Zunehmend stehen die Bundesländer in der Kritik, ihrer Aufgabe des Steuervollzugs nur unzureichend nachzukommen. Als Ursache wird angeführt, dass es an finanziellen Anreizen fehle: Die Bundesländer müssen die Personalkosten tragen, dürften infolge des Länderfinanzausgleichs jedoch nur Bruchteile der zusätzlichen Einnahmen behalten. Der Autor zeigt auf, dass das nicht stimmt: Zusätzliches Prüfpersonal brächte den Bundesländern immer noch gute Renditen. Zudem dürfen gerade finanzstärkere Länder größere Anteile ihres Steueraufkommens einbehalten, prüfen aber tendenziell weniger. Höhere finanzielle Anreize gehen folglich sogar mit schlechterem Steuervollzug einher.
In Deutschland liegt die Hoheit der Steuergesetzgebung beim Bund, die Erhebung der Steuern wird jedoch von den Finanzbehörden der Länder durchgeführt (Auftragsverwaltung der Länder für den Bund). Gleichzeitig regelt das Grundgesetz, zu welchen Anteilen die Einnahmen aus bestimmten Steuerarten jeweils dem Bund oder den Ländern zufließen. Daraus ergeben sich Zielkonflikte und Kompetenzrangeleien zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Bundesländern. Eine wichtige Frage dabei ist, ob und wieweit die Länder überhaupt einen Anreiz haben, bei der Erhebung und insbesondere bei der betrieblichen Nachprüfung der Steuerschuld ganz genau hinzusehen. Denn sie müssen für das Personal in den Finanzbehörden zahlen, die durch häufigere Betriebsprüfungen entstehenden Mehreinnahmen flössen jedoch im Rahmen der Steuerzerlegung und des Länderfinanzausgleichs zu großen Teilen ab. Dies wird aktuell auch gegen die weitgehende Angleichung der Finanzausstattung im derzeitigen Länderfinanzausgleich ins Feld geführt. Durch geringen Verbleib von Steuermehreinnahmen im Bundesland fehle der finanzielle Anreiz, sodass die Bundesländer (gerade gut situierte südliche mit hoher Wirtschaftskraft) eine laxe Steuerverwaltung (unter anderem durch Personalabbau) betreiben, um damit Unternehmen anzulocken und zu halten.
Eine vertiefte Prüfung dieser Argumentation führt zu folgenden Ergebnissen:
- In den letzten 20 Jahren wurde in Deutschland massiv Personal in den Finanzverwaltungen abgebaut (vgl. Abbildung 1). Die Unterbesetzung in den verschiedenen Bundesländern ist jedoch gemessen an der jeweiligen Wirtschaftskraft (und damit am Prüfaufwand) stark unterschiedlich ausgeprägt (bis Faktor 2). Dies untergräbt die bundesweite Steuergerechtigkeit.
- Tatsächlich dürfen Bundesländer nach Steuerzerlegung und Länderfinanzausgleich nur einen Teil ihrer Steuermehreinnahmen behalten. Bei der Einkommensteuer tritt ein absoluter Minimalwert beim Einbehalt auf. Dieser liegt in ärmeren Ländern zwischen rund 7% und 12%, in wirtschaftsstarken Bundesländern aber deutlich höher zwischen 21% und 34% (vgl. Abbildung 2). Zudem fallen die Einbehalte für die Bundesländer bei anderen Gemeinschaftssteuern sowie reinen Ländersteuern (und damit auch beim Durchschnitt der gesamten Steuereinnahmen) noch einmal höher aus.
- Bei Betrachtung der 16 Bundesländer lässt sich kein positiver Zusammenhang zwischen den finanziellen Anreizen (Steuereinbehalt) und den Anstrengungen im Steuervollzug (Personal in der Steuerverwaltung) beobachten. Im Gegenteil: Im Vergleich zu ärmeren Bundesländern dürfen gerade wohlhabendere Bundesländer rund das Zweieinhalb- bis Vierfache des zusätzlich generierten Steueraufkommens einbehalten (vgl. Abbildung 2). Sie beschäftigen jedoch vergleichsweise wenig Personal in den Prüfdiensten.
- Ein durchschnittlicher Steuerfahnder oder Betriebsprüfer generiert an Steuereinnahmen mehr als das rund 15-Fache seiner eigenen Personalkosten. Selbst im ungünstigsten Fall (bei der Einkommensteuer) würde nach Abzug der Steueraufteilung und des Länderfinanzausgleichs jede zusätzliche Personalstelle die Kassen klingeln lassen: Die „Renditen“ der Steuerprüfung reichen von 9% bis 94% bei ärmeren Bundesländern bis hin zu exorbitanten 241% bis 458% bei reicheren Bundesländern. Insgesamt besteht damit auch nach Steuerzerlegung und Länderfinanzausgleich in allen Bundesländern ein hoher finanzieller Anreiz zum Steuervollzug (vgl. Abbildung 3).
