Seit 2003 geht die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland mit Ausnahme der Krisenjahre 2008/2009 tendenziell zurück; für 2016 wird mit 22 000 ein neuer Tiefststand seit der Jahrtausendwende erwartet. Der kräftige Rückgang der Insolvenzfälle lässt sich sowohl bundesweit als auch auf Länderebene durch die Wirtschaftsentwicklung als entscheidendem gesamtwirtschaftlichen Faktor und die zunehmende Eigenkapitalquote der Unternehmen als unternehmensindividuelle Einflussgröße erklären.
Der seit Jahren bestehende Trend zu rückläufigen Zahlen bei den Unternehmensinsolvenzen setzt sich auch am aktuellen Rand ungebrochen fort. Im ersten Halbjahr 2016 wurde mit 10 999 Insolvenzanzeigen erneut ein kräftiger Rückgang um 4,8% im Vergleich zum Vorjahrszeitraum verzeichnet. Schätzungen des Bundesverbands der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) lassen im gesamten Jahr im Vergleich zu 2015 einen Rückgang der Insolvenzzahlen um etwa 5% auf rund 22 000 Fälle erwarten.1 Im vergangenen Jahr wurden von den deutschen Amtsgerichten 23 123 Insolvenzfälle gemeldet, ihre Zahl verminderte sich somit gegenüber 2014 um 4%.2 Abgesehen von einem kurzzeitigen Anstieg infolge der tiefen Rezession 2008 und besonders 2009 sinkt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen seit 2003, als eine Rekordzahl von 39 320 Fällen verzeichnet wurde, kontinuierlich. 1999 wurde das deutsche Insolvenzrecht mit dem Ziel reformiert, eine höhere Zahl von Unternehmensfortführungen durch eine Sanierung zu erreichen und das seit der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Insolvenzrecht zu vereinheitlichen. Nach der Reform stiegen die Insolvenzzahlen zunächst deutlich an.3 Der nachfolgende Rückgang lässt sich zum einen auf die aufwärts gerichtete Wirtschaftsentwicklung zurückführen. Er wird jedoch auch von strukturellen Ursachen wie der fortlaufend verbesserten Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen und einem verminderten „Drehtüreffekt“ aufgrund rückläufiger Gründungszahlen bestimmt.
Fortbestehende regionale Differenzen
Trotz des rückläufigen Trends ist die Verteilung von Unternehmensinsolvenzen innerhalb Deutschlands sehr unterschiedlich ausgeprägt. Dies wird in Abbildung 1 anhand eines Vergleichs der Insolvenzquoten der Bundesländer gezeigt. Zur Berechnung der Insolvenzquoten wurde die Zahl der insolventen Unternehmen ins Verhältnis zu allen Unternehmen gesetzt. Letztere wurden der Steuerstatistik entnommen. Die Gegenüberstellung in der Abbildung stützt sich auf die Durchschnittswerte mehrerer Jahre, um den Einfluss möglicher Sondereffekte zu vermindern.4
Abbildung 1
Insolvenzquoten nach Bundesländern 2013 bis 2015
Quellen: Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR); Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
Vielfältige Einflussfaktoren sind dafür verantwortlich, dass ein Unternehmen in Schieflage gerät und letztlich die Geschäftsführung den Gang zum Insolvenzgericht antreten muss. Üblicherweise gehen einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit unternehmerische Fehlentscheidungen voraus. Die mikroökonomischen Merkmale, die die Insolvenzwahrscheinlichkeit eines Unternehmens bestimmen, werden z.B. von Altman und Narayanan analysiert.5 Wesentliche Einflussfaktoren bilden die Unternehmensrendite6 und die Eigenkapitalausstattung. Doch auch das wirtschaftliche Umfeld, die Konkurrenzsituation auf dem jeweiligen Markt und staatliche Regulierungen und Eingriffe können einen Einfluss darauf haben, ob Unternehmensinsolvenzen zu- oder abnehmen.7
Einflussfaktoren Wachstum und Eigenkapital
Das Insolvenzgeschehen wird von ganz unterschiedlichen Faktoren beeinflusst: Neben unternehmensseitigen Einflüssen wie der rechtzeitigen Reaktion auf strukturelle Veränderungen auf den Absatzmärkten oder auf neue Konkurrenten sowie der Entwicklung der Eigenkapitalquoten spielen auch nicht vom Unternehmen beeinflussbare Faktoren, z.B. Kostenschocks, die konjunkturelle Entwicklung und das langfristige Wachstum eine Rolle. Die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist im Allgemeinen negativ mit den Unternehmensinsolvenzen korreliert.8 In zwei aktuellen Analysen des BVR wird auf den kurzfristigen Zusammenhang zwischen den vierteljährlichen Veränderungsraten des BIP und den Veränderungsraten der Insolvenzzahl in Deutschland eingegangen.9 In Zeiten hohen Wirtschaftswachstums ist tendenziell mit weniger Insolvenzen zu rechnen, da sich die Wettbewerbssituation zwischen den Unternehmen entschärft und der Preisdruck nachlässt. Konjunkturelle Schwächephasen werden hingegen häufig von einer Zunahme der Insolvenzen begleitet.
