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Der Transferempfängeranteil, d.h. der Anteil an Menschen, die auf staatliche Unterstützungszahlungen angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können, kann als Indikator für das Verarmungsrisiko und damit auch für die soziale Sicherheit in einem Land angesehen werden.1 Im Durchschnitt der Jahre 2006-2008 waren deutschlandweit 98 von 1000 Einwohnern auf finanzielle Hilfen vom Staat angewiesen. Dabei variiert der Anteil an Transferempfängern zwischen den Bundesländern ganz erheblich. Am geringsten ist das Armutsrisiko in Bayern und Baden-Württemberg. In beiden Bundesländern waren zwischen 2006 und 2008 durchschnittlich nur etwas mehr als 50 von 1000 Einwohnern auf staatliche Transferleistungen angewiesen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Ein wesentlich ungünstigeres Bild ergibt sich dagegen für die Bundeshauptstadt Berlin. Hier erhielten von 1000 Einwohnern knapp 200 eine finanzielle Unterstützung vom Staat.

Insgesamt zeigt sich sowohl im Westen als auch im Osten der Bundesrepublik ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Überdurchschnittlich hoch ist die soziale Absicherung neben Bayern und Baden-Württemberg in den südlichen Bundesländern Rheinland-Pfalz mit einem Anteil von rund 7% Transferempfängern sowie Hessen und dem Saarland mit jeweils 9%. Im Mittelfeld liegen Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo jeweils etwa 10% der Bevölkerung auf finanzielle Unterstützung vom Staat angewiesen sind. Als einziges ostdeutsches Bundesland liegt Thüringen mit 12% vor Hamburg mit 13% in dieser Gruppe. Das letzte Drittel führen Sachsen und Brandenburg mit jeweils rund 14% an. Mit einigem Abstand folgen Sachsen-Anhalt, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern mit jeweils 17% sowie Schlusslicht Berlin mit 20%.

Transferempfänger1
Durchschnitt der Jahre 2006 bis 2008
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1 Empfänger von ALG II, Grundsicherung, Sozialgeld und -hilfe je 1000 Einwohner.

Quelle: Bertelsmann Stiftung.

Determinanten der Sozialen Sicherheit

Das Risiko, auf Unterstützung vom Staat angewiesen zu sein, wird insbesondere durch die Arbeitsmarktchancen, die sozialen bzw. familiären Strukturen sowie die Möglichkeiten sozialer Mobilität bestimmt.

Arbeitsmarktchancen

Das Risiko zu verarmen hängt in starkem Maße von den beruflichen Chancen vor Ort ab. Vor diesem Hintergrund ist der hohe Anteil von Transferempfängern in Ostdeutschland nicht zuletzt auf die weiterhin hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen. So ist die durchschnittliche Arbeitslosenquote (offen und verdeckt) in den neuen Bundesländern (inklusive Berlin) im Zeitraum 2006-2008 mit 19,6% rund doppelt so hoch wie die der westdeutschen, wo lediglich 9,5% ohne Beschäftigung waren. Die niedrigste Arbeitslosenquote verzeichnet Baden-Württemberg mit 6,3%, die höchste ist in Mecklenburg-Vorpommern zu beobachten, wo im genannten Zeitraum durchschnittlich 21,8% und damit mehr als dreimal soviel Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen waren wie im „Musterländle“.

Spiegelbildlich dazu verharrt auch die Erwerbstätigkeit in den östlichen Bundesländern auf deutlich geringerem Niveau als im Westen der Republik.2 Zwischen 2006 und 2008 wies Hamburg mit 90,3 Erwerbstätigen je 100 Einwohner zwischen 15 und 65 Jahren die deutschlandweit höchste Erwerbstätigenquote auf. Überdurchschnittlich ist die Erwerbstätigenquote zudem in Bremen (88,5%), Bayern (78,8%), Baden-Württemberg (77,7%), Hessen (76,5%) und dem Saarland (74,5%). Spitzenreiter im Ostteil Deutschlands ist Sachsen, wo 68,5 von 100 Erwerbsfähigen einer Beschäftigung nachgehen. Am geringsten ist die Erwerbstätigkeit mit 58,7% in Brandenburg, wobei hier die enge Verflechtung mit der Bundeshauptstadt das Bild etwas verzerrt.

Flexibilität des Arbeitsmarktes

Die Chancen auf einen Arbeitsplatz hängen auch von der Arbeitsmarktpolitik ab. Dabei spielt die Flexibilität des Arbeitsmarktes eine wichtige Rolle. Je größer die Flexibilität, desto höher ist die soziale Mobilität. Als Indikator für die Flexibilität des Arbeitsmarktes kann insbesondere die Teilzeitquote herangezogen werden. Auch bei der Teilzeitquote zeigt sich ein klares Ost-West-Gefälle. Bundesweit waren im Zeitraum zwischen 2005 und 2007 25,3% der Erwerbstätigen teilzeitbeschäftigt. Dabei bewegen sich die Teilzeitquoten in den alten Flächenländern zwischen 24% in Bayern und 27,5% im Saarland. Im Osten ist die Teilzeitarbeit demgegenüber deutlich weniger verbreitet. Hier hatten im genannten Zeitraum zwischen 19% (Brandenburg und Sachsen-Anhalt) und 20,9% (Mecklenburg-Vorpommern) der Beschäftigten einen Teilzeitjob. Am höchsten ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigung in Bremen (29,2%).

