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Infolge der Neuen Leipzig Charta 2020 und des allgemeinen Wandels hin zur Dienstleistungsgesellschaft gewinnt die kleingewerbliche Wirtschaftsstruktur in Städten wieder deutlich an Relevanz. Unter dem Konzept der „Produktiven Stadt“ soll das Kleingewerbe in die bestehenden verschiedenen Quartiere einer Stadt stärker integriert werden. Um das Konzept der Produktiven Stadt in die Praxis umzusetzen, bedarf es zunächst einer Typologie mit quantitativen Faktoren, die zum Ziel hat, Stadtentwicklungsprojekte der Produktiven Stadt zuzuordnen.

Ausgehend von der Neuen Leipzig Charta 2020 für die Nationale Stadtentwicklungspolitik des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB, 2020) soll Produktion und insbesondere Handwerk unter den Begriffen „Urbane Produktion“ und „Produktive Stadt“ wieder Einzug in die urbane Stadtplanung finden. In den vergangenen Jahrzehnten zog sich die industrielle Produktion zunehmend aus den Städten zurück und es vollzog sich ein Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft. Mithilfe neuer Technologien ist mittlerweile jedoch eine umwelt- und nachbarschaftsverträgliche Produktion (versus negative externe Effekte der Produktion) möglich und kann zusammen mit Wohnen sowie kulturellen und sozialen Einrichtungen ein nutzengemischtes Stadtbild schaffen. Die mit diesen Konzepten verknüpften Hoffnungen sind weitreichend und umfassen unter anderem: die Aufhebung der sektoralen Trennung im städtischen Raum, den Aufbau und die Stärkung von Wirtschaftskreisläufen sowie die Senkung des ökologischen Fußabdrucks (Nischwitz et al., 2021). Gleichzeitig soll eine Resilienz gegenüber ökonomischen Krisen geschaffen werden, indem eine diversifizierte sowie klein- und mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur eine Rolle der Stabilisierung einnehmen kann (Nischwitz et al., 2021; Runst et al., 2021).

Dies wirft zunächst die Frage auf, wie sich der sekundäre Sektor in Deutschland in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Von 2000 bis 2019 war im städtischen Raum der Sektoranteil von etwa 27,0 % (2000) auf 21,9 % (2019) rückläufig. Im ländlichen Raum kann von 2000 (31,9 %) bis 2019 (29,7 %), wenn auch abgeschwächt, eine vergleichbare Tendenz beobachtet werden (vgl. Abbildung 1). Trotz abnehmender Tendenz ist der sekundäre Sektor im städtischen Raum ökonomisch relevant (unter anderem Läpple, 2018).

Abbildung 1
Anteil der Erwerbstätigen im Sekundären Sektor an den Erwerbstätigen
Anteil der Erwerbstätigen im Sekundären Sektor an den Erwerbstätigen

Quelle: BBSR (2022).

Auch wenn der Rückgang marginal ausfällt, kann ein Abwärtstrend für das Handwerk als Teil des sekundären Sektors und Baustein der Produktiven Stadt gleichermaßen festgestellt werden. Von 2010 bis 2018 fiel der Anteil der Beschäftigten im Berufsfeld Handwerk im ländlichen Raum von 16,9 % auf 15,5 %. Im städtischen Raum kann ein Rückgang von 11,1 % auf 11,0 % festgestellt werden (BBSR, 2021). Die Zahl der Betriebe sowie die Zahl der Beschäftigten in kleineren und mittleren Unternehmen mit der Zuordnung zu dem WZ A, E38, C, G45.2 und S95 entwickelten sich im städtischen Raum rückläufig. Der Anteil der Beschäftigten des (materiellen) Gewerbes in Deutschland sank von 65 % (2000) auf 58 % (2017). Erst ab 2018 konnte mit 60 % ein kleiner Aufwärtstrend verzeichnet werden (BBSR, 2021).