Auch langfristig scheint zu gelten, dass ein höheres Wirtschaftswachstum zu einer Entspannung des Insolvenzgeschehens führt. Dies legt der in Abbildung 2 dargestellte Ländervergleich nahe, der den negativen Zusammenhang zwischen der längerfristigen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und dem aktuellen Insolvenzgeschehen beschreibt. Hier werden die durchschnittlichen Insolvenzquoten dem Wirtschaftswachstum der Bundesländer im Zeitraum von 2003 bis 2013 gegenübergestellt (vgl. Abbildung 1).10 Demnach verzeichneten die beiden Länder mit den niedrigsten Insolvenzquoten, Baden-Württemberg und Bayern, einen gemessen an der bundesweiten Entwicklung deutlich überproportionalen Anstieg ihres preisbereinigten BIP. Ihr Gesamtwachstum betrug 14,7% und 17,9% gegenüber 11,9% im Bundesdurchschnitt. Andererseits fiel das Wirtschaftswachstum in den beiden Ländern mit den höchsten Insolvenzquoten, Nordrhein-Westfalen und Bremen, im gleichen Zeitraum mit 8,2% und 8,3% unterdurchschnittlich aus. Hamburg, das die dritthöchste Insolvenzquote hatte, wies zusammen mit Sachsen-Anhalt im Betrachtungszeitraum das geringste Wachstum auf.
Abbildung 2
Wirtschaftswachstum und Unternehmensinsolvenzen
Quellen: Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken; Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder; Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
Ein weiterer Einflussfaktor für die Höhe der Insolvenzquoten und die Streuung der Quoten zwischen den Ländern besteht in der unterschiedlichen Entwicklung der Eigenkapitalausstattung der Unternehmen. Seit 2000 konnten die Unternehmen in Deutschland ihre Eigenkapitalbasis kontinuierlich verbessern.11 Generell sollten Unternehmen mit einer hohen Eigenkapitalquote eher in der Lage sein, konjunkturelle Durststrecken durchzustehen, als solche, die über wenig Eigenmittel verfügen. Deshalb ist hier ein Bestimmungsgrund der rückläufigen Insolvenzzahlen zu vermuten. Die kontinuierliche Stärkung des Eigenkapitals ist auch auf die unter dem Stichwort Basel II bekannte Novellierung der Bankenregulierung zurückzuführen. Mit ihrer Einführung 2007 wurde ein Ratingverfahren für Kreditvergaben an Unternehmen etabliert, doch entfaltete die Neuregelung schon vorher ihre Wirkung.12 Als entscheidend für die Unternehmensstabilität und die Sicherheit der vergebenen Kredite stellte sich die Eigenkapitalausstattung heraus, die damit zu einem wichtigen Kriterium für die Kreditvergabekonditionen wurde.13
Einer Studie zufolge ist die durchschnittliche Eigenkapitalquote der mittelständischen Firmenkunden von Volksbanken und Raiffeisenbanken in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.14 Dieser Kreis kann als relativ gutes Abbild der potenziell insolvenzgefährdeten Unternehmen insgesamt angesehen werden, denn rund 98% der Insolvenzen betreffen Kleinbetriebe und Mittelständler mit maximal 50 Mitarbeitern; nur 0,7% Unternehmen mit mehr als 100 Beschäftigten.15 Seit dem Insolvenzen-Höchststand 2003 legte die Eigenkapitalquote bundesweit kräftig um 14,3 Prozentpunkte auf 23,9% (2013) zu. Im Vergleich der Bundesländer fiel der Anstieg jedoch unterschiedlich stark aus. Wie aus Abbildung 3 hervorgeht, zeigten die ostdeutschen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen mit einer Zunahme um 18,9 und 17,5 Prozentpunkte die deutlichsten Fortschritte. Es verwundert daher nicht, dass diese beiden Länder zuletzt unterdurchschnittliche Insolvenzquoten aufwiesen. In den Stadtstaaten Bremen und Hamburg mit ihren hohen Insolvenzquoten konnten die Unternehmen ihre Eigenkapitalquoten mit einem Zuwachs von 6,2 und 7,8 Prozentpunkten hingegen deutlich weniger erhöhen.
