In diesem Jahr wurde der in Princeton lehrende, britisch-amerikanische Ökonom Angus Deaton mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Es werden damit – wie es in der offiziellen Verlautbarung des Nobelpreiskomitees heißt – seine Analysen von Konsum, Armut und Wohlfahrt gewürdigt. In der Tat ist Angus Deaton ein Wissenschaftler, der die akademische Debatte um die quantitative Analyse des Konsumverhaltens in den vergangenen drei bis vier Dekaden entscheidend geprägt hat und dessen Beiträge zur Messung des Lebensstandards und insbesondere der Armut bahnbrechend waren.
Unabhängig davon, ob sich ökonomische Theorien mit kurzfristigen Phänomenen wie etwa konjunkturellen Schwankungen befassen, oder aber langfristige Phänomene, wie das wirtschaftliche Wachstum zum Gegenstand haben, ist der private Konsum immer von zentraler Bedeutung. Dies lässt sich zum einen damit begründen, dass der private Konsum die bei weitem größte Komponente der aggregierten Nachfrage ist, zum anderen aber damit, dass der Konsum aus ökonomischer Sicht die wesentliche Determinante der individuellen Wohlfahrt darstellt. Die Verteilung von Konsummöglichkeiten über Individuen oder Länder ist daher von zentraler Bedeutung für die Beantwortung zahlreicher wichtiger wirtschaftspolitischer Fragen, beispielsweise inwieweit wirtschaftliches Wachstum dazu beiträgt, die Armut in der Welt zu verringern.
Mit Fragestellungen aus diesem zentralen Bereich der Ökonomie hat sich Angus Deaton während seiner wissenschaftlichen Karriere aus positiver wie normativer Perspektive in einer Vielzahl von Arbeiten befasst und dabei wichtige Beiträge geleistet (zu seinem Lebenslauf vgl. Kasten 1). Die wesentlichen Aspekte seines Werkes werden im Folgenden dargestellt.
Kasten 1
Lebenslauf von Angus Deaton
Geboren: 19. Oktober 1945 in Edinburgh, Großbritannien.
Abschlüsse: B. A. 1967, M. A. 1971, Ph. D. 1974 (Cambridge), Thema: Models of consumer demand and their application to the United Kingdom.
Beruflicher Werdegang:
1967-68: Economic Intelligence Department, Bank of England.
1969: Junior Research Officer, Department of Applied Economics, Cambridge.
1972: Fellow and Director of Studies in Economics, Fitzwilliam College and Research Officer, Department of Applied Economics.
1976-83: Professor of Econometrics, University of Bristol.
1979-80: Visiting Professor, Princeton University.
1990-91: Overseas Fellow, Churchill College, Cambridge.
Seit 1983 Princeton University, Dwight D. Eisenhower Professor of International Affairs, and Professor of Economics and International Affairs, Woodrow Wilson School and Department of Economics.
Quantitative Analyse von Nachfragesystemen
Die mikroökonomische Theorie der Nachfrage formuliert einige grundlegende Hypothesen über die Eigenschaften individueller und aggregierter Nachfragefunktionen. Die wesentlichen, auf die individuelle Güternachfrage bezogenen Eigenschaften sind deren Homogenität und die Symmetrie der Slutsky-Matrix der kompensierten Nachfragen. Homogenität besagt, dass eine proportionale Änderung aller Preise die Nachfrage nach den Gütern unberührt lässt und die Symmetrie der Slutsky-Matrix impliziert, dass die Kreuzpreiseffekte der Nachfragen zweier Güter übereinstimmen: Die Änderung der Nachfrage eines Gutes x aufgrund einer Änderung des Preises des Gutes y ist genau so groß, wie die Änderung der Nachfrage eines Gutes y aufgrund einer Änderung des Preises des Gutes x.
