Das Handwerk fungiert nach wie vor als Fachkräftezubringer für die anderen gewerblichen Bereiche der deutschen Wirtschaft. Diese Aufgabe ist für den Innovationsstandort Deutschland von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Viele der abgewanderten Gesellen und Meister sind inzwischen in besonders innovationsstarken Branchen tätig. Insbesondere in der forschungsintensiven Industrie üben sie häufig komplexe Experten- und Spezialistentätigkeiten in innovativen Arbeitsumgebungen aus. Unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten ist folglich von positiven externen Effekten im Innovationssystem auszugehen, die vom Qualifizierungsbereich Handwerk auf die gesamte gewerbliche Wirtschaft wirken.
Eine spezifische Besonderheit des deutschen Mittelstands stellt die Tatsache dar, dass ein vergleichsweise großer Teil der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der Lage ist, technologische Innovationen auch ohne eigene Forschung und Entwicklung (FuE) hervorzubringen.1 Ein bedeutender Beitrag zur Innovationsleistung des KMU-Sektors geht von den zahlreichen Unternehmen aus, die entweder keine oder allenfalls gelegentlich intern FuE betreiben. Dass dies gelingt, liegt nicht zuletzt an der starken Verbreitung des beruflich-betrieblichen Bildungstyps im deutschen Mittelstand. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist die kleinbetrieblich geprägte Handwerkswirtschaft.2 Aufgrund ihres stark im Bereich der beruflichen Bildung verwurzelten Innovationspotenzials werden viele der dortigen Unternehmen in die Lage versetzt, im Innovationssystem die wichtigen Funktionen des Problemlösers, Multiplikators und Technologiemittlers zu übernehmen.3
Die volkswirtschaftliche Rolle, die das Handwerk im deutschen Innovationssystem spielt, beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Handwerksunternehmen im engeren Sinne, sondern auch auf den weitergehenden „Qualifizierungsbereich Handwerk“ im Allgemeinen. Seit jeher wandert ein Großteil der im Handwerk qualifizierten Personen in andere gewerbliche Wirtschaftsbereiche ab.4 In der Summe überwiegt daher die Zahl der außerhalb des Handwerks tätigen Personen mit Handwerksqualifikation deutlich die Zahl der in der Handwerkswirtschaft verbliebenen Fachkräfte mit handwerklicher Ausbildung. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind in diesem Zusammenhang positive externe Effekte zu vermuten, die vom handwerklichen Qualifizierungsbereich zugunsten anderer Bereiche der gewerblichen Wirtschaft wirken.5 Diese Übertragungseffekte dürften umso ausgeprägter sein, je größer in den nicht-handwerklichen Wirtschaftsbereichen der Innovationsbeitrag der abgewanderten Gesellen und Meister ist.
Innovationserfolg in forschungsintensiven Branchen
Empirische Arbeiten aus der Innovationsforschung zeigen, dass Unternehmen in der Praxis insbesondere dann in der Lage sind, anspruchsvolle Innovationen mit hohem Neuheitsgrad hervorzubringen, wenn sie verschiedene Lern- und Wissensformen effektiv miteinander kombinieren.6 Hierin liegt eine klassische Stärke des deutschen Produktions- und Innovationsmodells. In der Unternehmenspraxis äußert sich dies durch ein enges Zusammenspiel von akademischen und beruflichen Qualifikationen.7 Gerade in forschungsintensiven Industriebranchen entstehen innovative Neuerungen häufig erst aus der wechselseitigen Interaktion zwischen der FuE-Abteilung und anwendungsnäheren Unternehmensbereichen wie z. B. der Produktion. Dies geschieht in aller Regel über „Köpfe“, wenn akademisch geschultes Personal (Ingenieure, Produktmanager etc.) und beruflich qualifizierte Fachkräfte (erfahrene Facharbeiter, Techniker, Meister) miteinander interagieren. Der Innovationserfolg der deutschen Industrieunternehmen basiert unter anderem auf der engen Verzahnung von akademischen und beruflichen Qualifikationen.
