkauf von Staatsanleihen. Mit einer Vollgeldreform würde die Geldschöpfungshoheit an eine unabhängige staatliche Instanz zurückgeführt, sodass eine direkte und vollständige Kontrolle über die Geldmenge möglich ist. Sauber und Weihmayr kritisieren, dies sei ein monetaristischer Irrweg, da aktuelle empirische und theoretische Erkenntnisse diese Vorgehensweise als nicht praktikabel ausweisen. Die gegenwärtig praktizierte Zinspolitik sei einer Geldmengenpolitik überlegen.

Das Problem an dieser Argumentation ist, dass die negativen Erfahrungen einer Geldmengensteuerung eben gerade nicht auf einem Vollgeldsystem, sondern dem jetzigen, fraktionalen Reservesystem basieren. Da der Zentralbank die Geldkontrolle entglitten ist, kann im jetzigen Geldsystem eine Geldmengensteuerung offensichtlich nicht funktionieren, während ein Vollgeldsystem eine gänzlich andere Grundlage darstellt. Zudem favorisieren heute fast alle Vollgeldreformer eine diskretionäre, situativ reagible Geldpolitik, nicht ein mechanistisch regelgebundenes Geldmengenwachstum, wie die Ansätze einer 100%-Reserve es vorsahen.

Weiterhin kritisieren Sauber und Weihmayr, dass „die Geldpolitik grundsätzlich schlecht dafür geeignet sei, Vermögenspreisblasen und deren schädliche Wirkung auf Finanzsektor und Realwirtschaft zu verhindern.“10 Blasen über Zinserhöhungen zu bekämpfen, würde die Aktivität anderer Sektoren ungewollt dämpfen, und bereits eingeleitete oder anvisierte Maßnahmen wie eine makroprudenzielle Regulierung seien hier ausreichend und zielführender als eine Vollgeldreform. Dieses Vertrauen in die Effektivität staatlicher Banken- und Finanzmarktaufsicht teilen wir gerade im Hinblick auf die Ereignisse der vergangenen Jahre nicht. Wenn man sich vor Auge führt, dass sich Banken im gegenwärtigen System die Finanzierung für spekulative Finanzinvestitionen selbst schaffen können, wird klar, wieso Vermögens- und Schuldenblasen in den letzten Jahrzehnten zu einer Normalität geworden sind. Mit einer Vollgeldreform hingegen wird zusätzliches Geld vornehmlich über Staats- oder Bürgerausgaben in Umlauf gebracht und fließt somit der Realwirtschaft zu. Daher wäre es für Banken und andere Finanzinstitute deutlich schwieriger, Geld in spekulative Finanzanlagen zu pumpen, da deren Finanzierung erst einmal aus der Realwirtschaft abgezweigt werden müsste.

Weiterhin ist eine Vollgeldreform kein Allheilmittel und schließt andere Reformen nicht aus. Makroprudenzielle Regulierung und angemessene Eigenkapitalvorschriften können sicherlich eine sinnvolle Ergänzung sein.

Unsicherheit des Giralgeldes und Gefahr von Bank Runs

Vollgeldbefürworter kritisieren am bestehenden Geldsystem die inhärente Instabilität und die Gefahr von Bank Runs aufgrund der prinzipiellen Haftbarkeit des Giralgeldes als Bankverbindlichkeit. Dies führt im Krisenfall dazu, dass Bankenpleiten mit staatlichen Garantien und Rettungsaktionen abgewendet werden müssen. Sauber und Weihmayr stimmen darin mit uns überein, dass nach einer Vollgeldreform Sichtguthaben tatsächlich unabhängig von der Solvenz einer Bank gesichert wären. Dagegen kritisieren sie, dass es bei einem Vertrauensverlust mit Folge einer großangelegten Liquidierung von Sparguthaben weiterhin möglich sei, dass Banken in Schwierigkeiten geraten. Außerdem könnten bestehende Risiken schon im heutigen System durch existierende Instrumente wie Liquiditätsverordnungen und Bankenregulierungen (Basel III der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich oder europäischen Eigenkapitalrichtlinie CRD IV) geregelt werden: „Es bedarf keiner grundlegenden Geldreform, um Systemstabilität und Haftung gleichermaßen realisieren zu können ... Banken mit Steuergeldern stabilisieren zu müssen, ist keine systemimmanente Notwendigkeit, sondern politisches Versagen, manifestiert in fehlender Gläubigerbeteiligung und einem mangelnden Insolvenzregime.“11

Das Vertrauen der Autoren in die Funktionsfähigkeit bürokratischer Mikroregulierungen wie Basel III erscheint uns als bei Weitem zu optimistisch. Basel I und II waren bereits ohne Erfolg und die Bankenlobby wird sicherstellen, dass ihnen auch die 400-seitigen Basel-III-Vorschriften ausreichend Hintertüren offen halten werden. Außerdem ist dieser Argumentation entgegenzuhalten, dass eine Nicht-Rettung der Banken im jetzigen System zum Zusammenbruch der Zahlungssysteme und zu massivem Ausfall von Giro- und Sparguthaben geführt hätte, so wie es bei der großen Depression 1929 geschah. Es ist ein Irrsinn des Systems, dass den meisten Bürgern nicht einmal bewusst ist, dass ihre Giroguthaben von der Bank eben nicht nur verwaltet werden, sondern einen Kredit an ebendiese darstellen und somit prinzipiell auch einem Verlustrisiko ausgesetzt sind. Eine Vollgeldreform würde hier endlich Abhilfe schaffen und die klare Wahl lassen zwischen entweder sicheren Vollgeldkonten oder verzinsten Sparkonten, die im Insolvenzfall einer Bank aber eben auch mithaften. Die Einheit von Risiko, Gewinnpotenzial und Haftung wäre wiederhergestellt und der Sozialisierung von Verlusten ein Ende gesetzt.

