Bereits im Jahr 2014 hat der Bund laut Finanzstatistik die schwarze Null erreicht, die erst für das laufende Jahr geplant war. Spielend kann der Bund die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten. Entsprechend den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, deren Rechnungslegung von der Finanzstatistik abweicht, lag sogar ein Überschuss von gut 11 Mrd. Euro und für den Gesamtstaat, also inklusive Länder, Kommunen und Sozialversicherungen, von über 18 Mrd. Euro vor. Angesichts guter Konjunkturaussichten dürften die Überschüsse in den öffentlichen Haushalten noch einige Zeit andauern. Diese Aussichten wecken Begehrlichkeiten.
So verlangt die Europäische Kommission in ihrem jüngsten Länderbericht im Rahmen des Europäischen Ungleichgewichteverfahrens die Überschüsse in öffentliche Investitionen im Bereich der Kommunen und überregionalen Infrastruktur umzumünzen. Welchen Nachdruck diese Forderung hat, zeigt vielleicht die Heraufstufung des für Deutschland festgestellten Ungleichgewichts auf eine Stufe, die entschiedenes Handeln verlangt. Zeitgleich finden in Deutschland Diskussionen unter anderem über Kindergelderhöhungen, zusätzliche militärische Beschaffung, die Zukunft des Solidaritätszuschlags und die Abschaffung der „kalten Progression“ statt. Letztere wäre – wenn es um die Effekte der Verbraucherpreisinflation geht – aktuell zwar aus Sicht des Finanzministers ausgesprochen günstig, doch dürften die fiskalischen Konsequenzen in den kommenden Jahren nicht so niedrig bleiben.
Einigen dieser Begehrlichkeiten kommt die Bundesregierung nun entgegen. Zur Frage der öffentlichen Investitionen soll zusätzlich zu bereits bestehenden Programmen eine „Investitionsoffensive“ gestartet werden, und der Plan wurde geboren, den Solidaritätszuschlag auslaufen zu lassen, aber nicht bis 2020, dem Jahr, in dem der Solidarpakt II ausläuft, sondern ab 2020 bis 2030. Daran mag zwar irritieren, dass bereits jetzt die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag die Ausgaben des Bundes im Zusammenhang mit dem Solidarpakt II deutlich übertreffen und vor diesem Hintergrund ein Auslaufen im Jahr 2020 angemessen erscheint. Doch gibt es vielleicht aus Sicht der Haushälter gute Gründe, die Abschaffung des aufkommensstarken Zuschlags herauszögern, wodurch letztlich die tatsächliche Abschaffung von zukünftigen finanzpolitischen Erfordernissen unter den dann geltenden Mehrheitsverhältnissen abhängig gemacht wird. Ein Motiv könnte sein, dass die politischen Kosten, eine geplante Abschaffung zu stoppen, geringer sind als die politischen Kosten einer Steuererhöhung.
Der nur zögerliche Abbau des Solidaritätszuschlags könnte folglich von der Einschätzung getrieben sein, dass die derzeitigen Überschüsse von mehreren vermutlich nicht nachhaltigen Phänomenen begünstigt sind – mittel- bis langfristig bestehen also erhebliche Haushaltsrisiken. Allen voran sind die Zinsausgaben zu nennen. Diese sind seit mehreren Jahren im Sinkflug und entlasten die öffentlichen Haushalte Jahr für Jahr um Milliarden. Wie bedeutend das anhaltend niedrige Zinsniveau ist, zeigt der Vergleich zwischen der mittelfristigen Planung des Bundes aus dem Jahr 2010. Für 2014 waren Zinsausgaben von gut 48 Mrd. Euro vorgesehen. Letztlich gezahlt werden mussten nur knapp 26 Mrd. Euro. Somit hat allein der Bund über 22 Mrd. Euro „gespart“. Ähnlich ist die Situation in den Ländern: Die veranschlagten Zinsausgaben werden auch hier inzwischen regelmäßig unterschritten. Aktuell hält die Tendenz sinkender Anleihezinsen an. Angesichts der derzeitigen Ausrichtung der Geldpolitik ist noch für einige Zeit mit einem Andauern der Niedrigzinsphase zu rechnen. Doch erscheint es plausibel, dass mittelfristig mit steigenden Zinsen zu rechnen ist, was – sofern die Verschuldung in der Zwischenzeit nicht deutlich reduziert wurde – die öffentlichen Kassen merklich belasten wird.