Werden Nachfragefunktionen auf der Basis einer spezifizierten Nutzenfunktion theoretisch abgeleitet, sind diese Restriktionen a priori erfüllt.1 Solche Nachfragefunktionen sind daher für einen Test der mikroökonomischen Nachfragetheorie vor dem Hintergrund tatsächlichen Konsumverhaltens ungeeignet. Gleichwohl können die aus der Theorie abgeleiteten Restriktionen genutzt werden, um die Zahl der zu schätzenden Parameter bei der empirischen Analyse von Nachfragefunktionen drastisch zu verringern – das ist der von Richard Stone verfolgte Ansatz, der auf das unter Ökonomen wohlbekannte lineare Nachfragesystem führt.2
Sollen jedoch die von der mikroökonomischen Nachfragetheorie formulierten Hypothesen statistisch überprüft werden, sind allgemeinere Ansätze erforderlich. Ein in den 1960er Jahren hierzu formulierter Ansatz ist als Rotterdam-Modell in der Literatur bekannt, andere Ansätze beruhen auf flexiblen funktionalen Formen wie etwa der Translog-Funktion. Die auf der Schätzung solcher Modelle beruhenden empirischen Befunde, zu denen auch Angus Deaton maßgeblich beigetragen hat, sind aus theoretischer Sicht enttäuschend:3 Die Hypothesen der Homogenität der Nachfrage und der Symmetrie der Slutsky-Matrix werden deutlich abgelehnt – beobachtbare Güternachfragen haben also nicht die von der Theorie prognostizierten Eigenschaften.
Aufgrund der Restriktivität der zugrunde liegenden Schätzansätze lassen sich diese empirischen Befunde jedoch nicht ohne Weiteres als Falsifikation des mikroökonomischen Konsumnachfragemodells deuten. Die Ursache für die Ablehnung der Hypothese könnte ja schlicht in einer Fehlspezifikation des ökonometrischen Modells begründet sein. Genau an dieser Stelle setzt Angus Deaton mit dem gemeinsam mit John Muellbauer formulierten „Almost Ideal Demand System“ an.4 Dieses System stellt nicht nur eine Alternative zu den bisherigen Ansätzen dar, es behebt auch einige Schwächen dieser Ansätze – insbesondere hinsichtlich der Aggregationsmöglichkeiten über Individuen –, ist aber dennoch flexibel und ermöglicht den empirischen Test der oben genannten Restriktionen unter allgemeineren Bedingungen.
Dennoch ändert diese allgemeinere Formulierung nichts an den empirischen Befunden. Auch mit dem „Almost Ideal Demand System“ werden die Hypothesen der Homogenität der Nachfrage und der Symmetrie der Slutsky-Matrix deutlich abgelehnt: „Demand functions fitted to aggregate time series data are not homogeneous and probably not symmetric.“5 Allerdings geben die Schätzungen auch Hinweise darauf, welche Probleme wohl dafür verantwortlich sind, dass diese Hypothesen in empirischen Untersuchungen regelmäßig abgelehnt werden. Deaton und Muellbauer identifizieren hier insbesondere dynamische Spezifikationsprobleme. So ist aus ihrer Sicht die den empirischen Modellen unterliegende Annahme exogener Konsumausgaben nicht haltbar. Daneben ist eine weitere mögliche Ursache das grundlegende Aggregationsproblem. Die von der mikroökonomischen Theorie über individuelle Nachfragefunktionen formulierten Restriktionen gelten nur unter restriktiven Annahmen auch für die aggregierte Nachfragefunktion.
Die Konsequenzen aus diesen beiden Einsichten sind für das folgende wissenschaftliche Arbeiten von Angus Deaton leitend gewesen. Zum einen hat er sich intensiv mit intertemporalen Aspekten der Konsumnachfrage beschäftigt. Zum anderen hat er die empirische Analyse auf der Basis von Mikrodaten vorangetrieben und dabei insbesondere Beiträge zur Wohlfahrtsanalyse in Entwicklungsländern geleistet.
Empirische Plausibilität der permanenten Einkommenshypothese
Ausgehend von den Arbeiten der Nobelpreisträger Milton Friedman, Franco Modigliani und Robert Lucas wird die private Konsumnachfrage in ökonomischen Modellen heutzutage üblicherweise als Lösung eines intertemporalen Optimierungsproblems formuliert, bei dem bezüglich unsicherer künftiger Größen rationale Erwartungen gebildet werden.6 Eine wesentliche Eigenschaft auf der Grundlage dieser Ansätze abgeleiteter Konsumfunktionen ist die Konsumglättung. Unterstellt man perfekte Kapitalmärkte, werden risikoaverse Individuen einen Konsumpfad wählen, der möglichst frei von Schwankungen verläuft und dessen Niveau lediglich durch den Gegenwartswert künftiger Einkommensströme, nicht jedoch deren zeitlicher Verteilung, bestimmt wird.
