In der Märzausgabe 2024 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz mit dem Titel „Inflationsberechnung: Zinspolitik der EZB wird als Inflationstreiber statistisch nicht erfasst“ von Johannes Schwanitz. Manuel Rupprecht vertritt in einer Replik eine andere Auffassung. Im Anschluss erläutert Johannes Schwanitz seinen Standpunkt in einer Erwiderung
Replik zum Beitrag „Inflationsberechnung: Zinspolitik der EZB wird als Inflationstreiber statistisch nicht erfasst“
In der Märzausgabe 2024 veröffentlichte der Wirtschaftsdienst einen Aufsatz mit dem Titel „Inflationsberechnung: Zinspolitik der EZB wird als Inflationstreiber statistisch nicht erfasst“ von Johannes Schwanitz. Manuel Rupprecht vertritt in einer Replik eine andere Auffassung. Im Anschluss erläutert Johannes Schwanitz seinen Standpunkt in einer Erwiderung.
Johannes Schwanitz thematisiert in seinem Aufsatz mit dem Titel: „Inflationsberechnung: Zinspolitik der EZB wird als Inflationstreiber statistisch nicht erfasst“ den kräftigen Anstieg der Notenbankzinsen seit Mitte 2022 als Reaktion auf die Rückkehr der Inflation im Euroraum.
Seiner Auffassung nach sind Zinserhöhungen in diesem Umfang keine sinnvolle Reaktion auf den jüngsten Preisauftrieb. Vielmehr wirkten sie selbst als „Inflationstreiber“, und zwar über zwei Kanäle: (1) indirekt im Rahmen der geldpolitischen Transmission (z. B. weil Unternehmen höhere Finanzierungskosten durch Güterpreissteigerungen kompensierten), und (2) direkt, da private Haushalte auch selbst von steigenden Finanzierungskosten betroffen seien, insbesondere in Form von Kreditzinsen, was zu höheren Ausgaben führe. Doch während (1) bei der Berechnung des Verbraucherpreisindexes (VPI) und der darauf basierenden Inflationsrate berücksichtigt werde, sei (2) statistisch nicht erfasst. Das sei aus ökonomischer Sicht „nicht haltbar“, die offiziell ausgewiesene Inflationsrate mithin zu niedrig. Johannes Schwanitz schlägt deswegen einen Ansatz zur Berechnung einer „erweiterten Inflationsrate“ vor, bei dem auch die direkten Auswirkungen des Zinsanstiegs für die privaten Haushalte angemessen berücksichtigt werden sollen.
Schwanitz hat zweifellos recht mit seiner Feststellung, dass das Tempo des jüngsten Zinsanstiegs hierzulande ungewöhnlich hoch war (anderswo im Übrigen auch). Richtig ist ferner, dass diese Zinssteigerungen ihre preisdämpfenden Wirkungen – abgesehen von der Erwartungsbildung – primär über eine Reduktion der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage entfalten; ein fundiertes Verständnis der Inflationsursachen ist für die Ableitung der geldpolitischen Reaktion daher zentral. Und es stimmt auch, dass Zinserhöhungen unter bestimmten Umständen zu Güterpreiserhöhungen führen können, auch wenn der konkrete Zusammenhang unbestimmt und von zahlreichen Aspekten abhängig ist (Güterart, Branche, Wettbewerbsumfeld, Finanzierungssituation des Unternehmens, steuerliche Rahmenbedingungen usw.). Doch dass es diesen „indirekten“ (1) Einfluss grundsätzlich gibt, ist unter Ökonomen unstrittig.
Nicht überzeugen kann hingegen sowohl die Argumentation zugunsten einer Berücksichtigung von Kanal (2) in der VPI-Berechnung als auch der darauf basierende Vorschlag einer „erweiterten Inflationsrate“. Dagegen sprechen mindestens drei Gründe.
Erstens die Definition des VPI und dessen originäre Messabsicht: Im jüngsten Bericht des Statistischen Bundesamts (2024) zum Thema heißt es im ersten Satz: „Der Verbraucherpreisindex für Deutschland (VPI) misst die durchschnittliche Preisveränderung aller Waren und Dienstleistungen, die von privaten Haushalten für Konsumzwecke gekauft werden.“ Es geht also um die Konsumausgaben privater Haushalte, nicht um all ihre Ausgaben für die private Lebensführung. Konsum wiederum bedeutet im ökonomischen Sinne die Verwendung von Waren und Dienstleistungen zur unmittelbaren Befriedigung von Bedürfnissen. Welche das im Einzelnen sind (Nahrung, Schlaf, Mobilität etc.), ist höchst individuell und unter anderem vom Einkommen und Vermögen eines Haushalts abhängig (Gürer & Weichenrieder, 2020).
Das zur VPI-Berechnung genutzte – und von Schwanitz kritisierte – Wägungsschema reflektiert das mittlere Konsumverhalten deutscher Privathaushalte, die Inflationsrate also die Preisentwicklung der im Durchschnitt erworbenen Konsumgüter. Abweichungen davon sind auf Haushaltsebene eher die Regel denn die Ausnahme, weswegen sich einzelne Haushalte – wie von Schwanitz richtig erkannt – durchaus mit höheren Preissteigerungen bei ihrem Konsumgüterbündel konfrontiert sehen können als es die offiziell ausgewiesene (mittlere) Inflationsrate erwarten ließe. Angesichts der Durchschnittsbetrachtung des VPI gilt das Argument allerdings in beide Richtungen, d. h. es gibt auch Haushalte mit geringeren Preissteigerungen. Wie sich diese Heterogenität im jüngsten Inflationsumfeld dargestellt hat, zeigen unter anderem Schulze Düding et al. (2022).
