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Die Wirtschaftskrise belastet die Kommunen mit deutlichen Einnahmeausfällen. Aber auch der Bund hat die Kommunen durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz und andere Bundesgesetze in eine schwierige finanzielle Lage gebracht. Die Kommission zur Neuordnung der Gemeindefinanzen, die Anfang März ihre Arbeit aufgenommen hat, soll Vorschläge für eine tragfähige Finanzierung der Kommunen machen.

Städte und Gemeinden im Sog der Rezession

Die Wirtschafts- und Finanzmarktkrise hat Deutschland in die stärkste Rezession seit Bestehen der Bundesrepublik gestürzt. Mit 5% war das Bruttoinlandsprodukt in 2009 so stark rückläufig wie noch nie in der Nachkriegszeit. Im Zuge dieser Entwicklung stieg das öffentliche Finanzierungsdefizit im Jahr 2009 auf über 100 Mrd. Euro. Dies ist das bislang höchste Finanzierungsdefizit der öffentlichen Haushalte in Deutschland. Es ist einerseits Ergebnis rückläufiger Einnahmen, wobei insbesondere die Steuereinnahmen im Vergleich zum Vorjahr um 35 Mrd. Euro zurückgingen. Andererseits stiegen gleichzeitig die Ausgaben merklich; vor allem aufgrund der staatlichen Unterstützungsmaßnahmen. Es zeigt sich also mehr als deutlich: Der wirtschaftliche Einbruch belastet die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen in Deutschland enorm, und zwar weit über das Jahr 2009 hinaus!

Die Lage in den Kommunen

Wie ist die Lage in den Kommunen? Sie ist katastrophal! Kommunale Einnahmen und Ausgaben driften zunehmend auseinander. Das Jahr 2009 haben die Kommunen mit einem Finanzierungsdefizit von 7,2 Mrd. Euro abgeschlossen. Damit stürzte das kommunale Finanzierungssaldo nach einem Finanzierungsüberschuss von 7,7 Mrd. Euro im Jahr 2008 innerhalb nur eines Jahres um fast 15 Mrd. Euro ab. Städte und Gemeinden drohen vom Sog der Rezession in den Abgrund gerissen zu werden, denn die Schere zwischen wegbrechenden Einnahmen und steigenden Ausgaben wird sich im laufenden Jahr weiter öffnen. Prognostiziert ist ein Anstieg des kommunalen Finanzierungsdefizits auf über 12 Mrd. Euro. Auch in den kommenden Jahren wird sich das Defizit der Kommunen im zweistelligen Milliardenbereich bewegen.

Aber die schwierige Situation der kommunalen Haushalte allein auf die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zurückzuführen, griffe zu kurz. Nur ein Teil der Probleme ist eine Folge der Krise. Tatsächlich ist die Schieflage der kommunalen Finanzen Ergebnis einer sich seit Jahren vollziehenden Entwicklung. Betrachtet man einmal die Finanzierungssalden der Kommunen über einen längeren Zeitraum (1992 bis 2009) zeigt sich, dass die Kommunen lediglich in den kurzen Drei-Jahres-Zeiträumen von 1998 bis 2000 und 2006 bis 2008 Finanzierungsüberschüsse erzielen konnten. In den anderen zwölf Jahren verzeichneten die Städte und Gemeinden Finanzierungsdefizite von durchschnittlich 5 Mrd. Euro. Tatsache ist also: Die Kommunen in Deutschland sind strukturell unterfinanziert!

Diese strukturelle Unterfinanzierung zeigt sich deutlich darin, dass es den Städten und Gemeinden auch in den wirtschaftlich guten Jahren nicht gelungen ist, ihre Haushalte zu konsolidieren. Ein Indiz hierfür sind die seit der Wiedervereinigung unaufhörlich steigenden Kassenkredite. Im Jahr 2009 haben sie das Rekordniveau von 34,9 Mrd. Euro erreicht. Das entspricht einem Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von 5 Mrd. Euro. Inzwischen liegt der Anteil der Kassenkredite an der Gesamtverschuldung der Kommunen bei 30%. Im Saarland übersteigt das Volumen der Kassenkredite gar die Höhe der Kreditmarktschulden. Kassenkredite – eigentlich als kurzfristige Liquiditätshilfe gedacht – entwickeln sich damit mehr und mehr zu einem Instrument der dauerhaften Schuldenfinanzierung. Zugleich stellen Kassenkredite den zinsempfindlichen Teil der kommunalen Kredite dar, mit entsprechenden Auswirkungen auf die zukünftigen Zinszahlungen. Die Kassenkredite werden weiter steigen, denn zur Erfüllung ihrer laufenden Ausgabeverpflichtungen sind Städte und Gemeinden auch im laufenden Jahr in hohem Maße auf die Aufnahme neuer Kassenkredite angewiesen.

Kommunale Selbstverwaltung in Gefahr

Artikel 28 Absatz 2 Grundgesetz garantiert den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht auf kommunale Selbstverwaltung. Soweit die Theorie, die Realität ist wahrlich eine andere: Städte und Gemeinden sehen sich seit Jahren einem Prozess ausgesetzt, der die finanziellen Grundlagen ihrer Selbstverwaltung zerstört. Auf der Einnahmenseite schwächen Steuerrechtsänderungen in erheblichem Ausmaß die finanzielle Einnahmenbasis der Kommunen. Auf der Ausgabenseite weist insbesondere die Entwicklung der Ausgaben für Sozialleistungen eine Dynamik auf, die die Handlungsfähigkeit der Kommunen mehr und mehr in Frage stellt. Freiwilligen Aufgaben ist längst weitgehend der Boden entzogen und auch im Pflichtbereich arbeiten die Kommunen am Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Die kommunale Selbstverwaltung ist in Gefahr: Die finanziellen Engpässe bestimmen längst die politischen Entscheidungen vor Ort. In immer mehr Kommunen wird die Frage aufgeworfen, wo noch gekürzt werden kann, ob noch weitere Stellen abgebaut und welche Leistungen eingeschränkt werden können. Tatsächlich ist für Kürzungen wenig Spielraum vorhanden, denn viele der kommunalen Aufgaben sind durch Gesetz pflichtig vorgeschrieben, müssen also wahrgenommen werden. Die freiwilligen Aufgaben hingegen, bei denen Kürzungen denkbar wären, prägen das Leben der Bürger vor Ort. Bibliotheken, Schwimmbäder oder der öffentliche Nahverkehr bedeuten ein Stück Lebensqualität.

Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Verabredungen im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP hat das Bundeskabinett im Februar 2010 beschlossen, eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung (Gemeindefinanzkommission) einzusetzen. Die Kommission soll sich mit dem Prüfauftrag des Koalitionsvertrages befassen und Vorschläge zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung erarbeiten. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund gehört der Kommission an. Wir erhoffen uns von der Kommission konkrete Ergebnisse, um die Finanzlage der Kommunen nachhaltig zu verbessern. Ziel der Kommission muss es sein, die Kommunen zu entlasten und den kommunalen Handlungsspielraum zu erweitern. Es gilt die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland zu stärken! Denn, wie es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP heißt: „Die kommunale Selbstverwaltung ist ein hohes Gut.“

Steigende Sozialausgaben

Zentrales Problem der kommunalen Finanzlage ist die Entwicklung der Sozialausgaben. Diese haben sich seit der Wiedervereinigung mit über 40 Mrd. Euro 2009 fast verdoppelt. Dabei gewinnt die Entwicklung der Sozialausgaben wesentlich an Dynamik. Während die Sozialausgaben in dem Zehnjahres-Zeitraum von 1992 bis 2002 um ca. 6 Mrd. Euro stiegen, wird für den Zehnjahres-Zeitraum von 2002 bis 2012 ein Anstieg von über 16 Mrd. Euro auf fast 45 Mrd. Euro erwartet. Insbesondere die folgenden Bereiche entwickeln sich bedrohlich: So sind die Ausgaben der Eingliederungshilfe für Menschen mit Handicap in den vergangenen Jahren um rund 5% pro Jahr angestiegen. Die Ausgaben für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung haben sich seit der Einführung im Jahr 2003 – also in nur sieben Jahren – gar verdreifacht. Im laufenden Jahr ist zudem mit einem Anstieg der Kosten der Unterkunft für Empfänger von SGB II-Leistungen zu rechnen.

Die Struktur der kommunalen Ausgaben wird zunehmend auch zu einem volkswirtschaftlichen Problem. Die kommunalen Investitionen werden seit Jahren immer stärker von den sozialen Leistungen verdrängt: Derzeit investieren die Kommunen pro Jahr nur etwa 60% im Vergleich dazu, was sie für soziale Leistungen aufwenden müssen. Damit fällt nicht nur ein wichtiger Impulsgeber für die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland weg, die Folgen dieser nicht bedarfsgerechten Investitionsfähigkeit sind längst auch für Jedermann sichtbar. Sie wirken sich direkt auf das Leben der Menschen vor Ort aus. Wir bilden unsere Kinder, die Zukunft unseres Staates, in maroden Schulen aus. Wir müssen Bibliotheken schließen und Jugendprojekte einstellen, weil der Haushalt nichts mehr hergibt. Die Liste der Negativ-Beispiele ließe sich noch lange fortsetzen. Das Deutsche Institut für Urbanistik hat den kommunalen Investitionsbedarf für die Jahre 2006 bis 2020 kürzlich auf 704 Mrd. Euro beziffert. Der Verfall kommunaler Infrastruktur ist ein nationales Problem!

Aus meiner Sicht muss ein Arbeitsschwerpunkt der Kommission im Bereich der Sozialausgaben liegen. Die Gemeindefinanzkommission soll nach dem Kabinettsbeschluss zwar Entlastungsmöglichkeiten auf der Ausgabenseite prüfen, aber vorrangig über die Flexibilisierung von Standards. Auch wenn diese sicherlich Entlastungsmöglichkeiten eröffnet, hat sie doch niemals die quantitative Bedeutung der Sozialausgaben. Der Bund ist gefordert, einen Teil der kommunalen Aufwendungen für soziale Leistungen zu übernehmen, da gesamtstaatliche Aufgaben finanziert werden. Allerdings bestehen auf kommunaler Seite berechtigte Zweifel, dass der Bund sich hier bewegen wird. Nach dem Kabinettsbeschluss „hat die Kommission auf die Vermeidung von Aufkommens- und Lastenverschiebungen insbesondere zwischen dem Bund auf der einen und den Ländern und Kommunen auf der anderen Seite zu achten“. Dann aber müssen zumindest die Ausgaben reduziert werden. Der Versorgungsstaat muss auf den Sozialstaat zurückgeführt werden – Bund und Länder als Gesetzgeber sind hier gefragt. Aber es fehlt am – zweifellos erforderlichen – Mut der Politik!

Die stetig steigenden Sozialausgaben treffen zudem auf eine geschwächte Einnahmenbasis der Kommunen. Zum einen sind die Kommunen natürlich von konjunkturell bedingten Steuermindereinnahmen im Zuge der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise betroffen. Im Jahr 2009 sind die Steuereinnahmen gegenüber dem Jahr 2008 um 8 Mrd. Euro auf ca. 62 Mrd. Euro zurückgegangen. Hinter den Steuerrückgängen verbergen sich aber eben nicht nur konjunkturell bedingte Mindereinnahmen. Ein erheblicher Anteil an den Steuermindereinnahmen ist zum anderen auf Steuerrechtsänderungen zurückzuführen. Stellt man auf die Steuerschätzung von November 2009 ab, so müssen die Kommunen gegenüber dem Jahr 2008 im Jahr 2010 einen Rückgang der Steuereinnahmen um 10 Mrd. Euro verkraften. Fast 50% dieser Mindereinnahmen sind auf Steuerrechtsänderungen seit November 2008 zurückzuführen.

Gewerbesteuer auf dem Prüfstand

Genau dieser Umstand sollte auch beim Blick auf die Schwankungen bei der Gewerbesteuer nicht aus den Augen verloren werden: Denn die Gewerbesteuer ist im Jahr 2009 um fast 20% zurückgegangen. Das entspricht einem Rückgang um 6 Mrd. Euro auf 25 Mrd. Euro. Bereits im dritten und vierten Quartal des Jahres 2009 hat sich der rückläufige Trend der Gewerbesteuer aber deutlich abgeschwächt. Und die konjunkturelle Volatilität der Gewerbesteuer bereitet den Kommunen Probleme. Zumal wenn sie von Steuerrechtsänderungen wie durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz begleitet werden. Doch die Gewerbesteuer ist nicht die Ursache allen Übels. Das Problem der kommunalen Haushalte lässt sich nicht allein über die Einnahmenseite lösen. Nun soll aber in der Gemeindefinanzkommission der Ersatz der Gewerbesteuer durch einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit eigenem Hebesatz und einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer geprüft werden.

Dies entspricht in etwa dem Arbeitsauftrag der im Jahr 2002 eingesetzten Gemeindefinanzkommission. Das Ergebnis war damals eindeutig: Das Modell hätte zu einer Belastungsverschiebung weg von den Unternehmen hin zu den Arbeitnehmern geführt. Damals wie heute sind Entlastungen der Wirtschaft auf Kosten der Bürger nicht vermittelbar. Und die Gegenwart hat schließlich gezeigt, dass die Kommunen gut daran getan haben, sich nicht auf einen Zuschlagssatz zur Körperschaftsteuer einzulassen. Schließlich ist die Körperschaftsteuer 2009 mit über 50% wesentlich stärker eingebrochen als die Gewerbesteuer. Zudem stehen die Arbeiten in der Kommission unter dem Vorbehalt der laut Koalitionsvertrag geplanten Einkommensteuerreform mit Entlastungen in zweistelliger Milliardenhöhe. Die Kommunen werden sich schwerlich auf ein Zuschlagsrecht auf die Einkommensteuer mit völlig ungewisser Bemessungsgrundlage einlassen. Und einem höheren Anteil an der Umsatzsteuer haftet der Makel des Zuweisungscharakters an. Eine Alternative zur Gewerbesteuer kann das nicht sein!

Vielmehr kann den Schwächen der Gewerbesteuer im System entgegengewirkt werden. Dazu gehören die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage und die Erweiterung des Kreises der Steuerpflichtigen. Auf diesem Wege kann die Abhängigkeit von den versteuerten Gewinnen nur weniger Steuerzahler vor Ort verringert und zugleich zur Verbreiterung der kommunalen Steuerbasis auch wirtschaftlich schwächerer Kommunen beigetragen werden. Die Gewerbesteuer als wirtschaftskraftbezogene Steuer stellt ein Äquivalent für wirtschaftsorientierte Ausgaben der Gemeinden dar. Dahinter steht das Interesse der örtlichen Wirtschaft an einer gut ausgebauten kommunalen Infrastruktur, welche die Gemeinden durch die Einnahmen aus der Gewerbesteuer finanzieren. Mit dem Äquivalenzprinzip lässt sich auch die seit langem von den kommunalen Spitzenverbänden geforderte Einbeziehung der Freien Berufe in die Gewerbesteuer begründen. Auch ein Arzt profitiert schließlich von einer intakten gemeindlichen Infrastruktur.

Dem Sog entgegenwirken

Feststeht, die negative Entwicklung in den Kommunen wird sich fortsetzen, wenn nichts geschieht. Bund und Länder müssen dafür Sorge tragen, dass die Kommunen ihre Aufgaben angemessen erfüllen können. Dies erfordert eine aufgabenadäquate Finanzausstattung. Gemeinsames Ziel von Bund, Ländern und Kommunen muss sein, auf eine Stabilisierung der Gemeindefinanzen hinzuwirken. Die finanziellen Probleme der Städte und Gemeinden in Deutschland lassen sich aber nicht allein über die Einnahmenseite lösen. Schwerpunkt der Arbeiten in der Gemeindefinanzkommission muss die Ausgabenseite sein. Ansonsten müssen sich Bund und Länder die Frage stellen lassen, wie den kontinuierlich steigenden Sozialausgaben denn auf Dauer mit einer ebenso stetig wachsenden Einnahmenbasis der Kommunen begegnet werden soll. Letztlich führt daran, die Problematik der kommunalen Ausgabenseite endlich anzugehen, mittelfristig kein Weg vorbei. Am Ende der Arbeiten in der Gemeindefinanzkommission muss für die Kommunen ein „Mehr“ herauskommen. Allein daran wird sich ihr Erfolg messen lassen müssen!

Nachhaltige Stabilisierung der Stadtfinanzen nur durch Entlastung bei den Sozialausgaben

Die jüngst einberufene Gemeindefinanzkommission wird sich entsprechend den Vorgaben der Regierungskoalition vor allem mit der Frage befassen, ob ein Ersatz der Gewerbesteuer durch ein System von kommunalen Steuerzuschlägen auf die Einkommen- und die Körperschaftsteuer sowie durch einen höheren Umsatzsteueranteil realisierbar ist – gerade im Hinblick auf Administrierbarkeit, interkommunale Steuerverteilung und Aufkommensstabilität. Mit diesem Themenfokus stellt sich die Gemeindefinanzkommission in Wirklichkeit vor allem als Unternehmensteuerreformkommission dar. Die auf der Ausgabenseite verursachten strukturellen Finanzprobleme der Kommunen sollen dagegen bislang nur Randnotizen in der Arbeit der Kommission bleiben. Es wäre bedauerlich, wenn dadurch eine Lösung der drängenden Probleme im Bereich der Kommunalfinanzen erneut auf die lange Bank geschoben würde.

