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Anfang Juni 2018 hat die Bundesregierung eine Rentenkommission eingesetzt – mit dem Auftrag, einen „neuen, verlässlichen Generationenvertrag“ zu schaffen. Das von Kritikern als überholt angesehene Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung belastet die jüngere Generation weniger als das „reformierte“ Riester-Rentensystem. Wenn man zudem eine – wenn auch nur kleine – Steigerung der Arbeitsproduktivität annimmt, wird die arbeitende Generation in 20 Jahren auch bei einer deutlichen Steigerung des Beitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung ein höheres verfügbares Einkommen erzielen. Eine Rückkehr zum Stand vor der Riester-Reform bietet sich als Problemlösung an.

Bundesarbeitsminister Heil hat die im Koalitionsvertrag vorgesehene Rentenkommission eingesetzt, die am 6. Juni 2018 ihre Arbeit aufnahm. Sie soll gemäß der Aussage des Bundesarbeitsministeriums ein Fundament für „einen neuen, verlässlichen Generationenvertrag“ legen und die Rente für den Zeitraum nach 2025 zukunftssicher machen. Die Mitglieder der Kommission, Vertreter der Arbeitgeber und der Gewerkschaften, Bundestagsabgeordnete und ökonomische Wissenschaftler, vertreten ganz unterschiedliche Interessen, die entweder die auskömmliche und menschenwürdige Alterssicherung der Rentner durch ein gesetzliches Rentensystem anstreben oder Arbeitgeber vor Kostenbelastungen schützen bzw. Versicherungen Geschäftsmöglichkeiten eröffnen wollen.

Rentenniveausenkung notwendig?

Die Einsetzung der Rentenkommission gab den Medien Anlass, die Rentendiskussion wieder aufleben zu lassen. Die Kritik am Umlageverfahren der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), die Anfang des Jahrtausends zur sogenannten Riester-Reform führte; einer Reform, die das Niveau der GRV absenkte und durch eine private Versicherung ausgleichen wollte, diese Kritik wird von vielen Medien ausführlich wiederholt.1 Das Umlageverfahren wird vor allem aufgrund der demografischen Entwicklung kritisiert, für die der Generationenvertrag offenbar als ungeeignet angesehen wird. Im Umlageverfahren finanziert die jeweils berufsaktive Generation die Renten der nicht mehr Aktiven. Bei der Einführung dieses Verfahrens 1957 sei die Geburtenrate höher und die Lebenserwartung geringer gewesen, hätten weniger junge Menschen studiert. Die Quote der Rentner, die sogenannte Altenquote, habe deutlich unter dem Wert gelegen, der in Zukunft zu erwarten sei. Das bedeute, dass viele Menschen der geburtenstarken Jahrgänge in den kommenden Jahren in Rente gehen würden, während die nachfolgende Generation aus besonders geburtenschwachen Jahrgängen bestehe, sodass eine geringere Zahl Berufsaktiver eine steigende Zahl von Rentnern unterhalten müsse. Das Ergebnis werde sein, dass „in den nächsten vierzig Jahren ... das Verhältnis von alten zu jungen Menschen in Deutschland kippen“ werde. „Das Umlageverfahren kann bei dieser Entwicklung auf Dauer nicht mehr funktionieren“2.

Private ist teurer als gesetzliche Altersvorsorge

Die von den Kritikern als Lösung vorgeschlagene private Alterssicherung weist aber bereits – vorsichtig formuliert – eine erste Ungereimtheit ihrer Behauptungen auf. Denn der Sparbeitrag für eine private Altersvorsorge vermindert ebenfalls – genau wie der Beitrag zur GRV – das für den Lebensunterhalt verfügbare Einkommen. Es wird nur eine Belastungsform durch eine andere ersetzt. Darüber hinaus wird die Belastung sogar wesentlich höher ausfallen:

