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Die Digitalisierung hat mittlerweile sehr viele Wirtschaftsbereiche erfasst. In Zukunft wird sie – vorausgesetzt die Gesellschaft entscheidet sich dafür – die Wirtschaft noch stärker durchdringen. Der Autor findet sowohl wachstumsfördernde als auch wachstumsdämpfende Effekte. Die Entwicklung kann langfristig mit einem deutlichen Rückgang der Beschäftigung einhergehen, was sich negativ auf den Konsum auswirken würde. Kurzfristig sieht er durch die notwendigen Investitionen im Rahmen der digitalen Transformation positive Wachstumswirkungen. Allerdings ist es durchaus möglich, dass es zwar zu einem Rückgang des gemessenen Bruttoinlandsprodukts kommt, aber dennoch der gesellschaftliche Wohlstand durch die gewonnene Zeit für selbstbestimmte Tätigkeiten zunimmt.

Worum geht es bei der Digitalisierung? Der Begriff der Digitalisierung wird hier umfassend verstanden. Er beschreibt im Wesentlichen die weltweite Ausbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien, also den verstärkten Einsatz dieser Technologien in allen Bereichen des menschlichen Daseins. Dieser Einsatz betrifft nicht nur die ökonomischen Produktionsprozesse, sondern auch den Konsum (Online-Shopping), die Bildung (E-Learning), die politische Teilhabe (E-Governance), das Verkehrswesen (Fahrkartenautomaten und E-Tickets), das Gesundheitswesen (telemedizinische Verfahren) und vieles mehr bis hin zum Freizeit- und Kommunikationsverhalten der Menschen (soziale Medien).

Nur exemplarisch verdeutlichen einige wenige Entwicklungen, die sich bereits heute andeuten bzw. sogar schon in der Praxis anzutreffen sind, wie stark die Digitalisierung zukünftig Wirtschaftsprozesse verändern kann:1

  • Moderne Industrieroboter produzieren schon heute mit immer weniger menschlicher Unterstützung Produkte, Vorleistungen, Maschinen und wiederum Industrieroboter. In vollautomatischen Lagern haben fahrerlose Gabelstapler und Lagerdatenbanken die menschlichen Arbeitskräfte weitgehend ersetzt.
  • Selbstfahrende Fahrzeuge gibt es gegenwärtig in Formen des teilautomatischen und des hochautomatischen Fahrens. Der letzte noch ausstehende Schritt ist das vollautomatische Fahren, bei dem ein Fahrzeug alle denkbaren Verkehrssituationen automatisch beherrscht. Perspektivisch ersetzt dies Lkw-, Bus- und Taxifahrer. Gleiches ist für den Schienenverkehr und die Schifffahrt zu erwarten.
  • Juristische Mustererkennungssoftware findet in kurzer Zeit Präzedenzfälle und macht damit viele Anwälte und Juristen überflüssig. Medizinische Diagnosesoftwareprogramme durchsuchen in Sekundenschnelle Datenbanken und stellen ärztliche Diagnosen. Zudem übernehmen Operationsroboter die Tätigkeiten von Chirurgen.
  • Immer leistungsfähigere Übersetzungssoftware übernimmt die Tätigkeiten von Dolmetschern und Übersetzern. So stellte beispielsweise Microsoft Ende Mai 2014 die erste Testversion eines Simultan-Übersetzungsprogramms für Videotelefonate vor, den „Skype Translator“.
  • Schreibroboter werden zunehmend zu einer Konkurrenz für Journalisten. Im Bereich des Wirtschaftsjournalismus wird beispielsweise eine Software eingesetzt, die die Quartalsberichte von Unternehmen auswertet, weitere Unternehmensdaten aus dem Internet analysiert, die Zahlen der Konkurrenzunternehmen berücksichtigt und dann einen Artikel dazu verfasst. Der Rekord für die Erledigung aller dieser Aufgaben liegt bei 15 Sekunden, d.h. 15 Sekunden nach der offiziellen Veröffentlichung der Unternehmensdaten liegt ein druckreifer Text vor.2
  • Im Finanzdienstleistungssektor ersetzen das Online-Banking, Online-Versicherungen, der Online-Wertpapierhandel und die Kreditvergabe durch Online-Anbieter wie beispielsweise Auxmoney Bankangestellte, Versicherungsmakler und Aktienhändler. Verstärkt wird diese Tendenz im Bereich des Wertpapierhandels durch Computerprogramme, die schon 2012 zwei Drittel aller Aktienaufträge in den USA ausführten.3
  • Im Tourismussektor ersetzen Online-Reservierungen sowie Reise- und Hotelbuchungsportale Reiseagenturen und die dort Beschäftigten.
  • Pflegeroboter werden in der Altenpflege und bei der Kinderbetreuung eingesetzt.
  • Schließlich werden 3D-Drucker zunehmend dafür sorgen, dass Konsumenten Produkte selbst herstellen können. Perspektivisch kann dies zum Ende zahlreicher Produktions- und Handelsunternehmen führen.