Insofern hat nicht nur die akademische Bildung, sondern auch die berufliche Bildung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des deutschen Innovationssystems. Dies zeigt sich allein daran, dass auch in den forschungs- und wissensintensiven Branchen der deutschen Wirtschaft die Anteile der beruflich qualifizierten Fachkräfte deutlich über denen der Hochschulabsolventen liegen. Die beruflich-betriebliche Bildung hat folglich für die Innovationsstärke von Branchen der Spitzentechnologie eine weitaus größere volkswirtschaftliche Relevanz als häufig vermutet.8
Konkret weist eine berufliche Aus- bzw. Fortbildung aus Innovationssicht verschiedene Vorteile auf. Einmal ist der Aspekt der „gemeinsamen Sprache“ zu nennen: Beruflich qualifizierte Fachkräfte können in der betrieblichen Praxis aufgrund ihrer Ausbildung eng mit Hochschulabsolventen auf Augenhöhe kommunizieren. Aus der hieraus erwachsenden Nähe zwischen FuE-Abteilung und Produktion ergeben sich in forschungsintensiven Industrieunternehmen wichtige wechselseitige Innovationsanstöße. Daneben spielt das tiefe Prozessverständnis der beruflich Qualifizierten eine wichtige Rolle: Durch ihr langjährig erworbenes anwendungsnahes Erfahrungswissen verfügen sie über ein tiefes Verständnis der innerbetrieblichen Abläufe. Innovationsprojekte lassen sich hierdurch in der Praxis effizienter umsetzen. Ein weiteres Beispiel ist der kontinuierliche Beitrag zur Hervorbringung von inkrementellen Innovationen. Für beruflich Qualifizierte ist erfahrungsbasiertes „learning by doing and using“ im operativen Tagesgeschäft typisch. Dies begünstigt die kontinuierliche Verbesserung, Neuanpassung und Weiterentwicklung von bereits existierenden Produkten, Dienstleistungen und Prozessen. Solche inkrementellen Innovationsschritte werden in Industrieunternehmen gerade von den beruflich Qualifizierten vorangetrieben.9
Ein neuer Blick auf die Funktion des Handwerks als Zubringer für Fachkräfte
Damit in der Industrie das innovationsförderliche Zusammenspiel von akademischen und beruflichen Qualifikationen gelingen kann, bedarf es einer entsprechenden Personalversorgung. Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, warum dem Handwerk innerhalb der gewerblichen Wirtschaft häufig eine volkswirtschaftlich wichtige Funktion als Zubringer für Fachkräfte zugeschrieben wird. Ein frühes Beispiel für diese Einschätzung findet sich im Bericht des Bundestagsausschusses für Wirtschaftspolitik, der zur Vorbereitung der ersten Fassung der Handwerksordnung von 1953 eingerichtet worden war. Darin heißt es, dass an der Einführung der Berufszugangsregulierung im Handwerk – also der sogenannten Meisterpflicht – unter anderem deshalb ein berechtigtes öffentliches Interesse bestehe, „weil […] die Ausbildung des Nachwuchses für die gesamte gewerbliche Wirtschaft nur so gewährleistet [sei].“10
Tabelle 1
Im Handwerk qualifizierte Personen und deren Verbleib innerhalb der gewerblichen Wirtschaft 2012
Wirtschafts-bereich Handwerk | Forschungs-intensive Industrie | Sonstige Industrie | Sonstige gewerbliche Wirtschaft | |
---|---|---|---|---|
Erwerbstätige mit Handwerksqualifikation | 40,2 | 13,4 | 13,9 | 32,6 |
Anteil der im Handwerk Qualifizierten an allen Erwerbstätigen des Sektors | 63,4 | 19,5 | 20,5 | 13,4 |
Hinweis: Nur gewerbliche Wirtschaft, d. h. ohne Forst- und Landwirtschaft, Fischerei, öffentliche Verwaltung, Bildung, Soziales etc. Die Zuordnung zum Handwerk und zur Industrie bestimmt sich über die Kammerzugehörigkeit des zugehörigen Betriebs.
Lesebeispiel: Innerhalb der gewerblichen Wirtschaft waren im Jahr 2012 von allen Erwerbstätigen mit Handwerksqualifikation (Ausbildung/Meister) noch 40,2 % im Handwerk tätig. Innerhalb des Handwerks macht diese Personengruppe 63,4 % aller Handwerksbeschäftigten aus.
Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012, gewichtete Daten.
Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass das Handwerk diese Funktion als Fachkräftezubringer offenbar nach wie vor innehat.11 Tatsächlich ist etwas mehr als ein Viertel der im Handwerk über die Jahre qualifizierten Fachkräfte inzwischen in Industrieunternehmen tätig (vgl. Tabelle 1). Sowohl in forschungsintensiven als auch in sonstigen Industriebranchen verfügt damit rund jeder fünfte Erwerbstätige über einen handwerklichen Ausbildungs- oder Meisterabschluss. Angesichts des wichtigen Beitrags der beruflich Qualifizierten zum Innovationserfolg in forschungsintensiven Industriebranchen stellt sich somit die Frage, welche Bedeutung die Funktion des Handwerks als Fachkräftezubringer für das Innovationssystem hat.
Datengrundlage
Als empirische Grundlage dient die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012. Hierbei handelt es sich um eine repräsentative Erhebung unter rund 20 000 Kernerwerbstätigen in Deutschland, die das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführt hat. Mit Hilfe dieses Datensatzes kann der handwerkliche Qualifizierungsbereich erfasst werden. Definitionsgemäß umfasst er alle Erwerbstätigen innerhalb der gewerblichen Wirtschaft, die in ihrem früheren Bildungsverlauf eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb absolviert und/oder im Handwerk einen Meisterbrief erworben haben. Der Qualifizierungsbereich Handwerk umfasst damit alle Personen mit Handwerksqualifikation, die innerhalb der gewerblichen Wirtschaft tätig sind – sei es in einem Handwerksunternehmen oder in einem Nicht-Handwerksunternehmen.
Ein weiterer Vorteil der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung ist die Verfügbarkeit von breit gefassten Innovationsindikatoren. Sowohl für die Input- als auch die Outputseite betrieblicher Innovationsprozesse stehen Kenngrößen zur Erfassung von Innovationsaktivitäten auf der Unternehmensebene zur Verfügung, die über ein allein FuE-zentriertes Innovationsverständnis hinausgehen (vgl. Kasten 1). Die ersten beiden Inputindikatoren messen, ob ein Erwerbstätiger im Rahmen der eigenen Berufstätigkeit entwickelt, forscht oder konstruiert und, wenn ja, in welcher Intensität dies geschieht (häufig oder nur manchmal). Hierüber werden einerseits institutionalisierte, betriebliche FuE-Aktivitäten erfasst, andererseits wird mit der Konstruktion ein FuE-benachbarter Bereich von Unternehmen erfragt, der von Beschäftigten ein hohes Maß an Erfahrungswissen erfordert und für die Entwicklung von Innovationen ebenfalls eine zentrale Rolle spielt.
Kasten 1
Indikatoren zur Erfassung von Innovationsprozessen
Inputseite
- Gelegentliche FuE (Entwickeln/Forschen/Konstruieren kommt im Rahmen der eigenen beruflichen Tätigkeit manchmal vor)
- Kontinuierliche FuE (Entwickeln/Forschen/Konstruieren kommt im Rahmen der eigenen beruflichen Tätigkeit häufig vor)
- Hohe Kreativitätsanforderungen (Im eigenen Arbeitsumfeld kommt es häufig vor, dass bisherige Verfahren verbessert oder etwas Neues ausprobiert wird)
Outputseite (Veränderungen in den letzten zwei Jahren)
- Produktinnovationen im unmittelbaren Arbeitsumfeld
- Einsatz von neuen oder deutlich veränderten Produkten/Werkstoffen
- Erbringung neuer oder deutlich veränderter Dienstleistungen
- Prozessinnovationen im unmittelbaren Arbeitsumfeld
- Einführung neuer Fertigungs- oder Verfahrenstechnologien
- Einführung neuer Maschinen, Anlagen
- Neue Computerprogramme (ohne Aktualisierung bestehender Programme)
- Organisatorische Innovationen im unmittelbaren Arbeitsumfeld
- Durchführung wesentlicher Umstrukturierungen oder Umorganisationen
Der dritte inputseitige Innovationsindikator bezieht sich auf die Kreativitätsanforderungen an Beschäftigte. Er erfasst, ob es im Rahmen der beruflichen Tätigkeit der Befragten häufig vorkommt, dass bisherige Verfahren verbessert oder neue Dinge ausprobiert werden. Die Antworten auf diese Frage beziehen sich folglich auf die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens in einem weitgefassten Sinne. Denn die kreative Verbesserung bestehender Wissensbestände und das einfallsreiche Aufspüren von neuen Lösungsansätzen liefert nicht nur im engen Rahmen von FuE-Aktivitäten, sondern auch in sonstigen wissensintensiven Unternehmensbereichen (z. B. der Produktgestaltung, Konstruktion, Dienstleistungskonzeption und im Marketing) wichtige Beiträge zur Hervorbringung von Innovationen. Die Vielfalt im betrieblichen Innovationsgeschehen wird über diesen Indikator besser greifbar als ein alleiniger Fokus auf den FuE-Indikator.
