Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Am 22. Januar 2015 hat die Europäische Zentralbank ein Programm zum erweiterten Ankauf von Staatsanleihen beschlossen. Diese Maßnahme wurde in Wissenschaft und Öffentlichkeit heftig und mit unterschiedlichen Argumenten kritisiert. Der Autor zeigt, dass eine geldpolitische Argumentation, wonach Anleihenkäufe derzeit nicht erforderlich sind, nicht mit einer Argumentation zusammenpasst, die das Instrument grundsätzlich ablehnt. Die Argumentation wird erst konsistent, wenn ihr geldtheoretischer Kern offengelegt wird, der ein geldpolitisches Laissez-faire bei niedrigen Inflationsraten nahelegt. Diese Sichtweise erhielt aber am 22. Januar keine Mehrheit.

Am 22. Januar 2015 verkündete die Europäische Zentralbank (EZB) das „erweiterte Ankaufprogramm für Vermögenswerte“, das den Kauf von Staatsanleihen beinhaltet. Bundesbankpräsident Jens Weidmann stimmte gegen das Programm. Wie stimmig sind seine Argumente? Schon im Vorfeld der Entscheidung gab es dazu eine intensive Debatte.1 Angestoßen wurde sie von Martin Hellwig, der den Bundesbankpräsidenten für seine Argumentation (ausdrücklich nicht für seine Position) gegen den Kauf von Staatsanleihen kritisiert. Vor allem Otmar Issing, aber auch Manfred J. M. Neumann widersprachen dieser Kritik vehement. Schließlich erläuterte Olaf Sievert in differenzierter Weise, wie sowohl die EZB-Entscheidung vom 22. Januar als auch das Nein des Bundesbankpräsidenten jenseits der offiziellen Positionen gedeutet werden können, während Norbert Berthold die EZB-Entscheidung grundsätzlich hinterfragte.

Dieser Beitrag greift die Debatte auf und führt sie weiter. Das Ergebnis lautet, dass die Kritik an der Argumentation des Bundesbankpräsidenten berechtigt ist. Die Argumentation vermengt zwei Ebenen, die nicht zusammenpassen: die geldpolitische Ebene, wonach Staatsanleihenkäufe derzeit nicht erforderlich sind, um das Ziel Preisstabilität zu erreichen, mit einer prinzipiellen Ebene, die das Instrument Staatsanleihenkäufe aus diversen Gründen grundsätzlich infrage stellt. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie von Weidmann ausgeführt – es Notfälle geben kann,2 die den Einsatz des Instruments rechtfertigen. Die Argumentation wird allerdings konsistent, wenn ihr geldtheoretischer Kern, den man als „Hayek light“ bezeichnen kann, offengelegt wird. Die geldpolitischen Implikationen dieser Theorie erhielten im EZB-Rat, wie schon in den Entscheidungsgremien der Federal Reserve oder der Bank of England, aber keine Mehrheit. Indem er die beiden Ebenen vermengt, versucht Weidmann, seine geldtheoretischen Vorstellungen zu untermauern, weil die Besonderheiten der Währungsunion die sich aus „Hayek light“ ergebenden geldpolitischen Schlussfolgerungen unterstützen. Genau deshalb sind die Argumente gefährlich, weil sie nahelegen, dass die Währungsverfassung des Euro quasi auf der Hayekianischen Geldtheorie aufbaut und eine entsprechende Geldpolitik verlangt. Das ist aber nicht der Fall. Die Euro-Währungsverfassung gibt der Geldpolitik keine Theorie, sondern ein Ziel vor: Preisstabilität.

Steht der Einsatz geldpolitischer Instrumente unter einem fiskalischen Vorbehalt?

Im Mittelpunkt der Debatte, die Hellwig auslöste, steht die Frage, ob fiskalische Risiken, die sich aus dem Einsatz eines geldpolitischen Instruments ergeben, ein Grund sein dürfen, dieses nicht anzuwenden, selbst wenn sein Einsatz dafür notwendig ist, Preisstabilität zu erreichen. Weidmann hat diese Risiken zu einem Hauptargument gegen die EZB-Staatsanleihenkäufe gemacht, und dies wird von Hellwig aus zwei Gründen als gefährlich gekennzeichnet:

  1. Das Für und Wider des Einsatzes geldpolitischer Instrumente sollte sich aus der Verletzung des geldpolitischen Ziels bzw. der Möglichkeit, das Ziel wieder zu erreichen, ergeben.
  2. Der Verweis auf etwaige fiskalische Risiken des Ankaufs von Staatsanleihen stellt die Ausübung von Geldpolitik unter einen fiskalpolitisch motivierten Vorbehalt. Dies ist höchst problematisch, weil jedes geldpolitische Instrument (mehr oder weniger) fiskalpolitische Implikationen hat und daher – Weidmanns Argument konsequent zu Ende gedacht – Geldpolitik gar nicht mehr unabhängig, d.h. ohne Zustimmung von Parlament und Regierung durchgeführt werden könnte. Der Bundesbankpräsident hätte daher seine Ablehnung der Staatsanleihenkäufe allein geldpolitisch begründen sollen (und – das scheint Hellwigs Auffassung zu sein – auch begründen können). Mit der Fokussierung auf die fiskalischen Risiken öffnet der Bundesbankpräsident dagegen für jene eine Flanke, die eine unabhängige Zentralbank für eine schlechte Idee halten. Issing widerspricht Hellwig nachdrücklich, indem er den Verweis auf mögliche fiskalische Konsequenzen des Einsatzes (aus seiner Sicht: umstrittener) geldpolitischer Instrumente zur „Pflicht eines verantwortungsvollen Notenbankers“ erklärt. Fiskalische Risiken anzusprechen habe – so Issing – „nichts mit Auslieferung der Geldpolitik an fiskalische Interessen zu tun“. Vor allem bleibe unstrittig, dass das Ziel der Geldpolitik die Erhaltung von Preisstabilität sei.

