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Die Hartz-IV-Reform ist politisch stark umstritten. Mit ihr werden Gefährdungen des Lebensstandards bis hin zu Armut verbunden. Gleichzeitig konnte die Bundesrepublik ihre Arbeitslosenquote über die letzten Jahre so stark senken wie fast kein anderes Land in Europa bzw. der OECD. Welche Rolle spielen die Hartz-Reformen in dieser Erfolgsgeschichte? Andrey Launov und Klaus Wälde zeigen, dass die Hartz-IV-Gesetze keinen erwähnenswerten Beitrag zur Reduktion der Arbeitslosigkeit lieferten. Gleichzeitig waren die anderen Reformen, Hartz I bis Hartz III, umso hilfreicher.

Seit Jahrzehnten nutzen Regierungen Lohnersatzleistungen für Arbeitslose als ein wichtiges Instrument zur Regulierung des Arbeitsmarktes. Viele Ökonomen haben in der jüngeren Vergangenheit argumentiert, dass zu hohe Lohnersatzleistungen in den meisten europäischen Ländern zu starren und ineffizienten Arbeitsmärkten geführt haben. Sie vermindern den Anreiz für Arbeitslose, sich um neue Stellen zu bemühen und führen zu hohen und persistenten Arbeitslosenquoten, so das Argument. Zwischen Anfang der 1990er und den frühen 2000er Jahren stieg die Arbeitslosenquote in fast allen großen europäischen Volkswirtschaften auf über 10%. Einige europäische Regierungen haben darauf mit verschiedenen Arbeitsmarktreformen reagiert. Die Kürzung der Lohnersatzleistungen wurde dabei, wie zu erwarten war, zu einem Herzstück der Reformen.

Deutschland unterschied sich nicht sehr von seinen europäischen Nachbarn. Zwischen 2003 und 2005 wurden die Hartz-Reformen des Arbeitsmarktes durchgeführt. Darunter auch die Hartz-IV-Reform 2005, die die Arbeitslosenhilfe für die Mehrzahl der Erwerbstätigen verringerte. Durch diese Reform wurde auch die Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld reduziert. Die Regierung wollte zwar mit Hartz IV die Arbeitslosigkeit reduzieren, es bestand aber gleichzeitig die Gefahr, dass die am wenigsten sozial Geschützten, wie die Langzeitarbeitslosen, nach der Reform finanziell noch schlechter dastehen würden. In der Wahrnehmung der breiten Öffentlichkeit hatte die Reform tatsächlich sehr schnell ein negatives Image bekommen. Hartz IV wurde weitgehend als „das Ende des Sozialstaates“ und als primär nachteilig für die Arbeitnehmerschaft empfunden.

Quantitatives Modell

Unserer Analyse liegt ein dynamisches stochastisches Gleichgewichtsmodell zugrunde, das speziell für die Evaluierung der Hartz-IV-Reform entwickelt wurde. Als Ausgangspunkt dafür diente die Diamond-Mortensen-Pissarides-Grundstruktur des Arbeitsmarktes, die um mehrere wichtige Elemente erweitert wurde.1 Als Erstes wurden zeitabhängige Lohnersatzleistungen in das Grundmodell eingebaut. Damit kann explizit zwischen anfänglichen Arbeitslosengeldzahlungen und darauffolgenden Arbeitslosenhilfezahlungen unterschieden werden. Arbeitslosengeld wird den Arbeitslosen nur für eine gewisse Anspruchsdauer zur Verfügung gestellt. Nach dem Ablauf des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wird dieses durch die Arbeitslosenhilfe ersetzt. Sowohl die Anspruchsdauer des Arbeitslosengeldes als auch der Arbeitslosenhilfebetrag sind die Kernvariablen der Hartz-IV-Reform. Die Reform wird analog zu den gesetzlichen Änderungen dieser beiden Variablen simuliert und ausgewertet.