Auch wenn einige dieser Entwicklungen aus heutiger Sicht utopisch erscheinen, ist davon auszugehen, dass sie früher oder später Realität werden. Einschränkend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die skizzierten Entwicklungen nicht naturgesetzlich sind, da sie durch gesellschaftspolitische Entscheidungen geprägt und beeinflusst werden. Da es also keine Gewissheit über die konkreten Auswirkungen der Digitalisierung gibt, handelt es sich bei den nachfolgenden Ausführungen um grobe Leitplanken möglicher Entwicklungen.

Mittel- und langfristige Wachstumseffekte der Digitalisierung

Der verstärkte Einsatz digitaler Technologien beeinflusst das wirtschaftliche Wachstum einer Volkswirtschaft über zahlreiche Kanäle. Zu den wichtigsten gehören: der Investitionsbedarf zum Aufbau der notwendigen digitalen Infrastruktur, der durch die voranschreitende Digitalisierung hervorgerufene technologische Fortschritt, die Tendenz zur Sharing Economy, die Beschäftigungseffekte der voranschreitenden Digitalisierung und die Frage, wie die Bürger die technologisch bedingten Zeitgewinne nutzen.

Investitionsbedarf, technologischer Fortschritt und Wachstum

Der Investitionsbedarf zum Aufbau der digitalen Infrastruktur erhöht kurzfristig die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage. Unternehmen passen ihr Produktionsniveau an die gestiegene Nachfrage an, sodass es zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum kommt. Auch notwendige öffentliche Investitionen haben einen positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekt.

Ebenso wirkt der mit der Digitalisierung einhergehende technologische Fortschritt wachstumssteigernd: Technologischer Fortschritt bedeutet, dass die Produktionskosten sinken und die Unternehmen ihr Produkt zu einem geringeren Preis auf dem Markt anbieten können. Damit sinkt der Marktpreis für das betreffende Produkt (in Abbildung 1 von palt auf pneu). Im Normalfall reagieren Verbraucher auf einen sinkenden Preis, indem sie mehr Einheiten des betreffenden Produkts nachfragen. Sofern die Unternehmen sich an die steigende Nachfrage anpassen, nimmt die Produktion zu (in Abbildung 1 von xalt auf xneu). Für die Volkswirtschaft als Ganzes bedeutet dies eine Zunahme der produzierten Sachgüter und Dienstleistungen, also eine Steigerung des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Abbildung 1
Wachstumseffekte des technologischen Fortschritts
Wachstumseffekte des technologischen Fortschritts

Quelle: eigene Darstellung.

Einschränkend ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Wert der produzierten Sachgüter und Dienstleistungen sinken kann: Der Wert ergibt sich aus der Multiplikation der Menge an Gütern mit den entsprechenden Marktpreisen. Wenn der Preisrückgang infolge des technologischen Fortschritts relativ groß ist und der damit verbundene Anstieg der produzierten und nachgefragten Gütermenge nur relativ gering ausfällt, geht der Wert der produzierten und nachgefragten Güter zurück. Bezogen auf das BIP bedeutet dies, dass das nominale BIP als Folge des mit der voranschreitenden Digitalisierung verbundenen technologischen Fortschritts sinken kann. Sofern der Preisrückgang bei der Umrechnung des nominalen BIP in das reale BIP nicht richtig berücksichtigt wird, kann es zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Zuwachses der Gütermenge kommen und damit auch zu einer Unterschätzung des realen BIP-Anstiegs. Erschwerend kommt hinzu, dass der technologische Fortschritt nicht nur die Preise von Gütern verändert, sondern auch deren Qualität. Die korrekte Messung des realen Bruttoinlandsprodukts verlangt eine Berücksichtigung dieser Qualitätsunterschiede. Um dieser Erfordernis nachzukommen, wendet das Statistische Bundesamt im Rahmen der hedonischen Preismessung Verfahren an, die eine entsprechende Qualitätsbereinigung ermöglichen.4 Sofern dabei jedoch der Geldwert des Qualitätsfortschritts unterschätzt wird, fällt der von der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ausgewiesene BIP-Zuwachs geringer aus als er tatsächlich ist.

