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Wichtig gegen den Klimawandel

Von Carl Christian von Weizsäcker

Von Deutschland abgesehen haben sich alle größeren Länder der Welt für die Weiterführung der Kernenergie entschieden. Unter verschiedenen kleinen Ländern hat es nach einem früheren Rückzug aus der Kernenergie eine erneute „Energiewende“ zugunsten der Kernenergie gegeben. Auf Betreiben zahlreicher Mitgliedsländer hat die EU Investitionen in Kernenergie als nachhaltig eingestuft. Ein vielfach ausschlaggebender Grund für diese expansive Weltkonjunktur ist der Beitrag der Kernenergie im Kampf gegen den Klimawandel. Gewiss: Mehrheit ist nicht Wahrheit. Es soll jedem Land zugestanden werden, von der großen Ländermehrheit abzuweichen. Niemand bestreitet, dass es bei der Kernenergie Pro- und Kontra-Argumente gibt. Aber es gehört gerade zu den Stärken demokratisch organisierter Staaten mit einem marktwirtschaftlichen System, dass man Experimente wagen kann, die erfolgreich werden oder scheitern. Dazu gehört aber auch, dass man international voneinander lernen sollte. Niemand in Deutschland kann behaupten, dass alle größeren Staaten der Welt von Menschen und Wählermehrheiten geführt werden, die samt und sonders Dummköpfe sind. Mehrheiten mögen keine Wahrheiten sein; aber erdrückende Mehrheiten, wie in diesem Fall, sollten erneutes Hinterfragen veranlassen.

Kernenergie ist eine erneuerbare Energie. Die Verwendung von Uran als Brennstoff ist kein Gegenargument. Denn es gibt genügend Uran für lange Zeit. Rechnet man die Naturzerstörungskosten der Windenergie mit ein, dann ist auch das Märchen vom Kostenvorteil dieser Art erneuerbarer Energie als solches offenbart. Natürlich kann Deutschland mit dem Verzicht auf eigenproduzierte Kernenergie durch Import von Strom aus Nachbarländern den Strombedarf decken. Indessen ist diese Art von Klimapolitik alles andere als sauber. Man wird damit Vorreiter in der Klimapolitik mithilfe von Kernkraftwerken aus umliegenden Staaten. Es ist eine Binsenweisheit, dass der direkte Einfluss des deutschen Energiemix auf die Entwicklung des Weltklimas äußerst gering ist. Entscheidend ist die Summe der Klimapolitiken der USA, Chinas, Indiens, Europas, Russlands, Südamerikas und Afrikas. Der klimapolitische Einfluss Deutschlands kann nur maximiert werden, wenn unser Land anderen Weltteilen hilft, sich der Verlangsamung des Klimawandels ernsthaft anzunehmen. Aber dann bedarf es kompetenter deutscher Mitsprache im Dialog mit einer Welt, in der man überall auf den Beitrag der Kernenergie setzt. Diese kompetente Mitsprachefähigkeit wird stark eingeschränkt, wenn kein Know-how mehr vorhanden ist. Versorgungssicherheit ist all diesen Ländern wichtig.

Wichtig ist, dass man nicht nur die technischen Fortschritte bei Wind- und Solarenergie zur Kenntnis nimmt, sondern auch der Kernenergie. Hier ist insbesondere der Small Modular Reactor (SMR) zu erwähnen. Heute kann man praktisch am Fließband Kernkraftwerke kostengünstig bauen, die flexibel an die Gegebenheiten des jeweiligen Standorts angepasst werden. Angesichts der erfahrungsgemäß besonders schwierigen Entwicklung der Netzinfrastruktur ist diese Modularität von besonderer Bedeutung. Indien, das demnächst mehr Einwohner:innen zählen wird als jedes andere Land der Erde, gewinnt z. B. seine elektrische Energie überwiegend in Kohlekraftwerken. Man könnte Indien mit SMR-Kraftwerken versorgen. Diese könnten eins zu eins vorhandene Kohlekraftwerke ersetzen. Sie erforderten dann praktisch keine Ergänzungen im Stromnetz. Es ist offensichtlich, dass dieser Vorteil beim Ersatz von Kohlekraftwerken durch Windkraft und Photovoltaik nicht erreicht werden kann. Denn weder Wind noch Sonne sind im Dauerbetrieb verfügbar.