Unterfinanzierung der Kommunen

Am Ausgangspunkt einer ernstgemeinten Reformdebatte um die Kommunalfinanzen müssen die Fragen nach den Fehlentwicklungen im kommunalen Finanzsystem sowie nach deren Ursachen stehen. Dabei sind die folgenden Entwicklungen vorrangig zu würdigen:

In den kommenden Jahren werden die Einnahmen und Ausgaben vor allem in den finanzschwachen Kommunen mit zunehmender Tendenz auseinanderdriften. Im Jahr 2009 betrug das laufende kommunale Gesamtdefizit bereits mehr als 7 Mrd. Euro. Für das Jahr 2010 wird sogar ein Defizit von mindestens 12 Mrd. Euro erwartet, das nach den bis 2013 laufenden Prognosen auch in den Folgejahren im zweistelligen Milliardenbereich bleiben wird.

Die wesentlichen Bestimmungsfaktoren dieser Entwicklung sind einnahmenseitig die Steuermindereinnahmen infolge von Steuerrechtsänderungen, gefolgt von den konjunkturbedingten Steuerausfällen. Die Steuereinnahmen der Kommunen gingen 2009 insgesamt um mehr als 11% und damit stärker als bei Bund und Ländern zurück.

Ausgabensteigerungen wurden durch die von der Gesetzgebung abhängigen Steigerungen bei den Pflichtausgaben (z.B. infolge des Kinderförderungsgesetzes), die konjunkturabhängige Entwicklung der Sozialleistungen, hier insbesondere bei den Kosten der Unterkunft, sowie einen Anstieg bei den Personalausgaben durch neue Tarifabschlüsse und den Ausbau der Kindertagesbetreuung bedingt.

Die steigenden Sozialausgaben bewirken im Zusammenspiel mit den geringeren Einnahmen zugleich eine zunehmend größer werdende Kluft zwischen armen und reichen Kommunen, weil in wirtschaftlich schwachen Regionen typischerweise weit überdurchschnittlich hohe kommunale Soziallasten – trotz der kommunalen Finanzausgleichssysteme – mit leicht unterdurchschnittlichen Einnahmen korrelieren.

Hierdurch wird zugleich eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Die immensen Belastungen durch Sozialausgaben führen in finanzschwachen Kommunen dazu, dass andere Leistungen, soweit sie im Gegensatz zu den sozialen Leistungen nicht gesetzlich determiniert sind, zurückgefahren werden müssen. Dadurch wiederum werden die Handlungsmöglichkeiten bei der Bewältigung der bestehenden Strukturprobleme erheblich eingeschränkt. Zu denken ist dabei nicht nur an Infrastrukturinvestitionen, sondern beispielsweise auch an Maßnahmen aktivierender Sozialpolitik wie Bildungsangebote oder Integrationsmaßnahmen.

Zugleich wird das Ausmaß der kommunalen Unterfinanzierung nur teilweise in den laufenden Defiziten sichtbar und bleibt insoweit unterzeichnet. Kommunen mit hohen strukturellen Defiziten sind – wie bereits angedeutet – über kurz oder lang gezwungen, die sogenannten freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben (von Kulturförderung bis Straßenbau) stark einzuschränken, um die von Bund und Ländern auferlegten Pflichtausgaben weiterhin leisten zu können. Dieser Zusammenhang wird auch in ebenso anschaulicher wie für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung dramatischer Weise sichtbar in einer seit Jahren rückläufigen Investitionsquote bei gleichzeitig steigender Sozialausgabenquote der Kommunen.

Spätestens soweit auch die durch Bundes- und Landesrecht auferlegten Pflichtausgaben nicht mehr über laufende Einnahmen gedeckt werden können, erfolgt notgedrungen eine Flucht in die kommunalrechtlich unzulässige – aber von den Ländern unter diesen Umständen in der Regel geduldete – Finanzierung der strukturellen Defizite über Kassenkredite. Im Ergebnis ist die tatsächliche Finanzierungslücke so nur für den Bereich der Pflichtausgaben über die Entwicklung der Kassenkredite ableitbar. Die Kassenkredite steigen seit Beginn der Wirtschaftskrise explosionsartig: Allein im Jahr 2009 sind sie um mehr als 5 Mrd. Euro angewachsen.

In rein budgetärer Betrachtung verursachen langfristig also vor allem die durch Bundes- und Landesrecht determinierten Sozialausgaben der Kommunen die angespannte Finanzsituation der Kommunen. Diese sind von rund 26 Mrd. Euro im Jahr 1999 auf knapp 40 Mrd. Euro im Jahr 2009 gestiegen und werden bis 2013 weiter auf gut 45 Mrd. Euro ansteigen. Eine solche Ausgabendynamik lässt sich dauerhaft nicht durch höhere Kommunalsteuern auffangen, weder im bestehenden noch in einem idealtypisch reformierten Gemeindesteuersystem.

Die finanzschwachen Kommunen sind schon lange nicht mehr in der Lage, die strukturellen Defizite durch weitere eigene Konsolidierungsanstrengungen zu bewältigen. Die entsprechenden Potenziale sind bei diesen längst ausgeschöpft. Der gegenwärtig zu verzeichnende horrende Anstieg der jährlichen kommunalen Neuverschuldung auf über 10 Mrd. Euro wird nunmehr selbst von den bislang noch finanzstabilen Kommunen nicht lange aus eigener Kraft aufgefangen werden können.

Jenseits des langfristigen Trends hat sich die Finanzlage der Kommunen gegenwärtig auch durch massive Steuerausfälle nochmals verschärft. Die Steuerausfälle sind jedoch zum größten Teil durch Steuerrechtsänderungen des Bundes hervorgerufen worden und nicht etwa durch Aufkommensschwankungen infolge der Finanzkrise. Die jüngsten gesetzgeberischen Destabilisierungen der kommunalen Einnahmenbasis durch das Bürgerentlastungs- und das Wachstumsbeschleunigungsgesetz sowie durch das Gesetz zur Umsetzung von EU-Vorgaben werden auch im konjunkturellen Aufschwung noch fortwirken.

Steuerungsdefekte im kommunalen Finanzsystem

Die Frage nach den Ursachen für diese Entwicklungen führt von der budgetären zur prozessualen Betrachtungsebene der Rahmenbedingungen kommunaler Finanzpolitik. Bund und Länder beschließen fortwährend immer neue Leistungsansprüche der Bürgerinnen und Bürger gegenüber den Kommunen. Die daraus resultierenden Ausgabenverpflichtungen müssen die Kommunen jedoch allein aus ihren nur begrenzt steigerungsfähigen Einnahmenspielräumen decken. Reichen die allgemeinen Steueraufkommenszuwächse einer Kommune nicht mehr zur Deckung neuer Ausgabenverpflichtungen aus, so muss die Kommune an erster Stelle die sogenannten freiwilligen Leistungen streichen und – sobald dieser Spielraum ausgeschöpft ist – die Finanzierung über Kassenkredite sicherstellen.

Während sich die Bundes- und Landespolitik in politik-ökonomischer Betrachtung die von ihnen beschlossenen Ausgabenprogramme als politische Erfolge zurechnen lassen können, werden die budgetären und damit auch die politischen Kosten den Kommunalvertretern angelastet. Solange dieser höchst intransparente und expansiv wirkende Mechanismus nicht dadurch außer Kraft gesetzt wird, dass das Konnexitätsprinzip in den Finanzverfassungen von Bund und Ländern umfassend verankert wird, ist eine nachhaltige Sanierung der Kommunalfinanzen nicht möglich. Es sei im Übrigen angemerkt, dass mit dem derzeit diskutierten Regierungsvorschlag eines Zuschlagsrechts auf die Einkommensteuer dieser Ausgabenexpansionsmechanismus erst richtig Fahrt aufnehmen würde.

Die Komplexität der Aufgabe, die Verantwortungsstrukturen zu entflechten, wird dadurch erhöht, dass die Sozialausgaben auch ohne unmittelbare Eingriffe des Gesetzgebers permanent anwachsen. So ergeben sich beispielsweise bei der Grundsicherung im Alter allein aufgrund der kontinuierlich zunehmenden Anzahl von Rentenempfängern mit unterbrochenen Erwerbsbiografien erhebliche Ausgabensteigerungen. Nicht zuletzt wird auch die Art und Weise der Erfüllung der übertragenen Aufgaben bis ins Detail geregelt, wodurch nicht nur die Effizienzvorteile dezentraler Verwaltungsstrukturen zunichte gemacht werden, sondern auch die kommunale Ausgabenflexibilität unverhältnismäßig eingeschränkt wird.

Bei einer Vielzahl der von diesen Fehlentwicklungen geprägten (Sozial)-Aufgaben ist es unter verwaltungsökonomischen Gesichtspunkten dennoch sinnvoll, diese Aufgaben auf kommunaler Ebene zu verankern. Eine Rückübertragung dieser Aufgaben stellt insoweit in vielen Fällen keine tragfähige Lösungsstrategie dar, auch wenn es sich oftmals im Kern um gesamtstaatliche Aufgaben handelt. Es mangelt primär an einem für diese Aufgaben tragfähigen institutionellen Rahmen innerhalb der bundesstaatlichen Finanzverfassung, der eine Kooperation zwischen Bund und Kommunen auf Augenhöhe ermöglicht. Im Ergebnis führt dies dazu, dass die Kommunen nicht nur Träger sind, sondern zunehmend auch zum überlasteten Finanzier gesamtstaatlicher Aufgaben werden.

Mit Blick auf die Problemlagen im kommunalen Finanzsystem stellt sich insoweit die Frage nach einem Mehr oder Weniger an kommunaler Aufgabenwahrnehmung allenfalls sekundär. Zweifellos sind Anpassungen in der Aufgabenstruktur sowie im Ausgaben- und Einnahmenniveau unverzichtbar. Sie bleiben aber bloß punktuelle Korrekturen von zurückliegenden Fehlentwicklungen, wenn für die Zukunft nicht eine prozessuale Absicherung einer Finanzausstattung der Kommunen gelingt, die den Aufgaben angemessen ist.

Ansatzpunkte für eine Gemeindefinanzreform

Eine Gemeindefinanzreform muss zunächst das rasante Wachstum der Kommunalverschuldung stoppen. Hierzu ist es erforderlich, die kommunalen Einnahmen zeitnah aufzustocken, um die bestehenden Finanzierungsungleichgewichte abzubauen. Um die Kommunalfinanzen nachhaltig zu stabilisieren, ist es ferner geboten,

  • eine Entlastung bei den kommunalen Sozialabgaben herbeizuführen,
  • die kommunale Steuerbasis zu verstetigen und zu verbreitern,
  • die Mitwirkungsrechte der Kommunen an kommunalrelevanter Gesetzgebung von Bund und Ländern zu verbessern,
  • damit verbunden das Konnexitätsprinzip zu stärken sowie
  • die finanziellen Rahmenbedingungen für ebenenübergreifende Kooperationen zu verbessern.

Explosion der Kassenkredite stoppen

Die finanzielle Handlungsfähigkeit einer Mehrzahl von Kommunen wird schon mittelfristig nicht mehr gewährleistet sein, wenn der rasante Anstieg der Kassenkredite und damit auch die schuldenstandsbedingten Finanzierungslasten nicht zeitnah gebremst werden. Einnahmenseitig sind daher keine weiteren Destabilisierungen des kommunalen Steueraufkommens vertretbar. Vielmehr ist eine Verbreiterung der kommunalen Steuerbasis geboten, die allerdings aufgrund des dafür benötigten zeitlichen Vorlaufes erst mittelfristig greifen kann. Als schnell umsetzbare begleitende Hilfsmaßnahme wäre an eine Rückführung der Gewerbesteuerumlage zu denken. Da die Maßnahme aber nicht gezielt auf die finanzschwachen Kommunen abhebt, kann es sich dabei nur um eine ergänzende Hilfsmaßnahme zur allgemeinen Hebung des Finanzausstattungsniveaus der Kommunen handeln.

Im Hinblick auf die hohe Korrelation zwischen Finanzschwäche und Sozialausgabenniveau in den Kommunen bleibt somit eine zeitnahe finanzielle Hilfe von Bund und Ländern für finanzschwache und bereits hochverschuldete Kommunen geboten. Die Finanzhilfe, wie auch immer im Detail ausgestaltet, muss insbesondere an Soziallastenindikatoren anknüpfen.

Sozialausgabenquote der Kommunen stabilisieren

Die Kommunalfinanzen können nur dann nachhaltig stabilisiert werden, wenn eine Entlastung bei den Sozialabgaben gelingt. Zusätzlich zu langfristigen Entlastungen muss der Bund Soforthilfen leisten, indem er seine Beteiligung an den Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose nicht absenkt. Sonst droht allein hier, auch durch die steigende Arbeitslosigkeit bedingt, 2010 ein Anstieg der bundesweiten Belastung der Kommunen um 1 Mrd. auf 11 Mrd. Euro. Die von der Bundesregierung angestrebte Flexibilisierung von Standards in anderen Politikbereichen ist zwar quantitativ nicht so bedeutend wie die Sozialausgaben, bietet aber naturgemäß auch Entlastungsmöglichkeiten und sollte deshalb im Sinne einer umfassenden Verwaltungsmodernisierung ebenfalls vorangetrieben werden.

Kommunale Steuerbasis verbreitern

Die Bemessungsgrundlage und der Kreis der Steuerpflichtigen der Gewerbesteuer und jeder anderen wirtschaftskraftbezogenen Steuerquelle im Sinne des Artikels 28 Abs. 2 Satz 3 Grundgesetz sind zu verbreitern, um die Abhängigkeit von den versteuerten Gewinnen nur weniger Steuerzahler vor Ort zu verringern und zur Verbreiterung der kommunalen Steuerbasis auch wirtschaftlich schwächerer Kommunen beizutragen. Zur Sicherung der kommunalen Finanzautonomie und zur Abstimmung von Einnahmen und Ausgabenbedarf ist zudem das verfassungsrechtlich verbürgte Hebesatzrecht bei den wirtschaftskraftbezogenen Steuern zwingend zu sichern.

Darüber hinaus besteht seit einigen Jahren bei Bund, Ländern und Kommunen die einvernehmliche Auffassung, dass die Grundsteuer bereits aus steuersystematischen Gründen dringend reformbedürftig ist. An entsprechenden Vorschlägen für eine Revitalisierung dieser Steuer herrscht ebenfalls kein Mangel. Die einnahmenseitige Konsolidierung sollte daher auch im Wege einer Grundsteuerreform angestrebt werden, die ein insgesamt höheres Aufkommensniveau bei dieser idealen Kommunalsteuer zulässt.

Konnexitätsgrundsätze verankern

Aus struktureller Sicht lassen sich die Ungleichgewichte im Bereich der Kommunalfinanzen nur dann auffangen, wenn es gelingt, dass diejenige Ebene, die eine finanzrelevante Aufgabe initiiert, letztlich auch die Finanzierung dieser Aufgabe sicherzustellen hat. Weil aber Bund und Länder ebenfalls einem hohen Konsolidierungsdruck ausgesetzt sind, besteht die Gefahr, dass insbesondere die Länderebene versuchen wird, diesen Druck durch einen Griff in die kommunalen Kassen zu lindern.

Da Bund und Länder bei der Ausgestaltung des kommunalen Finanzsystems weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten haben, waren die Kommunen lange Zeit sehr zuversichtlich, dass eine Verankerung des Konnexitätsgrundsatzes in den Finanzverfassungen der Länder über kurz oder lang dazu beitragen würde, aufgabenangemessene Finanzstrukturen herauszubilden. Der Konnexitätsgrundsatz war durch die allgemeine Bestimmung zur Finanzierungspflicht der aufgabenübertragenden Ebene gestärkt worden.

Diese Hoffnung hat zwischenzeitlich starke Dämpfer erfahren. Eben jene Gestaltungsmöglichkeiten, die für den Aufbau einer aufgabenangemessenen Finanzierungsstruktur der Kommunen genutzt werden könnten, werden unter dem neuen Regime letztlich doch nur dazu verwandt, die Finanzmittel, die im Falle einer Aufgabenübertragung für die übernehmende Ebene bereitzustellen sind, über allgemeine Finanzausgleichsmechanismen wieder abzuschöpfen, oder gleich dadurch unterlaufen, dass bereits bestehende Aufgaben ausgeweitet werden und es entsprechend zu einer indirekten Ausgabenübertragung kommt. Bisher konnte also die Aufgabenübertragungsproblematik allenfalls abgemildert werden.

Dementsprechend sind die bisher angewandten Konnexitätsverfahren dahingehend weiterzuentwickeln, dass die Finanzierungsverpflichtung der übertragenden Ebene entweder über den Aufgabenübertragungszeitpunkt hinaus kontinuierlich fortgeschrieben werden muss oder Mitbestimmungsrechte der Kommunen geschaffen werden, die die Kommunen faktisch in die Rolle eines freiwilligen Auftragnehmers für Verwaltungsaufgaben versetzen. Entsprechende institutionelle Verfahren müssten allerdings erst noch von Wissenschaft und Praxis entwickelt werden.

Mitwirkungsrechte der Kommunen ausbauen

Der weit überwiegende Teil bundesgesetzlicher Regelungen wird in der Verwaltungspraxis durch die Kommunen vollzogen. In der Folge haben die Bundesgesetzgebung und auch die Gesetzgebung der Europäischen Union – teils mehr, teils weniger offensichtliche – Kostenfolgen für die Kommunen.