Sharing Economy und Wachstum

Eine weitere wachstumsbeeinflussende Entwicklung betrifft die Tendenz hin zur Sharing Economy. Dies bedeutet, dass die Verbraucher bestimmte Produkte nicht mehr selbst kaufen, sondern für eine bestimmte Zeit mieten. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das Carsharing. Bei dieser Nutzungsform werden die Menschen Mitglied in einem Carsharing-Netzwerk, das eine bestimmte Zahl von Automobilen erwirbt. Die Mitglieder des Netzwerks können diese Automobile dann gegen die Zahlung eines Mitgliedsbeitrags und/oder einer nutzungsabhängigen Gebühr benutzen.

Es gibt schon jetzt zahlreiche Güter, bei denen es zu einer gemeinsamen Nutzung kommt. Neben Carsharing-Netzen gibt es diese Einrichtungen für Fahrräder, Wohnungen (z.B. Airbnb), Werkzeuge, Haushaltsgeräte, Spielzeug (z.B. Rent That Toy! und Spark Box Toys), Designer-Krawatten (z.B. Tie Society), Designerkleider, Handtaschen oder Schmuck sowie in den Bereichen Medien und Entertainment (z.B. Spotify und Netflix).5 Mit Blick auf die Höhe des Wirtschaftswachstums – definiert als eine Zunahme des BIP im Zeitablauf – ergeben sich aus dieser Nutzungsform drei zentrale Konsequenzen:

  1. Die Tendenz zur Sharing Economy senkt das Wirtschaftswachstum im Sinne der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, weil die Nachfrage nach Konsumgütern zurückgeht: Wenn sich vier Personen einen Pkw teilen, wird nur noch ein Pkw nachgefragt und produziert, aber nicht mehr vier.
  2. Die Tendenz zur Sharing Economy senkt das Wirtschaftswachstum zusätzlich, wenn die Verbraucher bei der Nutzung der Sharing-Netze die traditionellen Kanäle des Marktes umgehen:6 Wenn Touristen in der Stadt, die sie besuchen, auf private Wohnungen zugreifen, zahlen sie dafür eine weitaus geringere Gebühr als für ein Hotelzimmer. Mengenmäßig bleibt die nachgefragte Gütermenge zwar konstant. Da das BIP die konsumierten Güter und Dienstleistungen jedoch zu ihren Marktpreisen bewertet, führt die Substitution von Hotelzimmern durch private Wohnungen zu einem Rückgang des nominalen BIP. Noch gravierender ist der BIP-Rückgang, wenn die privaten Eigentümer der Wohnung (oder anderer Güter mit entsprechenden Netzen) ihre Einnahmen nicht bei der Steuererklärung angeben. In diesem Fall wird die Nutzung einer privaten Wohnung gar nicht im BIP erfasst.
  3. Wenn diese beiden Effekte die Konsequenz haben, dass das Wirtschaftswachstum nachlässt bzw. das BIP sogar schrumpft, hat dies Auswirkungen auf die Investitionstätigkeiten: Bei einer sinkenden Nachfrage nach Konsumgütern ist eine Erhöhung der Produktionskapazitäten in den Unternehmen nicht sinnvoll. Folglich gehen die Investitionen zurück. Eine sinkende Investitionsnachfrage hat zur Folge, dass die Unternehmen aus der Investitionsgüterindustrie weniger Maschinen und andere Produktionsmittel verkaufen können. Folglich reduziert die Investitionsgüterindustrie ihre Produktion, wodurch das wirtschaftliche Wachstum weiter verringert wird.

Alle drei wachstumsdämpfenden Effekte haben dann auch eine Rückwirkung auf den Arbeitsmarkt: Unternehmen passen sich an den geringeren Bedarf an und reduzieren ihre Produktion. Damit sinkt auch das Beschäftigungsniveau. Falls die damit freigesetzten Arbeitskräfte keine neuen Stellen finden, sinkt ihr verfügbares Einkommen. Folglich geht die Kaufkraft dieser Personen zurück, sodass sie ihren Konsum einschränken müssen. Die damit verbundene Verringerung der privaten Konsumnachfrage reduziert die Produktion in der Konsumgüterindustrie, wodurch das wirtschaftliche Wachstum weiter geschwächt wird.