Systemische Überschuldung

Im heutigen Geldsystem entsteht bei jeder Kreditvergabe durch Banken neues Giralgeld, und andersherum verschwindet es wieder, wenn es als Kredittilgung oder Zins an Banken zurückgezahlt wird.12 Geld und Schulden stellen somit zwei Seiten der gleichen Medaille dar. Dies erklärt, wieso trotz des enormen Wohlstandes die Verschuldung im öffentlichen und privaten Sektor so hoch ist. In einem Vollgeldsystem würde diese absurde Verknüpfung von Geld und Schuld aufgehoben, sodass die Verschuldung leichter reduziert und die Vermögens- und Einkommensverteilung verbessert werden könnte. Zudem würden die regelmäßigen und durchaus beachtlichen Geldschöpfungsgewinne wieder in voller Höhe dem Staatshaushalt zufließen. Zusätzlich würde während der Systemumstellung und Ausschleusung des Giralgeldes einmalig eine Übergangsseigniorage anfallen, mit der sich je nach länderspezifischem Verschuldungslevel ungefähr zwei Drittel der Staatsverschuldung abbauen ließen.13 Dies sehen auch Sauber und Weihmayr: „Über einen längeren Zeitraum können so tatsächlich geldmengenneutral (statisch betrachtet) Verschuldungsbeziehungen in erheblichem Maße aufgelöst werden, ohne dass gleichzeitig Vermögen (Forderungen) abgebaut werden muss.“14

Nun argumentieren die beiden Autoren jedoch, „dass der Zinsvorteil des Staates, resultierend aus der reduzierten Staatsverschuldung lediglich eine zusätzliche Belastung des Privatsektors darstellt.“15 Dies würde ceteris paribus zu Fehlallokationen und Kapitalflucht führen und: „Die Zentralbank wird gezwungen sein, das Zinsniveau zu erhöhen, damit vom Vermögensmarkt ausgehende Fehlallokationen verhindert werden.“ Somit werde kein realer Vorteil verwirklicht. Dabei beziehen sich die beiden Autoren auf fragwürdige monetärkeynesianische Wirkungsmechanismen, die hinterfragt werden sollten. Diese Argumentation ist nicht nachvollziehbar. Der Staat ist nicht verpflichtet, Anleger mit gut verzinsten Staatsanleihen zu versorgen und es ist nicht vorgesehen, dass Anleger nach einer Vollgeldreform vom Staat für verringerte Zinsgewinne kompensiert werden. Vielmehr ist es einer der Vorteile einer Vollgeldreform, dass die staatliche Verschuldung reduziert und damit keine Umverteilung vom Staat zu den Vermögenden mehr stattfindet. Das Droh­szenario von Kapitalflucht und gar Verlust der Währungssouveränität ist überzeichnet. Es ist viel eher zu erwarten, dass das insgesamt verringerte Verschuldungsniveau zu einer erhöhten Stabilität öffentlicher und privater Finanzen beiträgt, was Anleger ebenso anlockt wie die Sicherheit der Vollgeldkonten.

Privilegierung des Bankensektors

Es ist offensichtlich, dass die Macht privater Geschäftsbanken zur Geldschöpfung mit vielfältigen Vorteilen und Privilegien verbunden ist. So ist es beispielsweise für eine Bank möglich, beim Erwerb einer Immobilie mit dafür neu geschaffenem Giralgeld zu bezahlen.16 Wenn dieses Geld nun zu einer anderen Bank abfließt, müsste es zwar refinanziert werden, aber wenn nun alle Banken im Gleichschritt Vermögenswerte erwerben, heben diese Zahlungsströme einander auf und einzig das Eigenkapital muss gegebenenfalls etwas angepasst werden. Sauber und Weihmayr meinen dazu, dass sich gegenwärtige Privilegien wenn überhaupt aus dem Monopolisierungsgrad ergeben würden, nicht jedoch aus der Macht zur Geldschöpfung: „Den Aktiva des Bankensektors [stehen] immer Passiva in derselben Höhe gegenüber, die in einer Wettbewerbssituation entweder einen geldwerten oder nicht-pekuniären Ertrag fordern.“17

