Weltweit diskutieren Wissenschaftler und Politiker sowie Vertreter von Wettbewerbsbehörden und Finanzmarktregulierern die Bedeutung indirekter Unternehmensverflechtungen über institutionelle Anleger für den Wettbewerb zwischen den verflochtenen Unternehmen. Das Risikopotenzial ergibt sich daraus, dass aus Sicht eines Miteigentümers ein Wettbewerb auf Kosten eines Konkurrenten unattraktiver wird, falls der Miteigentümer auch bei diesem Konkurrenten beteiligt ist. Die erwogenen Maßnahmen zur Eindämmung dieses Risikopotenzials mögen bislang hinsichtlich ihrer Effektivität und Umsetzbarkeit unausgereift erscheinen, die Diskussion über diese Maßnahmen ist dennoch notwendig. Steht doch nicht weniger als die Funktionsfähigkeit der wichtigsten Grundlage der sozialen Marktwirtschaft zur Disposition.
Wie wirkt es sich auf die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft aus, wenn eine Handvoll Finanzinvestoren weltweit an nahezu jedem großen Unternehmen beteiligt ist? Diese Frage stellen sich international derzeit Wirtschaftswissenschaftler und -politiker in Bezug auf das Beteiligungsnetz von großen Finanzinvestoren, wie etwa der Vermögensverwalter BlackRock, Vanguard und State Street. In Deutschland erinnern derartige Eigentümerverflechtungen an Zeiten der „Deutschland AG“ bis Ende der 1990er Jahre, die von einem engen kapitalmäßigen und personellen Verflechtungsnetzwerk deutscher Großunternehmen, auch über Finanzinstitutionen, geprägt war. Seither haben zwar die Verflechtungen zwischen deutschen Großunternehmen deutlich abgenommen, wie Abbildung 1 zeigt. Gleichzeitig haben die Kapitalbeteiligungen institutioneller Investoren zugenommen – mittlerweile halten diese knapp 62 % des gesamten DAX30-Aktienkapitals.1 Die mit etwa 62 Mrd. US-$ mit Abstand am umfangreichsten im DAX investierte Investorengruppe ist dabei der weltweit größte Vermögensverwalter BlackRock. Insgesamt hält die BlackRock-Gruppe über 10 % des gesamten DAX-Kapitals (vgl. Abbildung 2).
Mit dem Anstieg institutioneller Unternehmensbeteiligungen hat sich auch das Ausmaß einer indirekten Horizontalverflechtung über institutionelle Investoren vergrößert. Eine indirekte Horizontalverflechtung beschreibt eine Eigentümerkonstellation, in der ein Anteilseigner gleichzeitig Beteiligungen an konkurrierenden Unternehmen hält. Im Englischen wird eine solche Eigentümerkonstellation Common Ownership genannt. So beträgt beispielsweise der Kapitalanteil von BP und Shell, der von Anteilseignern gehalten wird, die gleichzeitig an allen großen Konkurrenten beteiligt sind, etwa 45 % (vgl. Abbildung 3). Ähnlich sieht es bei den großen europäischen Telekommunikationsanbietern aus: An sechs Anbietern sind institutionelle Investoren hier mit deutlich über 10 % beteiligt, die gleichzeitig an allen anderen großen Anbietern Anteile halten (vgl. Abbildung 4).
Abbildung 1
Entwicklung der Verflechtungen zwischen den Top-100-Unternehmen in Deutschland
1 Zwei Unternehmen gelten als personell verbunden, wenn ein oder mehrere Vorstandsmitglieder eines Unternehmens in den Aufsichtsrat des anderen Unternehmens entsendet sind (oder anders herum), oder falls eine Verbindung über Mehrfachmandate in den Aufsichtsräten beider Unternehmen vorliegt. 2 Als Finanzunternehmen sind Banken und Versicherungen berücksichtigt (1978 nur Banken).
Quelle: eigene Darstellung nach Daten der Monopolkommission.