Der sekundäre Sektor wie etwa das Handwerk spielt bei der Entwicklung von Regionen eine zentrale Rolle. Durch seine vielfältigen Ausbildungs- und Innovationsfunktionen kann der sekundäre Sektor zur Stabilisierung der regionalen Ausbildungsstellenmärkte beitragen und verringert dadurch regionale Disparitäten bei der Bildung von Humankapital. Gleichzeitig wird dabei zur Aufrechterhaltung und Entwicklung des Lebensstandards beigetragen (Thomä, 2016). Trotz der politischen, normativen Zielsetzung in der Neuen Leipzig Charta, die Produktion und die damit verwandten Berufsgruppen verstärkt wieder in Städten anzusiedeln, ist die Umsetzung in den Kommunen nur vereinzelt festzustellen.

Wissenschaftliche Einordnung

Während die Literatur zum Begriff Produktive Stadt noch in den Anfängen steht, ist der Begriff der Urbanen Produktion in der wissenschaftlichen Debatte definitorisch eingeführt und abgegrenzt. Daher bietet die Urbane Produktion einen Ausgangspunkt für die Aufstellung einer Typologie der Produktiven Stadt.

Der Fokus der Urbanen Produktion liegt explizit auf der Produktion in dicht besiedelten, urbanen Räumen, die ein materielles Endprodukt hervorbringt. Durch technologischen Fortschritt ist emissionsarme (im Sinne von Lärm-, Abgasemissionen und weiteren negativen Externalitäten) und ressourceneffiziente Produktion in städtischen Räumen möglich, die in lokale Wirtschaftskreisläufe und Absatzmärkte integriert werden können (Brandt et al., 2017). Dies trifft insbesondere auf das Handwerk zu, aber auch auf weiteres verarbeitendes Gewerbe sowie die urbane Landwirtschaft. Zusätzlich fallen darunter Teilbereiche der Kreativwirtschaft und Dienstleistungen, solange diese ein materielles Endprodukt herstellen (Piegeler und Spars, 2019). Die unterschiedliche Abgrenzung der Urbanen Produktion liegt in den Gewerbetypen, die zur Urbanen Produktion zählen. Ein Forschungsprojekt des BBSR spezifiziert die Wirtschaftszweige der Urbanen Produktion (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Wirtschaftszweige der Urbanen Produktion
Wirtschaftszweig Klassifikation Beispiele
Landwirtschaft WZ A Land- und Forstwirtschaft, Fischerei
Verarbeitendes Gewerbe WZ C Herstellung von Nahrungsmitteln, Getränken, Tabak sowie Textilien etc.
Reparatur von Datenverarbeitungsgeräten und Gebrauchsgütern WZ S95 Reparatur von Telekommunikationsgeräten, Gebrauchsgütern, Möbeln sowie Schmuck etc.
Baugewerbe WZ F Bauträger für Wohn- und Nichtwohngebäude, Hochbau, Bau von Straßen etc.

Quelle: BBSR (2022).

Produktive Stadt

Der Begriff Produktive Stadt beschreibt hingegen das überstehende Konzept der Nutzungsmischung zwischen Wohnen und Arbeiten, unter dem Urbane Produktion in der Stadtentwicklung integriert wird (Gärtner et al., 2021). Die Produktive Stadt bringt die Urbane Produktion mit in die Stadtentwicklung ein und erstellt somit ein Leitbild für die Verknüpfung der Urbanen Produktion mit Wohnen, um ein nutzungsgemischtes Stadtbild zu schaffen. Dieses Leitbild ist in der Neuen Leipzig Charta 2020 für die Nationale Stadtentwicklungspolitik des BMWSB (2020) verankert. Damit ist die Eingrenzung des Begriffs Produktive Stadt herausfordernd und vielfältig. Das BBSR hat einen Vergleich von 13 Studien zum Thema der Produktiven Stadt veröffentlicht, von denen ein verkürzter Auszug in Tabelle 2 wiedergegeben wird (BBSR, 2021).

