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Mehrwertsteuersatz: Keine Allzweckwaffe

Von Roland Döhrn

Die Politik hat allem Anschein nach eine neue Allzweckwaffe entdeckt: den Mehrwertsteuersatz. Der auf Fleisch soll, geht es nach dem Willen einiger Politiker, von derzeit 7 % auf 19 % erhöht, und der auf Bahnreisen umgekehrt von 19 % auf 7 % reduziert werden. Die Zielsetzungen sind vielfältig: Durch Verbilligung von Bahnreisen sollen Reisende vom Flugzeug auf die Schiene gelockt werden, durch teureres Fleisch der Fleischkonsum eingeschränkt und dadurch die klimaschädlichen Emissionen der Landwirtschaft reduziert, und zugleich noch etwas für das Tierwohl getan werden.

Dabei wird Einiges übersehen, was gegen den Einsatz der Mehrwertsteuer für solche Lenkungszwecke spricht. Erstens ist die Mehrwertsteuer eine allgemeine Verbrauchsteuer, die vom Handel an das Finanzamt abgeführt und von diesem über die Preise an den Verbraucher fortgewälzt wird. Wenn der Verbraucher preiselastisch reagiert, was ja die Hoffnung hinter den Vorschlägen ist, dann „teilen“ sich Zahlungspflichtiger und Verbraucher die Steuerlast bzw. die Steuervergünstigung. Der Preis für Bahntickets wird sinken, aber eben nicht im Ausmaß der Steuerermäßigung, und der Fleischpreis wird weniger steigen, als es die Steuererhöhung vermuten lässt. Gerade letzterer Fall ist interessant, wenn die Steuererhöhung auch das Tierwohl verbessern soll: Der Teil der Steuererhöhung, der von Handel und Produzenten nicht an die Verbraucher weitergegeben wird, erhöht deren Kostendruck. Diese Steuererhöhung kann deshalb das Tierwohl sogar beeinträchtigen.

Zweitens gilt für Steuern das Nonaffektations-Prinzip. Mehreinnahmen aus der höheren Besteuerung von Fleisch für das Tierwohl auszugeben, ist ein hehres Versprechen, kontrollieren ist schwierig und den Bundes- und die Länderfinanzminister dazu zu zwingen, ist sogar unmöglich. Dies gilt umso mehr, als das Beihilferecht der EU ohnehin einen Strich durch diese Rechnung machen wird. Und die Erfahrung lehrt auch: Steuersatzänderungen sind nicht leicht zurückzunehmen.

Drittens lässt sich mittlerweile kaum noch begründen, für was der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt und für was nicht. Eine Logik darin zu erblicken, dass der Nahverkehr mit 7 %, Fernverkehr aber mit 19 % besteuert wird, Fleisch mit 7 %, Hafermilch oder Süsskartoffeln aber mit 19 %, ist schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt für Produkte, die im Umsatzsteuergesetz aufgelistet sind. Und das ist eben das Problem: Was es einmal auf diese Liste geschafft hat, bleibt drauf; neue Produkte, an die bei Erstellung der Liste oft noch keiner gedacht hat, sind nicht berücksichtigt. An dieser Liste der Ausnahmen herumzudoktern, macht die Sache nicht besser. Konsequent wäre eher, den gespaltenen Mehrwertsteuersatz abzuschaffen und einen einheitlichen von 16 % (was in etwa aufkommensneutral wäre) einzuführen. Dies würde auch die Kosten für die Steuerpflichtigen reduzieren.

Die Vorbehalte gegen den Einsatz der Mehrwertsteuer für Umweltschutz- und Tierschutzziele sind umso berechtigter, als es in allen Fällen bessere Mittel gibt, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Will man Reisende vom Flugzeug in die Bahn locken, wären eine Steuer auf Kerosin, die vollständige Einbeziehung des Flugverkehrs in den Emissionsrechtehandel oder der Verzicht auf Subventionen von Regionalflughäfen probatere Mittel. Wenn es um das Tierwohl geht, verfügt das Ordnungsrecht über zahlreiche Möglichkeiten, die im Übrigen kosten- und preiswirksam sind und so das gewünschte Signal an die Verbraucher aussenden. Gleiches wäre auch bezweckt, müsste die Landwirtschaft Emissionsrechte kaufen. Für die Politik wäre der Weg über die Mehrwertsteuer sicher der bequemere, denn die zu überwindenden Widerstände dürften geringer sein als bei Maßnahmen, die direkt bei den Produzenten ansetzen. Das macht ihn jedoch nicht zu einer sachgerechten Lösung.