Dass bei einem Teil der Haushalte aber gestiegene Kreditzinsausgaben für eine höhere Inflationsrate verantwortlich sein sollen, ist in diesem Zusammenhang aus ökonomischer Sicht höchst fragwürdig. Zinsausgaben befriedigen nicht per se ein Bedürfnis. Sie sind der Preis für die zur Bedürfnisbefriedigung in Anspruch genommene Fremdfinanzierung, also Mittel zum Zweck. Im Zentrum steht die Preisentwicklung von Konsumgütern, unabhängig davon, wie deren Erwerb finanziert wird (Einkommen, Vermögen, Verschuldung etc.). Die von Schwanitz vorgenommene pauschale Gleichstellung von Kreditzinsen mit „Mietzinsen“ ist deswegen unangemessen, dienen Letztere doch eindeutig der Bedürfnisbefriedigung (Wohnbedürfnis) und sind deswegen völlig zurecht im VPI enthalten. Begriffliche Übereinstimmungen bedeuten nicht automatisch inhaltliche Kongruenz.
Die einzig plausible Ausnahme stellt die Bemessung der Ausgaben für das selbst genutzte Wohneigentum dar. Unter bestimmten Umständen ist es ökonomisch angemessen, zu diesen Ausgaben (Reparaturen, Gebäudeversicherung etc.) auch die Zinszahlungen für etwaige Kreditverbindlichkeiten zu zählen (Poterba, 1984; Hill et al., 2023).1 Dagegen spricht allerdings, dass der private Immobilienerwerb aus ökonomischer Sicht nicht nur Konsum-, sondern auch Investitionscharakter hat (Dany-Knedlik & Papadia, 2021). Schließlich dienen die Zinszahlungen neben der Befriedigung des Wohnbedürfnisses hier auch dem Erwerb eines Vermögensgegenstands.2 Darüber hinaus besteht auch der Zins selbst aus mehreren Komponenten (Risikoprämie, Dienstleistungsentgelt, Inflationserwartungen etc.). Davon wiederum passen nur einige konzeptionell zum VPI. Hier sauber zu differenzieren, ist methodisch schwierig, weswegen der Internationale Währungsfonds (IWF et al., 2020) schon allein deswegen empfiehlt, Zinszahlungen nicht in den VPI aufzunehmen.3 Und schließlich würde eine Berücksichtigung von Hypothekenzinsen im VPI dessen Nutzen für geldpolitische Zwecke deutlich reduzieren, da Zielgröße (Preisstabilität) und Steuerungsinstrument (Zinsen) direkt miteinander vermischt würden (was Schwanitz im Übrigen sogar selbst erkennt). Genau dieser Nutzen gehört jedoch zu den zentralen Motiven einer VPI-Berechnung, weswegen sich Methodik-Experten für die Verwendung eines alternativen Ansatzes zur Bemessung der Ausgaben für selbstgenutztes Wohneigentum aussprechen (Eurostat, 2023).4 In Deutschland wird etwa der sogenannte Mietäquivalenzansatz im VPI genutzt (Hagenkort-Rieger & Sewald, 2021).
Zweitens führt Schwanitz Vorschlag, das Wägungsschema um Ausgaben für Kreditzinsen aller Art zu ergänzen, zu einer Verzerrung. So erkennt er zwar zurecht, dass höhere Zinsen für sich genommen zu höheren Kapitalkosten führen. Was aber ist mit anderen Einflussfaktoren auf diese Kosten, z. B. Abschreibungen oder Subventionen? Beeinflussen diese nicht auch (direkt oder indirekt) die Ausgaben privater Haushalte? Selbst wenn sich alle genannten Aspekte in Bezug auf das selbst genutzte Wohneigentum lösen ließen – was unwahrscheinlich ist – und man Schwanitz diesbezüglicher Argumentation folgt, müssten sämtliche Kapitalnutzungskosten berücksichtigt werden, um eine solche Verzerrung zu vermeiden – also auch jene, die zu geringeren Ausgaben führen (z. B. Subventionen). Allein dies dürfte die Auswirkungen von Zinssteigerungen auf eine „erweiterte Inflationsrate“ deutlich geringer ausfallen lassen als von Schwanitz geschätzt.
Drittens ist die von Schwanitz getroffene Annahme einer „vollständigen Durchdringung des Kreditbestands mit den gestiegenen Kreditzinsen“ und die darauf basierende Berechnung des „Inflationseffekts“ der Zinswende ein denkbar unwahrscheinliches Szenario. Zum einen sinken die Zinsen bereits wieder, zum anderen haben Privathaushalte das Umfeld niedriger Zinsen geschickt genutzt und sich diese langfristig gesichert. Gemäß den Angaben der Deutschen Bundesbank (2023) war der Anteil der Haushalte, deren Kreditzinsen für zehn Jahre und länger fixiert sind, am Beginn der Zinswende mit 50 % so hoch wie nie zuvor seit Einführung des Euro. Natürlich gilt das nicht für alle, d. h. für bestimmte Haushalte wird die Zinswende zweifellos schon bald zu höheren Zinsausgaben führen oder hat dies bereits getan. Die Aussage, wonach sich „die 7,3 Mio. Haushalte mit Wohnungsbaukrediten […] große Sorgen über die dramatischen Steigerungen ihrer Finanzierungskosten“ machen, erscheint vor diesem Hintergrund jedoch – vorsichtig formuliert – übertrieben. Gleiches gilt für die ermittelte „erweiterte Inflationsrate“.