Es stimmt, dass die Geldschöpfungsgewinne teilweise in Form niedrigerer Zinsen an die Kunden weitergereicht werden. Beim Eigenhandel stimmt dies aber nicht, da die Banken dort im Wettbewerb mit Nicht-Banken stehen und somit einen ungerechtfertigten Vorteil erhalten.18 Seiffert argumentiert sogar, dass der Bankensektor sich über kreative Buchführung und die Ausnutzung von Offshore-Banken ohne Bilanzierungspflicht bilanzielle Gewinne schaffen und diese dann durch die Geldschöpfung realisieren und ausgeben kann.19 Die Methode der doppelten Buchführung ist laut Seiffert nicht geeignet, den Vorteil der Banken aus der Giralgeldschöpfung korrekt darzustellen. Außerdem ist zu bedenken, dass das gegenwärtige Reservesystem eine Monopolisierung begünstigt, da bei großen Bankinstituten nach Saldierung der Ein- und Auszahlungen im Mittel weniger Reserven benötigt werden.20 Noch entscheidender ist jedoch aufgrund der oben erläuterten Unsicherheit der Giralgelder das „too big to fail“-Privileg, das nur den größten Banken zukommt und eine erhebliche staatliche Subvention impliziert.21 An dieser Stelle sollte man sich auch vergegenwärtigen, dass seit der Finanzkrise der Monopolisierungsgrad im Bankensektor sogar gestiegen ist. Mit einer Vollgeldreform würde das Haftungsprinzip wiederhergestellt, sodass sich die „too big to fail“-Problematik deutlich abschwächen würde und automatisch eine deutliche Verkleinerung der durchschnittlichen Bankengröße und ein relativer Rückgang des Investmentbanking zu erwarten wäre.

Wachstumszwang

Ein auch unter Geldsystemreformern umstrittener Punkt ist, inwieweit das gegenwärtige Geldsystem einen Wachstumszwang oder zumindest -druck impliziert und wie ein solcher angesichts der ökologischen Grenzen unseres Planeten aufgehoben werden kann. Aufgrund der Identität von Geld und Kredit im bestehenden Geldsystem ist eine Verzinsung nur bei steigender Geldmenge, also weiteren Krediten, möglich, was wiederum Wachstum erfordert. Wenn andererseits die Wirtschaft stagniert, könnte dies mit einer Depression und Arbeitslosigkeit verbunden sein.

Sauber und Weihmayr halten dem entgegen, dass das heutige Kreditgeldsystem zu keinem Wachstumszwang führe, wenn die Zinseinnahmen der Banken vollständig konsumiert werden und somit direkt in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen. „Erst der Nicht-Konsum, also das Sparen von Kapital- und Arbeitseinkommen führt zu einer zwingenden Dynamik.“22 Es ist jedoch höchst fraglich, ob diese Annahme erfüllt ist. Selbst Wenzlaff et al., auf die sich diese Kritik beruft, erkennen: „Da Zins- bzw. Kapitaleinkommen insbesondere Vermögenden zufließen, ist plausibel, dass gerade diese Einkommen allenfalls anteilig verkonsumiert werden.“23

In einem Vollgeldsystem gibt es zwar immer noch Kredite und Zinsen. Da Geldmenge und Schulden jedoch voneinander abgekoppelt wären, stünde zu erwarten, dass sich das Kreditvolumen verringern und der Wachstumsdruck dadurch mindestens abgemildert würde.

Fazit

Sauber und Weihmayr hatten die Vorteile der Geldsystemreform zurückgewiesen und basierend auf fragwürdigen monetärkeynesianischen Wirkungsmechanismen ein düsteres Bild der Auswirkungen gezeichnet: Kapitalflucht, Fehlallokationen sowie Verlust an Währungsqualität und geldpolitischer Souveränität. Sie beendeten ihre Überlegungen mit dem Fazit: „Die Vollgeldreformer jedoch täten gut daran, der Zivilgesellschaft nicht weiter ein vermeintlich stabileres, demokratischeres und sozialeres Geldwesen zu versprechen, das sich bei näherem Hinsehen als ökonomischer Irrweg offenbart.“24 Stattdessen seien bisherige Maßnahmen wie makroprudenzielle Regulierung, Basel III und Liquiditätsvorschriften ausreichend und besser geeignet, um Stabilität zu gewährleisten.

Die Kritik an der Vollgeldreform beruht aber auf schwachen oder unvollständigen Argumenten. Eine Vollgeldreform würde das Geldsystem stark vereinfachen, die dysfunktionale Einheit von Geld und Schuld aufheben und das allgemeine Verschuldungsniveau erheblich reduzieren. Dass dies mit einer Minderung der Zinseinkommen für Vermögensbesitzer einhergeht, sehen wir als positive Verringerung der Umverteilung vom Staat zu Vermögenden an. Banken würden wieder zu Finanzintermediären, jedoch ohne das Privileg der Geldschöpfung. Das zentrale Haftungsprinzip und die Einheit von Gewinn, Risiko und Haftung wären wiederhergestellt. Dies würde die Gefahr von Vermögenspreisblasen, Finanzkrisen und Bank Runs deutlich vermindern und die Notwendigkeit von staatlichen Bankenrettungsmaßnahmen zur Sicherung der Geldguthaben und des Zahlungsverkehrs aufheben. So wie es den Banken in Deutschland vor knapp 100 Jahren untersagt wurde, Banknoten zu drucken und das staatliche Münzmonopol auf Papiergeld erweitert wurde, besteht der nächste logische Schritt zur Modernisierung des Geldsystems nun in einer Vollgeldreform mit der Ausweitung der staatlichen Geldhoheit auf das Giralgeld.

