Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen: Entflechtung kaum bedeutend
Am 8. Januar 2010 hat das Bundeswirtschaftsministerium einen Referentenentwurf vorgelegt, der das GWB um einen allgemeinen Entflechtungstatbestand ergänzt. Folgende Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein: eines oder mehrere Unternehmen müssen eine marktbeherrschende Stellung einnehmen, die Unternehmen erreichen die für die nationale Fusionskontrolle erheblichen Umsatzschwellen, der Markt muss eine gesamtwirtschaftliche Bedeutung haben, auf ihm muss Wettbewerb technisch und ökonomisch grundsätzlich möglich sein, es ist zu erwarten, dass der Wettbewerb auf absehbare Zeit als Folge der Marktbeherrschung eingeschränkt bleibt, das Bundeskartellamt muss eine umfassende Marktanalyse erstellt haben, die Entflechtung lässt eine wesentliche Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen erwarten, die angeordnete Maßnahme muss verhältnismäßig sein, die Monopolkommission legt eine obligatorische Stellungnahme vor und die Unternehmen sind in das Verfahren eingebunden, können insbesondere selbst Vorschläge für ihre Umgestaltung machen. Auf ein missbräuchliches Verhalten der Unternehmen kommt es nicht mehr an.
Der Entwurf beruft sich auf ausländische Vorbilder, durchaus zu Unrecht. Die praktische Bedeutung dieser Ultima ratio der Wettbewerbspolitik tendiert gegen Null. Dies hängt mit der dramatischen Zunahme des Wettbewerbs weltweit zusammen. Der Entwurf benennt keine konkreten Märkte. Er spricht vage von der „Versorgung mit wichtigen oder unverzichtbaren Gütern“. Etwas kleinlaut wird eingeräumt: „... wird in der Praxis der Bedarf für einen Rückgriff auf eine Entflechtungsbefugnis vielleicht eher eine untergeordnete Rolle spielen.“ Man könnte an die Märkte für Strom und Gas denken. Sie hatten ihr Gepräge durch drei hoheitliche Fehlentscheidungen erhalten (Genehmigung der Zusammenschlüsse VEBA/VIAG, RWE/VEW und E.ON/Ruhrgas). Entscheidungen nach Regulierungsrecht gehen dem allgemeinen Kartellrecht vor. Zudem entfällt in einem Durchleitungsregime die Verhältnismäßigkeit einer Entflechtung.
Die Schwierigkeiten mit diesem Instrument liegen nicht im Handwerklich-technischen. Dies lässt sich bewältigen. Die Schwierigkeiten liegen vielmehr im Konzeptionellen: Man stülpt über Märkte Blaupausen, wie diese auszusehen hätten, und bedenkt nicht hinreichend, dass Märkte selbst Gegenstand von Marktprozessen sind. Das passt zu einem More Economic Approach mit einer Orientierung weniger an Voraussetzungen, als an erhofften Ergebnissen von Wettbewerb. Das Bundeskartellamt wird damit verantwortlich umgehen können, wenigstens solange es unabhängig bleibt.
Die Fehler im Wettbewerbsrecht entstehen auf der Ebene der Gesetzgebung: Unter Verhöhnung des Publikums entzieht ein „Wettbewerbsstärkungsgesetz“ das Gesundheitswesen nahezu in toto einer Anwendung der Wettbewerbsregeln. Oder auch bei der praktischen Politik: Vor den Landtagswahlen in Bayern sind zwei bayrische Bundesminister dem Bauernverband zu Diensten und lassen bei Lebensmitteln praktisch jeden Verkauf unter Einstandspreisen verbieten. Nach der Ministererlaubnis im E.ON/Ruhrgas-Fall machen Minister und Staatssekretär Karriere als Vorstandsvorsitzende in der Branche. Als Konkurrenten die Entscheidung vor Gericht anfechten, werden die Beschwerdeführer herausgekauft.
Insgesamt gehört das geplante Instrument in die Kategorie des Theaterdonners: Die Reform nützt niemandem. Sie schadet auch keinem. Genau deshalb wird sie gemacht.
Mehrwertsteuer: Unsinnige Satzdifferenzierung!
