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Seit der letzten Unternehmensteuerreform 2008/2009 präsentiert sich das deutsche System in einer fragwürdigen Verfassung. Der Gesetzgeber hat ein Konglomerat von schlecht aufeinander abgestimmten Regelungen im Bereich der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer geschaffen, das sämtliche Effizienz- und Gerechtigkeitsprinzipien verletzt und nicht einmal die selbst gesteckten Ziele erreicht. Ausgehend vom heutigen System entwickelt der Autor ein Konzept, das die wesentlichen Mängel beseitigt und Rechtsform- und Wettbewerbsneutralität herstellt.

Die Besteuerung der Unternehmensgewinne ist Teil der Einkommensbesteuerung. Deren primäres Anliegen besteht darin, die zur Finanzierung staatlicher Leistungen erforderlichen Steuerlasten möglichst gerecht auf die Steuerpflichtigen zu verteilen. Die Besteuerung soll sich nach der Leistungsfähigkeit der Steuerzahler richten, die in ihrem persönlichen Einkommen zum Ausdruck kommt. Bei gleichem Einkommen sind die betreffenden Personen gleich zu besteuern (horizontale Gerechtigkeit), während bei höherem Einkommen meist eine prozentual höhere Besteuerung gefordert wird (vertikale Gerechtigkeit).1 Aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip resultiert für die Unternehmensbesteuerung die klare Botschaft, dass Gewinne prinzipiell wie andere Einkommen behandelt werden müssen. Andernfalls würde man gleiche Einkommen unterschiedlich besteuern und damit bereits gegen die horizontale Gerechtigkeit verstoßen. Zudem ließen sich die beabsichtigten vertikalen Belastungsunterschiede bei horizontal verzerrter Basis nicht realisieren.

Neben der Steuergerechtigkeit ist die Steuerneutralität ein zentrales Ziel der Steuerpolitik. Aus finanzwissenschaftlicher Sicht sollten staatliche Abgaben die Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte möglichst nicht verzerren, weil bei gleichem Steueraufkommen sonst unnötige Zusatzlasten bzw. Nutzeneinbußen durch Ausweich- bzw. Substitutionseffekte entstehen.2 Neutralität impliziert, dass Steuern die relativen Preise unterschiedlicher Handlungsoptionen nicht verändern.3 Im Unternehmensbereich soll die Wahl von Investitionen, Finanzierung und Rechtsform im Interesse der allokativen Effizienz demzufolge nicht von steuerlichen Vor- und Nachteilen gelenkt werden. Die Kriterien der Neutralität und Gerechtigkeit der Unternehmensbesteuerung passen insoweit gut zusammen, als sie eine Gleichbehandlung der Gewinne der Kapitalgesellschaften und der Personenunternehmen mindestens untereinander, wenn möglich aber auch im Verhältnis zu anderen Einkommen verlangen. Werden alle Einkommen mit demselben persönlichen Steuersatz belegt, dann hat ein Investor keine steuerliche Präferenz für eine bestimmte Rechtsform. Zugleich ist er indifferent zwischen Selbstfinanzierung (einbehaltene Gewinne), Beteiligungsfinanzierung (Dividenden) und Fremdfinanzierung (Zinsen) einer Investition, da deren Kapitalkosten für alle Finanzierungswege gleich hoch sind.4

Im Folgenden wird davon ausgegangen, dass die Unternehmensbesteuerung den skizzierten Gerechtigkeits- und Neutralitätszielen dienen soll. Die ideale synthetische Einkommensteuer mag praktisch unerreichbar sein. Dennoch ist ein System, das sich dieser Lösung stärker annähert, anderen Lösungen vorzuziehen, zumindest wenn die Alternativen in sonstigen Merkmalen nur unbedeutend differieren. In diesem Sinne versteht sich der Reformvorschlag als eine Alternative zum Status quo, die sich darauf konzentriert, wesentliche Mängel der Unternehmensbesteuerung ohne radikalen Systembruch zu beseitigen.