Auf der Outputseite werden Innovationen als Veränderungen definiert, die in den zwei Jahren vor dem Befragungszeitpunkt im unmittelbaren Arbeitsumfeld eines Erwerbstätigen vorgenommen wurden. Der Innovationsgehalt einer Veränderung bestimmt sich dabei aus rein subjektiver Sicht eines Befragten, wodurch beispielsweise nicht nur originäre Innovationen mit hohem objektiven Neuheitsgrad, sondern auch kundenspezifische Anpassungen oder technische Weiterentwicklungen von bestehenden Produkten und Prozessen erfasst sind. Dahinter steht ein weit gefasstes (und damit handwerksgerechtes) Innovationsverständnis.
Sektoralbetrachtung
Zunächst ist von Interesse, wie sich die Erwerbstätigen mit Handwerksqualifikation gemäß der in der Innovationsberichterstattung verwendeten Klassifizierung von gewerblichen Wirtschaftssektoren nach Forschungs- und Wissensintensität verteilen. Die erste Zeile von Tabelle 2 steht für die handwerklich ausgebildeten Fachkräfte, die immer noch im Handwerk erwerbstätig sind. Die entsprechende Verteilung zeigt die traditionellen Schwerpunkte der Handwerkswirtschaft im Verarbeitenden Gewerbe und im Baubereich. Entscheidend ist an dieser Stelle der Vergleich mit der zweiten Zeile von Tabelle 2. Diese stellt die Verteilung der Personen mit Handwerksqualifikation dar, die inzwischen außerhalb des Handwerks in anderen Wirtschaftsbereichen erwerbstätig sind. Demnach sind überproportional viele der abgewanderten Gesellen und Meister inzwischen in besonders innovationsstarken Bereichen tätig. Das gilt vor allem für forschungsintensive Branchen des Verarbeitenden Gewerbes (24,1 % versus 12,9 %). Typische Berufsbereiche, die von gelernten Handwerkern innerhalb der forschungsintensiven Industrie ausgeübt werden, sind Tätigkeiten in der Metallbearbeitung, der Maschinenbau- und Betriebstechnik, Fahrzeugtechnik, Energietechnik, Elektrotechnik, in der Konstruktion und im Modellbau sowie der technischen Produktionsplanung und -steuerung.
Tabelle 2
Erwerbstätige mit Handwerksqualifikation nach Wissens- und Forschungsintensität von Sektoren der gewerblichen Wirtschaft 2012
Erwerbstätige mit Handwerksqualifikation, davon ... | forschungsintensive Branchen des Verarbeitenden Gewerbes | sonstige Branchen des Verarbeitenden Gewerbes | Bau | wissensintensive Dienstleistungen | sonstige Dienstleistungen | Sonstige |
---|---|---|---|---|---|---|
... im Handwerk tätig | 12,9 | 25,0 | 42,0 | 1,6 | 18,2 | 0,3 |
... außerhalb des Handwerks tätig | 24,1 | 19,8 | 5,7 | 13,4 | 32,1 | 4,9 |
Hinweis: Nur gewerbliche Wirtschaft, d. h. ohne Forst- und Landwirtschaft, Fischerei, öffentliche Verwaltung, Bildung, Soziales etc.
Lesebeispiel: 12,9 % der Handwerksbeschäftigten mit handwerklicher Qualifikation (Ausbildung/Meister) sind in forschungsintensiven Branchen des Verarbeitenden Gewerbes tätig.
Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012, gewichtete Daten.
