Der Einsatz von Leiharbeit soll den Betrieben mehr Flexibilität ermöglichen und die Kosten senken. Arbeitslose könnten davon profitieren, dass die Beschäftigung bei einer Leiharbeitsfirma den Einstieg in die reguläre Beschäftigung erleichtert. Tatsächlich zeigen die aktuellen Daten, dass Leiharbeiter schlecht entlohnt, häufig wieder arbeitslos und kaum qualifiziert werden.
Leiharbeit war der Jobmotor des Aufschwungs bis 2008. Dies ist vor allem auf die mit den Hartz-Gesetzen erfolgte Deregulierung sowie die sich wandelnden personalpolitischen Strategien in Einsatzbetrieben zurückzuführen. Doch mit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise wurde sie zum Vorreiter des Personalabbaus. Zwischenzeitlich zieht aber auch hier die Beschäftigung wieder deutlich an. Diese Flexibilität ist für die Betriebe günstig. Sie hat aber eine Kehrseite: In keiner anderen Branche ist das Risiko größer, den Job zu verlieren und arbeitslos zu werden. Erstmals werden hier Daten zum Übergang von Leiharbeitskräften in die Arbeitslosigkeit aufbereitet.
Beschäftigungsaufbau und -abbau
Nach einem kontinuierlichen Beschäftigungsaufbau erreichte die Zahl der Leiharbeitskräfte mit sozialversichertem Job im Juli 20081 mit 722 500 den bisherigen Höchststand. In den vier Jahren zuvor gab es eine starke Beschäftigungsdynamik. Doch mit der wirtschaftlichen Krise setzte ein deutlicher Personalabbau ein. Innerhalb nur eines Jahres gingen in der Branche per Saldo 200 000 Arbeitsplätze verloren. Dabei konnten die Verleiher in Teilen des Dienstleistungssektors, wie dem Gesundheits- und Sozialwesen oder bei den Call-Centern, den Verleih noch ausdehnen. Mit der Stabilisierung der Konjunktur konnte die Branche ab Mitte 2009 wieder steigende Beschäftigungszahlen melden. Diese lagen im Frühjahr 2010 bereits saisonbereinigt wieder bei 650 000 bzw. um ein Fünftel oder gut 100 000 über dem Vorjahresniveau (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1
Sozialversichert Beschäftigte insgesamt und Leiharbeit
Im Vergleich zum Frühjahr 2008 hat die Verleihbranche aber immer noch Jobs verloren. Dabei konnte sie erstmals seit Herbst 2008 Kurzarbeit nutzen, um die Beschäftigung zu stabilisieren. Nur zögerlich wurde von diesem Instrument Gebrauch gemacht. Im April 2009 bezogen 23 100 Leiharbeitskräfte Kurzarbeitergeld. Seitdem geht ihre Zahl kontinuierlich zurück auf 16 400 im Frühjahr 2010. Bezogen auf die Zahl der beschäftigten Leiharbeitskräfte sind dies nur etwa 3% Kurzarbeiter. Im produzierenden Gewerbe lag die Kurzarbeiterquote hingegen dreimal höher als in der Leiharbeit. Allerdings war der durchschnittliche Arbeitsausfall mit fast 50% in der Leiharbeit etwas höher als in der Gesamtwirtschaft – dort lag er bei rund einem Drittel.2 Kurzarbeit hat in der Leiharbeit weit weniger zur Stabilisierung der Beschäftigung beitragen können als in anderen Branchen. Überdies werden die Möglichkeiten zur Qualifizierung ehemaliger Leiharbeitskräfte bei wieder anziehender Beschäftigung nicht genutzt. Von den im Haushalt der Arbeitslosenversicherung hierfür zur Verfügung stehenden 25 Mio. Euro hat die Leiharbeitsbranche im ersten Halbjahr lediglich 0,1 Mio. Euro dafür verwendet, bereits entlassenen Leiharbeitskräften eine neue Chance zu geben und sie mit öffentlichen Mitteln für neue Aufgaben zu qualifizieren.3
Vorherige Beschäftigung der Leiharbeitskräfte
Die Verleihbranche sowie ihr nahestehende Wissenschaftler4 und Politiker heben immer wieder eine Brückenfunktion der Leiharbeit für Arbeitslose hervor. Den Blick richten sie auf den hohen Anteil von Arbeitsuchenden an den Einstellungen und blenden das hohe Risiko, erneut arbeitslos zu werden, weitgehend aus. Auch die Bundesagentur für Arbeit schreibt: „Zeitarbeit stellt eine Beschäftigungsperspektive für Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer, Berufseinsteiger oder Berufsrückkehrer dar.“5
Für fast 40% der eingestellten Leiharbeitskräfte schließt sich die Beschäftigung in der Leiharbeit direkt an ein vorheriges Arbeitsverhältnis an. Sie waren bereits in einem anderen Betrieb von Arbeitslosigkeit bedroht bzw. zuvor (befristet) im Verleihgewerbe tätig. Die Mehrzahl der Leiharbeitskräfte war hingegen tatsächlich zuvor unmittelbar nicht beschäftigt. Etwa die Hälfte war vor Begründung des Leiharbeitsverhältnisses weniger als ein Jahr ohne Beschäftigung und knapp 10% länger als ein Jahr.6 Die Verleiher greifen folglich in starkem Maße auf Arbeitslose sowie Berufsrückkehrer bzw. Berufseinsteiger zurück. Die wesentlichen Gründe liegen auf Seiten der Betriebe und der Arbeitnehmer:
- Regulär Beschäftigte werden in anderen Branchen meist besser entlohnt und haben wenig Interesse an einem Leiharbeitsvertrag.