Wahlen: Die AfD als Ostphänomen

Von Gerd Grözinger

Die Wahlerfolge der AfD sind im Osten sehr viel größer als im Westen – aber inwieweit tragen demografische Strukturunterschiede dazu bei? Dafür können auf Basis von Erhebungen bei der Bundestagswahl 2017 drei relevante Dimensionen untersucht werden: Alter, Urbanisierung und Bildung. Zur Altersschichtung: Der Osten hat durch die Wiedervereinigung gravierende demografische Schocks erlebt. Es gab eine erhebliche Migration in Richtung Westen und einen zeitweise dramatischen Rückgang der Geburten. Insgesamt ist die Bevölkerung in einem Vierteljahrhundert um 11 % gesunken. Jetzt finden sich dort weniger Junge und dafür mehr Ältere. Laut der repräsentativen Wahlstatistik hat die AfD ihren Schwerpunkt aber in den mittleren Lebensjahren. Was wäre, wenn der Osten die gleiche Alterszusammensetzung hätte wie der Westen? Eine Simulation zeigt, dass das Ergebnis sich dann so gut wie gar nicht verändert. Diese Dimension erklärt also nichts von der West-Ost-Differenz. Eine zweite Einflussmöglichkeit ist der Urbanisierungsgrad. Die AfD ist besonders auf dem Land stark. Im Westen lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in einem eher städtischen Umfeld, im Osten dagegen weniger als ein Drittel. Eine Simulation für das Wahlergebnis der AfD mit der Annahme, dass der Verstädterungsgrad im Osten dem im Westen gleich wäre, zeigt, dass der dortige AfD-Anteil dann von 21,9 % auf 20,3 % gesunken wäre. Zu einem gewissen Anteil trägt diese Dimension also zur Erklärung des relativen Osterfolgs dieser Partei bei. Bleibt noch die Bildung. Nach den Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen wählten Hauptschulabsolventen die AfD zu 14 %, die mit mittlerer Reife zu 17 %, die mit Abitur dagegen nur zu 10 % und die mit Studium zu 7 %. Eine Simulation lässt sich auf der Basis der schulischen Bildung versuchen. Sie erklärt für den Osten bei den AfD-Ergebnissen eine rechnerische Differenz in Höhe von 2 Prozentpunkten. Das ist der relativ stärkste Einfluss unter den drei Dimensionen.

Insgesamt sind somit durch andere Urbanisierungs- und Bildungsstrukturen 3,6 % mehr AfD-Stimmen im Osten zu erwarten. Die Differenz bei den letzten Bundestagswahlen lag aber bei 11,2 %. Diese demografischen Besonderheiten erklären die Ost-West-Differenz also nur zu knapp einem Drittel. Die Neuen Bundesländer haben definitiv ein genuines und gravierendes Rechtsproblem. Und stellen damit ein sich verfestigendes Wählerpotenzial für die AfD dar. Deren aktuelle Landtagswahlerfolge betragen in Sachsen 27,5 % und in Brandenburg 23,5 %. Bei der Bundestagswahl waren es 27 % bzw. 20,2 % in diesen Ländern.

Gegen diese persistierende Rechtsneigung des Ostens muss politisch gegengehalten werden. Aber auch der Einsatz materieller Ressourcen kann unterstützen. Die AfD ist vor allem dort stark, wo die Zukunft demografisch besonders düster aussieht. In den Vorhersagen bis 2035 zeigt ein Großteil der Regionen in Ostdeutschland eine weiter abnehmende Bevölkerung, oft im Bereich von minus 20 % oder sogar mehr. Die Versäumnisse einer falschen Einigungspolitik in der Vergangenheit lassen sich nicht einfach wiedergutmachen. Es kann aber in die Zukunft investiert werden. Dass dabei Bildung einen Anteil zu leisten vermag, zeigt sich nicht nur bei der oben aufgeführten Simulation, sondern auch daran, dass eine Politik, die der nächsten Generation stärker den Zugang zum Abitur ermöglicht, in einer multifaktoriellen Analyse auf Wahlkreisebene einen besonders starken negativen Einfluss auf die Höhe der AfD-Stimmen aufwies. Im Umkehrschluss: Wer nachhaltig langfristig etwas gegen Rechtstendenzen unternehmen will, muss auch im Osten verstärkt in höhere schulische Bildung investieren.