Abbildung 3
Eigenkapitalausstattung und Unternehmensinsolvenzen
Quellen: Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken; Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
Dass die langfristigen Veränderungsraten des BIP und der Eigenkapitalquote einen wesentlichen Einfluss auf die Insolvenzwahrscheinlichkeit haben und deshalb einen Beitrag zur Erklärung der regionalen Unterschiede im aktuellen Insolvenzgeschehen leisten können, bestätigen die Ergebnisse einer Regressionsschätzung.16 Ausgangspunkt ist eine Gleichung, in der die in Abbildung 1 dokumentierten Insolvenzquoten als zu erklärende Variable und die in den Abbildungen 2 und 3 dargestellten langjährigen Veränderungsraten des BIP und der Eigenkapitalquote zusammen mit einer Konstanten als erklärende Variablen eingehen. Die Schätzergebnisse signalisieren einen negativen Zusammenhang der Koeffizienten bei einer Signifikanz von 90%. Mit der Regressionsgleichung kann in etwa die Hälfte der beobachteten Streuung der Insolvenzquoten beschrieben werden, das Bestimmtheitsmaß beträgt 0,521. Neben den langfristigen Veränderungsraten des BIP und der Eigenkapitalquoten wurden auch weitere Größen in die Untersuchung einbezogen. So wurde betrachtet, ob die langfristige Veränderung der Arbeitslosenquoten, die durchschnittlichen Umsatzrentabilitäten der Unternehmen oder Ost/West- und Stadtstaaten-Dummy-Variablen den Erklärungsgehalt des Regressionsmodells erhöhen können. Die Größen erwiesen sich aber als statistisch nicht signifikant.
Weiterführende Überlegungen
Das fortlaufende Absinken der Insolvenzfälle gibt vordergründig Anlass zur Freude. Mit der rückläufigen Zahl zahlungsunfähiger Unternehmen sinken die Belastungen, die andere Betriebe und Kreditinstitute durch Forderungsausfälle zu verkraften haben. Weniger von Insolvenzen betroffene Mitarbeiter müssen Arbeitslosigkeit und vorübergehende oder dauerhafte Lohneinbußen in Kauf nehmen. Die Daten für die Bundesländer zeigen einen deutlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen ökonomischen Erfolg. Doch langfristig bringt diese Entwicklung möglicherweise nicht nur Vorteile. Marktaustritte sind ebenso wie Unternehmensgründungen eine Begleiterscheinung des Strukturwandels, der für eine kontinuierliche Erneuerung der Wirtschaft und Durchsetzung von Innovationen notwendig ist. Insofern ist es zu hinterfragen, inwieweit die rückläufigen Insolvenzzahlen Ausdruck der guten gesamtwirtschaftlichen Entwicklung sind und welcher Anteil möglicherweise auf einen rückläufigen Wettbewerbsdruck aufgrund fehlender Markteintritte von Unternehmen mit neuen Geschäftsmodellen zurückzuführen sein könnte. Ohne Betriebsaufgaben drohen die Zementierung überholter Strukturen und eine weitere Abnahme der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung, die in Deutschland bereits seit längerem rückläufig ist.17
- 1 Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken: Insolvenzgeschehen weiterhin rückläufig, Volkswirtschaft special, Nr. 3, Berlin 2016.
