Der deutsche Sportwettenmarkt zeichnet sich durch eine relativ strenge Regulierung aus, die in der Praxis nicht unbedingt so gehandhabt wird. Der graue und schwarze Markt nimmt einen überraschend großen Anteil ein. Da auf diesem Markt der Jugend- und Spielerschutz fehlt, resultieren daraus beträchtliche soziale Kosten. Auch der im März 2017 beschlossene Zweite Glücksspieländerungsstaatsvertrag löst die vorhandenen Probleme noch nicht.
Der Sportwettensektor stellt einen besonderen Teilbereich des Glücksspiels dar. Die Sportwette ist eine Vorhersage, die sich auf den Ausgang eines natürlichen Ereignisses (ein Sportereignis) bezieht, das sich außerhalb des Glücksspielsektors befindet und daher durch zum Teil andere Eigenschaften gekennzeichnet ist als ein klassisches Glücksspielereignis wie eine mechanische Lotterieziehung oder eine elektronische Ausspielung am Geldspielautomaten. Trotzdem wird die Sportwette im allgemeinen Verständnis zu den Glücksspielen gezählt und untersteht auch juristisch derselben Regulierung. Diese zeichnet sich in Deutschland durch eine recht strenge Gesetzgebung und gleichzeitig eine etwas widersprüchliche Handhabung in der Praxis aus. Der 2012 in Kraft getretene Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag (GlüÄndStV) schrieb zunächst vor, dass Sportwetten nur von bis zu 20 staatlich konzessionierten Anbietern „ausnahmsweise“ angeboten werden dürfen. Eine solche Konzession hat aber bisher keines der Unternehmen, die den bedeutenden deutschen Sportwettenmarkt bedienen, erhalten. Trotzdem werden alle Marktteilnehmer geduldet, und es entrichten mittlerweile auch 79 Sportwettenanbieter Steuern und Abgaben,1 ohne eine Konzession in Deutschland zu haben.
Damit spitzt sich derzeit eine Situation zu, die diesen Sektor schon lange charakterisiert hat: Faktisch liegt ein Versagen der bisherigen staatlichen Regulierung vor, die sich durch fragwürdige Marktzugangsbeschränkungen für private Anbieter bei gleichzeitiger Koexistenz legaler, „halblegaler“ und illegaler Anbieter zusammenfassen lässt. In kaum einem anderen Markt in Deutschland dürfte über viele Jahre hinweg zu beobachten gewesen sein, dass sich der größte Teil des Marktgeschehens nicht im offiziell genehmigten, sondern im „grauen“ Bereich abspielt. Der Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag sollte durch das dort vorgesehene Erlaubnisverfahren für die Sportwettenanbieter endlich Klarheit und Rechtssicherheit schaffen. In der Abgrenzung zum Schwarzmarkt bemühen sich die Anbieter des Graumarktes um die erforderliche Konzession und haben am zentralen Erlaubnisverfahren der Länder teilgenommen oder sind im Besitz einer Erlaubnis des Landes Schleswig-Holstein.2 Dieser Beitrag liefert eine erste ökonomische Analyse der neuen Marktordnung nach dem Ersten GlüÄndStV und beleuchtet zudem mit der Besteuerung von Sportwetten einen der strittigsten Bereiche. Zwei Fragestellungen stehen dabei im Fokus:
- Inwiefern stellt der rechtliche Rahmen des GlüÄndStV eine ordnungspolitisch angemessene Regulierung des Sportwettenmarktes dar?
- Wie ist unter betriebswirtschaftlichen und wohlfahrtsökonomischen Gesichtspunkten der aktuell implementierte Steuersatz von 5% auf den Wetteinsatz zu bewerten? Welche Auswirkungen auf Staatseinnahmen und Unternehmerverhalten hatte der 2012 eingeleitete Wechsel in der Besteuerung?
Historische Entwicklung und Status quo
Der Markt für Sportwetten ist in Deutschland traditionell stark reguliert. Die Einflussnahme des Staates wird noch dadurch verstärkt, dass mit Oddset ein öffentlich-rechtlicher Anbieter auf dem Markt agiert. Dieses Glücksspielmonopol des Staates hatte bereits im Zuge der deutschen Wiedervereinigung und des europäischen Einigungsprozesses sowie dem Bedeutungszuwachs des Internets erste deutliche Risse erhalten: Es war weder mit europäischem Wettbewerbsrecht noch mit der ständigen Verfügbarkeit von Online-Glücksspielangeboten (von zum Teil namhaften internationalen Anbietern) problemlos zu vereinbaren.3 Außerdem bestand juristische Uneinigkeit über den Umgang mit vier Lizenzen, die noch von Gewerbeämtern der DDR an private Anbieter vergeben worden waren.
Im März 2006 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Glücksspielmonopol in der damaligen Form für unzulässig und mahnte eine Neuordnung an.4 Die Länder wählten aus den möglichen Optionen, die auch eine Liberalisierung umfassten, den Übergang zu einem noch strengeren Monopol, und haben dies mit dem nach dem Urteil allein zulässigen Ziel der konsequenten Ausrichtung an der Bekämpfung von Suchtgefahren begründet. Das Fiskalziel der Einnahmenerzielung durfte demnach nur eine „erfreuliche Nebenfolge“ sein, schied aber als Begründung für ein Monopol selbstredend aus. Der Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) trat 2008 in Kraft und war von Anfang an in der Forschung und der Praxis sehr umstritten.5 Insbesondere erwies sich die angebliche Ausrichtung am Ziel der Spielsuchtprävention ziemlich schnell als inkohärent und wurde zum Teil sogar als Deckmantel für wirtschaftliche Ziele der staatlichen Anbieter interpretiert.6 Im September 2010 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Europarechtswidrigkeit nationaler Monopolregelungen festgestellt, wenn sie nicht dazu beitragen, die Wetttätigkeiten in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen. Infolgedessen wurde abermals eine Neuordnung angemahnt.7
Diese Neuordnung ist am 1.7.2012 mit dem GlüÄndStV in 14 Bundesländern in Kraft getreten; in Nordrhein-Westfalen gilt er seit dem 1.12.2012, in Schleswig-Holstein seit dem 8.2.2013. In Schleswig-Holstein galt von Januar 2012 bis Januar 2013 das „Gesetz zur Neuordnung des Glücksspiels“, das eine regulierte Öffnung des Marktes für private Spielanbieter und eine Lockerung des Werbeverbots für Glücksspiele vorsah. Zudem können Casino- und andere Glücksspiele online angeboten werden. Im Zuge dieser neuen Gesetzgebung erhielten 36 Glücksspielanbieter eine oder mehrere Lizenzen (25 für Sportwetten und 23 für Online-Casinospiele), die bis mindestens 2018 Gültigkeit haben. Es handelt sich um eine insgesamt liberalere Regulierung, mit der der dortige Gesetzgeber auf verschiedene strittige Punkte der alten Ordnung einging und unter anderem die Möglichkeit des Marktzutritts privater Anbieter für den Bereich Sportwetten und Online-Casinos schuf.