Zu dieser Kritik an der methodischen Erweiterung des VPI und ihrer inhaltlichen Begründung kommen weitere inhaltliche Schwächen in der Argumentation. So wird etwa unterstellt, dass der Anstieg der Inflationsrate allein auf einen „historischen Angebotsschock“ zurückzuführen sei; dass das nicht stimmt, zeigen z. B. Goncalves und Köster (2022). Des Weiteren werden Zusammenhänge mitunter recht einseitig oder (zu) stark vereinfacht dargestellt, z. B. wenn behauptet wird, dass die derzeitige Wachstumsschwäche Deutschlands wesentlich auf die Geldpolitik zurückzuführen sei. Unbeteiligt ist sie sicher nicht, insbesondere im Bereich der Bauwirtschaft. Doch dass das geringe Wirtschaftswachstum tatsächlich primär auf andere Faktoren (z. B. die wirtschaftspolitische Unsicherheit) zurückzuführen ist, lässt sich unter anderem im Frühjahresgutachten des Sachverständigenrates (2024) nachlesen. Und dass die Geldpolitik für die Entwicklungen in bestimmten Industrien verantwortlich sei oder diese bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen habe, weil dortige Investitionen „dringend benötigt“ würden oder sie für „Wohlstand und sozialen Frieden“ wichtig seien, ist schon allein im Lichte des Mandats der EZB (Vorrang der Preisstabilität) abwegig.
Kurzum: Natürlich kann man über die Berechnung von VPI, Inflationsrate und deren Verwendung diskutieren. Man kann z. B. die Art und Weise kritisieren, wie Qualitätsverbesserungen bei Konsumgütern bei der Preisentwicklung im VPI berücksichtigt werden (Schnabl, 2020), fragen, ob die Geldpolitik wirklich (nur) auf den VPI und nicht (auch) auf andere Preisindikatoren achten sollte (z. B. den BIP-Deflator, Wieland, 2024) oder alternative Konzepte zur Messung der Lebenshaltungskosten privater Haushalte vorschlagen (Tödter & Ziebarth, 2021). Bei all dem ist es jedoch wichtig, stets Ziel, Konzept und Komplexität der Zusammenhänge zu berücksichtigen. Andernfalls drohen methodische Inkonsistenzen, inhaltliche Fehlschlüsse und gegebenenfalls sogar falsche Politikempfehlungen.
Der Autor dankt Oliver Lerbs, Nina Michaelis, Reimund Mink, Karl-Heinz Tödter und Gerhard Ziebarth für angeregte Diskussionen und hilfreiche Kommentare zum Artikel. Alle verbleibenden Fehler sind allein die Verantwortung des Autors.
- 1 Zu den Umständen gehört unter anderem die Annahme, dass die Grenzkosten des Wohneigentums dem Grenznutzen der „Housing Services“ (also der Marktmiete für ein vergleichbares Objekt) entsprechen
- 2 Die pauschale Klassifikation aller Ausgaben für selbstgenutztes Wohneigentum (einschließlich Tilgungs- und Zinszahlungen) als Konsumausgaben wäre daher unzutreffend. Eine übliche Approximation zur Differenzierung der Konsum- und Investitionsausgaben besteht in Form einer getrennten Betrachtung der Ausgaben für das Grundstück und den Wohnraum an sich. Für ausführliche methodische Hinweise siehe Eurostat (2023).
- 3 Konkret heißt es in Ziffer 2.153: „Given the complexity of interest flows and the fact that the different flows need to be treated differently, payments of nominal interest should not be included in a CPI, especially in inflation conditions.“v
- 4 Die EZB selbst hat sich dieser Frage im Rahmen ihres jüngsten Prozesses zur Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie gewidmet. Dabei wurden verschiedene Konzepte zur Berücksichtigung der Kosten des selbstgenutzten Wohneigentums erwogen; bisher wird diese Komponente im europaweit Harmonisierten VPI (HVPI) gar nicht erfasst. Von den vier zur Wahl stehenden Ansätzen wurde schlussendlich ein Ansatz zur näheren Prüfung empfohlen – und zwar einer ohne Zinszahlungen (EZB, 2021).
Literatur
Dany-Knedlik, G. & Papadia, A. (2021). Berücksichtigung von selbstgenutztem Wohnen im Preisindex kann Glaubwürdigkeit der EZB stärken. DIW Wochenbericht, 88(49), 795–802.
Deutsche Bundesbank. (2023). Finanzstabilitätsbericht.
Eurostat. (2023). Owner-occupied housing and the harmonized index of consumer prices. Statistical Working Papers. https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-statistical-working-papers/w/ks-tc-23-001
EZB – Europäische Zentralbank. (2021). Inflation measurement and its assessment in the ECB’s monetary policy strategy review. Occasional Paper Series, (265).
Goncalves, E. & Köster, G. (2022). The role of demand and supply in underlying inflation – decomposing HICPX inflation into components. ECB Economic Bulletin, (7), 70–75.
Gürer, E. & Weichenrieder, A. (2020). Inflation, Inflationsmessung und Zentralbankpolitik. Wirtschaftsdienst, 100(11), 834–838.
Hagenkort-Rieger, S. & Sewald, N. (2021). Theoretische und praktische Ansätze der Inflationsmessung in Zeiten der Corona-Pandemie. WISTA – Wirtschaft und Statistik, 73(1), 19–33.
Hill, R. J., Steurer, M. & Waltl, S. R. (2023, 13. Mai). Owner-Occupied Housing, Inflation, and Monetary Policy. Journal of Money, Credit and Banking. https://doi.org/10.1111/jmcb.13059
IWF – Internationaler Währungsfonds, International Labor Organization, Eurostat, UNECE, OECD & Weltbank. (2020). Consumer Price Index Manual – Concepts and Methods. IMF Publication Services.
Poterba, J. M. (1984). Tax Subsidies to Owner-Occupied Housing: An Asset-Market Approach. Quarterly Journal of Economics, 99(4), 729–752.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. (2024). Frühjahrsgutachten.
Schnabl, G. (2020). Die Inflationsmessung erzeugt die Illusion der stabilen Kaufkraft. Wirtschaftsdienst, 100(11), 838–841.
Schulze Düding, J., Kritikos, A., Morales, O. & Priem, M. (2022). Untere Einkommensgruppen noch gezielter entlasten. Wirtschaftsdienst, 102(8), 590–594.
