Das Ruhrgebiet ist seit den 1980er Jahren Zielregion regionaler Fördermaßnahmen von Land, Bund und EU. Bis heute hat die Regionalpolitik allerdings keine Trendwende bewirkt. Die multizentrische Region nahm nicht am Aufschwung der urbanen Räume seit der Jahrtausendwende teil; sie verlor Einwohner und fällt in der Wirtschaftskraft hinter den anderen großen Agglomerationen des Landes zurück. Mit 16 % industriellem Wertschöpfungsanteil liegt die ehemals führende Industrieregion erheblich unter dem deutschen Durchschnitt, ohne dass sich moderne Dienstleistungen bisher zu einem alternativen Wachstumstreiber entwickelt hätten.
Das Ruhrgebiet ist mit über 5,1 Mio. Einwohnern weiterhin der größte deutsche Agglomerationsraum, obwohl die Region am Bevölkerungsboom der führenden Großstädte und Metropolräume seit dem Jahr 2000 nicht beteiligt war. Erst mit der starken Zuwanderung 2015 haben sich auch in der Metropolregion an Rhein und Ruhr die Einwohnerzahlen stabilisiert. Anders als die anderen deutschen Agglomerationen, die überwiegend monozentrisch strukturiert sind oder zumindest wie das Rheinland nur wenige Kernstädte aufweisen, teilt sich das Ruhrgebiet auf 53 Kommunen in 15 Kreise bzw. kreisfreie Städten auf, die in drei verschiedenen nordrhein-westfälischen Regierungsbezirken liegen. Größte Städte sind Dortmund und Essen mit je ca. 585 000 Einwohnern (2017); 11 weitere Städte weisen mehr als 100 000 Einwohner auf. Als Klammer der Metropolregion dient der „Regionalverband Ruhr“ (RVR). Der Anspruch, dass der größte urbane Ballungsraum Deutschlands eine Metropole bildet, ist jedoch faktisch nur sehr eingeschränkt unterlegt. Der RVR und damit das Ruhrgebiet bilden bislang keine politische Einheit, die konsistente wirtschaftspolitische oder raumplanerische Entscheidungen fällen könnte. Der RVR hat allerdings zuletzt größere Befugnisse in der Raumplanung erhalten, was zukünftig auch die gemeinsame Flächenplanung betrifft. Mit dem Entwurf für einen Regionalplan Ruhr wurde im Juli 2018 ein einheitliches Regelwerk für die Flächennutzung im Ruhrgebiet verabschiedet, das sich nach seiner für 2020 geplanten Rechtswirksamkeit auch in der Verfügbarmachung von Gewerbeflächen bewähren muss.1
Im Gegensatz zu den anderen sechs großen deutschen Agglomerationsräumen Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Rheinland und Stuttgart sowie zur Entwicklung der 70 kreisfreien Großstädte mit mindestens 100 000 Einwohnern, die ihre Einwohnerzahl steigern konnten, hat das Ruhrgebiet seit dem Jahr 2000 Einwohner verloren. Erst 2014 konnte eine Stabilisierung erreicht werden, die mit der starken Zuwanderung 2015 und 2016 im Kontext der Fluchtmigration auch im Ruhrgebiet zu einem Wachstum der Bevölkerung führte. Bis 2016 stieg die Bevölkerung wieder leicht auf 5,12 Mio. an. Trotzdem lag die Einwohnerzahl Ende 2016 noch um 4 % unter dem Wert von 2000, während die Metropolräume insgesamt ebenso wie die kreisfreien Großstädte ihre Einwohnerzahl um über 6 % steigern konnten. Mit sinkender Zuwanderung aus dem Ausland kam es 2017 schon wieder zu einem kleinen Bevölkerungsrückgang im Ruhrgebiet, der Vorbote einer erneuten Schrumpfung sein könnte.
Industrie verliert im Ruhrgebiet an Bedeutung
Das Ruhrgebiet prosperierte lange Zeit, begünstigt von seiner Rolle als größte Industrieregion im Zentrum Europas und seiner Lage an der Verkehrsader Rhein. Seine Entstehung und Entwicklung wurde zunächst von der hohen Bedeutung der Montanindustrie für die Gesamtwirtschaft im Rahmen der Industrialisierung getragen, im 20. Jahrhundert allerdings auch durch die Aufrüstung für die beiden Weltkriege. Im deutschen Wiederaufbau nach 1945 und im anschließenden „Wirtschaftswunder“ spielte der montanindustrielle Komplex aus Kohle-, Eisen- und Stahlindustrie und den darauf basierenden Wirtschaftszweigen noch einmal eine große Rolle, doch kam es schon Ende der 1950er Jahre zu einer ersten schweren Bergbaukrise. Seit 1963 gerieten die für das Ruhrgebiet prägenden Industriezweige, vor allem der Steinkohlebergbau selbst, in eine strukturelle Krise mit einem mal langsamen, mal schnelleren Arbeitsplatzabbau.