Der „Gegenentwurf“ der 14 Bundesländer sah im Ersten GlüÄndStV die Vergabe von 20 Lizenzen durch ein ländereinheitliches Bewerbungsverfahren mit zentraler Zuständigkeit des Bundeslandes Hessen vor. Demnach soll das staatliche Monopol nur zeitlich befristet „ausgesetzt“ werden. Nach diesem Verfahren wurde allerdings bisher (Sommer 2017) keine einzige Lizenz vergeben. Sämtliche Anbieter auf dem Markt werden seitdem faktisch geduldet und eine rasche Lösung dieses Stillstands ist nicht absehbar. Der Grund für diese Verzögerung liegt wohl in der ausgeprägten rechtlichen Unsicherheit bezüglich der Konzessionsvergabe, da grundlegende Aspekte der Konzessionserteilung (die zahlenmäßige Begrenzung der Konzessionen, das Auswahlverfahren zur Erteilung und die unterschiedliche Gewichtung von fünf Beurteilungskriterien bei vier gleichrangigen Gesetzeszielen) juristisch stark umstritten sind.
Insbesondere die Begrenzung auf 20 Konzessionen hat rechtlichen Bedenken hervorgerufen, zumal 35 Bewerber die Mindestanforderungen des Verfahrens erfüllt haben. Die Konzessionserteilung wurde daher als nicht gesetzeskonform, fehlerhaft und intransparent gerichtlich gestoppt.8 Nicht ohne Grund ist die Befürchtung verbreitet, die Verzögerung würde unter den (in den Glücksspielaufsichten der Länder zahlreichen) Befürwortern eines staatlichen Monopols stillschweigend in Kauf genommen, damit sich in der Praxis kein Konzessionssystem etabliert. Die Konzessionserteilung ist im GlüÄndStV nämlich ausdrücklich als „Experimentierklausel“ vorgesehen. Nach Auslaufen der Experimentierphase von sieben Jahren könnten dann die Länder den Sportwettenmarkt wieder strenger regulieren, da eine abschließende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Glücksspielrecht insgesamt nicht existiert.
Allerdings haben die Bundesländer jüngst doch reagiert und überraschend wesentliche Eckpunkte der Regulierung geändert. So soll künftig Nordrhein-Westfalen für Konzessionserteilungen nach dem ländereinheitlichen Verfahren, Interneterlaubnisse für Pferdewetten und die Konzessionsabgabe (Sportwettensteuer) zuständig sein. Die gemeinsame Geschäftsstelle des Glücksspiel-Kollegiums wird künftig von Sachsen-Anhalt geführt. Sachsen-Anhalt ist ebenfalls für die zentrale Sperrdatei zuständig. Die Begrenzung von 20 Konzessionen soll aufgegeben werden und eine Vergabe nach qualitativen Kriterien erfolgen.9 Online-Casino-Angebote bleiben auf der Ebene aller Länder allerdings weiterhin verboten. Inwieweit diese Ankündigungen zu einer tatsächlich geänderten Praxis führen, wird sich zeigen.
Empirische Bestandsaufnahme des Sportwettenmarkts
Eine genaue Quantifizierung des Marktes für Sportwetten gestaltet sich seit jeher schwierig. Zeitreihen sind nur für die wenigen „legalen“ Veranstalter ermittelbar. Spätestens seitdem mit Inkrafttreten des Ersten GlüStV 2008 sämtliche privaten Anbieter in eine rechtliche Grauzone relegiert wurden und nur Oddset offizielle Umsatzzahlen meldet, sind nur grobe Stichtagsschätzungen möglich. Hiervon werden die Schätzungen der Unternehmensberatung Goldmedia medial am stärksten wahrgenommen, auch wenn diese in der Forschung nicht unumstritten sind. Eine erste Studie bezifferte die gesamten Spieleinsätze des deutschen Sportwettenmarktes 2009 auf etwa 7,8 Mrd. Euro, was einem Graumarktanteil von 94% entsprochen hätte, da nur knapp 0,5 Mrd. Euro Umsatz den staatlich lizensierten Angeboten (Oddset und Pferdewetten) entstammte.10 Eine Schätzung der Universität Hohenheim, basierend auf einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aus dem Jahr 2009,11 war dagegen konservativer und bezifferte den Gesamtumsatz auf 3,48 Mrd. Euro, davon 3,04 Mrd. Euro unlizenziert (87,5%).12 Für 2012, also dem ersten Jahr unter der neuen Regulierung, beläuft sich die Goldmedia-Schätzung des gesamten Umsatzes auf dem deutschen Sportwettenmarkt auf 6,8 Mrd. Euro (1 Mrd. Euro Bruttospielertrag), wovon ca. 6,5 Mrd. Euro (96,5%) auf unregulierte und 245 Mio. Euro (3,6%) auf regulierte Anbieter entfiel.13
Wir schätzen den Gesamtumfang des deutschen Glücksspielmarktes 2015 gemessen an den Spieleinsätzen auf insgesamt 76,6 Mrd. Euro, was (zumindest nominal) mehr als einer Verdopplung seit 2005 entspricht. Vor allem die technischen Neuerungen und die neuen Spielangebote im Online-Bereich scheinen diese Entwicklung begünstigt zu haben, während die strikte Regulierung, aber auch Präferenzverschiebungen, den traditionellen Spielformen zugesetzt haben. Für die Hochrechnung der klassischen Geldeinsätze (brutto) spricht vor allem die Bemessungsgrundlage der Besteuerung der Glücksspiele. Das Rennwett- und Lotteriegesetz (RWLG) als maßgebliches Steuergesetz für alle Glücksspiele außer dem Geldautomatenspiel besteuert nämlich den Einsatz der Spieler und nicht den Bruttospielertrag des Veranstalters. Das zu beobachtende starke Wachstum wird allerdings ausschließlich durch bestimmte Spielarten generiert: Zunächst fallen die Online-Casinos auf, die vor zehn Jahren noch nicht Teil der Betrachtung waren und heute über ein Drittel der Einsätze auf sich vereinen (vgl. Abbildung 1). Betrachtet man die Bedeutung der einzelnen Spielangebote, erweisen sich die klassischen Geldspielgeräte mit 32% als zweitgrößter Posten des Gesamtmarktes und haben ihren Anteil seit 2005 mehr als verdoppeln können. Die Produkte des Deutschen Lotto-Toto Blocks, also hauptsächlich das klassische Lotto „6 aus 49“, machen dagegen mittlerweile nur noch knapp ein Zehntel der Gesamtumsätze aus, sodass ihr Marktanteil seit 2005 auf weniger als die Hälfte geschrumpft ist. Auch die Klassen- und Fernsehlotterien haben deutlich an Gewicht verloren. Der relative Anteil der klassischen Spielbanken hat sich zudem mit nunmehr 8% ebenfalls seit 2005 mehr als halbiert.14
Abbildung 1
Spieleinsätze auf dem deutschen Glücksspielmarkt, brutto, 2015
Quelle: Deutscher Buchmacherverband; Gemeinsame Geschäftsstelle Glücksspiel (GGS) der Länder; eigene Berechnungen.