Über die Einführung der zeitabhängigen Lohnersatzleistungen hinaus wurden auch weitere, für eine vollständige Evaluierung der Hartz-IV-Reform unerlässliche, Erweiterungen des Diamond-Mortensen-Pissarides-Modells vorgenommen. Dazu zählen die Einführung optimal gewählter Suchintensität der Arbeitslosen, Risikoaversion der Haushalte und die Modellierung endogen sinkender Ausgangsraten aus der Arbeitslosigkeit. Die Modellierung optimaler Suchintensität von Arbeitslosen erlaubt es, Anreizeffekte der Reform zu untersuchen. Lässt man weiterhin Risikoaversion zu, kann eine Quantifizierung des Versicherungseffektes der Reform vorgenommen werden. Die auf individueller Ebene in der Zeit sinkende Ausgangsrate aus der Arbeitslosigkeit ist wichtig, um das optimale Verhalten des Individuums im Modell den empirisch beobachteten Ausgangswahrscheinlichkeiten aus der Arbeitslosigkeit möglichst nah zu bringen. Dies erfolgt durch die Einführung eines Bayesianischen Lernmechanismus bezüglich der eigenen Fähigkeiten, geeignete Stellenausschreibungen zu finden, sich überzeugend zu bewerben und sich in einem Vorstellungsgespräch gut zu präsentieren. Das Basismodell wird schließlich ergänzt durch die Einführung der Regierung oder der Bundesagentur für Arbeit, die Lohnersatzleistungen durch die Sozialversicherungsabgaben finanziert.

All diese Erweiterungen werden zusammengenommen, um ein optimales individuelles Suchverhalten bei gegeben­em Lohnersatzleistungssystem zu bestimmen. Aus diesem individuellen Verhalten wird dann eine Vorhersage bezüglich der resultierenden Arbeitslosenquote in der gesamten Volkswirtschaft vorhergesagt. Exogene Veränderungen des Lohnersatzleistungssystems, wie etwa die der Hartz-IV-Reform, bewirken Anpassungen des individuellen Stellensuchverhaltens und folglich eine Veränderung der aggregierten Arbeitslosenquote. Dadurch etabliert das Modell einen kausalen Zusammenhang zwischen der Reform der Lohnersatzleistungen und der Gleichgewichtsarbeitslosigkeit auf der Ebene der gesamten Volkswirtschaft.

Empirische Auswertung

Für die Simulation der Hartz-IV-Reform werden erst die Parameter des quantitativen Modells strukturell aus den Daten des Sozio-oekonomischen Panels geschätzt.2 Danach wird die Reform durch die Veränderungen der Anspruchsdauer auf das Arbeitslosengeld sowie des Arbeitslosenhilfebetrages, wie im 4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt beschrieben, simuliert. Alle Schätzwerte beziehen sich auf das Gleichgewicht vor der Reform, um eine erwartungstreue Vorhersage des tatsächlichen Effektes der Reform zu sichern. Diese Herangehensweise der strukturellen Evaluation ist für die exakte Auswertung der Reform notwendig, da nur damit die Arbeitslosenquote als eine Funktion von ausschließlich reform-invarianten Modellparametern und Kontrollvariablen der Regierung dargestellt werden kann.3

Das optimale Verhalten der Arbeitslosen im quantitativen Modell impliziert eine zeitabhängige Ausgangsrate aus der Arbeitslosigkeit, was zu einer flexiblen theoretischen Verteilung der Arbeitslosigkeitsdauer führt.4 Diese ermöglicht die strukturelle Schätzung aller Modellparameter mittels „Maximum Likelihood“. Das strukturelle ökonometrische Modell berücksichtigt außerdem mehrere beobachtbare und nicht beobachtbare Charakteristiken der Arbeitslosen. Zu den beobachtbaren Charakteristiken zählen Geschlecht, Alter, Qualifikation und Bundesgebiet des Wohnortes. Die nicht beobachtbaren Charakteristiken sind die individuelle Fähigkeit zur Jobsuche und die Wahrscheinlichkeit, nach Ablauf des Arbeitslosengeldes Anspruch auf einkommensabhängige Arbeitslosenhilfe zu beziehen. Es werden sowohl Effekte auf die gesamte Volkswirtschaft, als auch Implikationen für verschieden Arbeitnehmergruppen untersucht.

Wirkung der Reform

Die Studie von Launov und Wälde5 zeigt, dass der Beitrag der Hartz-IV-Reform zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland insgesamt außergewöhnlich niedrig war. Tatsächlich führte Hartz IV zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit um weniger als 0,1 Prozentpunkte. Der Grund dafür liegt in den tatsächlichen Änderungen der Lohnersatzleistungen durch die Reform. Intuitiv kann man den Effekt von tatsächlichen Änderungen der Lohnersatzleistungen am besten am Beispiel von hoch- und geringqualifizierten Arbeitnehmern veranschaulichen.