1986 versus 2015: ein Gedankenexperiment zur Klärung des Disputs

Worum geht es in dem Disput? Angenommen, die ökonomische und monetäre Entwicklung in der Eurozone ist so, wie sie sich am 22. Januar darstellte, nur der Leitzins stünde nicht bei 0,05%, sondern bei 4%. Das war der Bundesbankleitzins, der Anfang 1986 herrschte, als in Deutschland die Inflationsrate die Nullgrenze erreichte und dann für mehrere Monate unterschritt. Als fiktives Beispiel sei angenommen: Das EZB-Direktorium schlägt für die Sitzung am 22. Januar eine Senkung um 50 Basispunkte vor. Die Antwort auf die Frage, wie Jens Weidmann abgestimmt hätte, erlaubt es, den Kern der Meinungsverschiedenheit zwischen Hellwig und Issing aufzudecken.

Wenn Jens Weidmann für eine Zinssenkung gestimmt hätte, würde dies dafür sprechen, dass seine Position nicht rein geldpolitisch motiviert war. Obwohl ein expansiver monetärer Impuls angezeigt ist, wird dieser abgelehnt, weil das Zinsinstrument nicht mehr zur Verfügung steht. Eine solche Position lässt sich aus drei Perspektiven rechtfertigen:

1. Staatsanleihenkäufe sind kein legitimes geldpolitisches Instrument. Diese Position wird gerade in Deutschland oft vertreten. Allerdings wird sie vom Bundesbankpräsidenten nicht geteilt. Im EZB-Rat herrschte daher auch Einigkeit darüber, dass die beschlossenen Staatsanleihenkäufe ein legitimes geldpolitisches Instrument sind. Es handelt sich also um keine Grenzüberschreitung zur Fiskalpolitik. Damit ist im Vergleich zum 2012 beschlossenen Outright-Monetary-Transactions-Programm, das Weidmann bekannterweise als ein nicht legitimes geldpolitisches Instrument ansieht, eine andere Situation gegeben.

2. Staatsanleihenkäufe sind ein wirkungsloses Instrument, d.h. sie leisten keinen Beitrag, Preisstabilität auf die mittlere Frist zu sichern. Einige Äußerungen des Bundesbankpräsidenten lassen sich dahingehend interpretieren, dass er an der Wirksamkeit des Instruments zweifelt.3 Allerdings deutet er an, dass er den Einsatz des Instruments mittragen könnte, wenn sich eine Deflationsspirale, die es derzeit nicht gibt, abzeichnen würde. Da in einer solchen Spirale die geldpolitischen Wirkungen des Instruments – wenn überhaupt – weiter abnehmen, wäre es aber inkonsistent, jetzt Staatsanleihenkäufe als unwirksam anzusehen. Entsprechend dürfte Weidmann diese Position nicht vertreten.

3. Die negativen Nebenwirkungen von Staatsanleihenkäufen sind zu groß. Dies ist die zentrale Botschaft, mit der der Bundesbankpräsident sein Nein am 22. Januar begründet. Folglich muss die Gefährdung des Ziels Preisstabilität massiv sein, wie z.B. in einer Deflationsspirale, um dem Einsatz dieses Instruments zuzustimmen. Die fiskalischen Risiken, die sich beim Einsatz des Instruments einstellen, spielen dabei die zentrale, aber nicht die einzige Rolle.4 Klar ist jedoch, dass diese Begründung auf den von Hellwig kritisierten Zusammenhang rekurriert: eine legitime geldpolitische Maßnahme wird nicht (nur) danach beurteilt, ob sie zur Zielerreichung beiträgt, sondern welche fiskalischen Risiken sie birgt, konkret: wie sie die Gewinnausschüttung der Zentralbank an den Staatshaushalt beeinflussen könnte. Damit wird das Ziel Preisstabilität unter einen Vorbehalt gestellt, was weder dem Maastrichter Vertrag noch der Bundesbanktradition entspricht.5 So nahm die Bundesbank auf die fiskalischen Implikationen ihres strammen Restriktionskurses 1981/1982 oder 1992 ebenso wenig Rücksicht wie auf mögliche Auswirkungen auf Arbeits- oder Finanzmärkte. Das Gleiche gilt für die Liquiditätsbereitstellung an die Hypo Real Estate im Herbst 2008. Auch hier spielten mögliche Risiken keine Rolle. Das Ziel Preisstabilität hatte absolute Priorität.6

Geldpolitische Argumente gegen die EZB-Staatsanleihenkäufe …

Nun wissen wir aber gar nicht, wie der Bundesbankpräsident in unserem fiktiven Beispiel abgestimmt hätte. Es dient ja auch nur dem Zweck, eine ausschließlich geldpolitische Motivation des Negativvotums vom 22. Januar zu erzwingen, weil das Zinsinstrument zur Verfügung und damit der Staatsanleihenkauf gar nicht zur Debatte steht. Der Bundesbankpräsident nennt eine Reihe von Argumenten, die – völlig unabhängig vom Instrument – ein Nein gegen die am 22. Januar beschlossenen Staatsanleihenkäufe rechtfertigen:7

1. Die niedrige Inflation (Deflation) ist ein kurzfristiges Unterschießen des Ziels. Es gibt daher keinen geldpolitischen Handlungsbedarf, nicht zuletzt weil der Rückgang der Inflationsrate maßgeblich von fallenden Ölpreisen bestimmt wird.

2. Der Rückgang der Ölpreise selbst stellt ein massives Konjunkturprogramm dar, quasi das Äquivalent einer erheblichen fiskalpolitischen Expansion, so dass von einer Belebung der Nachfrage und damit einer Normalisierung der Inflationsentwicklung auch ohne weiteres Zutun der Geldpolitik auszugehen ist.

3. Es gibt vorsichtige Erholungszeichen bei Geldmengen- und Kreditwachstum sowie bei einigen realwirtschaftlichen Indikatoren, z.B. der Arbeitslosigkeit.

4. Der Rückgang der Inflationsrate spiegelt vor allem deflationäre Entwicklungen in den Krisenländern wider, ist also Teil des gewünschten Anpassungsprozesses. Insofern besteht kein geldpolitischer Handlungsbedarf.

