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Der aktuelle Mehrjährige Finanzrahmen der EU läuft Ende 2020 aus. Die EU-Kommission hat mittlerweile ihren Vorschlag für 2021 bis 2027 vorgelegt. Trotz der hochfliegenden Pläne Emmanuel Macrons für eine „Neugründung“ Europas sind im Budget eher wenige Veränderungen vorgesehen: Die Kommission hat pragmatisch eine vorsichtige Neugewichtung eingeleitet, die weg von den Agrarsubventionen und der Kohäsionspolitik hin zu neuen Prioritäten führt. Die Eigenmittel werden stärker diversifiziert. Die Frage der Nettosalden (auf Ebene einzelner Staaten berechnete Einnahmen und Ausgaben der EU) wird den langwierigen Entscheidungsprozess – bis der Finanzrahmen von allen Mitgliedstaaten abgesegnet ist – bestimmen. Um die europäische Idee zu stärken, müsste die Budgetpolitik europäische öffentliche Güter und die Elemente der zentralen Stabilisierungspolitik noch stärker betonen. Wenn man einen grundsätzlicheren Blick auf die europäische Fiskalpolitik wirft, müssten aber die Steuerungsstrukturen in der Europäischen Union fundamental reformiert werden.

Ein Budget im Geiste Macrons?

In seinen viel beachteten Grundsatzreden forderte der französische Präsident Emmanuel Macron nicht weniger als die „Neugründung Europas“. Nun steht die Finanzplanung der Europäischen Union für die Budgetperiode 2021 bis 2027 an. Findet sich darin etwas vom Geiste Macrons?

Die Neugründung Europas

Macrons Rede an der Pariser Universität Sorbonne enthält eine Reihe von konkreten Vorschlägen.1 Sie reichen von länderübergreifenden Kandidatenlisten bei der nächsten Europawahl (im Mai 2019) über die Schaffung einer europäischen Armee bis hin zur Einsetzung eines Finanzministers für die Eurozone. Dieser solle über ein Budget verfügen, aus dem zentrale europäische Investitionsprojekte finanziert werden. Außerdem stünde eine gesamteuropäische Fiskalkapazität zur Verfügung, die im Krisenfall an der Seite der Europäischen Zentralbank Stabilisierungspolitik betreiben könnte.

Die Macron‘schen Vorschläge schweben seitdem über der Debatte zur Zukunft Europas. Eine umfassende und explizite Reaktion der Bundesregierung stand lange Zeit aus. Nun hat Angela Merkel in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung geantwortet. Ihre Reaktion wurde weithin als verhalten freundlich gewertet. Nun wird sich allerdings zeigen müssen, welche konkreten Taten auf die freundlichen Worte folgen, denn in mindestens zwei Feldern stehen wichtige Entscheidungen an.2

Konkreter Handlungsbedarf

Zum einen hat die Planung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) für den EU-Haushalt der Periode 2021 bis 2027 begonnen. Den ersten Entwurf hat Haushaltskommissar Günther Oettinger am 2. Mai 2018 vorgestellt. Es folgen nun Beratungen auf der Arbeitsebene und zwischenstaatliche Verhandlungen. Dieser Prozess ist mühsam und kann noch zu erheblichen Änderungen des Entwurfs führen, was in der Vergangenheit auch regelmäßig passiert ist. Am Ende steht ein formaler Beschluss des Europäischen Rates, der einstimmig getroffen und in Gänze vom Europäischen Parlament bestätigt werden muss. Nach Plan der Kommission soll das noch in der laufenden Legislaturperiode, also bis April 2019, geschehen. Ob das realistisch ist, bleibt abzuwarten.

Zum anderen steht die Zukunft des Euro auf der Tagesordnung für das nächste Gipfeltreffen des Europäischen Rates im Juni 2018. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben deutlich gemacht, dass das geltende Regelwerk der Europäischen Währungsunion (EWU) im Krisenfall unzureichend ist. Die große Finanzkrise hatte sich in der Eurozone zu einer Zahlungsbilanz-, Banken- und schließlich zu einer Staatsschuldenkrise entwickelt.3 Der Umgang damit hat zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gläubiger- und Schuldnerstaaten geführt, viel Porzellan zerschlagen und letztlich den Aufstieg des nationalistischen Populismus in Europa befördert.4 Nun droht die Eurokrise in Italien zurückzukehren und es rächt sich, dass die Reformen der europäischen Währungsarchitektur in den vergangenen Jahren nicht mit dem notwendigen Nachdruck betrieben wurden.

Bei diesen Reformen geht es um weit mehr als den gemeinsamen Haushalt, der hier im Fokus steht. So hätten viele Reformelemente, wie der Umbau des direkt von den Euroländern finanzierten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF), die Vollendung der Bankenunion oder Reformen des Stabilitäts- und Wachstumspakts, auch keine unmittelbaren Auswirkungen auf den MFR.

Andere Reformvorschläge berühren das EU-Budget aber direkt. Die Diskussion um die Zukunft des Euro kann also nicht ganz losgelöst von der aktuellen Finanzplanung und ihrem straffen Zeitrahmen betrachtet werden. Ziel der Finanzplanung ist es ja, eine verbindliche Obergrenze für den EU-Haushalt bis 2027 zu definieren. Im Sinne der Budgeteinheitlichkeit soll auf das spätere Ausweichen in Satelliten- und Nebenhaushalte verzichtet werden. Große Würfe bei der europäischen Rettungsarchitektur sollten also bis Anfang 2019 in den MFR eingearbeitet sein.

Der Kommissionsentwurf für die Finanzplanung 2021 bis 2027

Betrachtet man den vorliegenden Entwurf, wirkt vieles wie eine Fortschreibung der laufenden Periode.

  • Der Gesamtumfang für die siebenjährige Haushaltsperiode beträgt 1,135 Billionen Euro (in konstanten 2018er Preisen), im Durchschnitt also gut 160 Mrd. Euro pro Jahr. Das entspricht 1,11 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) der EU27.
  • Ein Vergleich mit der aktuellen Budgetperiode (2013 bis 2020) ist vor allem wegen des Brexits kompliziert. Das BNE der Gemeinschaft wird dadurch um rund ein Sechstel kleiner und die EU verliert mit Großbritannien einen Nettozahler. Rein rechnerisch müsste das Budget in absoluten Beträgen also sinken. Das ist aber nicht der Fall, denn aktuell gibt die EU nur rund 154 Mrd. Euro pro Jahr aus.
  • Dieser Anstieg wurde als starkes Signal für Europa gewertet, da die Brexit-Lücke vollständig aufgefangen worden sei. Tatsächlich erklärt er sich aus der Einbeziehung des Europäischen Entwicklungsfonds (EDF), der bislang außerhalb verbucht wurde. Berücksichtigt man diesen Effekt, dann liegt die Größenordnung des Budgetplans in Bezug auf das BNE sogar leicht unterhalb des aktuellen Werts.
  • Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der Umfang bis zu einer finalen Einigung im Europäischen Rat typischerweise auf Druck der Nettozahler noch weiter sinken wird. Haas et al. prognostizieren daher, dass sich das EU-Budget bei rund 1 % des BNE in etwa auf seinem heutigen Wert einpendeln wird.5

Bei annähernd konstanter realer Größe visiert die EU-Kommission aber Akzentverschiebungen innerhalb des Budgets an. Die wesentlichen Eckdaten sind in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1
Budgetplanung der EU-Kommission 2021 bis 2027
in konstanten Preisen von 2018
  Ansatz insgesamt
(in Mrd. Euro)
Anteil (in %) Veränderung 2020 bis 2027 (in %)
Kohäsion 392,0 34,5 -7
Agrar und Umwelt 336,6 29,7 -15
Außenpolitik 166,3 14,7 34
Innovation und Digitales 108,9 9,6 80
Verwaltung 75,6 6,7 10
Grenzschutz und Verteidigung 55,2 4,9 258
Summe 1134,6 100  

Quelle: eigene Berechnungen basierend auf European Commission: Annex to the proposal for a Council Regulation laying down the multiannual financial framework for the years 2021-2027, Brüssel, 2.5.2018, https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/annex-laying-down-mff-may_2018_en.pdf (7.6.2018); J. Haas, E. Rubio, P. Scheemelcher: The MFF proposal: What’s new, what’s old, what’s next?, Policy Brief, Jacques Delors Institut, Berlin 2018.

Weniger Distribution, mehr Allokation und Stabilisierung

Die größten Ausgabenposten bleiben demnach die gemeinsame Agrar- und die Kohäsionspolitik. Diese Positionen machen zusammen knapp 65 % aller Ausgaben aus. Ihre Bedeutung soll nach dem Willen der Kommission aber spürbar sinken. So wird vorgeschlagen, im Vergleich der Jahre 2020 und 2027 die jährlichen Ausgabendeckel real um 15 % bzw. um 7 % zu reduzieren. Dafür sollen die Haushaltsposten für Grenzschutz und Verteidigung real um 258 %, die zur Förderung von Forschung und Innovationen sowie zum Ausbau der digitalen Infrastruktur um immerhin 80 % angehoben werden.

Daneben schlägt die Kommission in internen Communiqués weitere Instrumente vor, die bislang nicht in den MFR-Entwurf eingearbeitet sind:

  • Ein europäischer Stabilisierungsfonds mit einem Gesamtumfang von rund 30 Mrd. Euro für sieben Jahre soll für Investitionsprojekte in EU-Ländern (nicht nur in der Eurozone) im Fall schwerer asymmetrischer Schocks eingesetzt werden können. Er soll durch einen einfachen Mehrheitsbescheid des Europäischen Rates und vor der Aufnahme von ESM-Programmen aktiviert werden können.
  • Der Fonds zur Unterstützung von Strukturreformen (SRSP) soll einen Gesamtumfang von rund 25 Mrd. Euro erhalten.
  • Schließlich wird ein kleinerer Konvergenzfonds (2,2 Mrd. Euro) zur Unterstützung von Euro-Beitrittskandidaten vorgeschlagen.

Eine volle Umsetzung aller drei Instrumente im Rahmen des MFR würde dessen Gesamtgröße um rund 5 % ansteigen lassen.