Im Fall unsicherer künftiger Einkommen implizieren rationale Erwartungen, dass der Grenznutzen des Konsums ein Martingal ist, sofern der Zinssatz der Zeitpräferenzrate entspricht.7 In der einfachsten Formulierung mit quadratischer Nutzenfunktion und konstantem Zinssatz sind gemäß der permanenten Einkommenshypothese daher zeitliche Änderungen des Konsums nicht prognostizierbar. Alle denkbaren ökonomischen Größen, die prinzipiell zur Prognose herangezogen werden könnten, dürften aufgrund der rationalen Erwartungsbildung keine Erklärungskraft besitzen. Empirische Untersuchungen dieser Hypothese wurden von Hall (1978) initiiert8 und unter anderem auch von Deaton (gemeinsam mit Alan Blinder) durchgeführt.9 Fasst man die Ergebnisse der vielen hierzu erstellten Arbeiten zusammen, so lässt sich feststellen, dass die Hypothese, weitere Variablen neben dem Konsum hätten keine Erklärungskraft bei der Prognose des Konsums, abgelehnt werden muss. Der Konsum reagiert auf Änderungen des laufenden Einkommens stärker als nach der permanenten Einkommenshypothese zu erwarten wäre. Dieser Befund ist als „excess sensitivity“ des Konsums in der Literatur bekannt.10
Deaton hat dieser Diskussion um die empirische Plausibilität der permanenten Einkommenshypothese einen weiteren interessanten Aspekt hinzugefügt, der als „Deaton-Paradox“ in die Literatur eingegangen ist und sich auf die „excess smoothness“ des Konsums bezieht.11 Die übliche Argumentation im Rahmen der permanenten Einkommenshypothese ist, dass das permanente Einkommen geringeren Schwankungen unterliegt als das laufende Einkommen, was schlichtweg darauf zurückzuführen ist, dass sich Schwankungen des laufenden Einkommens im Zeitablauf gegenseitig aufheben. Da der Konsum durch das permanente Einkommen determiniert wird, ergibt sich daraus, dass der Konsum geringeren Schwankungen unterliegt als das laufende Einkommen – das ist die bereits erwähnte Konsumglättung. Campbell und Deaton zeigen jedoch, dass die geschilderte Vorstellung nur dann zutreffend ist, wenn das Einkommen einem trendstationären Prozess folgt. Ist der Einkommensprozess dagegen differenzenstationär, ist es durchaus möglich, dass das laufende Einkommen geringeren Schwankungen unterliegt als das permanente Einkommen. Folglich können die Schwankungen des Konsums gemäß der permanenten Einkommenshypothese sehr wohl größer ausfallen als die des laufenden Einkommens. Zudem sollte sich dies auch empirisch so finden lassen, da sich – so die Argumentation Deatons – empirisch beobachtbare Einkommensprozesse eher als differenzen- denn als trendstationäre Prozesse darstellen lassen. Empirische Befunde zeigen nun allerdings deutlich geringere Schwankungen des Konsums als des laufenden Einkommens, so dass diese „excess smoothness“ des Konsums nicht mit der permanenten Einkommenshypothese zu vereinbaren ist.
Intertemporale Konsumnachfrage und Verschuldungsrestriktionen
Die Probleme, die sich bei der empirischen Überprüfung der permanenten Einkommenshypothese offenbaren, können letztlich auf diversen Ursachen beruhen. Zwei Aspekte sind hier von besonderer Bedeutung: Zum einen ist dies die Annahme perfekter Kapitalmärkte, die eine Entkopplung des laufenden Konsums vom laufenden Einkommen ermöglicht. Sind Kapitalmärkte jedoch imperfekt bzw. existieren Verschuldungsrestriktionen, so ist die Möglichkeit der Konsumglättung für vermögensarme Haushalte nicht oder nur in geringem Ausmaß gegeben. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Haushalte ist jedoch vermögensarm und es ist daher zu vermuten, dass Verschuldungsrestriktionen ein wichtiger Aspekt bei der Erklärung der Konsumnachfrage sind, der im Ausgangsmodell der permanenten Einkommenshypothese unberücksichtigt bleibt.
Zum anderen beruhen die bisher erwähnten empirischen Untersuchungen sämtlich auf aggregierten Daten – es wird dort im Grunde überprüft, ob die Konsumnachfrage des repräsentativen Wirtschaftssubjekts der permanenten Einkommenshypothese genügt. Wird aber davon ausgegangen, dass Einkommensschocks auf individueller Ebene überwiegend idiosynkratischer Natur sind, so wäre das repräsentative Wirtschaftssubjekt hiervon gar nicht betroffen und müsste auf diese Schocks folglich auch nicht reagieren. Die Schwierigkeiten bei der empirischen Überprüfung der permanenten Einkommenshypothese könnten daher auch im Aggregationsproblem begründet sein. Idealerweise sollten empirische Analysen zur permanenten Einkommenshypothese folglich auf Querschnittsdaten beruhen.