Das heutige System

Die heutige Unternehmensbesteuerung erfolgt durch die Gewerbesteuer und die Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer. Sie unterscheidet sich nach der Rechtsform der Unternehmen, soll aber im Ergebnis alle Unternehmen annähernd gleich behandeln.5 Gewinne der Kapitalgesellschaften werden bei einem Hebesatz von 400 % mit 14 % Gewerbesteuer und 15,825 % Körperschaftsteuer (inklusive Solidaritätszuschlag) belastet. Auf der Unternehmens­ebene beträgt die Gesamtbelastung demnach 29,825 %. Dies ist zugleich die endgültige Belastung für einbehaltene Gewinne. Die nach Gewerbe- und Körperschaftsteuer verbleibenden Gewinne werden bei Ausschüttung mit 26,375 % Abgeltungsteuer (inklusive Solidaritätszuschlag) belegt. Dies entspricht einer zusätzlichen Gewinnbelastung von ca. 18,51 %. Die „Tarifbelastung“ der Unternehmen und Anteilseigner beläuft sich daher in der Summe auf ca. 48,33 % der Dividenden.

Die Gewinne der Einzelunternehmen und Personengesellschaften unterliegen der progressiven Einkommensteuer und werden in der Spitze mit maximal 45 % belastet. Allerdings dürfen die Unternehmen den 3,8-fachen Gewerbesteuermessbetrag (3,5 % des Gewinns), also 13,3 Prozentpunkte von der Einkommensteuer abziehen. Das reduziert den maximalen Einkommensteuersatz auf 31,7 % bzw. auf ca. 33,44 % inklusive Solidaritätszuschlag. Insgesamt werden entnommene Gewinne mit 47,44 % und damit annähernd so hoch wie bei den Kapitalgesellschaften belastet. Zur Kompensation der ungünstigeren Besteuerung bei Gewinnthesaurierung haben die Einzelunternehmen und Personengesellschaften die Option einer mit 28,25 % (statt maximal 45 %) besteuerten Thesaurierungsrücklage. Sie reduziert die Belastung einbehaltener Gewinne auf ca. 29,77 %, allerdings nur bei Zahlung der Steuer aus Privatvermögen. Bei Zahlung des Steuerbetrags aus Betriebsvermögen erhöht sich die Belastung durch Versteuerung der Entnahme mit dem Einkommensteuersatz auf maximal 36,16 %. Auch wenn die Unternehmer zunächst nichts für ihren Konsum entnehmen, werden sie schärfer besteuert als Kapitalgesellschaften.6 Eine spätere Entnahme des thesaurierten Gewinns führt zu einer Nachversteuerung und erhöht die Tarifbelastung auf 47,98 %.7

Trotz der annähernden Übereinstimmung der Tarifbelastung kann von einer Gleichbehandlung der Unternehmen und erst recht der Einkommen keine Rede sein:

  • Die Abgeltungsteuer begünstigt Zinseinkommen gegenüber den Einkommen, die der persönlichen Einkommensteuer unterliegen. Aufgrund der Vorbelastung mit Körperschaftsteuer werden außerdem Dividenden höher besteuert als Zinserträge. Am geringsten belastet sind die einbehaltenen Gewinne der Kapitalgesellschaften. Die unterschiedliche Behandlung der Einkommen ist ein klarer Verstoß gegen die horizontale Gerechtigkeit und damit gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip.8
  • Das heutige System sorgt für unterschiedliche Kapitalkosten und verletzt damit massiv die Finanzierungsneutralität.9 Für Investitionen der Kapitalgesellschaften sind Selbst- und Fremdfinanzierung derzeit gleichermaßen günstig. Wesentlich schlechter schneidet die Beteiligungsfinanzierung ab. Ausgerechnet die für Kapitalgesellschaften typische Finanzierungsform wird also steuerlich diskriminiert.10
  • Bei Personenunternehmen stellt dagegen die Fremdfinanzierung die günstigste Finanzierungsform dar. Der Kapitalkostensatz für Selbst- und Beteiligungsfinanzierung ist bei Regelbesteuerung erheblich höher. Aber auch im Fall der Thesaurierungsrücklage liegen die Kapitalkosten stets über den Kosten der Fremdfinanzierung.11 Die Eigenkapitalbasis der kleinen und mittelständischen Unternehmen wird durch die klare Begünstigung der Fremdfinanzierung zweifellos nicht gestärkt.
  • Trotz scheinbar vergleichbarer Tarifbelastung wird auch die Rechtsformneutralität verfehlt. Bei Gewinnausschüttung sind die Personenunternehmen gegenüber den Kapitalgesellschaften begünstigt, und zwar um so stärker, je niedriger der persönliche Einkommensteuersatz ausfällt. Umgekehrt sorgt die volle Besteuerung der einbehaltenen Gewinne für eine Benachteiligung der Personenunternehmen, die durch die Thesaurierungsrücklage nicht aufgehoben wird.