- Arbeitslose ergreifen oftmals mangels Alternativen jeden Strohhalm und nehmen auch schlechter bezahlte und nur vorübergehende Jobs an.
- Die Verleiher beschäftigten oftmals in Jobs, die relativ geringe Anlernzeiten erfordern. Hier scheint ein Neu- oder Wieder-Einstieg in das Arbeitsleben besonders leicht.
- Die Verleiher dürfen gesetzlich bei Einstellung von zuvor Arbeitslosen bis zu sechs Wochen mit einem Nettoarbeitsentgelt in Höhe des zuletzt erhaltenen Arbeitslosengeldes entlohnen. Der Gesetzgeber hat der Verleihbranche eine Brückenfunktion zugewiesen.Entsprechend genießen die Unternehmen einen systematischen finanziellen Vorteil durch niedrigere Löhne bei Einstellung von Arbeitslosen.
- Die Bundesagentur für Arbeit bevorzugt die Verleiher als „Premiumkunden“.
- Verleiher erhalten überdurchschnittlich oft Lohnkostenzuschüsse bei der Einstellung von Arbeitslosen, da sie in besonderer Weise Arbeitslose einstellen und Lohnkostenvorteile zu nutzen versuchen.
Dass die Verleiher weit überdurchschnittlich häufig Arbeitslose bzw. Arbeitsuchende aus der stillen Reserve rekrutieren, wird fälschlicherweise als Indiz für eine positive Brückenfunktion der Leiharbeit interpretiert. Dies würde jedoch voraussetzen, dass eine stabile Eingliederung gelingt und das Risiko, wieder arbeitslos zu werden, gesenkt wird.
Fluktuation und Brückenfunktion der Leiharbeit
Momentaufnahmen sind nur bedingt aussagefähig, um die spezifischen Funktionen dieses Beschäftigungssektors und die Auswirkungen auf die Erwerbsverläufe konkret beschreiben zu können. Bestandszahlen müssen daher durch Verlaufsdaten ergänzt werden. Dabei zeigt sich, dass die Leiharbeit von einer hohen Fluktuation gekennzeichnet ist. In keiner anderen Branche ist der Beschäftigtenumschlag größer. Rein rechnerisch wird die durchschnittliche Beschäftigtenzahl innerhalb eines Jahres mehr als einmal ausgetauscht. Die neu begonnenen und beendeten Leiharbeitsverhältnisse übersteigen gleichermaßen die Zahl der durchschnittlich beschäftigten Arbeitskräfte. So wurden auch im Krisenjahr 2009 gut 680 000 Leiharbeitsverhältnisse begonnen und mehr als 800 000 beendet. Heuern und Feuern gibt es gleichermaßen. Der Personalumschlag ist in der Arbeitnehmerüberlassung vier- bis fünfmal höher als in der Gesamtwirtschaft (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1
Fluktuation sozialversicherter Beschäftigung
West | Ost | |||
---|---|---|---|---|
Leiharbeit | Wirtschaft insgesamt | Leiharbeit | Wirtschaft insgesamt | |
Begonnene Beschäftigungsverhältnisse | ||||
2008 2009 |
719 677 545 259 |
6 028 301 5 436 693 |
153 804 137 897 |
1 548 415 1 466 751 |
Beendete Beschäftigungsverhältnisse | ||||
2008 2009 |
764 473 663 662 |
5 690 328 5 621 403 |
161 449 160 087 |
1 478 186 1 477 729 |
Sozialversichert Beschäftigte am 30. Juni | ||||
2008 2009 |
567 963 418 055 |
22 238 819 22 163 637 |
142 043 112 544 |
5 218 896 5 216 459 |
Quelle: Eigene Berechnungen auf der Basis der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit.
In seinem Bericht an das Bundesarbeitsministerium gelangt das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit (IAB) zu der Einschätzung, dass Leiharbeit nur sehr begrenzt als Brücke in reguläre Beschäftigung dient. So wird ausgeführt: „Da der Brückeneffekt im eigentlichen Sinne meint, ob in erster Linie Arbeitslose über die Arbeitnehmerüberlassung den Weg in dauerhafte reguläre Beschäftigung finden, ist festzuhalten, dass dies nach zwei Jahren nur etwa 8% der Arbeitslosen gelingt.“7
Dass die Brückeneffekte keinesfalls überschätzt werden dürfen, zeigen die IAB-Ergebnisse auch für arbeitsmarktnahe Personengruppen. „Nicht einmal jeder Fünfte (19%), der vor der Leiharbeit überwiegend regulär beschäftigt war, ist dies auch nach dem Zwischenstopp in der Arbeitnehmerüberlassungsbranche. Bemerkenswerterweise finden sich knapp 42% der vorher überwiegend Beschäftigten nachher vor allem in der Leiharbeit wieder.“8 In einer ergänzenden Auswertung stellt das IAB fest: „Allerdings schaffen es nur 7% der vormals Arbeitslosen, im Zweijahreszeitraum nach der Leiharbeit überwiegend beschäftigt zu bleiben und dabei die Leiharbeit komplett hinter sich zu lassen.“9
Risiko der Arbeitslosigkeit
Kehrseite der relativ niedrigen Klebe- und Brückeneffekte ist ein hohes Arbeitsmarktrisiko der Leiharbeitskräfte. Häufig fallen sie nach Phasen der Leiharbeit (wieder) in unstetige Beschäftigung bzw. Arbeitslosigkeit zurück. Dies gilt insbesondere für jene, die bereits zuvor arbeitslos waren. Sehr schnell kann sich eine Leiharbeitskarriere verfestigen, die durch Zeiten der Arbeitslosigkeit unterbrochen wird. Um etwas mehr Licht ins Dunkel zu bringen, hat der Verfasser eine Sonderauswertung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit angeregt; sie zeigt ein weit überdurchschnittliches Arbeitsmarktrisiko im Verleihgewerbe.