Beide genannten Aspekte hat Deaton 1989 in seiner „Fisher-Schultz Lecture“ vor der Econometric Society zusammengeführt.12 Er zeigt dort zum einen, wie Verschuldungsrestriktionen auf der individuellen Ebene das Konsum- und Sparverhalten beeinflussen. Zum anderen demonstriert er, wie durch das Zusammenspiel von Verschuldungsrestriktionen, idiosynkratischen und aggregierten Einkommensschocks der Konsum auf der individuellen wie auch der aggregierten Ebene simultan erklärt werden kann. Mit Hilfe disaggregierter Daten gelingt es Deaton gemeinsam mit Christina Paxson in einer vielbeachteten Arbeit 1994 zu zeigen, dass sich die von der permanenten Einkommenshypothese prognostizierte Einkommens- und Konsumungleichheit über den Lebenslauf empirisch nachweisen lässt.13 Die in diesem Zusammenhang wichtige Frage, inwieweit es Individuen möglich ist, sich gegen idiosynkratische Risiken beispielsweise durch Verschuldung zu versichern, hat die weitere Forschung in diesem Bereich nachhaltig geprägt und wird nunmehr auch in der makroökonomischen Modellbildung verstärkt berücksichtigt.14
Armuts- und Wohlfahrtsmessung
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich Angus Deaton – beginnend mit seiner Mitwirkung bei der „Living Standards Measurement Study“ der Weltbank – intensiv mit Fragen der Armuts- und Wohlfahrtsmessung in Entwicklungsländern beschäftigt. Angesichts seiner Beschäftigung mit der Konsumnachfrage ist dies mehr als naheliegend: Der Güterkonsum ist eine wesentliche Determinante der individuellen materiellen Wohlfahrt und aus empirischen Untersuchungen zum Nachfrageverhalten lassen sich daher auch Aussagen über die Verteilung individueller Wohlfahrt ableiten.
Stehen Entwicklungsländer im Fokus des Interesses, stellt sich jedoch zunächst das Problem, für die fraglichen Länder aussagekräftige Daten zu gewinnen. Aggregierte Daten sind hier wenig geeignet, da für Verteilungsanalysen naheliegenderweise Daten auf Individual- oder Haushaltsbasis vorliegen müssen. Darüber hinaus ist es häufig erforderlich, die auf nationaler Ebene erhobenen Daten international vergleichbar zu machen, will man beispielsweise ein Bild davon bekommen, inwieweit Wachstum die Wohlfahrt in Entwicklungsländern beeinflusst oder das UN-Millenniumsziel der Bekämpfung von Armut in der Welt erreicht wird.
Deaton hat die Arbeit auf diesem Gebiet nachhaltig geprägt. Sein Werk zur Konzeption und Analyse von Haushaltsbefragungen mit Hilfe mikroökonometrischer Verfahren ist eine Standardreferenz auf diesem Gebiet.15 Er hat maßgeblich daran mitgewirkt, dass Wohlfahrtsmessungen auf der Basis von Daten über Konsumausgaben und nicht etwa des Haushaltseinkommens erfolgen, da Letzteres in Entwicklungsländern kein verlässlicheres Wohlfahrtsmaß darstellt.16 In diesem Zusammenhang hat er sich ebenfalls mit der Konstruktion geeigneter Äquivalenzskalen zur Berücksichtigung unterschiedlicher Haushaltsgrößen befasst und dabei wichtige Beiträge zur Literatur geleistet.17
Im Rahmen empirischer Untersuchungen hat Angus Deaton außerdem den Zusammenhang zwischen Einkommensniveau und Ernährungsstatus untersucht.18 Die auf Daten aus Indien beruhenden Ergebnisse legen nahe, dass eine bis dahin in der Literatur geäußerte These, Einkommenswachstum würde den Ernährungsstatus aufgrund gegenläufiger Substitutionseffekte nicht nachhaltig verbessern, unzutreffend ist: Einkommenswachstum geht trotz auftretender Substitutionseffekte mit einer Verbesserung des Ernährungsstatus einher.