Finanzierungs- und Rechtsformneutralität sind unter Effizienzaspekten wünschenswerte Eigenschaften der Unternehmensbesteuerung. Für die vorhandenen Abweichungen lassen sich gewiss keine positiven Lenkungseffekte reklamieren. Die unsystematischen Regelungen begünstigen bei den Kapitalgesellschaften die Selbstfinanzierung, bei den Personenunternehmen jedoch nicht. Wenn der Staat kleine und mittlere Unternehmen (KMU) fördern will, sollte er sich darauf konzentrieren, die steuerliche Diskriminierung von Investitionen mit neuem Eigenkapital zu beseitigen, die gerade junge Unternehmen in der Gründungs- und Wachstumsphase trifft.12 Ein weiterer steuersystematischer Mangel der Reform 2008/2009 kann darin gesehen werden, dass die Gewerbesteuer, die ein Entgelt für kommunale Leistungen darstellen soll, nicht mehr als Betriebsausgabe abziehbar ist. Daraus resultiert ein überhöhter Ausweis des einkommen- bzw. körperschaftsteuerpflichtigen Gewinns. Durch den zugleich erhöhten Anrechnungsfaktor der Gewerbesteuer für Personenunternehmen und den reduzierten Körperschaftsteuersatz für Kapitalgesellschaften wurde dieser Effekt jedoch weitgehend neutralisiert. Um möglichst nahtlos an das heutige System anzuschließend, operiert das Reformmodell ebenfalls ohne Betriebsausgabenabzug.

Ein neues Unternehmensteuersystem

Die Defizite der Unternehmensbesteuerung lassen sich durch eine relativ einfache Neuordnung beheben, die wesentliche Elemente des heutigen Systems neu kombiniert und mit dem Anrechnungsverfahren für Dividenden ein bereits bewährtes Element hinzufügt.

  • Die Abgeltungsteuer wird abgeschafft. Zinsen und Dividenden unterliegen wieder wie andere Einkommen der persönlichen Einkommensteuer.13
  • Der Körperschaftsteuersatz wird auf 30 % angehoben. Im Gegenzug dürfen auch Kapitalgesellschaften die Gewerbesteuer anrechnen.
  • Der Abzug der Gewerbesteuer von der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer wird auf den 4-fachen Gewerbesteuermessbetrag erhöht.
  • Die Thesaurierungsrücklage für Personenunternehmen wird um die Steuer auf thesaurierte Gewinne erweitert und mit 30 % besteuert.

Mit diesen Maßnahmen lässt sich eine weitgehend aufkommensneutrale und vor allem eine rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung realisieren. Dies wird anhand einer Berechnung der neuen Tarifbelastungen gezeigt. Tabelle 1 illustriert die Funktionsweise des Grundmodells für Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen differenziert nach Ausschüttung und Thesaurierung. Zur Vereinfachung bleibt der für das qualitative Ergebnis bedeutungslose Solidaritätszuschlag im Grundmodell außer Betracht. Gewinne der Kapitalgesellschaften werden bei einem Hebesatz von 400 % mit 14 % Gewerbesteuer belastet. Durch den Abzug des 4-fachen Gewerbesteuermessbetrags reduziert sich die Körperschaftsteuer entsprechend. Somit verbleibt eine Belastung auf Unternehmensebene von 30 %. Die effektive Belastung fällt höher aus, wenn der Gewerbesteuerhebe­satz über dem Anrechnungswert liegt. Im Gegensatz zum heutigen System soll die Steuerermäßigung aber nicht auf die tatsächlich gezahlte Gewerbesteuer beschränkt sein, sondern bei einem Gewerbesteuerhebe­satz unter dem Anrechnungswert eine Entlastung erfolgen. Abweichungen vom Anrechnungssatz wirken dann symmetrisch auf die Unternehmensteuer. Der Vorteil besteht darin, dass Hebesatzdifferenzen voll spürbar bleiben und ihre Funktion als Standortfaktor behalten.14