Ungemach droht wohl auch von Seiten der Verteidigungsausgaben. Die durch den Fall des Eisernen Vorhangs ausgelöste Friedensdividende scheint maximal ausgeschöpft. Im Jahr 2014 lagen die Ausgaben für Verteidigung bei unter 1% des Bruttoinlandsprodukts und damit dem niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. 1991 lagen die Ausgaben für Verteidigung noch bei 1,8%. Eine Aufstockung des Wehretats ist bereits im Gespräch – absehbar erscheint auf jeden Fall, dass sich Verteidigungspolitiker in den kommenden Haushaltsverhandlungen weniger kompromissbereit zeigen dürften.
Ein schwerwiegendes Haushaltsrisiko liegt schließlich in der Demografie. Der demografische Wandel dürfte mit dem Erreichen des Renteneintrittsalters durch die Generation der Babyboomer insbesondere die Sozialversicherungen vor erhebliche Herausforderungen stellen. In den jüngsten Jahren waren die Kassen der Sozialversicherungen hingegen gut gefüllt. Der boomende Arbeitsmarkt und das demografische Zwischenhoch haben zu Überschüssen geführt, von denen auch der Bund in Form niedrigerer Bundeszuschüsse zu profitieren wusste. Es dürften sogar weitere Beitragssatzsenkungen in der Arbeitslosenversicherung und der Gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2016 im Raum stehen. Erste Anzeichen der Kehrtwende in den Haushalten der Sozialversicherungen gibt es aber bereits auf Seiten der Gesetzlichen Krankenversicherung, die aktuell stark steigenden Ausgaben gegenübersteht.
Angesichts der erheblichen mittel- bis langfristigen Haushaltsrisiken scheint es problematisch, die Überschüsse von heute dauerhaft zu verplanen. Doch wie steht es mit einer zeitweiligen Ausweitung der Infrastrukturinvestitionen? Die Ansichten, wie groß eine eventuelle „Investitionslücke“ ist, dürften zwischen den Beobachtern weit auseinandergehen. Dass im Bereich der öffentlichen Investitionen, insbesondere im Bereich Infrastruktur einiges verbessert werden kann, wird aber wohl mehrheitlich konstatiert. Es ist allerdings fraglich, ob die anvisierte „Investitionsoffensive“ hier wirklich zielführend ist. Eine Erfahrung mit den jüngsten größeren „Investitionsoffensiven“, nämlich den Konjunkturpaketen im Zuge der Großen Rezession, geben Anlass zum Zweifel. Gestiegen sind seinerzeit vor allem die Preise für Bauleistungen, wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Bauunternehmen angesichts einer nur vorübergehenden Maßnahme nicht bereit waren, ihre Kapazitäten aufzustocken.
Der aktuellen „Investitionsoffensive“ könnte ein ähnliches Schicksal blühen, wenn es sich hierbei nur um ein einmaliges Mehr bei den Investitionsausgaben handelt. Wichtiger als eine „Offensive“, die quasi nach Kassenlage gemacht wird, wäre daher die Verstetigung einer bedarfsgerechten öffentlichen Investitionstätigkeit. Sollte es nämlich bei dem Zusammenhang zwischen Kassenlage und öffentlichen Investitionen bleiben, wären die zuvor angesprochenen mittel- bis langfristigen Haushaltsrisiken von zusätzlicher Brisanz für die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsaussichten.
Die aktuellen Debatten um Reformen der Infrastrukturbereitstellung und der kommunalen Finanzen weisen hier vielleicht in die richtige Richtung – es geht um Strukturen, wie öffentliche Investitionen finanziert und wie über sie entschieden werden soll. Dabei geht es aber eben nicht um die Frage, wohin mit den aktuellen Haushaltsüberschüssen, sondern darum, welchen Stellenwert öffentliche Investitionen im Vergleich zu anderen Ausgaben der öffentlichen Hand haben sollten.