Nach dieser Sonderauswertung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit haben bundesweit von Herbst 2008 bis September 2009 bereits 434 400 Leiharbeitskräfte ihren sozialversicherten Job verloren und mussten sich zugleich arbeitslos registrieren lassen (vgl. Tabelle 2).10 Ein Großteil der Leiharbeitskräfte muss vorübergehend oder immer wieder nach Leiharbeitsepisoden Erfahrung mit Arbeitslosigkeit machen. Obwohl die Beschäftigten in dieser Branche nur etwa 2% der sozialversicherten Beschäftigten ausmachten, kommen 16% der Zugänge aus dem ersten Arbeitsmarkt in Arbeitslosigkeit aus der Verleihbranche.
Tabelle 2
Zugang aus sozialversicherter Beschäftigung bei Verleihern in Arbeitslosigkeit1
September 2009 | Veränderung gegenüber Vorjahr | ||
---|---|---|---|
absolut | absolut | in % | |
West | 325 700 | +100 500 | +44,6 |
Ost | 108 700 | +32 100 | +41,9 |
1 Ohne Optionskommunen.
Quelle: Zwischenzeitlich veröffentlichte Sonderauswertung der Zugangsstatistik der Bundesagentur für Arbeit.
Stellt man den durchschnittlich beschäftigten Leiharbeitskräften die Zugänge in Arbeitslosigkeit gegenüber, so wurden rein rechnerisch bereits 76% dieser Gruppe innerhalb von nur zwölf Monaten arbeitslos. Drei Viertel des Personalbestandes wurde innerhalb von zwölf Monaten über Arbeitslosigkeit ausgetauscht. Zu berücksichtigen ist dabei, dass längst nicht alle Arbeitskräfte, die aus einem Leiharbeitsbetrieb ausscheiden, arbeitslos werden, sondern sich teils auch vom Arbeitsmarkt vorübergehend zurückziehen oder auch bei anderen (Leiharbeits-)Unternehmen einen Job finden.
Im Vergleich zum Vorjahr sind die Zugänge aus Leiharbeit in Arbeitslosigkeit nach dieser Sonderausweitung um gut 130 000 bzw. mehr als 40% gestiegen (vgl. Tabelle 2). Doch auch in den – wirtschaftlich noch guten – Jahren 2007/2008 sind rund 300 000 Leiharbeitskräfte aus sozialversicherter Beschäftigung innerhalb von zwölf Monaten arbeitslos geworden. Dies zeigt das hohe Arbeitsmarktrisiko der Leiharbeitskräfte selbst bei noch guter Konjunktur. In keinem anderen Sektor werden – bei anziehendem und noch mehr bei sich eintrübendem Wirtschaftswachstum so viele Arbeitskräfte wieder „freigesetzt“ und arbeitslos wie in der Leiharbeit. Selbst im krisengeschüttelten verarbeitenden Gewerbe meldeten sich im Beobachtungszeitraum absolut kaum mehr Beschäftigte (459 000) arbeitslos als im Verleihgewerbe. Dabei sind im verarbeitenden Gewerbe mehr als zehnmal mehr Menschen sozialversichert beschäftigt (23,6% aller Beschäftigten) als in der Leiharbeit.
Setzt man die monatsdurchschnittlichen Zugänge aus dem ersten Arbeitsmarkt in Arbeitslosigkeit mit dem durchschnittlichen Beschäftigtenbestand in Beziehung, wird das branchenspezifische Risiko des Jobverlustes noch deutlicher. Diese Rate zeigt das durchschnittliche Risiko von Beschäftigten einer Branche an arbeitslos zu werden.
Für die Verleihbranche lag diese Quote von Oktober 2008 bis September 2009 bundesweit bei 6,1% pro Monat. Monat für Monat wurden folglich gut 6% der Leiharbeitskräfte arbeitslos. Dies ist ein außerordentlich hohes Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren und arbeitslos zu werden. Mit großem Abstand folgt mit gleichfalls noch überdurchschnittlichem Beschäftigungsrisiko das Gastgewerbe mit einer Quote von 1,7%. Das Arbeitsmarktrisiko in der Leiharbeit ist damit mehr als dreimal so hoch wie im Gastgewerbe, auch wenn hier gleichfalls relativ häufig Beschäftigte den Job verlieren. In dem von der Krise besonders betroffenen verarbeitenden Gewerbe betrug das Entlassungsrisiko hingegen 0,6% pro Monat. In der Leiharbeit war das Arbeitsmarktrisiko im ersten Krisenjahr folglich zehnmal höher als im verarbeitenden Gewerbe.
Eine Differenzierung dieser Sonderauswertung nach Ost und West zeigt, dass die Beschäftigten in den neuen Ländern ein noch etwas größeres Risiko tragen, den Job zu verlieren und arbeitslos zu werden, als in den alten Bundesländern. Hier lag das Risiko, als Leiharbeitskraft im nächsten Monat arbeitslos zu werden, bei 7,4% gegenüber 5,8% in den alten Ländern. In beiden Landesteilen nimmt die Verleihbranche mit weitem Abstand den Spitzenplatz hinsichtlich des Risikos der Arbeitslosigkeit ein. Selbst im stark saisonabhängigen Baugewerbe ist das Entlassungsrisiko in beiden Landesteilen drei- bis viermal kleiner als im Arbeitskräfteverleih.