Abbildung 1
Industrielle Wertschöpfung
Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Reihe 2, Kreisergebnisse Bd. 1, Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den kreisfreien Städten und Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland 1992 und 1994 bis 2016 (2018), http://www.vgrdl.de/VGRdL/tbls/?lang=de-DE (11.11.2018); eigene Berechnungen.
In den letzten Jahren ist der Industrieanteil in der Metropolregion gemessen anhand der Beschäftigung und des Wertschöpfungsbeitrags weiter abgesunken, während das Ruhrgebiet im Jahr 2000 mit einem Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung von 20,3 % noch einen Industrialisierungsgrad aufwies, der deutlich höher war als in den großen kreisfreien Städten und den sieben Metropolregionen. Am aktuellen Rand zeigt sich ein weiterer Rückgang des industriellen Wertschöpfungsbeitrags auf nur noch gut 16 %, womit nicht nur der stabil hohe Wert für Gesamtdeutschland, sondern auch der niedrigere durchschnittliche Bruttowertschöpfungsbeitrag in den Metropolregionen und den großen kreisfreien Städten unterschritten wird (vgl. Abbildung 1). Dabei weisen insbesondere die großen städtischen Zentren wie Essen, Dortmund oder Bochum nur noch eine geringe Industriedichte auf, während der Industriebesatz in den Landkreisen wie dem Ennepe-Ruhr-Kreis noch höher ausfällt.
Entwicklung von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit
Die Entwicklung der Erwerbstätigkeit ist im Ruhrgebiet seit 2000 und besonders seit der Trendwende auf dem gesamtdeutschen Arbeitsmarkt infolge der Arbeitsmarktreformen 2005 deutlich hinter jener der anderen Metropolregionen und der des gesamtdeutschen Arbeitsmarkts zurückgeblieben. Deutschlandweit ist die Erwerbstätigkeit seit 2000 um ca. 8 % angestiegen. In den sieben großen deutschen Metropolräumen betrug der Anstieg insgesamt sogar etwa 11 %, er lag damit noch etwas höher als in den 70 kreisfreien Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern. Im Ruhrgebiet nahm die Erwerbstätigkeit im gleichen Zeitraum dagegen mit einem Anstieg von 3 % nur verhalten zu. Aktuell gibt es hier ca. 2,3 Mio. Erwerbstätige und eine – bezogen auf die Gesamtbevölkerung – unterdurchschnittliche Erwerbsquote von 45 %. Am kräftigen Arbeitsmarktaufschwung der urbanen Regionen seit 2000 war das Ruhrgebiet damit praktisch nicht beteiligt.
Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit verlief spiegelbildlich zur Zunahme der Beschäftigung (vgl. Abbildung 2). Allerdings war der deutschlandweite Rückgang der registrierten Arbeitslosigkeit seit der reformbedingten Trendwende 2005 aufgrund von Zuwanderung und Auflösung der stillen Reserve etwas verhaltener, als es der anhaltende Beschäftigungsboom erwarten ließe. Trotzdem sank die Arbeitslosenquote in Deutschland von 11 % 2005 auf 5,6 % 2017.2
Abbildung 2
Entwicklung der Arbeitslosigkeit
Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Reihe 2, Kreisergebnisse Bd. 1, Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den kreisfreien Städten und Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland 1992 und 1994 bis 2016 (2018), http://www.vgrdl.de/VGRdL/tbls/?lang=de-DE (11.11.2018); eigene Berechnungen.
Auch im Ruhrgebiet ist die Arbeitslosigkeit seit 2005 deutlich gefallen; 2005 waren hier noch mehr als 14 % der Erwerbspersonen betroffen. Die Arbeitslosenquote lag in der Region im Zeitverlauf aber konstant an der Spitze der untersuchten Regionstypen. Zwar sank sie bis 2008 ähnlich wie in Deutschland insgesamt kräftig, seither aber nur noch verhalten. Der kurzzeitige landesweite Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Rezession von 2009 fiel im Ruhrgebiet unterdurchschnittlich aus; dies gilt aber auch für den erneuten Rückgang ab 2010. 2017 betrug die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet immer noch 10 %, weit mehr als in den Vergleichsregionen und in Deutschland insgesamt.