Die mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz für Hotelübernachtungen beschlossene Mehrwertsteuerpräferenz ist in vielfacher Hinsicht kritisiert worden. Erstens sei die Begünstigung so kurzfristig eingeführt worden, dass sich die Hotelbranche nicht rechtzeitig darauf einstellen konnte. Viele Hotelbuchungen waren auf der Basis der alten Steuerregelungen abgeschlossen worden und mussten neu verhandelt werden. Zweitens: Zu den Hotelleistungen zählt neben der Beherbergung eine Reihe weiterer Leistungen, die nach wie vor mit dem generellen Satz besteuert werden. Dies schaffe einerseits Abgrenzungsprobleme und könne andererseits auch zu Gestaltungen führen. Beispiel: Im Übernachtungspreis wird die Benutzung der Minibar eingeschlossen. Drittens: Die schon heute übliche Praxis, in den Übernachtungspreis auch das Hotelfrühstück einzubeziehen, erlaubt bei Geschäftsreisen den Abzug der Gesamtrechnung als Werbungskosten. Da jetzt das Frühstück gesondert in Rechnung zu stellen ist, wären ohne Änderung der maßgeblichen Verwaltungsrichtlinie die in der Realität wesentlich über den Pauschbetrag von 4,80 Euro hinaus gehenden Frühstückskosten vom Geschäftsreisenden (oder dessen Arbeitgeber)zu versteuern. Viertens: Die Umsatzsteuersenkung wird möglicherweise nicht überall an die Kunden weitergegeben, d.h. die Bruttopreise verharren auf dem alten Niveau. Dadurch erhöhen sich für umsatzsteuerpflichtige Gäste die Nettopreise, weil sich die Vorsteuererstattung auf den reduzierten Satz verringert. Übernachtungen würden für diese Gruppe teurer. Damit würde nicht nur – ungewollt – eine Gruppe von Steuerpflichtigen zusätzlich belastet, sondern es könne auch fünftens von einem positiven Wachstumseffekt keine Rede sein.
Einige dieser Probleme sind nur kurzfristiger Natur. Auch für das leidige Frühstück wird sich eine Regelung finden lassen. Ohnehin war und ist nicht einzusehen, dass die Höhe von anzuerkennenden Werbungskosten davon abhängig gemacht wird, ob ein Frühstück gesondert in Rechung gestellt oder mit dem Übernachtungspreis entgolten wird. Ein Wachstumseffekt für die Hotelbranche kann sich überhaupt nur dann ergeben, wenn die Umsatzsteuersenkung auch zu Lasten des Fiskus geht und nicht wie im Fall umsatzsteuerpflichtiger Gäste durch den verringerten Vorsteuerabzug ausgeglichen wird. Bei Privatgästen ist er dann allerdings davon unabhängig, ob die Umsatzsteuerpräferenz an die Kunden im Preis weitergegeben wird. Streichen die Hoteliers den Steuervorteil ein, wird die Branche rentabler und lockt potentielle Investoren an. Eine mögliche Rücknahme der Begünstigung ist denn auch unter zwei anderen Aspekten zu beurteilen:
Zum einen: Ist die Hotelbranche aus irgendeinem Grund steuerlich anders als andere Wirtschaftsbereiche zu behandeln? Merke: Subventionen an die einen sind Mehrsteuern der anderen. Steuerliche Verzerrungen mögen das Wachstum der begünstigten Branche stärken, schwächen aber das Wachstum der Volkswirtschaft! Dass die Mehrwertsteuersätze für Hotelübernachtungen in einigen Nachbarländern niedriger sind, ist jedenfalls kein stichhaltiger Grund. Geschäftsreisende können sich die Vorsteuer ohnehin erstatten lassen. Und Touristen erwerben mit ihrer Deutschlandreise das „Gesamtpaket“ Deutschland; sie profitieren unter anderem davon, dass die normalen Umsatzsteuersätze in Deutschland niedriger sind als anderswo. Zum anderen: Soll man die Steueränderung kurz nach ihrer Einführung wieder kassieren – möglicherweise weil die Frühstücksregelung Probleme macht? Das wäre wohl auch nur ein weiteres Bespiel für die Hektik der Steuerpolitik. Besser wäre es, die Umsatzsteuer insgesamt von Sonderregelungen zu befreien und insbesondere die teilweise unsinnige Satzdifferenzierung aufzugeben. Dafür darf dann noch etwas Zeit aufgebracht werden.