- Für die akute Personalnot im Steuervollzug und die Mindereinnahmen durch Steuerhinterziehung können somit weder die Steueraufteilung der Gemeinschaftssteuern noch der Länderfinanzausgleich verantwortlich gemacht werden. Dies lässt auf andere Ursachen für die schmale Personalausstattung gerade in wirtschaftsstärkeren Bundesländern schließen, wie Standortpolitik auf Kosten der Nachbar(bundes)länder und womöglich auch politische Korruption.
- Solche wirtschaftspolitischen oder kriminellen Motive für gezieltes Steuerdumping in verschiedenen Bundesländern bestünden jedoch auch ohne die finanziellen Effekte der Steuerzerlegung oder des Länderfinanzausgleichs weiter. Die Lösung gegen innerdeutsches Steuerdumping kann deshalb nur in einer verbindlichen bundesweiten Steuerkoordination oder einer Bundessteuerverwaltung liegen.
Abbildung 1
Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts und des Personals in der Finanzverwaltung
Quelle: M. Meinzer: Steueroase Deutschland – Warum bei uns viele Reiche keine Steuern zahlen, München 2015, S. 153.
Personalnotstand beim Steuervollzug widerspricht der Steuergerechtigkeit
Das Problem ist altbekannt und ein andauernder Skandal in unserem Rechtsstaat: In den meisten Bundesländern weist der Steuervollzug enorme Defizite auf. Ursache ist insbesondere eine unzureichende Personalausstattung der Steuerverwaltung.1 Mit stetig wachsender Wirtschaft steigt auch der Prüfaufwand kontinuierlich an. Demgegenüber ist beim Personal jedoch nicht nur eine Stagnation, sondern sogar ein Abbau festzustellen. Markus Meinzer vom Netzwerk Steuergerechtigkeit führt auf, dass von 2002 bis 2013 die deutsche Wirtschaft preisbereinigt um ca. 10% wuchs, während gleichzeitig die Personalstärke in der Finanzverwaltung um ca. 10% sank (vgl. Abbildung 1). Zwar erfolgen immer wieder Ankündigungen aus einzelnen Bundesländern, die Steuerverwaltung generell aufzustocken und Sondereinheiten zur Steuerbetrugsbekämpfung aufzubauen – jedoch sind selbst die Ankündigungen, deren Umsetzung oft auf sich warten lässt, noch Größenordnungen von einer Trendwende oder gar dem Stand von 2002 entfernt.
Vor dem Hintergrund des Angebots von Finanzminister Schäuble, 500 deutsche Steuerfahnder nach Griechenland zu schicken,2 wäre zu fragen, wie Deutschland diese Beamten überhaupt entbehren soll. Denn offensichtlich fehlen Steuerfahnder in Deutschland ähnlich schmerzlich wie in Griechenland.
Länderfinanzausgleich und Anreiz zur konsequenten Steuererhebung
Auch während der andauernden Verhandlungen zum Länderfinanzausgleich werden interessierte Kreise nicht müde, für mehr Wettbewerb zwischen den Bundesländern – mit der Folge einer ungleicheren Verteilung der Finanzausstattung – zu werben. Beispielsweise sieht die Mehrheit des Sachverständigenrates im momentanen Länderfinanzausgleich „kaum Anreize, für eine effektive Steuerverwaltung zu sorgen“ und fordert eine „aktivierende Finanzverfassung“ unter anderem durch einen geringeren Ausgleich der Finanzkraft sowie mehr Steuerautonomie für die Länder.3 Ins gleiche Horn stößt eine aktuelle Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW Köln): „Politökonomisch reduziert das die Eigenverantwortlichkeit der Empfängerländer und damit die Anreize, dass sie ihre Haushalte in den Griff bekommen.“4 Sogar Vertreter der deutschen Steuergewerkschaft schlagen als Lösung für den Personalmangel vor, dass die zusätzlichen Steuereinnahmen in Teilen oder gar in voller Höhe bei den Ländern verbleiben sollten.5 Aber stimmt diese Grundthese überhaupt, nach der sich konsequenter Steuervollzug wegen des Länderfinanzausgleichs für die Bundesländer finanziell kaum lohne? Und ob darüber hinaus zu erwarten wäre, dass höhere finanzielle Anreize die Bundesländer zu besserer Prüfung motivieren würden?