Die Ausrichtung des Kommissionsentwurfs scheint also klar: mehr Geld für Investitionen und die Stärkung von Instrumenten, die im Krisenfall im Rahmen einer gesamteuropäischen Konjunkturpolitik eingesetzt werden können, dafür eine Kürzung von Ausgabenbereichen, die einen tendenziell umverteilenden Charakter haben. Im Sinne des klassischen Musgrave‘schen Dreisprungs für die Kernaufgaben des Staates in einer Marktwirtschaft könnte man den MFR mithin unter die Überschrift stellen: weniger Distribution, mehr Allokation und Stabilisierung.6

Ein Budget im Geiste Macrons?

Diese Richtung entspricht im Grunde den Vorschlägen von Emmanuel Macron. Dieser hat ja in seinen Reden mit keinem Wort die Einführung von expliziten fiskalischen Transfers innerhalb Europas gefordert, sondern stets den Ausbau europäischer öffentlicher Güter und die Risikoteilung innerhalb der Eurozone im Fall schwerer Wirtschafts- und Finanzkrisen betont.

Natürlich haben allokativ und konjunkturell motivierte Eingriffe, wie eigentlich jede politische Entscheidung, immer auch Verteilungseffekte. Diese stehen als wirtschaftspolitisches Ziel aber nicht im Vordergrund und die genauen distributiven Auswirkungen sind detailabhängig und können sich im Zeitablauf ändern. Insofern trifft die bisweilen geäußerte Kritik, Macron strebe eine „europäische Transferunion“ an, in Wirklichkeit nicht zu.

Der vorliegende Kommissionsentwurf für den MFR hat aber zwei Probleme:

  1. Die im Kern richtige Budgetumgestaltung wird zu zaghaft verfolgt.
  2. Es ist wahrscheinlich, dass die final verabschiedete Fassung des MFR hinter diesen zaghaften Akzentverschiebungen sogar noch zurückbleibt.

Der erste Kritikpunkt besteht aus zwei Aspekten: Investitionen und europäische öffentliche Güter werden nicht hinreichend gestärkt, dafür wird die insgesamt zweifelhafte gemeinsame Agrarpolitik nicht stark genug und am falschen Ende gekürzt.

Europäische öffentliche Güter

Innerhalb der Europäischen Union sollten öffentliche Güter von der zentralen Ebene bereitgestellt werden, wenn sie starke Ausstrahlungseffekte haben und von gemeinschaftsweitem Interesse sind. Bei Verteidigung und Grenzschutz ist dies offenkundig der Fall. Der Kommissionsentwurf scheint dieser Einsicht durch die starke relative Steigerung auch Rechnung zu tragen. Tatsächlich entspricht dieser Haushaltsansatz aber lediglich einem mittleren Szenario, das die EU-Kommission in internen Projektionen selber entwickelt hat.7 Er kann daher nicht als sonderlich ambitioniert bezeichnet werden. Ein ähnlicher Befund trifft auf die Innovationsförderung und den Ausbau der digitalen Infrastruktur zu. In diversen Zukunfts- und Hochtechnologiebranchen (wie der künstlichen Intelligenz oder dem 5G-Mobilfunk) setzen die USA und vor allem China dezidiert Instrumente der strategischen Industriepolitik ein, um den internationalen Standortwettbewerb um die Technologieführerschaft für sich zu entscheiden. Die folgerichtige Antwort der Europäischen Union bestünde in einem spürbaren Ausbau der öffentlichen Innovationsförderung, inklusive der Schaffung international wettbewerbsfähiger Forschungsinstitute. Derartige öffentliche Ausgaben führen typischerweise nicht zu einer Verdrängung privater Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen, sondern stehen dazu in einer komplementären Beziehung.8 Außerdem erscheint aufgrund nennenswerter Skaleneffekte die Ansiedlung auf der zentralen europäischen Ebene vorteilhafter als eine Koordination nationaler Politiken der Mitgliedstaaten. Der veranschlagte Ausbau im MFR-Entwurf bewegt sich aber selbst nach internen Projektionen der EU-Kommission wiederum bloß auf einem mittleren Niveau.

Die zu zaghaften Steigerungen bei den Investitionen spiegeln sich in einem zu geringen Rückbau der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) um nur 15 %. Die GAP besteht aus zwei Säulen: Die kleinere, die ungefähr 30 % ausmacht, fördert allgemein die Entwicklung ländlicher Räume und verfolgt dabei Sekundärziele wie Naturschutz oder Biodiversität. Die Reduktion der Haushaltsobergrenze soll laut MFR vor allem hier anfallen. Die größere Säule soll hingegen um lediglich 11 % gekürzt werden. Sie besteht aus direkten Zahlungen an (zumeist französische und polnische) Landwirtschaftsbetriebe, um sie gegen Marktpreisschwankungen abzusichern.

Aus systematischer Sicht ist kaum erkennbar, warum dieser Themenkomplex überhaupt auf der zentralen europäischen Ebene angesiedelt sein muss, denn zwischenstaatliche Ausstrahlungs- oder Synergieeffekte liegen kaum vor. Auch nach Ansicht der Kommission werden gemeinschaftsweite (Sekundär-)Ziele der GAP oft nur suboptimal erreicht.9 Die entsprechende Einkommensumverteilung könnte also durchaus auf der Ebene der Mitgliedsländer umgesetzt werden.

Die Kohäsionspolitik ist keine direkte Einkommensumverteilung innerhalb Europas, sondern hat investiven Charakter in den Empfängerregionen. Sie hat in der Vergangenheit durchaus zur Wachstumskonvergenz in der EU beigetragen.10 Allerdings fallen die veranschlagten Kürzungen im MFR von durchschnittlich 7 % im Schwerpunkt bei den Fonds an, die sich dezidiert auf die Förderung der einkommensschwächsten Regionen fokussieren. Weniger stark gekürzt werden sollen breiter angelegte Programme wie der Europäische Sozialfonds (ESF), deren Mittelverteilung auf einer Reihe von Indikatoren basiert und die deswegen gleichmäßiger über die Mitgliedsländer streuen.

Was jetzt (nicht) passieren sollte

Ein zukunftsweisender Entwurf für den gemeinsamen Haushalt hätte die europäischen öffentlichen Güter und die Elemente der zentralen Stabilisierungspolitik noch stärker betont und sich dabei an den ambitionierten Projektionen der EU-Kommission orientiert. Hierdurch würde die EU noch klarer mit „Projekten“ (einer „Story“) in Verbindung gebracht, deren Verankerung auf der zentralen Ebene sinnvoll ist und deren Zweck sich für viele Bürger unmittelbar erschließen dürfte. Dafür hätte insbesondere die GAP stärker gekürzt und die damit verbundenen Umverteilungsziele auf die Ebene der Mitgliedstaaten zurückverlagert werden können. Ein Budgetaufwuchs für allokativ sinnvolle gesamteuropäische Ausgaben wäre ebenfalls nachvollziehbar.

Leider steht zu befürchten, dass in dem nun folgenden Prozess hin zu einer finalen Einigung genau die gegenteilige Richtung eingeschlagen wird. Die Erfahrungen aus den vorangegangenen Haushaltsperioden haben gezeigt, dass die Nettozahler typischerweise auf eine weitere Budgetreduktion drängen. Dabei laufen die eher investiven Kategorien besonders Gefahr, gestutzt zu werden. Vergleicht man den ersten Kommissionsentwurf und den finalen Haushaltsplan der letzten Budgetierungsperiode (2014 bis 2020), dann wurden die Bereiche Innovation und Digitales am Ende um mehr als 24 % gekürzt, die gemeinsame Agrarpolitik nur um ganze 4 %.11 Hinter diesem Muster stehen politökonomische Interessen der Empfängerländer, die sich nicht einfach von ihren Fördergeldern verabschieden wollen.

Die Wiederholung eines solchen Verhandlungsergebnisses stünde der Europäischen Union nicht gut zu Gesicht, zumal hier Haushaltslinien für volle sieben Jahre beschlossen werden. Ob dies verhindert werden kann, ist offen. Deutschland als größtem Nettozahler kommt eine wichtige Führungsrolle in diesem Verhandlungsprozess zu. Hier wird sich zeigen, ob man die Macron‘schen Grundsatzideen nicht nur in unverbindlicher Form, sondern tatsächlich unterstützt. Aber auch Emmanuel Macron selber muss zeigen, wie ernst es ihm mit seinen Visionen ist. Denn gerade bei der starken Rückführung der gemeinsamen Agrarpolitik stehen für Frankreich viele Millionen Euro auf dem Spiel.

Pragmatismus und Flexibilität: der Fokus der EU-Kommission bei ihrem Vorschlag für den neuen Finanzrahmen

Der früheren Haushaltskommissarin Kristalina Georgieva wird die Feststellung zugeschrieben, dass der Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) der EU „a 7-year peace treaty“ sei, mit dem niemand wirklich zufrieden sein könne. Diese ohnehin schwierigen Verhandlungen werden durch den Austritt eines großen Nettozahlers, dem Vereinigten Königreich, zusätzlich erschwert. Zugleich haben die europäischen Staats- und Regierungschefs in ihrer „Leaders’ Agenda“ der EU neue, zusätzliche Aufgaben übertragen, wie den Außengrenzschutz, die Stärkung der sozialen Dimension des Integrationsprozesses oder die Stabilisierung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Aufgaben, die potenziell einen größeren Finanzbedarf erfordern. Der Konflikt um die Verteilung der EU-Finanzmittel hat also eine Zuspitzung erfahren.

Am 2. Mai 2018 haben Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker und Haushaltskommissar Günther Oettinger mit der Vorstellung des Vorschlags der Europäischen Kommission für den nächsten MFR im Europäischen Parlament nun diesen schwierigen Verhandlungsprozess über den „MFR-Friedensvertrag“ eröffnet.

Ansatzpunkte der Verhandlungen

Die MFR-Verhandlungen drehen sich in der Regel um vier Schwerpunkte: Volumen und Struktur des Haushalts, Ausgabenprioritäten und Einnahmenseite.