Dies zeigt, dass personalpolitische Risiken der Verleihbranche schnell auf die Unterstützungssysteme bei Arbeitslosigkeit und damit auf die Solidargemeinschaft abgewälzt werden. Die betroffenen Leiharbeitskräfte müssen dies mit einem sehr hohen Risiko von Arbeitslosigkeit bezahlen und der Sozialstaat diese Folgekosten finanzieren.
Einkommen und Verarmungsrisiko von beschäftigten Leiharbeitskräften
Leiharbeitskräfte haben zugleich ein hohes Verarmungsrisiko. Nach Daten des Statistischen Bundesamtes erhielten 77% der vollzeitbeschäftigten Leiharbeitskräfte einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle. Im Durchschnitt waren dies im Oktober 2006 1300 Euro brutto im Monat.11 Kleinere Betriebe – mit bis zu zehn Beschäftigten – wurden dabei nicht einmal einbezogen. Leiharbeitskräfte leben zugleich überproportional häufig in Haushalten ohne weitere Erwerbstätige und können somit weit seltener damit rechnen, dass ihr Erwerbseinkommen durch das anderer Familienmitglieder aufgestockt wird. Im Durchschnitt verdienen Leiharbeitskräfte ca. 24% weniger als sozialversichert Beschäftigte insgesamt. Bei diesem Lohnabstand sind bereits die Unterschiede bezüglich Geschlecht, Alter und Nationalität berücksichtigt.
Angesichts dieses großen Lohngefälles kann es nicht überraschen, dass bundesweit jede neunte Leiharbeitskraft – trotz sozialversichertem Job – auf ergänzende Hartz IV-Leistungen angewiesen ist. Das Verarmungsrisiko noch erwerbstätiger Leiharbeitnehmer ist viermal höher als das der sozialversichert Beschäftigten in der Gesamtwirtschaft.
In Ostdeutschland können 13,2% der sozialversicherten Leiharbeitskräfte von ihrem Job allein nicht leben und sind ergänzend auf Hartz IV angewiesen (vgl. Tabelle 3). Der Staat muss über Hartz IV für viele Leiharbeitskräfte, die noch einen sozialversicherten Job haben, das nicht existenzsichernde Arbeitsentgelt aufstocken. In keiner anderen Branche ist das Verarmungsrisiko so groß wie im Verleihgewerbe.
Tabelle 3
Sozialversichert Beschäftigte mit ergänzendem Hartz IV-Bezug
absolut | Anteil der Aufstocker mit sozialversichertem Job an allen Beschäftigten | |
---|---|---|
Leiharbeit West | 44 742 | 10,4% |
Leiharbeit Ost | 19 173 | 13,2% |
Leiharbeit insgesamt | 63 915 | 11,2% |
Aufstocker bundesweit | 720 083 | 2,6% |
Quelle: Eigene Berechnungen nach Bundesagentur für Arbeit: Erwerbstätigkeit von erwerbsfähigen Arbeitslosengeld-Beziehern, September 2009.
Bei eintretender Arbeitslosigkeit erhöht sich das Verarmungsrisiko nochmals, weil die Unterstützungsleistungen der Arbeitslosenversicherung etwa ein Drittel unter dem vorherigen Nettoverdienst liegen. Teils konnten infolge der nur kurzen Leiharbeitsepisoden überhaupt keine Ansprüche an das beitragsfinanzierte System aufgebaut werden. Bundesweit wurde mehr als jede vierte Leiharbeitskraft im beobachteten 12-Monatszeitraum unmittelbar nach dem Jobverlust zum Hartz IV-Empfänger. Absolut waren dies gut 116 000 Leiharbeitskräfte, die trotz vorheriger sozialversicherter Beschäftigung bei Jobverlust direkt ins Hartz IV-System abgedrängt wurden. Im Osten ist das Risiko des Hartz IV-Bezugs nach Verlust des Leiharbeitsjobs noch etwas höher als im Westen; hier waren bereits 28% des Zugangs aus Leiharbeit auf staatliche Fürsorge angewiesen, gegenüber 26,5% im Westen. Die Sicherungslücken für Leiharbeitskräfte bei eintretender Arbeitslosigkeit sind nicht zu übersehen (vgl. Tabelle 4).
Tabelle 4
Zugang aus Leiharbeit in Arbeitslosigkeit nach Rechtskreisen1
Oktober 2008 bis September 2009
West absolut | Anteil an allen Zugängen in % | Ost absolut | Anteil an allen Zugängen in % | |
---|---|---|---|---|
Rechtskreis SGB III | 239 580 | 73,5 | 78 260 | 72,0 |
Rechtskreis SGB II | 86 160 | 26,5 | 30 465 | 28,0 |
Insgesamt | 325 740 | 100 | 108 725 | 100 |
1 Ohne Optionskommunen.
Quelle: Eigene Berechnungen auf der Basis der Sonderauswertung der Statistik der Bundesagentur für Arbeit „Zugang aus Erwerbstätigkeit nach Wirtschaftszweigen“.
