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Der Beschäftigungsaufbau hat sich seit Jahresbeginn spürbar verlangsamt.1 Während die Erwerbstätigkeit in den sechs Monaten vor Einführung des Mindestlohns durchschnittlich um 370 000 Personen über dem Vorjahresniveau lag, fiel zwischen Januar und April 2015 die Differenz Monat für Monat geringer aus und betrug zuletzt nur noch 210 000. Am auffälligsten veränderte sich die Dynamik bei der Gruppe der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten (sogenannte Minijobber). Die Zahl der Minijobber brach seit Jahresbeginn regelrecht ein (vgl. Abbildung 1). Im März betrug die Differenz zum Vorjahresmonat insgesamt -160 000 Personen. Dabei fiel der Rückgang in Ostdeutschland mit 7% spürbar stärker aus als in Westdeutschland mit knapp 3%.

Abbildung 1
Minijobber
Veränderung gegenüber dem Vorjahresmonat in 1000 Personen
37794.png

Quelle: Bundesagentur für Arbeit: Arbeitsmarkt in Zahlen, Beschäftigungsstatistik.

Der kräftige Rückgang der Zahl der Minijobber dürfte unmittelbar auf die Einführung des Mindestlohns zurückzuführen sein. Zum einen war der Bestand an Minijobbern seit Jahren relativ konstant und verzeichnete keine großen Schwankungen. Der Rückgang seit Januar ist der mit Abstand größte seit rund 15 Jahren. Zum anderen gab es keine anderen bedeutenden Rechtsänderungen, die ebenfalls einen Rückgang der Zahl der Minijobs nahelegen würden. Im Gegenteil: Zeitgleich zur Mindestlohneinführung traten Neuregelungen in Kraft, die eher eine Ausweitung der Minijobs hätten erwarten lassen, wie z.B. verlängerte Zeitgrenzen für kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse oder für das gelegentliche und nicht vorhersehbare Überschreiten der Arbeitsentgeltgrenze von 450 Euro im Monat.

Der Rückgang der Zahl der Minijobber muss nicht gleichbedeutend mit einem Beschäftigungsverlust in derselben Größenordnung sein.

  1. Es ist denkbar, dass sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber darauf einigen, das Beschäftigungsverhältnis schwarz weiterzuführen, um eine Entlassung aufgrund des Mindestlohns zu vermeiden. Dies lässt sich auf Basis der zur Verfügung stehenden Statistiken naturgemäß nicht beobachten.
  2. Es ist denkbar, dass die betroffenen Beschäftigten als freie Mitarbeiter (z.B. über Werkverträge) weiter beschäftigt und damit selbständig werden. Die Tatsache, dass die Zahl der Selbständigen, die seit gut drei Jahren rückläufig ist, im ersten Quartal dieses Jahres schneller zurückging als zuvor, deutet allerdings nicht darauf hin.
  3. Außerdem ist es möglich, dass Minijobber aufgrund des Mindestlohns die Entgeltgrenze von 450 Euro im Monat überschreiten und somit – sofern sie nicht ihre Arbeitszeit reduzieren – nicht mehr als Minijobber, sondern als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Statistik geführt werden.

Abbildung 2 zeigt die Summe aus Minijobbern und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Diese hat in den ersten drei Monaten dieses Jahres spürbar schwächer zugelegt als zuvor. Der Beschäftigungsaufbau hat seit Jahresbeginn also relativ plötzlich an Fahrt verloren. Erneut ist die Entwicklung in Ostdeutschland markanter als in Westdeutschland.

Abbildung 2
Minijobber und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
Veränderung gegenüber dem Vorjahresmonat in 1000 Personen
37806.png

Quelle: Bundesagentur für Arbeit: Arbeitsmarkt in Zahlen, Beschäftigungsstatistik.

Die Beobachtung, dass seit Jahresbeginn die Zahl der Minijobber kräftig gesunken ist und gleichzeitig die Summe aus Minijobbern und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten weniger stark zugenommen hat, ist ein erster Hinweis darauf, dass die weggefallenen Minijobs größtenteils nicht in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt wurden. Hierfür spricht zudem, dass der Minijob gerade diejenige Beschäftigungsform ist, bei der der Stundenlohn am niedrigsten war und daher aufgrund des Mindestlohns am stärksten angehoben werden musste. Hinzu kommt, dass die Zeichen am Arbeitsmarkt zu Jahresbeginn eher auf Beschleunigung statt auf Abschwächung standen. Das gesamtwirtschaftliche Umfeld zeigte sich zuletzt günstig. Im Schlussquartal 2014 expandierte das Bruttoinlandsprodukt ausgesprochen kräftig.2 Die gängigen Frühindikatoren für den Arbeitsmarkt hatten dort ebenfalls keine Abkühlung angezeigt. Die Zahl der offenen Stellen ist im zweiten Halbjahr 2014 – ausgehend von einem bereits sehr hohen Niveau – bis zuletzt sogar weiter gestiegen. Schließlich spricht für einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Einführung des Mindestlohns und Wegfall von Arbeitsplätzen, dass in Ostdeutschland, wo vor Einführung des Mindestlohns der Anteil der Arbeitnehmer mit einem Stundenlohn von unter 8,50 Euro deutlich höher war als in Westdeutschland, der Rückgang der Minijobs ausgeprägter ist als in Westdeutschland.