Den Umfang des Sportwettensektors schätzt der Deutsche Buchmacherverband 2015 auf insgesamt 8,5 Mrd. Euro an Wetteinsätzen, also etwa 11% des Gesamtmarktes. Dabei machen mittlerweile die traditionellen Sektoren Pferdewetten und Oddset einen kaum noch wahrnehmbaren Anteil aus, während das Gros der Einsätze im Grau- und Schwarzmarkt platziert wird (vgl. Abbildung 2). Der Graumarkt wird hier vom Schwarzmarkt durch die Unterscheidung in regulierungswillige Erlaubnisbewerber und -inhaber des schleswig-holsteinischen Gesetzes (online und stationär) gegenüber den illegalen Anbietern abgegrenzt.
Abbildung 2
Regulierter und unregulierter Markt für Sportwetten in Deutschland, 2015
Quelle: Deutscher Buchmacherverband.
Diese regulatorische Dysfunktionalität von Sportwettenanbietern, die sich einerseits um eine Erlaubnis und Kooperation mit den Glücksspielaufsichtsbehörden bemühen und andererseits auf dem nicht bekämpften Schwarzmarkt anzutreffen sind, ist den Glücksspielbehörden grundsätzlich bekannt. Dies wird an zwei Beispielen verdeutlicht: Im Land Bremen ging die Zahl der bekannten, offen am Markt agierenden Wettbüros im Laufe des Jahres 2016 von 30 auf 28 zurück. Der Schwarzmarkt wird auf etwa 31 bis 35 Sportwettvermittlungsstellen zuzüglich einer weiteren unbekannten Zahl von Sportwetten annehmenden „Teestuben“ geschätzt.15
In Nordrhein-Westfalen wurden in einer Totalerhebung in 138 Kommunen insgesamt 880 Wettvermittlungsstellen ermittelt.16 Davon wurden als offen auftretende Wettbüros 420 nachgewiesen, was etwa 48% entspricht. In der Gastronomie und Kiosken wurden 375 Annahmestellen gezählt. Selbst in 49 Spielhallen und in 36 Vereinsheimen konnten Ende 2014 noch Sportwetten platziert werden. Obwohl die Vermittlung in Gaststätten, Spielhallen und Vereinsheimen von Sportstätten gegen das glücksspielrechtliche Trennungsgebot gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 NRWGlüSpVO verstößt, werden diese relativ einfach zu bekämpfenden Tatbestände in der Verwaltungspraxis wenig geahndet.
Die Anbieterstruktur des deutschen Sportwettenmarktes 2015 ist also durch die Präsenz von bis zu ca. 4500 Wettvermittlungsstellen (Wettbüros, Sportbars, Wett-Terminals in Vereinsräumen etc.) charakterisiert, wovon nur etwa knapp die Hälfte den 35 die Anforderungen des hessischen Erlaubnisverfahrens erfüllenden Sportwettveranstaltern zugeordnet werden können. Darüber hinaus sind den Behörden 130 deutschsprachige Internetportale ohne Teilnahme am Konzessionsverfahren bekannt.17 Aber auch hier ist dies nur als „die Spitze des Eisbergs“ zu bezeichnen, da eine Totalerhebung des Deutschen Sportwettenverbandes mehr als 500 Sportwettanbieter im Internet nachgewiesen hat, die von Deutschland aus zu erreichen sind und die Registrierung deutscher Spielteilnehmer akzeptieren.18 Es ist daher von einer weiterhin hohen Dunkelziffer von illegalen Wett-Terminals, Annahmestellen „unter der Theke“ und Online-Sportwetten auszugehen. Die Schätzung von Peren und Clement, dass etwa 10% des Bruttospielertrages auf den Schwarzmarkt entfallen würde, ist hierbei als absolute Untergrenze anzusehen.19
Es ist davon auszugehen, dass zu den etwa 4,8 Mrd. Euro an offenen Wetteinsätzen, die in Deutschland (online und terrestrisch) versteuert werden,20 mindestens noch etwa 3,6 Mrd. Euro verdeckte, im Schwarzmarkt platzierte Wetteinsätze hinzuzurechnen sind.21 Dies wäre ein realistischer Schwarzmarktanteil von etwa 40% bei den Sportwetten (vgl. Abbildung 2).22
Ordnungsökonomische Untersuchung
Eine zentrale Frage in Marktwirtschaften ist die nach der Notwendigkeit, der Rechtfertigung und dem Umfang staatlicher Eingriffe in den freien Markt. Die folgenden Ausführungen basieren im Wesentlichen auf dem von Grossekettler23 entwickelten und von Daumann und Breuer24 bereits auf den Lotteriemarkt angewandten Konzept zur Analyse staatlicher Eingriffe. Sofern von einer (Sozialen) Marktwirtschaft als Leitbild der Wirtschaftspolitik ausgegangen werden kann, sind staatliche Eingriffe prinzipiell nicht notwendig, da auf kompetitiven Märkten eine Pareto-optimale Lösung des Allokationsproblems erzielt werden kann. In der Realität liegen jedoch häufig sogenannte Marktunvollkommenheiten vor, die zu einem Versagen der Märkte in der Form führen, dass die optimale Allokation nicht gewährleistet ist und aus dem die Notwendigkeit staatlicher Eingriffe abgeleitet werden kann.25 Eine abschließende Definition von Marktversagenstatbeständen ist in der Literatur allerdings nicht zu finden.
