In der Diskussion um eine Reform des Länderfinanzausgleichs wird immer wieder gefordert, die Eigenverantwortung der Länder und damit deren Anreize zur Generierung von Steuereinnahmen zu stärken. Hierzu wird vorgeschlagen, Einnahmeunterschiede zwischen den verschiedenen Ländern weit weniger stark auszugleichen, als dies heute der Fall ist. Der damit einhergehende Verlust an bundesstaatlicher Solidarität wird dabei bewusst in Kauf genommen. Die Autoren präsentieren einen Reformvorschlag, der über einen Risikostrukturausgleich Eigenverantwortung und Solidarität nicht gegeneinander ausspielt, sondern versöhnt.
In den nächsten Jahren steht eine Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen an, da die aktuell gültigen Regelungen Ende 2019 auslaufen. Sowohl auf wissenschaftlicher wie auf politischer Ebene ist die Diskussion hierzu in vollem Gang. Ein Schwerpunkt der Debatte liegt dabei auf der Frage, wie stark Einnahmeunterschiede zwischen verschiedenen Bundesländern künftig ausgeglichen werden sollen (sogenannte Ausgleichsintensität).
Ausgleichsintensität im Länderfinanzausgleich: konträre Positionen
Hierzu werden zwei entgegengesetzte Positionen vertreten: Nach der ersten Position ist die aktuelle Ausgleichsintensität beizubehalten, um die Handlungsfähigkeit wirtschaftlich schwächerer Bundesländer zu sichern und das grundgesetzliche Postulat gleichwertiger Lebensverhältnisse zu erfüllen.1 Vertreter der zweiten Position weisen demgegenüber auf negative Anreizeffekte hin, die von einer hohen Ausgleichsintensität ausgehen: Ärmere Bundesländer haben demnach kaum einen Anreiz, ihre eigenen Einnahmen zu erhöhen, weil Einnahmezuwächse größtenteils von verringerten Zuweisungen anderer Länder oder des Bundes aufgefressen würden. Und auch für wohlhabende Bundesländer haben Einnahmesteigerungen nur begrenzte Vorteile, weil ein Großteil der zusätzlichen Einnahmen über den Länderfinanzausgleich aus dem eigenen Bundesland abfließt. Als Folge würden weder arme noch reiche Bundesländer die Steuerbemessungsgrundlagen auf ihrem Gebiet hinreichend pflegen. Außerdem würden die Anreize der Länderfinanzverwaltungen zur Steuereintreibung unterminiert.2
Die Vertreter beider Positionen führen überzeugende Argumente ins Feld, um ihre jeweilige Sichtweise zu untermauern. Bedeutet dies zwangsläufig, dass es einen unlösbaren Zielkonflikt zwischen Solidarität und Anreizkompatibilität gibt, dass also der in der Finanzwissenschaft berühmte „Equity-Efficiency-Tradeoff“ unauflöslich besteht? Lassen sich Anreize, die eigene Wirtschaftskraft und das eigene Steueraufkommen zu steigern, nur zu Lasten der bundesstaatlichen Solidarität erhöhen? Beide Fragen müssen bejaht werden, wenn die Höhe der Ausgleichsintensität als einzige oder zumindest zentrale Stellschraube der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen aufgefasst wird.
Vor diesem Hintergrund plädieren wir für eine Neukonzeption der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen, bei der nicht nur unterschiedliche Einnahmen ausgeglichen, sondern auch differierende Ausgabenbedarfe berücksichtigt werden. Dadurch wäre es möglich, das Dilemma zwischen Solidarität und Anreizkompatibilität entscheidend und nachhaltig zu entschärfen.
Grundzüge der aktuellen Bund-Länder-Finanzbeziehungen
Beim bundesstaatlichen Finanzausgleich handelt es sich um ein komplexes, mehrstufiges Verfahren, das hier nur grob und mit Fokus auf die Finanzausstattung der Länder skizziert werden soll:3 Zunächst wird das Steueraufkommen vertikal den verschiedenen staatlichen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) zugeordnet, anschließend wird der Länderanteil horizontal auf die einzelnen Länder aufgeteilt.