Andere Finanzmarktreformen können sich mit einer Vollgeld­reform sinnvoll ergänzen, sie können aber nicht das marode Fundament des Geldsystems und damit letztendlich der Wirtschaft reparieren. Komplizierte Mikroregulierungen wie Basel III sind im Hinblick auf die Lobbymacht der Banken zum Scheitern verurteilt und selbst bei effektiven Regularien bleibt fraglich, ob sich diese langfristig halten können – man denke hier an die Hypothese der finanziellen Instabilität nach Minsky.25 Eine Vollgeldreform hingegen wäre kaum rückgängig zu machen, so wie es heute undenkbar wäre, den Banken das Recht zurückzugeben, eigene Banknoten zu drucken.

Angesichts der Komplexität der modernen Gesellschaft und der damit verbundenen Unsicherheit über die Zukunft ist bezüglich der exakten Auswirkungen einer Vollgeldreform sicherlich ein gewisses Maß an Vorsicht und Demut angebracht. Dennoch sind wir mehr als zuversichtlich, dass eine Vollgeldreform die diskutierten Funktionsprobleme des jetzigen Systems beheben und Banken wieder in den Dienst der Realwirtschaft stellen würde.

Beim Verfassen der Replik stand der Autor in intensivem Austausch mit anderen Mitgliedern des Vereins Monetative (die deutsche Vollgeld­initiative, der auch Joseph Huber angehört), sodass dieser Beitrag als offizielle Replik der Monetative angesehen werden kann.

  • 11 M. McLeay, A. Radia, R. Thomas: Money creation in the modern economy, in: Bank of England Quarterly Bulletin, 54. Jg. (2014), Q1, S. 14-27. Das Wissen über die Geldschöpfung der Banken scheint im ökonomischen Mainstream verloren gegangen zu sein und erst in den letzten Jahren wiederentdeckt zu werden. Vgl. R. Werner: Can banks individually create money out of nothing?, in: International Review of Financial Analysis, 36. Jg. (2014), S. 1-19.
  • 2 I. Fisher: 100% Money, New York 1935, in: W. J. Barber, R. W. Dimand, K. Foster (Hrsg.): The Works of Irving Fisher, Bd. 11, London 1997.
  • 3 J. Huber: Monetäre Modernisierung: Zur Zukunft der Geldordnung: Vollgeld und Monetative, Marburg 2014 [2010]. Eine alternative gute Einführung zur Vollgeldreform bieten B. Dyson, A. Jackson, G. Hodgson: Creating a Sovereign Monetary System, Postitive Money, London 2014.
  • 4 Vergleichende Übersicht: J. Huber: Vollgeld und 100%-Reserve, 2014, www.vollgeld.de/vollgeld-und-100-prozent-reserve-chicago-plan.
  • 5 M. Sauber, B. Weihmayr: Vollgeld und Full Reserve Banking – Geldreformen auf dem Prüfstand, in: Wirtschaftsdienst, 94. Jg. (2014), H. 12, S. 898-905.
  • 6 J. Benes, M. Kumhof: The Chicago Plan Revisited (Revised Draft), IMF Working Paper, Nr. 202, 2013. Die Simulation ergibt eine verringerte Volatilität der Finanzmärkte, eine erhebliche Reduktion von öffentlicher und privater Verschuldung und eine Wirtschaftsstärkung um 10% durch verringerte Zins- und Risikomonitoringkosten sowie Steuersenkungen aufgrund von Einnahmen durch staatliche Seigniorage.
  • 7 Fehldarstellungen z.B. als Kontrolle der Kreditvergabe in T. Fricke: Hochzeit für Geldverbesserer, Kurzstudie im Auftrag von Sven Giegold MdEP, Brüssel 2014; als Goldstandard und Verwechslung mit 100%-Reserve in H. Flassbeck, F. Spiecker: Vollgeld, das moderne Gold, 7.5.2014, http://www.flassbeck-economics.de/abo-preview-unser-geldsystem-xiii-vollgeld-das-moderne-gold/; als Trennbankensystem und Verwechslung mit 100%-Reserve in J. Baumberger, R. Walser: Leere Vollgeld-Hoffnungen -Warum das Finanzsystem durch kontrollierte Schritte zuverlässiger reformiert werden kann als durch einen kühnen Salto, Avenir Suisse, Standpunkte 4, 25.3.2014, http://www.avenir-suisse.ch/36309/leere-vollgeld-hoffnungen/.
  • 8 Deutsche Bundesbank: Geld und Geldpolitik, Kapitel 3: Das Buchgeld, 18.6.2014, https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Service/Schule_und_Bildung/geld_und_geldpolitik_kapitel_3.pdf.
  • 9 J. Huber, a.a.O., S. 67-74.
  • 10 M. Sauber, B. Weihmayr, a.a.O., S. 900.
  • 11 Ebenda, S. 902.
  • 12 Deutsche Bundesbank: Vertiefung: FAQ zum Thema Geldschöpfung, https://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/FAQ_Listen/faq_zum_thema_geldschoepfung.html.
  • 13 Vgl. J. Huber, a.a.O., S. 176.
  • 14 M. Sauber, B. Weihmayr, a.a.O., S. 902.
  • 15 Ebenda, S. 903.
  • 16 Deutsche Bundesbank: Vertiefung: FAQ ..., a.a.O., insbesondere: „Können Geschäftsbanken mit selbst geschöpftem Giralgeld Immobilien erwerben?“.
  • 17 M. Sauber, B. Weihmayr, a.a.O., S. 904.
  • 18 E. Glötzl: Fragen zur Problematik der Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken, Monetative Papier, Berlin 2013, www.vollgeld.de/manuskripte-und-papers.
  • 19 H. Seiffert: Geldschöpfung – Die verborgene Macht der Banken, Nauen 2014.
  • 20 E. Baltensperger: Economies of scale, firm size, and concentration in banking, in: Journal of Money, Credit and Banking, 4. Jg. (1972), H. 3, S. 467-488.
  • 21 D. Baker, T. McArthur: The value of the „too big to fail“ big bank subsidy, Center for Economic and Policy Research, Issue Brief, Washington DC, September 2009.
  • 22 M. Sauber, B. Weihmayr, a.a.O., S. 905.
  • 23 F. Wenzlaff, C. Kimmich, O. Richters: Theoretische Zugänge eines Wachstumszwangs in der Geldwirtschaft, ZÖSS (Zentrum für Ökonomische und Soziologische Studien), Discussion Paper, Nr. 45, Hamburg 2014.
  • 24 M. Sauber, B. Weihmayr, a.a.O., S. 905.
  • 25 H. Minsky: The financial instability hypothesis, The Jerome Levy Economics Institute Working Paper, Nr. 74, New York 1992.