Chancen auf qualifikationsgerechte Beschäftigung
Deutliche Unterschiede zeigen sich auch bei der beruflichen Qualifikation und dem Risiko der Dequalifikation. So haben die in der Leiharbeit Beschäftigten im Durchschnitt eine etwas geringere Qualifikation im Vergleich zu den Beschäftigten insgesamt. Der Anteil der Beschäftigten ohne Berufsausbildung liegt in dieser Branche bei etwa einem Drittel und ist damit fast doppelt so hoch wie bei den Beschäftigten insgesamt. Doch auch in der Leiharbeit stellen Arbeitnehmer mit Berufsausbildung immer noch die Mehrheit dar. Gut 60% der Verleihkräfte haben einen Berufsabschluss. Die Zahl der Akademiker stellt mit gut 3% nur eine kleine Minderheit dar (vgl. Abbildung 2).
Die Leiharbeitsbranche zeichnet sich dadurch aus, dass die dort Beschäftigten häufig nicht qualifikationsgerecht eingesetzt werden: Nach einer Studie des Arbeitsministeriums Nordrhein-Westfalen (NRW-Studie) gaben immerhin 54% der Befragten an, dass ihre aktuelle Tätigkeit nicht ihrem erlernten Beruf entspricht.12 Deutlich häufiger als in der Gesamtwirtschaft mussten sie Jobs übernehmen, für die keine Ausbildung erforderlich ist. Dequalifikationsprozesse drohen, wenn sie ihre Kenntnisse und Fähigkeiten nicht einbringen können.13 Bundesweit haben rund 40% der als Hilfsarbeiter eingesetzten Leiharbeitskräfte eine abgeschlossene Berufsausbildung, bei den Lager- und Transportarbeitern sind es sogar rund 50%. Verleihunternehmen stellen folglich auch bei einfachen Tätigkeiten gerne Arbeitskräfte mit Berufsabschluss ein.
Das IAB weist darauf hin, dass „Geringqualifizierten der Weg zu einer Festanstellung in einem Normalarbeitsverhältnis selbst bei Tätigkeiten mit vergleichsweise geringen Qualifikationsanforderungen häufig verwehrt“ sein könnte.14 Arbeitskräfte mit Berufsabschluss haben in der Leiharbeit ein hohes Risiko der Dequalifikation und Geringqualifizierte müssen mit qualifizierten Arbeitskräften konkurrieren.
Abbildung 2
Qualifikationsstruktur in der Gesamtbeschäftigung und in der Leiharbeit in Deutschland
Quelle: Tanja Buch, Annekatrin Niebuhr: Zeitarbeit in Hamburg, IAB regional, IAB Nord, 6/2008, S. 30.
Funktionswandel der Leiharbeit
Leiharbeit wird seit jeher die Funktion zugesprochen, einen kurzfristig auftretenden Personalbedarf abzudecken; doch mehr und mehr wird sie auch zur vorgeschalteten Probezeit genutzt bzw. als flexible Rand-Belegschaft15 eingesetzt. Aufgrund ihrer Besonderheiten kann Leiharbeit für die Einsatzbetriebe sowohl unter Kosten- wie Flexibilitätsaspekten attraktiv sein. Dies gilt insbesondere für Arbeitsplätze, die relativ standardisiert sind und keine längeren betriebsspezifischen Qualifikationen erfordern. Wichtig ist auch, dass auf die benötigten Arbeitskräfte kurzfristig zurückgegriffen werden kann. Hinzu kommt, dass an diesen Arbeitsplätzen der Einsatz der Leiharbeitskräfte mit dem betrieblichen Kräftebedarf synchronisiert werden kann.16
Einfache Tätigkeiten haben in der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung einen besonderen Stellenwert, weil sie nach einer relativ kurzen Einarbeitungszeit meist ohne größere Probleme ausgeübt werden können. Insbesondere bei diesen Tätigkeiten ist das Lohngefälle zwischen Leiharbeitskräften und regulär Beschäftigten am größten. Nach der NRW-Studie liegt das durchschnittliche sozialversicherungspflichtige Monatsentgelt von Helfern im Verleih rund 45% unter dem von Helfern in anderen Branchen.17 Auch wenn ein über dem Arbeitsentgelt des Leiharbeitsunternehmens hinausgehender Verrechnungssatz gezahlt werden muss, kann sich dies je nach Arbeitsplatz und erforderlichem Qualifikationsniveau durchaus rechnen; so muss der Entleiher keine Personalreserve zum Auffangen von Auftragsspitzen aufbauen, keine Rekrutierungs- bzw. Entlassungskosten kalkulieren etc.
Dieses externe Flexibilisierungsinstrument wird allerdings von den Branchen und Betrieben mit unterschiedlicher Intensität genutzt. So liegt das Hauptbetätigungsfeld der Verleiher (bisher) im verarbeitenden Gewerbe; im Bereich der Produktionsgüter sowie der Investitions- und Gebrauchsgüter waren 2008 bereits 5 bzw. 6% aller Beschäftigten Leiharbeitskräfte, während im Handel nur 1% der Beschäftigung auf diese Gruppe entfielen.18 Diese Unterschiede zeigen sich nicht nur zwischen den Branchen, sondern auch je nach Größe des Betriebes. Fast die Hälfte aller Entleihbetriebe mit mehr als 20 Beschäftigten, die Leiharbeit nutzen, macht davon nur in relativ geringem Umfang Gebrauch. In jedem fünften Einsatzbetrieb stellen die Leiharbeitskräfte bereits 5 bis 10% der Belegschaft und in fast einem Drittel der Entleihbetriebe (31%) mehr als 10% der Belegschaft. Differenziert man auch bei dieser Gruppe, so liegt der Leiharbeitsanteil bei einem weiteren Fünftel der Einsatzbetriebe bei immerhin 10 bis 20% und bei weiteren 10% schon bei über 20% (vgl. Abbildung 3).19
Abbildung 3
Nutzungsintensität von Leiharbeit in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten
Quelle: S. Kohaut, F. Lehmer et al.: Arbeitnehmerüberlassung, IAB-Forschungsbericht Nr. 397, Mai 2009.
