Die Deutsche Bahn steht wieder in der Kritik. Auslöser sind unpünktliche Züge im Fernverkehr. Darüber hinaus werden reduzierte Gewinnprognosen, anhaltende Verluste im Güterverkehr, Unterfinanzierung der Infrastruktur und Managementprobleme kritisiert. Zugleich hat die Bundesregierung angekündigt, den Schienenverkehr bis 2030 zu verdoppeln.
Der Bund hat im Bahnsektor drei unterschiedliche Rollen: Als Gesetzgeber reguliert er den Sektor. Er stellt Mittel für den Ausbau der Bahninfrastruktur zur Verfügung und ist Eigentümer der Deutschen Bahn. In jeder der Rollen ergeben sich Herausforderungen: Als Gesetzgeber entscheidet der Bund über die Marktordnung. Diese ist seit Jahren weitgehend unverändert. Zahlreiche kleinere Änderungen in den letzten Jahren haben, entgegen aller Bekundungen zur Förderung der Schiene, die relative Wettbewerbsposition der Bahn verschlechtert. Der Bund finanziert die Bahninfrastruktur fast vollständig. In der Bahnreform von 1994 war vorgesehen, dass die Deutsche Bahn Ersatzinvestitionen selbst finanziert und der Bund die Mittel für Neubauvorhaben bereitstellt. Inzwischen hat die Deutsche Bahn durchgesetzt, dass auch die Ersatzinvestitionen vom Bund finanziert werden. Hierfür schließt der Bund mit der Deutschen Bahn eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV), in der sich die Deutsche Bahn verpflichtet, bestimmte Qualitätsziele zu erreichen. In den letzten Jahren hat die Deutsche Bahn diese Ziele stets erreicht, trotzdem besteht bei allen Akteuren der Eindruck, dass sich die Netzqualität verschlechtere. Zur Finanzierung der Ersatzinvestitionen hat der Bund das Budget für Neubauprojekte reduziert. Heute stehen ca. 1,6 Mrd. Euro pro Jahr zur Verfügung, die Hälfte des Betrages, der im letzten Jahrzehnt verfügbar war. Dies reicht nicht aus, um das Netz an sich ändernde Mobilitätsbedürfnisse anzupassen. Im Personenverkehr steigt die Nachfrage vor allem in den Ballungsräumen, im Güterverkehr verschiebt sich die Nachfrage immer mehr auf Containerverkehr auf stark belasteten Hauptachsen. Die abnehmende Pünktlichkeit der Bahn ist weitgehend eine Folge der Überlastung der Knoten und Hauptachsen.
Ausgehend von der Leistung im Fernverkehr, werden Strukturen und Management der Deutschen Bahn diskutiert. So bemängelt Bahnchef Lutz die fehlende Zusammenarbeit der Konzerngesellschaften, Staatssekretär Ferlemann beklagt, die Weisungen der Vorstände würden auf den nachfolgenden Ebenen nicht umgesetzt. Ein langjähriger Aufsichtsrat bezeichnet die Bahn als „Katastrophenveranstaltung“. Es ist befremdlich, dass die Führungsebenen bemüht sind, die Schuld an den Problemen auf die nachfolgenden Managementebenen zu schieben. Tatsächlich hat die aktuelle Krise strukturelle Ursachen, für die Eigentümer, Aufsichtsrat und Vorstand verantwortlich sind. Seit der Bahnreform von 1994 hat keine Bundesregierung und keine Partei explizit Ziele für die Bahn formuliert. Insbesondere in der Ära Mehdorn hat die Bahn dieses Vakuum genutzt und sich selbst das Ziel gesetzt, als ein globaler Logistikkonzern an die Börse zu gehen. Der aktuelle Koalitionsvertrag enthält erstmals explizite Ziele für die Deutsche Bahn, die allerdings nicht mit Maßnahmen hinterlegt sind. Die fehlende Ausrichtung des Konzerns spiegelt sich in der Besetzung des Aufsichtsrats wider, bei der keine klare Linie erkennbar wird und fachliche Kenntnis kaum eine Rolle spielt. Entsprechend gelingt es dem Aufsichtsrat auch nicht, den Vorstand des Konzerns und der großen Tochterfirmen stabil und kompetent zu besetzen. Unverständlich ist die Klage von Bahnchef Lutz über die Konflikte zwischen den Bereichen. Solche Konflikte sind in großen Unternehmen üblich, es ist eine der zentralen Aufgaben des Vorstands, Regeln zu entwickeln, um Konflikte zu lösen und eskalierende Konflikte selbst zu moderieren. Aus dem Unternehmen häufen sich die Klagen, dass der Vorstand versuche, die Probleme durch große, zentrale Beratungsprojekte zu beheben. Diese verursachten hohen Aufwand, stifteten aber geringen Nutzen. Medien berichten, dass die Kosten für Berater binnen fünf Jahren von 185 Mio. Euro auf 325 Mio. Euro gestiegen sind. Eine Änderung dieses Vorgehens ist nicht in Sicht – Bahnchef Lutz hat jetzt eine weitere Stärkung der Zentrale angekündigt.