Die Bundesländer dürfen teilweise nur einen Bruchteil ihrer Steuermehreinnahmen behalten
Zunächst ist festzuhalten, dass einige Bundesländer tatsächlich nur einen Bruchteil ihrer zusätzlichen Steuereinnahmen behalten dürfen. Erstens sind gerade diejenigen Steuerarten mit hohem Aufkommen (Körperschaft-, Einkommen- und Umsatzsteuer) Gemeinschaftssteuern, welche die Bundesländer mit dem Bund (sowie teilweise den Kommunen) teilen müssen. Zweitens muss der an die Länder fließende Anteil der Steuereinnahmen (sowohl die verbleibenden Anteile der Gemeinschaftssteuern als auch die reinen Ländersteuern) anschließend im Länderfinanzausgleich verrechnet werden. Bei Geberländern fließen dadurch große Teile der Mehreinnahmen an finanzschwächere Bundesländer ab. Hingegen müssen Nehmerländer bei Steuermehreinnahmen auf fast ebenso hohe Zuflüsse im Rahmen des Länderfinanzausgleichs verzichten.
Das IW Köln rechnet an einem Beispiel vor: „Nimmt beispielsweise Schleswig-Holstein 100 Euro Lohnsteuer zusätzlich ein, gehen davon 57,50 Euro an das Land und seine Kommunen. Aufgrund der Mehreinnahmen verliert Schleswig-Holstein aber Transfers [im Rahmen des Länderfinanzausgleichs] im Wert von 48 Euro. Übrig bleiben ihm unter dem Strich also lediglich gut 9 Euro (…).“6 Die unterschiedlichen minimalen Einbehaltsquoten nach Steuerzerlegung und Länderfinanzausgleich lassen sich auch für die anderen Bundesländer darstellen. Dabei zeigt sich: Im Vergleich zu den Einbehaltsquoten finanzschwächerer Bundesländern (von rund 7% in Bremen bis rund 9% in Berlin) dürfen ausgerechnet die wohlhabenderen Bundesländer rund das 2,5-fache (rund 21% für Nordrhein-Westfalen) bis hin zu über dem vierfachen (rund 34% für Hamburg) einbehalten (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
Von 100 Euro Steuermehreinnahmen verbleiben mindestens im Bundesland, 2014
Quelle: eigene Darstellung, Daten von IW Köln: Länderfinanzausgleich – Nur ein Systemwechsel hilft wirklich, Pressemitteilung vom 14.11.2014, http://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/beitrag/laenderfinanzausgleich-nur-ein-systemwechsel-hilft-wirklich-197692; vgl. auch: R. Brügelmann: Föderalismusreform – Die Unzulänglichkeiten des Finanzausgleichs unter den Ländern, IW Köln, S. 19, Tabelle 9, http://www.iwkoeln.de/_storage/asset/198140/storage/master/file/5551379/download/L%C3%A4nderfinanzausgleich%20policy%20paper.pdf.
Das IW Köln wählt mit der Einkommensteuer bereits den Extremfall, weil sich hier die „minimalste Einbehaltsquote“ (bzw. Grenzbelastungen, also das Maximum an aus dem Land abfließenden Steuereinnahmen) für die Bundesländer ergibt. Denn unter den Gemeinschaftssteuern fällt die Einkommensteuer mit 42,5% reinem Länderanteil bereits bei der Steuerzerlegung am unvorteilhaftesten für die Länder aus (gegenüber 44,6% bei der Umsatzsteuer und 50% bei der Körperschaftsteuer, die an die Länder gehen). Bei den anderen Gemeinschaftssteuern geht also nach der Steuerzerlegung ein höherer Anteil an das Bundesland, verbleibt also auch nach anschließender Umverteilung durch den Länderfinanzausgleich ein höherer Endanteil im Bundesland.
Prozentuale Quoten sind jedoch relativ, ausschlaggebend ist immer die absolute Kosten-Nutzen-Rechnung. Die eigentliche Frage lautet daher: Was bleibt z.B. für Schleswig-Holstein von diesen zusätzlichen rund 9 Euro an Steuereinnahmen übrig, wenn die für die Erhebung der zusätzlichen 100 Euro an Steuern anfallenden Kosten des Steuervollzugs (z.B. durch die Einstellung von zusätzlichen Betriebsprüfern und Steuerfahndern) davon abgezogen werden?