Der Anreizeffekt durch niedrigere Lohnersatzleistungen während einer Langzeitarbeitslosigkeit ist für gut ausgebildete Arbeitnehmer sehr gering, denn diese Arbeitnehmer würden einen neuen Arbeitsplatz finden, lange bevor die Unterstützungskürzungen durch Hartz IV für sie relevant würden. Daher ist Hartz IV für diese Gruppe im Wesentlichen unbedeutend, sogar wenn der Unterschied zwischen ihren Unterstützungsleistungen vor Hartz IV (Arbeitslosenhilfe) und nach Hartz IV (Arbeitslosengeld II) relativ groß sein kann.

Für geringqualifizierte Arbeitnehmer, die den größten Teil der Langzeitarbeitslosen ausmachen, war der Unterschied zwischen Arbeitslosenhilfe und Arbeitslosengeld II oft zu gering um sich tatsächlich auszuwirken. Daraus ergibt sich ebenfalls ein sehr schwacher Effekt der Reform. Wenn darüber hinaus objektive Schwierigkeiten mit der Vermittelbarkeit gewisser Arbeitnehmer bestehen, dann ist eine Verstärkung von Anreizeffekten eine reine Umverteilung, führt aber zu keiner Reduktion der Arbeitslosigkeit.

Arbeitslosigkeit und Gleichgewicht

Etwas detaillierter lassen sich die Änderungen der wichtigsten Kenngrößen (inklusive der Arbeitslosigkeit) aufgrund der Hartz-IV-Reform mit Hilfe von Abbildung 1 veranschaulichen.

Abbildung 1 illustriert die Dynamik von vier für die Analyse zentralen Modellvariablen. Diese sind die Ausgangswahrscheinlichkeit aus der Arbeitslosigkeit, die Arbeitslosenquote, der „Steuersatz“ (d.h. der prozentuale Anteil der Sozialversicherungsabgaben zur Finanzierung der Lohnersatzleistungen am Arbeitgeberlohn) und der Bruttolohn. Die horizontalen Achsen in der Abbildung 1 zeigen die sogenannten „Hartz-Schritte“. Sie werden von rechts nach links gelesen. Der Anfangspunkt „1“ bezeichnet das allgemeine Gleichgewicht vor der Hartz-IV-Reform. Der nachfolgende Punkt „0“ bezeichnet das allgemeine Gleichgewicht nach der Hartz-IV-Reform. Somit bildet der Schritt von „1“ auf „0“ die Hartz-IV-Reform wie im 4. Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vorgeschrieben ab. Jeder nachfolgende Schritt, wie etwa von „0“ auf „-1“, von „-1“ auf „-2“ und so weiter, zeigt den Effekt einer hypothetischen weitergehenden Reform. Diese hypothetische Reform nimmt in jedem Schritt gleichzeitig eine 10%ige Kürzung der Anspruchsdauer sowie des Betrages von Arbeitslosengeld II des vorfolgenden Schrittes an. Abbildung 1 illustriert die Dynamik von allen oben genannten Variablen für hoch-, mittel- und geringqualifizierte Arbeitnehmer jeweils in den alten und neuen Bundesländern. Alle Werte dieser Abbildung sind durch die entsprechenden Werte im Gleichgewicht vor der Hartz-IV-Reform geteilt. Damit zeigt die vertikale Achse die prozentualen Veränderungen aufgrund der Reform.