Darüber hinaus sind außerhalb des Handwerks vergleichsweise viele Personen mit handwerklicher Qualifikation in wissensintensiven Branchen des Dienstleistungssektors zu finden (13,4 % versus 1,6 %). Die abgewanderten Handwerker üben dort typischerweise berufliche Tätigkeiten in den Bereichen technische Mediengestaltung, Dienstleistungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik, Bauplanung und -überwachung sowie Gesundheit und Pflege aus. Gleichzeitig fällt auf, dass viele der ursprünglich im Handwerk ausgebildeten Fachkräfte auch in sonstigen Dienstleistungsbranchen zu finden sind (32,1 % versus 18,2 %). Typische Berufsbereiche sind in diesem Fall Gebäudetechnik, Lagerwirtschaft, Post- und Zustelldienste, Fahrzeugführung im Straßenverkehr, Reinigungsberufe, Schutz-, Sicherheits- und Überwachungsberufe, Tätigkeiten in der Immobilienwirtschaft und in der Gebäudeverwaltung sowie Verkaufsberufe. Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich Erwerbstätige mit handwerklicher Qualifikation außerhalb des Handwerks nicht nur auf wenig innovationsstarke Dienstleistungsbereiche verteilen, sondern häufig auch in innovationsintensiven Industrie- und Dienstleistungsbranchen zu finden sind.
Anforderungsniveau beruflicher Tätigkeiten
Eine ähnliche Zweiteilung zeigt sich, wenn die im Handwerk qualifizierten Personen nach dem beruflichen Anforderungsniveau ihrer aktuellen Erwerbstätigkeit unterschieden werden (vgl. Tabelle 3).12 Die erste Zeile steht wieder für die weiterhin im Handwerk tätigen Personen mit handwerklicher Qualifikation. Zunächst wird ersichtlich, dass niedrig qualifizierte Helfer- und Anlerntätigkeiten in der Handwerkswirtschaft vergleichsweise selten sind und stattdessen im Handwerk der Schwerpunkt auf qualifizierter Facharbeit und komplexeren Spezialisten- und Expertentätigkeiten liegt. Außerhalb des Handwerks sind Personen mit handwerklicher Qualifikation dagegen noch häufiger in komplexen und hoch komplexen Tätigkeiten zu finden (16,1 % versus 14,7 % und 8,7 % versus 3,1 %), gleichzeitig aber auch relativ oft in einfachen, weniger komplexen Helfer- und Anlerntätigkeiten (10,9 % versus 1,7 %). Wird diese Betrachtung im nächsten Schritt nur auf Handwerker in forschungsintensiven Industriebranchen beschränkt – wie erwähnt machen diese dort etwa ein Fünftel aller Beschäftigten aus –, so zeigt sich, dass es für Fachkräfte mit handwerklicher Qualifikation dort nochmals wahrscheinlicher ist, anspruchsvolle Spezialisten- und Expertentätigkeiten auszuüben. Somit bleibt festzuhalten, dass die abgewanderten Gesellen und Meister in anderen gewerblichen Wirtschaftsbereichen wie der forschungsintensiven Industrie nicht nur gering qualifizierte Helfer- und Anlerntätigkeiten ausüben, sondern oftmals auch auf hochqualifizierten Arbeitsplätzen tätig sind.
Tabelle 3
Erwerbstätige mit Handwerksqualifikation nach beruflichem Anforderungsniveau1 2012
Erwerbstätige mit Handwerksqualifikation, davon ... | Helfer- und Anlerntätigkeiten | fachlich ausgerichtete Tätigkeiten | komplexe Spezialistentätigkeiten | hoch komplexe Tätigkeiten |
---|---|---|---|---|
... im Handwerk | 1,7 | 80,5 | 14,7 | 3,1 |
... außerhalb des Handwerks | 10,9 | 64,3 | 16,1 | 8,7 |
... außerhalb des Handwerks in forschungsintensiven Industriebranchen | 10,8 | 57,1 | 21,2 | 10,9 |
1 Aktuelle Erwerbstätigkeit in der gewerblichen Wirtschaft, d. h. ohne Forst- und Landwirtschaft, Fischerei, öffentliche Verwaltung, Bildung, Soziales etc.
Lesebeispiel: 1,7 % der Handwerksbeschäftigten mit handwerklicher Qualifikation (Ausbildung/Meister) üben wenig komplexe Helfer- und Anlerntätigkeiten aus.
Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012, gewichtete Daten.