In jüngerer Zeit lag der Schwerpunkt seines Interesses auf diesem Gebiet jedoch darin, die internationale Vergleichbarkeit der Daten zu verbessern und dabei auf Inkonsistenzen und Probleme der vorliegenden Konzepte aufmerksam zu machen. So wies er darauf hin, dass Daten, die nationalen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen entnommen sind und solche, die aus Haushaltsbefragungen entstammen, jeweils ein unterschiedliches Bild von der Entwicklung der Armut und der Beziehung zwischen Armut und Wohlfahrt zeichnen.19 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen übertreiben üblicherweise das Konsumwachstum und zeichnen daher ein zu günstiges Bild, wohingegen Haushaltsbefragungen das Konsumwachstum tendenziell untertreiben und daher bezüglich der Armutsbekämpfung zu einer eher pessimistischen Einschätzung gelangen. Ursächlich hierfür ist eine Reihe von Gründen, die dem Design der Haushaltsbefragungen und auch den unterschiedlichen Messkonzepten, die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und Haushaltsbefragungen zugrunde liegen, zuzuschreiben sind.
Seine Arbeiten zur internationalen Vergleichbarkeit der aus Haushaltsbefragungen gewonnenen Daten – diese stehen in direktem Zusammenhang zum „International Comparison Project“ der Weltbank – hat Angus Deaton in seiner „Presidential Address“ vor der American Economic Association in Atlanta 2010 beeindruckend zusammengefasst.20 Aussagen über die Entwicklung der weltweiten Armut setzen voraus, dass nationale Armutsgrenzen über die Konstruktion geeigneter Preisindizes in eine globale Armutsgrenze transformiert werden. Die internationale Vergleichbarkeit wird hierbei üblicherweise durch Umrechnung in Kaufkraftparitäten erreicht. So naheliegend dieses Verfahren erscheint, ist es jedoch bei der praktischen Umsetzung, auch aufgrund von Datenunzulänglichkeiten, ein sehr problematisches Vorgehen. Je nachdem, welche Abgrenzungen vorgenommen werden, können daraus sehr unterschiedliche Schlussfolgerungen über die Entwicklung der weltweiten Wohlfahrt resultieren. Wie Deaton gezeigt hat, können beispielsweise Aussagen über das Ausmaß, in dem sich die weltweite Armut verringert hat, allein darauf beruhen, dass ein hier relevantes Land wie Indien durch verschiedene Konzepte jeweils unterschiedlich behandelt wird.21
Ein einflussreiches wissenschaftliches Werk
Wer auch immer sich mit der quantitativen Analyse von Nachfragesystemen, der makroökonomischen Konsumnachfrage oder aber Wohlfahrts- und Verteilungsanalysen auf Haushaltsdatenbasis beschäftigt, kommt nicht umhin, die von Angus Deaton zu diesen jeweiligen Gebieten verfassten Artikel zur Kenntnis zu nehmen. Viele dieser Arbeiten haben Maßstäbe gesetzt. Seine Monografien zur Konsumnachfrage ebenso wie zur Analyse von Haushaltsbefragungen sind Standardwerke.22 Zwar mögen insbesondere die im Rahmen des „International Comparison Project“ entstandenen Arbeiten zur internationalen Vergleichbarkeit der Daten zur Armuts- und Wohlfahrtsmessung mitunter ein wenig spröde erscheinen, da sie sehr detailliert Vor- und Nachteile verschiedener Messkonzepte erörtern. Jedoch zeigt Angus Deaton dabei auch immer wieder eindringlich, wie wichtig diese Arbeit ist. Schließlich basiert unsere Einschätzung darüber, welches Ausmaß die Armut in der Welt hat und mit welchen Maßnahmen diese zu bekämpfen ist, notwendigerweise auf solchem Datenmaterial.
- 1 Zudem gilt für solchermaßen hergeleitete Nachfragefunktionen, dass sich die Ausgabenanteile der Güter auf Eins addieren und die Slutsky-Matrix negativ semidefinit ist.
- 2 R. Stone: Linear Expenditure Systems and Demand Analysis: An Application to the Pattern of British Demand, in: Economic Journal, 65. Jg. (1954), Nr. 255, S. 511-527.
- 3 Vgl. A. Deaton: The Analysis of Consumer Demand in the United Kingdom, 1900-1970, in: Econometrica, 42. Jg. (1974), Nr. 2, S. 314-367;
A. Deaton: A Reconsideration of the Empirical Implications of Additive Preferences, in: Economic Journal, 84. Jg. (1974), Nr. 3, S. 338-348. - 4 A. Deaton, J. Muellbauer: An Almost Ideal Demand System, in: American Economic Review, 70. Jg. (1980), Nr. 3, S. 312-326. Eine einführende Darstellung findet sich in A. Deaton, J. Muellbauer: Economics and Consumer Behavior, Cambridge 1980.