Das Gesamtvolumen des Haushalts

Der MFR sollte groß genug sein, um alle Maßnahmen und alle Aufgaben zu finanzieren, die der EU übertragen wurden. Die EU-Kommission wirbt in ihrem Vorschlag für einen modernen langfristigen Haushalt, der „einfacher, flexibler und fokussierter sein“1 soll und der knapp 1134 Mrd. Euro (in konstanten Preisen von 2018) für Verpflichtungen oder 1,114 % des Bruttonationaleinkommens – BNE) der EU27 und 1104 Mrd. Euro oder 1,08 % des BNE für Zahlungen umfassen soll. Damit positioniert sich die Kommission am unteren Ende der von Kommissar Günther Oettinger im Vorfeld immer wieder angesprochenen Spanne zwischen 1,1 % und 1,2 % des BNE. Außerhalb des Finanzrahmens sollen insgesamt rund 26 Mrd. Euro für Sonderfonds hinzukommen, wie eine EU-Reserve für Soforthilfen, der europäische Solidaritätsfonds oder der Globalisierungsfonds. Neu ist die Aufnahme des bisher außerhalb des MFR geführten und finanzierten Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) in den MFR und damit verbunden eine Erhöhung des MFR-Gesamtvolumens. Insgesamt würde der EU-Haushalt somit 1160 Mrd. Euro oder 1,14% des BNE umfassen.

Die Struktur des Haushalts

Die Kommission schlägt für den Finanzrahmen eine neue Struktur vor und will die Zahl von bisher fünf auf künftig sieben Rubriken erhöhen. Sie schlägt vor, die spezifischen Ausgabenprogramme zu diesen Rubriken neu zuzuordnen und die Programme in „Politik-Clustern“ zu bündeln, die jedoch flexibel miteinander zu kombinieren bzw. zu verzahnen sein sollen. Die Kommission verzichtet in ihrem Vorschlag für den nächsten MFR auf eine ähnliche Leitstrategie, wie die europäische Wachstumsstrategie Europa 2020, die als Raster für den derzeitigen MFR diente. Der neue Haushalt orientiere sich an der Agenda für die Zukunft der EU27, wie sie der Europäische Rat in Bratislava und Rom beschlossen habe. Der MFR sei „aufs Engste an den politischen Prioritäten der Union der 27 ausgerichtet“; er werde „ein Haushalt der Prioritäten der Union sein“.2

Diese Neuordnung der Rubriken und Programme erschwert allerdings den Vergleich der Finanzausstattung mit dem gegenwärtigen MFR und der damit verbundenen veränderten Prioritätensetzung des Vorschlags.

Die Festlegung der Ausgabenprioritäten bzw. der Verteilung auf die MFR-Rubriken

Die Mittelausstattung sollte den unterschiedlichen Gewichtungen der Aufgaben entsprechen und damit eine politische Prioritätensetzungen (oder umgekehrt die Bestimmung von Posterioritäten) deutlich machen. Eine politische Prioritätensetzung ist grundsätzlich überall dort erforderlich, wo begrenzte Mittel konkurrierenden Zielen zugewiesen werden müssen.

Künftig sollen die Mittel so aufgeteilt werden, dass für die traditionell größten Ausgabenblöcke, die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP), die Kohäsionspolitik sowie die neuen Prioritäten in den Bereichen der Innen-, Sicherheits- und Außenpolitik jeweils ein Drittel ausgegeben werden können. Um die neuen Aufgaben für den Außengrenzschutz, die ersten Schritte auf dem Weg zu einer Verteidigungsunion oder die Instrumente zur Stabilisierung der Wirtschafts- und Währungsunion finanzieren zu können, greift die Kommission auf Verbesserungen auf der Einnahme­seite zurück und plädiert für begrenzte Einsparungen bzw. Umschichtungen bei den beiden größten Ausgabenblöcken.

Zur Stabilisierung der Eurozone soll darüber hinaus ein Reformhilfeprogramm mit insgesamt 25 Mrd. Euro den Mitgliedstaaten helfen, Strukturreformen umzusetzen. Daneben plant die Kommission einen Europäischen Investitionsstabilisierungsfonds, um in Krisenzeiten und starken Wachstumseinbrüchen das Investitionsvolumen mit europäischen Finanzmitteln zu stützen und damit den Konjunkturzyklus abzufedern. Darlehen an die Mitgliedstaaten sollen mit insgesamt maximal 30 Mrd. Euro aus dem EU-Haushalt besichert werden. Der Investitionsfonds könnte später durch Mittel des Europäischen Stabilitätsmechanismus und Beitragszahlungen der potenziell Begünstigten erweitert werden.

Das Eigenmittelsystem

Eine Reform des EU-Budgets auf der Ausgabenseite ist stets verbunden mit der Einnahmenseite, also dem Eigenmittelsystem der EU, und damit auch mit der Frage der gerechten Verteilung der Finanzierungslasten.3 Hinzu kommt die wiederkehrende Forderung, neue Eigenmittel zu schaffen oder der EU eigene Steuereinnahmen zu eröffnen. Neu wird bei den anstehenden Verhandlungen auch die Frage sein, wie nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs und damit dem Wegfall des Briten-Rabatts mit den übrigen Rabatten und Sonderregelungen verfahren werden soll.

Pragmatismus, Realismus und Reformen

Der derzeitige Finanzrahmen 2014 bis 2020 war der erste Finanzrahmen mit einer realen Kürzung der Haushaltsansätze. Diese Reduktion des MFR-Volumens bleibt allerdings eine Ausnahme. Obwohl einige west- und nordeuropäische Mitgliedstaaten argumentieren, in einer auf 27 Teilnehmer verkleinerten Union müsse auch der Haushalt kleiner werden, schlägt die Kommission eine begrenzte Steigerung des Budgetumfangs vor. Der Umfang des Aufwuchses ist allerdings umstritten und fällt je nach Berechnungsmethode unterschiedlich groß aus. Zum Teil werden die nominalen Haushaltsansätze verglichen, dann werden die Vorschläge in konstanten Preisen gegenübergestellt oder es werden die Haushaltsansätze in Relation zum BNE der EU27 gesetzt oder als Anteil des Gesamthaushalts ausgewiesen. Trotz des Vorwurfs einiger Analysten4 und aus dem Europäischen Parlament5, die Kommission habe bei ihrem Vorschlag „Haushaltstricks“ und „irreführende Zahlen“6 verwendet, betont die Kommission, dass die Richtung der Reformansätze stimme. Der Anteil der größten Ausgaberubriken (GAP und Strukturfonds) am Gesamthaushalt gehe weiter zurück und der Anteil der übrigen wichtigen Politikfelder, wie die Ausgaben für die gemeinsame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie für die Migrationspolitik und den Außengrenzschutz steige deutlich an.

Allerdings sind die Reformmöglichkeiten der Kommission begrenzt, das verfügbare Finanzvolumen für die neuen Aufgaben schnell und deutlich zu erhöhen. Sie ist mit Blick auf das Gesamtvolumen und die Neugewichtung der Ausgabeprioritäten pragmatisch vorgegangen und greift auf eine bereits bei früheren Haushaltsverhandlungen angewandte Technik zurück. Sie schreibt die nominalen Haushaltsansätze für die GAP und die Kohäsionspolitik weitgehend unverändert mit der Intention fort, über die MFR-Laufzeit, das Wirtschaftswachstum und die Inflation zu einem langsamen Abschmelzen der realen Ansätze zu kommen.

Mit den so freiwerdenden Mitteln werden die Ausgaben für neue Prioritäten nominal und real langsam erhöht. Mit ihrem Pragmatismus kann die Kommission den widersprüchlichen Erwartungen und Interessen der Mitgliedstaaten entsprechen, die weitreichende Reformen und die Finanzierung neuer Politiken und gleichzeitig eine unveränderte Fortführung bestehender Politiken fordern, aber nicht bereit sind, das Gesamtvolumen des Budgets zu erhöhen. Die Zeit ersetzt also die fehlende Reformbereitschaft der Mitgliedstaaten. In der Konsequenz bedeutet diese Begrenzung der Reformmöglichkeiten, dass das Ergebnis der Verhandlungen zwangsläufig in der Nähe des Status quo liegen wird.

Eine ähnliche Ambivalenz zeichnet sich bei der Berechnung der vorgeschlagenen Kürzungen in den beiden größten Ausgabenblöcken ab. Während die Kommission für die Berechnung der Kürzungen von 5 % in der GAP bzw. 7 % bei den Strukturfonds offensichtlich das letzte Haushaltsjahr 2020 des derzeitigen MFR als Vergleichsmaßstab heranzieht und mit sieben multipliziert, also ein Haushaltsjahr, in dem am Ende der Förderperiode absehbar hohe Zahlungen zu erwarten sind und angesetzt werden, rechnen die Mitgliedstaaten mit dem durchschnittlichen Finanzvolumen der beiden Politikbereiche über den gesamten Förderzeitraum und kommen so auf Einschnitte von real bis zu 30 %. Bei der GAP ist zudem von Bedeutung, dass die Kommission vornehmlich in der zweiten Säule, also bei der mit nationalen Mitteln kofinanzierten Förderung des ländlichen Raums, kürzen und in der ersten Säule, also bei den Direktzahlungen an die landwirtschaftlichen Betriebe, weit weniger stark kürzen will. Zudem verzichtet die Kommission ganz auf die Möglichkeit, eine Kofinanzierung dieser Direktzahlungen aus den nationalen Budgets der Mitgliedstaaten wenigstens vorzuschlagen. Umgekehrt wird aus dem Europäischen Parlament darauf hingewiesen, dass die von EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger immer wieder hervorgehobene Verdoppelung des Erasmus-Programms zur Förderung des Studentenaustauschs geringer ausfallen dürfte.

Für die Mitgliedstaaten sind noch immer die nationalen Nettosalden der entscheidende Maßstab zur Bemessung ihrer Reformbereitschaft. Die Berechnung der jeweiligen Nettosalden wird allerdings erst möglich sein, wenn die Kommission ihre Legislativvorschläge für die Ausgabenprogramme vorgelegt hat. Erst dann werden die Rückflüsse aus Brüssel kalkuliert und den zu erwartenden Zahlungen an den EU-Haushalt gegenübergestellt. Von besonderer Bedeutung für diese Kalkulation werden dann die bislang von der Kommission nur angedeuteten neuen Elemente sein. So erwähnt die Kommission, dass die Auszahlungen der Direktzahlungen an die landwirtschaftlichen Betriebe ab einer bestimmten Fördersumme gekappt oder die Kofinanzierungssätze aus den nationalen Budgets im Bereich der Kohäsionspolitik erhöht werden könnten. Sie erwägt auch, für die Berechnung der Förderfähigkeit aus den europäischen Strukturfonds neben dem regionalen Wohlstand auch migrationspolitische Belastungen, wie z. B. die Kosten der Integration von Flüchtlingen, einzubeziehen. Mit solchen neuen Elementen könnte sich künftig die Verteilung der EU-Mittel deutlich von der Verteilung in der aktuellen Förderperiode unterscheiden.