  • Erstens entfällt der Arbeitgeberanteil. Ihn muss der Arbeitnehmer faktisch mittragen. Im Falle der Riesterrente, die ein Beitragsmaximum von 22 % vorsieht, beläuft sich der Arbeitnehmeranteil dann auf 11 % plus – wenn diese Vorsorge wahrgenommen wird – 4 % für eine kapitalmarktabhängige Versicherung.
  • Hinzu kommen zweitens, wie die Erfahrungen mit der Riesterrente zeigen, die im Vergleich zur GRV höheren Kosten der gewinngetriebenen Versicherungswirtschaft und der Banken. Diese Kosten werden von der staatlichen Subventionierung offenbar nicht gedeckt. Winfried Schmähl, vormaliger Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung, stellte fest: „In dem nun propagierten ‚Mehrsäulensystem‘ wird es für die Bürger teurer, ein dem Leistungsniveau der GRV vergleichbares Niveau zu finanzieren – vor allem auch für junge Menschen, obgleich angeblich in deren Interesse die Umstrukturierung dringend notwendig war.“3

Dynamische Wirtschaftsentwicklung vernachlässigt

Die Frage, ob ein sinkendes Niveau der GRV-Beiträge wirklich im Interesse der jungen Generation ist, weil sie andernfalls übermäßig belastet würde, muss aber auch noch aus weiteren Gründen geprüft werden. Denn die Fokussierung der Diskussion auf die demografische Entwicklung und die totale Vernachlässigung eines wichtigen Phänomens der Entwicklung dynamischer Volkswirtschaften, die sich in der trendmäßigen Steigerung der Produktivität und damit der sich daraus ergebenden Realeinkommenssteigerung ausdrückt, ist einseitig und realitätsfremd.

Eine annähernde Verdopplung des Altenquotienten gab es in der Zeit von 1957 bis 2008 schon einmal, ohne dass die Funktionsfähigkeit des Umlagesystems infrage gestellt wurde.4 Die steigende Beitragslast der aktiven Generation wurde durch das steigende Realeinkommen überkompensiert: Trotz der höheren Belastung durch höhere Rentenversicherungsbeiträge stieg das nach Abzug dieser Beiträge verfügbare Realeinkommen an. Im Prinzip, wenn vielleicht auch nicht in gleichem Umfang, ist eine Kompensation oder Überkompensation der steigenden Beitragsbelastung auch in der Zukunft zu erwarten. An einem ganz einfachen Zahlenbeispiel auf der Grundlage vorsichtiger Annahmen über die künftige Realeinkommensentwicklung lässt sich das zeigen (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Belastungsssteigerung durch Beiträge zur GRV und Zuwachs des Realeinkommens bis 2040
  2018 2040
Realeinkommen pro Monat in Euro 2000 2489
Rentenversicherungsbeitrag, Arbeitnehmeranteil in % 9,3 12,0 14,0
Rentenversicherungsbeitrag, Arbeitnehmeranteil in Euro 186 298 348
Verbleibendes Realeinkommen in Euro 1814 2191 2141
Zuwachs des verbleibenden Realeinkommens in Euro   377 327
Zuwachs des verbleibenden Realeinkommens in %   20,78 18,03

Quelle: eigene Berechnungen.

Unterstellt man für 2018 ein (relativ geringes) Monatseinkommen von 2000 Euro und nimmt einen mäßigen durchschnittlichen Produktivitätsanstieg an, der zu einer durchschnittlichen jährlichen Realeinkommenssteigerung von 1 % führt, dann steigt das Realeinkommen bis 2040 auf 2489 Euro. Für höhere Einkommen ergäben sich entsprechend höhere Werte. Der Rentenversicherungsbeitrag für das Einkommen von 2000 Euro beläuft sich 2018 auf 18,6 %, von denen die Arbeitnehmer 9,3 % oder 186 Euro tragen müssen. Nimmt man einen Anstieg des Beitragssatzes um fast 30 % auf 24 % (Versichertenanteil 12 %) bis 2040 an, so steigt der Arbeitnehmerbeitrag auf 298 Euro. Während das Einkommen in diesem Zeitraum um 489 Euro gestiegen ist, erhöhte sich die Beitragsbelastung um „nur“ 112 Euro. Das nach Abzug des Beitrags verbleibende Realeinkommen beläuft sich 2018 auf 1814 Euro, 2040 auf 2191 Euro. Es ergibt sich trotz deutlich höherer Beitragsbelastung ein Anstieg des nach Abzug dieses Beitrags verfügbaren Einkommens um über 20 %. Selbst ein Anstieg des Beitragssatzes um fast 50 % auf 28 %, für den Arbeitnehmer also auf 14 % bzw. 348 Euro, bedeutet, dass der Anstieg um 162 Euro weit hinter dem Anstieg des Realeinkommens von 489 Euro zurückbleibt. Das nach Abzug des Beitrags verbleibende Realeinkommen liegt mit 2141 Euro immer noch um etwa 18 % über dem verbleibenden Realeinkommen des Jahres 2018.