Beschäftigungseffekte der voranschreitenden Digitalisierung

Bei einer rein quantitativen Betrachtung zeigt sich, dass der technologische Fortschritt in vielen Tätigkeitsbereichen dazu geführt hat, dass Maschinen die menschliche Arbeitskraft weitgehend ersetzt haben: Fahrkarten- und Bankautomaten ersetzen Schalterbedienstete, vollautomatische Produktionsanlagen produzieren Güter, die Logistikbranche arbeitet mit hochautomatisierten Einrichtungen, „in denen Software, Computer und Roboter in ihrem Zusammenspiel eine viel größere Rolle spielen als Menschen“7 – die Liste ließe sich beliebig fortführen. Die Konsequenz ist ein Rückgang des in Arbeitsstunden gemessenen Arbeitseinsatzes, selbst wenn das BIP wächst.

Das Phänomen eines wirtschaftlichen Wachstums ohne einen gleichzeitigen Anstieg der Beschäftigung bzw. ohne einen Rückgang der Arbeitslosigkeit wurde bereits zu Beginn der 1990er Jahre in den USA beobachtet.8 Es wiederholte sich während des Aufschwungs nach der 2007 beginnenden Rezession: Das reale BIP nahm in den USA zwischen dem 4. Quartal 2007 (dem Beginn der Rezession) und dem 3. Quartal 2012 um rund 2,2% zu. Wegen der hohen Produktivitätsfortschritte nahm die Zahl der Erwerbstätigen jedoch im gleichen Zeitraum um 2,6% ab. Mark J. Perry spricht in diesem Kontext von einer „jobless recovery“, die auf die hohen Produktivitäts- und Effizienzgewinne zurückzuführen ist.9 Selbst in wenig entwickelten Volkswirtschaften wie China und Indien lässt sich das Phänomen des „jobless growth“ nachweisen.10

Die Frage, ob es auch zukünftig einen tendenziell sinkenden Arbeitskräftebedarf gibt, weil Kapital und Technik verstärkt eingesetzt werden und menschliche Arbeitskraft ersetzen, wird in der Literatur uneinheitlich beantwortet:

  • Carl B. Frey und Michael A. Osborne veröffentlichten 2013 eine vielbeachtete Studie, in der sie berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass bestimmte Tätigkeiten in den USA im Jahr 2035 computerisiert sein werden. Ausgehend von 702 Tätigkeiten kommen sie zu der Einschätzung, dass 2035 rund 47% der amerikanischen Beschäftigten durch Computer ersetzt sein könnten.11 Wird die von Frey und Osborne verwendete Methode auf Deutschland übertragen, „stellt sich heraus, dass 59% oder über 18 Mio. Arbeitsplätze gefährdet sind“12. Ein Papier des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), das die Studie ebenfalls auf Deutschland anwendet, kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass die Automatisierungswahrscheinlichkeit 42% der Beschäftigten betrifft, vor allem gering qualifizierte und gering verdienende Personen. Gleichzeitig weisen die Autoren darauf hin, dass dieses Automatisierungspotenzial nicht notwendigerweise auch zu einem tatsächlichen Beschäftigungsrückgang führen muss, weil es „gesellschaftliche, rechtliche und ethische Hürden der Einführung neuer Technologien“ gibt, die berücksichtigt werden müssen.13
  • Noch größer sind die technologisch bedingten Jobverluste, die Jeremy Rifkin vorhersieht. Bereits Mitte der 1990er Jahre ging er davon aus, dass uns die Erwerbsarbeit infolge des technologischen Fortschritts ausgehen wird: „Mitte des nächsten Jahrhunderts wird es keine Arbeiter und Arbeiterinnen mehr geben, sie werden alle der Dritten Industriellen Revolution zum Opfer gefallen sein.“14 Rund 20 Jahre später wiederholt er diese These: „Die Möglichkeit eines unvorhergesehenen Rückschlags einmal außer Acht gelassen, werden wir auf unserem Weg in die Mitte des 21. Jahrhunderts den größten Teil der produktiven ökonomischen Aktivität der Gesellschaft zunehmend von intelligenten Technologien erledigen lassen, die unter der Aufsicht kleiner Gruppen hoch qualifizierter Geistes- und technischer Arbeiter stehen.“15