Ein Blick in die Arbeitslosenstatistik scheint den Anfangsverdacht von negativen Beschäftigungseffekten des Mindestlohns zunächst nicht zu erhärten. Die Zahl der Arbeitslosen, die im Verlauf des vergangenen Jahres bereits rückläufig war, nahm in den ersten fünf Monaten dieses Jahres mit nahezu unvermindertem Tempo weiter ab. Dies steht allerdings nicht im Widerspruch zu negativen Beschäftigungseffekten des Mindestlohns, denn ein Großteil der Minijobber taucht bei einem Arbeitsplatzverlust nicht in der Arbeitslosenstatistik auf. Rund die Hälfte aller Minijobber sind Rentner, Studenten oder Arbeitslose.3 Rentner und Studenten können in der Regel nicht arbeitslos im Sinne der Arbeitslosenstatistik sein, und Arbeitslose, die sich über einen Minijob etwas hinzuverdienen, sind bereits vor ihrem Arbeitsplatzverlust arbeitslos gemeldet.

Die andere Hälfte der Minijobber kann sich zwar theoretisch arbeitslos melden, allerdings dürfte der finanzielle Anreiz hierzu vielfach nicht gegeben sein. Minijobber führen keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ab. Im Falle einer Entlassung besitzen sie somit grundsätzlich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Ob ein Minijobber, der seinen Arbeitsplatz verliert, hilfebedürftig wird und somit Anspruch auf Grundsicherung in Form von Arbeitslosengeld II hat, hängt von mehreren Faktoren ab. Bei einem Drittel der Minijobber handelt es sich allerdings um Personen, die in Haushalten leben, in denen der Lebensunterhalt überwiegend aus dem Einkommen anderer Haushaltsmitglieder bestritten wird.4 In diesen Fällen ist die Hilfebedürftigkeit oft nicht gegeben, da das Haushaltseinkommen ausreichend hoch ist.5

  • 1 Diese Abschwächung hatte sich nach den Erstveröffentlichungen der Erwerbstätigenzahlen für Januar und Februar 2015 nicht abgezeichnet. Jedoch wurden bei der Erstveröffentlichung der Zahl für März die bisherigen monatlichen Ergebnisse neu berechnet. Dies führte für Januar und Februar zu vergleichsweise deutlichen Abwärtsrevisionen. Die zunächst ausgewiesenen saisonbereinigten Vormonatsveränderungen von +42 000 (Januar) und +28 000 (Februar) wurden auf -15 000 und +7000 revidiert, vgl. Pressemitteilung des Statistischen Bundesamts vom 30.4.2015, Nr. 157/15.
  • 2 Zwar verlangsamte sich der Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im ersten Quartal 2015 wieder etwas. Der Arbeitsmarkt reagiert jedoch typischerweise mit Verzögerung auf die wirtschaftliche Aktivität.
  • 3 Vgl. T. Körner, H. Meinken, K. Puch: Wer sind die ausschließlich geringfügig Beschäftigten? Eine Analyse nach sozialer Lebenslage, Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Januar 2013.
  • 4 Ebenda.
  • 5 Hierfür spricht, dass laut M. Heumer, H. Lesch, C. Schröder: Mindestlohn, Einkommensverteilung und Armutsrisiko, IW-Trends, Nr. 1, März 2013, nur rund ein Fünftel aller Arbeitnehmer, die einen Stundenlohn von weniger als 8,50 Euro bezogen haben, armutsgefährdet waren, also ein Nettoäquivalenzeinkommen (bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen unter Berücksichtigung des Haushaltszusammenhangs) von weniger als 60% des Medians verdienten. Zudem zeigen K.-U. Müller, V. Steiner: Distributional effects of a minimum wage in a welfare state – The case of Germany, SOEPpapers 617, DIW Berlin, Dezember 2013, dass Arbeitnehmer mit Stundenlöhnen von weniger als 8,50 Euro keineswegs nur in einkommensarmen Haushalten lebten, sondern nahezu in allen Segmenten der Einkommensverteilung vorkamen.


DOI: 10.1007/s10273-015-1845-4