Zusätzliches Prüfpersonal würde immer noch ein hohes Mehraufkommen generieren
Unstrittig ist, dass ein einzelner Betriebsprüfer oder Steuerfahnder das Mehrfache seiner eigenen Kosten an Steuern einnimmt: Auf Basis der aktuellen Steuermehreinnahmen reichen die Schätzungen dabei vom 15-Fachen bis rund 20-Fachen an „Rendite“ je eingesetztem Beamten.7 Setzt man mit den Zahlen aus dem Jahr 2014 konservativ den 16,5-fachen Wert an,8 so lohnt sich zusätzliches Finanzpersonal für ein Bundesland bereits ab Verbleib von 6% der Steuermehreinnahmen im Lande (die Gewinnschwelle liegt also bei ca. 6% minimaler Einbehaltsquote).9
Bei diesem Kostenüberschlag rechnet sich zusätzliches Personal in jedem Fall und für jedes Bundesland – selbst beim Steuervollzug der maximal ungünstig ausfallenden Einkommensteuer und selbst im ungünstigsten Fall Bremen. Es ergeben sich dabei für alle Bundesländer (mit Ausnahme von Bremen) zweistellige quasi risikolose Renditen, von denen private Kapitalanleger nur träumen können (vgl. Abbildung 3). Auch dem vom IW Köln angeführten Schleswig-Holstein würde die Einstellung zusätzlichen Personals knapp 40% Gewinn bringen. Vor allem jedoch würde sich eine zügige Einstellung für die Geberländer (Baden-Württemberg, Bayern und Hessen) sowie Nordrhein-Westfalen und den Stadtstaat Hamburg rechnen. Deren Einbehaltsquoten betragen bei zusätzlichen Steuereinnahmen selbst nach Steuerzerlegung und Länderfinanzausgeich ein Mehrfaches der Nehmerländer, es winken hohe Gewinne von 241% bis 458% (also dem 2,4-Fachen bis rund 4,6-Fachen) der eingesetzten Personalkosten.
Abbildung 3
Wieviel Rendite bringt ein zusätzlicher Steuerfahnder bzw. Betriebsprüfer mindestens?, 2014
Anmerkung: Die Renditen pro Bundesland ergeben sich wie folgt: Jeweilige Einbehaltsquote (Daten: IW Köln) multipliziert mit 16,53365% Steuermehreinnahmen (an Einnahmen im Verhältnis zu den Kosten) je zusätzlichem Prüfer.
Quelle: eigene Darstellung.
Nicht genug betont werden kann, dass diese teilweise sehr hohen Renditen sich bereits auf Basis der minimalen Einbehaltsquoten bei der ungünstigsten Steuerart ergeben, also nur eine „Mindestrendite“ darstellen. Die tatsächlichen Renditen für die Bundesländer fallen eher höher aus und ließen sich zusätzlich gezielt steigern:
- Grundsätzlich fallen die endgültigen Einbehaltsquoten über alle Steuerarten (und damit auch die Renditen je Prüfer) höher aus, da die weiteren gemeinschaftlichen Steuern einen höheren Länderanteil haben. Denn auch wenn im anschließend greifenden Länderfinanzausgleich noch kräftig umverteilt wird, nivelliert sich der Mehranteil nicht vollständig.
- Auch der aktuelle Vorschlag der 16 Bundesländer zur Reform des Länderfinanzausgleichs würde für alle Länder (außer für das bereits äußerst privilegierte Hamburg) zukünftig zu leicht höheren Einbehaltsquoten führen, also auch den finanziellen Anreiz zum Steuervollzug erhöhen.10
- Dazu kommt, dass zusätzliches Personal nicht breit gestreut, sondern gewichtet nach den zu erwartenden Mehreinnahmen je Steuerart eingesetzt werden könnte. Beispielsweise liegt der vom IW Köln genannte Extremfall Einkommensteuer beim Aufkommen erst auf Platz 3 nach der Körperschaft- und der Gewerbesteuer (vgl. Abbildung 4).11
- Äußerst lukrativ wäre überdies eine Konzentration des zusätzlichen Personals auf Großbetriebe, bei denen bereits heute der Löwenanteil der Mehrsteuern anfällt: Über das Zehnfache gegenüber Mittel- bis Kleinbetrieben (vgl. Abbildung 5).12
- Schließlich würde eine durch vermehrte Prüfung und konsequentere Fahndung erhöhte Entdeckungswahrscheinlichkeit von Steuerhinterziehung auch die allgemeine Steuerehrlichkeit und damit das generelle Steueraufkommen erhöhen – sowohl im Bundesland als auch über das Bundesland hinaus. Zwar sind diese Mehreinnahmen nur schwer zu prognostizieren, die hohe Steigerung von Selbstanzeigen nach bisherigen Ankäufen von Daten über potenzielle Steuerhinterzieher spricht jedoch deutlich dafür.13
Dass eine angemessene Personalaufstockung bei Steuerfahndern und Betriebsprüfern bislang trotz der bereits bestehenden (vor allem bei den Geberländern hohen) finanziellen Anreize unterbleibt, muss folglich andere Gründe haben.