Bei den besonders intensiven Nutzern zeigen sich kaum betriebsgrößenspezifische Unterschiede. In allen Betriebsgrößen zählt etwa jeder zehnte Einsatzbetrieb zu den besonders intensiven Nutzern. Bemerkenswert sind die Ergebnisse insbesondere für die unternehmensnahen Dienstleistungen: „Einer von zwei Entleihbetrieben in dieser Branche nutzt Leiharbeit stark oder intensiv (Beschäftigungsanteil über 10%. In jedem dritten Einsatzbetrieb stellen die Leiharbeitskräfte einen Beschäftigungsanteil von mehr als 20%. Sie sind in starkem Maße in den Einsatzbetrieb eingebunden.“20
Wie eng der Zusammenhang von Leiharbeitsquote und den konkreten Einsatzfeldern ist, zeigt sich für den Bereich des Hilfspersonals. Immerhin 42% aller bundesweit beschäftigten Hilfsarbeiter waren 2009 als Leiharbeitskräfte beschäftigt. Im Vergleich zum Anfang dieses Jahrzehnts hat sich die Leiharbeitsquote der Hilfsarbeiter verdoppelt. Leiharbeit hat sich in den letzten Jahren insbesondere in jenen Berufsgruppen ausgedehnt, die aufgrund ihrer relativ geringen und schnell verfügbaren Qualifikation problemlos eingesetzt werden konnten. Leiharbeit wird hier weniger eingesetzt, um den Personaleinsatz bei Produktionsschwankungen zu glätten und die Stammbelegschaft zu stabilisieren, sondern eher als systematisches Element des Personalmanagements.
Insbesondere bei den Intensivnutzern verändert sich die (ursprüngliche) Funktion der Leiharbeit; die Zahl der Leiharbeitskräfte steigt und die Einsatzzeiten verlängern sich. Teilweise übernehmen sie sogar betriebliche Funktionsbereiche weitgehend eigenständig. Bei diesen Einsatzfeldern spielen Kostenaspekte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ergänzend weist die NRW-Studie von 2008 darauf hin, dass „das durchschnittliche sozialversicherungspflichtige Monatsentgelt der Zeitarbeitnehmer von 2006 sogar zum Teil unter dem von 1999 lag“.21 Ferner heißt es dort: „Jedes der befragten Zeitarbeitsunternehmen kennt Beispiele, bei denen ein Mitbewerber versucht hat, mit Dumpingangeboten einen Entleihbetrieb für sich zu gewinnen. Dabei werden Helfer/innen für einen Verrechnungssatz von unter 10 Euro angeboten. Die/der Mitarbeiter/in hat dann ein Stundenentgelt von unter 5 Euro.“22 Zwar liegen die Verrechnungssätze der Verleiher über dem an die Leiharbeitskräfte gezahlten Arbeitsentgelt, doch je nach Tätigkeit gibt es hier immer noch Kostenvorteile gegenüber dem sonstigen Entlohnungsniveau im Einsatzbetrieb. Schätzungen gehen davon aus, dass die Verrechnungssätze der Verleiher bei standardisierten Tätigkeiten immer noch deutlich und zwar bis zu 25% unter den Lohnkosten von Festangestellten liegen.23 Für die relativ wenigen Spezialkräfte hingegen können die Verleihsätze das Lohnniveau vergleichbarer Arbeitskräfte übertreffen. Über die direkten Arbeitskosten hinaus sind die indirekten Kosten zu berücksichtigen, die alternativ mit der Einstellung von Arbeitskräften bei Verleihern verbunden sind.
Sowohl unter Flexibilitäts- wie Kostenaspekten kann Leiharbeit für die Einsatzbetriebe durchaus attraktiv sein. Kostenersparnisse für den Betrieb ergeben sich auch dadurch, dass eine Politik der knappen Personallinie verfolgt und quasi „Leerlauf“ bei den Stammkräften vermieden werden kann. Meist ist es günstiger, Tätigkeiten für einige Zeit durch Leiharbeitskräfte ausüben zu lassen, als längerfristig eigenes Personal vorzuhalten. Die mit den Hartz-Gesetzen eröffnete unbegrenzte Überlassungsdauer und die Aufhebung des Wiedereinstellungsverbots begünstigen dies.
So weist die Bundesagentur für Arbeit in ihrem Erfahrungsbericht an das Bundesarbeitsministerium zur Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auf substantielle Änderungen hin: „Der Wegfall der Höchstüberlassungsdauer hat zu vermehrten Gründungen von so genannten reinen Personalführungsgesellschaften großer Firmen geführt, z.B. bei Servicegesellschaften im Klinikbereich und Personaldienstleistern großer Autofirmen. Zweck dieser Gesellschaften ist die Senkung von Personalkosten durch die Anwendung von Zeitarbeitstarifverträgen. Die Arbeitnehmer dieser reinen Personalführungsgesellschaften verrichten die gleiche Tätigkeit wie vergleichbare Arbeitnehmer im Entleihbetrieb, erhalten dafür aber wesentlich geringeren Lohn, müssen länger arbeiten und können schneller wieder entlassen werden. Der dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eigene Schutzgedanke kommt hier nicht mehr zugunsten der Zeitarbeitnehmer zum Tragen.“24 Eine gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit kann so bei einer Belegschaft in zwei arbeitsrechtlich unterschiedlichen Verträgen unterlaufen werden. Dies fördert flexible Randbelegschaften und begünstigt für die Festangestellten im Einsatzbetrieb die Arbeitsplatzverdichtung.