Auch im zweistufigen Staatsaufbau ist daher eine institutionalisierte Einbindung der Kommunen als dritter Ebene in die Gesetzgebungsverfahren notwendig. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf garantierte Anhörungsrechte und ein Mitwirkungsrecht an den Kostenfolgenabschätzungen in Gesetzgebungsverfahren. Beide Maßnahmen zielen darauf ab, im Interesse des vertrauensvollen Zusammenspiels zwischen Bund, Ländern und Kommunen die Erkenntnisse der Kommunen als maßgebliche Verwaltungsebene stärker in die Gesetzgebung einfließen zu lassen.

Finanzhilfen des Bundes verbessern

Die finanzwissenschaftliche Fachliteratur scheint sich im Grundsatz darin einig zu sein, dass Mischfinanzierungen unweigerlich Fehlallokationen im öffentlichen Finanzsystem begründen und deshalb zu vermeiden seien (Stichwort „Goldene Zügel“). Im Spiegel praktischer Erfahrungen gilt diese Aussage aber nur mit Einschränkungen. Finanzhilfen können angebracht sein, wenn diese eine ansonsten institutionell unüberwindbare strukturelle Unterfinanzierung auf nachgelagerten Ebenen lindern. Ferner sind Finanzhilfen immer dann angebracht, wenn ebenenübergreifende Verwaltungskooperationen zu finanzieren sind. Im ersten Ausnahmefall bilden die Finanzhilfen schlicht das kleinere Übel, im zweitgenannten Fall kann die Wirkung der Finanzhilfen als Goldene Zügel eingefangen werden, indem die Empfänger die Finanzzuweisung und die damit in Zusammenhang stehenden Verausgabungspflichten auch tatsächlich ablehnen können.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem Konjunkturpaket II erachten es die Kommunen deshalb für erforderlich, dass der Katalog der zulässigen Finanzhilfen des Bundes in Artikel 104 b des Grundgesetzes systematisch auf all jene Politikfelder ausgedehnt wird, auf denen Verwaltungskooperationen zwischen Bund und Kommunen wünschenswert erscheinen.

Fazit

Die Kommunen brauchen angesichts eines jährlichen Defizits in zweistelliger Milliardenhöhe bereits kurzfristig massive Finanzhilfen zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise. Zeitgleich muss aber auch eine grundlegende Reform des kommunalen Finanzsystems in die Wege geleitet werden, die die Wahrung der Konnexitätsgrundsätze im Bundesstaat sicherstellt, ohne dabei ebenenübergreifende (Verwaltungs-)Kooperationen unnötig zu erschweren. Im Ergebnis muss eine Reform der Kommunalfinanzen sowohl allen Kommunen genügend Spielräume für die Erfüllung der sogenannten kommunalen Selbstverwaltungsaufgaben belassen als auch sicherstellen, dass die Kommunen bei der Erfüllung der ihnen durch Bundes- und Landesrecht zugewiesenen Aufgaben nicht finanziell überfordert werden.

Gewerbesteuerreform – Das Ende einer unendlichen Geschichte?

Im Frühjahr 2010 hat die Bundesregierung eine „Kommission zur Neuordnung der Gemeindefinanzen“ ins Leben gerufen. Neben Entlastungsmöglichkeiten auf der Ausgabenseite soll die Kommission vor allem einen Ersatz für die Gewerbesteuer diskutieren. Dieses Thema wird nicht zum ersten Mal behandelt: Schon im Frühjahr 2002 war eine Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen zusammengetreten und 2003 uneinig auseinander gegangen.

Die Gemeindefinanzen verlangen nach Reform. Wieder einmal und immer noch. Der Streit um die Gewerbesteuer ist, wie Karl-Heinrich Hansmeyer schon 1997 retrospektiv anmerkte, eine „unendliche Geschichte“.1 Auch wenn die Empirie diese Aussage seitdem sogar noch gestärkt hat, Hansmeyer wollte kein Gesetz formulieren. Die kommunale Finanzsituation ist unzweifelhaft problematisch und verlangt nach echten Reformen, nicht nur Korrekturen, auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite. Der nötige Reformdruck ist da, Reformwille ist da – und damit auch eine Reformchance. Um diese Chance in greifbarere Nähe zu rücken, gilt es, die Erfahrungen der letzten Reformbemühungen und die Gründe für deren Scheitern zu berücksichtigen.

Der Versuch einer Reform der Gemeindefinanzen ist im verflochtenen Mehrebenen-Föderalismus Deutschlands ein Prozess mit vielen Veto-Spielern. Neben den drei Hauptebenen Bund, Ländern und Gemeinden ist vor allem anzuerkennen, dass die oft beschworene „kommunale Familie“ sehr groß und sehr heterogen ist. Wie in jeder guten Großfamilie werden hier nicht alle inneren Reibereien und Interessensgegensätze nach außen getragen. Für die Erfolgsaussichten ehrlicher Reformbemühungen wäre es allerdings ein naiver Fehlschluss, die Heterogenität legitimer einzelgemeindlicher Interessen außer Acht zu lassen oder sie auch nur nachrangig zu behandeln. Die große Herausforderung der kommenden Gemeindefinanzreform wird darin bestehen, Reformmodelle zu entwickeln, die einen sachlichen und fachlichen Fortschritt gegenüber dem Status quo darstellen und zugleich für alle wesentlichen Akteure (zumindest zähneknirschend) zustimmungsfähig sind. Wie wir sehen werden, kann eine solche Lösung – denn das gekorene Optimalmodell gibt es weiterhin nicht – durchaus unkonventionelle Wege erforderlich machen.

Einnahmenproblem oder Ausgabenproblem?

Die aktuelle Kommission zur Neuordnung der Gemeindefinanzen hat mehrere Aufträge. Neben der rechtlichen und auch legislativen Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung stehen fiskalisch die Einnahmen- und die Ausgabenseite auf der Agenda. Auf der Ausgabenseite sollen Entlastungsmöglichkeiten, auf der Einnahmenseite sollen Reform- bzw. Ersatzmodelle für die Gewerbesteuer geprüft werden. Explizit nennt das Bundeskabinett den aufkommensneutralen Ersatz der Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit eigenem Hebesatz.2

Handelt es sich nun um ein Einnahmen- oder um ein Ausgabenproblem? Das eine muss das andere selbstverständlich nicht ausschließen. Ein Blick auf die Entwicklung der Aggregate der kommunalen Finanzpolitik (vgl. Abbildung 1) macht aber sehr deutlich, dass die Einnahmenseite durchaus zu Recht ein wesentliches Aktionsfeld für eine Kommunalfinanzreform ist.

Einnahmen und Ausgaben der Kommunen
Index zu konstanten Preisen von 19971
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1 1997 wurde als Indexjahr für Einnahmen und Ausgaben gewählt, da (nur) in diesem Jahr der aggregierte Finanzsaldo nahezu perfekt ausgeglichen war.

Quellen: Daten zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen des Statistischen Bundesamtes; eigene Berechnungen.

Angesichts der 2009 und 2010 durchaus dramatischen Finanzsituation zahlreicher Kommunen wird leicht übersehen, dass es kurz zuvor noch ganz anders aussah. In den Jahren 2006 bis 2008 konnten die Kommunen Haushaltsüberschüsse von mehreren Milliarden Euro erzielen. Dem folgte im Jahr 2009 mit der Wirtschaftskrise ein umso stärkerer Einbruch: Gegenüber Gewerbesteuereinnahmen von 31,1 Mrd. Euro (netto) 2008 sank das Aufkommen im Folgejahr um knapp 20% auf nur noch 25 Mrd. Euro. Damit trug allein die Gewerbesteuer im Umfang von rund zwei Dritteln zum Umschlagen des kommunalen Finanzierungssaldos vom Überschuss ins Defizit des Jahres 2009 bei.

Dabei ist zu beachten, dass alle Steuern, die (auch) an unternehmerischen Erträgen ansetzen, Konjunkturabhängigkeit zeigen. Gewissermaßen traditionell ist das Aufkommen der Körperschaftsteuer mindestens ebenso, zumeist sogar noch deutlich konjunkturabhängiger. Deren Aufkommen ist 2009 im Vergleich zu 2008 sogar um 55% gesunken. Auch wenn die besondere Konjunkturabhängigkeit des Körperschaftsteueraufkommens wiederum durch die Gewerbesteuer mitverursacht wird (früher über Abzugsfähigkeit, heute über Anrechnungsmöglichkeit), wird deutlich, dass ein ausgewogenes Kommunalsteuersystem bei zu hohem Gewicht von Steuereinnahmen aus Unternehmenserträgen immer konjunkturanfällig sein wird.

Ein gutes kommunales Steuersystem

Zur Beurteilung von Reformvorschlägen ist es notwendig zu klären, welchen Kriterien ein ökonomisch rationales kommunales Einnahmensystem und auch seine zentralen Bausteine genügen sollten.3

  • Fiskalziel: Oberstes Ziel einer Gemeindesteuer ist es, den Kommunen ein dauerhaftes und stetiges Aufkommen zur Finanzierung ihrer Aufgaben zu sichern. Hieraus leiten sich mehrere Unterziele ab. Die Forderung nach hoher Stetigkeit übersetzt sich in das Kriterium geringer Konjunkturreagibilität, einem wichtigen Schwachpunkt der Gewerbesteuer. Zudem sollte positive, günstigstenfalls proportionale Wachstumsreagibilität des Aufkommens gewährleistet werden. Eine derart dauerergiebige Steuer bietet ein im Zeitablauf stabiles Realaufkommen. Als eine der wesentlichen Determinanten kommunalen Wachstumspotenzials muss heutzutage auch die örtliche Bevölkerungsentwicklung ins Auge gefasst werden. Für zahlreiche Gemeinden in Deutschland werden sich demographische Veränderungen – teils durch Alterung, teils durch Wanderung – in den kommenden Jahren zum dominierenden Strukturfaktor entwickeln; für viele Kommunen ist dies heute schon Realität. Die Demographiesensibilität der Steuerbemessungsgrundlage muss also im Auge behalten werden – auch wenn klar ist, dass auf Dauer eine Entkopplung von Bevölkerungsentwicklung und Steuereinnahmen weder sinnvoll noch machbar ist.
  • Finanzielle Autonomie: Kommunen sollen über einen signifikanten Teil ihrer Einnahmen eigenständig entscheiden können. Einnahmenautonomie hat nicht nur die Funktion, dass die Kommunen angemessen mit Steuereinnahmen ausgestattet sind. Es geht auch darum, die Verantwortlichkeit der Kommunalpolitik gegenüber den Bürgern und Steuerzahlern zu stärken und den Wettbewerb zwischen den Gemeinden zu ermöglichen. Erreicht wird dies mit Hebesatz- oder Zuschlagsrechten auf die wesentlichen kommunalen Steuerquellen.
  • Interessenausgleich: Als pragmatische Version des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (1982) den Grundsatz des Interessenausgleichs für Gemeindesteuersysteme formuliert.4 Im Sinne einer Gruppenäquivalenz geht es darum, die Interessen unterschiedlicher Gruppen innerhalb einer Gemeinde auszugleichen. Die zentralen Gruppen sind hier die Wohnbevölkerung, die lokale Wirtschaft sowie die Haus- und Grundbesitzer. Leistungen, die vorwiegend einer Gruppe zugute kommen, sollten auch primär von dieser Gruppe finanziert werden. Die Finanzierungslasten für gemeinsam genutzte öffentliche Leistungen wären entsprechend zu teilen.
  • Anknüpfung an die lokale Wirtschaftskraft: Ein klares fiskalisches Band zu den örtlichen Unternehmen ist auch wichtig, damit in den Gemeinden ein Interesse an der Ansiedlung von Unternehmen besteht. Das ist vor allem dann nicht selbstverständlich, wenn mit der Unternehmensansiedlung Belastungen für die Wohnbevölkerung einhergehen, beispielsweise in Form erhöhten Verkehrsaufkommens. Ohne finanzielle Anreize zur Gewerbeansiedlung besteht die Gefahr, dass Kommunen versuchen, eher die Funktion von Freizeit- und Wohnstädten auszuüben und sich bei Gewerbeansiedlungen auf andere Gemeinden zu verlassen.
  • Weitere Kriterien: Neben diesen spezifischen kommunalen Aspekten sollte ein kommunales Einnahmensystem natürlich auch generellen Anforderungen an ein ökonomisch rationales Steuersystem genügen. Dazu gehört es, Effizienzverluste zu vermeiden, die durch unnötige steuerliche Verzerrungen der privaten Wirtschaftsaktivität entstehen. Darüber hinaus sind Aspekte der praktischen Umsetzbarkeit zu beachten. Für die Diskussion der Gewerbesteuerreform geht es vor allem darum, dass sich etwaige neue Steuern in das bestehende System der Unternehmensbesteuerung einfügen lassen.

Schwächen der Gewerbesteuer

Die Konjunkturabhängigkeit des Gewerbesteueraufkommens ist schon deutlich geworden. Bei den Gemeinden führen Einnahmenausfälle in der Krise zu gravierenden Finanzproblemen und ermutigen im Boom zu prozyklischem Ausgabenverhalten. Mit der Unternehmensteuerreform 2008 sind die ertragsunabhängigen Elemente in der Gewerbesteuer zwar gestärkt worden. Gleichwohl geht die Verschlechterung der kommunalen Einnahmen von 2009 gegenüber 2008 zu zwei Drittel auf den konjunkturell bedingten Einbruch der Körperschaftsteuer zurück. Hinzu kommt, dass die Gewerbesteuer für zahlreiche Gemeinden eine fiskalisch nur wenig ergiebige Einnahmequelle darstellt.5 Gemeinden in strukturschwachen Gebieten – nicht nur in vielen Teilen Ostdeutschlands – erzielen kaum Einnahmen aus dieser Realsteuer. Auch hat sich die Gewerbesteuer im Zeitablauf zu einer Steuer für große und mittlere Unternehmen entwickelt, wodurch einzelne Kommunen in eine große Abhängigkeit vom Wohl und Wehe nur weniger örtlicher Betriebe kommen können. Auch unter dem Gesichtspunkt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland ist die Gewerbesteuer negativ zu beurteilen, denn sie ist letztlich eine beinahe einmalige „Sondersteuer“ auf den mobilen Faktor Kapital. Schließlich erlaubt es das derzeitige Gemeindefinanzsystem mit seiner Fokussierung auf die Gewerbesteuer nicht, das Prinzip des Interessenausgleichs ausgewogen umzusetzen. Es fehlt eine direkte Beteiligung der Wohnbevölkerung an der Finanzierung lokaler Leistungen. Die gegenwärtigen Einkommensteueranteile der Gemeinden können das nicht ausgleichen, denn hier fehlt das Recht, die Höhe der Besteuerung eigenständig festzulegen.

Bei der Beurteilung der Gewerbesteuer sollte allerdings nicht übersehen werden, dass sie auch einige Anforderungen an eine geeignete kommunale Steuer erfüllt. Sie knüpft an der lokalen Wirtschaftskraft an und schafft so Anreize für die Gemeinden, sich um Gewerbeansiedlungen zu bemühen. Auch ermöglicht die Gewerbesteuer es, eine Schrumpfform des Interessenausgleichs umzusetzen, indem für die erfassten Unternehmen eine Besteuerung in Anlehnung an das Äquivalenzprinzip umgesetzt wird. Das Hebesatzrecht bei der Gewerbesteuer verschafft den Gemeinden eine gewisse Einnahmenautonomie.

Ansatzpunkte zur Reform der Gewerbesteuer

Im Laufe der immer wieder aufflammenden Diskussion zur Reform der Gewerbesteuer sind zahlreiche Modelle entwickelt worden. Hier ist nicht der Raum, sie alle vorzustellen. Neben dem Modell eines höheren Umsatzsteueranteils nebst eines kommunalen Zuschlags auf Einkommen- und Körperschaftsteuer mit eigenem Hebesatz, wie vom Bundeskabinett bei Einsetzung der aktuellen Reformkommission zur Prüfung empfohlen, und neben dem Ansatz einer evolutionären Weiterentwicklung der Gewerbesteuer stehen die „alten“ Vorschläge vom Bundesverband der Deutschen Industrie/Verband der Chemischen Industrie, von der Bertelsmann-Stiftung und von der Stiftung Marktwirtschaft wieder zur Diskussion. Eine steuersystematisch wichtige Rolle können auch aktuelle Ansätze bieten, die das ursprünglich vom Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums entwickelte Konzept einer kommunalen Wertschöpfungsteuer wieder aufgreifen.