Innovationen am Arbeitsplatz
Auch im Hinblick auf den konkreten betrieblichen Innovationsprozess lassen sich die Personen mit handwerklicher Qualifikation, die inzwischen außerhalb des Handwerks erwerbstätig sind, mit den in der Handwerkswirtschaft verbliebenen Gesellen und Meistern vergleichen (vgl. Abbildung 1). Den Ergebnissen nach agieren erstere häufig in innovativen Arbeitsumgebungen. So berichten die aus der Handwerkswirtschaft abgewanderten Fachkräfte z. B. vergleichsweise oft davon, dass sie in ihrer unmittelbaren Arbeitsumgebung an der Einführung von neuen Fertigungs- und Verfahrenstechnologien oder der Erbringung von neuen oder deutlich veränderten Dienstleistungen beteiligt sind (vgl. Abbildung 1). Dieser Umstand dürfte damit zusammenhängen, dass viele handwerklich ausgebildete Fachkräfte inzwischen außerhalb des Handwerks in forschungs- und wissensintensiven Branchen des Verarbeitenden Gewerbes und des Dienstleistungssektors tätig sind. Insgesamt fallen die Unterschiede zu den klassischen Handwerksbeschäftigten jedoch nicht sehr stark aus. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Einführung neuer oder deutlich veränderter Produkte und Werkstoffe sowie der Einführung neuer Maschinen und Anlagen. Einzige Ausnahme bilden organisatorische Innovationen und die Einführung neuer Software-Lösungen. Beide Innovationsarten sind bei handwerklich ausgebildeten Fachkräften außerhalb der Handwerkswirtschaft wesentlich wahrscheinlicher. Dies ist ein Hinweis darauf, dass viele abgewanderte Gesellen und Meister inzwischen in Großunternehmen tätig sind.
Abbildung 1
Erwerbstätige mit Handwerksqualifikation nach Innovationen am Arbeitsplatz und Verbleib im Handwerk 2012
Hinweis: Nur gewerbliche Wirtschaft, d. h. ohne Forst- und Landwirtschaft, Fischerei, öffentliche Verwaltung, Bildung, Soziales etc.
Lesebeispiel: Von den Handwerksbeschäftigten mit handwerklicher Qualifikation (Ausbildung/Meister) sind 26,6 % häufig mit hohen kreativen Anforderungen konfrontiert. Bei den Erwerbstätigen mit Handwerksqualifikation, die in nicht-handwerklichen Wirtschaftsbereichen tätig sind, beläuft sich der Anteil solcher Innovateure auf 25,8 %.
Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012, gewichtete Daten.
Auch auf der Inputseite zeigen sich wenige Unterschiede zwischen den beiden betrachteten Personengruppen. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Kreativitätsanforderungen. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Handwerkswirtschaft sind handwerklich ausgebildete Fachkräfte in etwa gleich stark damit konfrontiert (26,6 % versus 25,8 %; vgl. Abbildung 1). Leichte Unterschiede zeigen sich im FuE-Bereich. In nicht-handwerklichen Wirtschaftsbereichen scheinen Personen mit Handwerksqualifikation etwas stärker in institutionalisierte FuE-Strukturen eingebunden zu sein als innerhalb des Handwerks (kontinuierliche FuE). Allerdings ist es für die klassischen Handwerksbeschäftigten wiederum etwas wahrscheinlicher, gelegentlich FuE zu betreiben und vor hohe Kreativitätsanforderungen jenseits des FuE-Bereichs gestellt zu sein.
Alles in allem unterscheiden sich damit die in nicht-handwerklichen Wirtschaftsbereichen tätigen Personen mit Handwerksqualifikation sowohl auf der Output- als auch auf der Inputseite betrieblicher Innovationsprozesse kaum von den im Handwerk verbliebenen Fachkräften. Eine naheliegende Erklärung hierfür ist, dass die abgewanderten Gesellen und Meister mehrheitlich entsprechend ihrer handwerksspezifischen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse eingesetzt werden und in der Folge im betrieblichen Innovationsprozess eine komplementäre Funktion zu anderen Qualifikationsgruppen ausfüllen können.