Das Leitbild der Produktiven Stadt ist mit einer Bandbreite an ökonomischen, ökologischen und sozialen Erwartungen verknüpft. Durch die Urbane Produktion stehen ökonomisch vor allem lokale und regionale Wirtschaftskreisläufe im Fokus, welche die ökonomische Resilienz von städtischen Räumen erhöhen sollen (Läpple, 2018; Nischwitz et al., 2021). Durch die Zusammenführung von Gewerbe einerseits sowie Wohnraum und Arbeitsplätzen andererseits sollen kürzere räumliche Distanzen geschaffen werden, die ökologisch für Konsumnachfrage, Produktionsangebot, emissionsarme Mobilität und Wohnen mit nachhaltigen Bauweisen zentral sind. Sozial soll die Produktive Stadt hingegen ein stärkeres Miteinander, eine Verknüpfung der Nachbarschaft und die Vereinbarkeit von Wohnen und Arbeiten erreichen (Nischwitz et al., 2021).

Tabelle 2
Studien zur produktiven Stadt
Studie Hintergrund Fokus
Pratt Center (New York) (Mistry und Byron, 2011) Unterstützung von SUMS (small urban manufacturers), Jobs erhalten für Resilienz, Fokussierung auf „next economy“ mit Produktion, Export und Innovationsorientierung, statt schuldgetriebener Wirtschaft. Etablierung der Marke „Made in USA“. SUMS < 100 Beschäftigte, Produktion und Montage von Produkten; Gebrauchsgüter (Konsumgüter), Hochtechnologie (z. B. medizinische Geräte), handwerkliche Produktion (Lebensmittel, Möbel)
GIS (Gewerbe in der Stadt) (Piegeler und Spars, 2019) Statistische Messungen im Spannungsfeld Produktion, als wichtiger Wirtschaftszweig, und fehlende Flächen in der Stadtentwicklung Permanente Produktionsstandorte stadtaffiner Branchen urbaner Produktion (d. h. z. B. ohne Bauhandwerk)
IAW (Institut für Arbeit und Wirtschaft Bremen) (Nischwitz, Chojnowski und von Bestenbostel, 2021, 26) Positionierung von Bremen als produktive Stadt; breitere Definition in Anlehnung an Piegeler und Spars (2019), Sicherung klassischer und Förderung neuer, digitaler Formen einer urbanen Produktion. Dadurch regionalökonomische und beschäftigungspolitische Effekte Produktionsstandorte stadtaffiner Branchen urbaner Produktion, Einbezug verflochtener Unternehmen mit Produktion
DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) (Gornig et. al., 2018; Gornig und Voshage, 2019) Reurbanisierung der Industrie, Industrie 4.0, Strukturwandel durch Digitalisierung, Raummuster, Gründungen, Hochtechnologie und Nähe von Universitäten Low-, Medium-, Hightech (industrieorientierte Gesundheitswirtschaft, Energietechnik) Agglomerationen vs. übrige Regionen.
StEP BER (Stadtentwicklungsplan Berlin) (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen Berlin, 2020) Strategische Flächenvorsorge, zügige Flächenaktivierung, effizientere Flächennutzung, aufgrund von verringerter Verfügbarkeit von Potenzialflächen für Wirtschaftsansiedelungen. Spezifische Nachfragegruppen: innenstadtafffines Gewerbe (Teil des Handwerks und Kleingewerbes, der die räumliche Nähe zur Kundschaft in der Innenstadt sucht), Kunstproduktion, Sicherung von Flächen für produzierende Nutzungen

Quelle: BBSR (2021).

Diese weitreichenden Erwartungen, die an das Leitbild der Produktiven Stadt geknüpft werden, sind jedoch theoretischer Natur. Bedingt durch die jüngste Verabschiedung der Neuen Leipzig Charta 2020 sind bis jetzt kaum umgesetzte Projekte zu finden. Zusätzlich unterscheiden sich bisherige Umsetzungsansätze des Konzeptes durch die fehlende Eingrenzung und die vielfältigen Ziele des Konzepts selbst. Aus der Literatur lässt sich für das Konzept Produktive Stadt somit einzig festhalten:

  • Nutzungsmischung zwischen Wohnen, Gewerbe, Sozialem und Kultur
  • Hoher Anteil an Gewerbe mit Fokus auf Urbaner Produktion

Es existiert bisher jedoch keine statische Abgrenzung, welche Anteile eine Mindestvoraussetzung darstellen oder welches Verhältnis eine Nutzungsmischung im Sinne der Produktiven Stadt bedingt. Dies bedarf einer einheitlichen, neu definierten Typologie.