Generell werden externe Effekte als Beispiel für Marktversagen26 häufig genannt und sind weitestgehend als Ursache akzeptiert. Ein (negativer) externer Effekt beschreibt die Auswirkung sozialer Kosten auf Dritte, d.h. am „Preismechanismus vorbei“27. Durch eine Markttransaktion wie den Verkauf eines Gutes werden Unbeteiligte in Mitleidenschaft gezogen, ohne dass die Kosten auf der Ebene dieser Unbeteiligten in der Transaktion selbst abgebildet werden. Somit kommt es zu einem ineffizienten Marktergebnis bzw. zu Marktversagen. Klassische Beispiele für (negative) externe Effekte finden sich etwa in der Umweltökonomie, beispielsweise wenn durch die Produktion eines Gutes die Umwelt belastet wird und dies zu Einschränkungen bei Menschen in der Umgebung führt.28 Der erste und bekannteste Ansatz zur Internalisierung derartiger Effekte durch den Staat besteht in der Einführung korrektiver Steuern, die dazu dienen, die notwendigen Bedingungen zur allokativen Effizienz herzustellen,29 indem sie den Marktpreis erhöhen. Neben der Besteuerung ist auch die Ausgabe von Zertifikaten denkbar, wie sie z.B. bei CO2-Emissionen aktuell genutzt wird. Schließlich kann neben den Methoden der Internalisierung auch ein Verbot bestimmter Handlungen erlassen werden.30 Dies stellt den schwerwiegendsten Eingriff in den (für diese Güter dann nicht mehr existierenden) Markt dar.
Gemäß der Systematik von Grossekettler31 reicht das Vorliegen 1. externer Effekte (Marktversagen) alleine jedoch nicht aus, um staatliche Eingriffe per se zu rechtfertigen. Vielmehr müssen daneben 2. eine vertragstheoretische und 3. eine ökonomische Legitimation vorliegen, in deren Rahmen die Zielkonformität, die Ordnungskonformität und die Verhältnismäßigkeit möglicher Interventionen geprüft werden müssen. Mit Hilfe dieser Struktur wird die aktuelle Regulierung des Sportwettenmarktes in Deutschland auf ihre Angemessenheit überprüft.
- Marktversagen durch externe Effekte: Als möglicher externer Effekt im Zusammenhang mit Sportwetten lässt sich die Gefährdung der Spieler durch pathologisches Spielen (Spielsucht) bezeichnen. Pathologisches Glücksspiel wurde bereits 1980 in das DSM-III und später in den ICD-10-Katalog (ICD = International Classification of Diseases) aufgenommen.32 Prinzipiell kann – wie bei anderen Suchterkrankungen – jedes Mitglied der Gesellschaft an Spielsucht erkranken.33 Gleichwohl wird das Risiko, an Spielsucht zu erkranken, von einer Reihe soziokultureller und psychosozialer Faktoren34 und von der Art der genutzten Spiele beeinflusst. Den höchsten Anteil pathologischer Spieler finden Studien regelmäßig unter den Nutzern von Spielautomaten. Aber auch Pferde- und Sportwetten bergen ein nicht zu unterschätzendes Risiko.35 Die aus der Spielsucht resultierenden (sozialen) Kosten betreffen nicht nur die Spieler, sondern insbesondere deren soziales Umfeld. Überschuldung, Verlust der Anstellung und sich daraus ergebende familiäre Probleme können exemplarisch genannt werden. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive könnte weiterhin angeführt werden, dass Unternehmen durch den Ausfall der Arbeitskraft nicht in der Lage sind, ihr gesamtes Potenzial zu realisieren. Der externe Effekt ergibt sich daraus, dass Menschen, die selber nicht spielen (Familienangehörige, Arbeitgeber etc.), negativ durch die Sucht des Erkrankten tangiert werden.
- Vertragstheoretische Legitimation: Vor dem Hintergrund, dass prinzipiell jeder Bürger unter den potenziell negativen Externalitäten der Spielsucht leiden kann, ist anzunehmen, dass sich die überwiegende Mehrheit gegen diese Gefahr schützen möchte. Somit kann ein hypothetischer Vertrag postuliert werden, der den Staat prinzipiell ermächtigt, entsprechende Schutzmaßnahmen zu treffen. Weiterhin kann im Bereich der Suchterkrankungen konkludentes Handeln identifiziert werden. Betrachtet man die stoffgebundenen Süchte, zeigt es sich, dass bereits öffentliche Schutzmechanismen unterschiedlicher Eingriffstiefe implementiert wurden, die von Altersbeschränkungen (Alkohol) über Werbeverbote (Tabak) bis hin zu vollständigen Verboten reichen. Diese Interventionen (bzw. Schutzmaßnahmen) können als von der Gesamtgesellschaft akzeptiert gelten.
- Ökonomische Legitimation: Maßnahmen zur Bekämpfung der Spielsucht können prinzipiell angebots- oder nachfrageseitig ausgerichtet sein.36 Nachfrageseitige Instrumente zielen dabei vor allem auf eine Risikoaufklärung sowie die Begrenzung des potenziellen Kundenkreises auf volljährige Bürger. Solche Maßnahmen wie Werbe- oder Vertriebskanalrestriktionen wurden bereits im Ersten GlüStV sehr restriktiv gehandhabt und später im GlüÄndStV gelockert, sodass heute gerade Werbung für Sportwetten in der öffentlichen Wahrnehmung stark präsent ist. Umstrittener sind dagegen die angebotsseitigen Interventionen, da diese zurzeit als Verbot bzw. (noch nicht realisierte) Lizenzierung angewendet werden und hinsichtlich der Eingriffstiefe schwerer wiegen. Hier ist an erster Stelle die Zielkonformität möglicher Maßnahmen zu überprüfen. Eine wichtige Rolle spielen im Bereich der Sportwetten im Grau- oder Schwarzmarkt ausländische Onlinewettbüros, die ihre Leistungen auch in Deutschland anbieten. Diese Anbieter wären von den üblicherweise diskutierten Regulierungen nicht betroffen. So könnten sie sowohl im Falle einer Fortführung des staatlichen Quasi-Monopols als auch bei einer konsequenten Umsetzung der Lizenzierung in gewohnter Weise weiteragieren. Lediglich technische Zugangsbeschränkungen, die die Inanspruchnahme der Angebote durch deutsche Spieler unterbinden, stellten eine effektive Begrenzung dar. Diese Beschränkungen, auch in Form eines „Financial Blockings“, das für Glücksspielangebote aktuell diskutiert wird, kämen jedoch einer Art von Internetzensur gleich. Sie gelten derzeit als rechtlich umstritten und politisch schwer durchsetzbar.