- 5 Ebenda, S. 78.
- 6 Milton Friedman erhielt den Nobelpreis 1976 „for his achievements in the fields of consumption analysis, monetary history and theory and for his demonstration of the complexity of stabilization policy“. Zu seiner permanenten Einkommenshypothese vgl. M. Friedman: A Theory of the Consumption Function, Princeton 1956. Franco Modigliani wurde 1985 „for his pioneering analyses of saving and of financial market“ mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Zu seiner Lebenszyklustheorie des Konsums vgl. F. Modigliani: The Life Cycle Hypothesis of Saving, the Demand for Wealth and the Supply of Capital, in: Social Research, 33. Jg. (1966), Nr. 2, S. 160-217. Robert Lucas erhielt den Nobelpreis 1995 „for having developed and applied the hypothesis of rational expectations, and thereby having transformed macroeconomic analysis and deepened our understanding of economic policy“.
- 7 Ein Martingal ist ein stochastischer Prozess, bei dem der bedingte Erwartungswert einer zukünftigen Beobachtung dem zuletzt beobachteten Wert entspricht.
- 8 R. Hall: Stochastic Implications of the Life Cycle - Permanent Income Hypothesis: Theory and Evidence, in: Journal of Political Economy, 86. Jg. (1978), S. 971-987.
- 9 Vgl. A. Blinder, A. Deaton: The Time Series Consumption Function Revisited, in: Brookings Papers on Economic Activity, 16. Jg. (1985), Nr. 2, S. 465-521.
- 10 Vgl. M. Flavin: The Adjustment of Consumption to Changing Expectations About Future Income, in: Journal of Political Economy, 89. Jg. (1981), Nr. 5, S. 974-1009; J. Y. Campbell, N. G. Mankiw: Permanent Income, Current Income, and Consumption, in: Journal of Business and Economics Statistics, 8. Jg. (1990), Nr. 3, S. 265-279.
- 11 Vgl. hierzu: A. Deaton: Life-Cycle Models of Consumption: Is the Evidence Consistent with the Theory?, in: T. Bewley (Hrsg.): Advances in Econometrics, Vol. II, North-Holland, Amsterdam 1987; und J. Y. Campbell, A. Deaton: Why is Consumption so Smooth?, in: Review of Economic Studies, 56. Jg. (1989), Nr. 3, S. 357-373.
- 12 A. Deaton: Saving and Liquidity Constraints, in: Econometrica, 59. Jg. (1991), Nr. 5, S. 1221-1248.
- 13 A. Deaton, C. Paxson: Intertemporal Choice and Inequality, in: Journal of Political Economy, 102. Jg. (1994), Nr. 3, S. 437-467.
- 14 Vgl. hierzu J. Heathcote, K. Storesletten, G. Violante: Quantitative Macroeconomics with Heterogeneous Households, in: Annual Review of Economics, 1. Jg. (2009), Nr. 1, S. 319-354; oder F. Guvenen: Macroeconomics with Heterogeneity: A Practical Guide, in: Economic Quarterly, 97. Jg. (2011), Nr. 3, S. 255-326.
- 15 A. Deaton: The Analysis of Household Surveys: A Microeconometric Approach to Development Policy, Baltimore 1997.
- 16 Vgl. A. Deaton: Measuring Poverty in a Growing World (or Measuring Growth in a Poor World), in: Review of Economics and Statistics, 87. Jg. (2005), Nr. 1, S. 1-19.
- 17 A. Deaton, J. Muellbauer: On Measuring Child Costs: With Applications to Poor Countries, in: Journal of Political Economy, 94. Jg. (1986), Nr. 4, S. 720-744.
- 18 S. Subramanian, A. Deaton: The Demand for Food and Calories, in: Journal of Political Economy, 104. Jg. (1996), Nr. 1, S. 133-162.
- 19 A. Deaton: Measuring Poverty in a Growing World ..., a.a.O.
- 20 A. Deaton: Price Indexes, Inequality, and the Measurement of World Poverty, in: American Economic Review, 100. Jg. (2010), Nr. 1, S. 5-34.
- 21 Ebenda.
- 22 A. Deaton, J. Muellbauer: Economics and Consumer Behavior ..., a.a.O.; A. Deaton: Understanding Consumption, Oxford 1992; A. Deaton: The Analysis of Household Surveys ..., a.a.O.