Typologie für die stadtökonomische Entwicklung

Der hier gewählte Ansatz einer Typologie der Produktiven Stadt hat zum Ziel Stadtentwicklungsprojekte (abgeschlossene, laufende oder geplante) dem Leitbild der Produktiven Stadt zuzuordnen. In der Literatur existiert bisher keine Typologie für die Produktive Stadt, dafür jedoch eine für die Urbane Produktion von Bathen et al. (2019), die sich im Sinne der Urbanen Produktion mit der Erfassung von Nutzflächen im städtischen Raum beschäftigt. Der Ansatz erfasst Flächen und Stadtteile, die sich im bestehenden Stadtraum aus der Perspektive der regionalen Makroökonomie für die Urbane Produktion eignen würden. Dafür werden zentrale Indikatoren genutzt, z. B. Siedlungsdichte, Nutzungsmischung, gewerblich nutzbare Fläche und Anbindungsqualität wie Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) oder Fußgängerfreundlichkeit. Da Urbane Produktion einen Teil der Produktiven Stadt ausmacht, bestehen inhaltliche Überschneidungen.

Im Gegensatz zu Bathen et al. (2019) betrachtet die Typologie die zukünftig zu entwickelnden Flächen. Die Typologie unterstützt bei den jeweiligen städtischen Zielsetzungen und der Entscheidung, ob eine Fläche überhaupt im Sinne der Produktiven Stadt entwickelt werden sollte. Dabei wird bestimmt, inwiefern sich ein Projekt im Sinne einer Produktiven Stadt einordnen lassen kann und inwiefern eine Abstufung in einen spezifischen Typ möglich ist. Dies lässt für die Umsetzung des Leitbilds sowohl eine Ex-ante-Planung anhand festgelegter Grenzwerte als auch eine Ex-post-Evaluation und Vergleichbarkeit von durchgeführten Projekten zu. Die Typologie verfolgt somit das Ziel, anhand einer Indikatorik der Stadtplanung ein Instrument anbieten zu können. Dabei lassen sich vier Typen ableiten, Grundtyp: „Produktive Stadt“ Subtypen: „Wohnen und Arbeiten“, „Wohnen und Arbeiten mit Fokus produzierendes Gewerbe“, „Nur Produktion“.

Quantitative Faktoren

Für diesen ersten Ansatz einer Typologie werden die zwei übergeordneten Kategorien der Nutzungsmischung und der Urbanität vorangestellt. Die Nutzungsmischung wird jeweils über die Flächenanteile von Wohnen und Gewerbe festgelegt. Urbanität wird hingegen über die Siedlungsdichte in dem jeweiligen Projekt definiert. Diese Siedlungsdichte wird auch von den Stadtteilen erfasst, um eine Einbindung zu ermöglichen. Eine Übersicht der Subtypen und deren verbundene Grenzwerte der verschiedenen Indikatoren findet sich in Tabelle 3. Bei der Nutzungsmischung wird der Gesamtflächenanteil als Bruttogeschossfläche gemessen und umfasst den Anteil jeglicher Gewerbe- und Dienstleitungen an der Gesamt(nutzungs-)fläche. Der Wohnflächenanteil wird ebenfalls mit der Bruttogeschossfläche gemessen und ergibt sich aus dem Anteil der Wohnfläche an der Gesamt(nutzungs-)fläche.