Die besondere Betonung der Flexibilität

Der Vorschlag der Kommission zeichnet sich also durch einen besonderen Realismus und Pragmatismus aus und verzichtet auf eine deutliche Erhöhung des MFR-Gesamtvolumens und eine schnelle und umfassende Neugewichtung der Ausgabeprioritäten. Von besonderer Bedeutung scheint jedoch das Ziel des Kommissionsvorschlags zu sein, einen flexibleren und agileren Haushalt vorzulegen. Bislang sehen die Mitgliedstaaten in der rechtlich verbindlichen Aufteilung der Mittel auf die Empfänger und der frühzeitigen Festschreibung der politischen Prioritäten und deren Finanzausstattung einen besonderen Vorteil des MFR. Den Mitgliedstaaten erleichtern einerseits die Vorhersehbarkeit der einzuplanenden Zahlungen nach Brüssel und andererseits die Fixierung der zu erwartenden Rückflüsse aus dem EU-Budget ihre haushaltspolitischen Planungen und ihre jeweilige nationale Kosten-Nutzen-Kalkulation in Form ihrer Nettosalden. Wenn jedoch derzeit rund 80 % des EU-Haushaltsvolumens bereits zu Beginn der MFR-Laufzeit und der Förderperioden auf sieben Jahre festgelegt werden, bedeutet dies, dass die politischen Prioritäten der EU kaum mehr an ein sich veränderndes politisches Umfeld angepasst werden können.

Die Kommission will nun die vielen kleinen Förderprogramme zu großen Instrumenten zusammenfassen und sich die Möglichkeit eröffnen, in und zwischen den neuen mehrjährigen Programmen, die EU-Fördermittel leichter und schneller umschichten und neu verteilen zu können. Zusätzlich sollen Reserven innerhalb der Programme geschaffen werden. Sie schlägt auch vor, die bislang in der Höhe begrenzte Möglichkeit der Umschichtung von EU-Mitteln zwischen den Ausgaberubriken und zwischen den Haushaltsjahren zu reformieren und auf eine Obergrenze für Umschichtungen zu verzichten. Sie will die bestehenden Krisenmanagementinstrumente stärken und eine neue, sogenannte „Unionsreserve“ für unvorhergesehene Krisenfälle einführen.

Die verringerte Zahl der Förderprogramme verbunden mit der gleichzeitig erleichterten Möglichkeit, innerhalb der Programme die vorhandenen Haushaltsmittel problemloser und schneller für neue Schwerpunkte umzuschichten, kann zu einer effizienteren Nutzung der EU-Mittel führen und die politische Flexibilität und die Reaktionsfähigkeit der EU auf neue Herausforderungen erhöhen. Alle zugesagten Mittel können von der EU für aktuelle Aufgaben auf der politischen Tagesordnung genutzt werden. Diese, auf den ersten Blick eher technisch wirkenden Veränderungen können allerdings zu deutlichen institutionellen und politischen Verschiebungen führen. Die Kommission kann so ihren budgetären Spielraum und ihre politische Autonomie ausweiten. Die Mitgliedstaaten könnten umgekehrt an Einfluss auf die Definition gemeinsamer politischer Prioritäten und bei der Verwaltung und Umsetzung der europäischen Programme verlieren.

Fazit

Für die Mitgliedstaaten geht es bei den Verhandlungen selten darum, einen guten oder besseren mehrjährigen Haushalt für die EU auszuhandeln, sondern in erster Linie ein Ergebnis zu erzielen, das ihren fiskalischen Eigeninteressen möglichst nahe kommt. Nicht das Ergebnis für die Handlungsfähigkeit der EU, sondern die Folgen für das nationale Budget bestimmen die nationalen Positionierungen. Die eigentliche Messlatte für die Regierungen ist der jeweilige nationale Nettosaldo, also die Differenz zwischen Einzahlungen und Rückflüssen aus dem EU-Budget. Neben dieser Nettosaldo-Logik haben jedoch die MFR-Verhandlungen stets auch institutionelle Folgen für das Zusammenspiel der EU-Organe und der verschiedenen Entscheidungsebenen im europäischen Mehrebenensystem.

Langfristig sollte die EU über einen größeren Entscheidungs- und Handlungsspielraum auch in Bezug auf ihren Haushalt verfügen. Eine deutlich flexiblere Nutzung des MFR in einem sich rapide verändernden politischen Umfeld würde das Zugeständnis größerer politischer Autonomie der EU und der Europäischen Kommission bei der Interpretation von Handlungsbedarf und Finanzierungsumfang erfordern. Denn es wäre die Kommission, die eine Veränderung der politischen Rahmenbedingungen, eine europäische Betroffenheit und daraus abgeleitet die Notwendigkeit zur Umschichtung von Haushaltsmitteln als Erste erkennen, begründen und durchführen würde.

Angesichts der schwierigen Verhandlungssituation und der weiterhin bestehenden Interessenunterschiede zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern im Kreis der Mitgliedstaaten ist von einem unkomplizierten Verhandlungsverlauf und dem frühzeitigen Abschluss der Verhandlungen nicht auszugehen. Sollte der Verhandlungsprozess ähnlich verlaufen, wie die vorhergehenden Prozesse, dann ist mit einem Abschluss der Verhandlungen über den nächsten MFR und die mit diesem verbundenen Verordnungen für die EU-Programme erst im zweiten Halbjahr 2020 zu rechnen – also unter deutscher Ratspräsidentschaft. Auf den deutschen Vorsitz käme in diesem Fall die schwierige Aufgabe zu, bei den Verhandlungen über die Rechtsgrundlagen der großen Ausgabenprogramme einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Positionen der Mitgliedstaaten und mit dem wohl auch weiterhin auf ein größeres Budget drängenden neuen Europäischen Parlaments auszuhandeln. In diesem Fall wäre davon auszugehen, dass die Erwartungen an und der Druck auf die Bundesregierung, Kompromisse mit höheren deutschen Beiträgen zu ermöglichen bei allen Akteuren und auf allen Seiten sehr groß sein wird. Für die Bundesregierung könnte sich dann die schwierige Frage stellen, wie weit sie für die Einheit der EU27 bereit sein wird, die eigenen finanziellen Möglichkeiten auszuschöpfen.

  • 1 Europäische Kommission: Ein moderner Haushalt für eine Union, die schützt, stärkt und verteidigt, Mehrjähriger Finanzrahmen 2021-2027, COM(2018) 321 fin., Brüssel 2.5.2018.
  • 2 Ebenda, S. 2.
  • 3 Dieser Beitrag konzentriert sich auf die Ausgabenseite und wird deshalb die Einnahmeseite nicht weiter thematisieren.
  • 4 Z. Darvas, N. Moës: How large is the proposed decline in EU agricultural and cohesion spending?, Breughel Blog vom 4.5.2018, http://bruegel.org/2018/05/how-large-is-the-proposed-decline-in-eu-agricultural-and-cohesion-spending/ (8.6.2018).
  • 5 A. Dobreva: Multiannual Financial Framework 2021-2027: Commission proposal. Initial comparison with the current MFF, Briefing des Europäischen Parlaments, Mai 2018, http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/BRIE/2018/621864/EPRS_BRI(2018)621864_EN.pdf (8.6.2018).
  • 6 O. V.: EU-Parlament wirft Kommission Haushaltstrick vor; Haushaltskommissar Oettinger korrigiert Zahlen für den Finanzrahmen 2012 bis 2027, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 24.5.2018.

Ausgaben am europäischen Mehrwert orientieren und mehr Eigenmittelquellen erschließen

Am 2. Mai 2018 hat die Europäische Kommission nach monatelangen Vorarbeiten und Diskussionen mit allen EU-Mitgliedstaaten einen ersten Vorschlag für Gesamtvolumen und grobe Struktur des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) sowie für das Eigenmittelsystem der EU für die Periode 2021 bis 2027 präsentiert.1 Wenig überraschend bestimmt der altbekannte „Nettopositions-Reflex“ die unmittelbaren Reaktionen der meisten EU-Länder auf die Vorschläge der EU-Kommission: Im Fokus der Wortmeldungen aus den Mitgliedstaaten stand in den letzten Wochen weniger die Frage, ob die vorgeschlagenen strukturellen Veränderungen der Ausgaben und im Eigenmittelsystem aus einer gesamteuropäischen Perspektive angemessen sind. Das Hauptaugenmerk liegt vielmehr auf dem Saldo des betreffenden Mitgliedslandes aus Einzahlungen in das EU-Budget und empfangenen Transfers daraus. Eine Mehrheit der EU-Länder ist weniger an den Strukturen des EU-Budgets in einer gesamthaften Sicht interessiert, sondern sieht das EU-Budget hauptsächlich an seiner Funktion als Umverteilungsmechanismus. Dass der Nutzen der EU-Mitgliedschaft für alle Mitgliedsländer2 über den Saldo aus Einzahlungen in das EU-Budget und empfangenen Transfers weit hinausgeht, wird dabei weitgehend ausgeblendet. Entsprechend zeichnet sich ab, dass sich die anstehenden Verhandlungen zum nächsten EU-Budget wie in der Vergangenheit auf dessen Gesamtvolumen und die zu seiner Finanzierung erforderlichen Finanzmittel verengen werden: Dass also das primäre Anliegen der meisten Nettozahler erneut sein wird, das Volumen des EU-Budgets und damit die eigenen Nettozahlungen zu begrenzen. Die ersten Reaktionen lassen erwarten, dass einzelne Mitgliedsländer bzw. Ländergruppen mit noch kontroverseren Positionen in die anstehenden Verhandlungen über den MFR gehen als in der Vergangenheit. Von den elf Nettozahlerländern3 haben sich bisher jedenfalls Belgien, die Niederlande, Dänemark, Schweden und Österreich gegen die Erhöhung des MFR-Volumens ausgesprochen.