Realeinkommensentwicklung kompensiert Belastung

Der Anstieg des verbleibenden Realeinkommens ergibt sich aus der angenommenen leichten jährlichen Realeinkommenssteigerung von 1 %, der trotz einer deutlichen Steigerung des Beitragssatzes ein auskömmliches Rentenniveau sicherstellen kann. Der Einkommensanstieg weist aus, dass die junge Generation trotz höherer Beitragsbelastung über ein höheres Realeinkommen verfügt als die gegenwärtige Generation. Das bedeutet, dass die Behauptung, die junge Generation werde übermäßig belastet, eine nicht stichhaltige Prognose ist, die ihre Ursache in der Vernachlässigung der Produktivitätsentwicklung sowie der daraus folgenden Realeinkommenssteigerung hat. Bemerkenswerterweise liegt der angenommene Arbeitnehmer-Beitragssatz von 14 %, der sich aus dem paritätischen Beitragssatz von 28 % ergibt und der bereits eine deutlich höhere Sicherung des Rentenniveaus erlaubt als die sogenannte Riester-Reform, noch unter der Belastung, die Riester den Rentnern zumutete. Die Riester-Reform mutet den Versicherten eine Beitragsbelastung von 15 % zu. Sie setzt sich aus der Hälfte des maximalen Beitragssatzes von 22 %, also aus 11 % und der allein von den Versicherten zu tragenden privaten Altersabsicherung von 4 % (Riesterrente) zusammen. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die höheren Beiträge der jungen Generation ebenfalls zugute kommen, weil sie ihr einen entsprechenden, einen lebensstandardsichernden Rentenanspruch verschaffen können.

Ungewissheit über Produktivitätsentwicklung?

Obwohl die Annahme einer 1 %igen Realeinkommenssteigerung für die dargestellte positive Beurteilung der Belastungswirkung sehr vorsichtig ist, könnte gegen sie eingewandt werden, sie sei zu optimistisch. Denn die Produktivitätssteigerungen weisen seit Jahren einen fallenden Trend auf. So ist die Produktivität von 2005 bis 2014 im jährlichen Durchschnitt nur um 0,8 % gestiegen.

  1. Sie ist dennoch tatsächlich gestiegen, sodass die Belastung tendenziell kompensiert werden konnte.
  2. Ein wichtiger Grund für diese relativ geringe Produktivitätssteigerung liegt in den Auswirkungen der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und 2010. Sie führten 2010 zu einem starken Einbruch der Produktivitätsentwicklung in Höhe von etwa 2,5 %.5
  3. 2016 lag sowohl der Jahreswert als auch der Trendwert über 1 %.
  4. Es gibt gute Gründe, die eine höhere Produktivitätssteigerung in Zukunft realisierbar erscheinen lassen. Sowohl in einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) als auch in einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW Kiel) werden zwar Ursachen für den negativen Entwicklungstrend benannt,6 die zum Teil temporärer Natur sind, zugleich aber werden auch Gründe angeführt, die für höhere Produktivitätssteigerungen in Zukunft sprechen.
  5. Wirtschaftspolitische Maßnahmen können einen positiven Trend der Produktivitätssteigerung erzeugen oder verstärken. Dazu zählen Investitionen in die Netzinfrastruktur, eine steuerliche Förderung der Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, die Förderung von Unternehmensgründungen. Auf Unternehmensebene sind stärkere Investitionen in die Ausrüstung der Betriebe und in die Ausbildung der Beschäftigten zu fordern. Als ein besonderes Beispiel für notwendige Investitionen ist die Digitalisierung zu nennen, die nach einer gewissen Zeit positive Produktivitätswirkungen entfalten kann. Auch der Sachverständigenrat für Wirtschaft schreibt: „Die Digitalisierung bietet ein großes Potenzial zur Steigerung der Arbeitsproduktivität … Disruptive Entwicklungen, bei denen eine Innovation eine bestehende Technologie oder Dienstleistung vollständig verdrängt, könnten in der Zukunft allerdings zunehmen und so die Arbeitsproduktivität beflügeln“7. Das IfW Kiel formuliert in dem Fazit seiner Studie: „Gleichwohl besteht kein Anlass zu einem säkularen Produktivitätspessimismus. In Deutschland wurde die Produktivitätsentwicklung durch eine Reihe von Faktoren getrieben, die temporären Charakter haben“8.