Abbildung 1
Dynamik der wichtigsten Variablen
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Allgemein gesprochen zeigt Abbildung 1 viel Heterogenität in den Reaktionen auf die tatsächliche Reform (d.h. beim Übergang von „1“ auf „0“) und eher homogene Verläufe bei weiteren Hartz-Schritten. Die Ursache für die heterogenen Reaktionen auf Hartz IV ist der deutliche Unterschied zwischen Arbeitslosenhilfe vor der Reform und Arbeitslosengeld II nach der Reform innerhalb der betrachteten Arbeitnehmergruppen. Vergleicht man Arbeitslosengeld II mit dem erwarteten Betrag der durchschnittlichen Arbeitslosenhilfe, dann sieht man, dass Arbeitslosengeld II die erwartete Arbeitslosenhilfe bei geringqualifizierten Arbeitnehmern übertrifft.6 Daraus resultiert ein negativer Anreizeffekt zur Jobsuche. Dies ist ein Phänomen, das bereits von Blos und Rudolph7 und Goebel und Richter8 angesprochen wurde. Dieser negative Anreizeffekt würde von weitergehenden Reduktionen des Arbeitslosengeldes II durch weitere Hartz-Schritten in einen positiven umgewandelt werden. Bei allen anderen Arbeitnehmergruppen waren die Anreize zur Jobsuche durch Hartz IV von Anfang an richtig gesetzt.

Bei vier aus sechs Arbeitnehmergruppen, d.h. bei Hoch- und Mittelqualifizierten in den alten und neuen Bundesländern, ist deutlich zu sehen, dass die Verringerung der Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld I und die Umstellung auf Arbeitslosengeld II zu einem Anstieg der Ausgangswahrscheinlichkeit aus der Arbeitslosigkeit führte (Abbildung 1, links oben). Nur bei den Geringqualifizierten fällt die Ausgangswahrscheinlichkeit aufgrund des negativen Anreizeffektes. Diese Dynamik der Ausgangswahrscheinlichkeiten impliziert einen Rückgang der Arbeitslosenquote für die ersten vier Gruppen sowie den Anstieg für die restlichen zwei. Dies ist in Abbildung 1 rechts oben zu sehen. Obwohl die Wirkungen der Reform auf die Arbeitslosenquote auseinanderzugehen scheinen, sinkt die Arbeitslosenquote auf der Ebene der gesamten Volkswirtschaft als Folge der Hartz-IV-Reform. Dieser Gesamteffekt stellt sich, angesichts der Heterogenität der Wirkungen und der allgemein eher schwachen Einflüsse der Reform auf alle Gruppen, quantitativ als äußerst gering heraus. Wie bereits erwähnt ging die Gesamtarbeitslosigkeit nur um weniger als 0,1 Prozentpunkte zurück.

Weitere interessante Ergebnisse der Reform betreffen die Finanzierung von Lohnersatzleistungen und die Dynamik der Bruttolöhne. Da die Arbeitslosenzahl als Folge von Hartz IV zurückging und sich das Volumen der Lohnersatzleistungen damit im Vergleich zu dem Gleichgewicht vor der Reform verringert hat, ist zu erwarten, dass der Steuersatz für die Finanzierung der Lohnersatzleistungen nach der Reform zurückgehen muss. Dieser Rückgang des Steuersatzes wird von Abbildung 1 links unten bestätigt. Intuitiv sollte nun der kleinere Steuersatz zu einem Anstieg des Bruttolohns führen. Allerdings ist das nicht immer der Fall. Abbildung 1 rechts unten zeigt die Veränderungen der Bruttolöhne bei allen Arbeitnehmergruppen.

Für Arbeitnehmer in den alten Bundesländern, unabhängig vom Qualifikationsniveau, gibt es kaum Unterschiede vor und nach der Reform. Für Geringqualifizierte in den neuen Bundesländern steigt der Bruttolohn, wie erwartet, und für die restlichen Arbeitnehmer geht der Bruttolohn zurück. Diese heterogene Reaktion des Lohnes kann durch verschiedene gegenseitig wirkende Kräfte erklärt werden. Ein sinkender Steuersatz hebt den Lohn nach oben. Gleichzeitig tendieren Arbeitslose angesichts der auf sie zukommenden Arbeitslosenhilfekürzungen dazu, niedrigere Löhne zu akzeptieren. Dies drückt den Lohn nach unten. Schließlich gibt es aber noch einen dritten Effekt: Da die Anzahl der Arbeitslosen sich verringert, kommt es zu einer geringeren Zahl an Bewerbern pro freier Stelle. Firmen stehen im Wettbewerb miteinander, um eine freier Stelle möglichst schnell zu besetzen, was ihr Lohnangebot wiederum nach oben treibt. Der aus all diesen Kräften resultierende Effekt bestimmt endgültig die Richtung der Veränderung des Bruttolohns.