Daneben gibt es aber auch Studien, die zumindest mittelfristig keine Verdrängung von Arbeitskräften durch digitale Technologien sehen, sondern sogar Beschäftigungszuwächse erwarten:

  • Eine im Juli 2016 veröffentlichte Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales erstellte eine Prognose bezüglich der Auswirkungen der voranschreitenden Digitalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt bis zum Jahr 2030. Die Autoren gehen zwar auch von einer hohen Freisetzung von Arbeitskräften in digitalisierbaren Tätigkeitsfeldern aus, sie sehen aber gleichzeitig einen höheren Bedarf an „koordinierenden, forschenden, kommunikativen, kreativen und entscheidungsintensiven Tätigkeiten“16. Zwischen 2014 und 2030 wird die Zahl der freigesetzten Erwerbstätigkeiten bei knapp 1,11 Mio. Personen liegen. Betroffen sind vor allem die Bereiche Verkehr und Logistik, Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung, Land- und Forstwirtschaft, kaufmännische Dienstleistungen und Vertrieb sowie das Hotel- und Gaststättengewerbe. Diesen Arbeitsplatzverlusten stehen Gewinne in Höhe von rund 1,35 Mio. Arbeitsplätzen gegenüber, vor allem in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung, Unternehmensorganisation, Naturwissenschaften und Informatik, Medien, Kunst und Kultur sowie den Sprach-, Geistes-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften. Per Saldo ergibt sich daraus eine Zunahme der Erwerbstätigenzahl um 240 000.17
  • Die Boston Consulting Group geht in ihren Berechnungen vom Juli 2016 davon aus, dass zwischen 2015 und 2025 in Deutschland rund 600 000 Arbeitsplätze im Rahmen des Übergangs zur Industrie 4.0 verloren gehen. Gleichzeitig entstehen jedoch auch rund 1 Mio. neue Jobs, sodass per Saldo bis 2025 mit einem Arbeitsplatzzuwachs in Höhe von rund 400 000 zu rechnen ist.18
  • Eine Simulationsberechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht in einer Basisberechnung davon aus, dass von 2015 bis 2025 rund 490 000 Arbeitsplätze in Deutschland verloren gehen (vor allem im Verarbeitenden Gewerbe), gleichzeitig aber auch 430 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden (vor allem im Dienstleistungsbereich). Der Arbeitsplatzverlust liegt folglich bei rund 60 000 Arbeitsplätzen.19

Wie sind nun diese divergierenden Thesen einzuschätzen? Die voranschreitende Digitalisierung wird tendenziell dazu führen, dass Sachkapital und digitale Technologien die menschliche Arbeitskraft in den Produktionsprozessen hoch entwickelter Industrienationen wie Deutschland ersetzen. In den nächsten zehn bis 15 Jahren werden die damit verbundenen Arbeitsplatzverluste noch moderat ausfallen. Langfristig ist jedoch davon auszugehen, dass es zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten kommt – sowohl im Verarbeitenden Gewerbe als auch im Dienstleistungsbereich. Betroffen sind davon vor allem Tätigkeiten mit geringen Qualifikationsanforderungen, zunehmend aber auch anspruchsvolle Berufe. Trotz der zu erwartenden erheblichen Einsparungspotenziale an menschlicher Arbeit durch die voranschreitende Digitalisierung ist ein Ende der Arbeit, das eine vollautomatische Produktion in allen Bereichen des menschlichen Daseins impliziert, jedoch auch langfristig nicht zu sehen. Die Einsparung an menschlichen Arbeitskräften wird aber immerhin so massiv sein, dass sie langfristig (also ab 2040/2050) in entwickelten Volkswirtschaften die von Frey und Osborne berechneten rund 50% erreichen könnte.

Diese Freisetzung von Arbeitskräften hat wiederum Rückwirkungen auf die Güternachfrage: Der verstärkte Einsatz von Kapital und Technologien hat zur Folge, dass Arbeitskräfte tendenziell durch Kapital ersetzt werden und das Beschäftigungsniveau somit sinkt. Zudem erhöht sich dadurch die Produktivität. Damit wird es möglich, eine wachsende Menge von Gütern und Dienstleistungen mit immer weniger Arbeitseinsatz zu produzieren. In entwickelten Industriegesellschaften geht folglich der Bedarf an menschlicher Arbeit (gemessen in Stunden) zurück. Dadurch sinkt der Lohn als Preis für den Produktionsfaktor Arbeit. Gleichzeitig sinken die verfügbaren Einkommen derjenigen, die keine bezahlte Beschäftigung finden.