Am Beispiel der im Handwerk ausgebildeten und nun in der Industrie tätigen Fachkräfte müsste sich demnach das innovationsförderliche Zusammenspiel von akademischen und beruflichen Qualifikationen zeigen. Um dies näher zu untersuchen, werden allein Erwerbstätige in forschungsintensiven Industriebranchen betrachtet. Wie bereits erwähnt, verfügen rund 20 % der Beschäftigten in der forschungsintensiven Industrie über einen handwerklichen Aus- oder Fortbildungsabschluss. Die diesbezüglichen Ergebnisse liefern tatsächlich Hinweise darauf, dass akademisch geschultes Personal und beruflich qualifizierte Fachkräfte aus dem Handwerk auf unterschiedlichem Wege zum Innovationserfolg der Industrie beitragen (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
Innovationsaktivität in forschungsintensiven Industriebranchen: Beschäftigte mit Handwerksqualifikation und akademisches Personal im Vergleich 2012
Lesebeispiel: Von den Industriebeschäftigten mit Handwerksqualifikation (Ausbildung/Meister) sind 30,7 % häufig mit hohen kreativen Anforderungen konfrontiert. Bei den Industriebeschäftigten mit akademischem Abschluss beläuft sich der Anteil solcher Innovateure auf 49,7 %.
Quelle: BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2012, gewichtete Daten.
Wie erwartet ist für die Akademiker unter den Industriebeschäftigten eine kontinuierliche Aktivität in firmeneigenen FuE-Abteilungen wesentlich wahrscheinlicher als für Industriebeschäftigte mit handwerklicher Qualifikation. Entsprechend öfter berichten die akademisch geschulten Industriebeschäftigten auch von hohen Kreativitätsanforderungen (vgl. Abbildung 2). Ähnliches gilt für die Beteiligung an organisatorischen Innovationen und der Einführung von neuen Softwarelösungen. Beides dürfte eng mit Managementaufgaben korrelieren, die eher von akademisch geschultem Personal ausgeführt werden. Die Industriebeschäftigten mit handwerklicher Qualifikation liegen dagegen an den Stellen des betrieblichen Innovationsprozesses vorne, die den unmittelbaren Produktionsprozess betreffen (Einsatz neuer oder deutlich veränderter Produkte/Werkstoffe oder die Einführung neuer Maschinen und Anlagen). Hingegen ist es für beide Qualifikationsgruppen nahezu gleich wahrscheinlich, an der Einführung von neuen Fertigungs- und Verfahrenstechnologien beteiligt zu sein (59,1 % versus 54,5 %). Daran zeigt sich anschaulich die diskutierte Nähe von FuE-Abteilung und Produktion, die in der Industrie so häufig zu innovativen Neuerungen führt. Dass in der Industrie das innovationsförderliche Zusammenspiel von Akademikern und beruflich Qualifizierten gelingt, liegt daher nicht zuletzt auch an den vielen Fachkräften aus dem Handwerk.
Fazit
Grundsätzlich zeigt die empirische Auswertung, dass die außerhalb der Handwerkswirtschaft tätigen Personen mit handwerklicher Qualifikation häufig in innovationsstarken Branchen und innovativen Arbeitsumgebungen zu finden sind. Im Hinblick auf ihre Einbindung in betriebliche Innovationsprozesse unterscheiden sie sich dabei kaum von den im Handwerk verbliebenen Fachkräften. Eine naheliegende Erklärung hierfür ist, dass die abgewanderten Gesellen und Meister mehrheitlich entsprechend ihrer handwerksspezifischen Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse eingesetzt werden und in der Folge z. B. in der Industrie eine komplementäre Rolle zu anderen Qualifikationsgruppen ausfüllen. Die diesbezüglich präsentierten Ergebnisse liefern tatsächlich Hinweise darauf, dass akademisch geschultes Personal und beruflich qualifizierte Fachkräfte aus dem Handwerk auf unterschiedlichem Wege zum Innovationserfolg der Industrie beitragen.
Dass in forschungsintensiven Industriebranchen das innovationsförderliche Zusammenspiel von Akademikern und beruflich Qualifizierten gelingt, liegt folglich nicht zuletzt auch an den Fachkräften aus dem Handwerk. Aus volkswirtschaftlicher Sicht macht sie dies zu einem wichtigen Träger des deutschen Innovationssystems. Es ist also von positiven externen Effekten auszugehen, die vom Qualifizierungsbereich Handwerk auf die gesamte gewerbliche Wirtschaft ausstrahlen. Dieser Umstand liefert ein starkes Argument für die Beteiligung der öffentlichen Hand an der Finanzierung der beruflichen Bildung im Handwerk. Zudem spricht dieses Ergebnis für die Beibehaltung der Meisterpflicht im Handwerk, wenn man sich vor Augen führt, dass es im Handwerk gerade die meistergeführten Betriebe sind, die sich aktiv im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung engagieren. Eine andere wirtschaftspolitische Implikation ist, dass das große Fachkräfteproblem, vor dem der Wirtschaftsbereich Handwerk aktuell steht, eben nicht nur eine Herausforderung für die Handwerksunternehmen ist, sondern dessen Lösung auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht von Interesse ist, um die Funktionsfähigkeit des Innovationssystems zu sichern.