Bildungsniveau

Verfügen Menschen über ein hohes Niveau an Kenntnissen und Fertigkeiten, verbessert dies die Beschäftigungschancen und Möglichkeiten sozialer Mobilität. Aufschluss über das Bildungsniveau in einem Land gibt unter anderem der Anteil der Schulabsolventen, die Hochschul- oder Fachhochschulreife erlangen, an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung. In den westdeutschen Bundesländern bewegte sich der Anteil der Absolventen mit Hochschul- und Fachhochschulreife (Durchschnittswert 2005 bis 2007) zwischen 34,4% in Bayern und 52,9% in Nordrhein-Westfalen, wobei – mit Ausnahme von Bayern und Rheinland-Pfalz – in allen westlichen Länder mindestens 41,6% der Schulabsolventen den höchsten Schulabschluss erreichten. Im Osten Deutschlands hingegen (abgesehen von Berlin) erreicht kein Bundesland die 40%-Marke. Hier liegt der Anteil zwischen 31,7% in Mecklenburg-Vorpommern und 39,7% in Brandenburg.

Familiäre Strukturen

Die familiären Verhältnisse üben einen gewichtigen Einfluss auf den Anteil der Transferempfänger in einem Bundesland aus. Eine Ursache für den großen Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland ist im hohen Anteil junger Alleinerziehender zu sehen, da diese tendenziell eher von Armut bedroht sind als Paare. Dabei schwankt der Anteil Alleinerziehender unter 20 Jahren in den deutschen Bundesländern im Zeitraum von 2005 bis 2007 zwischen 16,6% in Baden-Württemberg und 36,3% in Mecklenburg-Vorpommern. Deutliche Unterschiede zeigen sich auch zwischen den Stadtstaaten. Während Bremen mit 20,8% am Durchschnitt und Hamburg mit 24,7% knapp über dem Durchschnitt liegen, müssen in der Bundeshauptstadt 34,8% der unter 20-jährigen Eltern ihre Kinder ohne Partner aufziehen. Insgesamt beträgt der Anteil junger Alleinerziehender in den ostdeutschen Bundesländern etwa 35%. Dabei ist die Schwankungsbreite in den ostdeutschen Flächenländern mit Werten zwischen 33,3% (Sachsen) und 36,3% (Mecklenburg-Vorpommern) wesentlich geringer als in den westlichen Flächenländern. Hier schwankt der Anteil junger Alleinerziehender zwischen 16,6% (Baden-Württemberg) und 22,3% im Saarland.

Im langfristigen Trend hat sich der Anteil junger Alleinerziehender bundesweit erhöht. Während im Zeitraum zwischen 1996 und 1998 durchschnittlich 15,3% der Eltern ihre Kinder ohne Partner aufgezogen haben, ist dieser Anteil im Zeitraum zwischen 2005 und 2007 auf 20,6% gestiegen. Dabei ist der Anstieg in den ostdeutschen Ländern wesentlich stärker ausgefallen als im Westen Deutschlands. In den östlichen Flächenländern ist die Alleinerziehendenquote im genannten Zeitraum durchschnittlich um 14,1 Prozentpunkte gestiegen, während in den alten Flächenländern lediglich ein Anstieg von 4,8% zu verzeichnen war. Dort war die stärkste Zunahme mit 6,3 Prozentpunkten im Saarland zu beobachten, den geringsten Anstieg hat im genannten Zeitraum Niedersachsen mit 3,7 Prozentpunkten zu verzeichnen. Auch die Stadtstaaten haben unterschiedliche Entwicklungen durchlaufen. So ist Bremen das einzige Bundesland, in dem der Anteil Alleinerziehender um 0,2 Prozentpunkte gesunken ist (Hamburg +3,3 Prozentpunkte, Berlin + 9,9 Prozentpunkte).

Handlungsfelder der Länder

Die Bundesländer können durch gezielte Familien-, Arbeitsmarkt-, Bildungs- und Innovationspolitik sowie die allgemeine Wirtschaftspolitik Arbeitsmarktchancen, die sozialen bzw. familiären Strukturen sowie die Möglichkeiten sozialer Mobilität beeinflussen.3

Familienpolitik

Zwar reagieren Familienstrukturen nur sehr mittelbar auf eine familienfreundliche Politik; allerdings können Landesregierungen Betreuungsangebote schaffen, um ungünstige familiäre Strukturen zumindest teilweise aufzufangen. Auch die veränderten Arbeitsmarktbedingungen haben dazu beigetragen, dass Landesregierungen heutzutage zunehmend Aufgaben wie „Bereitstellung von Kleinkinderbetreuung“ übernehmen müssen. Mehr denn je wird von Berufseinsteigern räumliche Mobilität verlangt. Eine Unterstützung innerhalb der Familie ist oft schon rein geographisch nicht möglich. Die Familienpolitik eines Bundeslandes kann die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern, was sich auch positiv auf die Geburtenrate auswirken dürfte.