Diese Argumente haben Gewicht. Zudem verdeutlichen sie, dass die Entscheidung vom 22. Januar sich allein deshalb als falsch erweisen kann, weil die Ratsmehrheit die weitere Inflationsentwicklung falsch eingeschätzt hat. Allerdings widersprechen sie für sich genommen der Aufgeregtheit, mit der Medien und Ökonomen die EZB-Entscheidung kommentiert haben. Denn sie implizieren, dass es sich bei der Diskussion im Rat um einen Dissens über das richtige Timing einer geldpolitischen Maßnahme gehandelt hat.

… werden von fiskalischen und anderen Argumenten ergänzt

Der Bundesbankpräsident begründet seine Ablehnung aber eben auch mit den negativen Nebenwirkungen von Staatsanleihenkäufen. Damit sollen die geldpolitischen Argumente in ihrer Bedeutung zurückgestuft werden, die aus Sicht der Ratsmehrheit für einen weiteren expansiven Impuls sprechen: die anhaltende Stagnation in der Eurozone, die nach wie vor schwache Kredit- und Geldmengenentwicklung, sowie der Rückgang der Inflationserwartungen. Die Besonderheit des Instrumenteneinsatzes in den Vordergrund zu rücken, dient auch dem Zweck, die eigene Position aufrechterhalten zu können, wenn sich die geldpolitische Argumentation als falsch herausstellen sollte. Denn klar ist: selbst ohne Deflationsspirale muss eine weitere lange Periode von Inflationsraten, die deutlich unter „knapp unter 2%“ liegen, als Zielverfehlung gewertet werden. Irgendwann hört die „kurze Frist“ auf, und es beginnt die mittlere Frist, die Kernbestandteil der EZB-Definition von Preisstabilität ist.

Inflationsrisiken der EZB-Staatsanleihenkäufe …

Es gibt jedoch eine weitere Erklärung – Sievert nutzt das Wort „Deutung“ –, warum Weidmann seine geldpolitischen Argumente gegen Staatsanleihenkäufe weniger stark betont als die Hinweise auf fiskalische und andere Risiken des Instruments. Sie lautet: Die Nebenwirkungen der Staatsanleihenkäufe sind in Wirklichkeit ein geldpolitisches Argument gegen das Instrument. Denn zwar nicht heute oder morgen, aber übermorgen wird der Staatsanleihenkauf in die Inflation führen, z.B. über den Vertrauensverlust, der sich gerade dann ergeben würde, wenn jene fiskalischen Risiken Realität werden sollten, die Weidmann hervorhebt. Wie Hellwig zu argumentieren,8 dass Verluste der Zentralbank aufgrund von Ausfällen bei ihren Schuldnern fiskalpolitisch – mit Ausnahme einer Gewinnausschüttung von Null – irrelevant sind, weil Geld eine Verbindlichkeit ohne Verpflichtung darstellt, ignoriert in geradezu eklatanter Weise das Inflationsrisiko der Staatsanleihenkäufe.9 Staatsanleihenkäufe wirken also letztendlich immer inflationär und verstoßen daher per Definition gegen das Fundament einer auf Stabilität ausgerichteten geldpolitischen Ordnung.10

Reden und Interviews aus den vergangenen Jahren lassen kaum einen anderen Schluss zu als, dass der Bundesbankpräsident diese Auffassung im Kern teilt. In der Debatte vor dem 22. Januar wird sie auch vertreten,11 spielt aber im Vergleich zu den fiskalischen Risiken eine untergeordnete Rolle. Nach 15 Jahren Zielerreichung und bei einer Inflationsrate von Null wirkt eine Warnung vor fundamentalen Inflationsrisiken, vielleicht mit Ausnahme von Deutschland, auch etwas bizarr. Erfahrungen in anderen westlichen Ländern, in denen ebenfalls Staatsanleihenkäufe im großen Stil vorgenommen wurden, zeigen zudem, dass eine inflationäre Entwicklung (bisher) ausblieb und die Geldordnung weiterhin fest verankert ist. Zum anderen wissen Zentralbanken, wie man Inflation, die sich mit Sicherheit irgendwann wieder einstellen wird, bekämpft: mit Zinserhöhungen.

Nach der EZB-Entscheidung, bei der eine Form der Staatsanleihenkäufe beschlossen wurde, die die Verteilung der fiskalischen Risiken in bestimmter Weise begrenzen soll und damit Weidmanns Bedenken Rechnung trägt,12 rückt das Inflationsargument jedoch wieder stärker in den Vordergrund. Denn mit den Staatsanleihenkäufen „könnte der politische Druck auf uns steigen, die Zinslast der Finanzminister dauerhaft niedrig zu halten. … Wir müssen uns aber auf unsere Kernaufgabe konzentrieren: mittelfristig für stabile Preise zu sorgen. Das wird dann herausfordernd, wenn die Zinsen wieder erhöht werden müssen.“13 Konkret: Die EZB ist zwar trotz der Käufe immer noch technisch in der Lage, bei einer inflationären Entwicklung in der Zukunft den Zins angemessen zu erhöhen, um ihr Ziel zu erreichen, aber sie wird nicht mehr den Willen dazu haben. Denn sie hat sich nun in die „babylonische Gefangenschaft“14 der (Fiskal-)Politik begeben, und damit ihre Unabhängigkeit, die Grundvoraussetzung für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik, aufgegeben. Der Bundesbankpräsident drückt es weniger drastisch aus, meint aber das Gleiche: Indem die Zentralbank der größte Gläubiger des Staates wird, gerät die Unabhängigkeit der Notenbank in Gefahr, weil sie fiskalisch dominiert zu werden droht.15

… ausgelöst durch die Vermengung von Geld- und Fiskalpolitik …

In den USA haben Präsidenten regionaler Zentralbanken diese Argumentationskette benutzt, um sich ebenfalls gegen Quantitative Easing und andere unkonventionelle expansive Maßnahmen auszusprechen.16 Sie wurden jedoch von einer großen Mehrheit im Federal Open Market Committee (FOMC) überstimmt. Denn diese Auffassung impliziert, dass die Geldpolitik, sofern die Nullzinsgrenze erreicht ist, automatisch in einen „Winterschlaf“17 versetzt wird, weil dann jede expansive geldpolitische Maßnahme fiskalische Implikationen aufweist. Mit diesem Argument eine expansivere Geldpolitik abzulehnen, die das Ziel verfolgt, Preisstabilität zu gewährleisten, läuft zudem auf die Quadratur des Kreises hinaus: die Politik hat die EZB unabhängig gemacht, um Preisstabilität zu garantieren; aber um die Unabhängigkeit zu erhalten, ist es notwendig, eine Verfehlung des Mandats hinzunehmen.18