Abstrahiert man von den mit ihren jeweiligen Urhebern verbundenen Einzelvorschlägen, bieten alle Modelle eine Kombination von Festlegungen in mehreren Entscheidungsdimensionen. Vereinfacht dargestellt müssen folgende Entscheidungen getroffen werden:

  • Die ökonomische Bemessungsgrundlage der Besteuerung der kommunalen Wirtschaft wird als die vollständige örtliche Wertschöpfung eines Unternehmens festgelegt oder lediglich als der unternehmerische Ertrag, oder sie liegt an einem steuertechnisch hergestellten Punkt zwischen diesen beiden Extrema, indem z.B. einer ertragsorientierten Steuer ertragsunabhängige Wertschöpfungskomponenten beigemischt werden (wie z.B. bei der Gewerbesteuer in ihrer aktuellen Form). Mit dieser Festlegung wird über die Gewichtung von ertragsabhängigen und ertragsunabhängigen Elementen der kommunalen Wirtschaftssteuer entschieden.
  • Der Kreis der zu erfassenden unternehmerischen Aktivitäten bzw. der erfassten Unternehmen kann auf größere, gewerbliche Unternehmen beschränkt bleiben oder einen größeren Teil der gesamten lokalen wirtschaftlichen Aktivitäten abdecken (Kleinunternehmen, Selbständige, Freiberufler usw.). Je nach Ausgestaltung der kommunalen Wirtschaftssteuer erfolgt eine solche Ausdehnung explizit (wie bei einer Erweiterung der Gewerbesteuer) oder automatisch (wie bei einem Zuschlagsrecht auf Körperschaft- und unternehmerische Einkommensteuer).
  • Die Gewichtung eines einwohnerbezogenen Elements kann sehr unterschiedlich ausfallen. Geht es um einen ungefähr aufkommensneutralen Ersatz des bisherigen Gewerbesteueraufkommens, so kann weiterhin das ganze Aufkommen bei den lokalen Unternehmen generiert werden, oder aber es kommt zu einer graduellen Entlastung der Unternehmen und Belastung der Bürger. Letzteres entspräche mehr dem Prinzip eines insgesamt ausgewogenen Interessenausgleichs. Es brächte aber eine Umverteilung zulasten der Bürger gegenüber dem Status quo mit sich, was lokalpolitische Vorbehalte verständlich macht. Wichtig ist hier auch die Form des einwohnerbezogenen Elements: Ausdehnung des bisherigen kommunalen Anteils an der Einkommensteuer ohne Zuschlagsrecht oder Einführung einer einkommensbezogenen Bürgersteuer bzw. Erhöhung des kommunalen Einkommensteuer-Anteils mit Zuschlagsrecht oder schließlich Erhöhung des kommunalen Umsatzsteueranteils (zwingend ohne Zuschlagsrecht).
  • Hebesatz- oder Zuschlagsrechte bestimmen den Grad der Selbstbestimmung einer Kommune in ihrer Steuerpolitik. Keiner der wesentlichen Vorschläge verzichtet auf dieses Element. Dennoch kann diesen kommunalen Rechten ein sehr unterschiedliches praktisches Gewicht zukommen. Entscheidend sind hier die quantitative Bedeutung der zugeordneten Bemessungsgrundlagen und die Entscheidung für oder gegen obere und untere Limits. Auch die Frage, ob unternehmensbezogene Hebesätze und (etwaige) einwohnerbezogene Hebesätze gebunden oder unabhängig voneinander variiert werden dürfen, kann für einzelne Gemeinden große Unterscheide nach sich ziehen.

Dies sind die wesentlichen Gestaltungsparameter der Gemeindefinanzreform.6 Mit unterschiedlichen Gewichtungen der zur Verfügung stehenden Bausteine und ihrer Festlegung in den skizzierten Dimensionen ist das Spektrum der bis dato diskutierten Vorschläge weitgehend abgedeckt. Durch andere Kombinationen und Gewichtungen lassen sich viele weitere, (leicht) unterschiedliche Reformmodelle entwerfen.

Reformhindernisse und Wege zur Reform

Mit dem grob entworfenen „Baukasten Gemeindefinanzreform“ lassen sich zahlreiche Modelle formulieren und durchtesten. Je nach Ausgestaltung werden sie einzelne der oben skizzierten Kriterien für ein taugliches kommunales Steuersystem besser, andere schlechter erfüllen. Gleichwohl kann nach den Erfahrungen mit den vergangenen Reformversuchen nicht erwartet werden, dass ein Modell sich bei allen Kriterien durchsetzen kann und von allen relevanten Akteuren unisono befürwortet wird. Zwar sind systematisch erhebliche Verbesserungen gegenüber der bestehenden Gewerbesteuer möglich, so viel ist klar. Aber selbst wenn es auf systematischer Ebene ein uneingeschränktes Optimalmodell gäbe, stünden der einmütigen Zustimmung noch die zu erwartenden Umverteilungseffekte entgegen.

Dies wurde bei den Auseinandersetzungen um die Gewerbesteuerreform 2002-03 überdeutlich. Ungeachtet aller Streitfragen in konzeptioneller Hinsicht, waren letztlich die erwarteten interkommunalen Umverteilungseffekte ausschlaggebend dafür, dass die Reformen auf Eis gelegt wurden und dass der von allen Seiten als unbefriedigend empfundene Status quo reüssieren konnte.

Jede Reform bewirkt eine interkommunale Umverteilung bei den Steuerbemessungsgrundlagen. Wird die überkommene Gewerbesteuer abgeschafft oder substanziell reformiert, so kann sich nicht alles ändern, nur beim Aufkommen alles beim Alten bleiben. In der Praxis wird die Frage, ob es zu Umverteilungseffekten kommt, schnell hinter die Frage nach der Dimension und den Betroffenen der interkommunalen Umverteilung zurücktreten. Verschiedene Modelle werden zu Umverteilungseffekten ganz unterschiedlicher Größe und Inzidenz führen.

Kein vernünftiger Weg ist es, das Modell mit der geringsten Umverteilung zu wählen. Denn hier landet man wieder beim Status quo. Kein vernünftiger Weg ist es, darauf zu hoffen, dass absehbare Reformverlierer aus Rücksicht auf „höhere Ziele“ ihre eigenen Interessen hintanstellen. Was also tun? Mit Blick auf eine wiederum von Verteilungsfragen geprägte Konstellation seien abschließend vier Punkte genannt, die den Blick auf Reformen offen halten können:

  • Die kommunalen Finanzausgleiche dämpfen Umverteilungseffekte erheblich. Werden ihre Wirkungen berücksichtigt, stellt sich für viele Kommunen das Umverteilungsproblem als weniger erheblich heraus.7
  • Bei Steuern mit kommunalem Hebesatzrecht sind Umverteilungseffekte nicht genau zu prognostizieren, da die Gemeinden auf Änderungen ihrer Einnahmensituation reagieren können.8 Theoretisch können bei freier Hebesatzwahl fiskalische Reformeinbußen dezentral wieder „hereingeholt“ werden. In der Praxis werden die Kommunen zwar nicht derart flexibel und mitunter radikal reagieren. Aber in der Regel werden sie Verluste durchaus zum Teil kompensieren können, ohne dass der Gesetzgeber Vorsorge treffen müsste.
  • Kompensationsfonds Gemeindefinanzreform: Reformbedingte Einnahmenverluste bei einzelnen Gemeinden können auch explizit ausgeglichen werden. So wurde schon bei der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer verfahren; der Schlüssel zur Verteilung der anstelle dessen zugewiesenen Umsatzsteueranteile orientiert sich wesentlich am Aufkommen der vormaligen Steuer. Ein „Kompensationsfonds Gemeindefinanzreform“ könnte zeitlich begrenzt und degressiv ausgestaltet den Reformverlierern den Übergang zum neuen System erleichtern. Je nach Ausmaß des reformbedingten Verlusts sollten in Härtefällen auch längere Ausgleiche nicht ausgeschlossen sein.9
  • Steuerwahlrecht: Mit Blick auf die Historie der Nicht-Reformen der Gewerbesteuer sollte im Zweifelsfall erwogen werden, ein kommunales Steuerwahlrecht anzuerkennen. Konkret hieße dies, dass den einzelnen Kommunen das Recht zugestanden wird, bei der Gewerbesteuer zu bleiben oder das mehrheitlich favorisierte Alternativmodell zu wählen. Der jahrzehntelange Reformstillstand rührte aus der vermeintlichen Notwendigkeit, für alle Gemeinden – Nord wie Süd, West wie Ost, Reich wie Arm, Stadt wie Land – partout ein gemeinsames Modell umzusetzen. Aber das „One size fits all“-Modell für eine kommunale Wirtschaftssteuer gibt es vielleicht einfach nicht. Ein Wahlrecht in dieser Hinsicht würde allerhand technische und administrative Umstellungen und anfänglichen Mehraufwand erforderlich machen. Derartige Vorbehalte sind wichtig – allerdings vor allem aus zentraler Sicht. Der Bund und die Länder hätten mit einem Wahlrecht zwischen zwei Modellen mehr Arbeit. Die Kommunen hätten mehr Steuerwettbewerb, und zwar gesunden Wettbewerb ohne „race to the bottom“. Vor allem aber hätten die Kommunen mehr Freiheit, das für sie passende Modell zu wählen. Damit wäre die Situation passé, dass mittlere bis große Gruppen der Gemeinden gegen ihre eigenen Interessen majorisiert werden.

Die beiden ersten Punkte verweisen auf „automatische Stabilisatoren“, deren Wirken in der neuen Reformrunde im Gegensatz zu 2002-03 nicht unbeachtet bleiben sollte. Die beiden folgenden Punkte weisen auf weitergehende Optionen hin, die gewiss nicht klar, elegant und einfach wären. Man kann hoffen, dass sich ein einvernehmliches Steuermodell zu Ablösung der althergebrachten Gewerbesteuer findet. Sollte dies nicht der Fall sein, können ein Kompensationsfonds oder ein Steuerwahlrecht einen Weg weisen, beim Ergebnis der Reformdiskussion kein Déjà-vu zu den vorherigen Reformversuchen zu erleben.

  • 1 Vgl. K.-H. Hansmeyer: Der Streit um die Gewerbesteuer, eine unendliche Geschichte, in: Gelebte Demokratie, Festschrift für Manfred Rommel, Stuttgart 1997, S. 159-178.
  • 2 Vgl. den Einsetzungsbeschluss des Bundeskabinetts vom 24.2.2010.
  • 3 Vgl. H. Zimmermann: Kommunalfinanzen, Baden-Baden 1999; C. Fuest, M. Thöne: Gemeindefinanzreform – Hintergründe, Defizite, Alternativen, FiFo-Berichte Nr. 1, Köln 2005.
  • 4 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten zur Reform der Gemeindesteuern, Bonn 1982.
  • 5 Vgl. zum Folgenden: C. Fuest, M. Thöne: Substitution der Gewerbesteuer: Eine Kombination aus Zuschlägen zur Einkommen- und Körperschaftsteuer und reformierter Grundsteuer, Referat anlässlich des Symposiums „Kommunale Steuer- und Finanzreform“ zur Feier des 75-jährigen Gründungsjubiläums des Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität zu Köln am 6. Dezember 2002, Köln.
  • 6 Zumindest, soweit die Reform der Gewerbesteuer angesprochen ist. Viele Vorschläge sehen eine simultane Reform beider Realsteuern, d.h. auch der Grundsteuer vor. Wie C. Fuest, M. Thöne (Gemeindefinanzreform a.a.O.) zeigen, erhöht eine Simultanreform die Gestaltungsmöglichkeiten für die Kommunen signifikant, wodurch der Bedarf an Anpassung deutlich sinkt. Die Grundsteuer gilt zudem selbst seit langem als reformbedürftig.
  • 7 Vgl. S. Heilmann: Wechselwirkungen eines Zuschlagsmodells mit dem kommunalen Finanzausgleich, FiFo-Berichte Nr. 6, Köln 2006.
  • 8 Vgl. C. Fuest, M. Thöne: Gemeindefinanzreform, a.a.O., mit ausführlichen Modellrechnungen.
  • 9 Vgl. C. Fuest, M. Thöne: Überlegungen zu einem „Kompensationsfonds Gemeindefinanzreform“, FiFo Köln, internes Arbeitspapier, Köln 2006.

Gemeindefinanzkrise und Gemeindefinanzreform– Eine unendliche Geschichte

Die Krise der Gemeindefinanzen ist ein Klassiker in der politischen Diskussion der Bundesrepublik Deutschland. Das Bild des Abgrunds, an dem die Gemeinden finanziell stehen, ist oftmals bemüht worden und hat deshalb kaum noch einen Neuigkeitswert. Auch wurde das Thema in den letzten fünf Jahrzehnten schon von zahlreichen Reformkommissionen behandelt, und teilweise gab es sogar Reformen – zuletzt in den Jahren 2003 (Gewerbesteuer), 2005 (Arbeitslosen- und Sozialhilfe) und 2008 (Gewerbesteuer). Am Problem selbst hat sich aber nichts Grundlegendes geändert. Die Problemschärfe hat jedoch zuletzt deutlich zugenommen. Kommt jetzt also wirklich der Absturz? Oder schafft die vor kurzem eingesetzte „Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen“ endlich den Durchbruch zu einer zukunftsfähigen Gemeindefinanzierung?

Ein Durchbruch wäre angesichts der kaum veränderten Positionen der beteiligten Akteure eine Überraschung. Und ein Absturz? Möglicherweise haben wir uns an den Krisendiskurs gewöhnt und glauben nicht daran. Es ist bis jetzt ja immer alles gut gegangen. Wirklich? Der infrastrukturelle Sanierungsstau, Schwimmbadschließungen und andere Leistungskürzungen, aber auch der dramatische Zuwachs der kommunalen Kassenkredite belegen Anderes. Die neue Buchhaltung der Gemeinden zeigt zudem, dass einige Kommunen bereits in der Eröffnungsbilanz überschuldet waren. Und weitere sind konsequent auf dem Weg in die Überschuldung. Gibt es demnächst also viele kleine „Griechenlands“ im Bundesgebiet? Seit Jahrzehnten passen Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen nicht mehr zueinander. Die Schuldenkurve zeigt unentwegt nach oben.

Zur Lage

Die Hoffnung in den Kommunen, die in den Jahren 2006 bis 2008 mit den Überschüssen aufkeimte, hat die in der zweiten Jahreshälfte 2008 einsetzende Finanzkrise wieder erstickt. In Summe erzielten die Kommunen im Jahr 2009 ein Defizit von -7,2 Mrd. Euro (-94 Euro/Einwohner). Gegenüber dem Vorjahr war das eine Veränderung um -15,8 Mrd. Euro (-207 Euro/Einwohner). Am schlimmsten traf es die Kommunen im ansonsten finanziell verwöhnten Baden-Württemberg (-237 Euro/Einwohner). Gegenüber dem Vorjahr ergab sich eine Veränderung um -444 Euro je Einwohner! Geraten nun auch die „reichen“ Südländer der Republik in die Finanzkrise? Wo stehen also die Kommunen? Welchen Anteil trägt die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise an der Krise der Gemeindefinanzen? Oder setzt sich hier nur – verschärft – ein Trend fort, der seit mehr als 30 Jahren Bestand hat und der auf strukturellen Mängeln des Gemeindefinanzsystems beruht?

Die Verschlechterung der kommunalen Finanzsituation im Jahr 2009 um 15,8 Mrd. Euro ist in ihrer Größenordnung bisher einzigartig. Bei näherer Betrachtung zeigt sich aber ein sehr differenziertes Bild. In räumlicher Hinsicht stand der massiven Veränderung im schon erwähnten Bundesland Baden-Württemberg beispielsweise eine stabile Situation in Mecklenburg-Vorpommern gegenüber. Dort war der Überschuss in den kommunalen Haushalten mit 49 Euro je Einwohner nur um 2 Euro kleiner als 2008. Alle ostdeutschen Bundesländer wiesen auch 2009 noch Pro-Kopf-Überschüsse zwischen 66 Euro (Sachsen) und 7 Euro (Thüringen) auf, in Durchschnitt waren es 47 Euro.1 Dies mag auch daran liegen, dass die Gewerbesteuer (-16,8%), die in Ostdeutschland nur eine untergeordnete Rolle spielt, die Haushaltsentwicklung nicht so stark beeinflussen konnte.

Die Gewerbesteuer, die im Bundesdurchschnitt um 19,7% gegenüber 2008 zurückgegangen ist, verursachte den Einbruch der Gemeindefinanzen aber nicht allein. Die Betrachtung der einzelnen Einnahmen- und Ausgabenarten gibt erste Hinweise auf die Ursachen und damit auch auf mögliche Gegenmaßnahmen:

  • Zur Verschlechterung der Haushaltssituation um -15,8 Mrd. Euro trug der Rückgang der Gewerbesteuer nur zu 38,8% bei. Davon wiederum war ein Teil durch Steuerrechtsänderungen bedingt, die die Unternehmen in der Krise entlasten sollten (z.B. Wachstumsbeschleunigungsgesetz). Allerdings erhielten die Gemeinden auch zusätzliche Investitionszuweisungen aus dem Konjunkturpaket – ein zumindest temporärer Ausgleich für die Verluste aus den dauerhaften Steuerrechtsänderungen. Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer war mit 12,6% an der Haushaltsentwicklung beteiligt.

Insgesamt entfällt also nur gut die Hälfte der negativen Entwicklung auf die Einnahmenseite. Der Rest ist ausgabenseitig bedingt:

  • Die Netto-Sozialausgaben stiegen 2009 mit 5,4% erneut stark an. Ihr Wachstum trug mit 10,7% zur Ergebnisverschlechterung bei. Hier wirkt eher der langfristige Trend, der nicht allein durch die Kosten der Unterkunft, sondern auch durch das weitere Wachstum bei der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe für Behinderte bestimmt wird.
  • Die Sachinvestitionen legten 2009 um 5,4% zu. Auch dieses trug mit 7,0% zur Verschlechterung des Haushaltsergebnisses bei. Die Zunahme der Investitionen ist aber anders zu bewerten als die Zunahme der Sozialausgaben, da hier auch Infrastrukturen erhalten oder geschaffen werden, die der Daseinsvorsorge für die Bürger und als Vorleistungen für die Wirtschaft dienen.
  • Die noch aufgrund der positiven Entwicklung der Jahre 2006 bis 2008 realisierten Tarifabschlüsse im Öffentlichen Dienst bewirkten 2009 einen deutlichen Anstieg der Personalausgaben (4,9%). Sie trugen mit einem Anteil von 13,0% zur Ergebnisverschlechterung bei. Der Anstieg der Personalausgaben dürfte sich vor dem aktuellen Hintergrund nicht fortsetzen.
  • Ein Sondereffekt ergab sich aus dem Erwerb von Beteiligungen und Kapitaleinlagen mit einem Nettovolumen von 2,6 Mrd. Euro. Er trug immerhin mit 16,6% zur negativen Haushaltsentwicklung bei. Ohne diese Transaktionen hätte die Verschlechterung gegenüber 2008 nur 13,2 Mrd. Euro betragen und das Defizit bei 4,5 Mrd. Euro gelegen.