Arbeitsmarktpolitik

Insbesondere Langzeitarbeitslosen, deren allgemeines Humankapital sich durch die lange Arbeitslosigkeit bereits größtenteils entwertet hat, können die Bundesländer vor allem durch Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik neue Perspektiven bieten und den Bestand an Humankapital wieder erhöhen. Dabei verfügen die Bundesländer über ein breites Set an innovativen Instrumenten und Maßnahmen.4 Hilfreich sind zielgruppenorientierte Maßnahmen, die marktverwertbare Qualifizierungen vermitteln und somit effizient gerade den benachteiligten Gruppen am Arbeitsmarkt helfen, schnellstmöglich wieder in Beschäftigung zu kommen.

Neben den aktiven Maßnahmen können die Länder zudem wichtige Steuerungs- und Koordinationsfunktionen übernehmen, z.B. die Einrichtung von Regionalstellen, mit deren Hilfe die Kooperation der verschiedenen Akteure der Arbeitsmarktpolitik institutionalisiert wird. Auf diese Weise kann auch den lauter werdenden Forderungen nach einer Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik Rechnung getragen werden. Von dieser verspricht man sich eine bessere Berücksichtigung der Probleme vor Ort sowie schnelle und flexible Antworten auf neue Herausforderungen. Auch die Verknüpfung mit strukturpolitischen Zielen sowie die Unterstützung und Anregung innovativer Projekte ist den Bundesländern eher möglich als der Bundesanstalt für Arbeit oder dem Bund.

Bildungspolitik

Die soziale Mobilität kann von den Regierungen der Länder erhöht werden, wenn sie z.B. mit einem durchlässigen Schulsystem dazu beitragen, dass auch Kinder aus „bildungsfernen“ Schichten häufiger den höchsten Schulabschluss schaffen. Dabei können die Länder mit Hilfe der Bildungspolitik das Qualifikationsniveau direkt fördern.

Wirtschafts- und Innovationspolitik

Auch die allgemeine Wirtschaftspolitik wirkt sich auf die soziale Mobilität aus. Unternehmerische Investitionen führen dazu, dass Arbeitskräfte produktiver arbeiten und eine höhere Wertschöpfung erzielen, wodurch sich wiederum ihre beruflichen Chancen verbessern. Eine besondere Bedeutung kommt auch der Innovationspolitik zu. So entstehen zukunftsfähige Beschäftigungsmöglichkeiten, die einem modernen Verständnis von Arbeitsplatzqualität entsprechen, vor allem in innovativen Unternehmen, da sich diese durch Technologievorsprünge – zumindest zeitweise – vor Kosten- und Lohnsenkungswettbewerben schützen können. Umfang und Qualität von Innovationen sind insbesondere davon abhängig, wie die Rahmenbedingungen für Forschung, Entwicklung und die unternehmerische Umsetzung neuer Ideen ausgestaltet sind. In Deutschland haben die Bundesländer einen großen Spielraum bei der Gestaltung der innovationsrelevanten Faktoren. So sind die Landesregierungen im Wesentlichen dafür zuständig, die Bereiche Bildung, Forschung und Wissenschaft zu finanzieren. Etwa 39% der deutschlandweiten Ausgaben in diesen Bereichen entfallen auf die Bundesländer.5 Ferner beeinflussen die Bundesländer als Träger der öffentlichen Verwaltung unternehmerische Aktivitäten und somit die Umsetzung von Innovationen. Dies betrifft die Dauer von Verwaltungsvorgängen ebenso wie die Art der Umsetzung von Bundes- und Landesgesetzen. Dabei können die Länder auch auf indirektem Wege Einfluss nehmen, wie z.B. über die Bereitstellung der erforderlichen Infrastruktur. Schließlich können die Länder mit eigenen Fördermaßnahmen das Innovationsgeschehen unmittelbar lenken.

  • 1 Vgl. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Die Bundesländer im Standortwettbewerb 2009/2010, Gütersloh 2010.
  • 2 Die Berechnung erfolgt hier nach dem Betriebsstättenprinzip, sodass insbesondere Stadtstaaten aufgrund der starken Pendlerverflechtungen tendenziell höhere und die anliegenden Flächenländer geringere Erwerbstätigenquoten aufweisen als bei Zugrundelegung des Wohnortprinzips.
  • 3 Vgl. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Die Bundesländer im Standortwettbewerb, a.a.O.
  • 4 Vgl. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Die Bundesländer im Fokus 2007 – Aktive Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, Gütersloh 2007.
  • 5 Vgl. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Die Bundesländer im Innovationswettbewerb 2009, Gütersloh 2009.

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DOI: 10.1007/s10273-010-1079-4