Das Beispiel der USA zeigt auch, dass das Argument von der Fiskaldominanz auf empirisch wackeligen Beinen steht. Denn die – im Vergleich zu Deutschland – höheren Inflationsraten in den USA der 1960er und 1970er Jahre resultierten nicht aus einem irgendwie gearteten Druck der Regierung auf die Notenbank, Zinserhöhungen aus fiskalischen Gründen zu vermeiden, sondern aus der Auffassung der damals geldpolitisch Verantwortlichen, dass ein restriktiverer Kurs die Inflation nicht wirkungsvoll bekämpfen würde, bzw. zu große negative Nebenwirkungen auf andere wirtschaftspolitische Ziele, vor allem Wachstum und Beschäftigung, haben würde.19 Es waren sozusagen spiegelbildlich verkehrt die gleichen Argumente, die der Bundesbankpräsident derzeit nutzt, die die Federal Reserve bis Ende 1979 daran hinderten, strikt gegen die Inflation vorzugehen.20 Wer immer die geldpolitischen Tauben im EZB-Rat in der Zukunft sein werden; sie werden sich auf eine Reihe von Argumenten der jetzigen EZB-Kritiker berufen können, um trotz einer Inflationsrate von 4% p.a. einen restriktiveren Kurs abzulehnen und dafür zu plädieren, durch die Periode kurzfristig überschießender Inflationsraten hindurchzuschauen.

… können in einer Währungsunion wie der Eurozone verhängnisvoll sein

Der Bundesbankpräsident verweist daher auf das besondere Verhältnis zwischen Geld- und Fiskalpolitik in der Europäischen Währungsunion, die keinem Bundesstaat entspricht. „Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir eine gemeinsame Währung teilen, aber jedes Land getrennt für seine Staatsverschuldung haftet – weil auch über die Finanz- und Haushaltspolitik getrennt entschieden wird.“21 Schon die Rettungsprogramme untergraben dieses „Konzept der finanzpolitischen Eigenverantwortung und damit die notwendige Grundlage für eine stabile und erfolgreiche Währungsunion.“22 In diesem Kontext sind Staatsanleihenkäufe kein Instrument wie jedes andere, weil sie die auf Stabilität ausgerichtete Währungsverfassung des Euro untergraben, indem sie die Anreize für diszipliniertes fiskalpolitisches Handeln in den Mitgliedstaaten reduzieren. Ohne Fiskaldisziplin der Einzelstaaten lässt sich eine Währungsunion, der kein Bundesstaat gegenübersteht, aber nicht organisieren; genau das war der Grundgedanke von Maastricht. Ohne Disziplin sind Konkurse einzelner Mitgliedstaaten möglich, die direkt oder indirekt – z.B. über die Wirkungen auf die EZB-Bilanz – das Vertrauen in die Währung erschüttern. Die Folge wäre ein Währungsverfall und ein spürbarer Anstieg der Inflationsrate. „Die Bundesregierung, …, müsste dann [wenn die EZB das Vertrauen verliert – Anm. des Verfassers] … schlimmstenfalls sogar den Austritt [aus der Währungsunion – Anm. des Verfassers] erwägen.“23 Es geht bei den Staatsanleihenkäufen also nicht ums Timing, sondern ums Ganze, nämlich um die Währungsverfassung.

Die Argumentation ist stichhaltig. Sie impliziert aber, dass Preisstabilität nur dann uneingeschränkt das primäre Ziel der EZB-Geldpolitik ist, wenn es sich ohne Käufe von Staatsanleihen erreichen lässt. Dies entspräche einer dem Goldstandard ähnlichen Restriktion geldpolitischen Handelns, weil auch damals Preisstabilität nur dann mit der Währungsverfassung kompatibel sein konnte, wenn Golddeckungsvorschrift und Goldparität eingehalten wurden.24 Offensichtlich war und ist genau dies die (implizite) Vorstellung vieler Beobachter und Ökonomen in Deutschland, wie die europäische Währungsunion funktionieren soll(te). Zumindest erklärt dies die Heftigkeit der Reaktion auf den EZB-Beschluss, in der der Präsident der EZB wahlweise als „Politiker im Gewand des Technokraten“ bezeichnet wird, der mit dem Feuer spielt,25 oder schlicht „des Teufels“ ist:26 er versündigt sich an grundlegenden Prinzipien, die allein eine stabile Währung garantieren, nur um seinem Mandat nachzukommen.27

Die Inkonsistenz der Argumentation gegen Staatsanleihenkäufe …

Das Problem der Argumentation ist, dass sie mit den anderen Argumentationssträngen nicht zusammenpasst. Da ist zunächst der eher formale oder rechtliche Aspekt: Sofern Staatsanleihenkäufe ein legitimes geldpolitisches Instrument sind, kann sein Einsatz keinen Verstoß gegen die Währungsverfassung darstellen. Dies wiederum impliziert, dass es den eben konstruierten Vorbehalt im Maastrichter Vertrag nicht gibt.

Inhaltlich ist anzumerken, dass die fundamentalen Überlegungen, die zu einer Ablehnung des Instruments Staatsanleihenkäufe führen, die geldpolitische Argumentation gegen die Maßnahmen vom 22. Januar irrelevant werden lassen. Selbst bei einer Deflationsspirale dürfte das Instrument nicht zum Einsatz kommen. Zwar würde dann die EZB ihr Mandat offensichtlich verfehlen; diese Mandatsverfehlung ist jedoch unerheblich, wenn – wie impliziert – der Verzicht auf dieses Instrument ein Kernbestandteil der Währungsverfassung ist.