Derartige Eigentümerkonstellationen werden insbesondere aus einer wettbewerbsökonomischen Perspektive als potenziell problematisch angesehen. Grund hierfür ist, dass Unternehmen mit gemeinsamen Anteilseignern Anreize zu weniger intensivem Wettbewerb haben könnten und ein koordiniertes Verhalten der Unternehmen vereinfacht werden könnte. Während die wettbewerblichen Schadenstheorien noch diskutiert werden und die wirtschaftswissenschaftliche Forschung in diesem Bereich noch am Anfang steht, werden mögliche Effekte von Common Ownership bereits im Rahmen von Fusionskontrollverfahren durch Kartellbehörden berücksichtigt, wie beispielsweise von der Europäischen Kommission in den Fällen Dow/DuPont und Bayer/Monsanto.2 Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager setzte indirekte Unternehmensverflechtungen über institutionelle Investoren 2018 als wichtiges Thema auf die wettbewerbspolitische Agenda und der Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europaparlaments entschied jüngst eine eigene wissenschaftliche Untersuchung zum Thema in Auftrag zu geben, mit deren Ergebnissen gegen Ende 2019 zu rechnen sein wird.3 Auch führten sowohl die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als auch die US-amerikanische Wettbewerbsaufsicht Federal Trade Commission (FTC) kürzlich Anhörungen zum Thema durch, bei der auch eine Reihe von Vorschlägen zu (wettbewerbs-)rechtlichen und regulatorischen Maßnahmen diskutiert wurden.4
Abbildung 2
Die 20 größten Investorengruppen mit Kapitalbeteiligung im DAX
Anmerkung: Stand Dezember 2017.
Quelle: Deutscher Investor Relations Verband und Ipreo.
Im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags zur Konzentrationsberichterstattung für Deutschland hat die Monopolkommission der Bundesregierung im Juli 2018 ihren Bericht zur wettbewerblichen Bedeutung institutioneller Investoren vorgelegt.5 Darin kommt die Monopolkommission erneut zu dem Ergebnis, dass indirekte Unternehmensverflechtungen über institutionelle Investoren – trotz deren rechtlich stark eingeschränkten direkten Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftspolitik der Unternehmen, an denen sie Kapitalanteile halten (Portfoliounternehmen) – ein wettbewerbliches Problempotenzial darstellen und würdigt die derzeit diskutierten Handlungsvorschläge.6
Anreize zur Wettbewerbsverzerrung bestehen
Hat ein Finanzinvestor ein finanzielles Interesse an mehreren Wettbewerbern eines Marktes, so können für die Portfoliounternehmen in diesem Markt Anreize bestehen, das Verhalten am Markt zu koordinieren oder einseitig auf intensiven Wettbewerb zu verzichten. Wettbewerb auf Kosten eines anderen Unternehmens wird unattraktiver, wenn man auch bei diesem Unternehmen beteiligt ist. Bei der konzeptionellen Analyse möglicher Wirkungskanäle, über die indirekte Horizontalverflechtungen dem Wettbewerb schaden könnten, wird in der Regel auf die in der Fusionskontrolle angewendete Unterscheidung nach koordinierten und nicht-koordinierten bzw. unilateralen Effekten zurückgegriffen.7
Unilaterale Effekte
Unter unilateralen Effekten einer Marktstrukur(-veränderung) auf das Marktergebnis werden im Allgemeinen Auswirkungen verstanden, die durch einseitig getroffene Unternehmensentscheidungen verursacht werden und keiner Verhaltenskoordination von Wettbewerbern untereinander bedürfen. Ein Unternehmen, das über institutionelle Investoren mittelbar mit seiner Konkurrenz verbunden ist, würde die Auswirkungen seines Handelns auf den Erfolg der Konkurrenz berücksichtigen, wenn es im Rahmen einer Shareholder-Value-Strategie beabsichtigt, die Rendite seiner Anteilseigner zu maximieren. Denn institutionelle Investoren, die innerhalb eines Marktes diversifiziert sind, haben eher ein Interesse an der Entwicklung der Gesamtmarktrendite als an der Entwicklung der Rendite einzelner Unternehmen. Wie wichtig diese Internalisierung der Konkurrenzgewinne ist, kann dabei unter anderem von der Höhe der gehaltenen Kapitalanteile bzw. der Gewinnbeteiligung und von dem Gewicht abhängen, das diversifizierten Investoren unter den Anteilseignern eines Unternehmens zukommt.
Abbildung 3
Anteile diversifizierter Investoren an Mineralölkonzernen
Anmerkung: Berücksichtigt sind die fünf umsatzstärksten Mineralölkonzerne mit Tankstellennetz in Deutschland. Stand Januar 2018. Die farbliche Markierung gibt an, welcher Anteil der institutionellen Investoren an wievielen der fünf Unternehmen beteiligt ist.
