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Umlagefinanzierte Rente stärken

Von Uwe Fachinger

Die Konsequenzen der Alterssicherungspolitik seit der Jahrtausendwende werden immer offensichtlicher. Auf der einen Seite erfolgt eine Entlastung öffentlicher Haushalte und der Unternehmen, auf der anderen Seite vollzieht sich eine Zunahme von prekären Lebensverhältnissen älterer Menschen. Dabei sind die mit dem Paradigmenwechsel angestrebten kurzfristigen finanzpolitischen Ziele sogar übererfüllt worden. So wurde beispielsweise der Beitragssatz zur Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) seit 2007 von 19,9% auf 18,7% gesenkt und liegt damit erheblich unter den in den Reformszenarien ausgewiesenen Werten.

Zur Durchsetzung dieser Maßnahmen wurde die demografische Entwicklung instrumentalisiert. Mit dem (Schein-)Argument der Nicht-Finanzierbarkeit der GRV-Leistungen wird das Niveau politisch gewollt weiter sukzessive reduziert, die vermeintlich sicheren kapitalfundierten Systeme werden massiv gefördert und durch Sozialtransfers die Banken- und Versicherungswirtschaft unterstützt. Dabei ist nicht die Zahl älterer und jüngerer Menschen relevant, sondern die Zahl der Beitragszahler und der Leistungsempfänger sowie die durchschnittliche Beitrags- und Leistungshöhe. Das eigentliche Ziel der Alterssicherungspolitik, den Versicherten im Alter einen angemessenen Lebensstandard zu sichern, scheint aus dem Blick geraten zu sein. So ­unterminiert die Reduzierung des aktuellen Rentenwertes die Einkommens- bzw. Lohnersatzfunktion der Rente und führt dazu, dass immer mehr Personen dem Schicksal der Altersarmut ausgeliefert werden.

Überblickt man die derzeitige Literatur, gewinnt man den Eindruck, dass viele der schon bis Anfang der 1980er Jahre erarbeiteten Erkenntnisse offensichtlich verloren gegangen sind. Weder die Handlungsoptionen noch die allokativen und distributiven Wirkungen der Maßnahmen werden zur Kenntnis genommen. So ist beispielsweise die Realisierung des Ziels, den Versicherten im Alter einen angemessenen Lebensstandard zu sichern, keine Frage des Finanzierungsverfahrens. Kapitaldeckung oder Umlagefinanzierung sind unterschiedliche finanztechnische Verfahren, die keine Aussage über die Leistungsausgestaltung zulassen.

Des Weiteren war von Anfang an bekannt, dass die Reduzierung des Leistungsniveaus in der GRV durch die betrieblichen und privaten Vorsorgesysteme schon aufgrund der unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien der Leistungsausgestaltung nicht kompensiert und eine Einkommens- bzw. Lohnersatzfunktion wie in der GRV nicht garantiert werden können. In Modellrechnungen wird zwar für kapitalfundierte Systeme die Fiktion der Stetigkeit und Sicherheit unterstellt, empirische Analysen haben jedoch gezeigt, dass dies in der Realität nicht der Fall ist. Schon durch die stark schwankende Leistungsanpassung der ergänzenden Sicherungssysteme wird das Ziel in der Altersphase verfehlt. Da zudem die Leistungshöhen zwischen den verschiedenen Formen und Anbietern sehr unterschiedlich sind, gleicht eine derartige Altersvorsorge letztendlich eher einem Glücksspiel. Um das sozial- und verteilungspolitische Ziel eines auch im Alter angemessenen Lebensstandards zu erreichen, ist eine Rückbesinnung auf zentrale Aspekte der Gestaltung von Alterssicherungspolitik unumgänglich, zu denen die Einkommensbezogenheit der Leistungen und die Aufrechterhaltung eines adäquaten Sicherungsniveaus gehören. Eine „Rückkehr zur umlagefinanzierten Rente“ bedeutet eine Rückbesinnung auf Prinzipien, die über viele Jahrzehnte zu stetigen und sicheren Altersrenten geführt und Altersarmut vermieden haben.