Dabei gibt es durchaus eine erhebliche Differenzierung zwischen den Kreisen des Ruhrgebiets. Mit einer Arbeitslosenquote von 12,3 % wies Gelsenkirchen im November 2018 die deutschlandweit höchste Quote auf, während der Ennepe-Ruhr-Kreis nur 5,4 % Arbeitslose verzeichnete.3 Da insgesamt noch vier Kreise die 10 %-Marke überschreiten und die drei großen Städte hohe Werte aufweisen, liegt die Gesamtquote im Spätherbst 2018 immer noch bei ca. 9 %. Auch das Ruhrgebiet profitiert am aktuellen Rand jedoch zunehmend vom Arbeitsmarktboom in Deutschland. Eine Kehrseite dieser positiven Entwicklung ist, dass die Region trotz einer insgesamt noch hohen Unterbeschäftigung zunehmend vom Fachkräftemangel betroffen ist, da arbeitsuchende Fachkräfte eine höhere Mobilität als gering qualifizierte Arbeitslose aufweisen.4
Ruhrgebiet im Kontext der deutschen Ballungsräume
Nachdem im Ruhrgebiet mit der Kohlekrise 1958/1959 die ersten wirtschaftsstrukturellen Probleme nach Gründung der Bundesrepublik auftraten, hat in der Region eine ökonomische Abwärtsspirale eingesetzt, die bislang trotz diverser strukturpolitscher Eingriffe nicht gestoppt werden konnte.5 Inzwischen belegt das Ruhrgebiet mit einem BIP von nur 32 500 Euro je Einwohner (2016) den letzten Platz unter den sieben großen Metropolräumen, während die Region München mit ca. 63 700 Euro die Rangliste anführt (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3
Entwicklung der Wirtschaftskraft in den Metropolregionen 2000 und 2016
Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Reihe 2, Kreisergebnisse Bd. 1, Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung in den kreisfreien Städten und Landkreisen der Bundesrepublik Deutschland 1992 und 1994 bis 2016 (2018), http://www.vgrdl.de/VGRdL/tbls/?lang=de-DE (11.11.2018); eigene Berechnungen.
Aber auch den deutschen Durchschnittswert von 38 180 Euro BIP je Einwohner unterschreitet das Ruhrgebiet um 15 %.6 Der Rückstand gegenüber den anderen Metropolräumen konnte seit 2000 leicht verringert werden, was allerdings überwiegend an der ungünstigen Bevölkerungsentwicklung lag.
Die unterdurchschnittliche Wirtschaftskraft und überdurchschnittliche Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet werden durch weitere Indikatoren unterlegt, die die strukturellen Probleme verdeutlichen. So ist der Anteil der Beschäftigten mit Hochschulabschluss oder einer vergleichbaren Qualifikation mit 12,5 % weit niedriger als in anderen urbanen Regionen Deutschlands. In den sieben großen Metropolregionen hat ein Fünftel der Beschäftigten einen höheren Bildungsabschluss und in den 70 größten kreisfreien Städten liegt der Anteil sogar noch etwas darüber.7 Auch die Betreuungsquote für Kinder im Vorschulalter ist im Ruhrgebiet stark unterdurchschnittlich, was mit einer niedrigen Frauenerwerbsbeteiligung korrespondiert. Die wenig innovationsorientierte Wirtschaftsstruktur wird an dem geringen Stellenanteil in der Forschung und Entwicklung (FuE) deutlich: Mit nur 3,5 FuE-Beschäftigten je 1000 Beschäftigte liegt das Ruhrgebiet weit hinter den sieben großen Metropolregionen des Landes, wo der entsprechende Wert 10,5 beträgt. Auch der bundesweite Durchschnitt der FuE-Personalintensität von 7,8 wird erheblich unterschritten.8
Die umfangreichen strukturellen Probleme des Ruhrgebiets haben sowohl strukturpolitische Hilfen der Landesregierung Nordrhein-Westfalens als auch regionalpolitische Fördermaßnahmen des Bundes und der EU nach sich gezogen. Die Voraussetzungen für eine Einbeziehung in die bundesdeutsche Regionalpolitik (vgl. Kasten 1) waren jedoch mit Einsetzen des Strukturwandels Ende der 1950er Jahre zunächst noch nicht gegeben.