In der Differenzierung nach Bundesländern stellt sich diese Verteilung der Defizitfaktoren wiederum sehr unterschiedlich dar. Ohne Vermögenstransfers hätten die bayerischen Kommunen auch im Jahr 2009 einen Überschuss von 116 Euro je Einwohner erzielt; Baden-Württemberg läge „nur“ bei -157 Euro je Einwohner. Die aktuelle Krise trifft also viele Kommunen hart, aber sie dürfte nicht durchgängig und nicht überall gleich stark sein. Viele Kommunen, die in den Jahren 2006 bis 2008 Überschüsse erwirtschaften und sich damit entschulden konnten oder gar in der Lage waren, Polster anzulegen, dürften die Krise – bei allen damit verbundenen Leistungskürzungen und Einschränkungen für die Bürger – besser überstehen. Besonders hart trifft es aber wiederum diejenigen Kommunen, die schon zuvor nicht aus den Defiziten herauskamen. In Rheinland-Pfalz, im Saarland und in Nordrhein-Westfalen verfestigt sich – wie die kommunalen Kassenkredite zeigen – die Krisensituation (vgl. Abbildung 1).2 Und der Kreis der betroffenen Kommunen dürfte angesichts der durch die Bankenkrise ausgelösten deutlichen Verschärfung der Konjunkturkrise größer werden. Dies ist möglicherweise der Anstoß dafür, dass Kommunen, die bisher mit ihren Konsolidierungsbemühungen so „über die Runden kamen“, nun auch in eine Abwärtsspirale hineingezogen werden. Die Finanzkrise lässt mithin die Schwächen des Gemeindefinanzsystems noch offener zu Tage treten, als es ein „normaler“ Konjunkturabschwung getan hätte.

Abbildung 1
Kommunale Kassenkredite am 31.12.2009

Euro/Einwohner

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Quelle: Eigene Berechnung nach Angaben des Statistisches Bundesamt; vierteljährliche Kassenstatistik.

Die Kernprobleme

Die zentralen Probleme der kommunalen Finanzsituation können in drei, unabhängig von der Finanz- und Wirtschaftskrise, bestehenden Aspekten verortet werden:

  • Ganz offensichtlich sind die langfristig bestehenden regionalen bzw. lokalen Unterschiede mit der Gefahr einer Abwärtsspirale für fiskalische Problemkommunen, insbesondere in den westdeutschen Flächenländern mit hohem Arbeitsplatzabbau und Bevölkerungsverlusten zu finden (vgl. Abbildung 1). Hier kumulieren quasi alle Probleme wie in einem Brennglas, z.B. Anpassungsdefizite im wirtschaftlichen Strukturwandel, unzureichende Steuerbasis, Überwälzung der Kosten der bundeseinheitlich geregelten sozialen Grundsicherung durch eine nicht hinreichende finanzielle Alimentierung, unzureichendes Instrumentarium der Kommunalaufsicht, aber auch mangelnde Anpassungsflexibilität vor Ort. Hier ist mit der nicht mehr gegebenen nachhaltigen Finanzwirtschaft auch die Aufrechterhaltung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet massiv in Frage gestellt.
  • Die kommunalen Sozialausgaben sind das prägnante Beispiel dafür, wie in einem föderalen Bundesstaat Aufgaben von einer höheren Staatsebene definiert, bei der Delegation der Aufgabenerfüllung auf eine untere Ebene aber nicht hinreichend finanziell ausgestattet werden bzw. die Anpassung der Finanzausstattung im Zeitverlauf nicht oder nicht hinreichend erfolgt. So werden auch bei defizitären Haushalten neue Aufgaben geboren, ohne Verzicht bei bestehenden zu üben. Dies gilt sowohl für den Bundesgesetzgeber als auch für die Länder, die über den Kommunalfinanzausgleich entsprechende Anpassungen der Finanzmassendotation vornehmen könnten. Die Sozialausgaben wachsen mittlerweile unablässig und auch unabhängig vom Konjunkturverlauf. Hier greift das Konnexitätsprinzip nicht. Lediglich die Einführung der Pflegeversicherung war ein Lichtblick und insofern mögliche Perspektive für eine Regelung der Eingliederungshilfe.
  • Die wachsenden Aufgaben und Ausgaben der Kommunen treffen auf ein unzulängliches Gemeindesteuersystem. Einerseits besteht immer noch eine hohe Konjunkturabhängigkeit, insbesondere der Gewerbesteuer. Andererseits werden die Gemeinden bei steuerpolitischen Entscheidungen immer gleich mit in die Wohltaten des Staates eingebunden. Am Beispiel des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes oder des Kindergeldes wird die Abhängigkeit der Kommunen von der Bundesgesetzgebung deutlich. In dieser Verflechtungssituation müssen die Kommunen mitfinanzieren, ohne dass der Bund gleichzeitig von seinen bei den Kommunen bestellten Leistungen etwas zurücknimmt bzw. Kommunen auf der Ausgabenseite entlastet. Die kommunalen Finanzausgleichssysteme kompensieren dies im Regelfall nicht oder nur unzureichend.

Sicherung der kommunalen Finanzautonomie: Ordnungspolitik und Nothilfe

Zur Sicherung bzw. Wiederherstellung der kommunalen Finanzautonomie sind – und dies ist seit Jahren im Kern unstreitig – die ordnungspolitischen Rahmensetzungen zu ändern (vgl. Abbildung 2). Hierzu bedarf es der Fortsetzung der Gemeindefinanzreform, mit der einerseits eine aufgabengerechte Finanzausstattung zu sichern und andererseits das Korrespondenzprinzip zu stärken ist. Angesichts der begrenzten fiskalischen Ressourcen auf allen staatlichen Ebenen ist die Forderung nach einer aufgabengerechten Finanzausstattung nicht mit einer kommunalen Einnahmenerhöhung gleichzusetzen. Vielmehr kann diese auch durch eine Aufgabenrückführung erreicht werden. Hier sind aber aufgrund der hohen Regulierungsintensität der kommunalen Aufgaben insbesondere Bund und Länder gefragt. Auf die Umsetzung dieser Reformperspektiven mit hohem Blockadepotential können die fiskalischen Problemkommunen aber nicht warten. Für die besonders belasteten Städte und Gemeinden, die sich bereits in einer Schulden- bzw. Vergeblichkeitsfalle befinden, bedarf es eines kurzfristig wirkenden Maßnahmenbündels, das sie wieder auf den Weg zu einer nachhaltigen Haushaltsführung bringt (Nachsorge) und diese mittels verbesserter haushaltsrechtlicher Instrumentarien auch absichert (Vorsorge). Schließlich sollte die Hilfe auch dauerhaft wirken und künftig entstehende Disparitäten frühzeitig erkennen und beheben (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Sicherung der kommunalen Finanzautonomie
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Quelle: Eigene Darstellung.

Die Gemeindefinanzreform kann als politische Generationenaufgabe angesehen werden. Die kurzfristige Umsetzung eines kommunalverträglichen Lösungsmodells ist hier nicht zu erwarten. Aber die nunmehr einberufene Gemeindefinanzreformkommission kann die Reform weitertreiben. Damit diese keine an Partikularinteressen orientierten Ergebnisse produziert, ist es notwendig, dass die finanzpolitischen Prinzipien der Konnexität, der Äquivalenz und der Subsidiarität wieder einen höheren Stellenwert erhalten. Gerade ihre Missachtung ist mitverantwortlich für die heutige Situation.3 Wenn Nutzer und Auftraggeber kommunaler Leistungen sich ihrer finanziellen Verantwortung für das Genutzte und Bestellte weiterhin so entziehen, kann es nicht besser werden. Mit anderen Worten: Wenn es zu keiner Einnahmenerhöhung kommt (weil kein Geld da ist), sollte die Aufgabenreduktion und nicht die Schuldenaufnahme – insbesondere von Kassenkrediten – die logische Konsequenz sein. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Aufgaben an sich, sondern auch für die Standards, die verlangt werden. Der Wiederaufbau Haitis würde mit deutschen Standards scheitern. In Deutschland scheitert die Sanierung einer Schule oder die Neueinrichtung einer Bushaltestelle nicht selten an den kostspieligen Sicherheitsbestimmungen. Im Ergebnis wird angesichts der haushaltswirtschaftlichen Realität dann weder die Sanierung durchgeführt noch die Sicherheit erhöht.4

Eine Gemeindefinanzreform muss alle Beteiligten, d.h. Bund, Länder, Kommunen und schlussendlich auch den Bürger im Blick haben. Da alle Akteure nicht unschuldig an der Situation sind, sollten auch alle ihren Lösungsbeitrag leisten (vgl. Abbildung 3). Darüber hinaus dürfen aber auch nicht diejenigen vergessen werden, die in der – scheinbar – „zweiten“ Reihe die Gemeindefinanzen mit beeinflussen. Als erste ist hier die Europäische Union zu nennen, die außer Förderprogrammen auch eine Fülle von Richtlinien und Verordnungen im Angebot hat. Ferner sind diejenigen zu nennen, die unser Leben sicherer machen wollen – mit noch mehr Verordnungen und teuren Vorgaben. Letztlich dürfen diejenigen nicht vergessen werden, die in Verbänden und Vereinen auch Ansprüche anmelden und Standards definieren. Sie sind zwar keine primären Ansprechpartner in Sachen Gemeindefinanzreform, aber auch sie können nicht außerhalb der finanzpolitischen Prinzipien agieren.

Abbildung 3
Ausgewählte finanzwirksame Beiträge zentraler Akteure
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Quelle: Eigene Darstellung.

Aufgaben einer Reform

Eine der primären Aufgaben einer Gemeindefinanzreform ist die Wiederherstellung einer konnexitätsorientierten Finanzierung der Sozialausgaben. Hier ist nicht nur der Bund als verantwortlicher Gesetzgeber gefordert, sondern auch die Länder mit der Dotierung und der bedarfsgerechten Ausgestaltung des Kommunalfinanzausgleichs. Darüber hinaus haben die Stärkung der wirtschaftsbezogenen Kommunalsteuer, die Neugestaltung der Grundsteuer und die Einführung einer Bürgersteuer eine hohe Priorität:

  • Die Sozialhilfefinanzierung ist unter Berücksichtigung des Konnexitätsprinzips („Wer die Musik bestellt, der soll auch zahlen!“) zu reformieren. Hier ist an eine Kombinationsstrategie aus einer Rückführung sozialhilfefremder Ausgaben in das Sozialversicherungssystem, einer Finanzierungsbeteiligung des Bundes5 und der bedarfsgerechten Dotierung und Verteilung des Soziallastenausgleichs im kommunalen Finanzausgleich zu denken. Besondere Aufmerksamkeit ist zukünftig der kommunalen Grundsicherung sowie der Eingliederungshilfe für Behinderte zu widmen.
  • Die Verteilungsmasse im kommunalen Finanzausgleich ist aufgaben- und bedarfsgerecht auszustatten. Angesichts der Finanzierungsdefizite bleibt die Sicherung einer finanziellen Mindestausstattung eine prioritär zu lösende Aufgabe. Dazu bedarf es der Entwicklung von sachgerechten Verfahren zur Bemessung und Aufteilung der Finanzmasse zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.6
  • Das Gemeindesteuersystem braucht eine Stärkung der wirtschaftsbezogenen Kommunalsteuer mit einer breiten Bemessungsgrundlage, einem großen Kreis von Steuerpflichtigen und einem kommunalen Hebesatzrecht. Eine solche kommunale Unternehmensteuer würde die starken Aufkommensdisparitäten der verbliebenen Gewerbeertragsteuer vermeiden und zu mehr Steuergerechtigkeit unter den zahlenden Unternehmen führen.7 Mit den Reformen der Gewerbesteuer in den Jahren 2003 und 2008 wurden Schritte in die richtige Richtung unternommen, z.B. Transparenzgewinn durch Abschaffung der Verrechnungsmöglichkeiten bei Kürzung des Messbetrages, höhere Berücksichtigung der Fremdkapitalzinsen zur stärkeren Gleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapital, Reduzierung der Gewerbesteuerumlage zur Entflechtung der Finanzen von Bund und Ländern gegenüber den Gemeinden. Dennoch ist die Gleichbehandlung aller lokalen Unternehmen und wirtschaftlich tätigen Personen sowie aller Wertschöpfungsbestandteile noch lange nicht gewährleistet.
  • Die Reform der Grundsteuer ist dringend erforderlich. Die bestehende Bemessungsgrundlage ist kompliziert zu berechnen; die verwendeten Wertansätze sind veraltet und führen zur steuerlichen Ungleichbehandlung von Grundstücken bzw. Immobilien. Daraus resultieren zwei Grundforderungen. Die Grundsteuer A ist abzuschaffen; die Besteuerung der Land- und Forstwirtschaft ist in die kommunale Wirtschaftssteuer zu integrieren. Die Grundsteuer B ist auf ein einfacheres und zeitnäheres Bemessungsverfahren umzustellen, das an den tatsächlichen Werten von Grundstücken anknüpft. Eine reformierte Grundsteuer B sollte als Bemessungsgrundlage an die von den Gutachterausschüssen festgestellten Bodenrichtwerte, multipliziert mit einem Faktor für die Nutzungsintensität, anknüpfen und möglichst weitgehend auf Befreiungstatbestände verzichten.8 Eine Erhöhung des Grundsteueraufkommens bei gleichzeitiger Kürzung der Ertragsteuern würde das Gemeindefinanzsystem stärker mit internationalen Standards harmonisieren und damit auch die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts stärken.
  • Bürgerinnen und Bürger spüren ihren Beitrag zum kommunalen Steueraufkommen derzeit nicht direkt. Die Intransparenz schafft Fehlanreize in Bezug auf die Ansprüche an die Kommunen sowie deren tatsächlicher Leistungskraft. Um dies zu beenden, sind der Gemeindeanteil an der Lohn- und Einkommensteuer sowie die Kompensationszahlungen im Familienleistungsausgleich durch eine hohe kommunale Bürgersteuer mit proportionalem Steuersatz zu ersetzen.9 Die Einführung einer kommunalen Bürgersteuer ist davon abhängig zu machen, dass andere Reformteile des Gemeindesteuersystems, insbesondere die Alimentierung bundesstaatlich geregelter Sozialleistungen, ebenfalls umgesetzt werden, damit die Bürger vor Ort nicht durch lokale Hebesatzerhöhungen für extern verursachte Finanzknappheit zahlen müssen.

Angesichts des absehbaren Konsolidierungsbedarfs – auf allen Ebenen des Staates – sind die Bürger stärker einzubeziehen. Nicht alles, was früher (auch nicht) finanzierbar war, kann heute von den Kommunen noch bereitgestellt werden. Viele Aufgaben, die die Kommunen von den Bürgern einmal übernommen haben, werden sie künftig wieder selbst in die Hand nehmen müssen, während sich die Kommunen auf die zentralen Aufgaben zur Daseinsvorsorge konzentrieren müssen. Freiwilliges Engagement ist also gefragt und – so scheint es zumindest – findet auch immer häufiger statt. Hart wird es aber, wenn in den Problemkommunen alle Anstrengungen nicht ausreichen und die Bürger auch einen befristeten zusätzlichen Beitrag als Ultima ratio leisten müssen.

Haushaltssicherungsviereck zur kommunalen Entschuldung

Mit Blick auf die besonders hoch verschuldeten Städte und Gemeinden lassen sich – ungeachtet der lokalen Verschuldungsbesonderheiten und ihrer Ursachen – einige Anhaltspunkte zur Konzeption der dringend notwendigen Entschuldungsstrategie benennen (vgl. Abbildung 4).10 Leitlinie sollte es sein, das System der Schuldenbegrenzung und der Kommunalaufsicht dort, wo dies nicht gegeben ist, nach den Prinzipien einer nachhaltigen kommunalen Finanzwirtschaft und Haushaltspolitik weiterzuentwickeln (Prävention). Zugleich müssen die hoch verschuldeten Kommunen einmalig in die Lage versetzt werden, nachhaltig zu haushalten (Rehabilitation). Die Überlegungen zum Umgang mit übermäßigen kommunalen Schulden sind auf zwei eng miteinander korrespondierende Ziele zu richten:

  • den Ausgleich des Primärsaldos und
  • die Rückführung der Schulden und damit die Verbesserung des Finanzierungsergebnisses.
Abbildung 4
Kommunales Haushaltssicherungsviereck
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Quelle: Eigene Darstellung.

Ein ausgeglichener Primärsaldo ist ein Indikator für die Nachhaltigkeit der aktuellen Haushaltspolitik. Die Gemeinden müssen in der Lage sein, ihre laufenden Aufgaben innerhalb des eigenen Budgets ohne neue Schulden zu finanzieren. Die Beseitigung der strukturellen Unterfinanzierung ist dabei die Grundvoraussetzung für die Vermeidung künftiger Schulden. Mit dem Ausgleich des Primärsaldos allein ist es in den hochverschuldeten Gemeinden jedoch nicht getan. Ohne materielle Hilfe bei der Sicherung der Eigenkapitalbasis bzw. der Verbesserung des Finanzierungsergebnisses ist in vielen Städten und Gemeinden eine Rückführung der Schulden nicht mehr möglich.