Zusammenfassend: eine Argumentation, die Staatsanleihenkäufe als derzeit nicht notwendig angezeigt, im Notfall aber durchaus erwägenswert und legitim kennzeichnet, ist mit einer Auffassung inkompatibel, die de facto dem Verbot von Staatsanleihenkäufen konstitutiven Charakter für die Währungsunion einräumt.

… löst sich bei Einbeziehung geldtheoretischer Vorstellungen auf

Es muss einen Grund dafür geben, dass der Bundesbankpräsident diese Argumentationsebenen miteinander vermengt. Dieser Grund muss geldtheoretischer Natur sein, weil Jens Weidmann, wäre er Mitglied des FOMC gewesen, Quantitative Easing wohl ebenso abgelehnt hätte, wie er die Staatsanleihenkäufe der EZB abgelehnt hat. Dass die USA ein Bundesstaat sind und daher das Währungsverfassungsargument ausfällt, hätte zu keinem anderen Abstimmungsverhalten geführt.28 Er hätte sie abgelehnt, weil er – wie die Minderheitsmeinung im FOMC – geldtheoretischen Grundüberzeugungen anhängt, die in den 1920er und 1930er Jahren dominierten und den geldpolitischen Attentismus in der Großen Depression begründeten. Etwas verkürzt kann man von „Hayek light“ sprechen.29 Hayek steht für den Kern der Theorie, wonach ein Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage kein von der Geldpolitik zu bekämpfendes Problem darstellt, weil es einen solchen Mangel gar nicht geben kann. Folglich gibt es nur Strukturprobleme, die sich aber nicht mit „Geld drucken“ beheben lassen.30 Das „light“ steht für den anscheinend auch von Hayek eingeräumten Sonderfall der Deflationsspirale, der eine kräftige geldpolitische Reaktion erfordert. Sieht man aber von diesem Sonderfall ab, sollte die Geldpolitik spätestens bei Erreichen der Nullzinsgrenze und dem Ausschöpfen von Instrumenten, die beim Bankensektor ansetzen,31 tatsächlich in den „Winterschlaf“ verfallen.

Diese Position vertritt der Bundesbankpräsident schon seit langem, was sich in der oft geäußerten Warnung vor einer Überforderung der Geldpolitik widerspiegelt. Deshalb stand er der expansiven Geldpolitik skeptisch gegenüber. Zudem hielt er diese Politik für unnötig, weil er in den schon seit geraumer Zeit sehr niedrigen Inflationsraten kein wirtschaftspolitisches Problem erkannte. Umgekehrt löst die expansive Geldpolitik keines der relevanten wirtschaftspolitischen Probleme. Dass er sich nur selten offensiv gegen diese Politik aussprach,32 lag wohl vor allem daran, dass die geldpolitischen Instrumente, die vor dem 22. Januar eingesetzt wurden, noch vergleichsweise „normal“ waren bzw. noch beherrschbare negative Nebenwirkungen aufwiesen.

Dies ist bei Staatsanleihenkäufen anders. Daher ist es nun völlig konsistent, diese Nebenwirkungen als zentrale Argumente zu nutzen, um ein Nein zu begründen. Die Argumentationskette unter „Hayek light“ lautet daher wie folgt:

1. Sofern keine Deflationsspirale absehbar ist, bedarf es eigentlich keiner geldpolitischen Bekämpfung niedriger Inflationsraten bzw. leichter Deflation.

2. Solange eine solche Bekämpfung jedoch mit dem Zinsinstrument und unkonventionellen Maßnahmen für den Bankensektor erfolgt, kann sie toleriert werden.

3. Beim Kauf von Staatsanleihen sind die Nebenwirkungen so massiv, dass der geldpolitischen Schlussfolgerung der Theorie Folge zu leisten ist: nichts tun.

4. Ein Ankauf von Staatsanleihen ist nur sinnvoll, wenn es notwendig sein sollte, eine Deflationsspirale zu bekämpfen.

So konsistent diese Argumentation ist: Sie widerspricht der Vorstellung von einem unkonditionierten Ziel der Geldpolitik, so wie es bisher verstanden wurde. Es wird nämlich durch zwei konditionierte geldpolitische Ziele ersetzt: Steht das Zinsinstrument zur Verfügung, lautet es Preisstabilität, wie sie der EZB-Rat definiert hat. Steht es nicht mehr zur Verfügung, bzw. sind unkonventionelle Maßnahmen, die am Bankensektor ansetzen, ausgeschöpft, lautet das Ziel: Vermeidung einer Deflationsspirale.

„Hayek light“ steht die Sichtweise von Fisher, Keynes und Friedman gegenüber, dass Nachfragemangel ein gesamtwirtschaftliches Problem darstellt, das bekämpft werden muss, um Schaden von der Volkswirtschaft abzuwenden.33 Dieser Nachfragemangel spiegelt sich in einer zu niedrigen Inflationsrate, in einer Verletzung des Ziels Preisstabilität wider. Um sowohl Nachfragemangel als auch eine exzessive Nachfrage – und damit Inflation – effizient zu bekämpfen, wurden Notenbanken unabhängig gemacht, damit sie Preisstabilität unter Einsatz aller ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente erreichen können. Geldpolitik war daher noch nie etwas anderes als Nachfragepolitik34 und niemals Strukturpolitik. Deshalb stimmen praktisch alle Ökonomen dem Satz zu, dass „Geld drucken“ keine Strukturprobleme löst. Aber viele Ökonomen würden behaupten, dass keine noch so intensiv und konsequent durchgeführte Reformpolitik etwas am Nachfragemangel ändert.35 Das kann nur die Geldpolitik, weil (und wenn) Inflation in der mittleren und langen Frist ein monetäres Phänomen ist, wie gerade die Bundesbank und die große Mehrheit der deutschen Ökonomen seit Jahrzehnten betont haben. Dies bedeutet aber, dass mit Bezug auf die Erreichung des Ziels Preisstabilität die Geldpolitik nie überfordert sein kann.36 Entsprechend muss sie handeln, wenn dieses Ziel verletzt ist, sei es von oben, oder von unten.37

Normalerweise leiten sich aus „Hayek light“ und der Fisher/Keynes/Friedman-Theorie keine nennenswerten geldpolitischen Unterschiede ab.38 In der Krise – mit Inflationsraten nahe Null und dem Erreichen der Nullzinsgrenze – brechen die theoretischen Unterschiede jedoch auf und führen zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen in den Entscheidungsgremien westlicher Notenbanken. Es geht also wirklich nicht (nur) ums Timing, sondern ums Ganze, weil die theoretischen Unterschiede fundamental sind. Dabei hat sich in den letzten Jahren in den USA und in Großbritannien die Fisher/Keynes/Friedman-Fraktion durchgesetzt. Die EZB folgt nun diesem Beispiel. Nur: mit Währungsverfassung und fiskalischen Risiken hat dies alles nichts zu tun. Entsprechend unaufgeregt wird in anderen westlichen Ländern dieser geldpolitische Disput außerhalb eines Fachpublikums aufgenommen.