Tabelle 1
Tarifbelastungen nach dem Reformmodell
Ausschüttung
% Kapitalgesellschaften % Personenunternehmen
100 Gewinn 100 Gewinn
14 GewSt 14 GewSt
100 BMG der KSt 100 BMG der ESt
30 KSt vor Anrechnung GewSt    
14 GewSt-Anrechnung 0 Thesaurierungsrücklage
16 KSt 0 ESt auf Thesaurierung
30 GewSt + KSt 100 Ausschüttung
    45 ESt auf Ausschüttung
100 Steuerpflichtige Dividende    
45 ESt vor Anrechnung KSt 45 ESt vor Anrechnung GewSt
30 KSt-Anrechnung 14 GewSt-Anrechnung
15 ESt 31 ESt
       
45 GewSt + KSt + ESt 45 GewSt + ESt
Thesaurierung
% Kapitalgesellschaften % Personenunternehmen
100 Gewinn 100 Gewinn
14 GewSt 14 GewSt
100 BMG der KSt 100 BMG der ESt
30 KSt vor Anrechnung GewSt    
14 GewSt-Anrechnung 100 Thesaurierungsrücklage
16 KSt 30 ESt auf Thesaurierung
30 GewSt + KSt 0 Ausschüttung
    0 ESt auf Ausschüttung
0 Steuerpflichtige Dividende    
0 ESt vor Anrechnung KSt 30 ESt vor Anrechnung GewSt
0 KSt-Anrechnung 14 GewSt-Anrechnung
0 ESt 16 ESt
30 GewSt + KSt + ESt 30 GewSt + ESt

GewSt = Gewerbesteuer; BMG = Bemessungsgrundlage; KSt = Körperschaftsteuer; ESt = Einkommensteuer.

Annahmen: Gewerbesteuerhebesatz 400 %, Anrechnung des 4-fachen Gewerbesteuermessbetrags, Körperschaftsteuersatz 30 %, Thesaurierungssteuersatz für Personenunternehmen 30 %, Spitzensatz der Einkommensteuer 45 %, kein Solidaritätszuschlag.

Quelle: eigene Darstellung.

Während die Besteuerung einbehaltener Gewinne mit 30 % abgeschlossen ist, erfolgt die Besteuerung ausgeschütteter Gewinne bei den Anteilseignern. Der ihnen zugerechnete Betrag entspricht dem Gewinn vor Gewerbe- und Körperschaftsteuer. Die darauf entfallende persönliche Einkommensteuer wird um die Körperschaftsteuer, also um 30 % des Gewinns vor Steuern vermindert (bei Erstattung negativer Beträge). Wer dem Spitzensteuersatz unterliegt, hat demnach auf Dividenden 45 % Einkommensteuer abzüglich 30 % Körperschaftsteuer und mithin noch 15 % Einkommensteuer zu zahlen.

Die Gewinne der Personenunternehmen, die nicht im Unternehmen verbleiben, werden wie bisher mit der persönlichen Einkommensteuer belastet. Abziehbar ist nun der 4-fache Gewerbesteuermessbetrag, was 14 Prozentpunkte der Einkommensteuer erspart. Für einen Spitzenverdiener verbleiben somit 31 % Einkommensteuerbelastung zuzüglich 14 % Gewerbesteuer (bei einem Hebesatz von 400 %), also insgesamt 45 % des Bruttogewinns.

Eine entscheidende Neuerung ist die Erweiterung der Thesaurierungsrücklage um die Steuer auf thesaurierte Gewinne. Die Brutto-Thesaurierung inklusive Steuer entspricht dem Gewinn abzüglich der Ausschüttung. Sie unterliegt nun insgesamt dem reduzierten Steuersatz von 30 %.15 Nach Anrechnung der Gewerbesteuer sinkt die Belastung auf effektiv 16 %. Die Gesamtbelastung der einbehaltenen Gewinne durch Gewerbe- und Thesaurierungssteuer entspricht mit 30 % bei einem Hebesatz von 400 % derjenigen der Kapitalgesellschaften. Andere Hebesätze führen (auch bei den ausgeschütteten Gewinnen) zu nach oben und unten abweichenden Tarifbelastungen, die jedoch stets denen der Kapitalgesellschaften entsprechen.16

Mit dem bisherigen Solidaritätszuschlag von 5,5 % auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer steigt die Tarifbelastung der Unternehmen für einbehaltene Gewinne auf 30,88 % und für ausgeschüttete Gewinne auf maximal 46,71 %. Die Thesaurierungsbelastung liegt für Kapitalgesellschaften 1,1 Prozentpunkte über dem heutigen Wert, für Personenunternehmen 5,3 Prozentpunkte darunter (bei Zahlung aus Betriebsvermögen). Die Ausschüttungsbelastung unterschreitet den heutigen Wert für Kapitalgesellschaften um 1,6 Prozentpunkte und für Personenunternehmen um 0,7 Prozentpunkte.