Der relativ geringe Anteil der Leiharbeit von etwa 2% an der Gesamtbeschäftigung kann die Dynamik dieses Sektors und die Bedeutung als personalpolitisches Instrument nicht ausreichend widerspiegeln. Die hohe Fluktuation dieses Sektors hat weit größere Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt als der (noch) relativ niedrige Beschäftigungsanteil zunächst vermuten lässt.
Fazit
Leiharbeit ist ein besonderes Arbeitsverhältnis, das sich rechtlich durch ein Dreiecksverhältnis zwischen Verleiher, Leiharbeitskraft und Entleiher auszeichnet. Die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitskräfte unterscheiden sich deutlich von denen vergleichbarer Stammkräfte im Einsatzbetrieb.
Die Einkommenssituation stellt aus Sicht der betroffenen Arbeitskräfte seit langem einen negativen Aspekt dar. Nach altersstandardisierten Auswertungen der Techniker Krankenkasse gaben beispielsweise „74% der Befragten an, dass ihr Einkommen ‚überhaupt nicht‘ oder ‚kaum‘ ihren Vorstellungen entspricht. Zugleich stuften sie diese ungünstige Einkommenssituation zu 63% als ‚sehr‘ oder ‚ziemlich‘ belastend ein.“25 Dies korrespondiert mit der weit überdurchschnittlichen Hartz IV-Bedürftigkeit auch von sozialversichert beschäftigten Leiharbeitskräften.
Die erhöhte Arbeitsplatzunsicherheit wird gleichfalls von einem Großteil der Beschäftigten der Leiharbeitsbranche als sehr belastend empfunden. Bei eintretender Arbeitslosigkeit haben sie vielfach keinen oder keinen existenzsichernden Anspruch auf Arbeitslosengeld. Für viele Leiharbeitskräfte besteht das Risiko, dass sich instabile Erwerbsbiografien verfestigen und Leiharbeitskarrieren mit wiederkehrenden Phasen der Arbeitslosigkeit einhergehen. So gelangte eine Studie des IAB zu der Einschätzung, dass „man immer wieder auf die Praxis von Arbeitgebern trifft, Leiharbeitsverhältnisse mit dem Ablauf der Probezeit zu beenden, um nicht den Einstiegslohn verlassen zu müssen. Nicht selten werden Leiharbeiter dann nach einer Pause wieder eingestellt – erneut mit Probezeit und Einstiegslohn“26. Der gesetzliche Wegfall des Synchronisationsverbots27 hat diese Praxis eher noch befördert.
Die Studie des Arbeitsministeriums NRW zeigt, dass ein Leiharbeitsverhältnis oftmals „weniger einen Klebe-/Brückeneffekt, als vielmehr einen Einstieg in eine Zeitarbeitskarriere“ dokumentiert.28 Wer vor der Leiharbeit arbeitslos war, ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nach der Leiharbeit und ist zudem nicht selten auf Hartz IV angewiesen.
Die Fehlentwicklungen zeigen, dass die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung längst noch keine Branche wie jede andere ist; die spezifischen Risiken gehen schnell zu Lasten der Leiharbeitskräfte und der Allgemeinheit und haben Rückwirkungen auf die Stammbeschäftigten des Einsatzbetriebes. Der Regulierungsbedarf in der Leiharbeit wird politisch kontrovers diskutiert. Einzelne Missbrauchsfälle – wie bei Schlecker – haben diese Fragen stärker ins öffentliche Interesse gerückt und verdeutlicht, dass die Überwachung in der Verleihbranche unzureichend ist. So können Verstöße gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nur sanktioniert werden, wenn die Erlaubnis für die Arbeitnehmerüberlassung entzogen wird. In der Praxis ist dies eine zu hohe Hürde, weil der Entzug die Existenz eines Verleihbetriebes gefährdet.
Wenn die Risiken für die einzelnen Arbeitskräfte verringert werden sollen, stellt sich zugleich die Frage, wie die Stabilität der Beschäftigung verbessert und betriebliche Weiterbildung – insbesondere während der verleihfreien Zeiten – ausgebaut werden können. So sieht die EU-Leiharbeitsrichtlinie vor, dass der Zugang der Leiharbeitskräfte zur Weiterbildung verbessert werden soll. Seitens des Gesetzgebers gibt es bisher keinerlei Überlegungen dazu, wie die Stabilität des Leiharbeitsverhältnisses verbessert und eine Befristung des Leiharbeitsverhältnisses auf die konkrete Einsatzzeit im Entleihbetrieb korrigiert werden könnte. Dies hätte unmittelbare Rückwirkungen auf das Arbeitsmarktrisiko der Leiharbeitskräfte.
Ein entscheidender Faktor für die weitere Entwicklung der Leiharbeit ist zweifelsohne die Entlohnung. Die größeren Verbände der Verleihbranche setzten sich zwischenzeitlich vor dem Hintergrund der EU-Freizügigkeit für Mindestlöhne in der Branche ein. Aus gewerkschaftlicher Sicht werden über Mindestlöhne in der Branche hinaus auch die Forderungen nach grundsätzlicher Gleichbehandlung bei Entgelt und den übrigen Arbeitsbedingungen mit den Beschäftigten des Einsatzbetriebes erhoben.