Wirft man nun einen letzten Blick auf die Dynamik der Arbeitslosenquote als Folge der Hartz-IV-Reform, dann stellt man fest, dass die Wirkung der Reform alles andere als ökonomisch signifikant war. Grund dafür ist die geringfügige und nicht ausreichend fokussierte Kürzung der Lohnersatzleistungen bei der Umstellung von Arbeitslosenhilfe auf Arbeitslosengeld II. Interessant zu wissen wäre, um wie viel die Arbeitslosenhilfe tatsächlich gekürzt werden müsste, um einen bedeutsamen Effekt der Reform zu erzielen. Abbildung 1 rechts oben zeigt, dass ein Rückgang der Arbeitslosigkeit um ca. 15%, was ungefähren 1,75 Prozentpunkten entsprechen würde, nur ab dem 3. bis 4. Hartz-Schritt erreicht werden würde. Dies impliziert eine Reform die um 30% bis 35% härter als die tatsächlich implementierte Hartz-IV-Reform ist. Da selbst die Kürzungen unter Hartz IV äußerst umstritten waren, wäre eine solche Reform politisch nie umsetzbar.

Intertemporale Effekte

Über die Dynamik der Arbeitslosenquote hinaus befasst sich die Studie mit intertemporalen Effekten der Reform, gemessen durch die Werte in Nutzeneinheiten der Beschäftigung und Arbeitslosigkeit.9 Der Wert der Beschäftigung enthält nicht nur den aktuellen Nutzen der Beschäftigung, sondern auch eine mögliche Veränderung dieses Nutzens aufgrund eines Stellenverlustes. Auf die gleiche Art und Weise enthält der Wert der Arbeitslosigkeit nicht nur den aktuelle Nutzen aus Arbeitslosigkeit, sondern auch eine mögliche Veränderung dieses Nutzens durch ein neues Beschäftigungsverhältnis. Abbildung 2 zeigt die Werte der Beschäftigung (links) und der Arbeitslosigkeit (rechts) für alle betrachteten Arbeitnehmergruppen. Wie in der vorherigen Abbildung sind die Hartz-Schritte auf der horizontalen Achse abgetragen. Die vertikale Achse zeigt die prozentualen Veränderungen als Folge der Reform.

Abbildung 2 unterstreicht die Wirkung der Anreizeffekte durch die Umstellung auf Arbeitslosengeld II. Geringqualifizierte Arbeitnehmer in den alten und neuen Bundesändern, deren Anreize für die Stellensuche durch die Reform gesunken sind, gewinnen im intertemporalen Sinne. Für die Arbeitslosen innerhalb dieser beiden Arbeitnehmergruppen folgt der Anstieg des Wertes der Arbeitslosigkeit nach der Hartz-IV-Reform unmittelbar: Der Effekt wird durch den positiven Unterschied zwischen dem Arbeitslosengeld II und dem erwarteten durchschnittlichen Niveau der vormaligen Arbeitslosenhilfe getrieben. Für die Beschäftigten innerhalb dieser Gruppen reduziert sich aufgrund des gestiegenen Wertes der Arbeitslosigkeit das Ausmaß des eventuellen Jobverlustes. Bei unveränderten oder gar steigenden Löhnen steigt als Folge ihr Wert der Beschäftigung. Alle anderen Arbeitnehmergruppen verlieren durch die Reform ziemlich deutlich. Die einzelnen Kanäle sind analog zu dem soeben besprochenen Mechanismus.

Die individuellen Werte der Beschäftigung und Arbeitslosigkeit für alle Gruppen können aggregiert werden, um die Versicherungseffekte für alle Arbeitnehmer unabhängig von ihrem aktuellen Beschäftigungsstatus zu bestimmen. Die Aggregation zeigt, dass die Hartz-IV-Reform auf der Ebene der gesamten Volkswirtschaft einen Wohlfahrtsverlust verursacht hat. Das bedeutet, dass die Reform einen Anreizeffekt für die Mehrheit der Arbeitnehmer erzielte. Gleichzeitig jedoch wurde der Versicherungseffekt durch Lohnersatzleistungen vollkommen vernachlässigt. Genauso wie der Beitrag der Reform zum Rückgang der Arbeitslosenquote sehr schwach war, war der Rückgang der aggregierten Wohlfahrt kaum spürbar. Letzteres Ergebnis lässt jedoch eine sehr deutliche wirtschaftspolitische Schlussfolgerung zu: Die Höhe und Länge der Lohnersatzleistungen vor der Hartz-IV-Reform waren annähernd optimal. Die Hartz-IV-Reform wäre nicht notwendig gewesen.