Abbildung 4
Mehrergebnis nach Steuerarten im Fünfjahresvergleich
Quelle: Bundesministerium der Finanzen.
Abbildung 5
Mehrergebnis nach Größenklassen im Fünfjahresvergleich
Quelle: Bundesministerium der Finanzen.
Finanzstärkere Länder haben höheren Steuereinbehalt, aber lascheren Steuervollzug
Geht man von einem einfachen Kosten-Nutzen-Kalkül beim Personalstand aus, wie unter anderem vom Sachverständigenrat für Wirtschaft, dem IW Köln und der Steuergewerkschaft unterstellt wird, dann sollte in den Bundesländern mit hohen Einbehaltsquoten und dreistelligen Personalrenditen auch der höchste Personalstand in den Prüfdiensten zu finden sein. Aber: Paradoxerweise ist das Gegenteil der Fall. Höhere finanzielle Anreize gehen tendenziell sogar mit weniger Prüfungen einher.
Trotz in der Tendenz sinkender Grenzbelastungen in Richtung Süden zu den Geberländern zeigt sich (relativ zur Wirtschaftskraft und damit auch zum Prüfvolumen) sogar ein deutliches Gefälle beim Steuervollzug. Vor allem in Bayern und Baden-Württemberg müssen Betriebsprüfer und Steuerfahnder ein höheres Transaktionsvolumen prüfen als in anderen Bundesländern (gegenüber Sachsen-Anhalt grob das Doppelte (vgl. Abbildungen 6 und 7).14 Selbst bei der Quote von Steuerfahndern je Einwohner „landeten neben dem kleinen Saarland und Niedersachsen die wirtschaftsfreundlichen Südländer Baden-Württemberg, Bayern und Hessen auf den hinteren Plätzen mit einer sehr niedrigen Steuerfahnderquote.“15 Eine Groteske bietet auch Hamburg: Spitzenreiter bei der Einkommensteuer-Einbehaltsquote (rund 34%), aber Schlusslicht bei der Prüfung von Einkommensmillionären (in Hamburg durchschnittlich alle 20 Jahre versus Bundesdurchschnitt alle acht Jahre).16 Folglich ist nicht zu erwarten, dass noch höhere finanzielle Anreize diese Bundesländer zu besserer Prüfung motivieren könnten.
Abbildung 6
BIP/Betriebsprüfer, 2008 bis 2014
in Mrd. Euro
Quelle: M. Meinzer: Steueroase Deutschland – Warum bei uns viele Reiche keine Steuern zahlen, München 2015, S. 157.
Abbildung 7
BIP/Steuerfahnder, 2008 bis 2014
in Mrd. Euro
Quelle: M. Meinzer: Steueroase Deutschland – Warum bei uns viele Reiche keine Steuern zahlen, München 2015, S. 157.
Ein vorbildlicher Steuervollzug ist jedoch prinzipiell möglich und wird teilweise auch umgesetzt: „Wie es auch laufen kann, macht Nordrhein-Westfalen vor. Es ist kein Zufall, dass so oft von den Staatsanwaltschaften in Wuppertal und Bochum die Rede ist, wenn es um Ankäufe von Steuer-CDs geht. In NRW ist die Steuerfahndung in zehn eigenen Behörden organisiert, und nicht als Anhängsel von Finanzverwaltungen. ‚Die sind richtig schlagkräftig und selbstbewusst, in Bochum zum Beispiel sitzen 100 Fahnder in einem eigenen Verwaltungsgebäude‘, sagt Manfred Lehmann, Chef der NRW-Steuergewerkschaft. Ähnlich funktioniert die Fahndung in Niedersachsen. Die Strukturen haben sich nach Ansicht von Experten bewährt.“17 Dass gerade Länder mit vergleichsweise mittleren Einbehaltsquoten (wie Niedersachsen) hier vorbildhaft agieren, kann nicht alleine durch eine Anreiz-These erklärt werden. Und komplett widerspricht der Idee finanzieller Anreize, dass auch in den Ländern mit den geringsten Einbehaltsquoten die Steuerverwaltungen im bundesweiten Personalvergleich teilweise noch relativ gut aufgestellt sind.