- 2 Vgl. Statistisches Bundesamt: Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Fachserie 2, Reihe 4.1 – Dezember und Jahr 2015, Wiesbaden 2016.
- 3 Vgl. K.-H. Röhl: Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 9, S. 640-642, http://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2012/9/entwicklung-der-unternehmensinsolvenzen-in-deutschland/.
- 4 Vgl. Statistisches Bundesamt: Unternehmen und Arbeitsstätten, Fachserie 2, Reihe 4.1, 2014, 2015, 2016; Umsatzsteuerstatistik (Voranmeldungen), Fachserie 14, Reihe 8.1 – 2014, 2016.
- 5 Vgl. E. I. Altman, P. Narayanan: An International Survey of Business Failure Classification Models, in: Financial Markets, Institutions & Instruments, 6. Jg. (1997), Nr. 2, S. 1-57.
- 6 Vgl. H. Lehment, C. Blevins, E. Sjøvoll: Gesamtwirtschaftliche Bestimmungsgründe der Insolvenzentwicklung in Deutschland, Institut für Weltwirtschaft, Working Papers, Nr. 842, Kiel 1997.
- 7 Vgl. A. Bindewald: Was erfolgreiche Unternehmen ausmacht: Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis, Heidelberg 2004.
- 8 Vgl. N. Dewaelheyns, C. van Hulle: Aggregate bankruptcy rates and the macroeconomic environment: Forecasting systematic probabilities of default, in: Tijdschrift voor Economie en Management, LII. Jg. (2007), Nr. 4, S. 541-565; sowie M. Ricar: Macroeconomic Modelling of a Firms’s Default, in: Acta Oeconomica Pragensia, 1. Jg. (2014), S. 27-40.
- 9 Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken: Abwärtstrend bei den Unternehmensinsolvenzen dürfte sich 2014 fortsetzten, Volkswirtschaft special, Nr. 2, Berlin 2014; ders.: Unternehmensinsolvenzen dürften 2015 erneut zurückgehen, Volkswirtschaft special, Nr. 3, Berlin 2015.
- 10 Vgl. Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder: Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland 2000 bis 2014, Reihe 1, Bd. 1, Stuttgart 2015.
- 11 Vgl. D. Bendel, M. Demary, M. Voigtländer: Entwicklung der Unternehmensfinanzierung in Deutschland, in: IW-Trends, 43. Jg. (2016), Nr. 1, S. 37-54.
- 12 Vgl. K. Lichtblau, K.-H. Röhl: Rating – was kommt auf die Unternehmen zu?, IW-Analysen, Nr. 4, Köln 2004.
- 13 Vgl. A. Trautvetter: Bedeutung der Eigenkapitalausstattung für den Mittelstand, HWWI Policy Paper, Nr. 56, Hamburg 2011.
- 14 Vgl. Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, DZ BANK, WGZ BANK: Mittelstand im Mittelpunkt, Frankfurt a.M., Herbst 2015.
- 15 Vgl. Creditreform: Insolvenzen in Deutschland, Jahr 2015, 2015.
- 16 Vgl. K.-H. Röhl, G. Vogt: Unternehmensinsolvenzen. Anhaltender Rückgang bei fortbestehenden regionalen Differenzen, in: IW-Trends, 43. Jg. (2016), Nr. 3, S. 21-37.
- 17 Vgl. OECD: OECD Compendium of Productivity Indicators, Paris 2016.