Es lässt sich also schlussfolgern: Die negativen externen Effekte des Sportwettenkonsums sind unumstritten und der Wille der Bevölkerung, diesen Effekten angemessen entgegenzuwirken, kann als gegeben angesehen werden. Der aktuelle Weg der Politik, vor allem das Angebot zu beschränken, ist aber nicht zielführend. Statt an einem kaum begründbaren Monopol oder einer juristisch schwer zu verteidigenden limitierten Lizenzierungslösung festzuhalten, sollte eine moderne Regulierung für den Sportwettenmarkt andere Pfade beschreiten, die wahrscheinlich zunächst auf einer stärkeren Liberalisierung des Marktes fußen müssen. Ein zentraler Baustein könnte dabei die Einführung einer zentralen Qualitätssicherung sein:37 Im Zuge des Qualitätssicherungsverfahrens könnten sich die teilnehmenden und zertifizierten Anbieter verpflichten, bestimmte Mindeststandards einzuhalten. Diese könnten nicht nur potenzielle negative Externalitäten begrenzen, sondern von den Kunden auch als Qualitätsmerkmal anerkannt werden. Ein weiterer denkbarer Ansatz wäre die Einführung einer garantierten Ausschüttungsquote, die offensiv kommuniziert werden sollte und die Nachteile der zertifizierten Anbieter gegenüber Schwarzmarktanbietern begrenzen soll. Schließlich wird die öffentliche Hand nicht umhinkommen, stärker zwischen regulierungswilligen und -unwilligen Anbietern zu unterscheiden.
Besteuerung von Sportwetten
Die Debatte um die geeignete Besteuerungsform des Glücksspielsektors ist in Deutschland nur schwach entwickelt. Anders als im angelsächsischen Raum38 existieren für Deutschland kaum Studien zu fiskalischen und wohlfahrtsökonomischen Aspekten der Regulierung. Nur punktuell wurden modellhafte Untersuchungen der Auswirkungen verschiedener Besteuerungsmodelle vorgenommen.39 Es dominieren eindeutig juristisch geprägte Untersuchungen zur Verfassungsmäßigkeit der Gesetze und zu strafrechtlichen Fragen. Dabei ist die Analyse der fiskalischen Folgen des GlüÄndStV von hoher ökonomischer und politischer Bedeutung. Zum einen stellt sich die Frage, welche Lenkungseffekte ein neues Besteuerungssystem für die beteiligten Unternehmen hat. Zum anderen steht eine wohlfahrtsökonomische Beurteilung aus. Hierbei grundlegend ist die Frage nach dem Steueraufkommen, dessen Höhe von verschiedenen Faktoren abhängt und ex ante nicht immer treffsicher prognostizierbar ist. Die wichtigsten Variablen sind dabei der Steuersatz und die Besteuerungsgrundlage. Als solche bieten sich die Wetteinsätze oder der Bruttospielertrag an.
Zu beachten sind auch andere Faktoren, wie die Ausschüttungsquote, die bei privaten Anbietern in der Regel deutlich höher ausfällt (in Deutschland bei 91%) als bei den staatlichen, da diese einen Teil der Einnahmen für bestimmte Zwecke, z.B. Sportförderung, entrichten müssen.40 Schließlich berührt die Wahl eines bestimmten Besteuerungssystems auch andere Aspekte, wie Suchtprävention und Manipulationsanfälligkeit.
Die Reform des deutschen RWLG ist begleitend zum GlüÄndStV am 1.7.2012 in Kraft getreten. Sie sieht eine Steuer von 5% auf den Wetteinsatz vor, wobei der Steuerschuldner der (in- oder ausländische) Veranstalter ist. Anknüpfungspunkt ist der Wettabschluss mit inländischen Spielern entweder als Rennwette gemäß § 11 oder als Sportwette gemäß § 17 Abs. 2 RWLG. Dieser Steuersatz ist im internationalen Vergleich relativ hoch: In Großbritannien beträgt er 15% des Bruttospielertrags, in Österreich 2% der Wetteinsätze, auf Malta 0,5% des Wetteinsatzes, um einige der wichtigsten Länder zu nennen, die Sportwettanbieter beheimaten. Vor der Reform betrug die Steuer für die Oddset-Produkte allerdings 16,66% der Wetteinsätze, also wesentlich mehr, für private Sportwetten war sie faktisch Null, da die Wettsteuer bislang nach dem Herkunftslandprinzip auf ausländische Sachverhalte nicht anfiel. Das anbietende Unternehmen war nur den gesetzlichen und steuerlichen Regelungen seines Heimatlandes unterworfen.
Die privaten Anbieter hätten eine Besteuerung des Bruttospielertrags präferiert, da diese eine bessere Planung ermöglicht: In diesem Falle würde der tatsächliche Ertrag des Sportwettenanbieters als Besteuerungsgrundlage herangezogen und nicht der Wetteinsatz, unabhängig davon, ob aus der Wette dem Buchmacher ein Gewinn oder ein Verlust erwächst. So ist in der Praxis sogar die kommunale Vergnügungssteuer für Geldspielgeräte tendenziell günstiger, da sie auf den Kassenerlös abstellt.
Die RWLG-Novelle wirkt sich unterschiedlich auf die öffentlichen Haushalte und die beteiligten Unternehmen aus. Für letztere entstehen durch die neue Besteuerung prinzipiell vier denkbare Reaktionsszenarien, die auch in der Praxis zu beobachten sind:41
- Vollständige Überwälzung der Steuer auf die Spieler (beobachtet z.B. beim Anbieter mybet).
- 5%-Gewinnabschlag für erfolgreiche Wetten. Dabei trägt der Anbieter die Steuern auf verlorene Tipps (Bwin, Bet365, Interwetten). Allerdings wird auch die Ausschüttung an die Spieler reduziert, sodass diese die Steuer indirekt tragen.