Regional- und Strukturpolitik im Ruhrgebiet
Nach der Kohlekrise Ende der 1950er Jahre beschloss die nordrhein-westfälische Landesregierung erste strukturpolitische Maßnahmen zur Stärkung des Ruhrgebiets. Da es sich bei der Montanregion jedoch zu dieser Zeit noch um eine relativ wohlhabende Region handelte, war sie kein Zielgebiet der Regionalpolitik der Bundesebene, die auf die Stärkung der Wirtschaftsstruktur in strukturschwachen ländlichen Regionen abzielte. Dies wurde ab 1959 durch das „Entwicklungsprogramm für Zentrale Orte in ländlich schwach strukturierten Gebieten“ angestrebt, dem Vorläuferprogramm der bis heute praktizierten Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW). Ein bundesweites Programm für die Unterstützung des Strukturwandels in Industrieregionen gab es zu dieser Zeit noch nicht. Im Fokus der landespolitischen Maßnahmen standen der Ausbau der Hochschullandschaft und Wirtschaftsansiedlungen außerhalb des Montansektors. Die Gründung der Ruhruniversität Bochum und der Technischen Universität Dortmund wurden 1961 und 1962 beschlossen, 1960 konnte auch die Ansiedlung eines Werks des Autoherstellers Opel in Bochum vereinbart werden.9 Die strukturpolitischen Maßnahmen zugunsten der Montanregion schienen damit vielversprechend zu starten.
Mit der „Integrierten Strukturpolitik“ präsentierte die Landesregierung Nordrhein-Westfalens 1966 ein erstes strukturpolitisches Gesamtkonzept. Auch hier standen der weitere Ausbau der Bildungsinfrastruktur sowie die Ansiedlung von Industriebetrieben als Ersatz für wegfallende Arbeitsplätze in der Montanindustrie im Zentrum der Bemühungen.10 Die Ansiedlung neuer Wirtschaftszweige außerhalb des Kohle- und Stahlbereichs verlief jedoch trotz des frühen Erfolgs mit dem Opelwerk in Bochum sehr zögerlich. Das Ruhrgebiet war dank der guten Bezahlung im Bergbau und in der Stahlindustrie eine Hochlohnregion, was Neuansiedlungen ebenso wie Unternehmensgründungen behinderte. Zudem standen die Stakeholder der Montanindustrie der Ansiedlung anderer Branchen, die Erwerbsalternativen boten, reserviert gegenüber.11 Infolge der Rezession 1967 nahmen die Strukturprobleme im Ruhrgebiet weiter zu, da die monostrukturelle Ausrichtung eine hohe Konjunkturabhängigkeit bewirkte. Als Antwort beschloss die nordrhein-westfälische Landespolitik 1968 das „Entwicklungsprogramm Ruhr“, das ein Investitionsvolumen von 17 Mrd. DM über einen Zeitraum von fünf Jahren vorsah.
Kasten 1
Die deutsche Regionalpolitik
Die Regionalpolitik in Deutschland ist als eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern ausgestaltet, da sie sowohl einer bundesweiten Koordinierung und Finanzierung als auch einer kleinräumigen Umsetzung in den einzelnen Regionen mit Entwicklungsrückstand bedarf. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse wird in Art. 72 Abs. 2 Grundgesetz als Bundesaufgabe festgelegt, während Art. 91a Grundgesetz die Regionalförderung als eine Gemeinschaftsaufgabe definiert, die von Bund und Ländern im föderalen Staat kooperativ zu leisten ist: die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GRW). Die Finanzierung erfolgt hälftig durch den Bund und das jeweils betroffene Bundesland. Hauptziel ist der Abbau interregionaler Einkommensunterschiede und die Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Förderung von regionalen Investitionen der Privatwirtschaft. Hierzu werden Unternehmen mit überregionalem Absatz – also vorwiegend der Industrie – Investitionszuschüsse gewährt. Ergänzend werden auch wirtschaftsnahe kommunale Investitionen wie etwa die Anbindung von Gewerbegebieten und die Errichtung von Berufsschulen bezuschusst.1
Die Abgrenzung der Fördergebiete erfolgt auf Basis eines zusammengesetzten Indikators, mit dem die 258 deutschen Arbeitsmarktregionen in eine Rangfolge gebracht werden. Der Indikator enthält die Arbeitslosenquote, die mit 45 % dominiert, und den durchschnittlichen Bruttolohn eines Basiszeitraums sowie – mit einem geringen Einfluss von jeweils 7,5 % – einen Infrastrukturindikator und eine Beschäftigungsprognose.2 Im weiteren Verfahren der Gebietsfestlegung werden die GRW-Förderregionen aber sehr kleinräumig auf Kreis- und teilweise auf Gemeindeebene bestimmt, um den von der EU vorgegebenen Bevölkerungsplafond von 25,8 % der deutschen Bevölkerung einzuhalten und gleichzeitig möglichst viele Regionen mit Entwicklungsrückstand und Strukturproblemen in die Förderkulisse aufnehmen zu können.