Energiewende statt Atomkraft

Von Claudia Kemfert

Die Diskussion um Atomkraft in Deutschland ist nicht totzukriegen. Seit Monaten wird über die weitere Nutzung von Atomenergie in Deutschland gestritten. Die Diskussion erstaunt, Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis. Politisch entschieden wurde nun, dass spätestens zum April 2023 endgültig Schluss sein soll, ein Machtwort vom Kanzler war notwendig. Was sind die Fakten? Fakt ist, dass Atomkraftwerke derzeit etwa 6 % des Stroms herstellen. Atomkraftwerke produzieren Strom, keine Wärme. Die Hälfte der Gaskraftwerke produziert in Deutschland neben Strom auch Wärme, in sogenannten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. Atomkraftwerke können somit nur zu sehr geringen Anteilen Gaskraftwerke ersetzen. Szenarien zeigen, dass maximal 1 % des Gases so ersetzt werden könnte. Somit können Atomkraftwerke kaum das Gasproblem lösen.

Fakt ist auch, dass es in Deutschland kein Stromangebotsproblem gibt. Die Bundesregierung hat die Übertragungsnetzbetreiber beauftragt, sich die Versorgungslage im Rahmen von Stresstests anzuschauen und auf mögliche Lücken hinzuweisen. Dabei wurden Ex­tremszenarien berechnet. Dass die Nachfrage z. B. extrem hoch ist oder Kohlekraftwerke aufgrund von Niedrigwasser weniger im Einsatz sein können. Die Ergebnisse zeigen: Selbst dann ist die Versorgung gesichert, die Gefahr eines Blackouts extrem unwahrscheinlich. Die unsichere Versorgungslage in Frankreich bringt allerdings auch unser System derzeit in Ungleichgewicht. Denn im Gegensatz zu Deutschland hat Frankreich tatsächlich ein Stromangebotsproblem. Dort steht etwa die Hälfte der Kraftwerke still, einerseits, weil sie marode sind und sicherheitstechnisch überarbeitet werden müssen, und andererseits gibt es aus Witterungsgründen zu wenig Kühlwasser. Es ist damit zu rechnen, dass auch weiterhin ein Teil der Kraftwerke nicht am Netz sein wird. Leider subventionieren und deckeln die Franzosen noch immer den Strompreis, was die Stromnachfrage nicht sinken lässt. Im Gegenteil, viele Franzosen heizen mit Strom und werden im Winter einen hohen Bedarf haben. Somit wird es notwendig sein, dass Frankreich Strom aus Deutschland importieren muss, vor allem billigen Ökostrom. Wie die Stresstests der Übertragungsnetzbetreiber gezeigt haben, ist aber auch ein solches Szenario handhabbar. Wir haben ausreichend Strom, lediglich ein Verteilungsproblem. Im Süden Deutschlands wurde zu wenig Ökostrom ausgebaut. Daher kann es in Extremsituationen dazu führen, dass ohne Atomkraftwerke temporär mehr Kohle genutzt werden muss oder Kapazitäten aus dem Ausland zugekauft werden müssen. Das sollte kein Problem sein.

Modellrechnungen zeigen, dass die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke den Strompreis kaum senken kann. Die Kosten, vor allem derzeit auch die politischen Kosten, sind ungleich höher. Routinemäßige Sicherheitschecks wurden ausgesetzt, das Atomgesetz muss geändert werden. Zudem werden die Kraftwerksbetreiber entlohnt, obwohl wir bezahlte Kohlekraftwerksreserven haben. Atomkraftwerke können Gaskraftwerke kaum ersetzen, da diese häufig neben Strom auch Wärme produzieren. Dazu sind ohnehin Kohlekraftwerke kurzfristig nötig, dazu haben wir eine Sicherheitsreserve, die wir ebenso bezahlen. Atom und Kohle in Reserve bedeutet, dass wir nun alles doppelt zahlen.

Dabei gibt es ungenutzte Erneuerbaren-Potenziale, 10 GW beantragte Windenergie könnten beispielsweise sofort ans Netz, Biomasseanlagen sollten mehr ausgelastet werden. Wir können das Verteilungsproblem auch ohne Atomkraft lösen. Mit mehr erneuerbaren Energien und einer konsequenten Energiewende.

© Der/die Autor:in 2022

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.1007/s10273-022-3306-1