Das hier vorgeschlagene Reformkonzept dient der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und weist unter den realistischen Optionen die größtmögliche Steuerneutralität auf.

  • Das Anrechnungsverfahren behandelt ausgeschüttete Gewinne wie andere persönlich besteuerte Einkommen und verbessert damit die horizontale sowie die vertikale Steuergerechtigkeit erheblich.17
  • Zudem sorgt das Anrechnungsverfahren in Verbindung mit der einheitlichen Anrechnung der Gewerbesteuer hinsichtlich der ausgeschütteten Gewinne für Rechtsformneutralität. Mithilfe der erweiterten Thesaurierungsrücklage wird dieses Ziel auch für die einbehaltenen Gewinne perfekt erreicht.
  • Finanzierungsneutral ist das neue System „nur“ hinsichtlich der Beteiligungs- und Fremdfinanzierung. Die einbehaltenen Gewinne und die Selbstfinanzierung bleiben jedoch für alle Steuerzahler begünstigt, deren persönlicher Einkommensteuersatz über 30 % liegt. Dafür spricht möglicherweise das Ziel der Eigenkapitalförderung.

Abweichungen der Belastung einbehaltener und ausgeschütteter Gewinne sind jenseits der theoretischen Option einer Teilhabersteuer18 unvermeidlich. Im Vergleich zum Status quo werden sie durch die Rechtsformneutralität des Reformvorschlags jedenfalls gemindert. Zudem besteht die Möglichkeit, einen höheren Thesaurierungssteuersatz zu verwenden, ohne die grundlegenden Eigenschaften des Modells zu beeinträchtigen.

In diesem Sinne hat sich der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen in einer Zeit, in der das Anrechnungsverfahren praktiziert wurde, für eine Koppelung des Thesaurierungssatzes an den Spitzensatz der Einkommensteuer ausgesprochen.19 Ein solches Verfahren würde zwar die Selbstfinanzierung der Kapitalgesellschaften benachteiligen, doch könnten sie ihre Belastung durch das Schütt-aus-hol-zurück-Verfahren auf das Niveau der Einkommensteuer der Anteilseigner reduzieren. Das Modell würde der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit am besten entsprechen und wäre rechtsformneutral, aber nicht finanzierungsneutral.

Während der Beirat eine Benachteiligung der Selbstfinanzierung der Kapitalgesellschaften hinzunehmen bereit war, begünstigt die hier vorgeschlagene Lösung die Selbstfinanzierung aller Unternehmen gleichermaßen. Sie trägt damit der Kritik Rechnung, dass eine zu geringe Eigenkapitalausstattung die Krisenanfälligkeit der Unternehmen erhöht und ihre Investitionsbereitschaft vermindert. Diese Eigenschaften dürften jedenfalls die Realisierungschancen des Reformvorschlags in der heutigen Zeit deutlich vergrößern. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen durch die US-amerikanische Steuerpolitik sei zudem angemerkt, dass die strukturelle Erneuerung der Unternehmensbesteuerung durchaus mit einer Reduktion der Steuerbelastung verknüpft werden kann.

Fazit

Das durch mehrere Steuerreformen beschädigte Unternehmensteuersystem in Deutschland sollte noch einmal gründlich überdacht werden. Hierzu will der vorliegende Beitrag einen Denkanstoß geben. Die ohnehin auf der politischen Agenda stehende Abschaffung der in jeder Hinsicht problematischen Abgeltungsteuer eröffnet die Chance auf die Rückkehr zum Anrechnungsverfahren. Zusammen mit einer rechtsformunabhängigen Besteuerung der einbehaltenen Gewinne und einer einheitlichen Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer wäre eine deutliche Verbesserung der Unternehmensbesteuerung in Deutschland erreichbar.