Orientierung am europäischen Mehrwert

Aus dieser Nettopositions-Sackgasse kann nur eine konsequente Orientierung des nächsten MFR am europäischen Mehrwert herausführen: Danach soll die EU nur solche Aufgaben übernehmen, die sie – auch gemäß dem Prinzip der Subsidiarität – besser bewältigen kann als einzelne Mitgliedstaaten.4 Gegenüber dem Status quo erfordert dies in bestimmten Politikbereichen ein verstärktes, in anderen Bereichen dagegen eher ein geringeres Engagement der EU-Ebene.

Der nun vorliegende Vorschlag der EU-Kommission strebt eine Stärkung des europäischen Mehrwerts der EU-Aktivitäten an5 und geht damit – zumindest gemessen an den teilweise sehr weit auseinanderliegenden Einzelinteressen der Mitgliedstaaten – relativ weit: Der Anteil der Agrarausgaben soll von derzeit 40 %, jener für Kohäsionspolitik von derzeit 34 % auf jeweils etwa 30 % der gesamten EU-Ausgaben zurückgehen. Im Gegenzug soll ein größerer Teil der Ausgaben für Forschung und Innovation sowie für Entwicklungszusammenarbeit und eine gemeinsame Asylpolitik reserviert werden. Auch ist eine Erhöhung des Gesamtvolumens des EU-Budgets von derzeit 1,03 % auf 1,11 % des EU-Bruttonationaleinkommens (EU-BNE) vorgesehen.

Zur Bewältigung der bestehenden europäischen Herausforderungen – Flüchtlingsbewegungen und Migration, Klimawandel, anhaltende regionale Ungleichheiten, digitaler Wandel – ist die vorgeschlagene, insgesamt begrenzte Verschiebung in der Ausgabenstruktur allerdings unzureichend. Für ein zukunftsfähiges EU-Budget wären die Agrarausgaben deutlicher als vorgesehen zu verringern, hin zu einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung zu verschieben und zu deckeln, um gezielt kleinbetriebliche Strukturen zu fördern. Die Kohäsionsmittel sollten sich stärker auf die „ärmeren“ Mitgliedsländer konzentrieren. Dies würde Spielraum für eine stärkere Erhöhung des Ausgabenanteils für Forschung, eine klimafreundliche grenzüberschreitende Verkehrsinfrastruktur, für proaktive Asyl- und Integrationsmaßnahmen und Entwicklungszusammenarbeit schaffen. Eine noch konsequentere Orientierung der Ausgaben der EU am europäischen Mehrwert würde zudem die Akzeptanz auch der Nettozahlerländer für die von der EU-Kommission angestrebte Ausweitung des Budgetvolumens erhöhen.

Grundlegende Reform der Einnahmen nötig

Ein Katalysator für eine solche fundamentale Umstrukturierung der EU-Ausgaben könnte eine grundlegende Reform der Einnahmen sein, die steuerbasierte Eigenmittelquellen als eine zentrale Säule des Eigenmittelsystems etabliert. Der Vorschlag der EU-Kommission, der von den Empfehlungen der Hochrangigen Expertenkommission zur Zukunft der Finanzierung des EU-Budgets6 unter dem Vorsitz von Mario Monti ausgeht, beinhaltet in der Tat eine Reihe sinnvoller und längst überfälliger Ansatzpunkte zum Einstieg in ein modernisiertes Eigenmittelsystem.7

  • So wird erstens eine Vereinfachung des Eigenmittelsystems vorgeschlagen. Dazu sollen mit dem Wegfall des Rabatts für Großbritannien auch die diversen Rabatte abgeschafft werden, die derzeit einige Nettozahler erhalten. Außerdem sollen die Berechnungsmethode für die Ermittlung der mehrwertsteuerbasierten Eigenmittel vereinfacht und der Eigenanteil an den traditionellen Eigenmitteln durch die einhebenden EU-Länder von derzeit 20 % auf 10 % verringert werden.
  • Zweitens sehen die Pläne der EU-Kommission eine Diversifizierung der Eigenmittelquellen vor. Danach sollen neue „echte“ Eigenmittelquellen die Finanzierungsquellen der EU ersetzen bzw. ergänzen, die derzeit primär aus nationalen Beiträgen ins EU-Budget (neben den mehrwertsteuerbasierten die BNE-basierten Eigenmittel) bestehen, während traditionelle Eigenmittel (Zuckerabgaben und Zölle) langfristig erheblich an Bedeutung verloren haben (vgl. Abbildung 1).

Konkret sollen 20 % der Einnahmen aus der Versteigerung der Emissionszertifikate sowie die Einnahmen aus einem Anteil von 3 % an einer harmonisierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage und aus einer Steuer von 0,80 Euro auf nicht wieder verwertete Verpackungsabfälle aus Kunststoff künftig in das EU-Budget fließen. Diese neuen Eigenmittelquellen sollen künftig einen Anteil von 12 % der gesamten EU-Einnahmen erbringen. Entsprechend soll der Anteil der nationalen Beiträge (d. h. Mehrwertsteuer- und BNE-basierte Eigenmittel) von aktuell über 80 % auf 71 % zurückgehen.

Abbildung 1
Langfristige Entwicklung der EU-Eigenmittel
Langfristige Entwicklung der EU-Eigenmittel

Quelle: Europäische Kommission; eigene Berechnungen und Darstellung.

Die EU-Kommission reagiert mit diesen Vorschlägen auf seit langem geäußerte vielfältige Kritikpunkte am EU-Eigenmittelsystem,8 insbesondere dessen Komplexität und Intransparenz sowie der fehlende Bezug zu zentralen EU-Strategien und -Initiativen, wie die EU-2020-Strategie, die Ziele der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung, die Pariser Klimaziele, der EU-Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft oder die Bekämpfung von Steuervermeidung durch multinationale Unternehmen. Letzterer soll insbesondere durch die drei neuen Eigenmittelquellen hergestellt werden, die sämtlich in der Tat „geborene“ EU-Eigenmittelquellen darstellen: Die Plastiksteuer wegen der grenzüberschreitenden Natur der mit dem Anfall von Plastikmüll verbundenen Umweltbelastungen und des Verbrauchs fossiler Brennstoffe bei der Plastikproduktion. Die beiden anderen Optionen hängen unmittelbar mit EU-Politiken zur Bewältigung bedeutender europäischer Herausforderungen zusammen.

Der europäische Nutzen des MFR könnte – über die Vorschläge der EU-Kommission hinausgehend – durch die Einführung weiterer steuerbasierter Eigenmittel erhöht werden. Geeignete Kandidaten sind insbesondere solche Steuern, die aufgrund von Ausweichreaktionen auf nationaler Ebene nur schwer durchgesetzt werden können. Auch Lenkungssteuern, die grenzüberschreitende Probleme adressieren, bieten sich an: weil bei unilateraler Erhebung die Gefahr ineffizient geringer Steuersätze besteht, wenn nationale Regierungen grenzüberschreitende Externalitäten (etwa klimaschädliche CO2-Emissionen) bei der Festsetzung der Steuersätze nicht berücksichtigen;9 und weil die Einführung im nationalen Alleingang den Druck auf andere Länder reduziert, die betreffende Lenkungssteuer ebenfalls einzuführen, da sie als Trittbrettfahrer agieren können.10 Für die Zuweisung der Einnahmen aus Steuern auf grenzüberschreitende Sachverhalte an eine supranationale Ebene wie der EU spricht, der Argumentation von Keen et al. folgend, dass sie häufig bestimmten Ländern nicht eindeutig zuzuordnen sind.11

Optionen wären etwa EU-weite Abgaben auf Flugtickets,12 Finanztransaktionen,13 Treibstoff,14 Vermögen15 oder Atomenergie16 oder ein System des Grenzausgleichs für das Europäische Emissionshandelssystem.17 Einnahmen aus diesen alternativen Eigenmittelquellen könnten die nationalen Beiträge der Mitgliedsländer ins EU-Budget weiter reduzieren und ihnen ermöglichen, die generell (zu) hohen Abgaben auf die Arbeit oder andere, weniger nachhaltigkeitsorientierte Steuern zu senken. Um zusätzlichen Einnahmenbedarf – zur Schließung der Brexit-bedingten Finanzierungslücke oder zur Ausweitung des Volumens des MFR – zu decken, stellen sich diese steuerbasierten Eigenmittelquellen als gegenüber der Erhöhung der nationalen Beiträge überlegene Alternative dar. Gleichzeitig würden sie aus einer gesamten EU-Perspektive die Lenkungswirkungen zur Eindämmung insbesondere von grenzüberschreitenden Externalitäten sowie die Fairness der Besteuerung stärken.

Implementierung ohne Steuerhoheit möglich

Die Implementierung steuerbasierter Eigenmittel ist ohne eine echte Steuerhoheit, also ohne volle Gesetzgebungs- und Ertragshoheit für die EU möglich. Innerhalb der geltenden rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen könnten steuerbasierte Eigenmittel im Rahmen eines Transfersystems etabliert werden: Die Mitgliedstaaten heben die Steuereinnahmen ein und transferieren die Einnahmen (teilweise) an die EU. Wird ein „Korb“ von mehreren Steuern, die eine steuerbasierte Eigenmittelquelle speisen können, eingeführt, könnte ein einheitlicher Abrufsatz, als Prozentsatz des nationalen BNE, für eine neue steuerbasierte Eigenmittelquelle fixiert werden, der auf die gesamten Einnahmen der Mitgliedsländer aus diesen Steuern angewendet wird. Die über die solchermaßen ermittelten steuerbasierten Eigenmittelzahlungen der Mitgliedsländer hinausgehenden Einnahmen aus diesen Steuern könnten von diesen ebenfalls an die EU transferiert und auf die nationalen Beiträge aus Mehrwertsteuer- und BNE-basierten Eigenmitteln angerechnet werden, sodass diese sich entsprechend reduzieren. Oder sie werden zur Senkung nationaler Steuern verwendet.