WTO: Was kommt danach?

Von Henning Klodt

„Handelskriege sind gut und leicht zu gewinnen.“ Dieser Tweet vom März 2018 beleuchtet schlaglichtartig das sonderbare Verständnis, das US-Präsident Donald Trump von globalen Wirtschaftszusammenhängen hat. Aus Kreisen der US-Wirtschaft werden zunehmend besorgte Stimmen laut, nach denen die Behinderung und Verteuerung der Vorleistungsimporte ihre Wettbewerbsfähigkeit sowohl auf den nationalen als auch auf den globalen Märkten gefährden. Und die Konsumenten werden alles andere als erfreut sein, wenn sie erst realisieren, wie Zölle und andere Handelshemmnisse ihre persönlichen Einkäufe verteuern. Mittlerweile mehren sich die Sorgen um eine weltweite Konjunktureintrübung, die eine wesentliche Ursache in den globalen Protektionismustendenzen hat und von der auch die USA nicht verschont bleiben werden.

Die allzu berechtigte Kritik am amtierenden US-Präsidenten sollte allerdings nicht zu dem Trugschluss verleiten, alles werde besser, wenn nur Trump nicht mehr im Amt wäre. Der Umgangston ist neu und inakzeptabel rau, aber die Abkehr der USA von der Idee einer globalen Wirtschaftsordnung mit inhärenter Tendenz zum Freihandel ist keineswegs neu. In den Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren es immer wieder die USA, die innerhalb des Rahmenwerks des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) bzw. der WTO multilaterale Handelsregeln durchsetzten. Schon die Gründung des GATT im Oktober 1947 wurde maßgeblich vom damaligen US-Präsidenten Harry S. Truman befördert. Und sowohl die insgesamt acht in den Jahren von 1947 bis 1994 abgeschlossenen Welthandelsrunden als auch die im Jahr 2001 gestartete und immer noch offene Doha-Runde wurden von US-Seite initiiert. Allerdings zog sich schon die letzte erfolgreich abgeschlossene Runde (Uruguay-Runde) ungewöhnlich lang über insgesamt acht Jahre hin, und zwar von 1986 bis 1994. Und der zähe Verlauf der Doha-Runde untermauert erst recht die beträchtlichen Zweifel an der nachhaltigen Fortentwicklung der globalen Handelsordnung. Mittlerweile sind achtzehn Jahre vergangen, ohne dass ein substanzielles Abkommen in Sicht wäre. Auch wenn die Lippenbekenntnisse aus der WTO in Genf und aus manchen europäischen Hauptstädten anders lauten, rechnet heute kaum noch jemand damit, dass die Doha-Runde jemals zu einem erfolgreichen Abschluss kommen könnte.

Eine Erklärung für die unverkennbare Erosion des Multilateralismus könnte darin liegen, dass globale Ordnungen einen Hegemon voraussetzen. Die Pax Romana ging mit dem Römischen Reich unter und die Pax Britannica zerbrach zeitgleich mit dem Commonwealth. Spätestens seit Ende des Ersten Weltkriegs waren die USA die wirtschaftlich (und militärisch) dominierende Weltmacht, die das Potenzial hatte und auch nutzte, eine weltumspannende Pax Americana durchzusetzen. Der amerikanische Gigant ist aber längst kein Gigant mehr – zumindest nicht aus wirtschaftlicher Sicht. Der US-Anteil am Welthandel ist seit Jahrzehnten rückläufig. Entsprechend dazu haben die USA sukzessive ihr Interesse daran verloren, sich für eine Pax Americana im Welthandel zu engagieren. Nicht erst seit Trump, sondern schon seit den 1990er Jahren haben sie sich aus dem Multilateralismus zurückgezogen. Und daran wird sich auch nach Trump nichts ändern. China hätte wohl den Willen und vielleicht auch die Kraft eine neue globale Wirtschaftsordnung zu gestalten, aber es wird dabei kaum auf einen internationalen Konsens hoffen können. Konsensfähiger wäre vermutlich die EU, aber ihr fehlen sowohl der Wille als auch die Kraft zur globalen Gestaltung. Wir werden uns also mit der globalen Unordnung arrangieren müssen.

Kommunale Altschulden: Wie kann eine Lösung aussehen?