Die Finanzlage des Konzerns ist kritisch: Die Schulden der Deutschen Bahn betragen inzwischen fast 20 Mrd. Euro, maßgeblich verursacht durch Auslandsinvestitionen. Damit gilt die „Schuldentragfähigkeit“ als nahezu ausgereizt, der Haushaltsausschuss hat – nicht juristisch, aber politisch relevant – die Einhaltung einer Schuldengrenze von 20,4 Mrd. Euro angemahnt. Es ist nicht erkennbar, wie der Konzern diese Grenze einhalten will: Derzeit erreicht die Deutsche Bahn ein operatives Ergebnis von knapp 2 Mrd. Euro. Der seit Jahren in der Mittelfristplanung prognostizierte Anstieg auf 4 Mrd. Euro wird regelmäßig weiter in die Zukunft verschoben. Nach Zinsen und Steuern verblieb in den letzten Jahren zumeist ein Nettogewinn von ca. 0,5 Mrd. Euro. Daraus kann die Deutsche Bahn die vereinbarten Dividendenzahlungen an den Bund nicht leisten, erst recht fehlen Mittel für zusätzliche Investitionen. Allein für die neue Fernverkehrsflotte und den DB-Anteil an dem Projekt Stuttgart 21 müssen in den kommenden Jahren 10 Mrd. Euro aufgebracht werden, die nicht aus dem laufenden Geschäft finanziert werden können.
Eine Besserung ist kaum in Sicht: In den letzten Jahren war DB Regio die wichtigste Gewinnquelle des Konzerns. Inzwischen vergeben die Länder die Leistungen im Wettbewerb. DB Regio verliert einen Teil dieser Vergaben, aber auch im Erfolgsfall schrumpfen die Margen deutlich, deshalb sinkt der Gewinn. Die Infrastrukturgesellschaften (DB Netz, Bahnhöfe und DB Energie) steuern rund ein Drittel des operativen Ergebnisses bei. Eigentlich war im Rahmen der LuFV2 zwischen Bund und Deutsche Bahn vereinbart, dass sämtliche Gewinne der Infrastrukturgesellschaften an den Bund ausgeschüttet und vom Bund zusätzlich als Investmittel bereitgestellt werden sollten. Aufgrund der angespannten Lage der Deutschen Bahn ist diese Vereinbarung stillschweigend aufgehoben. Der Fernverkehr ist derzeit profitabel, muss aber künftig deutlich mehr Abschreibungen finanzieren. Der Schienengüterverkehr kommt nicht aus den roten Zahlen. Die bahnfernen Auslandssparten Schenker Logistik und Arriva erwirtschaften die Hälfte des Konzernumsatzes und ein Viertel des Gewinns, sie sind, anders als behauptet, keineswegs die „Geldmaschinen“ des Konzerns. Mit dem Verkauf dieser beiden Sparten könnten die anstehenden Investitionen im Konzern finanziert und Schulden abgetragen werden. Es würde auch dem Vorstand ermöglichen, sich auf seine Kernaufgaben zu konzentrieren.
Die für das Ziel der Verdoppelung des Verkehrs erforderlichen Infrastrukturinvestitionen kann die Deutsche Bahn nicht aufbringen, die Mittel können nur vom Bund kommen. Die Projekte des vordringlichen Bedarfes im Bundesverkehrswegeplan und das angekündigte Digitalisierungsprogramm erfordern bis 2030 Investitionen von ca. 80 Mrd. Euro. Auf Basis der heutigen Haushaltslinie sind davon nur ca. 20 Mrd. Euro finanziert. Zudem ist die Planungskapazität der Bahn an den Bedarf der letzten Jahre angepasst. Die Bahn könnte zusätzliche Mittel derzeit kaum ausgeben. Eine Mittelaufstockung müsste deshalb von einem großen Programm zur Ausbildung oder Umschulung von Planungsingenieuren begleitet werden.
Die aktuellen Qualitätsprobleme im Fernverkehr sind nur ein Symptom einer tieferen Krise des Konzerns. Kurzfristige Verbesserungen sind, mit Ausnahme der in Auslieferung befindlichen Fahrzeugflotte, kaum zu erwarten. Es wird viele Jahre dauern, die Fehlentwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte zu korrigieren. Dabei hilft kein medienwirksamer Aktionismus, erforderlich ist eine angemessene Finanzierung und die systematische Abarbeitung der bekannten Themen.