Ausschlaggebend für Steuerdumping sind Standortpolitik und möglicherweise Korruption
Wenn der Grund für mangelnden Steuervollzug nicht in den nach wie vor (trotz Steuerzerlegung und Länderfinanzausgleich) äußerst lukrativen Einbehaltsquoten zu finden ist, worin dann? Es liegt nahe, dass Steuerdumping als eine versteckte Subventionierung der heimischen Wirtschaft eingesetzt wird. Eine Standortpolitik zunächst auf Kosten der Nachbarn, und dann auf Kosten aller, sobald der Nachbar nachzieht und den Dumping-Vorsprung einholt. Eine Strategie, die sich steuerstärkere Bundesländer wohl auch gerade deshalb erlauben können, weil sie mit ihrem kommunalen und landesweiten Steueraufkommen bereits vergleichsweise gut dastehen und Luft dazu haben.18
Wie weit eine politische Begünstigung mächtiger Wirtschaftsinteressen reichen kann, zeigt der groteske Fall geschasster Steuerfahnder aus Hessen, die nach jahrelangem Rechtstreit erst kürzlich rehabilitiert wurden. Alles weist darauf hin, dass sich die hessische Landesregierung schützend vor „ihre“ Banken in Frankfurt gestellt hatte, zum Nachteil des Gemeinwesens und – in quasi auf die Zerstörung der Person gerichteter Form – gegen ihre eigenen Staatsdiener.19 Allerdings lässt sich die Frage stellen, wie groß der Unterschied in der Steuerdurchsetzung zwischen den Bundesländern sein müsste, um tatsächlich eine signifikante Zahl von Unternehmen aus einem Bundesland in ein anderes zu drängen. Solche Ängste werden jedoch stark relativiert durch das bereits angeführte Beispiel Nordrhein-Westfalen, das trotz vorbildlicher Steuerdurchsetzung keineswegs von Unternehmensflucht geplagt ist. Auch dieses innerdeutsche „Steuerflucht-Argument“ steht folglich auf schwachen Beinen. Es scheint also vor allem eine Frage der politischen Kultur zu sein, ob und inwiefern rechtsstaatliche Prinzipien in der Steuerdurchsetzung Anwendung finden. Begünstigung und Korruption jedoch müssten an erster Stelle dienst- und strafrechtlich verfolgt werden, statt sie als Argument gegen unseren föderalen Ausgleich anzuführen, der die Grundlage für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Bundesländern darstellt.
Verpflichtende Länderkoordination oder Bundessteuerverwaltung
Wohlhabendere Bundesländer haben bereits große finanzielle Anreize zum Steuervollzug sowie das wirtschaftliche Potenzial im Land, und könnten hohe Mehraufkommen abschöpfen. Trotzdem ist kein strikterer Vollzug zu beobachten; das Potenzial liegt brach. Heute ist es unter anderem Bayern, dessen Wirtschaft einst mit den Steuereinnahmen des Ruhrgebiets aufgepäppelt wurde, das jetzt, wo es dem Land strukturell gut geht, Steuerdumping betreibt und die nun wirtschaftlich abgehängten Regionen sich selbst überlassen will. Hingegen ist bei Bundesländern mit geringer Wirtschaftskraft wenig zu holen, noch höhere Einbehaltsquoten beim Steueraufkommen würde also kaum einen Unterschied machen.
Die Lösung kann daher nur darin bestehen, die Prüfdienste (gegebenenfalls die gesamte Steuerverwaltung) entweder verpflichtend zwischen den Bundesländern zu koordinieren oder zentral vom Bund zu übernehmen (durch Einrichtung einer zentralen Bundessteuerverwaltung einschließlich eines „Steuer-FBI“20). Als koordinierte Lösungen denkbar wären beispielsweise verbindliche Übereinkünfte zwischen den Ländern über Prüfquoten21 und Prüfpersonal (nach Betrieben und BIP des Landes), bei deren Verstoß Strafzahlungen in den Länderfinanzausgleich fällig würden. Zusätzlich könnten symbolisch, auch wenn wie nachgewiesen heute bereits ausreichend finanzielle Anreize gegeben sind, die Kosten der Steuerverwaltung mindernd auf den Länderfinanzausgleich angerechnet werden. Bislang konnten die Länder sich jedoch nicht freiwillig auf eine effektive Koordination einigen, und dies ist auch mittelfristig nicht abzusehen.22
Zeitnah ließe sich regionales Steuerdumping demnach nur über eine gesetzlich verpflichtende bundesweite Koordination oder eine bundesstaatliche Steuerdurchsetzung wirkungsvoll unterbinden.23 Die damit zu erwartenden beträchtlichen Einnahmeerhöhungen für Bund, Länder und Kommunen (Schätzungen gehen alleine bei Großbetriebsprüfungen von zusätzlichen 24 Mrd. Euro aus)24 dürften auch die Länder für die Kompetenzverlagerung im Steuerwesen mehr als ausreichend kompensieren. Und nicht zuletzt schafft erst eine gute regionale Finanzausstattung auch die nachhaltige Grundlage für eine Fortführung und Verbesserung des solidarischen Länderfinanzausgleichs.25
- 1 A. Berg: Milliarden, die keiner will, in: Südwest Presse vom 28.5.2013, http://www.swp.de/ulm/nachrichten/politik/Milliarden-die-keiner-will;art4306,2024060.