Geldpolitische Grundsatzdebatte ist hilfreich, wenn auf gefährliche Argumente verzichtet wird

Der EZB-Rat kann und muss diese grundsätzlichen geldtheoretischen Kontroversen aushalten können.39 Daher ist Sievert zuzustimmen, dass es angesichts der Volumina, um die es bei der Entscheidung am 22. Januar ging, unbefriedigend gewesen wäre, „wenn die EZB zu verkünden gehabt hätte: Alle Argumente des Für und Wider sind ausdiskutiert worden, und am Ende gab es eine einstimmige Entscheidung dafür.“ Allerdings bleiben der Öffentlichkeit die theoretischen Unterschiede, die dieser Kontroverse zugrunde liegen, weitgehend verborgen. Sie kann daher gar nicht einschätzen, dass die Besonderheiten der Eurozone, also z.B. die Umverteilung fiskalischer Risiken sowie die Tatsache, dass der EZB kein Bundesstaat gegenüber steht, nur dann von geldpolitischer Relevanz sind, wenn man der „Hayek light“-Theorie den Vorzug gibt. Für die Fisher/Keynes/Friedman-Sicht sind sie dagegen irrelevant, solange sich daraus keine rechtlich bindenden Einschränkungen bei der Instrumentenwahl ergeben. Denn ökonomisch ist die EZB trotz der nicht zu bestreitenden Besonderheiten der Eurozone eine ganz normale Zentralbank,40 weil Ziele, Instrumente und Transmissionskanäle der Geldpolitik sich nicht grundsätzlich von denen der Federal Reserve und der Bank of England unterscheiden, schon gar nicht aufgrund dieser Besonderheiten.41

Eine Währungsverfassung schreibt keine theoretische Position zur Geldpolitik vor, sondern legt Ziele und Instrumente fest, die die Geldpolitik verfolgen soll bzw. nutzen kann. Preisstabilität ist das Ziel der EZB, Staatsanleihenkäufe sind ein legitimes Instrument, es zu erreichen. Innerhalb dieser Währungsverfassung sind die geldpolitisch Verantwortlichen dazu aufgerufen, Meinungen auszutauschen und dann zu handeln. Der Bundesbankpräsident setzt sich dafür ein, dass die EZB den geldpolitischen Implikationen von „Hayek light“ folgen soll. In diesem theoretischen Setting spielen die negativen Nebenwirkungen des Instrumenteneinsatzes eine große Rolle, weil der mit diesen Instrumenten möglich werdenden expansiven Geldpolitik keine positiven Effekte gegenüberstehen. Nur: Dies gilt nur für diese Theorie. Insofern ist die Argumentation gegen Staatsanleihenkäufe gefährlich, wenn die Zusatzargumente, die die Besonderheiten der Eurozone ins Spiel bringen, losgelöst von der geldtheoretischen Position präsentiert werden. Sie müssen dann nämlich fast zwangsläufig als Hinweis dahingehend verstanden werden, dass wir auf dem Weg in die „italienische Währungsunion“ sind – so eine Frage der Journalisten an Weidmann42 – , oder dass in der EZB von der Bundesbank nichts mehr übrig ist, obwohl aus einer Friedman-Sicht das Gegenteil formuliert werden kann.

Direkt mit solchen Fragen konfrontiert, verweist der Bundesbankpräsident dann auch auf eine „legitime geldpolitische Diskussion“, die im EZB-Rat geführt wird. Das heißt aber, dass alle EZB-Ratsmitglieder ihre Positionen allein geldpolitisch begründen, sich also weder rechtswidrig verhalten noch an vermeintlichen Interessen ihrer Staaten und Banken orientieren. Entsprechend wurde am 22. Januar keine Währungsverfassung ausgehebelt oder die Unabhängigkeit der EZB zur Disposition gestellt, sondern eine geldpolitische Position, die der Bundesbankpräsident nicht teilt, erhielt die Mehrheit der Stimmen. Diese Mehrheitsposition ist dem Mandat der EZB verpflichtet: Preisstabilität bleibt der Maßstab, an dem sich die EZB weiterhin messen lassen muss. Es gibt daher keinen Grund, den stabilitätsorientierten Charakter der Währungsunion infrage zu stellen. Im Übrigen wird, wie bisher, die Zukunft zeigen, welche Theorie richtig ist.



Ich danke Martin Hellwig für hilfreiche Anmerkungen zu einer früheren Version des Beitrags.