Statistisches Bundesamt. (2024, April). Statistischer Bericht – Verbraucherpreisindex für Deutschland – lange Reihen ab 1948 [Dataset]. https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/Publikationen/Downloads-Verbraucherpreise/statistischer-bericht-verbraucherpreisindex-lange-reihen-5611103241045.xlsx
Tödter, K.-H. & Ziebarth, G. (2021). Lifetime cost of living and effective prices: theorey and evidence for Germany. Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 241(1), 29–69.
Wieland, V. (2024, 15. Februar). Erledigt ist das Thema Inflation noch nicht. Frankfurter Allgemeine Zeitung. https://www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/oekonom-wieland-im-interview-kann-man-dem-rueckgang-der-inflation-trauen-19518662.html
Eine Erwiderung auf die Replik von Manuel Rupprecht
Zwei Jahre nach dem historisch schnellsten Zinsanstieg auf das höchste Zinsniveau der EZB-Geschichte kommt die EZB (2024) zu dem Ergebnis, dass mit einem Anteil von 75 % „Angebotsschocks als Ursache für die Abweichung der Inflationsrate von ihrem Mittelwert“ gelten können.1 Im Erstbeitrag wurde vor dem Hintergrund der Anpassungsreaktionen über den Zinskanal die Frage gestellt, ob und inwieweit das bestehende offizielle statistische Berichtswesen zum einen in der Lage ist, die Preise erhöhenden Auswirkungen der Leitzinserhöhung auf die Wirtschaft sowie die Haushalte aufzuzeigen. Zum anderen wurde problematisiert, dass insbesondere die teils drastisch gestiegenen Zinsausgaben für ca. 7 Mio. Haushalte mit Immobilienkrediten in Höhe von ca. 1.500 Mrd. Euro in Deutschland anders als Mietzinsen nicht im Verbraucherpreisindex (VPI) berücksichtigt werden. Dies erfolgte mit einer ersten quantitativen Abschätzung, um eine Transparenz im Sinne des Verursachungsprinzips herzustellen, damit Konsequenzen in der Öffentlichkeit und Politik datengestützt diskutiert werden können.
(Kredit-)Zinsen als pagatorische und kalkulatorische Preistreiber
In seiner Replik stimmt Rupprecht darin überein, dass Zinserhöhungen grundsätzlich einen preiserhöhenden Einfluss auf Konsumgüter haben können. Konsens besteht auch darin, dass die EZB bei unsachgemäßer Anwendung die Auswirkungen ihrer eigenen Beschlüsse zum Anlass nehmen könnte, weitere preiserhöhende Maßnahmen zu veranlassen. Eine Feuerwehr, die statt Wasser auch Brandbeschleuniger verwendet, könnte ein Sinnbild dafür sein.
Zinsen als Aufwendungen und Erträge
Auf die im Erstbeitrag genannte Größenordnung der von der Bundesbank berechneten gestiegenen Zinsaufwendungen in deutschen Unternehmen um ca. 13,7 Mrd. Euro von 2021 zu 2022 (Bundesbank, 2023a) geht Rupprecht nicht weiter ein, obwohl diese offenbar vollständig über höhere Preise kompensiert wurden und eine erste Evidenz auf die Kausalkette „Steigende Zinsen führen (auch) zu steigenden Preisen“ anzeigt. Betrachtet man den Anstieg sämtlicher Zinserträge aller Kreditinstitute in Deutschland insbesondere vor dem Hintergrund, dass diese erst im zweiten Halbjahr 2022 erfolgten, zeigt sich zudem eine beachtliche Erhöhung des durchschnittlichen Aktivzinses um 18 Basispunkte, d. h. 35 Mrd. Euro (Bundesbank, 2023a). Auch wenn nicht alle Zinserträge in Höhe von 167 Mrd. Euro aus dem Kundengeschäft erwirtschaftet werden, wird deutlich, welche Mehrkosten über alle Wertschöpfungsstufen hindurch letztlich zu Preiseffekten für die Haushalte führen können (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1
Veränderung von Bilanzsumme, Zinserträgen und Aktivzins aller Kreditinstitute in Deutschland
2021 | 2022 | Differenz | |
---|---|---|---|
Bilanzsumme (Mrd. Euro) | 9.476 | 10.609 | +1.133 |
Zinserträge (Mrd. Euro) | 132 | 167 | +35 |
Durchschnittlicher Aktivzins (%) | 1,39 | 1,57 | +0,18 |
Quelle: Bundesbank (2023a).
Daher soll im Folgenden eine weiterführende, erste Abschätzung für das Jahr 2023 erfolgen, weil erst dann das erhöhte Zinsniveau bei vielen Kreditarten – je nach auslaufender Festzinsbindung – schlagend wurde. Dadurch, dass die Bundesbank regelmäßig (erst) im September eines Jahres detaillierte Daten über die „Ertragslage der deutschen Kreditinstitute“ in ihrem Monatsbericht veröffentlicht, sollen dazu bei ausgewählten Institutsgruppen auf Basis der mittlerweile abgehaltenen Bilanz-Pressekonferenzen im Frühjahr 2024 erste Näherungen erfolgen. So verdoppelten sich die Zinserträge allein bei nur vier Banken2 von 2022 auf 2023 um 53,5 Mrd. Euro auf 106,9 Mrd. Euro bei annähernder Konstanz des Volumens – und das ohne die Sparkassen als mit Abstand größter Institutsgruppe.3 Es stellt sich erneut die Frage, warum solche erheblichen Mehrausgaben für Unternehmen und Haushalte in den für Zinsentscheidungen primär relevanten statistischen Berichten nicht vorgesehen sind und dadurch die Gefahr eines Zirkelschlusses mit „falschen Politikempfehlungen“ immanent ist.