Solch ein pragmatischer Ansatz ließe die nationale Steuersouveränität unangetastet und würde daher vermutlich bei der großen Mehrheit der nationalen Regierungen und Parlamente, die eine Einschränkung ihrer Steuerhoheit eher ablehnen, auf größere Akzeptanz stoßen als die Einführung von „echten“ EU-Steuern. Die genannten nachhaltigkeitsorientierten steuerbasierten Eigenmittelquellen wären zudem vermutlich sozial und politisch akzeptabler als andere, die hauptsächlich der Einnahmenerzielung dienen und – wie etwa die von Gabriele Cipriani vorgeschlagene reformierte mehrwertsteuerbasierte Eigenmittelquelle18 – als verteilungspolitisch problematisch wahrgenommen werden würden. Auch würden die oben genannten steuerbasierten Eigenmittel den Zusammenhang zwischen Einzahlungen in das EU-Budget und daraus erhaltenen Zahlungen lockern und dadurch die Nettopositionsproblematik entschärfen: Weil die Einnahmen den Mitgliedstaaten nur teilweise direkt zuzuordnen sind, und aufgrund ihrer „Additionalität“, da sie im nationalen Alleingang nur schwer oder überhaupt nicht eingeführt werden können.

Einige der genannten Optionen werden auch im Endbericht der „High Level Group on Own Resources“ angesprochen. Diese Gruppe argumentiert grundsätzlich zugunsten eines „Korbes“ von mehreren Steuern als Basis für steuerbasierte Eigenmittel. In solch einer „Korb­lösung“ würden sich länderspezifisch unterschiedliche, effektive Belastungen durch einzelne Steuern in gewissem Ausmaß ausgleichen und sich so die Notwendigkeit von Ausgleichsmaßnahmen verringern. Zudem würde ein breiterer Ansatz für die Einführung steuerbasierter Eigenmittel die Stabilität der Einnahmen erhöhen. Er würde außerdem den Widerstand der (wenigen) Mitgliedsländer, die eine der betreffenden Steuern bereits erheben, gegen die Zuweisung der Einnahmen an die EU-Ebene ebenso wie potenzielle Forderungen nach Kompensation entschärfen.19

Durchsetzbarkeit von Reformen

Polit-ökonomisch begründete Befürchtungen, eine solche Steuerkoordination würde zu einem Steuerkartell zulasten der Steuerzahler führen, erscheinen im Falle der genannten Steueroptionen kaum begründet: Angesichts der evidenten Unterbesteuerung der vorgeschlagenen Steuerbasen, etwa des Finanzsektors,20 der Gewinne multinationaler Unternehmen21 oder des internationalen Flug- und Schiffsverkehrs,22 kann angenommen werden, dass eine Steuerkoordinierung größere wohlfahrtssteigende Effekte hat als ein unkoordinierter Steuerwettbewerb. Unverzichtbar ist allerdings eine gleichzeitige tiefgreifende Veränderung der Ausgabenstruktur in Richtung europäischer öffentlicher Güter mit europäischem Mehrwert. Andernfalls besteht die Gefahr, dass steuerbasierte Eigenmittel die bestehende EU-Skepsis weiter verstärken.

Solche über die vorliegenden Vorschläge der EU-Kommission hinausgehenden fundamentalen Reformen auf der Ausgaben- und Einnahmenseite des EU-Budgets könnten dazu beitragen, dass das geringe Budget der EU deutlich höhere Wirkungen generiert als bisher. Denn auch wenn die Intensität der EU-weiten Debatte etwas anderes suggeriert: Mit etwa 1 % der Wirtschaftsleistung der gesamten EU ist der Umfang des EU-Budgets sehr begrenzt, auch und gerade im Verhältnis zu den Staatsausgaben der Mitgliedsländer, die im EU28-Durchschnitt bei 46 % der Wirtschaftsleistung (2017) liegen. Nicht zuletzt muss in der öffentlichen wie auch in der politischen Debatte das Bewusstsein für den breiteren Nutzen einer EU-Mitgliedschaft für alle Mitgliedsländer – über die Differenz aus Einzahlungen in das und Rückflüsse aus dem EU-Budget hinaus – gestärkt werden.

* Die Forschungsarbeiten, die zu diesen Ergebnissen geführt haben, wurden gemäß der Finanzhilfevereinbarung Nr. 649339 (FairTax) im Zuge des Achten Rahmenprogramms der Europäischen Union H2020/2014-2020 gefördert.

  • 1 European Commission: A Modern Budget for a Union that Protects, Empowers ad Defends, Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions, COM(2018) 321 final, Brüssel 2018; European Commission: Proposal for a Council Regulation Laying Down the Multiannual Financial Framework for the Years 2021 to 2027, COM(2018) 322 final, Brüssel 2018; European Commission: Proposal for a Interinstitutional Agreement between the European Parliament, the Council and the Commission on Budgetary Discipline, on Cooperation in Budgetary Matters and on Sound Financial Management, COM(2018) 323 final, Brüssel 2018; European Commission: Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on the Protection of the Union’s Budget in Case of Generalised Deficiencies as Regards the Rule of Law in the Member States, COM(2018) 324 final, Brüssel 2018; European Commission: Proposal for a Council Decision on the System of Own Resources of the European Union, COM(2018) 325 final, Brüssel 2018; European Commission: Financing the EU Budget: Report on the Operation of the Own Resources System, SWD(2018) 172 final, Brüssel 2018.
  • 2 Vgl. dazu z. B. G. Felbermayr, J. Gröschl, I. Heiland: Undoing Europe in a New Quantitative Trade Model, ifo Working Paper, Nr. 250/2018.
  • 3 Im Durchschnitt des Zeitraums 2014 bis 2016 waren Deutschland, die Niederlande, Schweden, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Österreich, Finnland, Dänemark, Italien und Luxemburg Nettozahlerländer.
  • 4 Bertelsmann-Stiftung: How Europe can Deliver, Gütersloh 2017.
  • 5 European Commission: A Modern Budget ..., a. a. O.
  • 6 High Level Group on Own Resources: Future Financing of the EU, Brüssel 2016.
  • 7 European Commission: A Modern Budget ..., a. a. O.
  • 8 Vgl. dazu im Überblick High Level Group on Own Resources, a. a. O.; M. Schratzenstaller, A. Krenek, D. Nerudová, M. Dobranschi: EU Taxes for the EU Budget in the Light of Sustainability Orientation – A Survey, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 237. Jg. (2017), H. 3, S. 163-189.
  • 9 B. Jones, M. Keen, J. Strand: Fiscal Implications of Climate Change, World Bank Policy Research Working Paper, Nr. WPS5956, 2012.
  • 10 H. Auerswald, K. Konrad, M. Thum: Adaptation, Mitigation and Risk-Taking in Climate Policy, CESifo Working Paper, Nr. 3320, 2011.
  • 11 M. Keen, I. Parry, J. Strand: Market-based Instruments for International Aviation and Shipping as a Source of Climate Finance, World Bank Policy Research Working Paper, Nr. WPS5950, 2012.
  • 12 A. Krenek, M. Schratzenstaller: Sustainability-oriented Tax-based Own Resources for the European Union: A European Carbon-based Flight Ticket Tax, in: Empirica, 44. Jg. (2017), H. 4, S. 665-686.
  • 13 D. Nerudová, M. Schratzenstaller, V. Solilová: The Financial Transactions Tax as Tax-based Own Resource for the EU Budget, FairTax Policy Brief, Nr. 2, 2017.
  • 14 D. Nerudová, M. Dobranschi, V. Solilova, M. Schratzenstaller: Fuel Taxation as Future EU Own Resource, FairTax Working Paper; im Erscheinen; 2018.
  • 15 A. Krenek, M. Schratzenstaller: A European Net Wealth Tax, WIFO Working Papers, (561) 2018; http://www.wifo.ac.at/publikationen?detail-view=yes&publikation_id=61040 (8.6.2018).
  • 16 F. Dellinger, M. Schratzenstaller: Sustainability-oriented Future EU Funding: A European Nuclear Power Tax, FairTax Working Paper, Nr. 9, 2017.
  • 17 A. Krenek, M. Sommer, M. Schratzenstaller: Sustainability-oriented Future EU Funding: A European Border Carbon Adjustment, FairTax Working Paper, Nr. 15, 2018.
  • 18 G. Cipriani: Financing the EU Budget. Moving Forward or Backwards?, London 2014.
  • 19 High Level Group on Own Resources, a. a. O.
  • 20 G. Cannas, J. Cariboni, M. Marchesi, G. Nicodème, M. Petracco Giudici, S. Zedda: Financial Activities Taxes, Bank Levies and Systemic Risk, European Commission Taxation Paper, Nr. 43, 2014.
  • 21 European Commission: Corporate Income Taxation in the European Union. Accompanying the Document Communication from the Commission to the European Parliament and the Council on a Fair and Efficient Corporate Tax System in the European Union: 5 Key Areas for Action, Commission Staff Working Document SWD (2015), 121 final, Brüssel, 17.6.2015.
  • 22 M. Keen, I. Parry, J. Strand: Planes, Ships and Taxes: Charging for International Aviation and Maritime Emissions, in: Economic Policy, 28. Jg. (2013), H. 76, S. 701-749.

EU-Fiskalpolitik: zwischen Konditionalität und Freibrief

Die europäische Integration steht in einem erzwungenen Umbruch. Bemerkenswert an diesem Prozess ist, dass die Zwänge aus unterschiedlichen Richtungen entstehen und zugleich in unterschiedliche Richtungen drängen. Es ist daher aktuell nicht abzusehen, welche politische und ökonomische Gestalt das künftige Europa annehmen wird. Zu unübersichtlich und krisenhaft ist die derzeitige Gemengelage. Der Impuls zur Veränderung entstammt sowohl ökonomischen als auch politischen Überlegungen.1 Die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, den Euroraum neu zu gestalten, sind in der Finanzmarktkrise und der nachfolgenden Krise des Euroraums überaus deutlich geworden. Wie in anderen Volkswirtschaften auch zeigte sich, dass die Finanzmärkte merklich strenger reguliert werden müssen, wenn die aus ihnen entstehenden Risiken für die Gesamtwirtschaft beherrschbar bleiben sollen. Das gilt für jede einzelne Volkswirtschaft in Europa, es gilt aber auch für die EU als Ganzes.