Die aufgezeigte kompensierende Wirkung einer durchschnittlich nur 1 %igen jährlichen Realeinkommenssteigerung widerlegt bereits die Behauptung, dass das Umlageverfahren überholt sei. Die Vernachlässigung der Produktivitätssteigerungen durch die Kritiker der GRV ist nicht zu rechtfertigen. Daraus ergibt sich auch, dass die von Winfried Schmähl geforderte Wiedereinführung der Lohnersatzfunktion der Rente, d. h. die Schaffung einer den Lebensstandard tendenziell sichernden Rente möglich ist.9

Versicherungsfremde Leistungen steuerfinanziert

Eine Fehlentwicklung ganz anderer Art, die die Finanzkraft der GRV belastet und deshalb unzulässig zulasten der Rentenversicherten geht, stellt die Finanzierung gesellschaftspolitischer Maßnahmen dar, für die Beiträge nicht erhoben wurden. Die GRV basiert auf dem Äquivalenzprinzip, in dem sich die Ansprüche auf eine Rentenzahlung aus den Beiträgen ergeben, die die Versicherten dafür leisten. Gesellschaftspolitische Entscheidungen aber, für die Beiträge nicht erhoben werden, sind deshalb nicht aus Rentenversicherungsbeiträgen, sondern aus dem Steueraufkommen zu finanzieren. Trotz dieser klaren Sachlage greift die Politik immer wieder in die Rentenkasse, um z. B. die Mütterrente oder die Ostrentenangleichung zu finanzieren.10 Aber das sind nicht die einzigen versicherungsfremden Leistungen. Es gibt eine Vielzahl, die nicht durch Beiträge gedeckt ist. Ohne auf die Problematik der Abgrenzung versicherungsfremder Leistungen einzugehen, die interessengeleitet enger oder weiter gefasst werden, soll hier die sachlich berechtigte weitere Abgrenzung angesprochen werden. In einer Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) werden sie für 2016 auf 113 Mrd. Euro geschätzt. Davon trägt der Bund nur 64,5 Mrd. Euro. Übrig bleibt eine von den Beitragszahlern getragene Differenz von 48,5 Mrd. Euro.11 Die Studie formuliert dann: „Im Fall einer vollständigen Kompensation der versicherungsfremden Leistungen könnte somit in der Rentenversicherung der Beitragssatz um 4,2 Prozentpunkte gesenkt werden bzw. das Leistungsniveau entsprechend erhöht werden“12. Hinzu kommen die genannten Leistungen für die erweiterte Mütterrente und für die Ostrentenanpassung, die erst nach 2016 neu eingeführt wurden. Diese grundrechtswidrigen Eingriffe in die Rentenkasse, die die Rentenversicherten belasten und die einen Verstoß gegen die abgabenrechtliche Gleichbehandlung bedeuten, da die Rentenversicherten für diese Belastung keine Gegenleistung erhalten, müssen korrigiert werden. Es sind adäquate Zahlungen aus dem Steueraufkommen in die Rentenkasse zu leisten. Die Korrektur dieser politischen Fehlentscheidungen würde zusätzlich helfen, den Rentnern ein auskömmliches Rentenniveau zu garantieren.