Quelle: Monopolkommission: XXII. Hauptgutachten, Wettbewerb 2018, Baden-Baden 2018.
Ein zusätzlicher Verhaltensspielraum würde einem Unternehmen durch indirekte Horizontalverflechtung z. B. dann entstehen, wenn sich ohne die Internalisierung der Konkurrenzgewinne eine Preiserhöhung (durch eine sinkende Nachfrage) negativ auf die eigenen Gewinne auswirken würde, bei indirekter Horizontalverflechtung dieser Verlust jedoch durch die zusätzlichen Gewinne der Konkurrenz überkompensiert würde.8
Möglicherweise wird jedoch das Interesse diversifizierter Investoren an der Gesamtmarktrendite, wie es sich von einer durch indirekte Horizontalverflechtungen geprägten Marktstruktur ableiten lässt, von entgegenstehenden Interessen überlagert. Beispielsweise können institutionelle Investoren gleichzeitig auf mehreren Wertschöpfungsstufen diversifiziert sein. Ist dies der Fall, könnten diversifizierte Anleger zwar von höheren Preisen aufgrund mangelnden Wettbewerbs auf einer Wertschöpfungsstufe profitieren. Diese würden sich jedoch zuungunsten der Rendite in nachgelagerten Wirtschaftsbereichen auswirken. Dieses Argument gilt allerdings nicht bei Endkundenmärkten. Weiterhin könnte das Ausbleiben intensiven Wettbewerbs die Innovationsstärke einer Branche beeinträchtigen und damit langfristig zu niedrigeren Gewinnmargen führen. Es liegen jedoch auch Untersuchungen vor, die einen positiven Einfluss indirekter Horizontalverflechtungen auf Innovationen nahelegen.9 Die Interessenheterogenität unter Endanlegern – in deren Auftrag institutionelle Investoren Unternehmensbeteiligungen halten – kann indes nicht überzeugen, von der Annahme einer weitgehend an der Gesamtmarktrendite interessierten Kundschaft abzusehen.
Koordiniertes Verhalten
Die Marktstruktur, und eine indirekte Horizontalverflechtung im Speziellen, kann auch Auswirkungen darauf haben, inwiefern Anbieter eines Marktes ihr Verhalten erfolgreich koordinieren können, um Gewinne über dem Wettbewerbsniveau zu erzielen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Anreize zur Verhaltenskoordinierung grundsätzlich auch unabhängig von einer spezifischen Marktstruktur bestehen, letztere ein abgestimmtes Verhalten jedoch erleichtern kann.
Die Unterscheidung zwischen unilateralen und koordinierten Effekten ist bisweilen nicht trennscharf. So ist beispielsweise denkbar, dass ein oben beschriebenes einseitiges Absehen von intensivem Wettbewerb gerade dann wahrscheinlich ist, wenn davon ausgegangen wird, dass die Wettbewerber ebenfalls von intensivem Wettbewerb absehen werden. Da die Beteiligungsstrukturen institutioneller Investoren für deren Portfoliounternehmen weitestgehend transparent sind, könnte gerade die spezifische Eigentümerstruktur diversifizierter Anleger den Portfoliounternehmen als ein entsprechendes Signal dienen. So gesehen würde eine implizite Verhaltenskoordinierung über die Eigentümerstruktur eines Marktes zu den beschriebenen einseitigen Verhaltensspielräumen von Portfoliounternehmen führen.
Weiterhin werden im Zusammenhang mit indirekten Horizontalverflechtungen zwei weitere Koordinierungseffekte diskutiert. Zum einen wird die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass eine Koordinierung von Portfoliounternehmen durch deren gemeinsame Anteilseigner im Sinne eines Sternkartells initiiert werden könnte. Bei einem Sternkartell handelt es sich um die Koordination von abgestimmtem Verhalten zwischen Wettbewerbern durch ein Unternehmen, das nicht selbst auf diesem Markt tätig ist.10 Zum anderen ist auch eine Erleichterung der Koordination von Portfoliounternehmen untereinander durch eine verbesserte Markttransparenz denkbar, die z. B. durch regelmäßige Treffen institutioneller Anleger mit dem Management ihrer Portfoliounternehmen bewirkt würde. Dadurch werden sowohl Absprachen als auch die Sanktionierung von einer Vereinbarung abweichenden Verhaltens erleichtert. Obschon die Möglichkeit einer allgemeinen Steigerung der Markttransparenz besteht, ist zu beachten, dass jegliche Weitergabe von kursrelevanten und nicht öffentlich verfügbaren Informationen durch Portfoliounternehmen an deren Anteilseigner durch das Insiderhandelsverbot untersagt ist.