Maßgeblich für die Aufteilung des Länderanteils ist grundsätzlich das örtliche Aufkommen; allerdings wird bei der Umsatzsteuer (USt), der Lohnsteuer (LSt) sowie der Körperschaftsteuer (KSt) vom Grundsatz des örtlichen Aufkommens abgewichen. So wird die Umsatzsteuer am Sitz der abführenden Unternehmen vereinnahmt, den Ländern jedoch überwiegend nach der Einwohnerzahl zugeordnet. Die Lohnsteuer wird am Arbeitsort der Beschäftigten erhoben, aber dem Bundesland zugewiesen, in dem der Beschäftigte seinen Wohnsitz hat. Die Körperschaftsteuer schließlich wird am Unternehmenssitz gezahlt, aber – bei Betriebsstätten eines Unternehmens in mehreren Bundesländern – gemäß der Größe der verschiedenen Betriebsstätten (in der Regel gemessen am Anteil der Lohnsumme) auf die jeweiligen Bundesländer verteilt.
Basierend auf der skizzierten Zuordnung der Steuereinnahmen würde sich die Finanzausstattung pro Einwohner zwischen den Bundesländern erheblich unterscheiden. Hier kommen nun mehrere Ausgleichsmechanismen ins Spiel: der Umsatzsteuervorwegausgleich, der Länderfinanzausgleich im engeren Sinn sowie die Allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen. Ziel und Folge dieser Ausgleichsmechanismen ist, dass sich die Finanzausstattung pro Einwohner zwischen den Bundesländern stark annähert. Ausnahmen hiervon gibt es lediglich bei den drei Stadtstaaten sowie bei drei dünn besiedelten ostdeutschen Flächenländern (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt): Die Einwohnerzahl dieser Länder wird „veredelt“, d.h., bei der Berechnung von Ausgleichszahlungen werden diese Länder nicht mit ihrer tatsächlichen Einwohnerzahl gewichtet, sondern mit einer fiktiven Einwohnerzahl, die um einen bestimmten Prozentsatz (bei den Stadtstaaten sind es einheitlich 35%) über ihrer tatsächlichen Einwohnerzahl liegt. Dadurch soll berücksichtigt werden, dass sowohl dicht besiedelte Stadtstaaten als auch dünn besiedelte Flächenländer einen höheren Finanzbedarf als durchschnittlich besiedelte Flächenländer haben. Das Vorliegen eines erhöhten Finanzbedarfs in Abhängigkeit von der Bevölkerungsdichte ist allerdings in der Literatur umstritten.4
Die genannten Ausgleichsmechanismen führen einerseits zu einer erheblichen Angleichung der Finanzausstattung der Länder pro (tatsächlichem oder fiktivem) Einwohner, andererseits erfolgt keine vollständige Nivellierung – die Rangfolge der Bundesländer bezüglich ihrer Finanzkraft pro tatsächlichem bzw. fiktivem Einwohner bleibt erhalten. Besondere Finanzbedarfe einzelner Bundesländer werden im Rahmen von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen (SoBEZ) berücksichtigt. Allerdings lassen sich nur für wenige Zusatzlasten Sonderbedarfe geltend machen – für teilungsbedingte Sonderlasten, für überdurchschnittlich hohe Kosten politischer Führung sowie für Sonderlasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit. Erst durch die SoBEZ verändert sich die Finanzkraft-Rangfolge der Bundesländer.
Zusammenfassend lassen sich also folgende Grundprinzipien bezüglich der Finanzausstattung der Bundesländer erkennen:
- Für die primäre Steuerzuordnung – d.h., bevor irgendein Ausgleichsmechanismus zum Tragen kommt – ist die Einwohnerzahl der Bundesländer ein zentraler Maßstab.