Die Weiterentwicklung des Sicherungssystems für eine nachhaltige Finanzwirtschaft soll – aufbauend auf einer aufgabenangemessenen Finanzausstattung – vier miteinander verflochtene Aspekte aufgreifen (vgl. Abbildung 4):

  • Zum Ersten ist das Regelwerk zum Umgang mit Haushaltsdefiziten, übermäßiger Verschuldung und Eigenkapitalverzehr zu verbessern. Hier ist in einigen Bundesländern insbesondere der Umgang mit Kassenkrediten neu zu ordnen. Diese müssen wieder auf ihre Grundfunktion der Finanzierung unterjähriger Deckungslücken zurückgeführt werden.
  • Zum Zweiten ist an eine Neuausrichtung der Kommunalaufsicht als unabhängige Institution zum Schutz der kommunalen Selbstverwaltung zu denken. Die Unabhängigkeit der Institution zielt darauf ab, dass nicht nur eine Kontrollfunktion, sondern auch eine Schutzfunktion erfüllt wird.
  • Zum Dritten kann die Gewährung von Landeshilfen im Rahmen eines Schuldenfonds sinnvoll sein, um besonders hoch verschuldete Kommunen überhaupt in die Lage zu versetzen, den neuen Regeln zu folgen. Die Gewährung dieser Hilfen ist an massive kommunale Eigenanstrengungen zu binden.
  • Zum Vierten ist die Einführung eines „Schuldensoli“ (z.B. Generationenbeitrag durch eine temporäre Erhöhung der Grundsteuer) für die Nutzer kommunaler Leistungen als präventiv wirkendes Sanktionsinstrument zu prüfen. Die Kosten der Verschuldung dürfen nicht nur auf nachfolgende Generationen weiter gewälzt werden. Vielmehr sollten die Bürger diese auch unmittelbar spüren. Nur dann werden sie ihre Auffassungen dazu auch politisch artikulieren.

Resümee

Die Gemeindefinanzreform ist politisch keine leichte Aufgabe. Will man die Fahrt ins „fiskalische Nirwana“ bremsen, dann ist eine solche allerdings unverzichtbar. Angesichts der in den Problemkommunen aufgebauten Schuldenberge und der Unzulänglichkeiten des Gemeindefinanzsystems, das die Entstehung von Problemkommunen derzeit eher begünstigt bzw. sogar fördert, sind grundlegende Änderungen alternativlos. Ohne Schuldenabbau gibt es keine Voraussetzung für einen fiskalischen Neuanfang in den Problemkommunen. Ohne eine aufgabenangemessene Finanzausstattung fehlt die Basis für eine nachhaltige Gemeindefinanzpolitik vor Ort. Und ohne neue Regeln besteht die Gefahr, dass die jetzige Situation erneut eintritt. „Griechenland“ sollte Ansporn sein, es besser zu machen. Wenn jedoch alle Akteure auf Besitzstandswahrung beharren, wird am Ende keiner seinen Besitz wahren können. Aber wer macht den Anfang? Wer geht auf wen als erstes zu? Ein klassisches Gefangenendilemma.

  • 1 Vgl. vertiefend zur Einbindung der Kommunen in die Länderfinanzen M. Junkernheinrich: Die fiskalische Einbindung der Kommunen in die deutschen Bundesländer, in: M. Junkernheinrich, S. Korioth, T. Lenk, H. Scheller, M. Woisin: Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2009, Berlin 2009, S. 195-219 (Schriften zur öffentlichen Verwaltung und öffentlichen Wirtschaft, Bd. 218).
  • 2 Vgl. M. Junkernheinrich, G. Micosatt: Kommunaler Finanz- und Schuldenreport Deutschland 2008, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Gütersloh 2008. F. Boettcher, M. Junkernheinrich unter Mitarbeit von G. Micosatt: Kommunaler Finanz- und Schuldenreport Nordrhein-Westfalen, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Gütersloh 2010. F. Boettcher, S. Brand, M. Junkernheinrich unter Mitarbeit von G. Micosatt: Kommunaler Finanz- und Schuldenreport Rheinland-Pfalz, Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Gütersloh (Veröffentlichung in Vorbereitung), 2010. Einzelstädtische Daten sind dem „Wegweiser Kommune“ der Bertelsmann Stiftung zu entnehmen; siehe unter http://wegweiser-kommune.de.
  • 3 Vgl. M. Junkernheinrich: Reform des Gemeindefinanzsystems. Mission Impossible?, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Jg. 72 (2003), H. 3, S. 423-443.
  • 4 Vgl. S. Locke: Der kontrollierte Wahnsinn, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 13 vom 4.4.2010.
  • 5 Bereits M. Junkernheinrich: Neuverteilung der Sozialhilfelasten, Schriften des Ruhr-Forschungsinstituts für Innovations- und Strukturpolitik e. V., Nr. 1, Bochum 1990.
  • 6 Vgl. M. Junkernheinrich: Ist es möglich, die Aufgabenangemessenheit der kommunalen Finanzausstattung zu bestimmen? Finanzwissenschaftliche Überlegungen zur intraföderalen Finanzaufteilung, in: M. Junkernheinrich, H. Scheller, M. Woisin: Zwischen Reformidee und Funktionsanspruch, Berlin 2007, S. 173-192 (Forum Öffentliche Finanzen, Bd. 11).
  • 7 Vgl. Bertelsmann Stiftung: Von der Gewerbesteuer zur kommunalen Wirtschaftssteuer, Gütersloh 2006. M. Junkernheinrich: Kommunale Unternehmensbesteuerung unter Globalisierungsdruck, in: R. Robert, N. Konegen: Globalisierung und Lokalisierung. Zur Neubestimmung des Kommunalen in Deutschland, Münster 2006, S. 303-318.
  • 8 Vgl. im Einzelnen Bertelsmann Stiftung: Reform der Grundsteuer, Gütersloh 2007.
  • 9 Vgl. G. Färber, A. Fugmann-Heesing, M. Junkernheinrich: Reform der Gemeindefinanzen. Ein Vorschlag der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2003. M. Junkernheinrich: Wege aus der finanziellen Handlungsunfähigkeit. Über die Schwierigkeiten einer Reform der Gemeindefinanzen, in: Das neue Gesicht der Stadt. Strategien für eine urbane Zukunft im 21. Jahrhundert, Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.), Berlin 2006, S. 85 ff.
  • 10 Vgl. dazu Stadt Mülheim a. d. Ruhr (Dezernat II/Finanzen) (Hrsg.): Wege aus der Schuldenfalle. Forderungen der Städte des Ruhrgebiets und des Bergischen Landes zur Gemeindefinanzpolitik, Mülheim a. d. Ruhr 2008; M. Junkernheinrich: Staatliche Schuldenbegrenzung – Elemente eines mehrdimensionalen Lösungsansatzes, in: R. T. Baus, A. Eppler, O. Wintermann: Zur Reform der föderalen Finanzverfassung in Deutschland. Perspektiven für die Föderalismusreform II im Spiegel internationaler Erfahrungen, Baden-Baden 2008, S. 127-146.

Stärkung der Eigenverantwortlichkeit von Städten und Gemeinden ist wichtiger als mehr Geld!

Die Kommunen in Deutschland sind nicht nur die Hauptträger und -investoren im Bereich der Infrastruktur, sondern übernehmen darüber hinaus – gemäß ihrer jeweiligen Größe – unverzichtbare zentralörtliche Funktionen. Zudem liefern die größeren Städte als Zentren von Kultur, Kreativität und Innovation sowie aufgrund der dort gegebenen Möglichkeit, Ballungsvorteile zu realisieren, wesentliche Beiträge für die Wettbewerbsfähigkeit einer modernen Volkswirtschaft. Für die Erfüllung dieser Funktionen sind nicht zuletzt auch finanzielle Mittel erforderlich.

Öffentlichkeit und Politik billigen der kommunalen Ebene vielfach nicht die ihr aus ökonomischer Sicht zustehende Relevanz zu, was u.a. auf die zunehmende Dominanz des Bundes bei der Gesetzgebung sowie die allgemeine Zentralisation im öffentlichen Sektor zurückzuführen ist. Die damit verbundene drastische Einengung des finanzpolitischen Spielraums der Kommunen stößt in der Fachwissenschaft seit langem auf deutliche Kritik. Bereits seit Jahren wird deshalb eine nachhaltige Reform des kommunalen Finanzsystems gefordert, ohne dass es bislang zu tiefgreifenden Maßnahmen in diese Richtung gekommen wäre. Durch die aktuelle globale Finanz- und Wirtschaftskrise haben in den letzten Monaten auch in der Politik die Überlegungen zu einer Reform der Kommunalfinanzen (wieder einmal) an Gewicht gewonnen. Ursächlich hierfür sind die teilweise drastisch zunehmenden Finanzierungsengpässe der Kommunen infolge konjunkturell bedingter Ausfälle bei den Gewerbesteuereinnahmen sowie aufgrund der Steuersenkungen im Rahmen des auf der Bundesebene beschlossenen Wachstumsbeschleunigungsgesetzes. Wenn die derzeitige kommunale Finanzschwäche den Bund und die Länder jetzt dazu bringen könnte, sich auf eine Reform der Kommunalfinanzen zu verständigen, so wäre dies grundsätzlich positiv zu bewerten. Die Reform sollte sich jedoch nicht in Einzelmaßnahmen erschöpfen, durch welche die gegebenen grundsätzlichen Mängel des heutigen kommunalen Finanzsystems unter Umständen sogar noch weiter verschärft werden könnten. Genau genommen benötigen die Kommunen nicht mehr Geld, sondern mehr Eigenverantwortlichkeit – gefordert ist mithin eine umfassende Strukturreform, bei der auch die länderspezifischen Regelungen auf den Prüfstand gestellt werden sollten.

Vorschläge zum Ausbau der kommunalen Besteuerungsrechte

In der finanzwissenschaftlichen und stadtökonomischen Diskussion besteht hinsichtlich der Frage, welche Rechte die Kommunen im Bereich der Besteuerung erhalten sollten, grundsätzlich seit längerer Zeit eine große Übereinstimmung. Zunächst wird nahezu unisono verlangt, dass die Kommunen den größten Teil ihrer Ausgaben aus Steuereinnahmen (und nicht aus Finanzzuweisungen oder gar Krediten) decken und hierbei die Steuersätze (oder zumindest: Hebesätze) autonom festlegen können sollten. Zuweisungen werden von der Länderebene bestimmt und bleiben nur bedingt längerfristig stabil. Sie können für ihre Empfänger weder der Forderung nach kommunaler Autonomie noch dem Grundsatz der Flexibilität entsprechen, demzufolge den Kommunen eine diskretionäre Anpassung der Einnahmen an Schwankungen der Ausgaben, aber auch an Veränderungen der jeweiligen Bemessungsgrundlage von Abgaben (z.B. des Einkommens), möglich sein sollte. Dieser Aspekt verdient besonders vor dem Hintergrund der Nachteile einer zu hohen öffentlichen Verschuldung Beachtung. Denn ohne eine hinreichende Flexibilität der Steuereinnahmen bleibt den Kommunen kurzfristig vielfach nur die Möglichkeit, sich über den Kreditmarkt zu finanzieren.

Einigkeit herrscht auch darüber, dass die Steuereinnahmen der Kommunen wenig konjunkturabhängig sein sollten, und dass mit Hilfe der Besteuerung ein intrakommunaler Interessenausgleich gewährleistet werden soll, d.h., dass alle wesentlichen lokalen „Stakeholder“-Gruppen jeweils mit einer Steuerart zu den kommunalen Einnahmen beitragen sollten.1 Dabei ist es sinnvoll, die Belastung durch die kommunale Steuer für die Steuerzahler spürbar und nachvollziehbar zu gestalten. Auf der einen Seite wird hierdurch das Interesse der Stakeholder verstärkt, sich darüber zu informieren, wie die Kommunen die abgeführten Mittel einsetzen, und deren ineffiziente Verwendung gegebenenfalls zu sanktionieren. Auf der anderen Seite erhalten die Kommunalpolitiker durch die gruppenbezogenen Abgaben einen zusätzlichen Anreiz, die Interessen der einzelnen Stakeholder-Gruppen zu berücksichtigen und einzelne Gruppen nicht einseitig zu bevorzugen.

Darüber hinaus wird eine möglichst geringe räumliche Streuung des kommunalen Steueraufkommens gefordert, um auch distributiven Zielsetzungen zu entsprechen. Hierfür spielt der in Deutschland gegebene parteiübergreifende Grundkonsens eine Rolle, wonach eine Mindestausstattung mit kommunaler Infrastruktur (z.B. Grundschulen, Feuerwehr) in jeder Kommune vorhanden sein sollte. Dies wird auch unter dem Grundsatz der „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“ diskutiert.

In der wissenschaftlichen Diskussion werden kaum Zweifel daran gelassen, dass das gegenwärtige kommunale Steuersystem nicht den genannten Grundsätzen entspricht. Beweglich (über die Festlegung kommunaler Hebesätze) sind nur die Gewerbesteuer und die Grundsteuer. Die Gewerbesteuereinnahmen sind aufgrund der heutigen Ausgestaltung der Besteuerung stark konjunkturabhängig. Die Beteiligung der Kommunen an der Einkommen- und Umsatzsteuer ähnelt einer (recht kompliziert gestalteten) Vergabe von Finanzzuweisungen durch den Bund an die Kommunen, eigene kommunale Gestaltungsmöglichkeiten gibt es hier nicht. Zudem: Weder die Einkommen- noch die Umsatzsteuerzahler wissen darüber Bescheid, welche Teile ihrer Zahlungen bei ihrer Kommune ankommen. Dem Grundsatz des Interessenausgleichs wird folglich nicht entsprochen. Zwar sind die Detailregelungen der horizontalen Verteilung der Einkommen- und Umsatzsteuer tendenziell dazu geeignet, der distributiven Zielsetzung zu entsprechen. Es fehlt aber an einer hinreichenden Transparenz dieser Regelungen und der mit ihnen intendierten Verteilungswirkung. Eine Erhöhung des kommunalen Anteils an der Einkommensteuer oder an der Umsatzsteuer würde zwar kurzfristig mehr Mittel in die kommunalen Kassen spülen – das Problem der Fremdbestimmung der kommunalen Einnahmen würde damit aber weiter zementiert werden. An der Grundsteuer wird vor allem kritisiert, dass sie für die Steuerzahler nur wenig spürbar ist und dass für die Steuerbemessung veraltete Immobilienwerte herangezogen werden.

Zur Reform der Gemeindefinanzen werden zumeist die Einführung einer Bürgersteuer (mit kommunalem Hebesatzrecht) bzw. eines kommunalen Hebesatzrechts auf Teile der Einkommensteuer, die Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer kommunalen Unternehmens- oder Wertschöpfungsteuer (mit kommunalem Hebesatzrecht) sowie eine Modernisierung der heutigen Grundsteuer vorgeschlagen.2 Hinsichtlich der Grundsteuerreform werden insbesondere eine Bemessung aufgrund aktueller Immobilienwerte und eine spürbarere Belastung des Grundvermögens angestrebt. Diese Reformvorschläge könnten die kommunale Autonomie stärken und den intrakommunalen Interessenausgleich verbessern. Unternehmen, private Haushalte und Grundeigentümer würden jeweils mit einer Steuerart zu den kommunalen Einnahmen beitragen. Es würde eine unmittelbare finanzielle Beziehung zwischen den Steuerzahlern und ihrer jeweiligen Kommune hergestellt werden.

Die Unternehmens- oder Wertschöpfungsteuer könnte sämtliche unternehmerischen Aktivitäten in einer Kommune erfassen und belasten – nicht nur die Großbetriebe, wie dies bei der heutigen Gewerbesteuer tendenziell der Fall ist. Die Vorschläge zu einer kommunalen Unternehmens- oder Wertschöpfungsteuer sehen auch vor, dass im Vergleich zur heutigen Gewerbesteuer die Bemessungsgrundlage durch ertragsunabhängige Elemente der lokalen Wertschöpfung deutlich erweitert werden sollte. In Verbindung mit der Renovierung der Grundsteuer würde dies die Konjunkturabhängigkeit reduzieren sowie die Steuereinnahmen für die strukturschwachen Kommunen anheben, und dies nicht zuletzt auch in den ostdeutschen Kommunen. Soweit damit noch nicht der politisch gewünschte Grad an Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen den Kommunen erreicht werden kann, sollten die Steuerregelungen jedoch nicht weiter – intransparent – modifiziert werden, sondern vielmehr Finanzzuweisungen im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs (KFA) erfolgen. Die renovierte Grundsteuer könnte es den Kommunen auch zusätzlich ermöglichen, lenkend in die Nutzung von Immobilien einzugreifen und damit Maßnahmen zum Stadtumbau zu sanktionieren. Spürbare Belastungen von leer stehenden Gebäuden oder sogenannten Brownfields könnten dazu beitragen, die Reaktivierung nichtgenutzter Immobilien zu beschleunigen.

Während über die dargestellte Grundstruktur einer Umgestaltung der kommunalen Besteuerungsrechte in der wissenschaftlichen Debatte ein weitgehender Konsens besteht, gibt es hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung deutliche Unterschiede zwischen den vorliegenden Vorschlägen, die hier nicht alle im Detail erörtert werden können. Von besonderer Bedeutung erscheinen jene Detailvorschläge, die sich auf die Frage nach der politischen Durchsetzbarkeit der Reformmaßnahmen richten. Hier verdient das in den angelsächsischen Ländern bekannte Instrument der Tax Credits Aufmerksamkeit. So ist u.a. vorgeschlagen worden, dass die Zahlung der Wertschöpfungsteuer teilweise (unter Zugrundelegung von bundesdurchschnittlichen Hebesätzen) auf die Umsatzsteuerschuld von Unternehmen angerechnet werden könnte.3 In der Folge würde sich die Mehrbelastung der Unternehmen begrenzen lassen.