Vollgeld und Full Reserve Banking – eine Erwiderung

Von Martin Sauber, Benedikt Weihmayr

Die Replik von Lino Zeddies ist ein konstruktiver Beitrag zur Diskussion um eine Vollgeldreform. Unsere Kritik an der Vollgeldidee soll in diesem Beitrag anhand der Auseinandersetzung mit den von Zeddies vorgebrachten Argumenten verdeutlicht werden. Am Schluss möchten wir dennoch eine Konstellation aufzeigen, wie eine Variante einer Vollgeldreform unter bestimmten Bedingungen einen positiven Effekt haben könnte.

Betrachten wir zuerst die übergeordnete Problemwahrnehmung von Lino Zeddies: „Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte und insbesondere in der großen Finanzkrise hat sich gezeigt, dass an den Finanzmärkten etwas grundlegend schief läuft. Wiederkehrend auftretende Vermögensblasen und Finanzkrisen zwingen ganze Volkswirtschaften in die Knie (...) Die Vollgeldbewegung sieht die tiefliegende Ursache dieser Missstände im zugrundeliegenden Geldsystem, genauer in der Geldschöpfungsmacht der Banken“1.

Wir begrüßen die Diskussion über die heutige Geldordnung und -politik, sehen jedoch die von Vollgeldreformern auf die „Geldschöpfungsmacht der Banken“ reduzierte Problemwahrnehmung kritisch. Dieser Fokus führt zu inadäquaten Lösungsvorschlägen, die die Funktionsweise der kapitalistischen Geldwirtschaften ungenügend analysiert. Um unsere übergeordnete Problemwahrnehmung kurz zu skizzieren: Vermögenspreisblasen und Finanzkrisen sind nicht unmittelbare Folge der Buchgeldschöpfung durch Banken, sondern vielmehr Symptom der Stagnationstendenz kapitalistischer Geldwirtschaften.2 Ein deregulierter Finanzmarkt sowie neoliberale Anreizstrukturen verstärken zusätzlich die Krisenintensität und -häufigkeit. Eine historische Betrachtung zeigt, dass Finanz- und Bankenkrisen trotz privater Geldschöpfung von 1940 bis Mitte der 1970er schlicht nicht existent waren (vgl. Abbildung 1).3 Als systemstabilisierende Faktoren identifizieren Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff insbesondere die strenge Regulierung des Finanz- und Devisenmarktes in diesem Zeitraum, unter anderem durch das feste Wechselkurssystem von Bretton Woods.4 In den 1970er Jahren kam es zu einem Paradigmenwechsel von einer keynesianischen hin zu einer monetaristisch neoklassischen Theoriebildung und Wirtschaftspolitik. Seitdem erzeugen freie Kapital- und Devisenmärkte sowie deregulierte Arbeitsmärkte Anreizstrukturen, die die Bildung von Finanzkapital gegenüber Realkapital bevorzugen.5 Instabile Devisen- und Rohstoffpreise, hohe Zinssätze und global expandierende Kapitalströme verursachen seitdem Vermögenspreisblasen, makroökonomische Ungleichgewichte und Massenarbeitslosigkeit.

Abbildung 1
Anteil der Länder mit Bankenkrisen
Gewichtet nach Anteil am Weltsozialprodukt, 1900 bis 2008
32144.png

Quelle: Die Grundgesamtheit besteht aus 66 Ländern der Tabelle A1 in: http://www.carmenreinhart.com/user_uploads/data/55_data.xls.