- 1 Vgl. G. Untiedt et al.: Aufgaben, Struktur und mögliche Ausgestaltung eines gesamtdeutschen Systems zur Förderung von strukturschwachen Regionen ab 2020 (2016), in: Gesellschaft für Finanz- und Regionalanalysen (GEFRA), Ruhr-Forschungsinstitut für Innovations- und Strukturpolitik (RUFIS) (Hrsg.): Gutachten für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, 31.3.2016; sowie P. Klemmer: Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Zwischenbilanz einer Erscheinungsform des kooperativen Föderalismus, in: Dezentralisierung des politischen Handelns (III), Forschungsberichte der Konrad-Adenauer-Stiftung, Bd. 61, Melle 1987, S. 299 ff.
- 2 Vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Energie: Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ab 4.8.2016, https://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/J-L/koordinierungsrahmen-gemeinschaftsaufgabe-verbesserung-regionale-wirtschaftsstruktur-ab-010714,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf (4.10.2018).
Mit dem „Nordrhein-Westfalen-Programm 1975“ stellte die Landesregierung 1970 ein weiteres Programm auf, das mit Investitionen in Infrastrukturen und Hochschulen sowie einer Förderung von Ansiedlungen den Strukturwandel im gesamten Bundesland vorantreiben sollte. Mit einem Volumen von 31 Mrd. DM wurde das Entwicklungsprogramm Ruhr, das im neuen Programm aufging, noch deutlich übertroffen.12 Aufgrund des wirtschaftlichen Einbruchs infolge der Ölkrise 1973 konnte dieses Programm jedoch nicht mehr abgeschlossen werden, da die Mittel hierfür fehlten.13
Kritik an der Landesstrukturpolitik
Beim Blick auf die umfangreichen Landesinvestitionsprogramme und die dadurch angestoßene Entwicklung im Ruhrgebiet fällt eine erhebliche Diskrepanz auf: Die für die damalige Zeit hohen Programmvolumina führten nicht zu entsprechenden positiven Wirkungen. Dies könnte zumindest zum Teil an fragwürdigen Programmzielen gelegen haben. Infolge der Ölkrise 1973 wurde dem Steinkohlebergbau eine neue Zukunft prognostiziert, was sich als eine strukturpolitische Fehleinschätzung erwies. Dieser Irrtum bewirkte, dass anstelle von Investitionen in den Strukturwandel hin zu neuen Branchen mehr Mittel in die Effizienzsteigerung und Umweltverträglichkeit der kohlebasierten Montanindustrie gelenkt wurden. Die meisten Programme der Periode hatten Strukturverbesserungen in den Sektoren Bergbau, Energie und Stahl zum Ziel, allein das „Technologieprogramm Wirtschaft“ von 1978 war auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen ausgerichtet.14 Mit dem neuerlichen Fall des Ölpreises in den 1980er Jahren und der Einfuhr günstiger Importkohle kam der Steinkohlebergbau – bis zu seiner Einstellung Ende 2018 – nie mehr ohne Subventionen aus.