Tabelle 3
Ansatz einer Typologie der Produktiven Stadt
Typ Nutzungsmischung Urbanität
Wohnen Gewerbe davon mind. Urbane Produktion (%) Siedlungsdichte Makrozentralität1 Mikrozentralität2
Anteil an der BGF (%) im Projekt im Bezirk
Produktive Stadt 50 50 30 ≥ Median ≥ Median Alle Stadtlagen Erreichbarkeit Stadtteilzentren
Wohnen und Arbeiten 40 60 30 ≥ Median ≥ Median Innenstadtrand/Stadtrand Erreichbarkeit Stadtteilzentren
Wohnen und Arbeiten, Fokus produzierendes Gewerbe 50 50 50 ≥ Median ≥ Median Innenstadtrand/Stadtrand Erreichbarkeit Stadtteilzentren
Nur Produktion 0 100 70 ≥ Median ≥ Median Innenstadtrand/Stadtrand Erreichbarkeit Stadtteilzentren

BGF = Bruttogeschossfläche. 1 Die Makrozentralität nach der IRB Lagetypen des BBSR teilt die Ortsteile in die aufgeführten Bereiche ein und spezifiziert dadurch die unterschiedlichen Typen der Produktiven Stadt. 2 Die Mikrozentralität beschreibt die Nähe zu den nächsten Stadtteilzentren.

Quelle: Projektergebnisse HWWI (2022).

Die aufgeführten Grenzwerte in der Typologie stellen Mindestwerte dar, die nach oben keine Grenzen setzen. Für den Grundtyp „Produktive Stadt“ wurde bei der Gewerbefläche ein Anteil von 50 % festgelegt, beim Subtyp „Wohnen und Arbeiten im Quartier mit Fokus produzierendes Gewerbe“ liegt dieser Grenzwert bei 60 %, da hier der Fokus auf dem Produktiven Faktor des Quartiers liegt. Dies stellt einen Kontrast zu dem Typ „Wohnen und Arbeiten im Quartier“ dar, wo die integrative Nutzungsmischung im Vordergrund steht. Auch der Sondertyp „Nur Produktion“ weicht mit einem Gewerbeflächenanteil von 100 % von den restlichen Subtypen ab. Dieser Typ wurde in die Typologie aufgenommen, um auch Gewerbegebiete ohne weitere Mischnutzung im Sinne der Produktiven Stadt erfassen zu können. Entscheidend ist hierbei jedoch, dass die umliegenden Quartiere in die Betrachtung einbezogen werden. Die Grenzwerte des Wohnflächenanteils ergeben sich als Restgröße.

Eines der zentralen Elemente der Produktiven Stadt ist die urbane Produktion, insbesondere das Handwerk, weswegen in der Einordnung zusätzlich zum Gewerbeflächenanteil ein Mindestniveau an urbaner Produktion eingeführt wurde. Diese Grenzwerte liegen bewusst in einem hohen Bereich, um dem Charakter der urbanen Produktion gerecht zu werden. Für den Grundtyp „Produktive Stadt“ gilt der allgemeine Mindestgrenzwert 30 %. Für die weiteren Subtypen mit Fokus auf urbane Produktion wurden diese bewusst höher angesetzt.

Ein Quartier der produktiven Stadt benötigt jedoch ein Mindestmaß an Urbanität, um als Standort der urbanen Produktion zu gelten. Im Rahmen der Urbanität wurde deswegen unter anderem die Siedlungsdichte als Variable herangezogen. Diese wird in Einwohnern je Hektar erfasst und anschließend anhand von Quantilen der Ortsteile, die angeben, wie viele Ortsteile sortiert nach der Siedlungsdichte über bzw. unter diesem Grenzwert liegen (1. Quartil = ¼; Median = ½; 3. Quartil = ¾), eingeordnet. Daraus wurden anschließend die Kategorien hoch (3. Quantil), mittel (Median) und niedrig (1. Quantil) gebildet. Die Mindestdichte aller Typen liegt im Median. Die zusätzliche Einordnung der Siedlungsdichte im Ortsteil soll vor allem eine Einordnung und Eingliederung des Quartiers in das umliegende Gebiet ermöglichen. Hier sind die Grenzwerte an die Siedlungsdichte im Quartier angelehnt.