  • 1 Vgl. M. Hellwig: Jens Weidmanns gefährliche Argumente, 19.1.2015, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=16258 (1.2.2015); O. Issing: Die klugen Argumente des Jens Weidmann, 20.1.2015, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=16252 (1.2.2015); M. Hellwig: Replik auf Otmar Issing, 21.1.2015, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=16263 (1.2.2015); O. Issing: Der Kern der Meinungsverschiedenheit, 21.1.2015, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=16276 (1.2.2015); N. Berthold: Mario Draghi führt die EZB in die babylonische Gefangenschaft der Politik, 22.1.2015, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=16316 (3.2.2015); M. J. M. Neumann: Am Ende haften wir alle, 24.1.2015, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=16349 (3.2.2015); O. Sievert: Ein Einwurf aus Anlass des 22. Januar, 28.1.2015, http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=16390 (3.2.2015).
  • 2 Der Begriff stammt aus den EZB-„Accounts“ der Sitzung, in denen von einem „contingency instrument“ gesprochen wird; vgl. ECB: Account of the monetary policy meeting 21-22 January 2015, http://www.ecb.europa.eu/press/accounts/2015/html/mg150219.en.html (20.2.2015).
  • 3 Vgl. J. Weidmann: Am Ende haften wir alle für die Verluste, Interview in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, vom 28.12.2014.
  • 4 Andere negative Nebenwirkungen des Instruments Staatsanleihenkäufe, die – auch vom Bundesbankpräsidenten – immer wieder genannt werden, sind z.B. Vermögenspreisblasen oder negative Anreizwirkungen auf die Reformbemühungen in den Krisenstaaten.
  • 5 Dies gilt auch für das Argument, dass die Staatsanleihenkäufe die Anreize für Reformbemühungen in den Krisenländern untergraben: „That stance is not consistent with the rule of law, with what I understand to be the principles of a Rechtsstaat. Central bank policy makers … have no right to set their mandate to one side in order to ‚game‘ elected politicians into taking more fundamental actions, however vitally necessary those measures are.“ P. Tucker: The ECB’s QE: The Rule of Law, Democratic Politics and Incomplete Contracts, Intervention at the Moody’s/Peterson Institute Conference, Frankfurt a.M., 5.2.2015, http://www.iie.com/publications/papers/tucker20150205.pdf (16.2.2015). Zudem gibt es negative politikökonomische Implikationen der Zielverfehlung: Wenn die EZB ihr Ziel Preisstabilität verfehlt, kann sie nicht mehr glaubwürdig die Regierungen der Euro-Mitgliedstaaten zur Einhaltung ihrer Zusagen, also strukturelle Reformen, drängen, vgl. P. Praet: Economic developments in the euro area, Speech at the FT Debt Capital Markets Outlook Conference in London, 2015, http://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2015/html/sp150212.en.html (20.2.2015).
  • 6 Es gab Zeiten, als dies anders war. Hellwig nennt das Beispiel der Bankenkrise 1931, als die Reichsbank der Danat-Bank Liquiditätskredite aufgrund von Risikoüberlegungen sowie Restriktionen des Goldstandards verweigerte. Die desaströsen Folgen, auch für die Preisentwicklung, sind bekannt. Es war dieses Desaster, aus der die Länder der westlichen Welt die Konsequenz gezogen haben, ihren Notenbanken das primäre Ziel Preisstabilität zu übertragen, und dieses unabhängig von Risiko- und Wechselkursimplikationen zu erreichen. Vgl. M. Hellwig: Replik auf Otmar Issing ..., a.a.O.
  • 7 Sie werden auch in den „Accounts“ der Sitzung aufgeführt, vgl. ECB, a.a.O. Auch im März 1986 gab es Argumente, die gegen eine Zinssenkung sprachen: Kredit- und Geldmengenwachstumsraten lagen bei soliden 5% bis 6%, das reale Wirtschaftswachstum betrug 2,4%. Nur die Arbeitslosenquote verharrte – ähnlich wie heute – auf hohem Niveau von damals 9%.
  • 8 M. Hellwig: Jens Weidmanns gefährliche Argumente ..., a.a.O.
  • 9 Vgl. M. J. M. Neumann, a.a.O.
  • 10 Diese Argumentationskette wurde auch gegen das Outright-Monetary-Transactions-Programm angeführt; vgl. A. Winkler: The ECB as Lender of Last Resort – Banks versus Governments, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 2015, im Erscheinen.
  • 11 Vgl. J. Weidmann, a.a.O.
  • 12 J. Weidmann: Das Risiko für Übertreibungen steigt, Interview in: Welt am Sonntag, vom 25.1.2015, http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Interviews/2015_01_25_weidmann_welt_am_sonntag.html (20.2.2015).
  • 13 Ders.: Darum haben wir gegen das Billionen-Paket der EZB gestimmt, Interview mit der Bild-Zeitung, vom 24.1.2015, http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Interviews/2015_01_24_weidmann_bild.html (4.2.2015).
  • 14 N. Berthold, a.a.O.
  • 15 J. Weidmann: Heading for stability and prosperity – Bringing the euro area back on track, Keynote speech given at the City of London Corporation, 12.2.2015, http://www.bundesbank.de/Redaktion/EN/Reden/2015/2015_02_12_weidmann.html (17.2.2015).
  • 16 Vgl. z.B. C. Plosser: Some Observations on Fiscal Imbalances and Monetary Policy. Speech at The Philadelphia Fed Policy Forum: Budgets on the Brink: Perspectives on Debt and Monetary Policy, 2.12.2011, http://www.philadelphiafed.org/publications/speeches/plosser/2011/12-02-11_fed-policy-forum.cfm (3.2.2015).
  • 17 P. Tucker, a.a.O.
  • 18 Historisch gesehen kann dieser Gedanke als widerlegt gelten: Die Notenbanken verloren ihre Unabhängigkeit in den 1930er Jahren, weil sie bei der Deflationsbekämpfung versagten: „governments … realized that money was too important to be left to central bankers.“ (H. James: The Creation of a World Central Bank? The Early Years of the Bank for International Settlements, in: H. James (Hrsg.): The Interwar Depression in an International Context, München 2002, S. 170.) Umgekehrt erhielten die Zentralbanken die Unabhängigkeit wieder, als sie in den 1960er und 1970er Jahren nicht in der Lage waren, die Inflation wirkungsvoll zu bekämpfen. Statt die Geldpolitik zu unterdrücken, schuf die Politik die institutionellen Voraussetzungen für deren erneute Unabhängigkeit.