- Für alle Bundesländer – mit Ausnahme der Stadtstaaten und einiger dünn besiedelter ostdeutscher Flächenländer – wird implizit ein vergleichbarer Ausgabenbedarf pro Einwohner unterstellt. Nur so ist zu erklären, dass bei den Ausgleichsmechanismen (mit Ausnahme der SoBEZ) zwar Unterschiede in der Finanzkraft, nicht jedoch im Finanzbedarf Berücksichtigung finden.
- In den Ausnahmefällen, in denen ein erhöhter Finanzbedarf anerkannt ist, wird dieser zum Teil sehr undifferenziert berücksichtigt. So wird beispielsweise die Einwohnerzahl aller Stadtstaaten pauschal um den gleichen Prozentsatz „veredelt“.
Finanzbedarf der Bundesländer nicht vergleichbar
Die implizite Annahme eines vergleichbaren Finanzbedarfs pro Einwohner erscheint problematisch: Hierbei werden objektiv feststellbare Unterschiede im Finanzbedarf der Länder ausgeblendet; also solche Unterschiede, die sich nicht allein auf unterschiedliche Präferenzen zurückführen lassen. Die Bedeutung objektiv unterschiedlicher Finanzbedarfe wird deutlich, wenn man sich die Ausgabenstruktur der Länderhaushalte vor Augen führt: Durchschnittlich 50% der addierten Ausgaben von Ländern und Kommunen fließen in die Aufgabenbereiche Schulen und Hochschulen, Versorgung und Schulden sowie Soziales.5 Für jeden dieser Aufgabenbereiche sind Zweifel an einem vergleichbaren Finanzbedarf pro Einwohner angebracht:
- Der Finanzbedarf für Schulen und Hochschulen hängt stark von der Bevölkerungsstruktur eines Bundeslandes ab – er ist umso höher, je jünger die Bevölkerung ist. Die Bevölkerungsstruktur weist bereits heute Unterschiede zwischen den Bundesländern auf, im Zuge des demografischen Wandels ist mit einem weiteren Auseinanderdriften zu rechnen.
- Versorgungslasten und Ausgaben für den Schuldendienst unterscheiden sich erheblich zwischen den Bundesländern. Die Höhe dieser Ausgaben ist kurzfristig kaum zu beeinflussen; sie spiegelt folglich nicht die aktuellen Präferenzen der Bürger eines Bundeslandes wider. (Sondern allenfalls die politischen Präferenzen vergangener Jahre und Jahrzehnte, als die Schulden aufgenommen bzw. Versorgungsverpflichtungen eingegangen wurden.)
- Die Ausgaben für Soziales hängen eng mit der Wirtschaftskraft und Sozialstruktur eines Bundeslandes zusammen. Viele Ausgaben in diesem Bereich basieren auf bundesgesetzlich garantierten Rechtsansprüchen und entziehen sich der politischen Gestaltung auf Länder- oder Kommunalebene. Eine Senkung der Ausgaben für Soziales kann vor allem über eine Stärkung der regionalen Wirtschaftskraft erreicht werden. Hier ist allerdings zu beachten, dass die regionale Wirtschaftskraft neben den politischen Rahmenbedingungen von zahlreichen weiteren Faktoren abhängt. Außerdem entfalten politische Maßnahmen zur Stärkung der regionalen Wirtschaftskraft erst mit einer gewissen Verzögerung ihre Wirkung.
Reformvorschlag zur Neuordnung des Länderfinanzausgleichs
Unter der Prämisse, dass sich die Finanzbedarfe pro Einwohner zwischen verschiedenen Bundesländern unterscheiden, ist ein rein einnahmeorientierter Finanzausgleich nicht geeignet, für gleichwertige Lebensverhältnisse in Deutschland zu sorgen. Vielmehr erscheint eine Neukonzeption der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen geboten, bei der nicht nur Einnahmeunterschiede ausgeglichen werden, sondern auch – völlig unabhängig von den Präferenzen der Bevölkerung – unterschiedliche Ausgabenbedarfe Berücksichtigung finden. Diese Ausgabenbedarfe spiegeln Strukturunterschiede zwischen den Ländern wider, wie sie – zufällig oder bewusst – über die Zeit entstanden sind. Der Verantwortung heute amtierender Regierungen entziehen sie sich aber weitgehend.