Es wird auch deutlich, wie wichtig Leitzinserhöhungen über den Zinskanal für die Gewinne der Banken sind. Insbesondere durch erstens verzögerte sowie zweitens aktiv- und passivseitige asymmetrische Anpassungen gelingt es den Banken, den Zinsüberschuss bei Zinserhöhungen zu steigern.4 Exemplarisch soll daher bei zwei ausgewählten Produkten das Zinsanpassungsverhalten der Banken mit dem sogenannten Elastizitätsdiagramm näher analysiert werden (Schwanitz, 1996). Hierbei wird der zeitliche Verlauf kausal abhängiger Größen in ein Streuungsdiagramm überführt mit der Besonderheit, dass die einzelnen Datenpunkte in zeitlicher Reihenfolge miteinander verbunden werden.5 In Abbildung 1 sind die Zinsen für kurzfristige Unternehmenskredite, Sichteinlagen und der als Referenzzins für den Geldmarkt gebräuchliche 3-Monats-Euribor von 2003 bis 2024 als Zeitreihen (vgl. Abbildung 1 oben) und im Elastizitätsdiagramm (vgl. Abbildung 1 unten) dargestellt.6 Die Linienverläufe im Elastizitätsdiagramm können typische Muster aufweisen, mit denen sich dynamische Reaktionen identifizieren lassen. So weisen etwa Schleifen auf Anpassungsverzögerungen hin, die häufig zur temporären Margenausweitung genutzt werden. Seit Mitte 2023 erfolgte die Zinsreaktion bei den Unternehmenskrediten sogar überproportional mit einer Elastizität größer eins – ganz im Gegensatz zur verzögerten Anpassung in der Zinssenkungsphase von 2012 bis 2019. Die Zinsmargen konnten durch diese Windfall-Profits regelmäßig ausgeweitet werden.
Abbildung 1
Zinsanpassungsreaktion im Elastizitätsdiagramm, 2024
Quelle: Bundebank (2024).
Insgesamt scheinen Finanzdienstleister zu den sehr wenigen großen Profiteuren der Zinswende zu gehören. Gleichwohl sehen auch sie die Zinspolitik als eine Ursache für den herbeigeführten wirtschaftlichen Einbruch. So konstatiert der BVR (2024): „Im Zuge dieser Zinspolitik stiegen die Finanzierungskosten, und die konjunkturellen Aussichten der Weltwirtschaft sanken entsprechend.“ Die Sparkassen (2024) als mit Abstand größte Institutsgruppe hofften auf ein dauerhaft hohes Zinsniveau: „Rund zehn Jahre mussten wir alle mit niedrigsten Zinsen umgehen. Da Geld fast keinen Preis mehr hatte, hat das tiefe Löcher in die Ertragslage der Kreditinstitute gefressen. Daraus haben sich die Sparkassen 2023 befreien können und knüpfen wieder an frühere – bessere – Zeiten an.“ Sicherlich haben die zu Beginn der Zinswende in den Medien häufig und ausschließlich zustimmend zu Wort kommenden Chefvolkswirte der Finanzdienstleister so einen Kollateralnutzen nicht primär im Sinn gehabt.
Vor diesem Hintergrund ist der Status quo eines fehlenden Ausweises von Zinsausgaben in inflationsrelevanten Statistiken für die Banken durchaus von Vorteil, wird doch ihr Preise erhöhender Einfluss für Haushalte und Unternehmen nicht transparent – und das, obwohl bereits 2023 Mehrbelastungen in dreistelliger Milliardenhöhe auf die Volkswirtschaft zugekommen sind. Fast schon um Verständnis dafür bittet die EZB (2024b) im Juni 2024: „Uns ist bewusst, welche Belastung die steigende Inflation und die daraus folgenden Zinsanhebungen für manche Menschen und Unternehmen bedeutete. Die Kosten für Unternehmens- und Immobilienkredite stiegen rasant an.“ Über die Höhe dieser Belastungen gibt es jedoch bis heute keine Informationen seitens der EZB.
Zinsen als kalkulatorische Komponente
Ergänzend zu Rupprechts Aussage, dass Leitzinssteigerungen „unstrittig“ auch preiserhöhende Effekte haben, lässt sich neben den durch die Zinswende gestiegenen pagatorischen Zinskosten für die Wirtschaft noch ein weiterer Treiber für höhere Preise ausmachen: Durch das gestiegene Zinsniveau erhalten sämtliche geplante und bestehende Investitionen einen höheren kalkulatorischen Verzinsungsanspruch, der (1) zu einer Reduktion oder Unterlassung der geplanten Maßnahmen oder (2) zu höheren Preisen durch Aufschläge in der Preiskalkulation führen kann.
Zu 1): Wirtschaftsminister Habeck hat auf dem 15. Wohnungsbau-Tag 2024 erklärt, dass die Krise, in der sich die Baubranche befinde, „zynisch gesprochen, geplant war“. Und: „So hat die Europäische Zentralbank es aufgesetzt: Das ist der Sinn von höheren Zinsen, dass die Wirtschaft sich abkühlt.“ (GdW, 2024). Diese Sätze haben ihm in der Presse viel Kritik eingebracht. Dabei hat er nur mit eigenen Worten die Aussagen der EZB (2023) wiedergegeben: „Die bisherigen Zinserhöhungen des EZB-Rats zeigen weiterhin eine starke Wirkung. Die Finanzierungsbedingungen haben sich weiter verschärft und dämpfen zunehmend die Nachfrage.“ Hier blieben allerdings kritische Reaktionen und Fragen nach der Verantwortung der EZB weitgehend aus.