- 2 O.V.: Griechenland-Hilfe – Schäuble „Am 28., 24 Uhr, is over“, in: Die Welt vom 17.2.2015, http://www.welt.de/wirtschaft/article137549826/Schaeuble-Am-28-24-Uhr-is-over.html.
- 3 Sachverständigenrat für Wirtschaft: Jahresgutachten 2014/15 – Öffentliche Finanzen, Effizienz durch Subsidiarität, S. 326 und S. 360. Für eine gelungene Kritik dieser Analyse siehe die abweichende Position des Sachverständigenrat-Mitglieds Peter Bofinger, S. 344 f., http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/ gutachten/jg201415/JG14_08.pdf.
- 4 Länderfinanzausgleich – Anders ist nicht gleich besser, IW-Nachrichten vom 4.12.2015, http://www.iwkoeln.de/presse/iw-nachrichten/beitrag/laenderfinanzausgleich-anders-ist-nicht-gleich-besser-255880?highlight=L%25C3%25A4nderfinanzausgleich%252B.
- 5 „Ondracek schlägt deshalb folgende Regelung vor: Alles, was die Steuerfahnder eintreiben, bleibt im Bundesland, statt in den Länderfinanzausgleich zu fließen. ‚Was glauben Sie, wie viele Steuerfahnder dann plötzlich unterwegs sind?‘“, in: A. Berg, a.a.O.
- 6 Länderfinanzausgleich – Reformvorschlag setzt falsche Anreize, IW Köln, Pressemitteilung vom 11.12.2015, http://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/beitrag/laenderfinanzausgleich-reformvorschlag-setzt-falsche-anreize-256513.
- 7 Quoten bis zum 19,1-Fachen finden sich in Medienberichten (auf Basis anderer Jahrgänge und Personalkosten-Schätzungen), vgl. z.B. S. Bigalke: Jeder Betriebsprüfer bringt 1,4 Millionen Euro, in: Süddeutsche Zeitung vom 27.8.2013, http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanzamt-jeder-betriebspruefer-bringt-millionen-euro-1.1756314; M. Gajevic: Große Fische, wenige Angler, in: Frankfurter Rundschau vom 18.5.2013, http://www.fr-online.de/politik/steuerfahnder-grosse-fische--wenigeangler,1472596,22799832.html.
- 8 Laut BMF fielen 17,9 Mrd. Euro Mehrsteuern im Jahr 2014 an, eingebracht durch 13 533 Prüfer, http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Weitere_Steuerthemen/Betriebspruefung/BMF_Schreiben_Allgemeines/2015-06-22-jahresergebnis-der-steuerlichen-betriebspruefung-fuer-das-jahr-2014-anlage.pdf?__blob=publicationFile&v=3. Das ergibt 1,322 Mio. Euro Einnahmen pro Prüfer, für die laut Steuergewerkschaft jeweils ca. 70 000 bis 80 000 Euro (Gehälter von Betriebsprüfer bis Steuerfahnder) anzusetzen sind. Bei (hoch angesetzten) 80 000 Euro durchschnittlichen Personalkosten für Mehreinnahmen von 1,322 Mio. Euro bedeutet dies das rund 16,53-Fache an Einnahmen im Verhältnis zu den Kosten (bzw. die Kosten betragen nur rund 6% der Mehreinnahmen).
- 9 Natürlich muss von tendenziell geringer werdenden Mehreinnahmen bei jedem weiteren eingestellten Steuerfahnder oder Betriebsprüfer ausgegangen werden (abnehmender Grenznutzen von Prüfungsbe-mühungen). Dieses Problem stellt sich jedoch erst, falls eine nennenswerte Neu- bzw. Wiederbesetzung erfolgt, spielt also keine Rolle bei der Untersuchung der aktuell vorliegenden Anreize für einen konsequenten Steuervollzug.