  • 1 Vgl. zum Leistungsfähigkeitsprinzip W. Scherf: Öffentliche Finanzen, 2. Aufl., Konstanz, München 2011, S. 200-217. Die vertikale Steuerprogression basiert teils auf der Idee des relativ gleichen Opfers in Verbindung mit einem sinkenden Grenznutzen des Einkommens, teils auf der verteilungspolitischen Absicht, die Nettoeinkommen gegenüber den Markteinkommen in gewissem Umfang zu nivellieren.
  • 2 Vgl. zur Begründung, Realisierbarkeit und Kritik am Neutralitätspostulat C. Fuest: Taugt Neutralität als Leitlinie der Steuerpolitik?, in: H. Kahle, M. Overesch, M. Ruf, C. Spengel (Hrsg.): Kernfragen der Unternehmensbesteuerung, Wiesbaden 2017, S. 29-39.
  • 3 Ausnahmen sind diskutabel, wenn der Staat die privaten Entscheidungen bewusst in eine bestimmte Richtung lenken will, etwa bei Marktversagen (externe Effekte, meritorische Güter) oder anders nicht zu behebende Konflikte zwischen Effizienz und Gerechtigkeit.
  • 4 „Die Kapitalkosten geben an, wie hoch die Vorsteuerrendite einer Investition mindestens sein muss, damit der Kapitalgeber indifferent zwischen der betrachteten Investition und einer Alternativanlage zum risikolosen Zins am Kapitalmarkt ist“. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (im Folgenden Sachverständigenrat für Wirtschaft): Jahresgutachten 2015/16, Wiesbaden 2015, S. 363.
  • 5 Ausführliche Darstellungen finden sich z. B. bei Sachverständigenrat: Jahresgutachten 2007/08, Wiesbaden 2007, S. 270-278; und W. Scherf, a. a. O., S. 339-346.
  • 6 Vgl. S. Homburg: Allgemeine Steuerlehre, 7. Aufl., München 2015, S. 261.
  • 7 Bemessungsgrundlage ist der thesaurierte Gewinn (E), der sich bei Steuerzahlung aus dem Betriebsvermögen auf 63,84 % des Gewinns vor Steuern (G) beläuft. E wurde bereits mit 28,25 % (1 + 5,5 %) = 29,8 % Einkommensteuer inklusive Solidaritätszuschlag belastet, sodass 70,2 % von E zur Nachversteuerung verbleiben. Dieser Betrag wird mit einem Steuersatz von 25 % (1 + 5,5 %) = 26,38 % belegt. Die Zusatzsteuer beträgt demnach 18,51 % von E bzw. 11,82 % von G. Damit erhöht sich die Tarifbelastung des Gewinns von 36,16 % auf 47,98 %, was den Wert bei sofortiger Entnahme etwas übersteigt.
  • 8 Die Reform 2008/2009 stößt daher auf teils scharfe Kritik. Laut Peffekoven „wird gegen nahezu alle Prinzipien der Einkommensbesteuerung leichtfertig verstoßen“. Vgl. R. Peffekoven: Bruch mit vielen Grundsätzen, in: Wirtschaftsdienst, 87. Jg. (2007), H. 4, S. 206-207. Bach urteilt: „Gleichmäßigkeit und Neutralität der Besteuerung sowie das steuerliche Leistungsfähigkeitsprinzip werden … dem internationalen Steuerwettbewerb geopfert“. Vgl. S. Bach: Abgeltungsteuer: Nichts Halbes und nichts Ganzes, in: Wirtschaftsdienst, 87. Jg. (2007), H. 5, S. 276. Schick hält die Abgeltungsteuer für verfassungswidrig und fordert „baldmöglichst wieder zur synthetischen Einkommensbesteuerung zurückzukehren“. Vgl. G. Schick: Die Abgeltungsteuer löst keine Probleme, sondern ist selbst ein Problem, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 2, S. 99.
  • 9 Vgl. zur Berechnung der Kapitalkosten Sachverständigenrat: Jahresgutachten 2007/08, a. a. O., S. 278-282.
  • 10 Wenn mit dem Spitzensteuersatz und einem Marktzins von 4 % kalkuliert wird, betragen die Kapitalkosten bei Selbst- und Fremdfinanzierung 4,2 %, bei Beteiligungsfinanzierung jedoch bis zu 5,7 %.
  • 11 Für Personenunternehmen ergeben sich Kapitalkosten von 4 % bei Fremdfinanzierung, aber 5,6 % bei Selbst- und Beteiligungsfinanzierung (Regelbesteuerung). Bei Inanspruchnahme der Thesaurierungsrücklage sinkt der Kapitalkostensatz mit der Länge des Thesaurierungszeitraums, beträgt aber mindestens 4,6 %.