  • 19 Vgl. C. D. Romer, D. H. Romer: The Most Dangerous Idea in Federal Reserve History: Monetary Policy Doesn’t Matter, in: American Economic Review, 103. Jg. (2013), H. 3, S. 55-60.
  • 20 Der Anti-Inflationskurs wurde zudem gerade dann durchgesetzt, als die USA hohe Haushaltsdefizite verzeichneten, also alles dafür sprach, dass die Fiskalpolitik ein Interesse an niedrigen Zinsen haben würde. Es war diese Leistung des damaligen Vorsitzenden Volcker, die Zentralbanken zum ersten Mal zu scheinbaren „Masters of the Universe“ (J. Weidmann: Heading for stability and prosperity ..., a.a.O.) machten, vgl. W. Greider: Secrets of the Temple – How the Federal Reserve Runs the Country, New York 1987.
  • 21 J. Weidmann: Am Ende haften wir alle für die Verluste ..., a.a.O.
  • 22 J. Weidmann: Verantwortung und Haftung in einer Währungsunion, Rede anlässlich einer Konferenz des Consiglio Regionale des Veneto, 15.1.2015, http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Reden/2015/2015_02_05_weidmann.html (20.2.2015).
  • 23 M. J. M. Neumann, a.a.O.
  • 24 In der Großen Depression war das nicht der Fall, und die geldpolitisch Verantwortlichen entschieden sich lange für die Währungsverfassung und gegen Preisstabilität, nahmen also Deflation in Kauf.
  • 25 M. J. M. Neumann, a.a.O.
  • 26 O. Stock: Draghis Droge, 2015, http://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/ezb-anleihekauf-draghis-droge/11268412.html (1.2.2015).
  • 27 Da dies so absurd ist, wie es klingt, wird von manchen Ökonomen und Beobachtern der EZB auch unterstellt, sie wolle mit den Maßnahmen gar nicht ihrem Mandat nachkommen, sondern marode Banken oder Staaten in der Euro-Peripherie retten, vgl. A. Winkler: Preisstabilität und Zentralbankbilanz – ein Beitrag zur Debatte über die Rolle der EZB als bad bank, 2014, http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2014/12/preisstabilitaet-und-zentralbankbilanz-ein-beitrag-zur-debatte-ueber-die-rolle-der-ezb-als-bad-bank/ (20.2.2015).
  • 28 Falls es anders wäre, müsste der Präsident für schnelle und große Schritte zur Errichtung eines Bundesstaates eintreten oder eine Fiskalunion in Europa fordern, da dann das Dilemma, in dem sich die europäische Geldpolitik derzeit befindet, aufgelöst werden kann. Genau das tut Weidmann nicht.
  • 29 Die Motivation für diesen von mir gewählten Begriff liefert L. H. White: Did Hayek and Robbins Deepen the Great Depression?, in: Journal of Money, Credit and Banking, 40. Jg. (2008), H. 4, S. 751-768.
  • 30 J. Weidmann: Heading for stability and prosperity ..., a.a.O.
  • 31 O. Issing: Die klugen Argumente des Jens Weidmann ..., a.a.O.
  • 32 Eine Ausnahme war z.B. sein Nein zur Zinssenkung im November 2013, vgl. A. Winkler: Geldpolitik aus Sicht der Bundesbank: auf dem Weg zu einem neuen Paradigma?, in: Wirtschaftsdienst, 93. Jg. (2013), H. 12, S. 818-823.
  • 33 Friedman ist hier sehr klar: „If you go back to the 1930s, which is a key point, here you had … Hayek, and Lionel Robbins, … saying you just have to let the bottom drop out of the world. … You can’t do anything about it. You will only make it worse. … I think by encouraging that kind of do-nothing policy both in Britain and in the United States, they did harm.“ Zitiert aus L. H. White, a.a.O., S. 751.
  • 34 P. Tucker, a.a.O.
  • 35 Vgl. M. Carney: Fortune favours the bold, Dublin, 28.1.2015, http://www.bankofengland.co.uk/publications/Documents/speeches/2015/speech794.pdf (20.2.2015). Ähnliches gilt für die vom Bundesbankpräsidenten immer wieder angemahnte Durchsetzung des Haftungsprinzips, vgl. z.B. J. Weidmann: Verantwortung und Haftung in einer Währungsunion ..., a.a.O. Das Haftungsprinzip ist ein „Eckpfeiler der Marktwirtschaft“, aber eine bessere Durchsetzung des Haftungsprinzips löst nicht das Nachfrageproblem und trägt daher nicht dazu bei, die Inflationsrate an die Zielmarke heranzuführen.
  • 36 Eine Ausnahme ist lediglich die Keynesianische Liquiditätsfalle.
  • 37 Vgl. B. Bernanke: Deflation: Making Sure “It” Doesn’t Happen Here, Remarks Before the National Economists Club, Washington DC, 21.11.2002, http://www.federalreserve.gov/boarddocs/Speeches/2002/20021121/default.htm (22.2.2015).
  • 38 Entsprechend überrascht sind daher manche Ökonomen, die die Bundesbank-Tradition mit Milton Friedman verbinden, auf die Kritik an den Staatsanleihenkäufen, vgl. z.B. P. Tucker, a.a.O.
  • 39 J. Weidmann: Anreize für Reformen und solides Haushalten aufrechterhalten, Interview in der Börsenzeitung, 5.2.2015, http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Interviews/2015_02_05_weidmann_boez.html (4.3.2015)
  • 40 Dies wird von J. Weidmann: Anreize für Reformen ..., a.a.O., bestritten.
  • 41 Anders sieht es dagegen mit der Fiskalpolitik aus. Hier haben die Besonderheiten der Eurozone Auswirkungen auf Art und Stärke des Instrumenteneinsatzes, vgl. M. Carney, a.a.O., der diese Implikationen als negativ für eine wirksame Bekämpfung des Nachfragemangels in der Eurozone kennzeichnet.
  • 42 J. Weidmann: Anreize für Reformen ..., a.a.O.

Title:ECB Quantitative Easing: How Consistent Are the Arguments Against the Asset Purchase Programme?

Abstract:This paper reviews the arguments against the ECB’s extended asset purchase programme. It is shown that the main lines of arguments – arguments those suggesting that under current economic conditions it was not needed to pursue quantitative easing, and arguments those indicating that purchases of government bonds should be avoided in principle – do not add upmatch. However, the argumentation becomes compellent consistent when the underlying monetary theory is taken into account, as it implies a do- nothing monetary policy stance when inflation rates are low. This theory was rejected on 22 January 2015, as it is inconsistent with the prevailing Governing Council definition of the ECB mandate.

Beitrag als PDF

DOI: 10.1007/s10273-015-1803-1