Neben dem Aufbau von Universitäten und Hochschulen sowie der (weniger erfolgreichen) Förderung von Ansiedlungen in neuen Branchen wurden über Jahrzehnte auch Investitionen und Beschäftigung im Bergbau und der Eisen- und Stahlindustrie gefördert, um die vorhandene Industrie zu erhalten und den Strukturwandel sozial abzufedern. Dadurch wurde ein großer Teil der verfügbaren Mittel nicht zukunftsorientiert verwendet, was den Rückstand des Ruhrgebiets in innovativen Branchen, bei hochqualifizierten Beschäftigten und auch bei Unternehmensgründungen mit erklären kann.15
In den 1980er Jahren hatte die Wirtschaftskraft des Ruhrgebiets durch die anhaltenden strukturellen Probleme derart gelitten, dass die Region nicht mehr überdurchschnittlich wohlhabend war. Erstmals kam das Ruhrgebiet daher auch in den Genuss der GRW-Förderung und damit der „eigentlichen“ Regionalpolitik, allerdings nur im Rahmen eines Sonderprogramms für altindustrialisierte Regionen im Strukturwandel.16 Hier wurden im Gegensatz zu den früheren strukturpolitischen Programmen des Landes deutlich weniger Mittel eingesetzt, da der ländliche Zonenrand bis zur Wiedervereinigung weiterhin Hauptziel der GRW blieb. Erschwert wird eine Koordination der eingesetzten Instrumente bis heute aber auch dadurch, dass nur wenige Städte im Ruhrgebiet zur Gänze Fördergebiet in der GRW oder im Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) sind. „Aufgrund der vielfältigen Restriktionen, die das EU-Beihilferecht der Wirtschaftsförderung setzt, ist eine Unterstützung ‚aus einem Guss‘ in der Gesamtregion Ruhrgebiet nicht möglich“.17
Koordination raumwirksamer Politiken
Viele struktur- und regionalpolitische Maßnahmen im Ruhrgebiet laufen und liefen nicht ausreichend koordiniert ab, was möglicherweise Synergiepotenziale einer besseren Verzahnung unterschiedlicher Programme verschenkt. 1987 starteten Bund und Länder die „Zukunftsinitiative Montanregionen“, um die verschiedenen strukturpolitischen Förderprogramme und weitere regional wirksame Maßnahmen in den vom Strukturwandel betroffenen Montanregionen an der Ruhr und im Saarland besser zu koordinieren. In der Zukunftsinitiative wurde durch die Einbeziehung von Technologie- und Innovationsförderung, Qualifizierungsmaßnahmen, Infrastrukturen sowie Umweltinvestitionen ein – prinzipiell zukunftsweisendes – integriertes regionales Gesamtkonzept erarbeitet.18 Eine Trendwende gelang im Ruhrgebiet hierdurch jedoch nicht, was zumindest teilweise auf die generelle Neuausrichtung der regionalen Wirtschaftspolitik mit der deutschen Wiedervereinigung nur drei Jahre später zurückzuführen sein könnte: Der politische und finanzielle Fokus richtete sich nun auf Ostdeutschland.
Infolge der Wiedervereinigung 1990 und des gravierenden Strukturbruchs in der ehemaligen DDR kam es zu einer deutlichen Kürzung von Mitteln für westdeutsche Regionen, die auch die Hilfen für das Ruhrgebiet betraf. Es standen zwar weiterhin GRW-Mittel und Strukturmittel der EU zur Verfügung, allerdings in weit geringerem Umfang als in Ostdeutschland. Noch gravierender wirkte sich zudem die Verlagerung von Infrastrukturinvestitionen des Bundes in die ostdeutschen Länder aus, denn wichtige Verkehrsadern des Ruhrgebiets wie die A52 oder der Ruhrschnellweg A40 wurden bis heute nicht vollendet bzw. bedarfsgerecht ausgebaut. Problemverschärfend kommt hinzu, dass auch das Land Nordrhein-Westfalen aufgrund seiner finanziellen Probleme seine Infrastrukturausgaben zurückfuhr, wodurch das Landes- und Kommunalstraßennetz verfiel. Angesichts der sehr hohen Belastung des Straßennetzes im Ruhrgebiet kommt es zu schwerwiegenden Engpässen, die überlasteten Verkehrswege stellen einen „Flaschenhals“ der Regionalentwicklung dar. Hierdurch gelingt es der Region nicht (mehr), ihre eigentlich vorhandene günstige Lage auszunutzen.19
Wahrnehmung und Wirklichkeit driften auseinander
Auch wenn die nordrhein-westfälische Landesregierung jüngst eine Ruhr-Konferenz initiiert hat, um die vielfältigen Problemlagen des größten deutschen Ballungsraums zu adressieren,20 richtet sich die bundespolitische Aufmerksamkeit offenbar eher auf andere regionale Problemlagen, wie etwa vor dem Hintergrund des geplanten Braunkohleausstiegs auf dünn besiedelte Tagebauregionen. Die Diskussion um angeblich abgehängte ländliche Regionen hat zuletzt an Intensität gewonnen, während sich die realen Strukturprobleme zunehmend in die Städte verschieben. Dies zeigen neben der unterschiedlichen Entwicklung der Arbeitslosenquoten auch weitere Indikatoren wie die kaufkraftbereinigte regionale Armutsgefährdung.21 Die ländlichen Regionen Deutschlands weisen hingegen seit 2000 eine wirtschaftliche Konvergenz zu den urbanen Regionen auf.22 Auch die Arbeitslosigkeit ist in ländlich strukturierten Kreisen stark rückläufig, in vielen Regionen nicht nur in Süddeutschland herrscht bereits Arbeitskräftemangel. Nur wenige peripher gelegene Regionen können als „abgehängt“ eingestuft werden, das Hauptproblem auf dem Land ist die vielerorts – auch in wirtschaftsstärkeren Regionen – ungünstige demografische Entwicklung.