Fehlende Kontrolle der Zentralbank über die Geldmenge

Nach Lino Zeddies würde unsere Kritik an einer Geldmengensteuerung ins Leere laufen, da unsere Argumente in Anlehnung an das heutige Giralgeldsystem erfolgen würden. Wir hatten in unserem Artikel die Ohnmacht der Geldpolitik in einem Vollgeldsystem betont, da die Zentralbank pessimistische Absatzerwartungen und die Überschuldung der Akteure in einer Rezession nicht durch ein elastischeres Geldangebot lösen kann. Es ist richtig, dass in einem Vollgeldregime die nominal emittierte Geldmenge nicht schrumpfen kann. Jedoch könnte die Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte weiterhin durch mangelnde Solvenz und geringes Vertrauen beschränkt bleiben.

Es ist zudem unumstritten, welche Rolle die massive Kreditexpansion (begleitet von Giralgeldwachstum) bei Spekulationen auf Immobilien-, Rohstoff- oder Aktienmärkten hat. Doch unabhängig davon, ob die Zentralbank eine Geldmengenverknappung oder eine herkömmliche Zinserhöhung durchführt: Es werden dadurch vor allem Investitionen im produktiven Sektor gedämpft. Die Gewinne spekulativer Investitionen sind hingegen so hoch, dass die Mehrkosten durch die höheren Zinsen kaum ins Gewicht fallen. Die Folgen der Zentralbankpolitik wären eine nur geringe Abschwächung des spekulativen Booms, begleitet von stark steigender Arbeitslosigkeit in den restlichen Sektoren.

Wenn nun, wie Lino Zeddies betont, die Monetative die Impotenz der Geldmengenpolitik in einer Rezession durch fiskalische Verausgabung beheben möchte, ist dies nichts weiter als eine Synchronisierung der Geld- und Fiskalpolitik.

Gefahr von Bank Runs und Unsicherheit des Giralgeldes

Die Vollgeldreform soll den Zusammenbruch der Zahlungssysteme verhindern und zugleich das „too big to fail“-Phänomen lösen. Ersteres würde zweifelsohne gelingen, da Girokonten in Form von Zentralbankgeld (Vollgeld) zugleich gesetzliches Zahlungsmittel sind. Letzteres, die Lösung des „too big to fail“-Problems, ist fraglich. So ist Vollgeld weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung für ein stabiles Bankensystem. Entscheidend ist der Umfang der Haftung. Man kann – aber muss nicht – so weit gehen wie die Vollgeldreformer und sogar Spareinlagen zur Insolvenzmasse heranziehen. Wäre heute schon über (potenziell) haftendes Kapital (Aktien, Wandelanleihen, Anleihen) eine Insolvenzabwicklung möglich, wäre der Zahlungsverkehr auch in einem Giralgeldsystem gesichert. Auch das Beispiel Islands in der Finanzkrise 2008 zeigt, dass das Argument des „too big to fail“ im Sinne einer Bailout-Notwendigkeit nicht stichhaltig ist. Islands in Not geratene Banken wurden zulasten der Gläubiger und Eigentümer verstaatlicht und teilweise abgewickelt. Inwiefern aber technisch betrachtet in einem Vollgeldsystem Insolvenzen mit geringerem Aufwand durchführbar sind, muss zukünftige Forschung zeigen.

Systemische Überschuldung und Wachstumszwang

Lino Zeddies spricht von einer „absurden“ Verknüpfung von Geld und Schuld, da dies einen hohen Verschuldungslevel in der Ökonomie mit sich bringen würde. Eine schuld- und zinsfreie Geldemission durch den Staat würde eine Verbesserung der Vermögens- und Einkommensverteilung bewirken. Der erwünschte Effekt kann sich aber, insbesondere in einer offenen Volkswirtschaft, genau in sein Gegenteil verkehren.

Mit Giralgeld ist verbunden, dass Vermögenseigentümer ihr Vermögen in Form von Sichtguthaben halten. Faktisch finanzieren die Vermögenseigentümer so die Banken mit sehr kurzfristigen Krediten. Da Sichteinlagen sehr disponibel sind und dem Halter daher einen nichtpekuniären Ertrag (Liquditätsprämie) generieren, wird ein entsprechend niedriger (oder kein) pekuniärer Ertrag (nominelle Verzinsung) akzeptiert. Entsprechend kann eine Bank Kredite zu geringen Kreditzinsen ausreichen. Vollgeld verbietet es den Girokonteninhabern der Bank einen täglich fälligen Kredit zu gewähren. Damit ist die Bank mit der Situation konfrontiert, zwingend Sparer attrahieren zu müssen, die ihr Kapital über einen längeren Zeitraum bei ihr anlegen.6 Dies bedeutet für die Bank höhere Kosten – ähnlich einer Besteuerung des Einlagengeschäftes. Die Banken werden versuchen, die Kosten auf andere Akteure abzuwälzen:

  • Fall 1: auf die Girokontenbesitzer (höhere Kontoführungsgebühren); Wirkung: regressiv und kontraktiv;
  • Fall 2: auf die Einleger (geringere Zinsen auf Zeitdepositen); Wirkung: progressiv und expansiv, da geringere Dividenden und Einlagenzinsen vor allem Haushalte mit hohen Einkommen und daher hoher Sparneigung betreffen würde;
  • Fall 3: auf die Eigentümer (geringere Dividenden); Wirkung: ähnlich wie Fall 2;
  • Fall 4: auf die Kreditnehmer (höherer Kreditzins); Wirkung: langfristig kontraktiv. Über die Investitionsnachfrage und vor allem durch die geringere Lohnquote am Nationaleinkommen wäre dies nachfragehemmend. Wird der Zinssetzungsspielraum der Zentralbank unabhängig vom Verhalten der Marktteilnehmer verstanden, könnte sich in Summe durch eine höhere staatliche Seigniorage und geringere Kapitaleinkommen ein expansiver Effekt einstellen. Niedrigere Arbeitslosigkeit würde dann auch nur ein geringeres Wachstums erforderlich machen.

Versteht man hingegen den Zinssetzungsspielraum der Zentralbank als durch den Vermögensmarkt beschränkt, ergibt sich ein weit weniger optimistisches Bild. Hierbei bestimmen mikroökonomisch die Portfolioentscheidungen der Vermögenseigentümer das gleichgewichtige Zinsniveau, bei dem die Vermögenden bereit sind, Geldvermögen in der jeweiligen Währung zu halten.7 Wenn nun im Vollgeldregime die Kassenhaltung teurer wäre, und eine geringere Einlagen- und Kapitalverzinsung bezahlt werden würde, wird das Portfolio umgeschichtet. Sachwerte (Immobilien, Land, Edelmetalle, Aktien), Geldsubstitute und Kapitalverlagerungen ins Ausland bzw. Devisen sind dann relativ attraktiver. Das Optimierungsverhalten der Vermögenseigentümer kann so die intendierten Effekte konterkarieren.

Bei internationaler Kapitalmobilität muss zwischen Hart- und Weichwährungsländern unterschieden werden. Bei letzteren würde mit hoher Wahrscheinlichkeit der zuvor erörterte expansive Effekt der höheren Seigniorage verpuffen, was höhere Zinsen und ein niedrigeres Einkommen zur Folge hätte. Mehr Spielraum besteht in Hartwährungsländern mit einer hohen Vermögenssicherungsqualität. Hierbei kann der Staat eher durch Besteuerung oder finanzielle Repression, ähnlich wie in der Vollgeldreform, die Ertragsraten der Vermögenseigentümer schmälern, ohne dass dies durch inflationäre Portfolioveränderungen vollständig konterkariert wird. Somit kann sich in Hartwährungsländern ein potenziell geringfügig höheres gleichgewichtiges Einkommen ergeben. Die Bedingung hierfür ist aber ein elastisches Geldangebot und keine Geldmengenorientierung, auch nicht als Zielgröße. Ferner ist wirtschaftspolitisch zu bedenken, ob der Spielraum der Hartwährungsländer nicht durch Maßnahmen genutzt werden sollte, die weniger gegenüber Kapitalflucht anfällig sind, wie beispielsweise durch höhere Erbschafts-, Grund- oder Immobiliensteuern.

Bleibt die Frage, wie sich die reduzierte Staatsverschuldung auf den Zinssatz und das Wachstum auswirkt. Üblicherweise werden sowohl angebots- als auch nachfragetheoretisch positive Wirkungen auf Beschäftigung und Einkommen sowie ein geringeres Zinsniveau erwartet. Auch wenn die Vollgeldtheoretiker dies nicht explizit thematisieren, sollte hier Klarheit geschaffen werden. Angebotstheoretisch führt in der neoklassischen Theorie die geringere Staatsverschuldung zu einem höheren Kapitalstockwachstum, weil geringerer staatlicher Konsum höhere private Investitionen ermöglicht, falls die Kapazitäten ausgelastet sind und Vollbeschäftigung herrscht. Von diesen Bedingungen ist die Wirtschaft in den meisten Währungsgebieten jedoch weit entfernt. Nachfragetheoretisch wirkt eine geringere Staatsverschuldung langfristig expansiv durch eine höhere Akzeptanz der Währung und geringere Transferleistungen des Staates an Einkommensbezieher mit hoher Sparquote.8 Da bei einer Umstellung auf Vollgeld die Verschuldung allerdings nur scheinbar reduziert wird, ähnlich eines Debt-Equity-Swaps eines Unternehmens (Staatsverschuldung wird in Zentralbankgeld getauscht), treten diese positiven Effekte nicht auf.

Lino Zeddies konstruierte einen Dualismus zwischen sicheren Vollgeldkonten einerseits und Verlustrisiko von verzinslichen Sparkonten andererseits. Letztlich ist dies ein Trugschluss, denn wenn der Verlust in realen Werten eintritt, dann bedeutet dies einen Wertverlust von Geldvermögen in Raum und Zeit. Ausdruck findet sich dieser in der Inflation und der Abwertung einer Währung. Da wir den Zusammenhang zwischen Geldmenge und Preisen anders beurteilen als Zeddies, sowie die Qualität unterschiedlicher Währungen berücksichtigen, ist eine Preissteigerung und Abwertung auch in einem Vollgeldsystem nicht auszuschließen.