Im Dauerstreit um eine bessere Entlohnung der Leiharbeit zeichnet sich aktuell Bewegung ab. Überraschend zeigte sich die FDP im Juli 2010 bereit, Leiharbeit bei der Bezahlung mit Stammbeschäftigten nach einer noch festzulegenden Einarbeitungszeit gleichzustellen.29 Wörtlich erklärte der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Heinrich Kolb: „Eine solche faire Entlohnung ist Voraussetzung für ihre gesellschaftliche Akzeptanz und damit für den zukünftigen Bestand der Zeitarbeit als einem der wichtigsten arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Zeitarbeit dient der flexiblen Reaktion auf Auftragsschwankungen, ist aber kein Mittel zur Ersetzung von Stammbelegschaften oder für Lohndifferenzen nach unten.“30
Dieser Vorschlag zielt auch nach Auffassung des Bundesarbeitsministeriums „in die richtige Richtung und er wird in die aktuelle Arbeit an gesetzlichen Verbesserungen für die Zeitarbeit einbezogen.“31 Der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) hat den Vorschlag „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ von Leih- und Stammarbeitskräften hingegen abgelehnt.32 Die Praxis wird zeigen, welche Interessen sich durchsetzen und ob Schlupflöcher für Missbrauch und Lohndumping gestopft und das Arbeitsmarktrisiko von Leiharbeitskräften tatsächlich verringert werden sollen.
- 1 Folgende Zahlen aus: eigene Berechnungen nach Analytikreport der Statistik der Bundesagentur für Arbeit – Frühindikatoren für den Arbeitsmarkt Juni 2010, http://www.pub.arbeitsagentur.de/hst/services/statistik/000200/html/analytik/.
- 2 Bundesagentur für Arbeit: Der Arbeitsmarkt in Deutschland – aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Nürnberg, Januar 2010.
- 3 Eigene Berechnungen auf der Basis des Haushalts 2010 der Bundesagentur für Arbeit.
- 4 So unterstellt beispielsweise die Hartz-Kommission 2002 einen Klebe- bzw. Brückeneffekt von 40% und der Sachverständigenrat geht davon aus, dass etwa einem Drittel der Leiharbeitnehmer ein anschließender Übergang in Beschäftigungsverhältnisse außerhalb des Entleihbetriebes gelingt. Vgl. P. Hartz u.a.: Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt. Vorschläge der Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit, Berlin 2002 ;sowie Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2005/06.
- 5 Bundesagentur für Arbeit: Der Arbeitsmarkt in Deutschland – aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Nürnberg 2009.
- 6 Vgl. Bundesagentur für Arbeit: Der Arbeitsmarkt in Deutschland – aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Nürnberg, Januar 2010.
- 7 IAB-Forschungsbericht zum Thema „Arbeitnehmerüberlassung“, Endbericht zum 29. Mai 2009, S. 88.
- 8 Ebenda, S. 89.
- 9 IAB-Kurzbericht 13/2010, S. 1.
- 10 Vgl. auch Methodenbericht der Bundesagentur für Arbeit: Differenzierung des Zugangs aus Erwerbstätigkeit nach Wirtschaftszweig, Nürnberg 2009.
- 11 Vgl. Statistisches Bundesamt: Verdienste und Arbeitskosten 2008, Mai 2009, S. 24; sowie W. Adamy: Niedriglohnbeschäftigte. Die Verlierer am Arbeitsmarkt, in: Arbeitsrecht im Betrieb, Heft 3/2010, S. 162 ff.
- 12 Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW (Hrsg.): Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen. Strukturen, Einsatzstrategien, Entgelte, Dezember 2008.
- 13 Ebenda, S. 70.
- 14 IAB-Nord: IAB regional, 6/2008, S. 33.
- 15 Vgl. L. Bellmann, A. Kühl: Weitere Expansion der Leiharbeit? Eine Bestandsaufnahme auf Basis des IAB-Betriebspanels, Projektbericht, Berlin 2007.
- 16 M. Promberger: Leiharbeit im Betrieb, Strukturen, Kontexte und Handhabung einer atypischen Beschäftigungsform, Nürnberg 2006.
- 17 Ministerium für Arbeit (NRW), a.a.O.
- 18 S. Kohaut, F. Lehmer et al.: Arbeitnehmerüberlassung, IAB-Forschungsbericht Nr. 397, Mai 2009, S. 18 ff.
- 19 Ebenda, S. 24.
- 20 Ebenda.
- 21 Ministerium für Arbeit (NRW), a.a.O., S. 79.
- 22 Ebenda.
- 23 M. Miegel, S. Wahl, M. Schulte: Die Rolle der Zeitarbeit in einem sich ändernden Arbeitsmarkt, Bonn 2007.
- 24 Erfahrungsbericht der Bundesagentur für Arbeit zur Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG), Januar 2009.
- 25 TK-Gesundheitsreport 2009, S. 70.
- 26 M. Promberger: Leiharbeit 2004: Hohe Erwartungen, in der Praxis kaum realisiert, Nürnberg 2005, S. 13.
- 27 Unter Synchronisationsverbot versteht man das gesetzliche Verbot, Arbeitsverträge für Zeitarbeitnehmer zeitlich mit der Dauer des bevorstehenden Einsatzes zu synchronisieren.
- 28 Ministerium für Arbeit (NRW): Zeitarbeit in NRW, November 2008, S. 87.
- 29 Vgl. FDP Bundestagsfraktion: Presseinformation Nr. 595 vom 12.7.2010.
- 30 Ebenda.
- 31 DPA-Meldung vom 13.7.2010.
- 32 Volker Enkerts, Präsident des BZA, in: Der Westen vom 22.7.2010.