Das Ruhrgebiet und weitere Städte mit Strukturproblemen wie Bremerhaven oder Kaiserslautern weisen hingegen weiterhin eine hohe Arbeitslosigkeit auf, vielfach sind die Einkommen hier kaufkraftbereinigt sogar niedriger als auf dem Land. Es gibt also gravierende Gründe, regionale Fördermaßnahmen zukünftig verstärkt auf urbane Regionen mit Strukturproblemen zu fokussieren.
Regional- und strukturpolitische Lösungsansätze
Im Rahmen der geplanten Neuordnung der GRW-Förderung nach 2020 mit einem Auslaufen des regionalpolitischen Fokus auf den ostdeutschen Bundesländern ist zwar prinzipiell eine höhere Mittelverfügbarkeit für westdeutsche Regionen mit Strukturproblemen zu erwarten. Angesichts des überschaubaren Volumens der GRW-Förderung von aktuell nur etwa 1,25 Mrd. Euro pro Jahr für alle deutschen Förderregionen – mit ihren ca. 21,5 Mio. Einwohnern bei einem Bevölkerungsplafonds von 25,8 % – dürfte von einer derartigen partiellen Umschichtung jedoch keine Initialzündung im Ruhrgebiet ausgehen. Aus diesem Grund sollte zur Erschließung regionalpolitischer Synergien auf eine gute Koordination und Verzahnung aller verfügbaren Fördermaßnahmen von der nationalen GRW-Förderung über europäische Programme wie den EFRE und den Europäischen Sozialfonds (ESF), die Städtebauförderung, Fortbildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit,23 die FuE-Förderung sowie Gründungsförderung hingearbeitet werden, um endlich eine Trendwende zum Positiven im Ruhrgebiet einleiten zu können.
Zudem sollte das Augenmerk auch auf den schnellen Ausbau der Digitalinfrastruktur, die Verfügbarkeit von Gewerbeflächen und nicht zuletzt die Kommunalfinanzen gerichtet werden. Im Bereich der Digitalisierung weist das Ruhrgebiet keinen nennenswerten Rückstand gegenüber vergleichbaren Regionen auf, sodass die bereits vorhandenen Potenziale hier eine gute Basis für eine weitere Stärkung bilden.24 Die vielfach überschuldeten Ruhrgebietskommunen haben keine freie Finanzspitze für notwendige Investitionen und damit auch keine Möglichkeit, ihre weit überdurchschnittlichen Gewerbesteuerhebesätze zu senken, um die Bedingungen für die lokale Wirtschaft zu verbessern. Hier könnte eine Teilentschuldung unter engen Auflagen der zukünftigen Mittelverwendung die ökonomischen Standortbedingungen verbessern.
- 1 Vgl. K.-H. Röhl et al.: Die Zukunft des Ruhrgebiets. Wirtschaftliche Lage und Potenziale des größten deutschen Ballungsraumes, Gutachten, 15.10.2018, S. 5, https://www.iwkoeln.de/studien/gutachten/beitrag/klaus-heiner-roehl-alexander-burstedde-barbara-engels-hanno-kempermann-thomas-puls-christopher-thiele-wirtschaftliche-lage-und-potenziale-des-groessten-deutschen-ballungsraumes.html (21.11.2018).
- 2 Da hier die Werte der 401 Kreise aggregiert wurden, können sich leichte Abweichungen zur Statistik für Deutschland ergeben. Aufgrund mangelnder Datenverfügbarkeit wurde nicht 2000 als Ausgangsjahr gewählt.