Neben der Siedlungsdichte wurde auch die Zentralität berücksichtigt. Die Makrozentralität wird mithilfe der IRB Lagetypen des BBSR (2021) eingeordnet. Diese unterteilen die Ortsteile grundsätzlich in drei Bereiche: Innenstadt, Innenstadtrand und Stadtrand. Diese Unterteilung soll vor allem zur Spezifizierung der spezifischen Typen Produktiver Stadt dienen und nicht zum Ausschluss bestimmter Gebiete führen. Daher lässt der Grundtyp „Produktive Stadt“ alle Lagetypen zu. Die Subtypen können bis auf „Nur Produktion“ alle in der Innenstadt oder am Innenstadtrand angesiedelt werden.

Die Einordnung der Makrozentralität ist zentristisch und kann lokale Zentren und Ballungsräume nicht erfassen. Daher wird zusätzlich die Mikrozentralität bestimmt. Dieser Indikator stellt die Nähe zu den nächsten Stadtteilzentren dar und ist eine Annäherung der Einordnung der Quartiere innerhalb der Stadtteile. Dafür wird für jedes Quartier die Fahrtzeit mit (1) dem Auto, (2) dem Fahrrad sowie (3) ÖPNV/zu Fuß zu den nächsten beiden Stadtteilzentren ermittelt. Von diesen Fahrtzeiten werden die schnellsten beiden je Stadtzentrum für jedes Stadtteilzentrum gesondert gemittelt und anschließend gewichtet. Dabei geht das nächste Stadtteilzentrum mit 2/3-Gewicht ein und das übernächste mit 1/3. Der finale Wert gibt somit die mittlere Erreichbarkeit der nächsten beiden Stadtteilzentren an und dient als Indikator für die Lage des Quartiers in den Stadtteilen.

Fazit

Jede Stadt besitzt eigene demografische und infrastrukturelle Voraussetzungen, die bei einer Umsetzung der Produktiven Stadt der Leipzig Charta diese vor unterschiedlichste Herausforderungen stellt. Die Neue Leipzig Charta 2020 ist aktueller denn je, Städte stehen vor enormen multiplen Herausforderungen, die sich aus Klimawandel und Extremwetterereignissen, Demografie-Druck wie Fachkräftemangel, Wandel hin zu FuE-intensive Industrien (Belitz, 2022; Gehrke et. al., 2009) und Niedergang der Innenstädte durch COVID-19 und Digitalisierung (Goecke und Rusche, 2022) ergeben. Das Leitbild der Produktiven Stadt im Rahmen der Neuen Leipzig Charta 2020 für die Nationale Stadtentwicklungspolitik des BMWSB (2020) verknüpft somit die Herausforderungen einer sich wandelnden Arbeits- und Produktionswelt und schafft einen neuen strukturellen Rahmen für die Stadtentwicklung, in dem das Leben der Stadt von morgen neu gedacht wird. Trotz dieser Zielsetzung liegt die Anwendung und Umsetzung dieses Konzeptes in der Stadtentwicklung noch in den Anfängen.

Die Typologie hat gezeigt, dass die quantitativen Indikatoren, sich alle primär der Urbanen Produktion zuordnen lassen. Die Einordnung der Produktiven Stadt ergibt sich anschließend als Kombination der Urbanen Produktion und weiteren Merkmalen. Dies zeigt gleichzeitig, dass die Urbane Produktion vor allem deshalb bereits wissenschaftlich eingeordnet ist, da sich die Grenzen dieses Konzeptes definieren und mit messbaren Indikatoren bestimmen lassen. Mit dem Konzept der Produktiven Stadt hingegen werden eine Vielzahl an Eigenschaften und Erwartungen verknüpft, die schwieriger zu erfassen und einzuordnen sind. Auch die Neue Leipzig Charta dient eher als übergeordnetes Leitbild, beinhaltet jedoch keine konkreten Vorgaben, sodass auf dem Gebiet der Produktiven Stadt noch weitere, vertiefende Forschung und Anwendungen von Typologien zur Konkretisierung notwendig sind. Zukünftig könnten diesbezüglich Fragen von stadtspezifischen Unterschieden oder die Umsetzung des Konzepts in mittleren Städten an Bedeutung gewinnen.