Zu 2): Größere und langfristige Investitionen, etwa in Energieinfrastruktur oder in Wohnungsbauprojekte, werden in der betrieblichen Praxis neben einer Aufwands- und Ertragsbetrachtung mit einer dynamischen Investitionsrechnung ergänzt. Hier spielt der Kalkulationszins eine zentrale Rolle, da er als Diskontierungszinssatz den Zeitwert des Geldes zukünftiger Ein- und Auszahlungen auf den Bewertungszeitpunkt ab- oder aufzinst. Der Verzinsungsanspruch der Realinvestition orientiert sich dabei im Sinne einer Opportunitätsbetrachtung an den Referenzzinsen am Geld- und Kapitalmarkt.
Es lässt sich leicht mit einer Kapitalwertbetrachtung ausrechnen, dass beispielsweise bei einer Investition mit 10-jähriger Laufzeit und konstanten Rückzahlungen eine Verdoppelung des Kalkulationszinses wegen gestiegener Marktzinsen von z. B. 3 % auf 6 % regelmäßig eine Preiserhöhung um 16 % erforderlich macht, um den gleichen Kapitalwert bei gestiegenen Zinsen zu erhalten. Damit werden Preissteigerungen allein durch die finanzmathematische Hebelwirkung eines erhöhten Kalkulationszinses in erheblichem Maß erfolgen.
Ausgerechnet im Energiesektor, der für die extremen Preissprünge 2022 hauptverantwortlich war, sorgt derzeit ein Verzinsungsanspruch auf investiertes Kapital für steigende Preise: So hat der Staat 2023 die Garantierendite für Netzbetreiber von 5,07 % auf 7,09 % angehoben, um diese an das allgemeine Zinsniveau anzupassen. Weitere Aufschläge werden wohl über Preiserhöhungen von ca. 0,5 Mrd. Euro über die Strom- und Gasrechnung der Netzentgelte den Betreibern zukommen (Höfgen, 2024). Möglicherweise gibt es auch in Deutschland Verträge wie in der Schweiz, bei denen die Preise an das Zinsniveau gekoppelt werden. Dort ist z. B. der Referenzzinssatz für Immobilien ein wichtiger Indikator für die Mietzinsgestaltung. Dieser wurde zum ersten Mal seit Bestehen Mitte 2023 um 0,5 % angehoben, was Vermietern erlaubt, die Mieten pauschal um 6 % zu erhöhen.
Aufnahme von Kreditzinsen für selbstgenutzte Immobilien in den Verbraucherpreisindex (VPI)
Im Zusammenhang mit den Ausgaben für das Wohnbedürfnis wurden Gemeinsamkeiten bei den Begriffen Mietzinsen und Kreditzinsen aufgezeigt. So konstatiert Rupprecht: „Unter bestimmten Umständen ist es ökonomisch angemessen, zu diesen Ausgaben (Reparaturen, Gebäudeversicherung etc.) auch die Zinszahlungen für etwaige Kreditverbindlichkeiten zu zählen.“ Ein Problem sieht er, wie andere auch, in der Isolation von Vermögensänderungen durch einen zusätzlichen investiven Charakter des Immobilienkaufs. Seine Aussage „Schließlich dienen die Zinszahlungen neben der Befriedigung des Wohnbedürfnisses hier auch dem Erwerb eines Vermögensgegenstands“ bestätigt die konsumtiven Eigenschaften dieser Ausgaben. Allerdings tragen Zinszahlungen allein als Kapitaldienst nicht zum Erwerb eines Vermögensgegenstands bei, da sich die Höhe der Schulden nicht ändert. Tilgungszahlungen sind wegen der Vermögenserwerbskomponente aus den Kapitaldiensten selbstverständlich zu isolieren.
Für die Aufnahme von Kreditzinsen selbst genutzter Immobilien in den VPI und für ein vollständiges Bild dieser Preiseffekte sprechen darüber hinaus:
- Kreditzinsen für das Kreditvolumen von aktuell ca. 1.500 Mrd. Euro für selbst genutzte Immobilien sind für über 7 Mio. Haushalte eine bedeutende und regelmäßige Ausgabe. Ihre Aufnahme in den VPI würde daher die realen Lebenshaltungskosten genauer widerspiegeln, da sie einen wesentlichen Teil des Budgets ausmachen. Aktuell ist es so, dass etwa die Verbraucherpreise „Flugticket, Mittelamerika, Business(!)“ und zukünftig Cannabis ein höheres Gewicht im VPI bekommen als Kreditzinsen.
- Die Berücksichtigung von (steigenden) Hypothekenzinsen würde auch die Auswirkungen auf die Kaufkraft von Hausbesitzern genauer widerspiegeln. Diese erleben eine andere Art der finanziellen Belastung als Mieter für das gleiche Bedürfnis.
- Ein VPI, der auch Ausgaben für Kreditzinsen für Immobilien beinhaltet, könnte politischen Entscheidungsträgern bessere Informationen liefern. So sind z. B. in Österreich sogar die Hälfte der privaten Kredite variabel verzinst, was dazu führt, dass bei vielen Haushalten unter der steigenden Zinsenlast Ausgabenkürzungen an anderer Stelle durch fehlende Substitutionsmöglichkeiten erfolgen. Zunehmend geraten diese sogar in Notlagen, sodass die Politik mit Vorschlägen wie einem eher kontraproduktiven, steuerfinanzierten „Zinsdeckel“ reagieren möchte.