Wenn sowohl die eingesetzte Arbeitsmenge als auch der Lohn geringer werden, verschiebt sich die gesamtwirtschaftliche Einkommensverteilung zugunsten des Faktors Kapital: Die Bezieher von Kapitaleinkommen erhalten einen wachsenden Teil des gesamtwirtschaftlichen Einkommens, der Einkommensanteil der Lohnbezieher geht zurück. Eine Zunahme der Kapitaleinkommen zulasten der Arbeitseinkommen muss nicht automatisch zu einer höheren Einkommensungleichheit innerhalb der Gesellschaft führen. Wenn das Vermögen, das die Basis der Kapitaleinkommen darstellt, in einer Gesellschaft mehr oder weniger gleich verteilt wäre, könnte jeder Bürger die Einkommensverluste, die er als Arbeitnehmer erleidet, durch höhere Kapitaleinkommen kompensieren. Tatsächlich aber ist das Vermögen in entwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland sehr ungleich verteilt. Durch die voranschreitende Digitalisierung fließen damit immer größere Anteile des gesamtwirtschaftlichen Einkommens an relativ wenige einkommensstarke Haushalte. Diese zeichnen sich durch eine überdurchschnittlich hohe Sparquote aus. Damit kommt es zu einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Konsumnachfrage.

Darüber hinaus ist an die zunehmenden Einkommensunterschiede zwischen vollzeitbeschäftigten Personen und Teilzeitkräften sowie Arbeitslosen zu denken: Wenn technologisch bedingt der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft zurückgeht, steigt die Zahl der Personen, die entweder arbeitslos sind oder nur einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen können. Damit sinken die Jahreseinkommen dieser Personen.

Im Ergebnis kommt es damit im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung zu einer Schwächung der Massenkaufkraft und zu einem gesamtwirtschaftlichen Nachfrageausfall; daran passen sich die Unternehmen mit sinkenden Investitionen und einer geringeren Produktion an. So gesehen kommt es zu einer nachfragebedingten Wachstumsbremse.

Zeitwohlstand und Wachstum

Wenn die These einer zunehmenden Produktivität zutreffend ist, bedeutet dies langfristig, dass hoch entwickelte Volkswirtschaften eine konstante Menge an Sachgütern und Dienstleistungen mit immer weniger Arbeitsinput herstellen können. Ob das BIP der Gesellschaft dann steigt, hängt im Wesentlichen davon ab, wie die Menschen die gewonnene Zeit nutzen. Hier sind vier grundlegende Entwicklungen denkbar:

  1. Die Menschen nutzen die gewonnene Zeit für private Freizeitaktivitäten und nehmen dabei kommerzielle Angebote in Anspruch. Beispiele für solche Angebote sind Kreuzfahrten, Städtereisen und Urlaube, der Besuch von Freizeit- und Vergnügungsparks oder Wellness-Hotels, der Besuch von Sportveranstaltungen und sportlichen Großereignissen wie Olympische Spiele, Formel-1-Rennen und Fußball-Welt- und Europameisterschaften, der Besuch von Konzerten, Opern, Museen und Kunstausstellungen, kommerzielle Weiterbildungsangebote und vieles mehr.20 Diese Tendenz hin zu einer kommerziellen Event- und Erlebnis-Ökonomie ist wachstumsfördernd, weil für derartige Angebote Marktpreise gezahlt werden und diese Angebote somit von der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfasst werden.
  2. Die Bürger nutzen die gewonnene Zeit für private Freizeitaktivitäten, ohne dabei auf kommerzielle Angebote zurückzugreifen. Sie musizieren, spielen Theater, arbeiten im eigenen Garten oder treiben Sport. Abgesehen von den für diese Aktivitäten notwendigen Produkten wie Musikinstrumente und Sportbekleidung werden keine weiteren Produkte benötigt. Es kommt daher zu keiner nennenswerten Steigerung des BIP.
  3. Die gewonnene Zeit kann für ehrenamtliche Tätigkeiten verwendet werden. Da es für diese Tätigkeiten keinen Marktpreis gibt, erfasst die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung diese Aktivitäten nicht. Das BIP steigt somit nicht. Sofern das ehrenamtliche Engagement am Markt gehandelte Dienstleistungen verdrängt, sinkt das BIP sogar.
  4. Denkbar ist schließlich auch, dass die Menschen die zusätzliche Zeit für die Ausübung von Erwerbsarbeit nutzen. Wenn die dann zusätzlich produzierten Produkte auf Märkten verkauft werden, kommt es zu einer Steigerung des BIP. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es auch eine kaufkräftige Nachfrage für diese zusätzlichen Produkte gibt. Dies ist jedoch nicht garantiert: Wenn es wegen des verstärkten Kapitaleinsatzes zu einer erheblichen Reduzierung der Erwerbsarbeit kommt und die Einkommensverteilung damit ungleicher wird, fehlt es an einer entsprechenden Massenkaufkraft.