Die Rentendiskussion wird häufig auch unter dem Schlagwort geführt, dass die bestehende Rentenregelung zu verbreiteter Altersarmut führen werde und zur Vermeidung der Altersarmut Korrekturen vorzunehmen seien. Die Riesterrenten-Reform führt zwar in vielen Fällen tatsächlich in die Altersarmut, die vermieden werden muss. Dabei wird aber übersehen, dass die Rente primär ein ganz anderes Ziel verfolgt, als Altersarmut zu vermeiden. Ihr Ziel besteht darin, den Rentnern nach der Erwerbsphase ein Einkommen zu bieten, von dem sie leben können. Wenn dieses Ziel erreicht wird, wird als Nebeneffekt Altersarmut vermieden.

Tatsache ist aber auch, dass damit das Problem der Altersarmut, die aus ganz anderen Gründen entsteht, nicht behoben wird. Denn Langzeitarbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigungen und langzeitige Teilzeitbeschäftigungen wegen Kinderbetreuung machen es unmöglich, eine Rente „anzusparen“, die den Lebensunterhalt sichern kann. Diese Fälle sind – von Ausnahmen abgesehen – das Ergebnis eines gesellschaftlichen Versagens. Die ausreichende Alterssicherung dieser Bevölkerungsgruppen darf nicht aus den Rentenversicherungsbeiträgen, sie muss ebenfalls aus dem Steueraufkommen finanziert werden. Das kann in der Weise geschehen, dass aus dem Steueraufkommen äquivalente Beiträge an die Rentenkasse gezahlt werden.

Vorteile der GRV gegenüber privater Altersvorsorge

Ist schließlich der Ersatz oder die Ergänzung der gesetzlichen Rente durch eine private, eine kapitalmarktabhängige Altersversorgung zu wünschen? Ein dem gesetzlichen Rentenniveau entsprechendes privates Rentenniveau erfordert eine größere private „Spar“-Leistung. Die gesetzliche Rentenversicherung bietet das erforderliche Sicherungsniveau günstiger an. Das ist aber nicht der einzige Nachteil der privaten Alterssicherung. Deren Kapitalmarktabhängigkeit bedeutet, dass ihr Risiko höher ist als das der GRV. Die Finanzkrise 2008 beispielsweise hat diese Alterssicherung in manchen Fällen total vernichten können. Und ein dritter wichtiger Vorteil der GRV gegenüber einer kapitalmarktabhängigen Alterssicherung ist die regelmäßige Anpassung an die Lohnentwicklung, d. h., sie wird dynamisiert. Aus allen angeführten Gründen folgt zwingend, dass die primäre Alterssicherung zweckmäßigerweise durch die GRV erfolgen sollte. Eine private Rente könnte dann zusätzlich angespart werden, wenn es vom einzelnen Versicherten gewünscht wird und leistbar ist.

Als Fazit aus der kritischen Prüfung der Aufgaben, die die eingesetzte Rentenkommission lösen soll, ergibt sich, dass die vorausgesagte Überlastung der jungen Generation gar nicht eintreten wird und dass sehr wohl eine tendenziell lebensstandardsichernde Rente tragbar ist. Die von den Gegnern der GRV vernachlässigte steigende Realeinkommensentwicklung kompensiert oder überkompensiert die Belastungssteigerung durch höhere Beitragssätze. Es ist sogar wahrscheinlich, dass – wenn nicht außergewöhnliche Krisen auftreten – das verfügbare reale Einkommen der jungen Generation das der heutigen Generation trotz höherer Beitragsbelastung übersteigen wird.