Allerdings ist ein Ausgleich der tatsächlich entstandenen Ausgaben abzulehnen. Damit würden die Anreize zu einer sparsamen Haushaltsführung, zur effizienten Steuereintreibung und zur Pflege der regionalen Steuerbemessungsgrundlagen unterminiert.
Unser Vorschlag zur Neuregelung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen berücksichtigt diese Überlegungen und beinhaltet zwei Kernelemente. Die horizontale Verteilung des Länderanteils an den Gemeinschaftssteuern erfolgt dementsprechend in zwei Schritten.
- In einem ersten Schritt wird allen Ländern eine bedarfsorientierte Grundausstattung zugewiesen, die unterschiedlichen Ausgaberisiken in den Ländern Rechnung trägt. Der Gesamtbedarf ergibt sich dabei als Summe von Teilbedarfen in verschiedenen Aufgabenbereichen. Die Teilbedarfe werden jeweils anhand objektiver Indikatoren ermittelt, die eng mit den Ausgabeerfordernissen im jeweiligen Aufgabenbereich korrelieren.6 Im Aufgabenbereich Schulen und Hochschulen könnte dies z.B. die Zahl der Schüler und Studenten im jeweiligen Bundesland sein; im Aufgabenbereich Soziales die Zahl der Leistungsbezieher verschiedener sozialer Transferleistungen (z.B. Wohngeld, BAföG, Hilfe zur Wiedereingliederung). Die monetäre Bewertung der Teilbedarfe erfolgt dort, wo die Höhe der Ausgaben bundesgesetzlich fixiert ist, gemäß den tatsächlichen Ausgaben. In Bereichen, in denen Ausgaben nur dem Grunde nach, nicht aber in ihrer Höhe bundesgesetzlich festgelegt sind, werden Normkosten erstattet. Normkosten werden ebenfalls für reine Länderaufgaben festgesetzt, für die es keine bundesgesetzlichen Regelungen gibt.
Die Normkosten könnten beispielsweise mit statistischen Methoden ermittelt werden, indem die tatsächlichen Ausgaben in Bezug gesetzt werden zu den Ausprägungen des zugrundeliegenden Indikators. Auf diese Weise lassen sich idealtypische Ausgabenprofile identifizieren. Die so ermittelten Werte – gegebenenfalls korrigiert um einen bestimmten Abschlag – spiegeln die bedarfsorientierte Grundausstattung im jeweiligen Aufgabenbereich wider und sind ausgleichsrelevant.7 Darüberhinausgehende Ausgaben finden bei den Ausgleichszahlungen hingegen keine Berücksichtigung. Die finanziellen Konsequenzen von Mehrausgaben gegenüber den Normkosten sind damit vollständig von den einzelnen Ländern zu tragen. Die Grundidee hinter diesen Normkosten ist ein Risikostrukturausgleich, der anerkennt, dass viele Kostenrisiken sich der Kontrolle eines Landes entziehen.Vorteile: Die weitgehende Orientierung an Normkosten hält die Anreize zu einer sparsamen Haushaltsführung aufrecht – bei gleichzeitiger Berücksichtigung differierender Finanzbedarfe. Nach Durchführung dieses ersten Ausgleichsschritts sind alle Bundesländer in der Lage, eine bedarfsorientierte Grundversorgung mit öffentlichen Leistungen zu gewährleisten.
- Im zweiten Schritt wird der sodann verbleibende Länderanteil an den Gemeinschaftssteuern den Bundesländern gemäß regionaler Wirtschaftskraft zugewiesen. Als Maßstab für die regionale Wirtschaftskraft könnte das BIP oder alternativ die Lohnsumme herangezogen werden.