Privilegierung des Bankensektors

In einer Wettbewerbssituation werden Gewinne aus der Geldschöpfung im Kreditgeschäft an die Kunden weiter gegeben, darin stimmt uns Lino Zeddies zu. Doch beim Eigenhandel würden die Banken nicht im Wettbewerb untereinander, sondern vor allem im Wettbewerb mit Nicht-Banken stehen. Daraus leitet Lino Zeddies ein Privileg ab, das er für ungerechtfertigt hält.

Doch auch beim Eigenhandel müssen Banken untereinander um die selbst geschaffenen Einlagen buhlen und damit ihre Aktiva mit entsprechenden Passiva zum Marktzins finanzieren. Der Finanzierungsvorteil aus Sichteinlagen wird entsprechend gemindert. Nichtsdestotrotz begrüßen wir weitere Forschung zur Marktmacht von Banken, gerade angesichts der vergangenen Zinsmanipulationen.

Fazit

Eine Vollgeldreform in der von Lino Zeddies präsentierten Architektur ist unserer Analyse nach aus mehreren Gründen problematisch: Beispielsweise führt eine restriktive Geldpolitik, die Vermögenspreisblasen verhindern soll, zu erhöhter Arbeitslosigkeit und geringerem Einkommen. Auch kann der Versuch einer Erhöhung der staatlichen Seigniorage scheitern, wenn der Vermögensmarkt die geringere Attraktivität der Kassenhaltung und Vermögensverzinsung durch Portfolioumschichtung sanktioniert.

Unsere Analyse zeigt jedoch auch, dass der letztgenannte negative Effekt in Hartwährungen nicht zum Tragen kommen muss, insbesondere dann, wenn mehrere Währungsräume an der Spitze der Währungshierarchie ein Vollgeldsystem mit dem alleinigen Ziel einführen, die effektive Nachfrage durch Zwang zur erhöhten Zentralbankgeldhaltung zu steigern. Bedingung hierfür wäre dann ein weiter voll elastisches Geldangebot und auch kein monetäres Indikatorziel.

Für eine nachfrageorientierte Politik in einer offenen Volkswirtschaft können jedoch aussichtsreichere Maßnahmen genutzt werden. Eignen würden sich beispielsweise Erbschafts-, Grund- und Immobiliensteuer, in Kombination mit strenger Regulierung und makoökonomischen Instrumenten. Doch viele dieser wirtschaftspolitischen Handlungsspielräume wurden seit den 1970er Jahren im Rahmen der neoliberalen Agenda diskreditiert. Durch Deregulierung und Liberalisierung wurden erst die Rahmenbedingungen für einen vom Finanzmarkt dominierten Kapitalismus geschaffen. Die Zunahme von Krisen ist Ergebnis dieser Politik.

  • 1 Vgl. L. Zeddies: Vollgeld und Full Reserve Banking – die Kritik auf dem Prüfstand – eine Replik, in: Wirtschaftsdienst, 95. Jg. (2015), H. 9, S. 636-640.
  • 2 F. Wenzlaff, C. Kimmich, O. Richters: Theoretische Zugänge eines Wachstumszwangs in der Geldwirtschaft, ZÖSS (Zentrum für Ökonomische und Soziologische Studien), Discussion Paper, Nr. 45, Hamburg 2014.
  • 3 Wir danken Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff für die Zurverfügungstellung des Datenmaterials.
  • 4 Vgl. C. Reinhart, K. Rogoff: Banking crises: An equal opportunity menace, in: Journal of Banking & Finance, 37. Jg. (2013), H. 11, S. 4557-4573.
  • 5 Vgl. S. Schulmeister: Realkapitalismus und Finanzkapitalismus – zwei „Spielanordnungen“ und zwei Phasen des „langen Zyklus“, in: J. Kromphardt (Hrsg.): Weiterentwicklung der Keynes’schen Theorie und empirische Analysen, Schriften der Keynes-Gesellschaft, Bd. 7, Marburg 2013, S. 115-169.
  • 6 Dies bedeutet jedoch keine Einschränkung der gesamtwirtschaftlichen Fristentransformation. Denn mit Zentralbankgeld kann genauso Fristentransformation betrieben werden, nur eben im öffentlichen Sektor. Denn die Emission von Zentralbankgeld ermöglicht die Finanzierung von öffentlichen Aktiva (Infrastruktur etc.) mit ultra-kurzfristigen Passiva (Zentralbankgeld).
  • 7 Vgl. H. Riese: Grundlegungen eines monetären Keynesianismus. Ausgewählte Schriften 1964-1999, Marburg 2001.
  • 8 K. Betz: The (not) so Benign Effects of Government Debt, in: Hochschulschriften, Fachhochschule Südwestfalen, Nr. 1 (2012).

Title:Positive Money (Vollgeld) and Full Reserve Banking – Reply and Response

Abstract:In December 2014 Wirtschaftsdienst published the article “Positive Money (Vollgeld) and Full Reserve Banking – A Critical Analysis” by Martin Sauber and Benedict Weihmayr. Lino Zeddies, a representative of the German positive money movement, comments critically upon their article and points out the advantages that positive money reform could have. Sauber and Weihmayr then respond to Zeddies’ arguments.


DOI: 10.1007/s10273-015-1879-7

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.