* Dieser Beitrag stellt Ergebnisse einer Studie des ifh Göttingen vor. Vgl. J. Thomä: Handwerksunternehmen und handwerkliche Qualifikationen – empirische Hinweise zur Rolle des Handwerks im Innovationssystem, Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung, Nr. 23, 2018.
- 1Vgl. C. Rammer, S. Gottschalk, B. Peters, J. Bersch, D. Erdsick: Die Rolle von KMU für Forschung und Innovation in Deutschland, Studie im Auftrag der Expertenkommission Forschung und Innovation, Studien zum deutschen Innovationssystem, Nr. 10, 2016, S. 87 f.
- 2 Vgl. J. Thomä: Die Rolle von Handwerksunternehmen für die volkswirtschaftlichen Funktionen des Mittelstands, in: Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung, Nr. 11, 2016, S. 9 ff.
- 3 Vgl. J. Lahner: Innovationsprozesse im Handwerk, Göttinger Handwerkswirtschaftliche Studien, Bd. 69, Duderstadt 2004; M. Astor, M. Bucksteeg, I. Pfeiffer: Zukunft Handwerk! Der Beitrag des Handwerks im Innovationsprozess, Studie der Prognos AG, Berlin 2006.
- 4 Vgl. K. Haverkamp, A. Gelzer: Verbleib und Abwanderung aus dem Handwerk: Die Arbeitsmarktmobilität von handwerklichen Nachwuchskräften, in: Göttinger Beiträge zur Handwerksforschung, Nr. 10, 2016, S. 10 ff.
- 5 Vgl. W. Dürig, B. Lagemann, M. Rothgang, L. Trettin, F. Welter: Determinanten des Strukturwandels im deutschen Handwerk, Bd. I – Schlussbericht, Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, Essen 2004, S. 141.
- 6 Vgl. M. B. Jensen, B. Johnson, E. Lorenz, B. Å. Lundvall: Forms of knowledge and modes of innovation, in: Research Policy, 36. Jg. (2007), H. 5, S. 680-693; J. Thomä: DUI mode learning and barriers to innovation – A case from Germany, in: Research Policy, 46. Jg. (2017), H. 7, S. 1327-1339.
- 7 Vgl. Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI): Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2014, Berlin 2014, S. 30.
- 8 Vgl. S. Pfeiffer: Arbeit und Bildung, in: R. Hoffmann, C. Bogedan (Hrsg.): Arbeit der Zukunft. Möglichkeiten nutzen – Grenzen setzen, Frankfurt a. M. 2015, S. 366 f.
- 9 Vgl. C. Rammer: Das duale Berufsbildungssystem in Deutschland aus innovationsorientierter Perspektive, in: ZEWnews, Heft Januar/Februar 2013, S. 1-2; U. Backes-Gellner, C. Rupietta: Duale Berufsausbildung und Innovation, in: Zeitschrift für berufliche Bildung, 66. Jg. (2014), S. 58-60; P. Toner: Innovation and Vocational Education, in: The Economic and Labour Relations Review, 21. Jg. (2010), H. 2, S. 75-98.
- 10 Schriftlicher Bericht des Bundestagsauschusses für Wirtschaftspolitik (13. Ausschuss) über den von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurf eines Gesetztes über die Handwerksordnung, Bonn 1953, zitiert nach: H. Kolbenschlag, K. Leßmann, R. Stücklen: Die neue Handwerksordnung – Berufsausübung, Berufserziehung, Organisation im Handwerk, Köln 1954, S. 280.
- 11 Vgl. K. Haverkamp, A. Gelzer, a. a. O., S. 10 ff.; J. Thomä: Fachkräftemangel im Handwerk? – eine Spurensuche, in: WSI-Mitteilungen, Nr. 8, 2014, S. 590-598.
- 12 Gemäß Bundesagentur für Arbeit: Klassifikation der Berufe (KldB) 2010.