Die Krise des Euroraums ab 2009 enthüllte darüber hinaus fundamentale Schwachstellen im wirtschaftlichen Gefüge des Euroraums. Im Kern geht es um dessen realwirtschaftliche Stabilität. Das Auseinanderdriften der Inflationsraten und der daraus resultierende Aufbau von außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten haben den Euroraum in eine tiefe institutionelle Krise geführt, die trotz aktuell verbesserter Wachstumszahlen, wie zuletzt die Entwicklung in Italien zeigt, bis heute nicht überwunden ist. Nach wie vor gibt es keinerlei Mechanismen, die ein erneutes Auseinanderdriften verhindern könnten. Allein die Geldpolitik hat ihr Kriseninstrumentarium z. B. in Gestalt der immer noch praktizierten quantitativen Lockerung im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts geschärft. Darüber hinaus besteht zwischen den Mitgliedstaaten und auch innerhalb der Mitgliedstaaten nicht einmal Einigkeit darüber, in welche Richtung diese inhärente Instabilität überwunden werden sollte.

Auf der einen Seite stehen jene, die eine bessere Koordination über eine vertiefte europäische Zusammenarbeit erreichen wollen. Auf der anderen Seite wird eine verstärkte nationale Haftung inklusive der Möglichkeit eines Rückbaus europäischer Zusammenarbeit bis hin zur Aufgabe der gemeinsamen Währung gefordert. Der aufkeimende Rechtspopulismus in vielen Ländern der EU ist die markante politische Bewegung, die in diese Richtung drängt. Diese fundamentale Debatte über die Zukunft der EU prägt zwangsläufig die Positionen zur zukünftigen Finanzplanung der EU. Wer eine vertiefte Zusammenarbeit will, muss auch die institutionellen Voraussetzungen hierfür schaffen. In der Tendenz läuft dies auf eine Ausweitung der institutionellen Kompetenzen der EU-Kommission und des Europäischen Parlaments hinaus. Darüber hinaus geht es um die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds (EWF). Will man dies alles nicht, wird man bestrebt sein, den Spielraum der europäischen Institutionen entsprechend einzuengen und die der nationalen Institutionen zu erweitern.

Vertiefung oder Rückbau?

Im Folgenden soll diese Frage unter dem Aspekt einer möglichst hohen wirtschaftlichen Stabilität und Dynamik des Euroraums betrachtet werden. Ein solches Vorgehen setzt implizit voraus, dass es für die Stabilität der EU vorteilhaft ist, den Euro als gemeinsame Währung zahlreicher Mitgliedstaaten zu erhalten. Die wirtschaftliche Stabilität des Euroraums und in Ansätzen auch der übrigen EU-Staaten, in denen ja noch eine eigenständige Geldpolitik möglich ist, kann dabei als öffentliches Gut für die Mitgliedstaaten gelten. In Abwesenheit von Wechselkursen, einer nationalen Geldpolitik, bei freiem Güter- und Kapitalverkehr sowie unbeschränkter Migration stehen die Volkswirtschaften des Euroraums mit ihren wirtschaftlichen Gegebenheiten in einer engen Wechselwirkung. Die wirtschaftliche Interaktion zwischen den Mitgliedstaaten ist sehr hoch. Eine nationale Abkopplung von Boom- und Rezessionsphasen ist insbesondere in den kleineren Mitgliedstaaten kaum möglich.

Unter diesen Voraussetzungen bedarf es einer europäischen Instanz, die die gewünschte Stabilität zu erzeugen vermag. Derzeit gibt es nur die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer geldpolitischen Verantwortung als gesamteuropäischen Stabilitätsanker. Auf ihr lastete denn auch im Wesentlichen die Aufgabe, den Euroraum während dessen Krise zu stabilisieren. Die Fiskalpolitik, die lediglich unter europäischen Auflagen für die Schuldenlast weiterhin in nationaler Verantwortung steht, hat in dieser Zeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Dies ist eine der wesentlichen Lücken im europäischen Wirtschaftssystem. Denn indem Fiskalpolitik in nationaler Verantwortung ausgeübt und zudem durch die europäischen Regeln eingeengt wird, kann sie unter den derzeitigen Umständen keinen nennenswerten Beitrag zur Stabilisierung leisten. Ebenso wenig gibt es derzeit Möglichkeiten, Investitionen aus europäischer Perspektive voranzutreiben. Sie könnten einen wertvollen Beitrag leisten, das Angebot an europäischen öffentlichen Gütern zu steigern bzw. zu verbessern.

Die nationalen Fiskalpolitiken werden derzeit zudem nicht koordiniert. Es ist damit a priori völlig offen, ob zu einem gegebenen Zeitpunkt die Summe der nationalen Fiskalpolitiken ein aus europäischer Sicht optimales Ergebnis liefert. Die Abstimmung erfordert Zeit, und es ist alles andere als selbstverständlich, ob alle Mitgliedstaaten die Lage gleich beurteilen und den gleichen wirtschaftspolitischen Sichtweisen folgen, zumal sie ihre nationalen politischen Diskurse bestehen müssen. In diesem Umfeld ist eher eine aus europäischer Sicht inkohärente Politik zu erwarten als das Gegenteil. Der intergouvernementale Ansatz ist zur europäischen Stabilisierung und Dynamisierung eben nur bedingt geeignet. Diese Konstellation hat einerseits dazu beigetragen, dass die Geldpolitik in der Eurokrise bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gehen musste und andererseits fiskalpolitische Stabilisierungspotenziale ungenutzt blieben.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Aufbau einer europäischen Fiskalkapazität, wie sie der französische Präsident und auch die Kommission vorgeschlagen haben, durchaus sinnvoll. Es wäre eine Überwindung des im Zweifel ineffizienten intergouvernementalen Ansatzes durch ein genuin europäisches Vorgehen. Die Fiskalkapazität könnte die Geldpolitik entlasten und eine Stabilisierung aus europäischer Sicht bewirken. Ein solches Vorgehen wirft aber wichtige Fragen auf. Wie soll unter diesen Gegebenheiten die fiskalische Governance-Struktur der EU bzw. des Euroraums in Zukunft aussehen? Und wie sollen einerseits die Risikoteilung zwischen allen Mitgliedstaaten und die Vermeidung von damit verbundenem Anreiz zu Moral Hazard in den einzelnen Mitgliedstaaten in Einklang gebracht werden?

Eine neue wirtschaftliche Governance-Struktur

Mit der Einführung einer europäischen Fiskalkapazität wird eine neue stabilitätspolitische Handlungsebene etabliert. Neben einer europäischen Geldpolitik gäbe es dann auch eine europäische Finanzpolitik.2 Sie sollte vor allem auf Investitionen und die Bereitstellung öffentlicher europäischer Güter gerichtet sein.3 Damit diese aber auch wirklich aus einer europäischen Perspektive gestaltet wird, sollte ihre demokratische Kontrolle im Europaparlament angesiedelt sein. Denn hier ist am ehesten wahrscheinlich, dass jenseits nationaler Diskurse mit Blick auf die europäische Lage entschieden wird. Eine Anbindung an die intergouvernementale Struktur würde hingegen die Gefahr hervorrufen, dass die nationalen Perspektiven weiterhin dominieren und somit keine genuin europäische Perspektive in der Finanzpolitik zum Durchbruch kommt. Daher ist eine Anbindung an eine europäische Institution essenziell.

Diese Anbindung wirft sofort die Frage nach dem Verhältnis von nationalen Finanzpolitiken zur europäischen Finanzpolitik auf. Dies kann aus Gründen der jeweiligen nationalen Souveränität auf keinen Fall hierarchisch gestaltet sein. Es sollte vielmehr eine Parallelität zwischen beiden Ebenen geben. Dies ist mit einer Aufgabenteilung verbunden. Die nationale Finanzpolitik hätte demnach weiterhin einen nationalen stabilitätspolitischen Auftrag. Sie ist das geeignete Instrument, um asymmetrischen Schocks zu begegnen. Dagegen sollte die europäische Finanzpolitik ausschließlich die Lage in der gesamten EU bzw. des Euroraums vor Augen haben.

Eine solche Konstruktion entspricht zudem dem Prinzip der Subsidiarität. Würde nämlich die Summe der nationalen Politiken so wirken, dass im Euroraum zumindest absehbar keine negativen Folgen auftreten, bedarf es keiner zusätzlicher europäischer fiskalpolitischer Maßnahmen. Sie sind nur erforderlich, wenn die Summe der nationalen Politiken nicht mit europäischer Stabilität kompatibel ist. Dann aber würde die europäische Fiskalkapazität von hohem Nutzen sein.

Aufbau eines Feuerwehrfonds

Die Vergangenheit hat in markanter Weise gezeigt, dass Unvereinbarkeiten zwischen den einzelnen Volkswirtschaften in der europäischen Wirtschaftspolitik durchaus Stabilitätskrisen hervorrufen können. Dies gilt primär für den Euroraum, in dem die abfedernde Wirkung von Wechselkursen fehlt. Das zeigte sich vor einem Jahrzehnt in geradezu dramatischer Weise an den persistenten Inflationsdifferenzen zwischen einzelnen Volkswirtschaften, die das gemeinsame Inflationsziel der EZB nicht beachteten. Die Unterschreitung des Ziels in Deutschland in Kombination mit dessen Überschreitung in Ländern wie Griechenland, die später als die Krisenländer firmierten, erzeugte destabilisierende „außenwirtschaftliche“ Ungleichgewichte innerhalb des Euroraums.

Auf der Ebene des gesamten Euroraums schien kein Problem zu bestehen, da das Inflationsziel insgesamt eingehalten wurde. Insofern konnte weder die EZB noch die Kommission einen Beitrag zur Lösung des zunächst nur schwelenden, 2009 dann aber offen ausbrechenden Stabilitätsproblems leisten. Es zeigte sich, dass es anfänglich keine zuständige Institution zur Bekämpfung dieser Art von Stabilitätskrise gab. Erst im Laufe der Krise wurden mit dem erweiterten geldpolitischen Instrumentarium der EZB und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Instrumente entwickelt, um gegen den drohenden Zerfall des Euroraums anzugehen.