Von Martin Junkernheinrich

Die Lösung des kommunalen Altschuldenproblems ist in den letzten Jahren, insbesondere in den hoch belasteten Kommunen und Ländern, noch nicht gelungen. Trotz einer Trendwende besteht gerade dort, wo sich ökonomische Strukturschwäche, hohe Arbeitslosigkeit, geringe Investitionen und hohe Altschulden konzentrieren, weiterhin politischer Handlungsbedarf. Auf Basis der Ergebnisse der Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat die Bundesregierung mit Kabinettsbeschluss vom 10.7.2019 nun den „Plan für Deutschland“ beschlossen, der diese Probleme aufgreift. Mit Bezug auf die kommunalen Kassenkredite und die Altschulden kommunaler Wohnungsbauunternehmen in Ostdeutschland heißt es in den Handlungsempfehlungen: „Der Bund kann einen Beitrag leisten, wenn es einen nationalen politischen Konsens gibt, den betroffenen Kommunen einmalig gezielt zu helfen.“

Mit diesem Angebot kann die bislang bestehende Politikblockade aus ordnungspolitischen Bedenken, verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsdebatten und politischen Konsensbildungsschwierigkeiten überwunden werden. Damit ist die Chance für die solidarische Lösung des Problems gegeben, an dessen Entstehen Bund und Länder ebenso mitgewirkt haben wie die betroffenen Kommunen: Problem ist, die Altschulden abzubauen, gleichzeitig aber den Aufbau neuer Schulden – auch in fiskalisch schlechteren Zeiten – zu vermeiden. Mit dem Schuldenabbau ist ein konsequenter Politikwechsel einzuleiten. Darin besteht der ordnungspolitische Charme einer nachhaltigen Gesamtlösung.

Bund und Länder sowie die betroffenen Kommunen teilen sich die einmalige Tilgung der Kassenkredite bis auf ein Niveau, das eine das laufende Geschäft notwendige Liquiditätsversorgung (nach Gemeindetypen) sicherstellt und den Liquiditätskredit in seine ursprüngliche Funktion zurückführt. Ein pragmatisch angesetztes Teilungsverhältnis wäre eine hälftige Beteiligung des Bundes oder auch eine Drittelung der Tilgung bzw. eine Konzentration der Bundesunterstützung insbesondere auf die Spitzenlasten. Der Bund sollte bei der Tilgung seine besonders günstigen Zinskonditionen mit einbringen.

Um eine erneute Verschuldung mit Kassenkrediten zu vermeiden, ist die Sicherstellung eines dauerhaften Haushaltsausgleichs notwendig. Dafür ist in den betroffenen Ländern ein neues Zusammenspiel zwischen aufgaben­angemessener Finanz­ausstattung und kommunal­aufsichts­rechtlichem Handeln notwendig. Für ersteres sind primär die Länder im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtung zum kommunalen Finanzausgleich verantwortlich. Dies kann aber nur gelingen, wenn der Bund vorab die durch ihn mitbestimmte Sozialbelastung im Gesamtniveau mitträgt und die Länder dann die landesspezifisch notwendigen Aufstockungen und den Disparitätenausgleich vornehmen können. Angesichts der Arbeitsmarktrisiken (Kosten der Unterkunft) und der weiter wachsenden sozialen Herausforderungen (z. B. Eingliederungshilfe für Behinderte, Hilfe zur Pflege, Jugendhilfe) ist der Bund auch hier gefordert.

Des Weiteren müssen die Kommunalaufsichten der Länder ihr Instrumentarium so weiterentwickeln, dass sie frühzeitig fiskalische Probleme erkennen und die Kommunen bei Gegenmaßnahmen umgehend unterstützen können. Die Verantwortung der Länder kann zudem „fühlbar“ erhöht werden, wenn ein Überschreiten des für die kurzfristige finanzielle Handlungsfähigkeit notwendigen kommunalen Liquiditätskredits künftig nur durch direkte Kreditaufnahme beim Land möglich wird. Die Kommunen selbst haben ihre Anstrengungen zur effizienten Aufgabenwahrnehmung beizubehalten. Angesichts des sich verstärkenden Fachkräftemangels sind sie ohnehin gehalten, ihre Aufgabenwahrnehmung mit Hilfe technischer Lösungen und/oder organisatorischer Veränderungen (z. B. interkommunale Zusammenarbeit) anzupassen.


DOI: 10.1007/s10273-019-2501-1

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