- Keine Überwälzung der Steuer auf die Spieler. Dies ist für große internationale Anbieter möglich oder für solche, bei denen der Eigenanteil des deutschen Marktes gering ist (Tipico, Mobilbet).
- Möglich ist auch die Einstellung der Tätigkeit auf dem deutschen Markt (PaddyPower, Pinnacle, Betfair).42
Es tritt also deutlich hervor, dass der im internationalen Vergleich hohe Steuersatz beträchtliche Lenkungseffekte auf unternehmerischer Ebene hat. Da für die privaten Anbieter die Aussicht auf Legalisierung bereits ein großer Fortschritt gegenüber dem vorherigen strikten Monopol war, wurden bislang die negativen Auswirkungen stillschweigend hingenommen. Dies könnte sich in einer künftigen Marktsituation mit erfolgter Lizensierung durchaus anders darstellen. Ein weiteres Problem bildet in diesem Zusammenhang der Schwarzmarkt, den wir auf eine Größenordnung von etwa 40% des gesamten Marktvolumens geschätzt haben (vgl. Abbildung 2) und viele regulierungswillige Anbieter in ihrer Existenz bedroht, da sie in der Regel mit den Angeboten von (nicht besteuerten) Schwarzmarktanbietern kaum konkurrieren können. Eine neue Herausforderung bilden hierbei die oben erwähnten (größtenteils illegalen) Sportwettenautomaten, die in Gaststätten, Teestuben oder Wettshops platziert werden.
Abbildung 3
Einnahmen der Länder aus Glücksspielen insgesamt
a 2015 = Soll.
Quelle: Statistisches Bundesamt.
Für die Staatseinnahmen sind die Folgen der RWLG-Novelle ebenfalls deutlich. Sie trug dazu bei, einen negativen Trend zu stoppen und sogar umzukehren, der seit langem zu beobachten war und sich seit 2008 drastisch verstärkte (vgl. Abbildung 3). Von 2008 bis 2011 ließen die strengen Vorgaben des Ersten GlüStV alle Staatseinnahmen aus Glücksspielen einbrechen. Den Sportwetteneinnahmen, die ohnehin allein aus den Steuern und Abgaben des Staatsmonopolisten Oddset bestanden, ereilte das gleiche Los, sodass sie in der Endphase des GlüStV bis 2011 auf ein zu vernachlässigendes Niveau von ca. 60 Mio. Euro geschrumpft waren (vgl. Abbildung 4). Seit 2013 steigen sie wieder, so auch die Gesamteinnahmen, wobei sich der Zuwachs stark relativiert, wenn man bedenkt, dass 1. die Aufkommenssumme 2001 noch etwa 4,6 Mrd. Euro betrug, dass 2. ferner alle aufgezeigten Werte nominal sind (also noch um die Inflation bereinigt werden müssten) und schließlich 3. im gleichen Zeitraum die deutsche Wirtschaft eine robuste Wachstumsphase erlebte, in der sich z.B. das Umsatzsteueraufkommen um ein Vielfaches erhöhte.
An diesen Daten lässt sich bereits erkennen, dass der GlüÄndStV durch die begleitende Novellierung des RWLG beträchtliche fiskalische Auswirkungen hatte. Nach einer langen Periode der Stagnation stieg im Jahr 2014 der Umsatz auf dem deutschen Sportwettenmarkt um 20% auf 4,5 Mrd. Euro an (vgl. Abbildung 4). Dabei lagen die gesamten Staatseinnahmen aus Sportwetten bei 226 Mio. Euro, wovon 219 Mio. auf private Anbieter entfielen. Für 2016 zeigen erste Ergebnisse ein nochmaliges, starkes Ansteigen der Steuereinnahmen um 28% auf 307 Mio. Euro, die ebenfalls größtenteils von privaten Anbieter entrichtet wurden.
Abbildung 4
Eckdaten zum regulierten/regulierungswilligen Sportwettenmarkt in Deutschland
Quelle: Bundesministerium der Finanzen; Bundesministerium für Wirtschaft und Energie; eigene Recherchen.
Der Sportwettenmarkt ist kaum aus einem isolierten nationalen Blickwinkel zu betrachten, sondern muss in Zeiten des Online-Wettens und des gemeinsamen Binnenmarktes im internationalen, ja zumindest europäischen Kontext gesehen werden. Dies gilt auch für die Besteuerung, die die Wettquoten der Anbieter maßgeblich beeinflusst, da die Steuern in der Regel direkt oder indirekt auf den Spieler überwälzt werden. Im internationalen, insbesondere europäischen Vergleich der 28 EU-Mitgliedstaaten liegt Deutschland mit einer durchschnittlichen Besteuerung des Bruttospielertrages von 26% etwas über dem Durchschnitt von 23% (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 5
Sportwettenbesteuerung im EU28-Vergleich, 2015
Anmerkung: Besteuerung von Wetten zu festen Gewinnquoten, stationärer Vertrieb. Hierbei wird ein normierter Bruttospielertrag von 19,5% unterstellt, um die Besteuerungsbelastung vergleichbar zu machen.
AT = Österreich, BE = Belgien, BG = Bulgarien, CY = Zypern, CZ = Tschechien, DE = Deutschland, DK = Dänemark, EE = Estland, ES = Spanien, FI = Finnland, FR = Frankreich, GR = Griechenland, HR = Kroatien, HU = Ungarn, IE = Irland, IT = Italien, LT = Litauen, LU = Luxemburg, LV = Lettland, MT = Malta, NL = Niederlande, PL = Polen, PT = Portugal, RO = Rumänien, SE = Schweden, SI = Slowenien, SK = Slowakei, UK = Großbritannien.
Quelle: Schweizer Institut für Rechtsvergleichung (Hrsg.): Studie über Glücksspiele, Legal Study Part 2, Lausanne 2006, S. 1063 ff.; H2 Gambling Capital (Hrsg.): Benchmark of Gambling Taxation and Licence Fee in Eight European Member States, Manchester 2013; Goldmedia (Hrsg): International vergleichende Analyse des Glücksspielwesens, Berlin 2014; eigene Berechnungen.