Abbildung 4
Anteile diversifizierter Investoren an Telekommunikationskonzernen
Anmerkung: Berücksichtigt sind die sechs umsatzstärksten europäischen Anbieter sowie KPN aufgrund der Verflechtung mit Telefónica Deutschland. Stand Januar 2018.
Quelle: Monopolkommission: XXII. Hauptgutachten, Wettbewerb 2018, Baden-Baden 2018.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass im Zusammenhang mit indirekten Horizontalverflechtungen über diversifizierte Anleger mehrere denkbare Wirkungskanäle existieren, die zu Wettbewerbsbeeinträchtigungen führen können. Gleichwohl muss die tatsächliche Bedeutung der jeweiligen Kanäle für einzelne Märkte fallspezifisch gewichtet werden.
Einflussmöglichkeiten größer als Beteiligungshöhe vermuten lässt
Die Möglichkeiten, diversifizierter institutioneller Investoren, die Geschäftspolitik ihrer Portfoliounternehmen zu beeinflussen, spielen bei der Diskussion der dargestellten Schadenstheorien eine wichtige Rolle. Obgleich darauf hinzuweisen ist, dass für ein tatsächliches Eintreten von Wettbewerbsbeeinträchtigungen durch indirekte Horizontalverflechtungen nicht in jedem Szenario eine direkte Beeinflussung des Managements nötig ist, wie oben bereits beschrieben wurde. Die Monopolkommission hat die Möglichkeiten der Einflussnahme großer institutioneller Investoren auf ihre Portfoliounternehmen in ihrem letzten Hauptgutachten untersucht.11 Sie kommt zu dem Ergebnis, dass „institutionelle Investoren grundsätzlich trotz ihrer anteilsmäßig relativ geringen Beteiligung prinzipiell Möglichkeiten haben, einen gewissen Einfluss auf die Entscheidungen ihrer Portfoliounternehmen zu nehmen.“12 Unabhängig von der jeweiligen Beteiligungshöhe spielt hier die Größe und Finanzkraft institutioneller Anleger eine wichtige Rolle. So stellt auch die Europäische Kommission im Fusionskontrollfall Dow/DuPont eine Sonderbehandlung großer Anteilseigner durch die Zusammenschlussbeteiligten fest.13 Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass bei einem gleichlautenden Interesse an der Gesamtmarktentwicklung diversifizierter Investoren auch das Stimmgewicht all dieser Investoren in einem Markt aggregiert betrachtet werden muss (vgl. Abbildungen 3 und 4).
Die Möglichkeiten institutioneller Investoren, Einfluss auf ihre Portfoliounternehmen zu nehmen, sind zwar vor dem Hintergrund einer guten Corporate Governance und eines Prinzipal-Agenten-Problems zwischen Management und Anteilseignern grundsätzlich wünschenswert, erscheinen aber aus wettbewerblicher Perspektive problematisch. Neben der Wahrnehmung von Stimmrechten und – zumindest im Rahmen von aktiven Anlagestrategien – der Androhung oder tatsächlichen Deinvestition stehen institutionellen Investoren im Rahmen des Shareholder-Engagements auch andere Formen der Einflussnahme auf das Management zur Verfügung. Der weltweit größte Vermögensverwalter BlackRock positioniert sich in diesem Kontext wie folgt: „We believe that shareholders should largely support management and that when it is necessary to challenge management and boards, the most effective means for communicating concerns is through direct engagement. We engaged with roughly 1,600 companies around the world in 2017. When we engage successfully and companies adjust their approach, most observers are never aware of that engagement. [...] We typically only vote against management when direct engagement has failed. At BlackRock, engagement encompasses a range of activities from brief conversations to a series of one-on-one meetings with companies. [...] Our preferred approach is to encourage companies to change their practices where we feel it is needed, rather than to divest their shares“14.