Welcher bzw. welche dieser vier Entwicklungstrends tatsächlich Realität werden, lässt sich nicht vorhersagen. Entscheidend dafür sind die Wertvorstellungen der Bürger. Auf jeden Fall aber ist nicht auszuschließen, dass es im Zuge der mit der voranschreitenden Digitalisierung einhergehenden Zeitgewinne in hoch entwickelten Volkswirtschaften ceteris paribus zu einer Stagnationstendenz kommt oder sogar zu einem Rückgang des BIP.

Selbst wenn es zu einem Rückgang des BIP kommen sollte, bedeutet dies nicht notwendigerweise, dass sich die Lebenssituation der Menschen verschlechtert. Zum einen ist an die Steigerung der realen Gütermenge zu denken, die zwar nicht vollständig von der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung erfasst wird, aber dennoch vorhanden ist und die materiellen Lebensbedingungen der Menschen verbessert. Zum anderen können die Bürger die gewonnene Zeit für selbstbestimmte Tätigkeiten nutzen, was ihre Lebenszufriedenheit erhöhen kann. Der Wohlstand der Menschen – definiert als Lebenszufriedenheit oder Glück – steigt dann, obwohl das BIP sinkt.

Fazit

Die voranschreitende Digitalisierung hat sowohl wachstumsfördernde als auch wachstumsdämpfende Effekte. Die notwendigen Investitionen im Rahmen der digitalen Transformation und der technologische Fortschritt wirken wachstumsfördernd. Die Tendenz hin zur Sharing Economy und die Freisetzung von Arbeitskräften reduzieren die gesamtwirtschaftliche Güternachfrage und wirken folglich wachstumsdämpfend. Kurzfristig, d.h. bis etwa 2025/2030, ist davon auszugehen, dass in entwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland die wachstumsfördernden Effekte überwiegen. Mittel- und langfristig, d.h. ab 2040/2050, dürften hingegen die wachstumsdämpfenden Effekte die Oberhand bekommen und das BIP könnte im Sinne der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung tendenziell sinken.

Einschränkend ist auf zwei Aspekte hinzuweisen. Erstens beschreiben die skizzierten Entwicklungen lediglich die isolierten Effekte der voranschreitenden Digitalisierung. Es ist durchaus möglich, dass weitere wachstumsrelevante Aspekte, wie z.B. Exportüberschüsse und eine durch Zuwanderung größer werdende Bevölkerung, diesen wachstumsdämpfenden Effekt auch langfristig überkompensieren können. Zweitens ist nochmals daran zu erinnern, dass gesellschaftspolitische Entscheidungen die konkreten Auswirkungen der digitalen Entwicklungen maßgeblich beeinflussen. Hier spielt auch die gesellschaftliche Akzeptanz der technologisch möglichen Entwicklungen eine wichtige Rolle: Falls die Gesellschaft beispielsweise selbstfahrende Fahrzeuge aus sicherheitstechnischen Überlegungen nicht zulässt, erfolgt auch keine Freisetzung von Lkw-, Bus- und Taxifahrern. Damit kommt es dann auch nicht zu einem einkommensbedingten Rückgang der Güternachfrage, der sich wachstumsdämpfend auswirkt.