Bundesverwaltungsgericht: Postmindestlohn rechtswidrig
Eines der Streitthemen der Großen Koalition war bekanntlich der staatliche Mindestlohn. CDU und CSU hielten nichts davon, die SPD hätte ihn am liebsten flächendeckend eingeführt. Bei solchen diametralen Gegensätzen kommt es häufig zu Kompromissen, die es schaffen, noch schlechter zu sein als die eine oder die andere der Extrempositionen. Ein gutes Beispiel liefert der kürzlich vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) für rechtswidrig erklärte Mindestlohn für Postzusteller. Weil man sich auf einen allgemeinen Mindestlohn nicht einigen konnte, verständigte man sich in der Großen Koalition darauf, ihn für bestimmte Bereiche einzuführen. Im Fall der Postzustellung funktionierte das so: Das eigentlich für ein ganz anderes Problem erlassene Entsendegesetz wurde als Krücke benutzt, um den zwischen einem von der Deutschen Post AG dominierten Arbeitgeberverband mit
ver.di geschlossenen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären. Die darin festgelegten Mindestlöhne lagen zwischen 8,00 und 9,80 Euro und damit deutlich über den Löhnen, die bei den Konkurrenten der Deutschen Post AG bezahlt wurden.
Nun ist es Sinn und Zweck einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung, nicht-tarifgebundenen Unternehmen die Möglichkeit zu nehmen, sich durch Löhne, die deutlich unter denen der tarifgebundenen Unternehmen liegen, Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Was die Postzusteller anbelangt, so lagen die Dinge allerdings ein bisschen anders. Die Konkurrenten der Post AG haben ihren eigenen Arbeitgeberverband und sie haben auch eine Gewerkschaft gefunden (möglicherweise auch erfunden), mit der sie einen Tarifvertrag abgeschlossen haben – nicht ganz erstaunlicher Weise mit niedrigeren Mindestlöhnen. Ein solcher Arbeitgeberverband hat bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags das Recht, angehört zu werden. Dass diesem Anhörungsrecht nicht im erforderlichen Umfang Rechnung getragen wurde, war für das BVerwG nun der Anlass, die Verordnung für unwirksam zu erklären.
Das ist zunächst für das Ministerium unter dem früheren Bundesarbeitsminister Olaf Scholz eine schallende Ohrfeige, wird ihm doch gerichtlich bestätigt, schludrig gearbeitet zu haben. Das wiegt umso schwerer, als unter der neuen politischen Konstellation wohl niemand daran denkt, nun eine gerichtsfeste neue Verordnung zu erlassen. Die Folgen der Schludrigkeit haben damit die Arbeitnehmer bei den Konkurrenten der Post AG zu tragen. Schon haben die ersten Firmen angekündigt, nur noch die Mindestlöhne zu bezahlen, die in dem von ihnen geschlossenen Tarifvertrag vereinbart wurden. Man sollte aus dem vorliegenden Fall aber eine wichtigere Lehre ziehen als die, dass Bundesministerien mitunter schludrig arbeiten. Wir sind in der Bundesrepublik insgesamt gut damit gefahren, lange Zeit am Prinzip der Tarifautonomie festzuhalten. Dass sich die Gewerkschaften in den letzten Jahren entschlossen haben, einen staatlichen Mindestlohn zu fordern, macht deutlich, dass sie es sich nicht mehr zutrauen, ihre zentrale Aufgabe zu erfüllen, in allen Bereichen der Wirtschaft für angemessene Mindestbedingungen zu sorgen. Da sie bei der jetzigen Regierung nicht darauf hoffen können, dass es zu einer Ausweitung der Mindestlöhne kommen wird, sollten sie ihre Anstrengungen verstärken, Arbeitnehmer, die Hungerlöhne beziehen, als Mitglieder für tariffähige Gewerkschaften zu gewinnen und das Problem der Dumpinglöhne durch Tarifverträge zu lösen, die notfalls durch wasserdichte Allgemeinverbindlichkeitserklärungen zu ergänzen sind.