Abbildung 2
Intertemporale Effekte
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Weitere Analysen

Die Ergebnisse von Launov und Wälde10 können anderer Literatur, die den Einfluss der Hartz-IV-Reform auf die Arbeitslosenquote untersucht, gegenübergestellt werden. Krause und Uhlig11 berichten einen Rückgang der Arbeitslosenquote um 2,8 Prozentpunkte als Folge der Reform. Ein etwas konservativerer Rückgang um 1,4 Prozentpunkte wird von Krebs und Scheffel12 ermittelt. Diese offensichtlich großen Unterschiede zu dem Ergebnis von Launov und Wälde haben jedoch eine einfache Erklärung.13

Wie eine Nachfolgestudie von Launov und Wälde14 demonstriert, resultieren die großen Effekte hauptsächlich aus der Annahme über das Ausmaß der Kürzungen der Arbeitslosenhilfe unter Hartz IV. Sowohl Krause und Uhlig15 als auch Krebs und Scheffel16 nehmen viel stärkere Kürzungen an als die Werte, die etwa in den Berichten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu finden sind.17 Nimmt man die starken Kürzungen der genannten Analysen für die Studie von Launov und Wälde18 als Grundlage, dann bekommt man Vorhersagen, die den Ergebnissen von diesen beiden Beiträgen sehr nahe kommen. Da Launov und Wälde19 sich eher auf beobachtete Unterschiede zwischen Arbeitslosengeld II und Arbeitslosenhilfe stützen, kommen sie zu der Schlussfolgerung, dass der geschätzte Effekt von 0,1 Prozentpunkten näher an der Realität liegen sollte.

Zusammenfassung

Die Zusammenfassung der Studie von Launov und Wälde ist eindeutig. Erstens hatte Hartz IV einen extrem geringen Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Die durch Hartz IV erzielte Reduktion der Arbeitslosigkeit ist mit weniger als 0,1 Prozentpunkten ökonomisch ohne Bedeutung. Zwar hat die Reform einen stärkeren Einfluss auf den Arbeitsmarkt in den neuen Bundesländern, jedoch waren die Auswirkungen auch dort nicht so groß, wie man es anfänglich erwartet hatte. Zweitens wurden die Ansprüche von Lohnersatzleistungen, zum einen Anreize zur Stellensuche zu schaffen und zum anderen einen Versicherungseffekt zu bieten, unangemessen gewichtet. Der Versicherungseffekt ging durch die Hartz-IV-Reform zurück. Die vernachlässigbaren Effekte zur Reduktion der Arbeitslosigkeit vorausgesetzt, wäre dies nicht notwendig gewesen.

Wenn Hartz IV im Wesentlichen keinen Beitrag zur Reduktion der Arbeitslosigkeit geleistet hat, wie ist dann aber der starke Rückgang der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik seit den Hartz-Reformen zu verstehen? Wie Launov und Wälde20 zeigen, liegt die Antwort in dem „en“ von Reformen. Hartz IV war de facto wirkungslos, der Erfolg liegt vielmehr in Hartz I bis III begründet. Dabei sticht vor allem die Reform der vormaligen Bundesanstalt und jetzigen Bundesagentur für Arbeit hervor. Die Einrichtung von Jobcentern, die Einführung einer einzigen Kontaktperson für einen Arbeitslosen, die Reduktion der Zahl der Arbeitslosen pro Arbeitsvermittler in den Jobcentern und weitere Maßnahmen von Hartz III führten zu einer Reduktion der Arbeitslosigkeit um 1,3 bis 2 Prozentpunkten. Die Reform der Vermittlungsbehörde war also deutlich effektiver als die Reduktion der Lohnersatzleistungen. Daher zeichnet sich als Schlussfolgerung ab: Wenn Reformen des Arbeitsmarktes dringend geboten sind, ist es entscheidend, wie man eine Reform genau gestaltet. Auf verteilungspolitisch schwierige Bestandteile wie eine Reduktion der Lohnersatzleistungen kann dabei offenbar verzichtet werden.