Dabei gilt zu berücksichtigen, dass sich die Einflussnahme nach Branchenangaben grundsätzlich auf die Begleitung der strategischen Unternehmensentwicklung und nicht auf das operative Geschäft bezieht. Das operative Geschäft kann allenfalls indirekt beeinflusst werden, z. B. über die Mitgestaltung von Vergütungsfragen oder Personalentscheidungen bezüglich des Vorstands und Aufsichtsrates. Auch sind bei der Beurteilung der Einflussmöglichkeiten im europäischen Kontext insbesondere gesetzliche Treuepflichten von Aktionären, Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern gegenüber dem Unternehmenswohl zu berücksichtigen. Ein Handeln zugunsten der Gesamtmarktrendite und entgegen dem Wohl des einzelnen Unternehmens stellt demnach einen Straftatbestand dar. Allerdings können zum einen von einem weniger intensiven Wettbewerb alle Unternehmen in einem betreffenden Markt profitieren und zum anderen beschreibt ein rechtlicher Handlungsrahmen nicht zwangsläufig tatsächliches Handeln.
Risikopotenzial unabhängig von empirischen Effektnachweisen
Auslöser der aktuellen Debatte wettbewerbsbeeinträchtigender Auswirkungen indirekter Unternehmensverflechtungen waren empirische Untersuchungen aus den USA, die ebensolche Effekte im US-amerikanischen Banken- und Flugverkehrssektor finden.15 Diese viel beachteten Forschungsarbeiten haben schon jetzt eine Vielzahl weiterer empirischer Forschungsarbeiten motiviert, die, bezüglich der tatsächlichen Auswirkungen indirekter Unternehmensverflechtungen, zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.16 Gleichfalls wird eine Diskussion über die Robustheit der Ergebnisse geführt, an der sich auch BlackRock als größter Vermögensverwalter aktiv beteiligt.17 Insgesamt liegen noch zu wenige Studien vor, um sich ein differenziertes Bild stilisierter Fakten über einzelne Märkte hinweg machen zu können.
Eine Verengung der Debatte auf die methodische Diskussion der empirischen Studien wird dem grundsätzlichen Problempotenzial indirekter Horizontalverflechtungen nicht gerecht. Grund hierfür ist zum einen, dass sich beispielsweise ein erbrachter Nachweis über das Nichtvorhandensein wettbewerbsbeeinträchtigender Effekte in einem spezifischen Markt nicht auf andere Märkte übertragen lässt (und andersherum); zum anderen, dass ein strukturelles Risikopotenzial unabhängig davon besteht, ob dieses Potenzial aktuell genutzt wird bzw. ob der Risikofall aktuell eintritt. Insofern muss eine Debatte über wirtschaftspolitische Maßnahmen auch unabhängig von der derzeitigen Nachweisbarkeit von Wettbewerbseffekten stattfinden, denn der empirische Nachweis über das Vorliegen potenziell problematischer Marktstrukturen ist längst erbracht.18
Vorgeschlagene Maßnahmen bislang unausgereift
Ob, und wenn ja, inwiefern der deutsche und europäische Kartellrechtsrahmen einer Anpassung bedarf, um wettbewerblich problematische Unternehmensbeteiligungen institutioneller Investoren angemessen berücksichtigen zu können, wird derzeit diskutiert. Zudem sind über das Kartellrecht hinaus Maßnahmen zur Eindämmung indirekter Horizontalverflechtungen im Gespräch. Bislang wurden Vorschläge fast ausschließlich von Wissenschaftlern und Praktikern aus den USA vorgebracht und sind aufgrund unterschiedlicher Rechtsordnungen daher nur eingeschränkt auf Europa übertragbar. Die in der Diskussion meistbeachteten Vorschläge lassen sich in drei Kategorien einteilen: 1. solche, die eine Berücksichtigung von Common-Ownership-Verflechtungen im Rahmen der Fusionskontrolle verfolgen, 2. regulatorische Ansätze zur allgemeinen Begrenzung indirekter Verflechtungen und 3. Vorschläge zur Verschärfung von Corporate-Governance-Regeln, um die Möglichkeit anti-kompetitiver Auswirkungen zu beschränken.
