Auch vier Jahre nach der Lehman-Brothers-Pleite liegt im Finanzsektor vieles noch im Argen. Eine transparente und durchgreifende Finanzsektorregulierung ist nicht in Sicht. Zwar werden auf den unterschiedlichen Ebenen – international, europäisch, national – immer wieder Anläufe zur Etablierung einer tragfähigen Finanzarchitektur unternommen, aber letztendlich stellen sich die wenigsten als zielführend heraus. Besonders deutlich wird dies bei den sogenannten Schattenbanken, die nach wie vor ihr Dasein weitgehend außerhalb des regulatorischen Rahmenwerkes fristen können.
Aktuell unternimmt die EU einen neuen Versuch, Licht in den Dschungel der Schattenbanken zu bringen. In einem sogenannten Grünbuch setzt sich der für die Regulierung des Finanzmarktes zuständige EU-Kommissar Barnier mit den Schattenbanken auseinander, im Sommer soll ein Richtlinienentwurf vorliegen. Die EU will zunächst überprüfen, ob Schattenbanken zusätzlicher Regulierung bedürfen. Dabei ist das eigentlich unstrittig. Derzeit kann nicht einmal das Finanzvolumen der Schattenbanken vollständig geklärt werden. Nach Schätzungen des Financial Stability Board ist das Finanzvolumen der Schattenbanken vor der internationalen Finanzkrise von 27 Billionen Euro im Jahr 2002 kräftig auf 60 Billionen Euro im Jahr 2007 gestiegen; dieser Wert wurde auch für 2010 ausgewiesen. Damit entsteht der Eindruck, dass die Schattenbanken als Sektor die internationale Finanzkrise relativ unbeschadet überstanden haben. Die wahren Zahlen und Daten liegen jedoch im Dunkeln. Denn diese Finanzintermediäre wären keine Schattenbanken, wären ihre Aktivitäten und Finanzvolumina vollständig transparent. So wird davon ausgegangen, dass die Schattenbanken in den USA über ein größeres Finanzvolumen verfügen als die traditionellen Geschäftsbanken. Aber das ist mehr oder minder geschätzt. Es besteht ein erheblicher Bedarf an verlässlichen Informationen etwa über Größe, Zusammensetzung und geografische Schwerpunkte. Daher ist es für die, die über eine Regulierung von Schattenbanken sprechen ein erstes Gebot, hier Transparenz herzustellen.
Unternehmerisches Ziel und Sinn von Schattenbanken ist die Erwirtschaftung von Renditen. Die Existenz von Schattenbanken wird oftmals mit hohen Regulierungskosten im traditionellen Bankensektor begründet. Schattenbanken sind findig im Schaffen neuer Finanzprodukte, die nicht unter die geltenden Regulierungen fallen. Das genau ist ihr klassisches Geschäftsfeld. Zwei einfache Beispiele zeigen bereits essenzielle Kostenvorteile: Kreditgeschäfte der Schattenbanken müssen – anders als im traditionellen Bankensektor – nicht mit einer bestimmten Eigenkapitalquote unterlegt werden. Aus der Sicht traditioneller Banken sind die Eigenkapitalvorschriften existenziell; die Banklizenz ist an die Eigenkapitalausstattung gebunden, Eigenkapital kostet und limitiert die Bilanzsumme. Anders dagegen bei den Schattenbanken. Und während die Einlagen im traditionellen Bankensektor über die Einlagensicherungssysteme versichert werden, ist dies für Einlagen im Schattenbankensektor nicht der Fall – das gilt als Kostenvorteil.
Auch auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene lassen sich unter Zuhilfenahme einfacher Wachstumsmodelle Argumente für weniger und kostengünstige Regulierung herleiten. Demnach steigen durch staatliche Regulierung die Transaktionskosten im Finanzsektor; so wird auch das Wirtschaftswachstum durch allzu harte Vorschriften gedämpft. Mit den steigenden Transaktionskosten gehen sinkende Renditen einher. Kurzum: Je schwächer die Regulierung, desto geringer die Transaktionskosten, desto höher das Wirtschaftswachstum und die Gewinnaussichten – das ist einfachster Neoliberalismus und sehr, sehr kurzfristig gedacht. Dabei ist klar, dass den Finanzmärkten – auch denen, die im Schatten liegen – Marktversagen inhärent ist. Dieses Marktversagen resultiert nicht nur aus den vorhandenen Informationsasymmetrien, sondern auch aus der fehlenden Voraussicht. Daher sind Finanztransaktionen immer mit Risiken und Unsicherheit behaftet. Im Falle von Marktversagen hat der Staat einzugreifen. Das lehrt jedes Standardwerk der Ökonomie.