  • 1 Vgl. P. Diamond: Wage Determination and Efficiency in Search Equilibrium, in: Review of Economic Studies, 49. Jg. (1982), H. 2, S. 217-227; oder C. Pissarides: Short-Run Equilibrium Dynamics of Unemployment, Vacancies, and Real Wages, in: American Economic Review, 75. Jg. (1985), H. 4, S. 676-690.
  • 2 Vgl. http://www.soep.de.
  • 3 Vgl. R. Lucas: Econometric Policy Evaluation: A Critique, Carnegie-Rochester Conference Series, in: Public Policy, 1. Jg. (1976), H. 1, S. 19-46, für die allgemeine Diskussion.
  • 4 Wie z.B. von G. van den Berg: Nonstationarity in Job Search Theory, in: Review of Economic Studies, 57. Jg. (1990), H. 2, S. 255-277, im partiellen Gleichgewicht untersucht.
  • 5 A. Launov, K. Wälde: Estimating Incentive and Welfare Effects of Non-Stationary Unemployment Benefits, in: International Economic Review, 54. Jg. (2013), H. 4, S. 1159-1198.
  • 6 Der Erwartungswert in diesem Fall ist über die Chancen nach der Beendigung des Anspruches auf Arbeitslosengeld die Arbeitslosenhilfe empfangen zu können.
  • 7 K. Blos, H. Rudolph: Verlierer, aber auch Gewinner, in: IAB Kurzbericht, Nr. 17, 2005, S. 1-6.
  • 8 J. Goebel, M. Richter: Nach der Einführung von Arbeitslosengeld II: Deutlich mehr Verlierer als Gewinner unter den Hilfeempfängern, in: DIW Wochenbericht, 74. Jg. (2007), Nr. 50, S. 753-761.
  • 9 Der Wert der Beschäftigung oder der Arbeitslosigkeit ist der Wert des optimalen Verhaltens im Sinne der dynamischen Programmierung nach Bellman. Der Wert steht dabei für den Barwert aller zukünftigen mit der Zeitpräferenzrate diskontierten Nutzenniveaus, die ein Individuum, das aktuell beschäftigt oder arbeitslos ist, mit rationalen Erwartungen antizipieren kann. Vgl. R. Bellman: Dynamic Programming, Princeton University Press, 1957.
  • 10 A. Launov, K. Wälde, a.a.O.
  • 11 M. Krause, H. Uhlig: Transitions in the German Labor Market: Structure and Crises, in: Journal of Monetary Economics, 59. Jg. (2012), H. 1, S. 64-79.
  • 12 T. Krebs, M. Scheffel: Macroeconomic Evaluation of Labor Market Reform in Germany, IMF Working Paper, Nr. 42, 2013.
  • 13 A. Launov, K. Wälde, a.a.O.
  • 14 A. Launov, K. Wälde: Thumbscrews for Agencies or for Individuals? How to Reduce Unemployment, Arbeitspapier, Gutenberg Universität Mainz 2013, erhältlich bei www.waelde.com/pub.
  • 15 M. Krause, H. Uhlig, a.a.O.
  • 16 T. Krebs, M. Scheffel, a.a.O.
  • 17 Vgl. K. Blos, H. Rudolph, a.a.O.; J. Goebel, M. Richter, a.a.O.
  • 18 A. Launov, K. Wälde: Estimating Incentive ..., a.a.O.
  • 19 Ebenda.
  • 20 A. Launov, K. Wälde: Thumbscrews for Agencies ..., a.a.O.

Title:Employment Effects of Hartz Reforms

Abstract:After the Hartz reforms of 2003-2005, unemployment in Germany has gone down significantly. Using a structural evaluation, it is shown that the contribution of the Hartz IV reform to this decrease was extremely modest. Hartz IV explains less than 0.1 percentage point of the decline in the observed unemployment rate. A substantial degree of influence, to the contrary, is attributed to the preceding Hartz III reform. Thus, the reduction of unemployment compensation could have been generally avoided.

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DOI: 10.1007/s10273-014-1634-5