US-Haushalt: Konsolidierung nicht in Sicht
Die Staatsfinanzen in den USA sind in eine beträchtliche Schieflage geraten. Beunruhigend ist weniger, dass das Budgetdefizit den Planungen zufolge im laufenden Haushaltsjahr einen Rekordwert von 10,6% und im kommenden Jahr immer noch 8,3% der Wirtschaftsleistung ausmachen wird; dies ist angesichts der Schwere der zurückliegenden Rezession nachvollziehbar. Anlass zur Sorge gibt vielmehr, dass es langfristig kein Konzept zur Haushaltskonsolidierung zu geben scheint. So beträgt das Defizit nach den Planungen bis zum Jahr 2020 im Durchschnitt 4,5% und liegt in keinem Jahr unter der selbst gesteckten Zielmarke von 3%.
Den Märkten scheint die prekäre Lage noch keine größeren Sorgen zu bereiten. Zwar haben die ersten Ratingagenturen bereits gedroht, die erstklassige Bonitätseinstufung der USA einer Prüfung zu unterziehen. Die Nachfrage nach amerikanischen Staatsanleihen ist jedoch nach wie vor hoch und deren Verzinsung vergleichsweise niedrig. Ein Grund hierfür dürfte die im Vergleich zu vielen europäischen Ländern immer noch niedrige Schuldenstandsquote sein, die derzeit bei etwas über 50% des Bruttoinlandsproduktes liegt und gemäß dem derzeitigen Haushaltsentwurf im Jahr 2020 etwas unterhalb von 80% liegen dürfte.
Allerdings zeigt sich gerade in diesen Tagen, wie schnell die Stimmung an den Märkten umschlagen kann. Die derzeitige Budgetplanung beruht ab dem Jahr 2011 auf äußerst optimistischen Annahmen bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung. Negative Überraschungen sind da praktisch vorprogrammiert, und eines steht bereits jetzt schon fest: Die nächste Rezession kommt bestimmt! Selbst wenn dies erst in zehn Jahren der Fall sein sollte, so wäre ein Budgetdefizit von über 4% eine mehr als unkomfortable Ausgangslage. Wichtig wäre es daher, möglichst schnell Anstrengungen zu unternehmen, um das hohe strukturelle Defizit abzubauen. Und damit hätte durchaus im Plan für das Haushaltsjahr 2011 schon einmal begonnen werden können. Zwar ist es im Hinblick auf die Arbeitsmarktmisere vernünftig, die automatischen Stabilisatoren wirken zu lassen und einen zu raschen Abbau der Ausgaben zu vermeiden. Allerdings würde der gezielte Abbau unproduktiver Ausgaben die wirtschaftliche Entwicklung keineswegs dämpfen, sondern sogar die langfristigen Wachstumskräfte stärken. Dagegen können neue kostspielige Konjunkturprogramme – wie sie derzeit bereits wieder diskutiert werden – dies nicht bewerkstelligen. Deshalb würde es für die wirtschaftliche Erholung aus heutiger Sicht keine Hypothek darstellen, auf solche Programme zu verzichten, zumal der Staat nicht den Fehler machen sollte, den notwendigen Schuldenabbau bei den privaten Haushalten durch eine höhere staatliche Verschuldung zu konterkarieren. Eine rasche Haushaltskonsolidierung erscheint bei den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen jedoch unrealistisch.
Sollte die Bonität der USA tatsächlich einmal ernsthaft in Zweifel gezogen werden, so würde dies zu einer internationalen Erschütterung der Finanzmärkte führen, die nicht nur für Europa schwerwiegende Folgen haben würde. Noch ist ein solches Szenario nicht sehr wahrscheinlich. Ein anderes Szenario ist dagegen sehr viel wahrscheinlicher, nämlich dass im Gegensatz zum Euroraum in den USA durchaus die Bereitschaft bestehen wird, sich durch eine temporär höhere Inflationsrate eines Teils der Schuldenlast zu entledigen und den Dollar abwerten zu lassen. Auch dies würde die Erholung in Europa und anderswo belasten.