  • 1 Vgl. N. Boeing: Neue Jobs für Roboter, Zeit online vom 18.2.2014, (24.1.2017); C. Kurz, F. Rieger: Arbeitsfrei – Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen, Kapitel 4, München 2013; D. Marin: Die brillanten Roboter kommen!, Ökonomenstimme vom 17.8.2015, (24.1.2017); A. Rolf, A. Sagawe: Des Googles Kern und andere Spinnennetze – Die Architektur der digitalen Gesellschaft, Konstanz, München 2015.
  • 2 Vgl. L. Jensen: Die Schreib-Maschinen, in: Brand eins, Nr. 7, 2015, (24.1.2017).
  • 3 Vgl. P. Welchering: Hochfrequenzhandel – Der Turbo-Algorithmus im Börsennetz, FAZ online vom 28.11.2012, (24.1.2017).
  • 4 Vgl. S. Linz, T. Behrmann, U. Becker: Hedonische Preismessung bei EDV-Investitionsgütern, in: Wirtschaft und Statistik, H. 6, 2004, S. 682-689; sowie Statistisches Bundesamt: Methodeninformation – Auswirkungen der Digitalisierung auf die Preisstatistik, Wiesbaden, 22.11.2016.
  • 5 Vgl. J. Rifkin: Die Null Grenzkosten Gesellschaft, Frankfurt, New York 2014, S. 331-345; W. Eichhorst, A. Spermann: Sharing Economy – Chancen, Risiken und Gestaltungsoptionen für den Arbeitsmarkt, IZA Research Report, Nr. 69, Bonn 2015, S. 4; T. Theurl: Sharing Economy: Nutznießer oder Opfer institutioneller Inkonsistenzen?, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 8, S. 605, http://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2016/8/sharing-economy-nutzniesser-oder-opfer-institutioneller-inkonsistenzen/ (10.3.2017).
  • 6 Vgl. J. Rifkin, a.a.O., S. 339.
  • 7 C. Kurz, F. Rieger, a.a.O., S. 142.
  • 8 Vgl. T. Khemraj, J. Madrick, W. Semmler: Okun’s Law and Jobless Growth, Policy Note des Schwartz Center for Economic Policy Analysis, New York 2006, S. 3.
  • 9 Vgl. M. J. Perry: The US economy is now producing 2.2% more output than before the recession, but with 3.84 million fewer workers, AEIdeas vom 6.11.2012, (24.1.2017).
  • 10 Vgl. S. Mehrotra et al.: Joblessness and Informalization: Challenges to Inclusive Growth in India, IAMR Occasional Paper, Nr. 9/2012, Institute of Applied Manpower Research Planning Commission, Government of India, New Delhi 2012; J. Rifkin, a.a.O., S. 183.
  • 11 Vgl. C. B. Frey, M. A. Osborne: The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerisation?, Oxford 2013, S. 44.
  • 12 C. Brzeski, I. Burk: Die Roboter kommen, ING DiBa – Economic Research, Frankfurt a.M. 2015, S. 2.
  • 13 Vgl. H. Bonin, T. Gregory, U. Zierahn: Übertragung der Studie von Frey/Osborne (2013) auf Deutschland, ZEW-Kurzexpertise für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Nr. 57, Mannheim 2015, S. 23.
  • 14 J. Rifkin: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, 4. Aufl., Frankfurt a.M., New York 1996, S. 107.
  • 15 J. Rifkin: Die Null Grenzkosten Gesellschaft ..., a.a.O., S. 195.
  • 16 K. Vogler-Ludwig, N. Düll, B. Kriechel: Arbeitsmarkt 2030: Wirtschaft und Arbeitsmarkt im digitalen Zeitalter – Prognose 2016, München 2016, S. 12.
  • 17 Ebenda, S. 16.
  • 18 Vgl. The Boston Consulting Group: Inside Ops – Are your Operations ready for a digital Revolution?, Boston 2016, S. 6-7.
  • 19 Vgl. I. Wolter et al.: Industrie 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Wirtschaft, IAB-Forschungsbericht, Nr. 8/2015, Nürnberg 2015, S. 63.
  • 20 Vgl. A. Rolf, A. Sagawe, a.a.O., S. 205-208.

Title:Long-term Growth Effects of Advancing Digitisation

Abstract:The progress of digitisation has both stimulating and dampening effects on growth. Necessary investments in the context of digital transformation and technological progress promote economic growth. However, the shift towards a sharing economy and job redundancies reduce aggregate demand for goods and thus have a dampening effect on growth. In the short term (until 2025-30), the growth-­promoting effects will predominate in developed economies such as Germany. In the medium and long term, however, the growth-dampening effects are likely to prevail, and GDP as defined by national accounts could tend to decrease.

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DOI: 10.1007/s10273-017-2105-6