  • 12 Vgl. Sachverständigenrat: Jahresgutachten 2015/16, a. a. O., S. 362.
  • 13 Damit entfällt auch das Teileinkünfteverfahren für im Betriebsvermögen von Personenunternehmen gehaltene Anteile an Kapitalgesellschaften.
  • 14 Viele Vorschläge zur Unternehmensteuerreform stellen die Gewerbesteuer zur Disposition. Das Deutsche Steuerzahlerinstitut plädiert stattdessen für eine Beteiligung der Gemeinden an der Körperschaftsteuer mit Hebesatzrecht. Hierfür müsste der Körperschaftsteuersatz ebenfalls auf ca. 30 % angehoben werden. Vgl. Deutsches Steuerzahlerinstitut DSi: Bausteine für eine Reform des Steuersystems, Berlin 2013, S. 125-126. Das vorliegende Reformmodell wirkt weitgehend identisch. Die Gewerbesteuer wird den Unternehmen in Höhe des 4-fachen Steuermessbetrags erlassen, was im Durchschnitt eine Freistellung bedeutet: 400 % war 2016 der mittlere Hebesatz. Ein klarer Vorteil ist aber die formale und für die Kommunen auch effektive Beibehaltung der Gewerbesteuer, was die Reformwiderstände deutlich verringern dürfte. Eine irgendwann reformierte Gewerbesteuer könnte zudem in gleicher Weise mit der Einkommen- und Körperschaftsteuer kombiniert werden.
  • 15 Bei Entnahme wird die Thesaurierungsrücklage so nachversteuert, dass die Tarifbelastung derjenigen bei sofortiger Gewinnausschüttung entspricht. Bezogen auf die im Unternehmen verbliebene Netto-Thesaurierung beträgt der hierfür erforderliche Nachversteuerungssatz: tN = (tA – tE) / (1 – tE) mit tA = Ausschüttungsbelastung und tE = Thesaurierungsbelastung. Im Grundmodell gilt tN = 15 % / 70 % ≈ 21,43 %.
  • 16 Weitere Berechnungen mit einem höheren Gewerbesteuerhebesatz und mit Solidaritätszuschlag finden sich als PDF-Download unter der URL http://bit.ly/2sQhxm6.
  • 17 Einige Autoren unterstützen die Abgeltungsteuer mit Blick auf den internationalen Steuerwettbewerb. Vgl. z. B. C. Fuest, C. Spengel: Abgeltungsteuer: reformieren statt abschaffen, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 2, S. 87. Der hier präsentierte Reformansatz verbindet die Abschaffung der Abgeltungsteuer jedoch mit einer Entlastung bei der Gewerbesteuer. Damit lässt sich die Steuersystematik verbessern, ohne die internationale Konkurrenzfähigkeit der Unternehmensbesteuerung gegenüber dem aktuellen System zu beeinträchtigen.
  • 18 Bei der Teilhabersteuer werden alle Einkommen einschließlich der nicht ausgeschütteten Gewinne mit dem persönlichen Einkommensteuersatz des Anteilseigners belastet. Das Verfahren scheitert jedoch an praktischen Umsetzungsproblemen. Bei großen Publikumsgesellschaften verursacht die periodengerechte Zuordnung der Gewinnanteile erhebliche Schwierigkeiten und entsprechend hohe Vollzugskosten.
  • 19 Vgl. Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Stellungnahme zur Tarifstruktur der Körperschaftsteuer, BMF Schriftenreihe, Nr. 39, Bonn 1987, S. 46-48.

Title:A Fresh Start on German Corporate-Tax Reform

Abstract:German corporate profits are subject to either the income tax or the corporation tax, as well as a business tax. The system leads to an unequal tax burden, depending on the legal form of the companies involved (unincorporated, incorporated) and their use of profits (dividends, retained profits). The author proposes a new combination of the different corporate taxes to take greater account of the ability­to­pay principle and achieve broad tax neutrality.

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DOI: 10.1007/s10273-018-2299-2

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