Neuordnung des Systems der Finanzzuweisungen

Es greift zu kurz, die Einnahmeseite der Kommunen zu betrachten, ohne die länderspezifischen Regelungen des Kommunalen Finanzausgleichs (KFA) zu berücksichtigen. Die im Rahmen des KFA an die Kommunen verteilten Zuweisungen sind mit einer ganzen Reihe von negativen Effekten verbunden, die auch zu den aktuellen Finanzproblemen der Kommunen beigetragen haben dürften. Unter anderem können sie auf der Seite der Bürger sowie der kommunalen Entscheidungsträger zu „Fiskalillusionen“4 führen. Da die Zuweisungen (anders als Steuern) für die Kommunen scheinbar „kostenlos“ sind, wird einer ineffizienten Mittelverwendung und einer Überdimensionierung der lokalen Infrastruktur Vorschub geleistet. Dies ist insbesondere bei Investitionszuweisungen (für den Bau oder Erhalt von kommunaler Infrastruktur) zu erwarten, die fast ausschließlich zweckgebunden vergeben werden. Hierbei spielt auch die Tendenz der kommunalen Entscheidungsträger eine Rolle, nach Möglichkeit alle „Investitionszuweisungs-Töpfe“ der Landesebene zu nutzen – ungeachtet der zumeist erforderlichen Ko-Finanzierung der Investitionen aus kommunalen Eigenmitteln sowie der möglichen Folgekosten. Hierunter leiden die politische Kultur (Tendenz zur „Fördermentalität“) und das bürgerschaftliche Engagement. Gerade durch die Investitionszuweisungen kommt es zudem auf der Länderebene zu hohen Verwaltungskosten, die weiter gesteigert werden, wenn die Länder für die von ihnen finanziell alimentierten Bereiche der kommunalen Aufgabenerfüllung zusätzliche Regulierungen einführen. Demgemäß sollten die zweckgebundenen Zuweisungen deutlich reduziert werden, zumal in vielen Fällen die von der Länderebene gewünschten Lenkungseffekte der Zweckzuweisungen nicht zustande kommen, sondern Mitnahmeeffekte auftreten.

Die Finanzierung der kommunalen Aufgabenerfüllung mit Hilfe von vertikalen Zuweisungen (von der Landesebene an die Kommunen)5 sollte aus der Sicht der Theorie des Fiskalföderalismus und speziell zur Umsetzung des von Mancur Olson postulierten „Prinzips der Fiskalischen Äquivalenz“6 in erster Linie erfolgen, um externe Effekte auszugleichen, die von einer Kommune infolge der Bereitstellung von zentralörtlichen Leistungen auf ihr jeweiliges Umland ausgehen. Ebenso entsprechen Zuweisungen von der Landesebene an die Kommunen dann den theoretischen Anforderungen, wenn sie für eine Finanzierung von solchen Leistungen vergeben werden, die von den Kommunen im Auftrag des Bundes, der Landesebene oder gemäß bestimmter Richtlinien des jeweiligen Landes erstellt werden. Schließlich kann mit Finanzzuweisungen versucht werden, eine räumliche Umverteilung zugunsten strukturschwacher Kommunen zu erreichen.

Den genannten Anforderungen soll die Vergabe von allgemeinen Zuweisungen im Rahmen der KFA-Systeme der einzelnen Bundesländer grundsätzlich bereits heute gerecht werden. Dies erfolgt allerdings mit einem in höchstem Maße intransparenten Regelwerk, aus dem die eigentliche Intention und die jeweils gewollte Lenkungswirkung kaum eindeutig entnommen werden kann. So werden externe Effekte aufgrund von zentralörtlichen Aufgaben der größeren Kommunen in erster Linie mit Hilfe der sogenannten Einwohnerveredelung abgegolten: Mit einer wachsenden Zahl der Einwohner einer Kommune wird die reale Einwohnerzahl bei der Ermittlung des dem KFA zugrundeliegenden Finanzbedarfs der betreffenden Kommunen nicht lediglich „einfach“ (zu 100%) berücksichtigt, sondern mit Gewichtungsfaktoren multipliziert, die relativ zur Einwohnerzahl zunehmen. Darüber hinaus werden kreisfreie Städte fiskalisch besonders behandelt, indem für sie im KFA eine spezielle Finanzmasse zur Verfügung gestellt wird. Allerdings haben diese Regelungen nicht ausschließlich die Aufgabe, externe Effekte zentraler Orte zu berücksichtigen, sondern sollen darüber hinaus auch die Kosten der kommunalen Pflichtaufgaben berücksichtigen, bei denen die Politik von einem in Relation zur Gemeindegröße überproportionalen Anstieg ausgeht. Die tatsächliche Zentralität einer Kommune und damit ihre tatsächliche Belastung durch zentralörtliche Aufgaben kommen in der Einwohnergewichtung mithin nur sehr indirekt zum Ausdruck.

Die mit dem KFA verbundenen Ziele ließen sich transparenter und effektiver erreichen, wenn für jedes der Ziele eine gesonderte Transferart eingeführt werden würde:7

  • „Zentralitätstransfers“ könnten von der Länderebene an die Kommunen mit zentralörtlichen Leistungen gezahlt werden, wobei der effektive Grad an Zentralität einer Kommune zugrunde gelegt werden sollte.
  • „Entgelttransfers“ könnten zur Finanzierung jener kommunalen Leistungen gezahlt werden, deren Niveau und Kosten (wesentlich) vom Bund oder vom jeweiligen Bundesland bestimmt werden. Bei einer entsprechenden Ausgestaltung könnte damit dem Konnexitätsprinzip besser als bisher entsprochen werden; gerade für strukturschwache Kommunen mit hohen Belastungen durch Sozialausgaben könnte es bereits hierdurch zu einer Verbesserung der finanziellen Lage kommen.
  • „Kompensatorische Transfers“ könnten die Aufgabe erhalten, für eine Mindestausstattung der Kommunen mit Leistungen der Daseinsvorsorge und mithin für eine räumliche Umverteilung zugunsten der strukturschwachen Kommunen zu sorgen. Für diese Transferart wären eindeutige und vor allem nachvollziehbare Anspruchskriterien zu definieren, nach denen die Mittel vergeben werden sollen.

Reform der kommunalen Aufgaben und Abbau kommunaler Ausgaben

Auf der Ausgabenseite der kommunalen Haushalte sieht es nicht besser aus als bei den Einnahmen. Hier ist es im Zeitverlauf zu immer mehr Beschränkungen durch Vorgaben und Regulierungen des Bundes und der Länder gekommen – mit der Folge einer Fremdbestimmung großer Teile der kommunalen Ausgaben. Die durch den Bund und die Länder verursachten kommunalen Lasten werden bislang nur in Ansätzen durch Kompensationszahlungen – wie sie gemäß dem Konnexitätsprinzip allgemein gefordert werden – abgegolten. Solange entsprechende Regelungen, wie z.B. die oben vorgeschlagenen Entgelttransfers, nicht realisiert sind, ist weiter damit zu rechnen, dass es zur Vergabe von „Wohltaten“ durch Bund und Länder zulasten der Kommunen kommen wird.

Zur Rechtfertigung der immensen Verflechtungen zwischen den Kommunen und den anderen staatlichen Ebenen wird zumeist auf die hohe Komplexität unseres heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems verwiesen. Es ist aber zu fragen, ob die heutigen institutionellen Regelungen die beste Lösung zur Berücksichtigung komplexer Sachverhalte und externer Effekte der dezentralen Aufgabenerfüllung darstellen. Alternativ zu den heutigen Formen der Verflechtung wäre daran zu denken, dass Bund und Länder weniger die Inputseite als vielmehr die Outputseite der kommunalen Leistungserstellung regeln könnten. Im Bereich der Schulen z.B. könnte die Wahl der geeigneten Faktorkombination (einschließlich des Einsatzes von Lehrkräften) vollständig den Kommunen überlassen werden, wenn sich die Länder darauf beschränken würden, bestimmte Lernziele vorzugeben.

Um die Effizienz der kommunalen Leistungserstellung zu steigern, richten sich in einigen Bundesländern die Hoffnungen darauf, die kommunalen Kosten mit Hilfe einer drastischen territorialen Vergrößerung der Kommunen zu reduzieren. Neuere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass entsprechende Effekte allenfalls in einzelnen Budgetbereichen auftreten können, während es in anderen sogar zu gemeindereforminduzierten Kostensteigerungen kommen dürfte.8 Vielfach noch nicht ausgeschöpfte Potentiale zur Effizienzsteigerung liegen im Bereich der interkommunalen Kooperation. Darüber hinaus werden in den Kommunen öffentliche Mittel vielfach verschwendet. Dies ließe sich teilweise vermeiden, wenn die zuvor erläuterten Strukturreformen im Bereich der kommunalen Einnahmen realisiert würden. Als Beispiel für Fehlallokationen sei hier die Tendenz der kommunalen Entscheidungsträger zur Annahme zweckgebundener Finanzmittel genannt, die vielfach zu Maßnahmen führt, die für die kommunalen Entwicklungsziele eher kontraproduktiv sind.

Maßnahmen zum Abbau der kommunalen Schulden

Die bisher betrachteten Reformmaßnahmen können keine nachhaltige Verbesserung der kommunalen Finanzsituation bewirken, wenn nicht auch an die Probleme jener Kommunen gedacht wird, die bereits in hohem Maße verschuldet sind. Allerdings sollten Überlegungen zum Schuldenabbau erst ganz am Ende der Reformüberlegungen stehen. Denn die Überschuldung zahlreicher Kommunen ist auch eine Folge der heutigen Finanzierungsregelungen. Auch wegen der geringen Spielräume bei der Besteuerung ist die Verschuldung bislang der wesentliche Hebel einer Kommune, um den Haushalt auszugleichen. Solange keine grundlegenden Strukturreformen vorgesehen werden, wäre nach einer Entschuldung über kurz oder lang wieder mit einem Anstieg der Schuldenberge einer Kommune zu rechnen. Da die gegenwärtigen Strukturen von Bund und Ländern zu verantworten sind, sind beide Ebenen auch mitverantwortlich für die kommunalen Schulden. Folglich sollten sowohl der Bund als auch die Länderebene an Programmen zur Entschuldung der Kommunen finanziell beteiligt werden.

Politische Realisierbarkeit der Reformvorschläge

In den vergangenen Jahren sah es nie so aus, dass die dargestellten Reformmaßnahmen eine realistische Aussicht auf politische Umsetzung haben könnten. Die Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise haben jetzt zwar bewirkt, dass sich Landes- und Bundespolitiker mit den Möglichkeiten einer Verbesserung der kommunalen Finanzsituation befassen. Es ist jedoch zu befürchten, dass die Politik dazu tendieren könnte, die gegenwärtigen Strukturen im Wesentlichen fortzuschreiben und lediglich an der einen oder anderen Stelle für eine Entlastung der Kommunen zu sorgen. Hierfür dürfte eine Rolle spielen, dass eine nachhaltige Strukturreform immer dazu führen wird, dass einzelne Gruppen von Kommunen oder Steuerzahlern ungünstiger als zuvor dastehen werden. Vielleicht ließen sich die Reformwiderstände etwas abbauen, wenn gerade die strukturstarken Kommunen dazu bereit wären, im Gegenzug für mehr Gestaltungsspielräume auf finanzielle Ressourcen zu verzichten.

  • 1 Vgl. hierzu grundlegend: Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten zur Reform der Gemeindesteuern in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1982, S. 30.
  • 2 Vgl. hierzu u.a. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, a.a.O.; Reform der Gemeindefinanzen – Ein Vorschlag der Bertelsmann-Stiftung (unter Mitwirkung von G. Färber, A. Fugmann-Heesing, M. Junkernheinrich), Gütersloh 2003.
  • 3 Vgl. W. Scherf: Ersatz der Gewerbesteuer durch eine anrechenbare Wertschöpfungsteuer, in: Wirtschaftsdienst, 82. Jg. (2002), H. 10, S. 603-608.
  • 4 Zum Begriff der Fiskalillusion vgl. z.B. W. E. Oates: On the Nature and Measurement of Fiscal Illusion: A Survey, in: G. Brennan, B. S. Grewel, P. Groenwegen (Hrsg.): Taxation and Fiscal Federalism: Essays in Honour of Russell Mathews, Sydney 1988, S. 65-82.
  • 5 Aus theoretischer Sicht wären zur Kompensation von externen Effekten der zentralen Orte eigentlich horizontale Finanzzuweisungen zwischen den Kommunen die richtige Lösung. In der Praxis kommen derartige Transfers aber nur in Ausnahmefällen zustande, so dass üblicherweise die Landesebene einspringen muss.
  • 6 Vgl. M. Olson: The Principle of „Fiscal Equivalence“ – The Division of Responsibilities Among Different Levels of Government, in: American Economic Review, Vol. 59 (1969), Papers and Proceedings, S. 479-487. „Fiskalische Äquivalenz“ liegt demnach dann vor, wenn eine räumliche Deckungsgleichheit zwischen der Gruppe der Nutzer und den Finanzierern einer öffentlichen Leistung sowie jener Personengruppe realisiert ist, die über die Entscheidungsrechte zur Gestaltung der betreffenden Leistung verfügt.
  • 7 Vgl. H. H. Blotevogel u.a.: Gleichwertige Lebensverhältnisse: Eine wichtige gesellschaftspolitische Aufgabe neu interpretieren!, Positionspapier aus der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (ARL), Nr. 69, Hannover 2006.
  • 8 Vgl. P. Haug, C. Michelsen: Reform kommunaler Verwaltungsstrukturen: Zentralisierung bringt nicht nur Effizienzvorteile, in: Wirtschaft im Wandel, 11/2007, S. 403-413. G. Heimpold, M. T. W. Rosenfeld: Was bringt eine Zentralisierung gemeindlicher Verwaltungsstrukturen? – Befunde aus Fallstudien in sachsen-anhaltischen Kommunen, in: Wirtschaft im Wandel, 1/2008, S. 45-52.

Das kommunale Steuersystem braucht nicht weniger, sondern mehr Selbstverwaltung

Zweifelsohne stecken die Kommunen nach dem dramatischen Einbruch ihrer Steuereinnahmen in ihrer schwersten Finanzkrise seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. In vielen Städten und Gemeinden reichen die Steuereinnahmen und weitgehend ausgeschöpfte Kostendeckungsgrade bei Gebühren und Beiträgen bei weitem nicht mehr aus, um aus der laufenden Verwaltungstätigkeit einen positiven Cash Flow zu erzielen.

Die bis zum Ende des Jahres 2009 aufgelaufenen Liquiditätskredite von bundesweit fast 35 Mrd. Euro sind für sich genommen schon erschreckend genug, zeigen aber nur die halbe Wahrheit. Denn durch die Einführung der Doppik wird nunmehr offengelegt, dass viele Kommunen keinerlei Abschreibungen auf ihr Sachvermögen erwirtschaften und stattdessen Jahr für Jahr hochdefizitäre Ergebnisrechnungen vorlegen. Etliche Gemeinden sind deshalb bereits bilanziell überschuldet und bei vielen anderen schmilzt das verbliebene Eigenkapital in einem Schwindel erregenden Tempo.

Es steht außer Frage, dass die betroffenen Kommunen in den nächsten Jahren alle Anstrengungen zur Konsolidierung ihrer Haushalte von der Ausgabenseite her unternehmen müssen. Aber in Anbetracht von Defiziten in den Ergebnisrechnungen, die trotz jahrelanger Konsolidierungsanstrengungen nicht kleiner, sondern immer größer werden, fehlt in vielen Gemeinden zunehmend die Phantasie, wie alleine durch weitere Einsparungen jemals wieder ein Haushaltsausgleich erzielt werden kann.

Hilfe vom Bund oder den Ländern?

Von daher ist nur zu verständlich, dass sich die verzweifelten Blicke der Vertreter der kommunalen Spitzenverbände immer stärker auf den Bund und die Länder richten. Im Vordergrund stehen dabei Hoffnungen auf Umverteilungen der Steuereinnahmen zugunsten der Kommunen, eine Erhöhung der Kostenbeiträge von Bund und Ländern bei pflichtigen Aufgaben, eine Absenkung der vorgegebenen Standards oder sogar die Übernahme bisher kommunaler Aufgaben durch den Bund oder die Länder.

In Anbetracht der noch schlimmeren Finanzsituation bei Bund und Ländern, die aufgrund der Einführung der Schuldenbremse zur Entwicklung radikaler Konsolidierungspfade bis zum Jahr 2016 beim Bund bzw. bis 2020 bei den Ländern zwingt, erscheint eine Umverteilung zu Gunsten der Kommunen ziemlich illusionär. Im Gegenteil, mit der Ankündigung weiterer Steuersenkungen baut der Bund zeitgleich zusätzliche Drohkulissen für die weitere Entwicklung der kommunalen Finanzen auf.

Auch die kommunalen Forderungen nach einer Absenkung von Standards, z.B. bei der Einführung des Rechtsanspruches auf einen Kindergartenplatz, dürften nach den Erfahrungen aus den Föderalismusreformkommissionen I und II, in denen der Bund gegenüber den Ländern zu keinerlei substantiellen Zugeständnissen bei der Lockerung von Standards bereit war, auch zukünftig beim Bund (und wohl auch den Ländern) auf wenig Gegenliebe stoßen.