Gezielte Verbesserungen geboten

Von Axel Börsch-Supan

Nein, eine neue große Rentenreform brauchen wir nicht, und erst recht kein Wettrennen, wer am schnellsten den mühsam errungenen Ausgleich zwischen der jüngeren und der älteren Generation wieder aufkündigen kann. Was wir brauchen, sind zielgenaue Verbesserungen, um die Gefahr der Altersarmut zu verringern und die Riesterrente effizienter zu machen, nicht aber eine Reform der gesetzlichen Rente für Otto und Emma Normalverbraucher.

Erinnern wir uns an die Mechanik der gesetzlichen Rente: Sie wird durch die jeweils jüngere Generation finanziert, indem diese Beiträge in die Rentenkasse einzahlt und den Bundeszuschuss durch Steuern füttert. Die Kasse wird dann umgehend wieder als Rentenleistungen zugunsten der älteren Generation ausgezahlt. Dieses Umlageverfahren funktioniert so lange, wie genügend junge Leute vorhanden sind, die diesen Generationenvertrag finanzieren. Da wir in den letzten Jahrzehnten wenige Geburten hatten, funktioniert dies jedoch zunehmend weniger: Uns fehlt ungefähr ein Drittel junger Leute relativ zur Vorgeneration. Der Nachhaltigkeitsfaktor sorgt nun dafür, dass das entsprechende Finanzierungsdefizit in der gesetzlichen Rentenversicherung zur Hälfte dadurch aufgefangen wird, dass die jüngere Generation höhere Beiträge zahlen wird. Die andere Hälfte leistet die ältere Generation, indem ihre Rentenleistungen weniger stark als früher steigen werden. Diese Lastenaufteilung verschafft der gesetzlichen Rente die notwendige finanzielle Nachhaltigkeit und erscheint generationengerecht. Eine Abschaffung des Nachhaltigkeitsfaktors bedeutet dagegen eine einseitige Abkehr von dieser Lastenverteilung mit deutlich höheren Rentenbeiträgen für die jüngere Generation: Der Beitragssatz im Jahr 2040 würde um ca. vier Prozentpunkte höher liegen und die gesamte demografische Last läge wieder bei der jungen Generation. Erfahrungsgemäß bedeuten um einen Punkt höhere Sozialabgaben 100 000 verlorene Arbeitsplätze. Damit würde die Beschäftigungsbasis, die zur Finanzierung der Rente so wichtig ist, wieder unterminiert werden.

Ähnlich steht es mit der Riesterrente. Im Gegensatz zur gesetzlichen Rente müssen die Rentenleistungen hier durch Eigenbeiträge finanziert werden: Wer riestert, zahlt selbst ein und kann das Ersparte später wieder abheben. Das entlastet die jüngere Generation, was Hauptzweck der Schaffung dieses Instruments der Altersvorsorge war. Die Riesterrente ist hoch reguliert, bietet eine Bestandsgarantie und Sicherheiten, wie sie sonst nicht zu erhalten wären. Sie abzuschaffen und diese Säule wieder in das Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung zu überführen, würde die Finanzierungslast von der Babyboomgeneration wieder auf ihre Kinder verlagern. Reformbedürftig sind jedoch die Modalitäten der Riesterrente, ihre unsägliche Intransparenz, die den Wettbewerb aushebelt, und die nicht sachgerechten Anlagevorschriften, welche die Erträge des gesparten Kapitals reduzieren.

Anstatt dieser Generaldebatte bedarf das Problem der Altersarmut erhöhter Aufmerksamkeit. Der Anteil der Grundsicherungsempfänger, die über 65 Jahre alt sind, ist in den vergangenen Jahren sowohl anteilsmäßig als auch absolut gestiegen. Zwar ist die neulich publizierte Prognose des Westdeutschen Rundfunks, die 50% Altersarmut vorhersagt, grotesk falsch, aber auch der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium prognostiziert in seinem pessimistischen Szenario fast eine Verdopplung der Grundsicherungsempfänger von derzeit 3% auf 5,4%. Besonders armutsgefährdet sind Erwerbsgeminderte, Soloselbständige und Menschen mit Migrationshintergrund. Hier sind zielgerichtete Verbesserungen dringend angesagt.

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DOI: 10.1007/s10273-016-1974-4