Berücksichtigung von Common-Ownership-Verflechtungen im Rahmen der Fusionskontrolle
Eine Berücksichtigung von Common-Ownership-Verflechtungen in der Fusionskontrolle ist deshalb naheliegend, weil es sich bei dieser um das klassische Instrument zur Marktstrukturkontrolle handelt. Indirekte Horizontalverflechtungen werden im Rahmen der materiellen Prüfung von Fusionskontrollfällen bereits berücksichtigt, beispielsweise von der Europäischen Kommission in den Fällen Dow/DuPont und Bayer/Monsanto.19 Dementgegen erfüllen nicht kontrollierende Minderheitsbeteiligungen durch diversifizierte Finanzinvestoren in aller Regel nicht die Aufgreifkriterien der Fusionskontrolle, wodurch nur Zusammenschlüsse einer Prüfung unterzogen werden können, die ohnehin geprüft würden. Um unverhältnismäßig hohe administrative Kosten bei einer Prüfung nicht kontrollierender Minderheitsbeteiligungen diversifizierter Finanzinvestoren zu vermeiden, sind in der Literatur Aufgreifschwellen und Safe-Harbour-Regeln vorgeschlagen worden. So könnte eine zusätzliche Aufgreifschwelle auf Grundlage eines modifizierten Herfindahl-Hirschman-Index (MHHI) formuliert werden, der als statistische Konzentrationskennzahl auch indirekte Horizontalverflechtungen berücksichtigt.20 Allerdings stellen sich eine hierfür erforderliche Definition kartellrechtlich relevanter Märkte und eine Erhebung aller bestehenden Beteiligungen sowie eine Reihe methodischer Kritikpunkte am MHHI als Problem dar.21 Safe-Harbour-Regeln definieren einen Grenzwert, unterhalb dessen Beteiligungen pauschal als wettbewerblich unbedenklich eingestuft werden. Als ein solcher Grenzwert wurde eine Beteiligungshöhe von 15 % vorgeschlagen, wenn der Anteilseigner nicht im Aufsichtsrat des Zielunternehmens vertreten ist.22 Vor dem Hintergrund der diskutierten Schadenstheorien erscheint ein solcher Grenzwert jedoch viel zu hoch.
Regulatorische Ansätze zur allgemeinen Begrenzung indirekter Verflechtungen
Durch eine Berücksichtigung von Common-Ownership-Beteiligungen in der Fusionskontrolle kann allenfalls eine weitere Zunahme der Verflechtungen unterbunden werden. Zur Auflösung bereits bestehender Strukturen könnten die Beteiligungen diversifizierter Anleger in einem Markt grundsätzlich beschränkt werden. Konkret wurde in diesem Sinne vorgeschlagen, die Beteiligungen diversifizierter Anleger in oligopolistisch strukturierten Märkten auf höchstens 1 % des Marktvolumens zu begrenzen, wenn an mehr als einem Unternehmen in diesem Markt signifikante Anteile gehalten werden.23 Diese Obergrenze soll keine Anwendung finden, wenn Anleger eine ausschließlich passive Investitionsstrategie verfolgen und kein Einfluss auf die Portfoliounternehmen ausgeübt wird. Problematisch erscheint hier insbesondere, dass Anleger als Reaktion auf eine derartige Regulierung entweder ihren Diversifizierungsgrad zulasten des Anlagerisikos erheblich verringern oder aber ihr Engagement im Rahmen der Corporate Governance gänzlich einstellen könnten.24
Verschärfung von Corporate-Governance-Regeln
Eine Beschränkung der Möglichkeiten zur Einflussnahme institutioneller Anleger auf ihre Portfoliounternehmen wird auch im Rahmen von Corporate-Governance-Regelungen diskutiert. Diese könnten eine noch strengere Reglementierung oder gar gänzliche Untersagung der Kommunikation zwischen institutionellen Anlegern und deren Portfoliounternehmen umfassen. Weiterhin könnten die Möglichkeiten, die Entscheidungen des Portfoliounternehmens über die Verpflichtung eines institutionellen Anlegers zu einer transparenten Anlagestrategie zu beeinflussen, wie z. B. indexorientiertes Anlegen, beschränkt werden. Damit würde einem Investor die Möglichkeit genommen, durch die Option des Verkaufs seiner Anteile Druck auf die Unternehmenspolitik auszuüben.25 Eine derartige zusätzliche Beschränkung der Einflussmöglichkeiten mag zwar zunächst zielführend erscheinen, geht jedoch an schadenstheoretischen Ansätzen vorbei, die eben keine direkten Einflussmöglichkeiten erfordern. Darüber hinaus wird hier ein Konflikt mit der Corporate-Governance-Perspektive deutlich, aus der institutionelle Anleger sich gerade aktiv mit den Belangen ihrer Portfoliounternehmen auseinandersetzen sollen, um den – durch die Trennung von Eigentum und Management – inhärenten Prinzipal-Agenten-Konflikt abzuschwächen und ihrer Aktionärsverantwortung nachzukommen.