Der Artikel ist im Rahmen des Projektes „Strategie zur Entwicklung von Neuen Orten der Produktiven Stadt in der Stadt Bremen“ (2021-2022) entstanden, in dem im Verbund mit der Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa (SWAE), der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau (SKUMS), der Bremer Innovations- und Entwicklungsgesellschaft (BIE) sowie dem Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) eine Strategie der Produktiven Stadt entwickelt wurde.

Literatur

Bathen, A., J. Bunse, S. Gärtner, K. Meyer, A. Lindner, S. Schambelon, M. Schonlau und S. Westhoff (2019), Handbuch Urbane Produktion.

Belitz, H. (2022), Forschung in der deutschen Industrie: hohe Intensität, aber geringe Dynamik, DIW-Wochenbericht, 45, 580-589.

Brandt, M., S. Gärtner und K. Meyer (2017), Urbane Produktion – ein Versuch einer Begriffsdefinition, Forschung Aktuell, 8.

BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) (2022), Neue Räume für die produktive Stadt, https://www.bbsr.bund.de (26. August 2022).

BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Hrsg.) (2021), Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung, INKAR.

BMWSB – Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (Hrsg.) (2020), Neue Leipziger Charta 2020, Die transformative Kraft der Städte für das Gemeinwohl, Verabschiedet beim Informellen Ministertreffen Stadtentwicklung am 30. November.

Gärtner, S., K. Meyer und D. Schlieter (2021), Produktive Stadt und Urbane Produktion: Ein Versuch der Verortung anhand der Neuen Leipzig Charta 2020, Forschung Aktuell, 4.

Gehrke, B., H. Legler, M. Leidmann und K. Hippe (2009), Forschungs- und wissensintensive Wirtschaftszweige: Produktion, Wertschöpfung und Beschäftigung in Deutschland sowie Qualifikationserfordernisse im europäischen Vergleich, Studien zum deutschen Innovationssystem, Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) (Hrsg.), 3.

Goecke, H. und C. Rusche (2022), Coronapandemie: Auswirkungen auf den Einzelhandel in den Innenstädten, Wirtschaftsdienst, 102(4), 298-302, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/4/beitrag/coronapandemie-auswirkungen-auf-den-einzelhandel-in-den-innenstaedten.html (9. Januar 2023).

Läpple, D. (2018), Perspektiven einer produktiven Stadt, in K. Schäfer (2018), Aufbruch aus der Zwischenstadt, 151-176.

Nischwitz, G., P. Chojnowski und M. von Bestenbostel (2021), Urbane Produktion für eine Produktive Stadt Bremen – Eine Chance für mehr Beschäftigung?, Reihe Arbeit und Wirtschaft in Bremen, 34.

Piegeler, M. und G. Spars (2019), Urbane Produktion – Konzept und Messung, Schumpeter Discussion Papers, Universität Wuppertal.

Runst, P., J. Thomä, K. Haverkamp und T. Proeger (2021), Kleinbetriebliche Wirtschaftsstruktur – ein regionaler Resilienzfaktor in der Corona-Krise?, Wirtschaftsdienst, 101(1), 40-45.

Thomö, J. (2016), Handwerksunternehmen im Fokus der Regionalförderung?, Wirtschaftsdienst, 96(12), 916-920, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2016/heft/12/beitrag/handwerksunternehmen-im-fokus-der-regionalfoerderung.html (9. Januar 2023).

Title:The Productive City: a Classification and Typology for the Further Development of Cities

Abstract:As a result of the New Leipzig Charter 2020 and the general shift towards a service society, the small business economic structure in cities is once again becoming significantly more relevant. Under the concept of the “Productive City”, small businesses are to be integrated more strongly into the existing various neighborhoods of a city. In order to implement the concept of the Productive City in practice, a typology with quantitative factors is needed to assign completed, ongoing and future urban development projects to the Productive City.

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© Der/die Autor:in 2023

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