Will man nunmehr diese internen Ungleichgewichte vermeiden und im Bedarfsfall wirksam bekämpfen können, bedarf es einer Institution, der diese Aufgabe fest zugeschrieben wird. Es ist naheliegend, dass der ESM diese Rolle auf Dauer übernehmen soll. So wird es sowohl vom französischen Präsidenten, von zahlreichen Ökonomen als auch mittlerweile von der Bundeskanzlerin vorgeschlagen. Insofern ist es naheliegend, den ESM zu einer Art Europäischen Währungsfonds (EWF) auszubauen. Obwohl es hier nur um eine Währung geht, kann es in Abwesenheit von Wechselkursen und einem fehlenden gesamtwirtschaftlichen Ausgleichsmechanismus zu innereuropäischen Leistungsbilanzkrisen kommen, wie die jüngste Vergangenheit gezeigt hat. Diese im Notfall durch Vergabe von Krediten an Defizitländer zu beheben, wäre Aufgabe des EWF. Damit würde ein „Backstop“ errichtet, der in unruhigen Krisenzeiten das Aufkeimen von Panik verhindern kann. Dies ist essenziell für die Stabilität des Euroraums.

Auch wenn die Einrichtung eines EWF zumindest zwischen Frankreich und Deutschland grundsätzlich kaum noch umstritten ist, sind es zwei damit verbundene Entscheidungen sehr wohl. Es geht um die Fragen, nach welchem Recht der EWF eingerichtet wird und mit welcher Konditionalität die Kredite vergeben werden. Die erste Frage wäre rein ökonomisch folgendermaßen zu beantworten: nach europäischem Recht unter Kontrolle des Europäischen Parlaments, da es um eine Aufgabe aus rein europäischer Perspektive geht. Allerdings gibt es gerade aus Deutschland massiven politischen Widerstand gegen eine solche Regelung, da der Bundestag weiterhin über Rettungspakete mitentscheiden möchte. Insofern deutet sich eine intergouvernementale Lösung an, die wegen der Komplexität der Entscheidungsprozesse eher suboptimal ist. Trotzdem bleibt die Einrichtung eines EWF ein lohnendes Vorhaben.

Ein wesentlich schwierigeres Thema ist die Konditionalität. Hier gibt es einen unauflöslichen Konflikt mit der Funktion des EWF als Backstop, der nur dann wirklich glaubwürdig ist, wenn es keine Konditionalität gibt.4 Andererseits ruft eine unbedingte Unterstützung die Gefahr hervor, dass in den Einzelstaaten die Ursache der Ungleichgewichte letztlich nicht ernsthaft bekämpft wird. Hinzu kommt, dass gerade in Krisenzeiten das Erpressungspotenzial eines Krisenlandes für den Rest der Währungsunion sehr hoch ist. Die Stabilität des gesamten Währungsraumes ist ein öffentliches Gut, das schon von der Destabilisierung auch nur eines Mitgliedslandes in Gefahr gebracht werden kann. Die Ablehnung einer Unterstützung wegen einer als zu hart empfundenen Konditionalität würde daher letztlich alle Länder in Schwierigkeiten bringen. Diese Konstellation hat schon im Falle Griechenlands zu schweren Turbulenzen und Auseinandersetzungen geführt.

Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass ja nicht zwangsläufig nur die Hilfe benötigenden Defizitländer für das Entstehen der Leistungsbilanzkrise verantwortlich sind, sondern je nach Verhalten auch die Überschussländer, die ein Ungleichgewicht z. B. durch Lohnzurückhaltung provoziert haben können. Sie aber würden durch die Konditionalität eines EWF überhaupt nicht adressiert und haben daher keinen Anreiz, ihr Verhalten zu ändern. Das Beispiel Deutschland mit seinen verfestigten Leistungsbilanzüberschüssen zeigt dies in markanter Weise. Mit anderen Worten: Die bisher praktizierte Konditionalität funktioniert weder ökonomisch noch politisch.

In Anbetracht dieses grundsätzlichen Widerspruchs zwischen Backstop und Konditionalität, steht man letztlich vor der radikalen Entscheidung, ob man einen Backstop ohne damit verknüpfte Bedingungen will oder vollständig auf einen Backstop verzichtet. Die richtige Antwort auf diese Frage hängt weitgehend von der zugrundeliegenden Annahme über die Stabilität des Marktsystems ab. Hält man es für grundsätzlich stabil, bedarf es keines Backstops. Jede Krise überwindet sich in dieser Logik von alleine. Backstops verhindern dann sogar marktwirtschaftlich notwendige Anpassungsprozesse. Krisen dienen in dieser Sichtweise lediglich der Bereinigung von einem nicht mehr produktiven Angebot. Backstops führen dagegen zu Moral Hazard, dem Ausnutzen eigener Interessen zulasten der Gesamtheit, und damit zu insgesamt schlechteren Ergebnissen.

Geht man jedoch von inhärent instabilen Märkten aus, die immer wieder Krisen mit hohen Kosten in Gestalt von vernichteten Produktionskapazitäten und hoher Arbeitslosigkeit erzeugen, ist ein unkonditionierter Backstop unerlässlich. Diese Sichtweise wird nach den Erfahrungen in der Finanzmarktkrise inzwischen von den meisten Ökonomen und Politikern geteilt. Wenn man aber diese Position einnimmt, muss man auch der Einrichtung eines Backstops ohne damit verknüpften Bedingungen zustimmen. Für den EWF bedeutet dies, dass er seine Kredite in einer Krisensituation ohne weitere Bedingungen – außer der einer Krise – vergeben sollte. Die Mitgliedstaaten hätten dann nur noch zu entscheiden, ob eine Krisensituation vorliegt oder nicht.

Eine prozessgebundene Konditionalität

Der Vorschlag sollte nicht als ein Freibrief zum Bezug von Krediten missverstanden werden. Es gilt aber, die Anwendung von Bedingungen aus dem Krisenzeitpunkt heraus zu verlagern. In der Krise kann glaubwürdige Hilfe nicht unter Vorbehalten stehen. Dies schließt nicht aus, dass es im Vorfeld, also auf dem Weg in die Krise bis der EWF eingreift, Hürden für dessen Inanspruchnahme aufgestellt werden, die den Anreiz, diesen Weg zu beschreiten, in Grenzen halten. So ist dies im Rahmen der Regelungen zu einer Bankenunion z. B. durch die Bail-in-Erfordernisse geplant. Nur die Einhaltung solcher Schrittfolgen qualifiziert in der Krise für die Inanspruchnahme des bedingungslosen Backstops.

Bedingungen sollten auch für den Zeitraum nach der Krise gestellt werden. So sollte vereinbart sein, dass nach Inanspruchnahme die Kredite vollständig zurückzuzahlen sind. Eine unkonditionierte Kreditvergabe schließt die Möglichkeit eines Schuldenschnitts aus. In dieser Phase nach der Krise sind sogar weitere Konditionen möglich. So könnten – wie dies auch schon vielfach praktiziert wird – die Rückzahlungskonditionen verschärft werden, wenn sich die wirtschaftliche Lage im Kredit nehmenden Land besonders günstig entwickelt. Die stabilisierenden Institutionen kassieren somit gleichsam eine Erfolgsprämie. Das dürfte deren Anreiz erfolgreich zu stabilisieren stützen.

Ein solches Vorgehen erlaubt zudem, die Überschussländer adäquat in die Krisenbewältigung einzubeziehen. Dies könnte geschehen, indem sie einen überproportionalen Beitrag zur Finanzierung der Kredite an die Krisenländer leisten müssten. Angesichts der derzeitigen wirtschaftspolitischen Ausrichtung der Bundesregierung ist die Zustimmung Deutschlands zu einer solchen Regelung eher unwahrscheinlich. Gleichwohl wäre sie sinnvoll.

Ein stabiler und dynamischer Euroraum ist möglich

Alles in allem gibt es also durchaus die Möglichkeit, den Euroraum mit glaubwürdigen Institutionen auszustatten, die sowohl in Krisenzeiten schlagkräftig und schnell agieren als auch in guten Zeiten die Wirtschaft voran treiben können. Die in der Vergangenheit praktizierte schlichte Austeritätspolitik ist gescheitert. Sie muss durch eine Investitionsstrategie auch auf europäischer Ebene ersetzt werden. Die endlosen Debatten um Moral Hazard und angemessene Konditionen können überwunden werden. Voraussetzung ist allerdings, dass sie in den richtigen Kontext gestellt werden. Sie gehören nicht in die Krisenphase, sondern in deren Vorfeld und nach deren Ausklang. In diesen Zeiten müssen die Anreize so gesetzt werden, dass ein leichtfertiger Umgang mit Krisenmechanismen vermieden wird. Beide Strategien ergänzen und verstärken sich zudem. Eine europäische Investitionsinstanz, möglicherweise ergänzt um andere Koordinierungsmöglichkeiten, kann durch frühzeitiges Gegensteuern ebenso Krisen verhindern wie ein glaubwürdiger Backstop, der das Aufkeimen von Panik verhindert und die Bereitschaft privater Akteure zu investieren stärkt.

Title:EU’s Future Financial Planning – New Priorities, Higher Efficiency?

Abstract:On May 2, 2018, the European Commission proposed a limited and realistic increase for the EU’s next multi-annual financial framework 2021-2027. The draft implies a roughly constant common budget for the EU with a focus on European stabilisation policy and the provision of centralised public goods provision rather than agriculture and cohesion. This shift mirrors the priorities spelled out by Emanuel Macron. However, the Commission combined this pragmatism with its interest in improving budgetary flexibility and autonomy. There is no doubt that the EU27 faces difficult negotiations. EU Member States’ initial reactions to the European Commision’s recent proposals were dominated by juste retour considerations reminiscent of past negotiations. Strengthening EU expenditure through European added value and fundamentally reforming their own resource system, including the introduction of tax-based own resources, will end the deadlock surrounding net position thinking. A more fundamental view on the fiscal policy of the European Union is given in the last paper, which states that the EU requires a complete overhaul of the economic governance structure. It offers a tentative approach that avoids moral hazard problems as well as fallacies about conditional backstops during times of crisis.

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DOI: 10.1007/s10273-018-2306-7