Vorteile: Die Verteilung der Restsumme nach regionaler Wirtschaftskraft setzt starke Anreize, die regionale Wirtschaftskraft zu stärken. Politische Maßnahmen zur Steigerung der Wirtschaftskraft führen zumindest mittelfristig zu einem höheren finanziellen Spielraum, um öffentliche Leistungen jenseits der Grundversorgung zu erbringen und auf diese Weise das Profil des eigenen Bundeslandes zu schärfen. Jenseits der Grundversorgung wird so ein politischer Wettbewerb zwischen den Bundesländern initiiert.
Umsetzung des Reformvorschlages
Der skizzierte Reformvorschlag impliziert einen grundlegenden Umbau der vertikalen und horizontalen Finanzbeziehungen. Die fundamentale Voraussetzung, um diesen Vorschlag zu implementieren, ist eine Änderung des Grundgesetzes – hier ist bislang in Art. 106 Abs. 3 ff. und Art. 107 Abs. 1 die vertikale und horizontale Steuerertragsaufteilung für die verschiedenen Gemeinschaftssteuern festgelegt. Die bisherige, allgemein beklagte, Komplexität des Finanzausgleichs ist bereits im Grundgesetz angelegt, kann also durch einfachgesetzliche Maßnahmen nur sehr eingeschränkt reduziert werden. Art. 107 Abs. 2 enthält Regelungen zum Länderfinanzausgleich und zu den Bundesergänzungszuweisungen. Hier ist bislang insbesondere festgehalten, dass beim Länderfinanzausgleich „die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird“; d.h., ein differierender Finanzbedarf findet keine Berücksichtigung.
Daneben sollte das Grundgesetz dahingehend angepasst werden, dass den Ländern eine höhere Steuerautonomie eingeräumt wird – beispielsweise über die Festsetzung von Zuschlägen auf die Einkommensteuer.8 In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass eine höhere Steuerautonomie der Länder unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen notwendig ist: Bislang können die Bundesländer eine Differenz zwischen Ausgaben und Einnahmen fast ausschließlich über eine Nettokreditaufnahme decken. Ab dem Jahr 2020 greift jedoch die Schuldenbremse, die den Ländern strukturelle Defizite verwehrt. Spätestens dann benötigen die Bundesländer ein neues Instrument, um Deckungslücken in ihren Haushalten zu schließen.
Außerdem ist eine politische Grundsatzentscheidung zu treffen, wie mit den Altschulden der Länder umgegangen wird. Zwar sind die Zins- und Tilgungslasten aus diesen Altschulden kurzfristig kaum zu beeinflussen, und insofern handelt es sich um notwendige Ausgaben. Dennoch ist ein vollständiger Ausgleich dieser Ausgaben abzulehnen, weil auf diese Weise unsolide Haushaltspolitik in der Vergangenheit nachträglich belohnt würde. Falls die Länder Schlupflöcher finden würden, um die Schuldenbremse zu umgehen, wäre ein vollständiger Ausgleich von Zins- und Tilgungszahlungen auch unter Anreizgesichtspunkten problematisch. Zumindest für die beiden extrem hoch verschuldeten Länder Bremen und Saarland werden gewisse Sanierungshilfen jedoch unumgänglich sein. Andernfalls müssten sie so hohe eigene Steuern erheben und/oder ihre öffentlichen Leistungen so weit zurückfahren, dass eine positive regionale Wirtschaftsentwicklung in Zukunft nahezu ausgeschlossen ist – mit entsprechenden Auswirkungen auf den Ausgleichsbedarf im bundesstaatlichen Finanzausgleich, aber auch mit ungewollten und nicht zu tolerierenden negativen Konsequenzen für die Lebenschancen der Menschen in den betroffenen Regionen.