Einrichtung einer Gemeindefinanzkommission

Die einzige halbwegs realistische Möglichkeit zur Verbesserung der kommunalen Finanzsituation liegt deshalb im Bereich des kommunalen Steuersystems. Auf den ersten Blick scheint der Bund dies auch so zu sehen, denn immerhin hat er ja am 4. März 2010 eine Gemeindefinanzkommission mit dem erklärten Ziel einer Stabilisierung der kommunalen Finanzen eingerichtet. Im Kleingedruckten wird allerdings sehr schnell deutlich, dass es weniger um die Entwicklung eines kommunalfreundlichen Steuersystems geht, sondern vor allem um einen erneuten Anlauf zur Abschaffung der Gewerbesteuer.

Die zur Kompensation vorgeschlagenen erhöhten Kommunalanteile an der Mehrwertsteuer und ein kommunales Zuschlagsrecht bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer würden zwar die Konjunkturabhängigkeit verringern, ansonsten aber die Qualität des kommunalen Steuersystems noch weiter verschlechtern. Diese Pläne werden deshalb von den kommunalen Spitzenverbänden zu Recht vehement abgelehnt.

Anforderungen an das geltende kommunale Steuersystem

Die Anforderungen an ein selbstverwaltungsfreundliches und ökonomisch rationales kommunales Steuersystem sind (zumindest in der Wissenschaft) relativ unstrittig. Aus der Sicht der Kommunen muss ein solches System ausreichend ergiebig sein, die Bemessungsgrundlagen sollten sich wachstumsproportional entwickeln und möglichst konjunkturunabhängig sein, ihre Verteilung sollte den unterschiedlichen Aufgaben und Belastungen der Gemeinden entsprechen, und die Kriterien der gruppenmäßigen Äquivalenz sollten beachtet werden.

Um hinreichende lokale Selbstverwaltungsspielräume zu eröffnen, sollte die Steuerbelastung durch die Kommunen für die Steuerpflichtigen transparent und fühlbar sein und den Gemeinden weitgehende Hebesatzrechte eingeräumt werden, bei deren Ausübung aber ebenfalls das Prinzip der gruppenmäßigen Äquivalenz zu beachten ist. Aus der Sicht der Steuerpflichtigen sind die Postulate der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit, der Willkürfreiheit und der Einfachheit zu beachten.

Es ist offensichtlich, dass die Komponenten des aktuellen kommunalen Steuersystems diesen Anforderungen sowohl einzeln, als auch in ihrer Gesamtwirkung nur sehr unzureichend entsprechen.

Überfällige Reform der Grundsteuer

Am besten schneidet noch die Grundsteuer B ab. Sie belastet im Prinzip sowohl die Wohnbevölkerung, als auch (soweit sie Immobilien und Grundstücke nutzen) die ortsansässigen Unternehmen. Die Kritik setzt deshalb auch nicht an der Steuer an sich, sondern nur an den völlig veralteten Einheitswerten an. Mit dem Vorschlag von Bayern und Rheinland-Pfalz liegt allerdings schon seit dem Jahr 2004 ein zwischen den Ländern weitgehend einvernehmliches Reformmodell vor, dessen Umsetzung der Bund zwar schon mehrfach versprochen, allerdings immer wieder auf die lange Bank geschoben hat.

Eigentlich böte die Gemeindefinanzkommission nun den geeigneten Rahmen, den vielfachen Ankündigungen endlich Taten folgen zu lassen, aber erstaunlicherweise steht die Modernisierung der Grundsteuer B bisher nicht auf der Tagesordnung.

Bürgersteuer anstatt des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer?

Relativ positiv fällt auch das Urteil über den Gemeindeanteil von 15% an der Einkommensteuer aus, der bundesweit den Kommunen immerhin jährliche Einnahmen von rund 24 Mrd. Euro in die Kassen bringt. Die Wohnbevölkerung einer Gemeinde trägt damit entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit (gemessen am Einkommen, aber beschränkt auf Sockelbeträge) zur Finanzierung der kommunalen Aufgaben bei.

Die Hauptkritik richtet sich auch nicht gegen die individuelle Belastung als Anteil der normalen Einkommensteuer, sondern dagegen, dass den meisten Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen gar nicht bewusst ist, dass ein Anteil von 15% ihrer Einkommensteuer auf äußerst verschlungenen Pfaden in die Kasse der eigenen Gemeinde gelangt. Ein kommunaler Steuerbescheid oder gar der Ausbau zu einer Bürgersteuer mit einem von der Gemeinde festzulegenden (proportionalen) Steuersatz auf das zu versteuernde Einkommen könnte den unmittelbaren Zusammenhang zwischen den von der Wohnbevölkerung mittels politischer Entscheidungsprozesse gewünschten kommunalen Leistungen und der dafür notwendigen steuerlichen Belastung herstellen und für die Bürger- und Wählerschaft transparent machen.

Verrechnung mit der Einkommensteuer als Konfliktlöser

Die Einführung einer solchen Bürgersteuer hat zur Zeit allerdings sicherlich nicht die höchste Priorität, sondern sollte erst dann angegangen werden, wenn für die lokale Unternehmensbesteuerung eine dauerhafte, sich möglichst stetig entwickelnde und mit einem umfänglichen Hebesatzrecht ausgestattete Lösung umgesetzt ist. Eine solche wirtschaftsbezogene Steuer wird nur dann stabil sein können, wenn sie sowohl bei den Gemeinden als auch bei der Wirtschaft auf Akzeptanz stößt.

Die Gemeinden haben ein Interesse daran, möglichst die gesamte lokale Wertschöpfung aller vor Ort tätigen Unternehmen in der Bemessungsgrundlage zu erfassen, und sie wollen das Hebesatzrecht erhalten. Damit stehen sie in einem offensichtlichen Gegensatz zu den durchaus nachvollziehbaren Interessen der Unternehmen, die sich strikt gegen jede Art von ertragsunabhängiger Besteuerung wenden.

Die Erfahrungen der letzten 30 Jahre zeigen, dass sich die Sichtweise der Wirtschaft mit der Abschaffung von Lohnsummensteuer (1980) und Gewerbekapitalsteuer (1998) bisher schon weitgehend durchgesetzt hat. Die Wirtschaftsverbände werden ihren Kampf gegen die Gewerbesteuer aber wohl erst dann einstellen, wenn sie abgeschafft ist oder zumindest alle ertragsunabhängigen Komponenten beseitigt sind.

Es erscheint deshalb dringend geboten, nochmals darüber nachzudenken, ob es nicht doch möglich ist, die Interessen der Kommunen an einer sich möglichst stetig entwickelnden wirtschaftskraftbezogenen Steuer mit Hebesatzrecht mit den genauso legitimen Interessen der Unternehmen auf einen möglichst weitgehenden Verzicht auf ertragsunabhängige Steuerbelastungen zu verbinden.

Dass der nahezu unversöhnlich erscheinende Interessengegensatz zwischen Kommunen und Wirtschaft durchaus auflösbar ist, ist mit dem § 35 EStG bereits nachgewiesen. Mit der Unternehmensteuerreform 2008 wurde dieser Paragraph so umgeformt, dass die Gewerbesteuerbelastung bei Personenunternehmern bis zu einem Hebesatz von 380 vollständig mit der Einkommensteuerschuld (soweit auf gewerblichen Einkünften beruhend) verrechnet werden kann. Da sich zugleich auch der Solidaritätszuschlag entsprechend vermindert, kommt es bei Hebesätzen, die unterhalb von 400,9 liegen, sogar zu einer (vom Gesetzgeber offensichtlich übersehenen) Überkompensation, die bei Hebesätzen bis 380 immerhin 5,5% beträgt.

Umso erstaunlicher ist es, dass viele Personenunternehmer sich trotz dieser Überkompensation immer noch höher belastet fühlen als z.B. Freiberufler, die aus rein historischen Gründen keine Gewerbesteuer zahlen. Bei der kommunalen Forderung nach einer Einbeziehung der Freiberufler in die Gewerbesteuerpflicht geht es deshalb auch keineswegs um eine eventuelle Mehrbelastung der Steuerpflichtigen, sondern nur darum, ob die Betriebsgemeinden im Sinne der gruppenmäßigen Äquivalenz von allen Unternehmen eine wirtschaftsbezogene Steuer erhalten oder nur von einem kleinen Teil.

Würden weitere Unternehmergruppen (z.B. Freiberufler) bei der Anwendung des § 35 EStG einbezogen, entstünden Mindereinnahmen bei der Einkommensteuer und dem Solidaritätszuschlag. Diese würden allerdings zu 45,5% den Bund belasten, zu 40,3% die Länder und zu 14,2% die Wohngemeinden. Diese Verschiebungen müssten natürlich an anderer Stelle ausgeglichen werden.

Warum nicht auch eine Verrechnungsmöglichkeit für Kapitalgesellschaften?

Für Kapitalgesellschaften gibt es bisher keine Verrechnungsmöglichkeit wie sie im § 35 EStG besteht. Das bedeutet, dass bei Kapitalgesellschaften auch beim Ausbleiben von Erträgen noch eine Gewerbesteuerlast verbleiben kann. Aus der Sicht der Kommune ist dies sinnvoll, denn ihre Kosten entstehen ja ebenfalls ertragsunabhängig, aus der Sicht des Unternehmens kann diese Belastung dagegen in Krisenzeiten existenzgefährdend werden.

Um diesen Konflikt zu entschärfen, ist es naheliegend, auch bei Kapitalgesellschaften eine Verrechnungsmöglichkeit für die Gewerbesteuer einzuführen. Als Verrechnungssteuer böte sich zunächst einmal die Körperschaftsteuer an. Allerdings wäre dies nur sinnvoll, wenn die Gewerbesteuerpflicht auch zukünftig auf körperschaftsteuerpflichtige Kapitalgesellschaften beschränkt bliebe.

Im Sinne der gruppenmäßigen Äquivalenz ist diese Einschränkung aber nicht vertretbar. Aus der Sicht einer Kommune ist es im Prinzip von der Kostenseite her völlig egal, ob für jeweils 1000 Beschäftigte eines Unternehmens, eines Krankenhauses, einer Hochschule oder einer Behörde das Straßennetz, der ÖPNV oder sonstige Infrastruktureinrichtungen vorgehalten werden müssen. Von daher spricht vieles dafür, möglichst alle wirtschaftlich tätigen Institutionen mit ihrer gesamten Wertschöpfung als Bemessungsgrundlage für eine wirtschaftskraftbezogene kommunale Steuer mit Hebesatzrecht im Sinne des Artikels 28 GG heranzuziehen.

Dann wäre eine Verrechnung mit der Körperschaftsteuer natürlich nicht mehr möglich. Ähnliches gilt für die Umsatzsteuer, die ebenfalls nicht von allen wirtschaftlichen Institutionen zu entrichten ist. Die pragmatisch sinnvollste Variante dürfte deshalb die Verrechnung mit der für die jeweiligen Beschäftigten abzuführenden Lohnsteuer darstellen.

Da der gegenüber der bisherigen Gewerbesteuer aufkommensneutrale Steuersatz auf die gesamte Wertschöpfung im Durchschnitt bei weniger als 2% liegen würde und die Lohnsumme durchschnittlich etwa 60% zur Nettowertschöpfung beiträgt, dürfte das abzuführende Lohnsteuervolumen im Regelfall deutlich oberhalb der Belastung mit einer kommunalen Wertschöpfungsteuer liegen, so dass eine Verrechnung relativ einfach realisierbar wäre.

Wegen der zusätzlichen Belastung des Faktors Arbeit ist 1980 die Lohnsummensteuer abgeschafft worden und die Einführung einer Wertschöpfungsteuer, wie sie der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen bereits 1982 vorgeschlagen hatte, ist aus dem gleichen Grund bis heute chancenlos geblieben. Würde man sich auch bei Kapitalgesellschaften für ein Verrechnungsmodell entscheiden, ergäbe sich eine völlig andere Ausgangslage.

Da aufgrund der Verrechnung eine Zusatzbelastung des Faktors Arbeit gar nicht erst entsteht und auch die steuerliche Belastung der weiteren ertragsunabhängigen Komponenten der Wertschöpfung durch die Verrechnung vermieden wird, entfallen fast alle bisherigen Gegenargumente.

Die einzige Ausnahme entstünde durch das im Artikel 28 GG verbriefte Hebesatzrecht der Gemeinden. Eine ökonomisch rationale Verrechnung dürfte natürlich nicht, wie beim § 35 EStG, auf die tatsächliche Gewerbesteuerlast begrenzt werden, sondern sollte sich (wegen des Solidaritätszuschlags) am durch 1,055 dividierten bundesdurchschnittlichen Hebesatz (von zur Zeit rund 389%) orientieren. Dass es dann bei unterdurchschnittlichen Hebesätzen zu Überkompensationen kommt und bei überdurchschnittlichen nur eine Teilkompensation erfolgt, ist zur Vermeidung von Fehlanreizen bei den Gemeinden ökonomisch geboten und ein gewolltes Ergebnis des Hebesatzrechts.

Das Problem einer ertragsunabhängigen Belastung wäre in einem solchen Verrechnungsmodell weitgehend entschärft. Bei einem durchschnittlichen Steuersatz von 2% auf die gesamte Wertschöpfung und einem individuellen Steuersatz in einer Gemeinde, der mit 2,5% um 25% über dem Durchschnitt läge, würden Lohnkosten, Zinskosten, Mieten etc. jeweils zusätzlich mit 0,5% belastet, so dass z.B. ein Kredit mit einem Zinssatz von genau 4% zu einer Belastung von 4,02% und ein Stundenlohn von z.B. 16 Euro zu einer Belastung von 16,04 Euro führen würden. Die ertragsunabhängige Zusatzbelastung wäre also selbst bei einem um 25% über dem Durchschnitt liegenden Hebesatz so gering, dass davon selbst in Krisenzeiten keine existenziellen Gefahren ausgehen dürften.

Umsatzsteuerbeteiligung und Gewerbesteuerumlagen beseitigen

Die Einführung eines solchen Verrechnungsmodells würde natürlich verschiedene Kompensationsbedarfe mit sich bringen. Als Ausgleich zur Verrechnungsmöglichkeit bei Kapitalgesellschaften müsste z.B. die Körperschaftsteuer auf einen Satz von rund 28,3% angehoben werden und die Anteilsverhältnisse bei Einkommen- und Umsatzsteuer wären entsprechend anzupassen.

Noch sinnvoller wäre es allerdings, wenn im Zuge einer solchen Reform gleich zwei weitere Fehlentwicklungen des kommunalen Steuersystems, nämlich die abzuführenden diversen Gewerbesteuerumlagen und der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer, korrigiert würden. Eine Beteiligung von Bund und Ländern an einer verstetigten Gewerbe- bzw. Wertschöpfungsteuer würde ökonomisch keinen Sinn mehr ergeben und der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer erfüllt bis auf seine stetige Entwicklung kein einziges Kriterium eines ökonomisch rationalen kommunalen Steuersystems und stellt faktisch nur eine nicht zweckgebundene Zuweisung dar.

Umso unverständlicher sind die Überlegungen der Bundesseite, diesen Anteil möglicherweise im Zuge einer Abschaffung der Gewerbesteuer noch weiter zu erhöhen. Aus kommunaler Sicht wäre damit kein Schritt nach vorne verbunden, sondern eher ein weiterer Schritt auf dem Weg in die Knechtschaft.

Der sicherlich gut gemeinte Vorschlag des Vorsitzenden der FDP, den Gemeinden sogar ein Hebesatzrecht an der Umsatzsteuer einzuräumen, wäre nur dann praktikabel, wenn jeder einzelnen Gemeinde innerhalb der EU eine eigene Mitgliedschaft eingeräumt würde. Aber so weitgehend war dieser Vorschlag vermutlich nun doch nicht gemeint.

Die Beseitigung der Gewerbesteuerumlagen und des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer würden natürlich weitere Korrekturbedarfe bei der Verteilung der Einkommensteuer zwischen Bund, Ländern und Gemeinden auslösen. Die dabei entstehenden Probleme erscheinen aber lösbar. Mögliche Verwerfungen zwischen den Gemeinden innerhalb der einzelnen Bundesländer ließen sich im Rahmen der kommunalen Finanzausgleiche abfedern.

Mehr kommunale Selbstverwaltung und ein konjunkturgerechtes Steuersystem

Insgesamt gesehen erhielten die Gemeinden als Ergebnis einer solchen Reform neben einer leistungsfähigen Grundsteuer endlich einmal eine sich stetig entwickelnde und weitgehend konjunkturunabhängige, breit basierte wirtschaftskraftbezogene Steuer mit Hebesatzrecht, und das grundgesetzlich verbriefte Recht auf kommunale Selbstverwaltung würde auf diese Weise erheblich an Substanz gewinnen.

Den Preis dafür müssten der Bund und die Länder in Form einer stärkeren Konjunkturabhängigkeit ihrer eigenen Steuereinnahmen zahlen. Wirtschafts- und konjunkturpolitisch wäre eine solche Entwicklung allerdings wegen der damit verbundenen Verstärkung der automatischen Stabilisatoren positiv zu bewerten. Durch die Änderung des Artikels 109 GG im Jahr 2009 wäre eine solche Fortentwicklung des Steuersystems auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geradezu geboten.

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DOI: 10.1007/s10273-010-1072-y