Auch nach Dullien und Tober (2021) ist die Berücksichtigung der Kosten des selbstgenutzten Wohneigentums notwendig, da sie Konsumausgaben darstellen und für eine vergleichbare Berechnung der nationalen Inflationsraten wichtig sind, besonders aufgrund der unterschiedlichen Mieterquoten. Der Äquivalenzmietenansatz ist ihrer Ansicht nach nicht geeignet, da in Regionen mit niedrigen Mietquoten die Vergleichsmieten fehlen und diese eher Opportunitätskosten als tatsächliche Kosten darstellen. Eine mögliche Alternative wäre die Einbeziehung der tatsächlich gezahlten Hypothekarzinsen, wobei diese die Inflationsrate bei kurzen Zinsbindungen direkt durch geldpolitische Zinserhöhungen oder -senkungen beeinflussen könnten. Damit wird auf den möglichen Zirkelschluss verwiesen, der auch im „Full user cost approach“ und im „Payment approach“ von Eurostat (2023) die Zinszahlungen für Hypothekenkrediten als Finanzierungskosten kritisch gesehen wird: „The inclusion of mortgage interest payments could diminish it´s usefulness for monetary policy purposes.“
Rupprecht verweist auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) (IMF 2020), der unter der Ziffer 2.149 „Interest payments“ damit beginnt, dass es sowohl konzeptionelle als auch praktische Schwierigkeiten bei der Behandlung von Zinszahlungen gibt. So sieht er den nominalen Zinssatz zusammengesetzt aus vier Komponenten, (1) einem theoretischen Zins unter perfekten Kapitalmärkten, (2) einer Risikoprämie, (3) einem Aufschlag für eine Geldentwertung, (4) einer Servicegebühr für die Nutzung von Ressourcen. Damit ergeben sich zwei Diskussionsbereiche:
- Warum sollte der Nominalzins überhaupt weiter nach Komponenten differenziert werden, während alle anderen Verbraucherpreise so gemessen werden, wie sie vom Verbraucher am Point-of-Sale bezahlt werden? So werden Positionen, wie Mieten oder Kraftstoffe, auch nicht weiter zerlegt, obwohl sich insbesondere letztere neben dem Einkaufspreis aus vielen weiteren steuerlichen Komponenten zusammensetzen.7
- Zur wichtigsten Komponente zählt der IWF den Aufschlag als Ausgleich für einen sinkenden Geldwert, der insbesondere unter Inflationsbedingungen den Großteil des Nominalzinses ausmachen kann. Aus diesem Grund variieren nominale Zinssätze direkt mit der erwarteten allgemeinen Inflationsrate, „ein unter Inflationsbedingungen allgemein bekanntes Phänomen.“8 Man kommt zu dem Schluss, dass diese Komponente eindeutig außerhalb des Anwendungsbereichs eines VPI liegt.9
Diese Folgerung überrascht, denn selbstverständlich gibt es einen Zusammenhang zwischen hohen (Nominal-)Zinsen und gemessener Inflationsrate. Beim IWF wird aber offenbar die Rolle und die Verantwortung der Zentralbanken für die Zinshöhe außer Acht gelassen. Denn die Kausalkette lautet doch wie folgt: hohe (gemessene) Inflationsrate ⇒ Leitzinserhöhungen der Zentralbank ⇒ Zinsänderungen der Banken über den Zinskanal. Es erschließt sich nicht, weshalb beim IWF-Ansatz genau diejenige Zinskomponente herausgerechnet werden soll, die für die Preissteigerungen für selbstgenutztes Wohnen hauptverantwortlich ist. Gerade unter inflationären Bedingungen sind diese Informationen essenziell, um zielgerichtete Entscheidungen zu treffen und eine Verursachungsgerechtigkeit herzustellen.
Rupprecht führt in diesem Zusammenhang richtigerweise aus, dass die Berücksichtigung von Hypothekenzinsen im VPI dessen Nutzen für geldpolitische Zwecke stark vermindern würde, da Preisstabilität als Zielgröße und Zinsen als Steuerungsinstrument direkt miteinander vermischt würde. Dieser Nutzen sei jedoch ein zentrales Motiv für die Berechnung des VPI. Im Erstbeitrag ist auf diesen wichtigen Grundsatz bereits eingegangen und auch ein getrennter Ausweis vorgeschlagen worden.10
Statt einer nachrichtlichen Berichtsgröße kann möglicherweise die seit den 1980er Jahren bei größeren Unternehmen etablierte Staffelform der Gewinn- und Verlustrechnung als Referenz dienen. Hier wird das operative Betriebsergebnis EBIT (Earnings Before Interest and Taxes) als Differenz von Erträgen und Aufwendungen vor Zinsen und Steuern ausgewiesen, um die Transparenz der Finanzberichterstattung zu erhöhen. Ein gestaffelter Ausweis von Zinsen sowie Steuern würde – in einen VPI/CPI übertragen – die beiden großen institutionellen Akteure EZB sowie den Staat mit seiner durchaus erratischen Steuer- und Abgabenpolitik transparenter werden lassen (vgl. Abbildung 2): Zumindest für die Steuern und Abgaben sieht der „Harmonisierte Verbraucherpreisindex zu konstanten Steuersätzen (HVPI-KS)“ bereits einen ähnlichen Ansatz vor (Eurostat, 2024). So können mit einem Vergleich mit dem Standard-HVPI die Auswirkungen von Änderungen der indirekten Steuern (z. B. Mehrwertsteuer und Verbrauchssteuern) auf die Gesamtinflation aufgezeigt werden.
Abbildung 2
Vorschlag für eine differenzierte Ausweisung von Zinsen und Steuern
CPI: Consumer Price Index. CPI-IT: Consumer Price Index before Interest and Taxes. CPI-T: Consumer Price Index before Taxes.
Quelle: eigene Darstellung.
Eine nicht unwesentliche Frage ist in diesem Zusammenhang, ob so viel Transparenz überhaupt gewünscht wird im Vergleich zum Status quo. Das erinnert an die Diskussion zur Einführung der Marktzinsmethode als Teilzinsspannenrechnung für die Banken in den frühen 1990er Jahren. Sie brachte fast schon revolutionäre Einsichten in das betriebliche Geschehen von Banken: Durch die Aufteilung der Zinsspanne wird klar erkennbar, welche Erträge aus dem aktivischen und passivischen Kundengeschäft stammen und welche aus der Steuerung des Zinsrisikos resultieren. Die Einführung der Marktzinsmethode wurde allerdings nicht von allen Entscheidungsträgern, insbesondere den Bankvorständen im Aktivgeschäft, begrüßt. Denn die neu entstandene Transparenz führte zu einer detaillierten Offenlegung über Schwächen oder ineffiziente Bereiche sowie einer stärkeren Ergebnisverantwortung. Um sich einer solchen Kritik erst gar nicht aussetzen zu müssen, könnte die EZB nach dem Leitsatz „What you don‘t / can‘t measure, you can‘t manage“ mit vollständiger Datenbasis und erweiterten Kennzahlen eine verbesserte Grundlage für fundierte Entscheidungen schaffen.