Fazit
Die aktuelle Rechtslage im Bereich der Sportwetten hat sich durch die Einführung des GlüÄndStV vor allem dahingehend verbessert, dass das ordnungsökonomisch höchst problematische strikte staatliche Monopol der Jahre 2008 bis 2011 zumindest in der Theorie durchbrochen wurde. Aufgrund der tatsächlichen Marktstruktur (z.B. Internetanbieter) zeichnete sich dies vor allem durch ein strukturelles Vollzugsdefizit aus und drängte Konsumenten wie auch Buchmacher in den grauen Markt. Gleichwohl werden die rechtlichen Möglichkeiten bislang nicht ausgeschöpft, sodass der Markt weiterhin durch Ineffizienzen gekennzeichnet ist. Dies ist gesamtgesellschaftlich suboptimal, da die sozialen Kosten durch den fehlenden Jugend- und Spielerschutz sowie aufgrund der Existenz eines großen Schwarzmarktes beträchtlich sind. Die derzeitigen juristischen Auseinandersetzungen, die die Vergabe der Sportwettkonzessionen verhindert haben, waren aus ordnungsökonomischer Sicht leicht vorhersagbar,43 sodass weiterhin am politischen Willen zur Lösung des Problems gezweifelt werden darf. Auch der im März 2017 beschlossene Zweite GlüÄndStV beinhaltet nur geringfügige Änderungen an den hier beschriebenen Problemfeldern.
Hinsichtlich der Besteuerung der Sportwetten lässt sich festhalten, dass der neue Regulierungsrahmen das Potenzial hat, den in den letzten Jahren beobachteten Rückgang der Staatseinnahmen aus Glücksspiel (und speziell aus dem Sportwettensektor) aufzuhalten. Die Besteuerung erzielt einen beträchtlichen Lenkungseffekt, drängt die legalen, um eine Zulassung bemühten Anbieter bislang aber nicht aus dem Markt. Für eine abschließende Beurteilung der Praxistauglichkeit des Besteuerungsmodells wird die endgültige Umsetzung der neuen Rechtsordnung abzuwarten sein. Hier wird insbesondere die künftige Frage der Austrocknung des Schwarzmarktes durch die Verwaltungspraxis eine bedeutende Rolle spielen. Ein Vollzug, der sich nur an die zugelassenen Konzessionsinhaber richtet und illegale Sportwettvermittlungen ausblendet, wäre unverhältnismäßig und willkürlich. Ebenso könnte der im internationalen Vergleich hohe Steuersatz von den Marktakteuren zunehmend als betriebswirtschaftlich nicht tragbar angesehen werden.
- 1 Vgl. Bundesministerium der Finanzen (BMF): Bericht der Bundesregierung in Abstimmung mit den obersten Finanzbehörden der Länder über die Wirkungen der Neuregelungen des Gesetzes zur Besteuerung von Sportwetten, vom 15.3.2016, Deutscher Bundestag, Finanzausschuss, Drucksache 18(7) – 289 vom 22.3.2016, S. 9.
- 2 In der Abgrenzung der EU-Kommission sind Anbieter des Graumarktes Veranstalter, die zumindest in einem EU-Staat eine Erlaubnis haben, aber auch in anderen nationalen Märkten operieren. Dem wird hier angesichts der Tatsache, dass 25 Unternehmen eine Sportwett-Veranstaltungsgenehmigung des Landes Schleswig-Holstein erhalten haben und 35 Unternehmen die Mindestanforderungen im ländereinheitlichen Verfahren des Landes Hessen erfüllt haben, nicht gefolgt. Vgl. EU-Kommission: Grünbuch, Online-Glücksspiele im Binnenmarkt, 2011, S. 3.
- 3 Vgl. H. Janssen, L. Rebeggiani: Das staatliche Sportwettenmonopol in Deutschland – Fessel oder Schutzschild?, in: List Forum für Wirtschaftspolitik, 34. Jg. (2008), H. 3, S. 175-197.
- 4 Bundesverfassungsgericht: Urteil vom 28.3.2006 (1 BvR 1054/01).
- 5 Vgl. auch L. Rebeggiani: Deutschland im Jahr Drei des neuen GlüStV – Reformvorschläge zur Regulierung des deutschen Glücksspielmarktes, Hannover 2010.
- 6 Insbesondere das strikte Vorgehen gegen private Anbieter bei gleichzeitig kaum nachlassender Werbetätigkeit für eigene Produkte und faktischer Nichtregulierung des eigentlich besonders suchtanfälligen „Kleinen Spiels“ erzeugten beim Ersten GlüStV kaum den Eindruck eines kohärenten Entwurfs gegen Spielsucht. Vgl. L. Rebeggiani, a.a.O.; N. Albers: Struktur und ökonomische Beurteilung des Sportwettenmarktes in Deutschland, in: I. Gebhardt, S. Grüsser-Sinopoli (Hrsg.): Glücksspiel in Deutschland. Ökonomie, Recht, Sucht, Berlin 2008, S. 56-92.
- 7 Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 8.9.2010 in den Rechtssachen C-409/06 u.a.
- 8 Hessischer Verwaltungsgerichtshof: Beschluss vom 16.10.2015, Az.: 8 B 1028/15, Kassel.
- 9 Ministerpräsidentenkonferenz: Pressemitteilung, Nr. 228/2016, vom 28.10.2016.
- 10 Goldmedia (Hrsg.): Glücksspielmarkt Deutschland 2015, Berlin 2010. Gemessen am Bruttospielertrag (Spieleinsatz minus Gewinne) entstammten 168 Mio. Euro (14%) dem regulierten Bereich, die restlichen 1,03 Mrd. Euro (86%) dem unregulierten Bereich.
- 11 Vgl. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): Glücksspielverhalten in Deutschland 2007 und 2009, Köln 2010. Die Stichprobe umfasste 10 000 Befragte.
- 12 T. Becker, D. Barth: Der deutsche Glücksspielmarkt: Eine Schätzung des nicht staatlich regulierten Marktvolumens, Newsletter 02/2012 der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim.
- 13 Goldmedia (Hrsg.): Glücksspielmarkt Deutschland 2017, Berlin 2013. Zusätzlich zum unregulierten Sportwettenmarkt wurde der Schwarzmarkt für Sportwetten auf etwa 1 Mrd. Euro Umsatz geschätzt.
- 14 Eine Schätzung von Peren und Clement basiert auf dem Bruttospielertrag und beziffert die Größe des gesamten deutschen Glücksspielmarktes auf 13,7 Mrd. Euro, wovon 77% der Erträge reguliert, 12,4% dem Graumarkt und 10,7% dem Schwarzmarkt zuzuordnen seien. Vgl. F. Peren, R. Clement: Der deutsche Glücks- und Gewinnspielmarkt. Eine quantitative Bemessung von regulierten und nicht-regulierten Glücks- und Gewinnspielangeboten in Deutschland, in: Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht, August 2016, Sonderbeilage, S. 1-24.