Neben diesen rechtlichen Voraussetzungen sind die Datengrundlagen zu schaffen, die für die Berechnung der Ausgleichszahlungen benötigt werden. So müssen die Ausgaben der Länder in standardisierter Form erhoben und verschiedenen Aufgabenbereichen zugeordnet werden. Anschließend ist für jeden Bereich zu fragen, welche objektiven Indikatoren den Ausgabenbedarf beeinflussen. Sodann sind Normkosten in Abhängigkeit von den Ausprägungen des jeweiligen Indikators zu ermitteln (falls die Höhe der Ausgaben nicht eindeutig aus bundesgesetzlichen Regelungen folgt) und fortzuschreiben.
Da sich zumindest für einige Länder die verfügbare Finanzmasse durch die Umstellung nennenswert ändern wird, ist nur ein gleitender Übergang vom alten in das neue System denkbar. Bei einer Neukonzeption der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen sind die Modalitäten und der Zeitraum dieses Übergangs festzulegen. Während des Übergangs könnte beispielsweise die hypothetische Finanzausstattung der Länder sowohl nach alter als auch nach neuer Rechtslage berechnet werden. Die Ausgleichszahlungen würden dann so kalkuliert, dass sich die tatsächliche Finanzausstattung als gewichtetes Mittel aus der Finanzausstattung nach alter Rechtslage einerseits und neuer Rechtslage andererseits ergibt. Die Gewichte würden über einen längeren Zeitraum angepasst, bis am Ende nur noch die neue Rechtslage relevant ist.
Ähnlichkeit zu bestehenden Ausgleichssystemen
Unser Reformvorschlag impliziert eine grundlegende Änderung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen und der damit verbundenen Ausgleichsmechanismen. Dennoch handelt es sich um einen pragmatischen und praktikablen Vorschlag – ähnliche Ausgleichsmechanismen existieren in anderen Zusammenhängen bzw. in anderen Ländern, wie die beiden folgenden Beispiele zeigen.
So ist in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ein Risikostrukturausgleich, der die finanziellen Folgen unterschiedlicher Risikostrukturen im Versichertenkollektiv der Krankenkassen ausgleicht, implementiert. Es handelt sich hierbei nicht um einen Ausgleich tatsächlich entstandener Ausgaben, vielmehr werden den versichertenspezifischen Zuweisungen die durchschnittlichen Kosten in der jeweiligen Risikogruppe zugrunde gelegt. Die Risikogruppen sind durch objektive und weitgehend nicht-manipulierbare Merkmale charakterisiert – insbesondere durch Alter, Geschlecht sowie das Vorliegen kostenintensiver Erkrankungen. Der Risikostrukturausgleich in der GKV stellt sicher, dass die Anreize der Krankenkassen zu einer sparsamen Haushaltsführung gewahrt bleiben, obwohl objektiv unterschiedliche Finanzbedarfe berücksichtigt werden. Der von uns vorgeschlagene Risikostrukturausgleich zwischen den Bundesländern weist die gleichen Eigenschaften auf und funktioniert vom Grundprinzip wie der Risikostrukturausgleich in der GKV – aus diesem Grund haben wir bewusst den gleichen Begriff gewählt.
Ebenso wie in Deutschland gibt es in der Schweiz einen Finanzausgleich zwischen dem Bundesstaat und den Gliedstaaten (Kantonen). Im Gegensatz zur bisherigen Regelung in Deutschland wird in der Schweiz nicht nur eine differierende Finanzkraft ausgeglichen, sondern es werden auch unterschiedliche Finanzbedarfe berücksichtigt. So gliedert sich der Finanzausgleich in einen Ressourcenausgleich und einen Lastenausgleich. Im Rahmen des Ressourcenausgleichs werden finanzschwachen Kantonen finanzielle Mittel vom Bund und von den finanzstarken Kantonen zur Verfügung gestellt. Der Lastenausgleich „soll unverschuldete und unbeeinflussbare Lasten der Kantone … abgelten.“9 In seinem Rahmen werden geografisch-topografische Lasten einerseits und soziodemografische Lasten andererseits berücksichtigt. Letztere werden anhand von drei Indikatoren ermittelt: dem Anteil der Sozialhilfeempfänger, dem Anteil der Einwohner, die das 80. Lebensjahr erreicht haben, sowie dem Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund, die nicht aus den Nachbarstaaten der Schweiz stammen und maximal zwölf Jahre in der Schweiz leben.10 Unabhängig von der Ausgestaltung im Detail zeigt das Schweizer Beispiel, dass eine Berücksichtigung von Ausgabenbedarfen in föderalen Finanzausgleichssystemen ein gangbarer Weg ist.