Lebensstandardsichernde Rente in Österreich

Während die Riester-Reform das gesetzliche Rentenniveau absenkte, zeigt Österreich, dass das Gegenteil möglich ist. Das gesetzliche Rentenniveau ist nicht nur stabil geblieben, es liegt auch deutlich über dem deutschen Niveau. 2016 betrug die durchschnittliche Brutto-Altersrente für alle Rentner in Österreich 1440 Euro, in Deutschland dagegen nur 955 Euro. Die durchschnittliche Altersrente für männliche Neuzugänge wies in Österreich den Bruttobetrag von 2001 Euro, in Deutschland den Betrag von 1120 Euro auf.13 Die Beitragshöhe beläuft sich dabei für die Beschäftigten auf 10,25 %, für die Arbeitgeber auf 12,55 %. Obwohl sich das österreichische Umlageverfahren vom deutschen in seiner Abdeckung unterscheidet, weil es eine Erwerbstätigenversicherung ist, kann es schon wegen der mehr als 4 Prozentpunkte höheren Beiträge bestätigen, dass eine Lebensstandardsicherung im Umlageverfahren möglich ist. Die Zweifel an der Nachhaltigkeit des hohen österreichischen Leistungsniveaus werden in dem zitierten Beitrag widerlegt. Die Autoren weisen auf die schon angesprochene Wirtschaftsdynamik hin, darauf „dass bei einer wachsenden Wirtschaft jedes Jahr auch die Verteilungsmasse wächst, sodass steigende Rentenausgaben mit realen Einkommensgewinnen der Beschäftigten zusammengehen können“14. Bemerkenswert ist am österreichischen Beispiel, dass die Arbeitgeber mit 12,55 % einen um 2,3 Prozentpunkte höheren Beitrag zahlen als die Beschäftigten, ohne dass eine oft behauptete negative Arbeitsplatzwirkung eingetreten ist: „Ein Vergleich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung von Deutschland und Österreich zeigt, dass das höhere Leistungsniveau der ÖRV und die höheren Beitragssätze der österreichischen Wirtschaft nicht geschadet haben“15.

Lösungsmöglichkeit des Problems ist bekannt

Das Problem der unzureichenden Alterssicherung ist durch die Riester-Reform nicht gelöst, sondern erst geschaffen worden. Winfried Schmähl formuliert das mit den Worten, „dass der Dreh- und Angelpunkt der neuen deutschen Alterssicherungspolitik – der Abbau des Leistungsniveaus der GRV und der Ersatz durch kapitalmarktabhängige Alterssicherung – nicht etwa die Lösung des Problems unzureichender Alterseinkommen, sondern selbst dessen Ursache ist“. Er fährt später fort: „denn der in der deutschen Alterssicherungspolitik eingeschlagene Weg hat das Potential für eine gesellschaftspolitische Zeitbombe. Der zentrale Ansatzpunkt für ein Umsteuern in der Alterssicherungspolitik ist folglich das Leistungsniveau in der GRV.“16 Das heißt, dass die Riesterrenten-Reform rückgängig gemacht werden muss, es „höchste Zeit für einen Ausstieg aus dem Ausstieg“17 sei. Er begründet das in dem zitierten Beitrag mit den Worten: „Die Alterssicherungspolitik wurde in eine Sackgasse getrieben. Und wenn es nicht gelingt, eine ‚Rentenwende‘ durchzusetzen, also einen Ausstieg aus dem politisch gewollten Ausstieg aus der lohnbezogenen und leistungsdefinierten GRV, dann wird die GRV zu einem Mindestsicherungssystem, das allenfalls für langjährig Versicherte Altersarmut verhindert, während viele andere auf bedürftigkeitsgeprüfte Transfers angewiesen sein werden“18. Da die Lösung des Alterssicherungsproblems bekannt ist, erübrigt sich die Arbeit einer Rentenkommission – die Aufgabenstellung der eingesetzten Kommission kann nur in die Irre führen.

Zum Schluss muss eine weitere Erkenntnis angesprochen werden, die sich aus der vorhergehenden kritischen Betrachtung ergibt und die letztlich bedauerlich ist. Wenn das Alterssicherungsproblem der Zukunft erst durch die Riester-Reform verursacht wurde, weil der Reform allein die demografische Entwicklung zugrunde gelegt und die über Jahrzehnte mit großer Sicherheit steigenden Realeinkommen vernachlässigt wurden, dann ist offensichtlich, wie das Alterssicherungsproblem gelöst werden kann und muss: Es ist eine Wende in der Rentenpolitik notwendig; die Riester-Reform muss zurückgenommen werden. Das bedeutet zum einen, dass die Rentenkommission überflüssig ist, weil die Problemlösung schon bekannt ist. Ein neuer verlässlicher Generationenvertrag muss nicht geschaffen, der alte muss nur wieder eingesetzt werden. Es bedeutet zum anderen, dass die Aufgabe, die der Rentenkommission gestellt wurde, offenbar eine ganz andere ist als die wünschenswerte Wiedereinführung der lebensstandardsichernden Rente, wie sie vor der Riester-Reform bestand. Die Kommission soll offensichtlich auf der Grundlage einer ausschließlich an der demografischen Entwicklung orientierten Reform arbeiten. Die Vernachlässigung der möglichen Realeinkommensentwicklung kann aber nur zu unbefriedigenden Ergebnissen führen.