- 15 Der Senator für Inneres Bremen: Fortschreibung des Berichtes zur Glücksspielaufsicht, Vorlage 19/65 für die Sitzung der Staatlichen Deputation für Inneres vom 11.8.2016.
- 16 J. Trümper: Ergebnisbericht zur Feldstudie „Sportwetten in Spielstätten in Nordrhein-Westfalen“, Arbeitskreis gegen Spielsucht, Unna 2015.
- 17 Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder: Jahresreport 2014, Wiesbaden 2015, S. 4.
- 18 Deutscher Sportwettenverband (DSWV): Auswahl von 500 Sportwettangeboten in Deutschland im Internet, Berlin 2016, unveröffentlicht.
- 19 Vgl. ausführlich F. Peren, W. Clement: Der deutsche Glücks- und Gewinnspielmarkt, München 2016, Kap. 2.4.
- 20 Das Steueraufkommen aus Sportwetten betrug 2015 insgesamt 240,35 Mio. Euro. Das Bundesland Hessen hat als Verwalter der Steuereinnahmen der ausländischen Sportwettveranstalter Kassenabgänge, die aus der Zerlegung des Aufkommens nach dem Königsteiner Schlüssel auf die anderen Länder verteilt werden. Vgl. Statistisches Bundesamt: Steuerhaushalt nach Steuerarten und Ländern, Fachserie 14, Reihe 4, 2015, https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/FinanzenSteuern/Steuern/Steuerhaushalt/SteuerhaushaltJ2140400157004.pdf?__blob=publicationFile (12.9.2017).
- 21 In Deutschland sind etwa 40 000 bis 50 000 Wettautomaten stationär in Betrieb, die monatlich durchschnittlich jeweils 6000 Euro Wetteinsätze generieren. Der Betreiber muss lediglich eine Nutzungsgebühr für den Quoten- und Datenfeed via Internet bezahlen und kommt für die Spielgewinne selbst auf. Nach derzeitiger Rechtslage ist dies illegal.
- 22 Der Online-Casinomarkt mit über 29 Mrd. Euro an Spieleinsätzen ist noch um ein Vielfaches größer, ist aber aktuell gar nicht erlaubnisfähig. Hier beruht unsere Hochrechnung auf der Bruttospielertragsschätzung der Länder von etwa 1,17 Mrd. Euro. Vgl. Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder: Jahresreport 2015, Wiesbaden 2015, S. 11.
- 23 Vgl. H. Grossekettler: Der Beitrag der Freiburger Schule zur Theorie der Gestaltung von Wirtschaftssystemen, Münster 1987.
- 24 Vgl. F. Daumann, M. Breuer: Zur Neuordnung des Lotteriemarktes in Deutschland, in: ORDO, 59. Jg. (2008), S. 3-28.
- 25 Vgl. H. Edling: Der Staat in der Wirtschaft, München 2001, S. 14.
- 26 Vgl. exemplarisch A. Woll: Ansatzpunkte der Wirtschaftspolitik in einer freiheitlichen Ordnung, in: G. Radnitzky, H. Boullion (Hrsg.): Ordnungstheorie und Ordnungspolitik, Berlin u.a.O. 1994, S. 4; K. Schrüfer: Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 3. Aufl., Berlin 2010, S. 128.
- 27 K.-H. Hartwig: Umweltökonomie, in: D. Bender et al. (Hrsg.): Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, München 1999, S. 139.
- 28 Neben negativen externen Effekten existieren auch positive. Diese bleiben jedoch im Weiteren unbeachtet.
- 29 Vgl. J. M. Buchanan: Cost and Choice – An Inquiry in Economics Theory, Chicago 1969, London 1978, S. 70.
- 30 Vgl. G. Kirsch: Neue Politische Ökonomie, 5. Aufl., Stuttgart 2004, S. 31.
- 31 Vgl. H. Grossekettler, a.a.O.
- 32 Vgl. G. Huber: Psychiatrie, 7. Aufl., Stuttgart 2005, S. 563.
- 33 Vgl. F. Nolte: „Sucht“ – zur Geschichte einer Idee, in: B. Dollinger, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Suchtforschung, Wiesbaden 2007, S. 55.
- 34 Vgl. G. Meyer, M. Bachmann: Spielsucht, 2. Aufl., Heidelberg 2005.
- 35 Eine Übersicht über Ergebnisse einiger großer Suchtstudien zu Deutschland, aufgeschlüsselt nach Spieltyp, findet sich in L. Rebeggiani, a.a.O., S. 14-15.
- 36 Vgl. F. Daumann, M. Breuer, a.a.O.
- 37 Die Einführung eines qualitativen Erlaubnissystems im zweiten Glücksspieländerungsstaatsvertrag kann als ein Schritt in diese Richtung betrachtet werden.
- 38 Vgl. z.B. D. Forrest: Gambling policy in the European Union: Too Many Losers?, in: Finanzarchiv, 64. Jg. (2008), H. 4, S. 540-569; L. Farrell: When Welfare Economics and Gambling Studies Collide, in: M. Viren (Hrsg.): Gaming in the New Market Environment, Basingstoke 2008, S. 23-53; S. Smith: Lotteries as a Source of Revenue, in: ebenda, S. 99-125.
- 39 Eine der wenigen Beispiele ist N. Albers: Grundzüge der Besteuerung von Sportwetten aus Sicht der Praxis, Munich Personal RePEc Archive Paper, Nr. 36449, 2011.
- 40 So gibt Oddset eine Ausschüttungsquote von 58% an, vgl. Westlotto: Geschäftsbericht, Düsseldorf 2008.
- 41 Die Beispiele sind zum Stand Ende 2016. Selbstverständlich können sich Unternehmensstrategien (Preispolitik, Marktzutritt) auch ändern.
- 42 Die weltweit größte Online-Wettbörse Betfair stellte im November 2012 aufgrund der 5%igen Sportwettsteuer ihre Tätigkeiten in Deutschland ein.
- 43 Vgl. z.B. L. Rebeggiani: Die Vorschläge der Länder zur Reform des GlüStV – Eine ökonomische Analyse, Hannover 2011.