- 3 Vgl. Bundesagentur für Arbeit: Statistik nach Regionen. Bund, Länder und Kreise, 2018, https://statistik.arbeitsagentur.de/Navigation/Statistik/Statistik-nach-Regionen/Politische-Gebietsstruktur/Nordrhein-Westfalen-Nav.html (29.11.2018).
- 4 Vgl. S. Hillmert: Mobilität am Arbeitsmarkt und regionale Disparitäten, in: K.-S. Rehberg, Deutsche Gesellschaft für Soziologie (Hrsg.): Soziale Ungleichheit, kulturelle Unterschiede: Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München, Teilbd. 1 und 2, Frankfurt a. M. 2006, S. 3391-3401.
- 5 Vgl. K.-H. Röhl et al., a. a. O.
- 6 Für eine urbane Region ist dies sehr ungewöhnlich, in Deutschland aber nicht einmalig: Auch die Hauptstadtregion unterschreitet den deutschen Durchschnittswert, allerdings nur um etwa 3 %.
- 7 Vgl. K.-H. Röhl et al., a. a. O., S. 23.
- 8 Ebenda, S. 34.
- 9 Vgl. o. V.: Ansiedlung: Was Opel nützt, in: Der Spiegel, Nr. 41, 1960, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-43066975.html (26.10.2018); sowie Prognos: Lehren aus dem Strukturwandel im Ruhrgebiet für die Regionalpolitik, in Zusammenarbeit mit dem InWIS-Institut, Autoren: O. Arndt et al.: Gutachten im Auftrag des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, 2015.
- 10 Vgl. K.-H. Röhl et al., a. a. O., S. 13.
- 11 Vgl. o. V.: Ansiedlung: Was Opel nützt, a. a. O.
- 12 Vgl. Prognos, a. a. O., S. 100.
- 13 Vgl. K.-H. Röhl et al., a. a. O., S. 12.
- 14 Vgl. Prognos, a. a. O., S. 102.
- 15 Vgl. K.-H. Röhl et al., a. a. O., S. 12.
- 16 Vgl. Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Arbeitsplätze im Wettbewerb, Jahresgutachten 1988/89, Deutscher Bundestag, Drucksache 11/34781988, S. 183 ff.
- 17 Vgl. H. Lesch et al.: Marktwirtschaftliche Reformen in Nordrhein-Westfalen – Handlungsfelder für Fortschritt und Wachstum, Gutachten für die FDP Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen, Köln 2014, S. 43.
- 18 Vgl. G. Untiedt et al.: Aufgaben, Struktur und mögliche Ausgestaltung eines gesamtdeutschen Systems zur Förderung von strukturschwachen Regionen ab 2020 (2016), in: Gesellschaft für Finanz- und Regionalanalysen (GEFRA), Ruhr-Forschungsinstitut für Innovations- und Strukturpolitik (RUFIS) (Hrsg.): Gutachten für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, 31.3.2016, S. 92.
- 19 Vgl. K.-H. Röhl et al., a. a. O., S. 42 ff.
- 20 Vgl. Landesportal NRW: Landesregierung startet Ruhr-Konferenz – Signal für den Aufbruch, 31.8.2018, https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/landesregierung-startet-ruhr-konferenz-signal-fuer-den-aufbruch (29.11.2018).
- 21 Vgl. K.-H. Röhl, C. Schröder: Regionale Armut in Deutschland – Risikogruppen erkennen, Politik neu ausrichten, IW Analysen, Nr. 113, Köln 2017.
- 22 Vgl. K.-H. Röhl: Regionale Konvergenz: Der ländliche Raum schlägt sich gut, in: Wirtschaftsdienst, 98. Jg. (2018), H. 6, S. 433-438, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2018/6/regionale-konvergenz-der-laendliche-raum-schlaegt-sich-gut/ (23.1.2019).
- 23 Konkret könnten Städtebaufördermittel neben der Stadtteilaufwertung und Förderung von Stadtteilinitiativen auch zur Eröffnung von Gründerzentren genutzt werden. Gleichzeitig könnte die Bundesagentur für Arbeit regional eine Gründungsfortbildung für junge Arbeitslose finanzieren und Gründungen wieder – wie vor 2012 – stärker unterstützen; eventuell mit einer Begrenzung auf Problemregionen mit stark überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit.
- 24 Vgl. K.-H. Röhl et al., a. a. O., S. 37 f.