  • 1 J. Wellisch: Die Renten steigen – wo bitte ist das Problem?, t-online, 28.5.2018, https://www.t-online.de/finanzen/altersvorsorge/id_83828954/die-renten-steigen-wo-bitte-ist-das-problem-.html (28.5.2018).
  • 2 J. Wellisch, a. a. O. Schon 2012 hatte diese Autorin festgestellt, dass nur durch die Absenkung des Rentenniveaus (die mit der sogenannten Riester-Reform bereits verwirklicht worden war) die Finanzierung der Rentenversicherung dauerhaft garantiert werden könne. „Ansonsten müssten die Rentenversicherungsbeiträge übermäßig angehoben werden. Da dies jedoch eine erhebliche finanzielle Belastung für die arbeitende Bevölkerung darstellen und auch die Kaufkraft und damit die Wirtschaft negativ beeinflussen wird“, sinke das Rentenniveau, vgl. dies.: Altersarmut in Deutschland, Personalerforum, 18.12.2012, https://www.personalerforum.de/2012/12/18/altersarmut-in-deutschland/ (13.7.2018).
  • 3 W. Schmähl: Höchste Zeit für einen Ausstieg aus dem Ausstieg, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 10, S. 717.
  • 4 E. Niemeier: Die Notwendigkeit einer Reform der Riesterrenten-Reform, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 5, S. 315 f., https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2012/5/die-notwendigkeit-einer-reform-der-riesterrenten-reform/ (13.7.2018).
  • 5 J. Bersch et al.: Abnehmendes Produktivitätswachstum – zunehmende Produktivitätsunterschiede, in: ZEW policy brief, Nr. 4, April 2018, S. 3.
  • 6 M. Ademmer et al.: Produktivität in Deutschland – Messbarkeit und Entwicklung, in: Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik, Nr. 12, November 2017.
  • 7 Sachverständigenrat für Wirtschaft: Jahresgutachten 2017/18, S. 382.
  • 8 M. Ademmer et al., a. a. O., S. 17.
  • 9 W. Schmähl: Von der Rente als Zuschuss zum Lebensunterhalt zur „Zuschuss-Rente“, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 5, S. 313, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2012/5/weichenstellungen-in-der-gesetzlichen-rentenversicherung/ (13.7.2018); vgl. auch E. Niemeier: Überfordern höhere Rentenniveaus die Jungen und sind sie nicht finanzierbar?, in: Wirtschaftsdienst, 97. Jg. (2017), H. 2, S. 143 ff.
  • 10 Vgl. E. Niemeier: Beitragsfinanzierung der Ostrentenangleichung verstößt gegen Gerechtigkeitsprinzipien, in: Wirtschaftsdienst 97. Jg. (2017), H. 8, S. 596 ff.
  • 11 IMK: Versicherungsfremde Leistungen in der Sozialversicherung, Nr. 60, April 2018, S. 6, https://www.boeckler.de/pdf/p_imk_study_60_2018.pdf (13.7.2018).
  • 12 Ebenda, S. 7.
  • 13 Vgl. F. Blank et al.: Ist das österreichische Rentensystem nachhaltig?, in: Wirtschaftsdienst, 98. Jg. (2018), H. 3, S. 194 ff.
  • 14 Ebenda, S. 197.
  • 15 Ebenda, S. 199.
  • 16 W. Schmähl: Von der Rente ..., a. a. O., S. 313.
  • 17 Ders.: Höchste Zeit für ..., a. a. O., S. 716 ff.
  • 18 Ebenda, S. 717.

Title:Level of Living Standard in the Legal Pension Scheme Must be Guaranteed

Abstract:The German government appointed a pension scheme commission to deliver a new reliable “generation agreement”. But the critics of the contribution scheme overlook the increasing real income in the long term that makes the higher contribution possible. A new solution is not necessary; the government should rather refrain from making any reductions to the legal pension scheme.

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DOI: 10.1007/s10273-018-2337-0

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