- 1 „Laut einer EZB-Analyse hatten zur Zeit der höchsten Inflation Angebotsschocks als Ursache für die Abweichung der Inflationsrate von ihrem Mittelwert dreimal so viel Gewicht wie Nachfrageschocks.“
- 2Deutsche Bank: 33,9 Mrd. Euro (23,9 Mrd. Euro auf 57,8 Mrd. Euro); Kreditgenossenschaften: 8,2 Mrd. Euro (19,6 Mrd. Euro auf 27,8 Mrd. Euro); Commerzbank: 6,8 Mrd. Euro (6,1 Mrd. Euro auf 12,9 Mrd. Euro); UniCredit Bank GmbH (HVB): 4,6 Mrd. Euro (3,8 Mrd. Euro auf 8,4 Mrd. Euro).
- 3Die Sparkassen-Finanzgruppe veröffentlicht keine Zinserträge, sodass differenzierte Analysen erst mit dem Bundesbank Monatsbericht September 2024 erfolgen können.
- 4Im Finanzstabilitätsbericht 2023 heißt es dazu: „Die deutschen Banken verzeichnen hohe Zinsgewinne, da sie die höheren Zinsen noch nicht vollständig an ihre Einleger weitergegeben haben.“ (Deutsche Bundesbank, 2023b).
- 5Siehe auch https://public.tableau.com/app/profile/johannes.schwanitz/viz/ZinsdashboardgesamtV22/Story1
- 6Eine Elastizität von 0,8 bedeutet z. B., dass eine Bank auf eine Zinserhöhung am Geld- und Kapitalmarkt um einen Prozentpunkt mit einem 0,8-prozentigen Preisanstieg reagiert.
- 7 Neben dem Einkaufspreis sind dies Energiesteuer (65,45 Cent/Liter Benzin), der 19 % Mehrwertsteuer auf den Nettopreis, CO²-Abgabe (10,8 Cent/Liter) sowie einer Erdölbevorratungsabgabe.
- 8„For this reason, nominal interest rates vary directly with the expected rate of general inflation, a universally familiar phenomenon under inflation conditions.“
- 9Ziffer 2.151: „The third component, the payment of compensation for the creditor’s real holding loss, is clearly outside the scope of a CPI. It is essentially a financial transaction. It may account for most of nominal interest under inflation conditions.“
- 10„Dabei muss jedoch vermieden werden, dass die EZB in einem Zirkelschluss auf ihre eigenen Maßnahmen mit weiteren Leitzinsänderungen reagiert. Diese Gefahr könnte bereits bestehen, da Unternehmen die Zinskosten durch alle Wertschöpfungsstufen weitergeben. Daher könnte eine ‚nachrichtliche Ausweisung‘ dieser Position sinnvoller sein.“
Literatur
Bundesbank. (2023a). Monatsbericht September 2023, Gewinn- und Verlustrechnungen der Kreditinstitute, 124.
Bundesbank. (2023b). Finanzstabilitätsbericht 2023, 16.
Bundesbank. (2024). MFI-Zinsstatistik [Data set]. https://www.bundesbank.de/de/statistiken/geld-und-kapitalmaerkte/zinssaetze-und-renditen/mfi-zinsstatistik-bestaende-neugeschaeft--650658
BVR – Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken. (2024). Jahresbericht. https://berichte.bvr.de/jahresbericht-2023/wirtschaftliche-entwicklung/finanzmaerkte/
Dullien, S. & Tober, S. (2021). Die gelungene neue Strategie der EZB. IMK Policy Brief, 110.
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Eurostat. (2024). Harmonisierter Verbraucherpreisindizes (HVPI), Administrierte Preise [Data set]. https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/hicp/information-data#HVPI-administriertePreise
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EZB. (2024a, 1. Juli). Geldpolitik in einem ungewöhnlichen Zyklus: die Risiken, der Pfad und die Kosten [Rede von EZB-Präsidentin Christine Lagarde]. https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2024/html/ecb.sp240701~ba1ae1bd25.de.html
EZB. (2024b, 8. Juni). Warum wir die Zinsen angepasst haben [Der EZB-Blog]. https://www.ecb.europa.eu/press/blog/date/2024/html/ecb.blog240608~aa46b5f2a0.de.html
GdW – Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. (2024, 11. April). 15. Wohnungsbautag: Konjunktur-Motor Wohnungsbau – Worauf wartet Deutschland? [Veranstaltung]. https://www.gdw.de/veranstaltungen/15-wohnungsbautag/
Höfgen, M. (2024, 10. Juni). Netze vor Überlastung schützen? So werden Verbraucher stattdessen gemolken. Berliner Zeitung. https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/netze-vor-ueberlastung-schuetzen-so-werden-verbraucher-von-den-netzbetreibern-gemolken-li.357360
IMF – International Monetary Fund. (2020). Consumer price index manual: concepts and methods.
Schwanitz, J. (1996). Elastizitätsorientierte Zinsrisikosteuerung in Kreditinstituten. Schriftenreihe des Zentrums für Ertragsorientiertes Bankmanagement [Begründet und herausgegeben von H. Schierenbeck & B. Rolfes].
Sparkassen. (2024, 12. März). Ulrich Reuter, Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, anlässlich der Bilanzpressekonferenz.