- 1 Vgl. I. Deubel: Schuldenbremse und Finanzausgleich – Wie stark muss der Finanzausgleich im Jahr 2020 ausgleichen, damit (fast) alle Länder die Schuldenbremse einhalten können?, in: ifo Schnelldienst, 67. Jg. (2014), H. 1, S. 43-51.
- 2 Vgl. C. Fuest, M. Thöne: Reform des Finanzföderalismus in Deutschland, Berlin 2009, S. 22-23; vgl. L. Feld, J. Schnellenbach: Mehr Autonomie für die Bundesländer: Ansatzpunkte zu einer grundlegenden Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen, in: ifo Schnelldienst, 67. Jg. (2014), H. 1, S. 32-36.
- 3 Eine sehr gute und detaillierte Darstellung der Ausgleichsmechanismen findet sich z.B. bei J. Ragnitz: Wie funktioniert eigentlich der Länderfinanzausgleich?, in: ifo Dresden berichtet, 20. Jg. (2013), H. 6, S. 5-19.
- 4 Vgl. L. Feld, J. Schnellenbach, a.a.O., S. 33.
- 5 Vgl. PricewaterhouseCoopers (Hrsg.): PwC-Länderfinanzbenchmarking 2013, Frankfurt a.M. 2013, S. 58. Dort sind die Zuschussbedarfe für die jeweiligen Aufgabenbereiche angegeben; d.h. die Ausgaben werden um etwaige Einnahmen bereinigt, die bei der Erfüllung der jeweiligen Aufgaben erzielt werden – beispielsweise Gebühren.
- 6 Für die Berücksichtigung von Bedarfsindikatoren plädiert beispielsweise auch Behnke. Vgl. N. Behnke: Fahrplan für eine grüne Reform der bundesdeutschen Finanzverfassung – Gutachten im Auftrag der GRÜNEN-Landtagsfraktionen von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen, Konstanz 2012.
- 7 Im einfachsten Fall würde eine Regressionsgerade durch 16 Datenpunkte (je Bundesland ein Datenpunkt) gelegt werden: Zahlen auf der Regressionsgeraden (oder, bei Berücksichtigung eines Abschlags, auf einer darunter liegenden Parallele) würden die Normkosten in Abhängigkeit von der Ausprägung des gewählten Indikators angeben.
- 8 Wie Feld, Kube und Schnellenbach ausführen, ließe sich die Steuersetzungshoheit für derartige Zuschläge auch einfachgesetzlich regeln. Um den Ländern jedoch die volle Ertragshoheit über die von ihnen erhobenen Zuschläge einzuräumen, bedarf es einer Grundgesetzänderung. Vgl. L. Feld, H. Kube, J. Schnellenbach: Optionen für eine Reform des bundesdeutschen Finanzausgleichs – Gutachten im Auftrag der FDP-Landtagsfraktionen der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen (Fassung vom 13.5.2013), S. 49 ff., http://www.eucken.de/fileadmin/bilder/Dokumente/Gutachten_Finanzausgleich.pdf (20.5.2014).
- 9 Vgl. http://www.efv.admin.ch/d/themen/finanzpolitik_grundlagen/finanzausgleich.php#3 (20.5.2014).
- 10 Vgl. Art. 34 Verordnung über den Finanz- und Lastenausgleich in der Fassung vom 1.1.2014.