Insgesamt ist bei allen Maßnahmenvorschlägen darauf zu achten, nicht lediglich deren Wettbewerbswirkung zu bewerten. Gleichfalls sind die unter Umständen weitreichenden Folgen für die Diversifikationsmöglichkeiten institutioneller Anleger sowie deren Rolle im Rahmen der Corporate Governance zu berücksichtigen. Hierbei darf auch die wichtige Rolle institutioneller Anleger für eine marktbasierte Unternehmensfinanzierung nicht außer Acht gelassen werden. Insbesondere aufgrund einer bisher unzureichenden gleichsamen Berücksichtigung von Finanzmarkt- und Wettbewerbsperspektive erscheinen die bisherigen Maßnahmenvorschläge entweder zu wenig effektiv oder nicht umsetzbar.
Diskussion möglicher Maßnahmen notwendig
Es bleibt festzuhalten, dass durch die in vielen Wirtschaftsbereichen zu beobachtenden indirekten Unternehmensverflechtungen über institutionelle Anleger ein Risikopotenzial für einen funktionierenden Wettbewerb besteht. Dieses Risikopotenzial besteht unabhängig vom derzeitigen Unternehmensverhalten und damit unabhängig von einem empirisch erbrachten Nachweis anti-wettbewerblicher Effekte. Auch wenn die bisher diskutierten Maßnahmen zur Eindämmung des Risikopotenzials bislang hinsichtlich ihrer Effektivität und/oder Umsetzbarkeit unausgereift erscheinen, ist die Diskussion über Maßnahmen notwendig, steht doch nichts weniger als die sektorübergreifende Funktionsfähigkeit der wichtigsten Grundlage der sozialen Marktwirtschaft zur Disposition. Im Rahmen einer sachgerechten Diskussion ist ein weiteres Zusammenbringen von Wettbewerbs- und Finanzmarktperspektive dringend geboten. In diesem Zusammenhang wäre eine engere Zusammenarbeit der jeweils zuständigen Behörden – in Deutschland des Bundeskartellamts und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – wünschenswert.26
- 1 DIRK/Ipreo: Investoren der Deutschland AG 5.0. Die Aktionärsstruktur des deutschen Leitindex DAX 30, Juni 2018.
- 2 EU-Kommission, Beschluss vom 27.3.2017, M.7932 – Dow/DuPont und Beschluss vom 21.3.2018, M.8084 – Bayer/Monsanto.
- 3 M. Vestager: Competition in changing times, Rede vom 16.2.2018, https://ec.europa.eu/commission/commissioners/2014-2019/vestager/announcements/competition-changing-times-0_en (31.7.2019).
- 4 OECD: Summary of Discussion of the Hearing on Common ownership by institutional Investors and its Impact on Competition, DAF/COMP/M(2017)2/ANN3/FINAL, 26.9.2018; und FTC, https://www.ftc.gov/news-events/events-calendar/ftc-hearing-8-competition-consumer-protection-21st-century (30.7.2019).
- 5 Monopolkommission: XXII. Hauptgutachten, Wettbewerb 2018, Baden-Baden 2018, Kap. II.4.
- 6 Die Monopolkommission hatte bereits in ihrem vorangegangenen XXI. Hauptgutachten auf dieses Risikopotenzial hingewiesen. Vgl. hierzu auch A. Wambach, J. P. Weche: Gefährden institutionelle Anleger den Wettbewerb?, in: Wirtschaftsdienst, 96. Jg. (2016), H. 12, S. 900-904, https://archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2016/12/gefaehrden-institutionelle-anleger-den-wettbewerb/ (12.8.2019).
- 7 Vgl. zur Diskussion der Schadenstheorien auch Monopolkommission, a. a. O.; und OECD: Common Ownership by Institutional Investors and its Impact on Competition, Background Note by the Secretariat, DAF/COMP(2017)10, 29.11.2017.
- 8 Empirische Untersuchungen, die auf wettbewerbsbeeinträchtigende Effekte durch indirekte Horizontalverflechtungen hinweisen, sind beispielsweise J. Azar, M. Schmalz, I. Tecu: Anti-Competitive Effects of Common Ownership, in: The Journal of Finance, 73. Jg. (2018), H. 4, S. 1513-1565; J. Azar, S. Raina, M. Schmalz: Ultimate Ownership and Bank Competition, SSRN-Arbeitspapier, März 2016; M. Newham, J. Seldeslachts, A. Banal-Estanol: Common Ownership and Market Entry: Evidence from the Pharmaceutical Industry, DIW Berlin Discussion Paper, Nr. 1738, Juni 2018.