Schon vor diesem Hintergrund wundert es, dass ganze Bereiche des Finanzsektors von der klassischen Aufsicht ausgenommen sind. Vielfach sind die Schattenbanken miteinander eigentumsrechtlich, aber auch über Kreditkanäle verbunden. Gerade über diese Verflechtungen, aber auch über Kredite und eigentumsrechtliche Verbindungen zum traditionellen Bankensektor können erhebliche systemische Risiken entstehen. Genau diese wiederum können in Krisenzeiten staatliche Interventionen zur Stabilisierung des gesamten Finanzmarktes notwendig machen. Solche Interventionen – auch Bankenrettungschirme genannt – werden in Krisenzeiten schnell teurer als es eine umfassende Regulierung jemals werden könnte.
Die Europäische Kommission, aber auch der Internationale Währungsfonds thematisieren zunehmend die Risiken, die durch solche Geschäfte für das gesamte Finanzsystem entstehen können. Nach der Definition der Europäischen Kommission handelt es sich bei Schattenbanken um Geldinstitute, die sich auf die Entgegennahme von Geldern mit einlageähnlichen Merkmalen und vielfach die Durchführung von bankähnlichen Transaktionen spezialisiert haben. Ähnlich wie Banken operieren sie mit Hebeln und Risiken. Dabei decken sie typischerweise nicht das gesamte Geschäftsfeld einer Bank ab; vielmehr spezialisieren sie sich auf bestimmte Finanzierungsformen. Unter den Begriff der Schattenbank fallen die unterschiedlichsten Finanzmarktakteure. So können damit Versicherungen, Geldmarktfonds, Investmentfonds, Zweckgesellschaften etc. gemeint sein. Die Gefahr, die von der Existenz von Zweckgesellschaften ausgehen kann, wurde im Zuge der internationalen Finanzkrise deutlich. Hätte es keine Zweckgesellschaften gegeben, so wäre das Engagement etwa deutscher Groß- und Landesbanken auf dem internationalen Finanzmarkt mit Sicherheit geringer ausgefallen.
Derzeit lassen sich beim Umgang mit Schattenbanken zwei Ansatzpunkte unterscheiden. Im ersten Fall geht es darum, eine etwas stärkere Aufsicht über den ansonsten weiterhin unter speziellen Spielregeln operierenden Schattenbankensektor zu etablieren. Im Fokus stärkerer Aufsicht sind dabei vor allem die Schnittstellen zwischen dem traditionellen Bankensektor und den Schattenbanken. Typische Schlagworte sind Aufsicht über Laufzeit-, Liquiditäts- und Risikotransformation sowie über Leverage-Effekte. Entlang dieser Größen schlägt etwa auch das Financial Stability Board eine stärkere Regulierung vor. In diesem Fall bleiben die Schattenbanken erhalten, werden aber beobachtet. Wesentlich radikaler ist der Vorschlag, Schattenbanken unter die gleiche Regulierung wie traditionelle Banken zu stellen. Damit wären sie keine Schattenbanken mehr. Auch wären sie der Möglichkeit beraubt, sogenannte Regulierungsarbitrage zu realisieren. Tatsächlich hat dieser Vorschlag einiges für sich. Denn die in den Bilanzen der Schattenbanken vorhandenen Risiken durch spezielle Shadow-Banking-Vorschriften nachhaltig abzumildern, dürfte sehr aufwendig werden. Vor allem in Zeiten klammer öffentlicher Haushalte spricht einiges dafür, auf etablierte Regulierungsvorschriften und die vorhandene Finanzmarktaufsicht mit ihren Erfahrungen zurückzugreifen. Was spricht dagegen? Wenig. Vielmehr wäre der aktuelle Zeitpunkt günstig, diese Banken aus ihrem Schatten treten zu lassen. Vor allem wäre derzeit keineswegs ein flächendeckender „credit crunch“ zu befürchten. Denn die Märkte strotzen vor Liquidität. Wenn das Finanzsystem nachhaltig stabilisiert werden soll, ist die Abschaffung von Schattenbanken ein richtiger Schritt in Richtung Krisenprävention.