- 10 Für einen Vergleich der Einbehaltsquoten des alten Länderfinanzausgleichs versus des aktuellen Verhandlungsvorschlags der Länder vgl. T. Hentze: Reform des Länderfinanzausgleichs – Eine Bewertung des Vorschlags der Bundesländer, IW policy papers, Nr. 38, 11.12.2015, S. 9 f.
- 11 Bundesministerium der Finanzen: Ergebnis der steuerlichen Betriebsprüfung 2014, Monatsbericht, 22.10.2016.
- 12 Ebenda.
- 13 M. Meinzer: Steueroase Deutschland – Warum bei uns viele Reiche keine Steuern zahlen, München 2015.
- 14 Ebenda, S. 157.
- 15 M. Bartsch et al.: Steuerbetrug – Milder Süden, in: Der Spiegel vom 13.2.2010.
- 16 M. Meinzer, a.a.O., S. 159.
- 17 M. Gajevic, a.a.O.
- 18 M. Bartsch et al., a.a.O.
- 19 M. Thieme: Falschgutachten – Für paranoid erklärte Steuerfahnder werden rehabilitiert, in: Berliner Morgenpost vom 12.12.2015.
- 20 W. Stupka: Steuerexperte fordert länderübergreifendes „Steuer-FBI“ – Die Probleme der Steuerhinterziehung in Deutschland sind oft hausgemacht, in: Deutschlandradio vom 9.4.2013.
- 21 Für konkrete Vorschläge, Mindestprüfintervalle gesetzlich festzuschreiben, siehe beispielsweise den aktuellen Antrag zum „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung“ der Fraktion Die Linke, Bundestagsdrucksache 18/9125, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/091/1809125.pdf.
- 22 „Der Versuch, wenigstens das bundeseinheitliche Computersystem ‚Fiscus‘ in den Ländern zu installieren, wurde 2005 nach 13 Jahren Vorbereitung und Ausgaben von 400 Millionen Euro eingestellt. (…) Der Bundesrechnungshof sieht nur einen Ausweg aus dem Dilemma. Der Bund müsse die Verantwortung für die Steuerverwaltung zentral übernehmen und dafür sorgen, dass überall gleiche Standards gelten.“, vgl. M. Bartsch et al., a.a.O. Auch das Nachfolgeprojekt „Konsens“ ist bis heute mit zahlreichen Schwierigkeiten und Verzögerungen konfrontiert, von einer halbwegs koordinierten Steuerverwaltung ist die Bundesrepublik noch weit entfernt. Vgl. Bundesfinanzministerium: Perspektive zur Steuervereinfachung im Wandel?, Monatsbericht, Nr. 1, 2014.
- 23 Die Ausnahmen, in denen der Bund mit Bundesbetriebsprüfern aushilft bzw. aushelfen darf, lassen tief blicken: „Ein Bericht des Bundesrechnungshofes an den Finanzminister aus dem Jahr 2005, der in einem bisher unveröffentlichten Bericht des Bundesrechnungshofes aus dem Jahr 2014 erwähnt wird, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Durch die Mitwirkung des Bundes an ca. 1% (ca. 400) der deutschlandweiten Betriebsprüfungen seien Missstände mit ‚erheblichen Steuerausfällen für den Bund‘ offenbar geworden, die nur die ‚Spitze des Eisbergs‘ darstellen. Obendrein verfügten die Bundesprüfer selbst in diesen entdeckten Fällen ‚nicht über die rechtlichen Möglichkeiten (…), um Länderentscheidungen zu Lasten des Bundes zu verhindern‘.“, vgl. M. Meinzer, a.a.O., S. 162.
- 24 „Demnach wurde durch die Bundesbetriebsprüfung 2012 bei 1026 Prüfungen ein Mehrergebnis von 5,1 Mrd. Euro erzielt, pro Prüfung ca. 4,9 Mio. Euro. (…) Unterstellt man hypothetisch, dass die Landesbetriebsprüfer bei 5000 Großbetrieben ein ähnlich hohes Mehrergebnis pro Prüfung erzielen würden wie die Bundesbetriebsprüfer, dann beliefe sich allein dieses Mehrergebnis auf über 24 Mrd. Euro.“ M. Meinzer, a.a.O., S. 162.
- 25 Vgl. dazu: Die Linke: FiPo-AG „Länderfinanzausgleich“: Länderfinanzausgleich LINKS gedacht – sozial und solidarisch, 22.3.2014, S. 5.