- 9 M. Anton et al.: Innovation: The Bright Side of Common Ownership?, SSRN Working Paper, März 2017; H. Geng, H. Hau, S. Lai: Patent Success, Patent Holdup, and the Structure of Property Rights, Working Paper, Januar 2018; L. Kostovetsky, A. Manconi: Common Institutional Ownership and Diffusion of Innovation, SSRN Working Paper, Mai 2018.
- 10 Vgl. EuGH, Urteil vom 21.1.2016, C-74/14–Eturas, ECLI:EU:C:2016:42, Rz. 26 ff.
- 11 Monopolkommission, a. a. O.
- 12 Ebenda, Tz. 455.
- 13 EU-Kommission, Beschluss vom 27.3.2017, M.7932 – Dow/DuPont.
- 14 BlackRock: Proxy Voting and Shareholder Engagement FAQ, https://www.blackrock.com/corporate/literature/fact-sheet/blk-responsible-investment-faq-global.pdf (28.6.2019).
- 15 Vgl. J. Azar, M. Schmalz, I. Tecu, a. a. O.; J. Azar, S. Raina, M. Schmalz, a. a. O.
- 16 Für einen Überblick vorliegender Untersuchungen, siehe Monopolkommission, a. a. O., Tz. 492 ff.
- 17 Vgl. u. a. BlackRock: Common Ownership Data is Incorrect, Policy Spotlight, Januar 2019.
- 18 Monopolkommission, a. a. O., Tz. 420 ff.
- 19 EU-Kommission, Beschluss vom 27.3.2017, M.7932 – Dow/DuPont; EU-Kommission, Beschluss vom 21.3.2018, M.8084 – Bayer/Monsanto. Zur Berücksichtigung von Common Ownership in Fusionskontrollfällen nationaler Kartellrechtsbehörden, vgl. OECD: Hearing on Common ownership by institutional investors and its impact on competition – Summaries of Contributions, DAF/COMP/WD(2017)83, 1.12.2017.
- 20 Vgl. D. O’Brien, K. Waehrer: The Competitve Effects of Common Ownership: We know less than we think, in: Antitrust Law Journal, 81. Jg. (2018), H. 3; E. Elhauge: Horizontal Shareholding, Essay, Harvard Law Review, 10.3.2016.
- 21 Zum Konzept des MHHI und einer Diskussion der Aussagefähigkeit dieser Kennzahl, siehe Monopolkommission, a. a. O., Anhang zu Kapitel II.4, Tz. 1225 ff.
- 22 E. B. Rock, D. L. Rubinfeld: Defusing the Antitrust Threat to Institutional Investor Involvement in Corporate Governance, Law & Economics Research Paper Series, Working Paper, Nr. 17-05, 2017.
- 23 Vgl. E. Posner, F. Scott Morton, G. Weyl: A Proposal to Limit the Anti-Competitive Power of Institutional Investors, in: Antitrust Law Journal, im Erscheinen, 2019. Verfügbar als SSRN Working Paper, März 2017: „No institutional investor or individual holding shares of more than a single effective firm in an oligopoly may ultimately own more than 1 % of the market share unless the entity holding shares is a free-standing index fund that commits to being purely passive. […] An institutional investor is invested in more than a single effective firm if it is invested in more than one firm, and the total market share of all firms it holds any stake in is greater than HHI/10000 in the oligopoly.“
- 24 Auch die Notwendigkeit einer gesamtwirtschaftlichen Identifikation oligopolistischer Märkte erscheint nicht unproblematisch und dürfte einen erheblichen Aufwand darstellen. Siehe für eine kritische Diskussion dieses Vorschlags auch E. B. Rock, D. L. Rubinfeld, a. a. O.
- 25 E. Posner, F. Scott Morton, G. Weyl, a. a. O.
- 26 Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist beispielsweise für illegale Verhaltenskoordination bei der Stimmrechtswahrnehmung zwischen institutionellen Anlegern nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz verantwortlich (Acting in Concert) die keiner kartellrechtlichen Beurteilung unterzogen werden (können).